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Ich war der König, die stärkste Figur auf dem Schachbrett. Doch ohne die Königin an meiner Seite bin ich machtlos
Lachlan Mount besitzt Keira Kilgore - und doch ist sie nicht mehr länger seine Gefangene. Er hat sie in seine Welt geholt, ohne zu ahnen, dass sie ein Teil davon werden könnte. Und jetzt ist sie alles für ihn. Seine Geliebte, seine Frau, die Partnerin, von der Mount nie wusste, dass er sie dringend braucht. Und als er Keira erneut zu verlieren droht, begreift er, dass damit auch der wichtigste Teil von ihm selbst - all seine Stärke - untergehen würde. Keiras Leben liegt in seinen Händen, und er muss es mit aller Macht beschützen, denn sein schwarzes Herz kann nie mehr ohne sie sein!
"Meghan Marchs beste Reihe!" Whitehotreads
Abschlussband der sinnlich-verbotenen Sinful-Empire-Trilogie von USA-Today-Bestseller-Autorin Meghan March
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Seitenzahl: 308
MEGHAN MARCH
Sinful Empire
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver
Lachlan Mount hat Keira Kilgore aus den Fängen ihrer Vergangenheit befreit, und endlich gehört sie ihm – mit allem, was sie hat: ihrem Körper und ihrer Seele. Schon immer wollte er sie besitzen, sie beherrschen und seinem Willen unter-werfen, doch Keira hat sein schwarzes Herz berührt und damit alles verändert. Sie ist nicht länger Mounts Gefangene. Sie ist seine Geliebte, seine Frau, die Partnerin, von der er sein ganzes Leben lang nicht wusste, dass er sie so dringend braucht. Bis seine eigene Vergangenheit ihn einzuholen droht und er begreift, dass der König, zu dem er sich selbst erklärt hat, ohne die Königin an seiner Seite all seine Stärke verlieren und gnadenlos untergehen wird. Keiras Glück liegt in seinen Händen, und er muss sie beschützen mit allem, was in seiner Macht steht – im Zweifel sogar mit seinem eigenen Leben!
Mount
28 Jahre zuvor
»Du elendes Stück Scheiße! Komm sofort zurück! Dafür werde ich dich in den Knast bringen.«
Ich pflügte durch die Menge, prallte gegen Touristen und wirbelte herum, um den Mann abzuschütteln, der hinter mir herstürmte. Es war eine totale Verschwendung, weil ich die Ablenkung nicht mal nutzen konnte, um noch mehr von ihren dicken Brieftaschen oder hübschen Armbanduhren mitgehen zu lassen.
Und all das nur, weil ich einen verdammten Snickers-Riegel hatte habe wollen, um meinen knurrenden Magen für ein paar Stunden ruhigzustellen. Und ich war nicht bereit gewesen, dafür mein hart verdientes Geld auszugeben. Ein Straßenkind in New Orleans zu sein war nichts für Weicheier. Die dunkle Seite dieser Stadt konnte einen schneller verschlingen und wieder ausspucken, als man »Leichensack« buchstabieren konnte.
Such dir keine Freunde, such dir Verbündete. Aber wag es ja nicht, ihnen blind zu vertrauen.
»Ich seh dich, Kleiner! Die Bullen sind unterwegs! Dieses Mal bist du erledigt!«
Ernie, ein trotteliger Gemischtwarenladenbesitzer, dessen Süßwarenauslage die leichteste Beute im Viertel darstellte, war fest entschlossen, mich für alle Zeiten hinter Gitter zu bringen. Aber zuerst musste er mich erwischen.
Nach drei Jahren auf den Straßen kannte sie niemand besser als ich.
Ich schlüpfte durch die Menge, stürmte in eine Gasse und quetschte mich zwischen zwei verbogenen Stäben eines schmiedeeisernen Zauns hindurch. Da würde Ernies fetter Hintern niemals durchpassen. Ich rannte über einen gepflasterten Weg und knallte gegen ein Metalltor. Verschlossen. Kein Problem für mich.
Ich kletterte darüber wie ein Affe und landete auf der anderen Seite des Blocks auf den Füßen. Dieses Arschloch würde mich niemals finden. Ich schob die Hände in die Hosentaschen und zog die Brieftaschen heraus, die ich vor meinem Besuch in Ernies Laden geklaut hatte. Ich musste sie loswerden, falls ich geschnappt wurde.
Ich schaute mich prüfend um, wandte der Straße dann den Rücken zu und klappte eine der Brieftaschen auf. Ich zog die beiden Zwanziger heraus, die sich darin befanden. Nicht schlecht. Davon konnte ich mir ein paar Wochen lang etwas zu essen kaufen. Ich warf einen kurzen Blick auf den Ausweis in der Brieftasche und versenkte sie dann in einem Gully.
Rocky Mount. Klang wie ein Arschloch. Wer nannte sein Kind so?
Sobald mir der Gedanke kam, verdrängte ich ihn. Wenigstens hatten sich diese Leute die Mühe gemacht, ihrem Kind einen Namen zu geben.
Ich klappte die zweite Brieftasche auf und fand darin einen neuen Hunderter. Nett. Wenn ich vorsichtig damit umging, würde ich für mindestens ein paar Monate versorgt sein. Oder ich konnte ein Risiko eingehen und dadurch vielleicht in der Lage sein, mein Geld zu verdoppeln.
Ich schaute auf den zweiten Ausweis. Lachlan Thorpe. Der Name war besser als Rocky Mount. Zumindest ein bisschen.
Ich warf die zweite Brieftasche ebenfalls in den Gully und packte den Schokoriegel aus. Dann stopfte ich ihn mir komplett in den Mund, um auch den letzten Beweis loszuwerden. Ich kaute hastig, auch wenn mir das Karamell an den Zähnen festklebte. Mein Magen zwickte, als würde er begierig auf das warten, was nun kam. Ich versuchte, regelmäßig zu essen – mindestens alle zwei Tage –, aber manchmal hatte ich keine Wahl.
»Ich sehe dich, du Dreckskerl!«
Ich drehte ruckartig den Kopf in die Richtung, aus der Ernies Stimme gekommen war.
Mist.
Seine massige Gestalt kam um die Ecke herumgewalzt. Hinter ihm liefen zwei Polizisten. Ich rannte in die entgegengesetzte Richtung.
Ich war schneller. Klüger. Zumindest redete ich mir das ein, während ich über den rissigen Asphalt raste.
»Stehen bleiben, Junge!«
Schritte hallten hinter mir, und als ich auf die Kreuzung abbog, schaute ich mich um, anstatt den Blick nach vorn gerichtet zu lassen.
Ein Anfängerfehler.
Ein schwarzer Mercedes überfuhr das Stoppschild und streifte mich.
Scheiße, das tut weh.
Mein Körper spannte sich bei dem Aufprall an, aber ich kauerte mich zusammen und rollte mich direkt über die Motorhaube. Meine Ellbogen knallten gegen die Windschutzscheibe, während das Auto abrupt zum Stehen kam, wodurch ich wieder nach vorn geschleudert wurde. Etwas stach in meine Seite, bevor ich vom Metall rutschte und auf dem Asphalt landete.
Gottverdammt, das tut richtig weh. Ich unterdrückte ein Stöhnen, stützte die Hände auf dem Boden ab und stemmte mich hoch.
Ernie und die Bullen, die alle wie Idioten herumbrüllten, kamen näher.
Unsicher kam ich auf die Beine. Ich musste von hier verschwinden, sonst würde ich erledigt sein.
Mein Knöchel brannte und gab nach, als ich ihn belastete. Ich fiel wieder nach vorne und stützte mich an dem Auto ab, um auf den Beinen zu bleiben. Meine Rippen schrien vor Schmerzen, aber ich biss die Zähne zusammen. Das war nicht das erste Mal, dass ich sie mir gebrochen hatte, also wusste ich aus Erfahrung, wie ätzend das werden würde. Ich musste einfach nur weg von hier. Ich musste einen Ort finden, an dem ich in Sicherheit sein würde, bevor ich gleich hier vor Schmerz das Bewusstsein verlor. Denn wenn das passierte, würde ich wirklich erledigt sein.
Die Autotüren öffneten sich – die des Fahrers und eine der hinteren –, während ich mich an den verbogenen Mercedes-Stern auf der Motorhaube klammerte, um nicht wieder auf die Knie zu sinken.
Diese verdammten reichen Leute mit ihren schicken Autos mit diesen modischen Kühlerfiguren.
»Keine Bewegung, Kleiner! Dieses Mal landest du im Gefäng…«
Ernie verstummte, und schwarze Punkte tauchten vor meinen Augen auf, als ich versuchte, mich zu konzentrieren. Sowohl der Ladenbesitzer als auch die beiden Polizisten hinter ihm standen stocksteif mitten auf der Straße.
»Mr Morello, das tut mir so leid, Sir. Wir werden diesen Abschaum für Sie entfernen.« Das kam von einem der Polizisten.
»Würden Sie mir erklären, was hier vorgeht, meine Herren?« Die Stimme war tief und wies einen leichten italienischen Akzent auf.
Morello. Morello. Mein Gehirn arbeitete nicht so, wie es sollte, aber der Name war da. Ich sollte ihn kennen. Morello.
»Nur ein Straßenjunge, der Ladendiebstahl begangen hat. Wir versuchen nun schon seit fast zwei Jahren, ihn zu erwischen.«
Auf Ernies Erklärung folgte ein tiefes Lachen.
»Also ist er entweder verflucht klug, oder ihr alle seid vollkommen unfähig. Was davon trifft zu?« Im Tonfall des Mannes lag keinerlei Respekt gegenüber Ernie oder den Polizisten. Und plötzlich machte es in meinem Kopf klick.
Heilige Scheiße. Morello war Johnny Morello, der aktuelle Kopf der Morello-Verbrecherfamilie. Sie herrschte über diese Stadt. Ihr gehörte diese Stadt.
Ich war in jeglicher Hinsicht erledigt. Ich hatte Morellos Auto verbeult, und sein Schläger würde mir dafür vermutlich eine Kugel in den Kopf jagen, während die Bullen tatenlos zusahen, weil sie ihm nichts anhaben konnten. Niemand konnte ihm etwas anhaben. Und falls mich der Schläger nicht tötete, würde er mich den Bullen und Ernie überlassen. Ich hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich untergehen würde. Heutzutage wurden Kinder für alle möglichen Vergehen nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Zweifellos würde Ernie es sich zur Mission machen, mich lebenslang ins Gefängnis zu bringen.
Ich kauerte über dem Auto, an dem ich mich immer noch abstützte, um nicht umzufallen, und beobachtete, wie zwei glänzende schwarze Lederschuhe in mein Sichtfeld kamen. Ich verspürte den Drang, mich auf den Mercedes und die Schuhe zu übergeben, schluckte ihn aber hinunter. Stattdessen zwang ich mich, mich trotz der brennenden und stechenden Schmerzen, die meine Rippen bei jedem meiner Atemzüge verursachten, aufrecht hinzustellen.
»Wie heißt du, Junge?« Morello stellte die Frage leise, aber mit unverkennbarer Autorität in der Stimme. Nach allem, was ich gehört hatte, war er ein Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte, wenn man am Leben bleiben wollte.
Ich begegnete seinem Blick und war fest entschlossen, keine Angst zu zeigen, was mehr war, als ich von Ernie und den Bullen behaupten konnte. Ich wette, die machen sich gerade in die Hosen.
In den zwei Jahren, in denen ich auf der Straße gelebt hatte, hatte ich keinen Namen gehabt. Michael Arch hatte ich hinter dem Müllcontainer zurückgelassen, hinter dem ich mich versteckt hatte, während ich zugesehen hatte, wie die Sozialarbeiterin Hope und Destiny aus der Unterkunft der Kirche abgeholt hatte. Ich war namenlos geboren worden, also lebte ich auch namenlos. Aber das konnte ich Johnny Morello nicht sagen. Und ich würde ihm ganz sicher nicht den Namen Michael Arch nennen. Soweit ich wusste, wurde er immer noch wegen Mordes gesucht.
»Ich wiederhole mich nicht, Junge.«
Jemand stieß mich von hinten an, und ich stellte mich gerader hin. Meine Rippen schrien dabei vor Schmerz auf, aber das würde ich mir auf keinen Fall anmerken lassen.
Morellos schwarze Augen bohrten sich in mich hinein, während mein Gehirn fieberhaft nach etwas suchte, das ich ihm sagen konnte. Ich erinnerte mich an die Ausweise, die ich gerade in den Gully geworfen hatte, und erfand einen Namen.
»Ich heiße Lachlan Mount, Sir. Ich entschuldige mich für den Schaden, den ich angerichtet habe. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nicht respektlos erscheinen.«
Morello betrachtete mich und musterte zweifellos meine zerzauste Erscheinung, meine harten Augen und meine scharfen Züge. »Lachlan Mount. Ein starker Name für einen klugen Jungen. Bist du das, Mount?«
»Ja, Sir.«
»Du bist den Bullen zwei Jahre lang entkommen?« Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als würde er darauf warten, dass ich ihn anlog. Doch Morello war nicht klar, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte.
»Ja, Sir.«
Er zog ganz leicht die dunklen Augenbrauen hoch. »Dann lief es heute wohl nicht so, wie du es geplant hattest.«
»Nein, Sir. Ganz und gar nicht.« Ich biss die Zähne zusammen, denn der Schmerz nahm mit jeder Minute, die ich aufrecht stand, zu.
»Du hast mein Auto ruiniert, Mount. Dafür schuldest du mir etwas.«
Ich nickte und griff in meine Hosentasche, um das Geld hervorzuholen, das ich gerade geklaut hatte. »Tut mir leid, Sir.« Ich reichte ihm das Geld. »Das ist alles, was ich habe.«
Er schaute auf die Geldscheine in meiner Hand und lachte. Es war ein tiefer, donnernder Laut, der an den großen Ziegelbauten, die uns umgaben und meine Flucht verhinderten, abzuprallen schien.
»Weißt du, wie viel dieses Auto kostet, Junge? Denn das, was du da hast, reicht nicht mal aus, um die Kühlerfigur reparieren zu lassen.«
»Mehr habe ich nicht, Sir.«
Ich wartete darauf, von hinten den Lauf einer Waffe an meinem Kopf zu spüren, denn ich hatte gehört, dass die Mafiatypen diese Hinrichtungsmethode bevorzugten. Doch nichts dergleichen passierte.
Morello neigte den Kopf zur Seite und musterte mich. »Wie lange hast du gebraucht, um dieses Geld zu stehlen?«
»Ein paar Minuten. Ich habe es mir auf dem Weg zum Laden dieses Fettsacks geschnappt.«
»Hey …!«, rief Ernie, der sofort bereit war, sich zu verteidigen. Doch Morello hob eine Hand, und er verstummte umgehend.
Morello fuhr sich mit einer Hand über den dunklen Schnurrbart, der bereits ein paar silbergraue Haare aufwies, und musterte mich eingehender. »Wie alt bist du, Mount?«
Je öfter er den Namen aussprach, den ich gerade gewählt hatte, desto besser gefiel er mir. Er fühlte sich richtig an. Als wäre ich dafür geboren worden.
Ich straffte trotz der heftigen Schmerzen die Schultern. Ich hatte Stolz, und der war stärker. »Fünfzehn, fast sechzehn.« Den letzten Teil erfand ich, denn eigentlich hatte ich keine Ahnung, wann ich Geburtstag hatte.
Morello ließ die Hand von seinem Schnurrbart sinken und durchbohrte mich erneut mit seinem Blick. »Du hast heute drei Möglichkeiten zur Auswahl, Mount, denn ich bin in großzügiger Stimmung.«
Schweigend wartete ich darauf, welches Urteil er verkünden würde.
»Möglichkeit eins: Ich überlasse dich der Polizei, und du wirst nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt und ins Gefängnis geworfen. Ich bezweifle, dass du dort auch nur einen Tag überstehst, bevor dich jemand zu seinem Prügelknaben macht.«
Ich zwang mich, keine Reaktion zu zeigen, auch wenn ich mich angesichts seiner Äußerung am liebsten übergeben hätte, denn ich wusste, dass er recht hatte.
»Möglichkeit zwei: Frankie wird dich hier und jetzt erschießen, weil du mein Lieblingsauto ruiniert hast, und wir werden deine Leiche in der Gosse liegen lassen. Vermutlich bist du davon ausgegangen, dass du dort ohnehin irgendwann sterben würdest.«
Damit hatte er nicht ganz unrecht, aber ich erwiderte nichts.
»Oder Möglichkeit drei: Du steigst auf den Rücksitz, wir fahren dich zum Arzt, damit er dich zusammenflicken kann, und danach arbeitest du deine Schulden bei mir ab, bis du mir jeden Penny, den die Reparatur meines Autos kosten wird, zurückgezahlt hast. Wenn du das nicht vermasselst, werden wir sehen, wie du dich machst. Vielleicht wirst du dann irgendwann sogar einen richtigen Job haben und nicht mehr Touristen beklauen müssen.«
Einer der Bullen fand schließlich den Mut, sich zu Wort zu melden. »Mr Morello, Sir, wir können ihn ab hier übernehmen. Sie müssen sich nicht mit ihm abge…«
Morello richtete seine Aufmerksamkeit auf den Polizisten und schnitt ihm das Wort ab. »Wenn ich deine Meinung hören wollte, du Schwein, dann würde ich danach fragen. Und jetzt halt verdammt noch mal den Mund.«
Er schaute wieder mich an, während ich das Geräusch einer Waffe hörte, die schussbereit gemacht wurde. Ich ging davon aus, dass sich Frankie, Morellos Schläger, darauf vorbereitete, entweder Möglichkeit zwei auszuführen oder am helllichten Tag einen Bullen zu erschießen.
Mir drehte sich der Magen um, aber ich würde keine Angst zeigen. Ich traf die einzige Entscheidung, die ich treffen konnte.
»Drei, Sir. Ich wähle Möglichkeit drei.«
Morello nickte. »Das dachte ich mir, denn du bist kein verdammter Idiot so wie diese Arschlöcher.« Er bewegte ruckartig den Kopf in Richtung der Polizisten. Dann warf er einen Blick über meine Schulter. »Setz ihn ins Auto. Ruf den Arzt an. Er soll sich mit uns treffen.«
Sobald die Hände des Mannes auf meinen Schultern landeten, wirbelte ich herum und biss die Zähne zusammen, um einen schmerzerfüllten Aufschrei zurückzuhalten. »Ich kann alleine ins Auto einsteigen.«
Ein amüsiertes Flackern erschien in Frankies Augen. »Setz dich auf den Beifahrersitz, Kleiner.«
Ich humpelte auf die Tür zu und öffnete sie. Dann brach ich im Inneren des Autos förmlich zusammen und knallte die Tür hinter mir zu. Zum Glück konnte niemand mein schmerzerfülltes Zischen hören, weil Morello und Frankie immer noch draußen waren und sich Ernie und den Bullen stellten. Ihre Stimmen kamen laut und deutlich durch die offene Rücksitztür, und ich sah sie durchs Beifahrerfenster.
»Sir, bei allem gebührenden Respekt …«
»Ihr habt den Namen Lachlan Mount nie gehört. Ihr werdet ihn niemals wiederholen. Ihr habt ihn noch nie zuvor gesehen. Ihr werdet vergessen, dass er existiert. Er ist jetzt ein Teil meiner Organisation, und wenn ihr auch nur darüber nachdenkt, ihn zu verfolgen, werde ich dabei zusehen, wie meine Leute euch bei lebendigem Leib häuten. Und ich werde lachen, während ihr wie die Schweine quiekt, die ihr seid. Dann werde ich jedem, den ihr liebt, eine Kugel in den Kopf jagen. Wie klingt das?«
Alle drei Männer, einschließlich der beiden in Uniform, nickten wie Idioten und stammelten Erwiderungen.
»Verstanden, Sir.«
»Ich habe noch nie zuvor von ihm gehört.«
»Ich weiß nicht, von wem Sie reden, Mr Morello. Wir wollten uns gerade auf den Weg zurück zum Revier machen.«
Ihre Angst vor Morello hing an ihnen wie ein übler Gestank. Oder vielleicht hatte sich auch einer von ihnen in die Hose geschissen. So wie die Beine der Bullen zitterten, hätte ich das problemlos geglaubt. Und dann war da noch der nasse Fleck, der sich auf Ernies Hose ausbreitete.
Er hatte sich tatsächlich in die Hose gepinkelt. Das darf doch wohl nicht wahr sein.
Andererseits überraschte mich das nicht. Morellos Haltung war unnachgiebig. Seine Befehle duldeten keinen Widerspruch. Ich hegte keinen Zweifel, dass er sie alle hier und jetzt töten und seine Drohungen wahr machen würde.
Derartige Macht hatte ich noch nie in Aktion erlebt. Ich hatte auch noch nie so große Angst im Gesicht eines Polizisten gesehen. Ich sog den Anblick in mich auf.
Wie wäre es wohl, wenn man diese Art von Respekt genießen würde?
Morello stieg auf den Rücksitz des Mercedes, und Frankie schloss die Tür.
»Sorg dafür, dass ich das nicht bereue, Mount, denn ich werde dich verdammt noch mal lebendig begraben, wenn du mich oder jemanden aus meiner Organisation hintergehst.«
»Verstanden, Sir. Sie werden es nicht bereuen.«
»Gut.«
Frankie stieg ein und startete den ramponierten Wagen, der mir das Leben gerettet hatte. Irgendwann verlor ich während der holprigen Fahrt an einen mir unbekannten Ort vor Schmerz das Bewusstsein.
Keira
Gegenwart
Schmerz schießt durch meinen Körper, als ich das Bewusstsein wiedererlange. Die Autotür fliegt auf, und die Schwerkraft sorgt dafür, dass ich zur Seite kippe. Starke Arme verhindern meinen Sturz.
»Ich hab dich. Mach die Augen auf, Teufelsbraten. Mach verflucht noch mal die Augen für mich auf. Gottverdammt, ich werde dich jetzt nicht verlieren.«
Diese Stimme. Tief. Dunkel. Rau. Einst war sie die Stimme des Teufels, aber jetzt ist sie es nicht mehr. Jetzt ist sie die Stimme des Mannes, den ich behalten wollte. Und ich war wütend, dass mir das nach unserer Rückkehr nach New Orleans nicht möglich sein würde.
Ich öffne flatternd die Augen und habe das Gefühl, dass sich an der Stelle, an der mein Kopf gegen das Fenster geknallt ist, als wir um die Kurve gerast und gegen einen Laternenpfahl geprallt sind, eine Delle befindet. In meiner Schläfe pocht ein unablässiger Schmerz. Als ich in seine vertrauten dunklen Augen schaue, verwandelt sich seine Furcht in Erleichterung. Die brennende Hitze in diesen Augen jagte mir einst Angstschauer durch den Körper. Doch jetzt schenkt sie mir Kraft.
»Gott sei Dank.« Er legt seine Stirn sanft an meine, und ich atme seinen holzigen Zitrusduft ein.
»Denkst du, dass du mich so leicht loswirst?« Die Worte kommen schwach und undeutlich über meine Lippen und klingen nicht mal ansatzweise so selbstsicher, wie ich es beabsichtigt hatte. Ich versuche mich aufzusetzen, doch ein Schmerz sticht in meine rechte Seite. »Verdammt, das tut weh. Was ist passiert?«
»Das spielt keine Rolle. Du kommst wieder in Ordnung. Ich schwöre bei meinem Leben, dass du wieder in Ordnung kommst.«
Die vollkommene Überzeugung, mit der er das sagt und dabei jedes Wort betont, sorgt dafür, dass ich ihm glaube.
Ich senke den Blick und betrachte das Blut, das meine Bluse bedeckt, und die Glasscherben, die überall herumliegen. »Oh Scheiße.«
Er umfasst mein Kinn mit seinen großen Händen und bringt mich dazu, ihm wieder in die Augen zu schauen. Doch vorher sehe ich noch, dass auch seine Kleidung voller roter Flecken ist.
»Oh Gott. Wir brauchen Hilfe.«
»Das wird schon wieder. Verstehst du mich? Du musst dich zusammenreißen. Kannst du das tun?«
Ich nicke, doch die Bewegung sorgt dafür, dass sich mein Schädel anfühlt, als würde er zerbrechen. Galle steigt in meiner Kehle auf.
»Verdränge den Schmerz, Keira. Du kannst das.«
Ich atme flach ein und erschaudere. »Ich kann das«, sage ich und habe keine Ahnung, ob ich lüge oder nicht.
»Braves Mädchen.« Er zieht sein Jackett aus und drückt es gegen meine Seite. »Halt das so fest, als würde dein verdammtes Leben davon abhängen. Verstanden?«
Wenn Lachlan Mount sagt, dass man etwas tun soll, als würde das eigene Leben davon abhängen, dann könnte das tatsächlich stimmen. Ich erinnere mich an die Furcht, die ich noch vor wenigen Minuten in seinen Augen gesehen habe.
»Sterbe ich?« Anstelle von Trauer empfinde ich Wut. Ich bin noch nicht bereit dafür. Ich bin noch nicht fertig mit dieser Welt. Ich bin noch nicht fertig mit diesem Mann.
»Du stirbst nicht. Das werde ich nicht zulassen.« Stählerne Entschlossenheit unterstrich seine Worte.
»Okay.« Ich drücke das Jackett fester auf die Quelle des Schmerzes in meiner rechten Seite, während er einen Arm um meinen Rücken legt.
»Wir verschwinden jetzt von hier. Meine Leute sind unterwegs. Halt dich fest.«
Ich nicke erneut. Als mich Lachlan aus dem Auto hebt, tanzen bei jeder Bewegung Sterne vor meinen Augen. Er bleibt geduckt und umrundet das hintere Ende des Autos, um zwischen der eingedrückten Vorderseite und dem Gebäude, gegen das es nach dem seitlichen Zusammenstoß mit dem Laternenpfahl offenbar gekracht ist, innezuhalten. Er stolpert und stöhnt sofort auf. Der Klang seines Leidens setzt mir mehr zu als mein eigener Schmerz.
»Warte. Du bist verletzt. Nicht …«
»Ich bleibe erst stehen, wenn du in Sicherheit bist. Ich werde kein Risiko eingehen, wenn es um dich geht. Wo zum Teufel sind sie?« Er dreht den Kopf hin und her. Mir wird beinahe wieder schwarz vor Augen.
Was stimmt nicht mit meinem Kopf?
Ich kämpfe gegen die Benommenheit an, weil ich auf keinen Fall wieder das Bewusstsein verlieren will. Ich bin stark genug, um das zu verhindern.
Ich drücke seine Hand, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. »Ich werde dich auch nicht verlieren. Verstehst du mich? Hör auf, dich wie ein sturer Mistkerl aufzuführen.«
Er schaut mich an, und jeder Hinweis auf den Schmerz, den er noch vor wenigen Sekunden verspürt hat, scheint zu verschwinden. Er lächelt. »Abgemacht.«
Reifen quietschen, und ich drehe den Kopf und zucke sofort zusammen, als ein entsetzlicher Schmerz durch meine Schläfen schießt. Allerdings kann ich nichts sehen, weil uns Mount von der Straße abschirmt, mich fester packt und seinen Rücken in Richtung des herannahenden Autos dreht. Er benutzt seinen Körper als menschlichen Schutzschild.
»Wag es ja nicht …«
»Halt den Mund, Keira. Wenn es um dich geht, werde ich tun, was immer nötig ist.« Er umfasst meinen Hinterkopf mit einer Hand und drückt mein Gesicht gegen seine Brust.
Ein weiteres Auto kommt quietschend zum Stehen. Das Geräusch sich öffnender Türen dringt in meinen pochenden Kopf. Schritte donnern auf dem Asphalt, und Lachlan schaut hinter sich.
»Gott sei Dank«, flüstert er. Sein Körper entspannt sich, und als er sich herumdreht, erhasche ich einen Blick auf Narbengesicht.
Auch sein Gesicht jagte mir einst Angst ein und sorgt nun dafür, dass ich Erleichterung empfinde. Narbengesicht eilt auf uns zu. Er ist so still wie immer, aber auf seinen Zügen spiegelt sich rasende Wut.
Lachlan presst mich fester an seine Brust. »Nimm sie. Bring sie in Sicherheit. Dein Leben für ihres. Verstanden?«
Der stumme Mann nickt, und Lachlan lässt mich los. »Wag es ja nicht zu sterben, Keira. Ich schwöre, dass ich sonst die Himmelspforten einreißen und dich persönlich zurückholen werde.«
Narbengesicht legt die Arme um mich. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Aber meine Finger wollen Lachlans Kragen einfach nicht loslassen. Der Stoff dehnt sich, als Narbengesicht mit mir davongeht und meinen Griff losreißt.
»Ich werde dich nicht verlassen!« Ich winde mich in Narbengesichts Armen, obwohl bei jeder Bewegung mein Magen rebelliert und mich mein Körper anschreit, dass ich damit aufhören soll. »Lassen Sie mich runter. Ich bleibe bei ihm.«
Narbengesicht schnaubt mir ins Ohr, und ich starre auf das Hemd, das Lachlan trägt. Die linke Seite ist komplett mit Blut getränkt. Zuerst denke ich, dass es meins ist, aber der zerrissene Stoff und der gleichmäßig hervorquellende Fluss verraten mir, dass ich falschliege.
»Lassen Sie mich hier! Retten Sie ihn! Er braucht Sie mehr als ich.« Tränen strömen über mein Gesicht, während mich Narbengesicht fester packt. Er lässt sich von meinem armseligen Gezappel nicht beeindrucken und bringt mich immer weiter von Lachlan weg.
Zwei andere Männer kommen auf uns zugeeilt, aber ich kenne sie nicht.
»Töten Sie sie!«, schreie ich und erkenne meine eigene Stimme nicht wieder. »Rührt ihn ja nicht an, ihr Scheißkerle!«
Lachlan taumelt, und die Männer fangen ihn auf beiden Seiten auf.
»Bring sie in Sicherheit …« Seine Stimme verstummt, als sein Körper in den Armen der beiden Fremden zusammensackt.
»Nein!«, schreie ich, aber Narbengesicht geht weiter aufs Auto zu und achtet gar nicht auf das, was gerade passiert ist. »Stehen bleiben! Sie müssen zurückgehen und ihm helfen!«
Ich kämpfe gegen seine Umklammerung an und kralle mich in seine Schultern. Die Qualen, die dabei durch meinen Körper rauschen, sind mir vollkommen egal. Mein Entsetzen überlagert den Schmerz, als sie Lachlans schlaffen Körper in Richtung eines Autos zerren, das ich nicht kenne. Narbengesicht trägt mich unterdessen zu dem mir vertrauten Wagen.
»Lassen Sie mich los!«, schreie ich, aber meine Stimme bricht, als er mich auf den Rücksitz verfrachtet und mir die Tür trotz meiner Proteste vor der Nase zuschlägt.
Ich fingere unbeholfen am Türgriff herum, weil ich diese Männer davon abhalten muss, Lachlan von hier fortzubringen. Doch Narbengesicht sitzt bereits auf dem Fahrersitz. Die Türen werden automatisch verriegelt, und er gibt Gas und rast über eine Straße im French Quarter.
Noch vor wenigen Wochen hätte ich gejubelt, wenn mich jemand in einem schnellen Auto in die entgegengesetzte Richtung von Lachlan Mount gebracht hätte. Aber das war vor alldem. Was er im Hangar sagte, stimmte. Alles hat sich verändert.
Tränen rinnen in Sturzbächen über mein Gesicht, als ich mich umdrehe, um durch die getönte Heckscheibe zu schauen. Während wir uns mit rasender Geschwindigkeit immer weiter vom Ort des Geschehens entfernen, sehe ich, wie die beiden Männer Lachlans leblosen Körper auf den Rücksitz des anderen Autos verfrachten.
Meine Stimme wird heiser, als ich Narbengesicht anschreie, dass er mich zurückbringen soll. Doch wir biegen um eine Ecke, und ich verliere ihn aus den Augen.
»Nein!«
Keira
Ich erinnere mich nicht daran, in Ohnmacht gefallen zu sein. Aber als ich in einem Zimmer mit weißen Wänden und einem grauen Fußboden aufwache, in dem es nach Desinfektionsmittel riecht, weiß ich, dass ich das Bewusstsein verloren haben muss.
Ich schrecke in dem Krankhausbett hoch und drehe den Kopf hin und her. Das war eine dumme Idee. Das Pochen wird schlimmer, und meine Sicht verschwimmt noch stärker.
Doch durch den Nebel der Benommenheit kann ich ein weiteres Bett erkennen. Es ist leer und steht ein paar Meter von meinem entfernt.
Wo ist er? Die Erinnerung daran, wie Lachlan von den beiden Fremden weggezerrt wurde, spielt sich wie ein Albtraum erneut in meinem Kopf ab. Ich muss ihn finden.
Kabel sind an meiner Brust befestigt, und ich reiße sie ab. Das gleichmäßige Piepsen der Geräte kreischt alarmierend auf.
Ich bin immer noch mit einem Infusionsbeutel verbunden, aber ich entferne das Klebeband und bereite mich darauf vor, die Nadel aus mir herauszureißen. Die Tür fliegt auf, und eine Frau, die ich noch nie gesehen habe, kommt herein.
»Hören Sie auf. Wenn Sie die Nadel herausreißen, müssen wir Ihnen einen neuen Zugang legen. Er bestand darauf, dass wir bei Ihnen kein Risiko eingehen. Meiner Meinung nach ist das vollkommen übertrieben, aber ich bin nicht der Boss.«
»Wo ist er?« Ich umklammere den Schlauch, als wäre ich eine psychisch gestörte Patientin, die sich ein Messer an die Pulsader hält. »Sagen Sie es mir, sonst werde ich diese Nadel rausziehen, bevor Sie auch nur einen weiteren Schritt machen können.«
Sie zuckt angesichts der Heftigkeit meiner Drohung zurück. »Die Ärzte sind gerade bei ihm und flicken ihn zusammen. Es besteht kein Grund, dass Sie sich verletzen und damit dafür sorgen, dass er sauer auf mich wird.«
Meine Hand wird schlaff.
»Sie flicken ihn zusammen? Wie schlimm ist es?« Ich erinnere mich an den Riss in seinem Hemd und das Blut, das aus der Wunde in seiner Seite strömte. »Was ist passiert? Wo bin ich?«
Meine Erinnerungen sind sogar noch lückenhafter als nach dem Abend, an dem ich mich in Dublin betrunken hatte. Der Abend, an dem ich in einem Pub mit Lachlan tanzte.
Sie beantwortet meine Fragen nicht in der richtigen Reihenfolge. »Sie befinden sich in der Klinik des Anwesens. Wir sind hier vollkommen eigenständig. Mount wurde angeschossen. Es war ein glatter Durchschuss. Sie haben eine heftige Gehirnerschütterung sowie ein paar oberflächliche Schnittwunden und Prellungen und eine große Platzwunde an Ihrer rechten Seite. Sie hatten Glück, dass sie nicht tiefer war. Sie musste nicht genäht werden. Wir konnten sie mit Hautkleber verschließen. Wir haben Sie gesäubert und ein paar Untersuchungen durchgeführt. Sie kommen wieder in Ordnung.«
Ich starre auf das blaue Krankenhaushemd, das ich trage, als könnte ich durch es hindurchsehen. »Schnitte und Prellungen und eine Gehirnerschütterung? Sollte das nicht mehr wehtun?«
Die Frau, von der ich nun vermute, dass sie entweder eine Ärztin oder eine Krankenschwester ist, lacht. »Schätzchen, sie haben genug Schmerzmittel intus, um sich fantastisch zu fühlen. Aber reißen Sie bitte nicht die Infusionsnadel heraus. Das gibt nur eine Sauerei. Wir haben heute schon mehr als genug Blut aufgewischt.«
Genug über mich.
»Wie lange wird es dauern, bis er wieder hier ist? Wie schlimm ist die Schusswunde? Er kommt doch wieder in Ordnung, oder? Er sagte, er würde in Ordnung kommen. Er hat es versprochen.«
Sie betrachtet mich, als wäre ich eine wilde Kreatur, und genau so fühle ich mich in diesem Moment auch.
»Er hat sehr viel mehr Blut verloren als Sie. Er hat nicht mal versucht, die Blutung zu stoppen, obwohl er weiß, wie wichtig das ist.«
Meine vernebelte Erinnerung zeigt mir Bilder davon, wie er mir sein Jackett gibt, damit ich meine Blutung stoppen kann. Möglicherweise auf Kosten seines eigenen Lebens.
»Er wird nicht sterben.« Es ist keine Frage. Es darf keine Frage sein, denn sonst werde ich den Verstand verlieren.
Doch die Krankenschwester oder Ärztin oder was auch immer sie ist, stimmt mir zu. »Nein. Sie haben recht. Er wird nicht sterben. Dafür ist er zu stur. Selbst der Teufel würde ihn direkt wieder zurückschicken.«
Ein winziger Hauch Erleichterung schleicht sich unter die Panik, die mir die Luft abschnürt.
»Sind Sie sicher?«
Sie schenkt mir ein Nicken. »Er wird von ein paar überqualifizierten Ärzten behandelt. Mount bekommt immer nur das Beste. Aber dieser sture Esel hat nicht zugelassen, dass sie ihn anrührten. Er wollte, dass zuerst Sie behandelt werden.«
»Was?« Meine Stimme bricht.
»Er hat sie sogar mit einer Waffe bedroht, um sie dazu zu bringen.«
Das klingt genau nach dem Mann, den ich kenne und liebe.
Moment.
Liebe?
Das Wort kracht durch mein Hirn wie die Kugel, die offensichtlich die Windschutzscheibe des Autos zertrümmert hat.
Ist das überhaupt … möglich?
Ich lasse mich zurück aufs Bett sacken. Meine Kraft ist aufgebraucht. Die Frau kommt näher.
»Geht es Ihnen gut, Miss Kilgore?«
Ob es mir gut geht?
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Momentan ringe ich mit der schockierendsten – aber offensichtlichsten – Erkenntnis meines Lebens.
Ich verliebe mich in Lachlan Mount.
Nein, das stimmt nicht. Ich verliebe mich nicht in ihn. Ich habe mich bereits in ihn verliebt.
»Miss Kilgore? Stimmt etwas nicht? Haben Sie Schmerzen?«
Ich schüttle den Kopf. »Das ist es nicht. Ich bin … Es ist nur …«
Ihr Blick wird mitfühlend. »Verspäteter Schock?«
»Vielleicht.« Das Kissen stützt meinen Kopf, als ich an die Decke starre und mich der Wahrheit stelle.
Ich habe gehört, dass traumatische Erlebnisse sehr klärende Auswirkungen auf die Gedanken eines Menschen haben können. Aber wie konnte mir entgehen, dass sich das unter der Oberfläche zusammenbraut?
»Tanz mit mir, Lachlan. Tanz mit mir in Dublin.«
Sein Lächeln an diesem Abend blitzt in meinem Geist auf. Ist es in diesem Moment passiert? Spielt es eine Rolle?
»Ich werde Sie wieder an die Geräte anschließen, damit wir Sie im Auge behalten können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich buchstäblich umbringen würde, wenn ich zulassen würde, dass Ihnen jetzt noch irgendetwas zustößt.«
Sie klebt mir den Infusionsschlauch wieder an den Arm und macht sich dann an den Geräten zu schaffen. Sie entwirrt die verhedderten Kabel, die ich abgerissen habe, und befestigt sie mithilfe der haftenden Elektroden wieder an meinem Körper. Aber ich achte gar nicht auf sie.
Vermutlich entgeht mir deswegen, dass sie der Infusionslösung, die in meine Venen fließt, noch etwas hinzufügt. Erst als sie spricht, merke ich, dass etwas nicht stimmt.
»Sie müssen sich ausruhen«, sagt sie und entfernt den ursprünglichen Beutel mit der Infusionslösung vom Ständer.
»Was haben Sie getan?«
»Ich habe Ihnen nur etwas verabreicht, das Ihnen dabei helfen wird, sich zu entspannen.«
Meine Augenlider werden schwer, und ich öffne den Mund, um zu protestieren. Aber ich kann nichts gegen die Medikamente ausrichten, die sie mir verabreicht hat.
»Er wird hier sein, wenn Sie aufwachen.«
Mount
Keiras Schreie hallen unablässig in meinem Kopf wider, während ich unter den Laken strample und mich aus einem unruhigen Schlaf reiße. Was zum Teufel haben die mir gegeben? Ich habe ihnen gesagt, dass ich nichts brauche. Ich musste wach bleiben. Wachsam.
Seit diese verdammte Kugel durch die Windschutzscheibe geflogen ist, wiederholen sich immer wieder die gleichen Gedanken in meinem Kopf. Ich kann sie nicht verlieren. Wag es ja nicht, sie mir wegzunehmen.
»Wo ist sie?« Meine Stimme klingt in meinen eigenen Ohren heiser, als ich sie endlich wiederfinde. Aber die Verzweiflung, die in dieser fordernden Frage liegt, ist nicht zu überhören. »Geht es Keira gut?«
»Ich bin hier.«
Keira legt ihre kleine Hand auf meine. Die Anspannung verlässt meinen Körper, als sie mich berührt, obwohl gleichzeitig der Geruch von Desinfektionsmittel in meine Nase dringt.
»Ich habe sie dazu überredet, dein Bett näher an meins zu schieben, da sie gedroht haben, mich an meinem festzubinden, damit ich darin liegen bleibe, denn sobald du hier warst, habe ich versucht, zu dir zu gelangen.«
Ihre Stimme ist ebenfalls heiser und kaum laut genug, um sie über dem Piepsen der medizinischen Geräte zu verstehen. Aber ihre Worte legen sich um mich und beruhigen mich sogar noch mehr als ihre Berührung. Wie ich mir ihre Treue verdient habe, werde ich niemals begreifen.
Ich untersuche jeden Zentimeter ihres Körpers und lasse den Blick von ihrem wirren roten Haar nach unten zu dem blauen Krankenhaushemd schweifen, das sie trägt. Nirgendwo ist mehr Blut zu sehen. Sie ist in einem Stück, und ihr Gesicht ist nicht schmerzverzerrt.
»Sag mir bitte einfach, dass es dir gut geht.« In meinem Albtraum schrie sie, weil sie starb, und ich konnte sie nicht retten. Diese Schreie waren schlimmer als der Schmerz, als sich die Kugel durch meinen Körper gebohrt hatte. Eine Million mal schlimmer als der Zusammenprall mit diesem Mercedes vor so vielen Jahren. Schlimmer als jede Stichwunde oder jede andere Verletzung, die ich erlitten habe oder mir vorstellen könnte.
»Es geht mir gut. Und du kommst auch wieder in Ordnung. Wir werden beide wieder auf die Beine kommen, sonst werde ich denjenigen, der das getan hat, aufspüren und persönlich umbringen, das schwöre ich bei Gott.« Eisige Entschlossenheit unterstreicht jedes ihrer Worte.
Mein blutrünstiger Teufelsbraten. Meine trotzige Königin.
Ich sollte deswegen nicht lächeln, aber wenn es um diese Frau geht, ist nichts vernünftig. Sie kam aus einer Blase, aus einer Welt, in der ich nie gelebt habe. Als ich sie in die Schatten und die Dunkelheit zerrte, dachte ich nicht über die Konsequenzen meiner Handlungen nach. Für mich zählte nur die Befriedigung, die mir ihre Unterwürfigkeit verschaffen würde.
Ich bin ein egoistischer Mann. Ich kenne mich gut genug, um das zu akzeptieren. Ich nehme und nehme und nehme.
Das hatte ich auch mit Keira Kilgore vor. Ich wollte sie mir nehmen, bis ich befriedigt sein würde. Aber heute Abend wollte ich ihr einfach nur ihren Schmerz nehmen, egal ob es mich umgebracht hätte.
Ich habe nie an Selbstlosigkeit geglaubt. Ich hielt sie für einen Mythos. Aber im Fall von Keira Kilgore haben sich meine Überzeugungen verändert.
Alles hat sich verändert.
Das Leben hat mich gelehrt, mich an nichts zu binden, weil nichts in dieser Welt von Dauer ist. Alles ist vorübergehend.
Wenn es um sie geht, akzeptiere ich das nicht länger. Sie gehört mir. Und das wird auch so bleiben. Selbst mein schwarzes Herz könnte es nicht ertragen, sie zu verlieren. Ich werde sie mit meinem letzten Atemzug beschützen, falls es nötig ist.
Ich habe Schwäche gemieden, wie andere Männer den Teufel meiden … oder mich. Aber in den Augenblicken, in denen ich dachte, dass ich sie verlieren könnte, war mir meine Schwäche egal. In diesen Augenblicken wurde mir auch noch etwas anderes bewusst: Keira Kilgore zu verlieren würde bedeuten, dass ich meine Stärke verliere.
Dieser feurige Rotschopf mit den funkelnden grünen Augen hat die Grundfesten meiner Welt komplett verschoben.