Demokratieverstärker -  - E-Book

Demokratieverstärker E-Book

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Beschreibung

Demokratie braucht Offenheit, Konfrontation und klare Spielregeln – mühsam und eine Art Stresstest in diesen Krisenzeiten. Dabei steht nicht weniger als das Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik auf dem Spiel. Wie kann man die Verfassung populismusfester, die Kommunalpolitik elternfreundlicher oder das Beamtentum zeitgemäßer machen? Wie lassen sich da, wo Regeln fehlen, neue verabschieden? Dorothee Bär, Maja Göpel, Nico Hofmann, Karl Lauterbach, Marina Weisband und viele andere: Hier kommen kluge und erfahrene Persönlichkeiten aus einem breiten politischen und gesellschaftlichen Spektrum mit ganz konkreten Ideen zu Wort. Einzige Bedingung: Sie müssen innerhalb eines Jahres umsetzbar sein. Es schreiben: Dorothee Bär, Holke Brammer, Gloria Boateng, Julia Borggräfe, Franziska Brantner, Felix Creutzig, Christine Finke, Martin Fuchs, Maja Göpel, Anke Hassel, Nico Hofmann, Wolfgang Kaschuba, Laura Krause, Günter Krings, Thomas Laue, Karl Lauterbach, Ahmad Mansour, Petra Pinzler, Markus Sauerhammer, Peter Siller, Maximilian Steinbeis, Daniel Terzenbach, Johannes Vogel, Marina Weisband, Frank-Jürgen Weise.

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Elisabeth Niejahr  / Grzegorz Nocko (Hg.)

DEMOKRATIEVERSTÄRKER

12 Monate, 21 Ideen: Eine Politikagenda für hier und jetzt

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Demokratie braucht Offenheit, Konfrontation und klare Spielregeln – mühsam und eine Art Stresstest in diesen Krisenzeiten. Dabei steht nicht weniger als das Vertrauen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik auf dem Spiel. An welchen Schrauben sollten wir drehen, wie kann man die Verfassung populismusfester, die Kommunalpolitik elternfreundlicher oder das Beamtentum zeitgemäßer machen? Wie lassen sich da, wo Regeln fehlen, neue verabschieden? Dorothee Bär, Maja Göpel, Nico Hofmann, Karl Lauterbach, Marina Weisband und viele andere: Hier kommen kluge und erfahrene Persönlichkeiten aus dem breiten politischen und gesellschaftlichen Spektrum mit ganz konkreten Ideen zu Wort. Einzige Bedingung. Sie müssen innerhalb eines Jahres umsetzbar sein. Demokratie zum Zupacken.

INHALT

Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko: VORBEMERKUNG: MACHEN WIR ES ZU UNSEREM PROJEKT!

GENERATIONENGERECHTIGKEIT STÄRKER MITDENKEN

Christine Finke: MEHR ELTERN IN DIE KOMMUNALPOLITIK

Dorothee Bär und Franziska Brantner: DIGITAL TAGEN UND IN MITTAGSPAUSEN NETZWERKEN

Maja Göpel und Petra Pinzler: DEMOKRATIE IM ENKELTEST

KLARE REGELN UND GESETZE

Maximilian Steinbeis: STURMFESTES GRUNDGESETZ

Günter Krings: SCHLUSS MIT UNWESENTLICHEM IN GESETZEN

Anke Hassel: WIE DER BUNDESTAG DURCH SPARZWANG BESSER WIRD

GRUNDSÄTZE DER DEMOKRATIE BREIT VERANKERN

Nico Hofmann und Thomas Laue: WAHRE VIELFALT BEGINNT IM FERNSEHEN

Ahmad Mansour: IM POLIZEIEINSATZ GEGEN EXTREMISMUS

Daniel Terzenbach: WIE DIE ARBEITSVERWALTUNG DIE DEMOKRATIE STÜTZEN KANN

DEMOKRATIE ALS MANAGEMENTAUFGABE

Frank-Jürgen Weise: IM STRESSTEST: SO WERDEN BEHÖRDEN KRISENFEST

Karl Lauterbach: MEHR WISSENSCHAFT WAGEN

Holke Brammer und Markus Sauerhammer: ZIVILGESELLSCHAFT UND STAAT: EIN TEAM FÜR SOZIALE INNOVATIONEN

Julia Borggräfe: GERECHTE DEMOKRATIE DURCH PERSPEKTIVENVIELFALT

Felix Creutzig: ZEIT FÜR EINEN KLIMARAT

LEBENSLANG FÜR DIE DEMOKRATIE LERNEN

Marina Weisband: DEMOKRATISCHE BILDUNG IST BEZIEHUNGSARBEIT

Gloria Boateng: DAS NEUE SCHULFACH »AUF MICH KOMMT ES AN«

Johannes Vogel: LEBENSLANGES LERNENFÜR ABGEORDNETE

Martin Fuchs: MEHR FUCK-UP NIGHTS FÜR DIE DEMOKRATIE

DEMOKRATISCHE ÖFFENTLICHKEIT UND GUTE DEBATTEN FÖRDERN

Peter Siller: ABHÄNGEN IM GEMEINSAMEN WOHNZIMMER

Laura-Kristine Krause: NEULICH IM GESPRÄCHSABTEIL DER BAHN

Wolfgang Kaschuba: BÜRGERSCHAFTLICHER DIALOG STATT KLIENTELPOLITIK

GEMEINNÜTZIGE HERTIE-STIFTUNG

VORBEMERKUNG: MACHEN WIR ES ZU UNSEREM PROJEKT!

Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko

Demokratie lebt vom Protest. Zumindest scheinen viele Menschen das zu glauben. Wenn Journalisten für Nachrichtentexte oder Videos eine passende Bebilderung suchen, fallen ihnen neben Motiven wie der Reichstagskuppel oder dem Plenarsaal häufig Protestplakate oder Demonstranten ein. Die Vorstellung, dass Demokratie etwas mit Aufruhr zu tun hat, dass sie den Mächtigen abgerungen werden muss, sitzt tief. Von der Französischen Revolution bis zum Ende der DDR reichen die Referenzsysteme mit ihren Bildern von rebellierenden Massen, die sich gegen die Herrschaft von wenigen wenden. Als guter Demokrat gilt häufig, wer gegen etwas ist. Aufmerksamkeit bekommt, wer kritisiert, was wiederum zu einem Gefühl von ständiger Krise führt.

Dieses Buch verfolgt einen anderen Ansatz: Es beschäftigt sich in erster Linie damit, was für die Demokratie, für ihre Stabilität und Lebendigkeit getan werden kann. Es geht um konkrete Verbesserungen: um Abstimmungen in Klassenzimmern, die richtige Auswahl von neuen Polizeibeamtinnen und -beamten, die Umwidmung von Ladenlokalen zu Begegnungsräumen oder auch darum, wie mehr Professorinnen und Professoren in Parlamente gelockt werden könnten. Sogar die Rollenbesetzung in Fernsehserien kommt vor – weil Demokratie nicht nur eine Angelegenheit von gewählten Politikerinnen und Politikern ist, sondern ihre Werte von vielen gelebt werden müssen, unter anderem eben auch in Filmstudios und von Drehbuchautoren.

Gemeinsam ist den 21 Beiträgen ihre konstruktive Haltung. Schließlich kann die liberale Demokratie positiv gestimmte Anhänger gerade dringend brauchen. Die Wahlerfolge autoritärer Anführer, die Zunahme von Polarisierung und Extremismus in analogen und digitalen Sphären, das steigende Misstrauen gegen vermeintliche Eliten sind Ausprägungen einer Krise, der viele Beobachter nicht ohne Grund oft ratlos gegenüberstehen. Wir verstehen die Erschütterungen der politischen Ordnung als Auftrag, das bestehende System stetig weiterzuentwickeln – es handelt sich nicht um ein Statement zur Lage der Nation, eher um eine mit Fakten und Einsichten angereicherte To-do-Liste. Den liberalen Demokratien des Westens wird von ihren Kritikern schließlich viel vorgeworfen: Sie seien langsam, ungerecht, störanfällig, insgesamt morsch. Hier geht es weniger darum, solche Aussagen zu bewerten, als ihnen nüchtern zu begegnen. »Womit ließe sich die Demokratie innerhalb von zwölf Monaten verbessern?«, wollten wir von den Autorinnen und Autoren wissen.

Die US-Wahl im November 2020 hat daran erinnert, dass Demokratien keine statischen Ordnungen, sondern wandlungsfähige Organisationsformen sind. Sie verändern sich ständig, weil sich ihre Parteien, Institutionen und ihre Bürger ändern und gleichzeitig durch gemeinsam vereinbarte Regeln immer von Neuem der Idee einer Volkssouveränität zu entsprechen versuchen. Es gibt keine Demokratie, die jeden Tag nach dem gleichen Muster funktioniert. Schließlich gibt es kein konstantes Wir.

Eine alternde Gesellschaft zum Beispiel braucht womöglich nicht nur eine Reform des Rentensystems, sondern auch andere Mechanismen der Gesetzgebung zum Schutz der Interessen Jüngerer im Vergleich zur sehr viel größeren Wählergruppe der über 50-Jährigen. Die beiden Klimaexpertinnen Maja Göpel und Petra Pinzler fordern in ihrem Beitrag daher einen Enkeltest für neue Gesetze, ein Korrektiv zugunsten jüngerer Generationen – und schreiben darüber, warum so eine Idee ganz unterschiedlichen politischen Lagern nützen könnte. Wie bei allen Ideen in diesem Buch lässt sich darüber streiten. Wird dadurch die Gesetzgebung zu kompliziert? Wer bewertet die Ergebnisse des Enkeltests und zieht daraus Konsequenzen – oder eben nicht? Solche Debatten will dieses Buch ermutigen.

Die Coronakrise wird verändern, welche Erwartungen die Bürger an Begegnungen haben. Auch damit ändert sich das Wir. Es ist ja jetzt schon so, dass der Austausch von Teams im Büro oder private Treffen mit Freunden und Verwandten viel bewusster geplant und genutzt werden als vor der Pandemie. Wer seinen Chef oder seine Kollegen nur noch ein- oder zweimal pro Woche sieht, versucht, diese Live-Begegnung optimal zu nutzen. Lässt sich daraus auch etwas für politische Prozesse ableiten, für Parteitage oder Ausschusssitzungen des Bundestags? Für Beratungen im Kommunalparlament? Welche Anwesenheitspflichten für Mandatsträger auf der einen Seite, aber auch welche Angebote für den Dialog der Bürger braucht die Demokratie von morgen?

Darüber schreiben gleich mehrere Autoren aus ganz unterschiedlichen Perspektiven: Peter Siller, Leiter des Grundsatzreferats im Bundespräsidialamt, Laura Krause, Deutschland-Chefin des Thinktanks More in Common, sowie der Kulturanthropologe Wolfgang Kaschuba beschäftigen sich mit der Zukunft des öffentlichen Raums. Schließlich funktioniert Demokratie nicht ohne Orte, an denen Menschen sich austauschen können, und im Idealfall trägt die Politik durch die Pflege öffentlicher Einrichtungen und Plätze, durch die menschenfreundliche Gestaltung der wachsenden Städte und durch gute Verkehrsanbindungen für den ländlichen Raum dazu bei. Corona hat viele Gewohnheiten verändert. Während der Pandemie wurden Orte wie Kinos oder Konzertsäle plötzlich zu Gefahrenzonen, die Menschen verbrachten mehr Zeit in den eigenen vier Wänden und nahmen gleichzeitig oft online mehr denn je am Weltgeschehen teil. Was folgt daraus für die Stärkung kommunaler Räume in der Nach-Corona-Zeit? Können beispielsweise Bibliotheken nicht nur Orte der Stille, sondern auch der Begegnung werden? Darum geht es mehreren Autoren.

Mit der Modernisierung politischer Prozesse befassen sich unter anderem die christsoziale Digitalstaatsministerin Doro Bär, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag Franziska Brantner, der FDP-Sozialpolitiker Johannes Vogel und die Konstanzer Kommunalpolitikerin Christine Finke. Bär und Brantner beraten darüber, wie viel physische Präsenz der politische Betrieb in Nach-Corona-Zeiten brauchen wird und wie die Erfahrungen der vergangenen Monate genutzt werden können. Politik wäre elternfreundlicher mit Digitalformaten, da sind sich beide einig. Und ein besseres Zeitmanagement, eingeführt im Interesse von Vätern und Müttern, wäre auch für viele Mandatsträger eine Erleichterung. Johannes Vogel beschäftigt sich damit, wie die Politik für Abgeordnete etwas erleichtern kann, was sie sonst gern von den Bürgern fordert: lebenslanges Lernen. Christine Finke schreibt darüber, warum auf kommunaler Ebene umgedacht werden muss, damit Alleinerziehende wie sie selbst eine Chance haben, an abendlichen Ratssitzungen teilzunehmen.

Die Corona-Krise hat außerdem deutlich gemacht, wie wichtig es für die Demokratie ist, dass wichtige Entscheidungen nicht nur von der Regierung, sondern im Parlament getroffen werden. Je knapper die Zeit und je komplexer die Themen, desto größer sind die Herausforderungen für die Abgeordneten. Was kann getan werden, damit die Volksvertreter ihre Arbeit optimal erfüllen können? Der CDU-Politiker und parlamentarische Innen-Staatssekretär Günter Krings und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach haben Vorschläge, die sich nicht ausschließen: Günter Krings fordert für die Gesetzgebung mehr Verständlichkeit und Transparenz – mit einem Unwesentlichkeitsverbot, das angelehnt ist an das Wesentlichkeitsgebot, das heute schon für Gesetzgeber gilt. Karl Lauterbach, der seine ersten Berufsjahre an Lehrstühlen und mit der Einrichtung eines Forschungsinstituts verbrachte, möchte mehr Wissenschaftler in die Politik lotsen. Sie sollen dort weniger als Spezialisten ihrer Fachgebiete wirken denn ihre Stärken bei der Bewältigung von Komplexität und der Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse einbringen.

Als die Idee für dieses Buch Anfang 2020 entstand, gab es dafür zwei Anlässe. Zum einen kursierten seinerzeit viele politische Negativszenarien. Wie Demokratien sterben lautete der Titel eines viel beachteten internationalen Bestsellers der amerikanischen Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Populisten könnten nicht nur durch Umstürze, sondern auch durch Wahlen an die Macht kommen, warnten die beiden Autoren. Anschließend würden sie dann versuchen, beispielsweise Prinzipien wie das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Rechtsstaatlichkeit zu unterminieren. »Demokratien sterben nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern«, schrieben Ziblatt und Levitsky. Viele nahmen diese Prognose ernst.

Gleichzeitig hatten verschiedene Initiativen für mehr direkte Demokratie und neue Formen der Abstimmung Konjunktur. In Demokratie-Debatten ging es oft um Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild, um neu einzurichtende Bürgerräte, um politische Entscheidungen im Losverfahren. So interessant viele dieser Ideen sind: Schnell umsetzen lassen sich die Vorschläge nicht. Bei Veranstaltungen zu Demokratiethemen machte sich daher teilweise Ratlosigkeit breit. Nicht alles, was in der Schweiz funktioniert, passt für Deutschland. Für neue Partizipationsprozesse interessieren sich oft nur diejenigen, die ohnehin schon gebildet und engagiert sind. Ist es wirklich demokratisch, wenn diese Gruppe noch mehr entscheidet als bisher? Vor allem aber würde es wohl lange dauern, die teilweise nötigen Grundgesetzreformen im Deutschen Bundestag durchzusetzen. Zu lange für viele, die etwas für die Demokratie unternehmen wollen.

Die Demokratieverstärker nehmen daher nur zwölf Monate in den Blick. Das Buch ist inspiriert von Karl Poppers kritischem Rationalismus, der utopische Rettungsszenarien verwarf zugunsten von reflektierten kleinen Verbesserungsschritten. Insbesondere dort, wo der Bürger Kontakt mit dem Staat hat: in Behörden und Verwaltungen. In guten Zeiten solle man angespannt und unruhig arbeiten, damit man in der Krise ruhig und besonnen agieren könne, schreibt Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Hertie-Stiftung. Er führte zweimal in Krisenzeiten große Verwaltungsapparate: Während der Finanzmarktkrise war er Chef der Bundesagentur für Arbeit, die Kurzarbeiterzahlungen in Rekordhöhe auslöste und so dazu beitrug, dass viele Arbeitnehmer in Deutschland besser durch die Rezession kamen als in vielen Nachbarländern. Und während der sogenannten Flüchtlingskrise leitete er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Erfahrungen aus diesen Zeiten sowie aktuelle Eindrücke durch die Coronakrise lassen Frank-Jürgen Weise einen Behörden-Stresstest fordern, mit dem Verwaltungen auf extreme Belastungen vorbereitet werden sollen.

Über diese Art der Vorsorgepolitik für öffentliche Einrichtungen denken, bedingt durch die Pandemie-Erfahrungen, gerade viele nach. Das Vertrauen der Bürger in die Demokratie hängt stark davon ab, wie gut der Staat Probleme löst. Je hilfloser er wirkt, je weniger Sicherheit er seinen Bürgern bietet, desto größer ist die Anfälligkeit der Bürger für populistische Heilsversprechen. Deshalb ist das Thema Gutes Regieren einer der Schwerpunkte der Hertie-Stiftung – und deshalb steht ein eher betriebswirtschaftlich anmutendes Thema wie Management auf unsere To-do-Liste. Es geht dabei um vorausschauende Planung, Effizienz, Transparenz und Bürgernähe.

Wie also soll am Ende eine sinnvolle Agenda für die Zukunft der Demokratie aussehen, welches Gesamtbild ergibt sich aus der Summe einzelner Ideen? Dieser Sammelband vereint bewusst Vorschläge sehr unterschiedlicher Personen aus unterschiedlichen Bereichen. Der UFA-Chef Nico Hofmann hat sich beteiligt, der Psychologe und Extremismusforscher Ahamad Mansour, die Publizistin und frühere Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband, die Ex-Managerin und Ministerialbeamtin Julia Borggräfe – um nur einige zu nennen. Dafür sind wir dankbar. Nicht alle Vorstellungen teilen die Herausgeber im Detail. Sechs Prinzipien erscheinen uns wichtig.

Erstens: Das politische Geschäft folgt oft dem Rhythmus vierjähriger Legislaturperioden. Der Klimawandel, die Digitalisierung und die Globalisierung richten sich aber nicht nach Wahlterminen. Für Politiker ist es rational, immer auch den Termin der Wiederwahl im Blick zu haben, es ist auch notwendig, damit das demokratische System funktioniert. Damit aber gleichzeitig langfristige Herausforderungen angegangen werden, muss demokratiestärkende Politik längere Zeiträume und insbesondere die Perspektiven künftiger Generationen berücksichtigen.

Zweitens: Es fehlt nicht an guten Ideen für unsere demokratischen Institutionen. Aber wie lässt sich ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess gestalten, etwa bei der Gesetzgebung? Wie lässt sich verhindern, dass das Verfassungsgericht von populistischen Parteien in Dienst genommen wird? Wie kann eine gleichzeitig faire und effiziente Beteiligung von Bürgern an Politik gestaltet werden? Demokratiestärkende Politik führt zu besseren Prozessen und klareren Regeln im politischen Betrieb.

Drittens: Demokratie ist keine Angelegenheit nur für gewählte Politiker. Unternehmen, die Zivilgesellschaft und öffentliche Behörden können einen großen Beitrag leisten. Meistens einen größeren als bisher.

Viertens: Damit eine Demokratie ihren Bürgern Sicherheit und Orientierung bieten kann, braucht sie einen stabilen institutionellen Organisationsrahmen und gutes Management. Gut geplante Bürgerbeteiligung bei der Gesetzgebung, in Behörden oder kommunalen Einrichtungen richtet staatliches Handeln passgenauer auf die Betroffenen aus und erhöht damit die Akzeptanz.

Fünftens: Eine Demokratie funktioniert nicht ohne Demokraten. Sie ist immer nur so stark wie die Menschen, die sie tragen. Deshalb sollten schon Kinder üben, wie demokratische Willensbildung und demokratisches Entscheiden funktionieren. Lebenslanges Demokratie-Lernen ist aber ein Ziel, das weit über Schulen hinausreicht, unter anderem bis zum Deutschen Bundestag. Abgeordnete müssen sich selbstverständlich neues Wissen und neue Fertigkeiten antrainieren können. Und grundsätzlich sollte die in der Digitalwirtschaft häufig propagierte Fehlerkultur auch dem politischen Betrieb nutzen.

Sechstens: Die Corona-Krise ist ein Anlass, neu auf die Gestaltung demokratischer Öffentlichkeit zu schauen. Demokratiestärkende Politik sucht neue Ideen und neue Bündnisse für die Gestaltung von analogen und digitalen Orten, an denen sich auch Vertreter unterschiedlicher Milieus und Denkweisen fair begegnen. Zu einem respektvollen Umgang mit Andersdenkenden, der Abwehr von Hassrede und Hetze können viele beitragen, der Ladenbesitzer wie der Leiter eines Kinderchors.

Entscheidend ist, dass die Stärkung der Demokratie als Projekt verstanden wird, als etwas, das man sich vornehmen muss wie die Verbesserung des Bildungssystems oder eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Die hier vorgelegte To-do-Liste ist dafür nur ein Beitrag. Zwölf Monate vergehen schnell.

GENERATIONENGERECHTIGKEIT STÄRKER MITDENKEN

MEHR ELTERN IN DIE KOMMUNALPOLITIK

Christine Finke

Kinderbetreuungskosten sind ein entscheidender Faktor für ehrenamtliches politisches Engagement von Eltern – vor allem auf kommunaler Ebene. Sie sollten in allen Bundesländern erstattet werden.

Es gibt diese Momente, in denen es unglaublich schwierig ist, nicht mit den Augen zu rollen. Stattdessen einatmen, ausatmen, zum Frustabbau noch einmal geräuschvoll ausatmen. Ein deutlich hörbares Seufzen. Das erste Mal, als ich im Gemeinderat der Verabschiedung eines verdienten langjährigen Gemeinderats beiwohnte, war so ein Moment. Nach den üblichen kurzen Dankesreden des Oberbürgermeisters und der Fraktion des scheidenden Stadtrats richtete dieser selbst das Wort ans Publikum und die Öffentlichkeit: Er bedankte sich bei seiner Frau, die ihm all die Jahre »den Rücken freigehalten habe« für die Gremienarbeit, die ohne sie nicht möglich gewesen wäre, denn schließlich habe er auch (mittlerweile erwachsene) Kinder.

Für diese Wertschätzung seiner Ehefrau erntete der Redner warmen Applaus, während ich irritiert im altehrwürdigen Ratssaal saß und überlegte, warum mir diese Situation so sauer aufstieß. Die naheliegendste Antwort darauf ist: Ich war neidisch. Als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die seit den Gemeinderatswahlen 2014 für eine unabhängige Wählervereinigung im Stadtrat von Konstanz sitzt, habe ich nämlich weder einen Ehemann, der mir den Rücken freihält, noch sonstige Familie vor Ort, die mich bei der Kinderbetreuung unterstützen könnte.

Bei jeder einzelnen Sitzung im Rahmen meines politischen Ehrenamts fehle ich zu Hause. Meine Kinder, die 5, 8 und 13 Jahre alt waren, als ich ins Amt gewählt wurde, waren überhaupt nicht begeistert davon, dass Mama oft bis abends weg war, um Politik zu machen. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Stapel an Vorlagen das Haus verließ, bekam ich deutlich ihre Missbilligung zu spüren. Vor allem meine jüngste Tochter, die Asperger-Autistin ist, protestierte oft lautstark.

Trotzdem ging und gehe ich meinem Wunsch nach politischer Teilhabe nach, denn er speist sich aus der tiefen Überzeugung, dass so jemand wie ich, die eigentlich in Gremien mangels Zeit für Politik gar nicht vorgesehen ist, einen wertvollen Beitrag zur Demokratie leisten kann. Politische Gremien sind, egal ob auf kommunaler, auf Landes- oder auf Bundesebene, voller Männer – meist den berühmten alten weißen, und wenn es doch mal eine Frau hineinschafft, dann hat sie erwachsene oder (noch) keine Kinder. Mütter, gar alleinerziehende Mütter von kleinen Kindern, sind rar gesät in der Politik.

Ebenfalls politisch wenig vertreten in Gremien sind Menschen, die in Armut leben – was wiederum besonders häufig auf Alleinerziehende zutrifft. Auch auf meinem Konto sah es überhaupt nicht rosig aus, als ich frisch im Amt war. Wir Stadträte erhielten zwar eine Aufwandsentschädigung von 370 Euro im Monat für unser Ehrenamt, aber die hätten nicht einmal ausgereicht, um einen Kindersitter mit Mindestlohn für die Zeiten meiner Abwesenheit zu beschäftigen.

Gemeinderatssitzungen beginnen häufig um 16 Uhr und dauern meist bis 22 Uhr – teilweise wird bis nach Mitternacht diskutiert. Ausschusssitzungen, die zum Ehrenamt gehören und die dem Gemeinderat durch Beschlüsse oder Empfehlungen zuarbeiten, nehmen regelmäßig drei bis fünf Stunden in Anspruch. In den Sitzungswochen ist außerdem ein Abend pro Woche für eine ausgiebige Fraktionssitzung verplant, die auch mehrere Stunden dauern kann. Da kommt, gerade bei einer kleinen Fraktion wie meiner, die mit vier von 40 Sitzen im Konstanzer Stadtrat vertreten ist, für die einzelnen gewählten Vertreter und Vertreterinnen eine stattliche Menge an Stunden zusammen, die wir in politische Arbeit investieren.

Für Menschen mit genügend Zeit und Geld ist das kein Problem, da kann Politik ein schönes, erfüllendes Hobby sein – für andere wie mich jedoch eine ziemliche Herausforderung. Zu Beginn meiner politischen Tätigkeit hatte ich mich gerade selbstständig gemacht. Texte schreiben, Akquise und Networking hätten eigentlich Priorität haben müssen. Meinen Haushalt hielt ich gerade so in Schach, und mein Kontostand bereitete mir jeweils ab dem 20. des Monats ernsthafte Sorgen.

Selbst wenn ich die Aufwandsentschädigung, die später auf 700 Euro im Monat erhöht wurde, für Kinderbetreuung ausgegeben hätte, wären mir durch meine politische Tätigkeit finanzielle Nachteile entstanden. Denn während man in Gremien sitzt oder stundenlang Sitzungen vorbereitet, kann man kein Geld im »Brotberuf« verdienen. Das gilt für alle ehrenamtlich politisch Tätigen, aber manche schmerzt es mehr als andere.

So kam es mir sehr zupass, dass nur einen Monat, nachdem ich in den Stadtrat gewählt worden war, nämlich im Juli 2014, der Punkt »Satzung zur Änderung der Satzung über die Entschädigung ehrenamtlich tätiger EinwohnerInnen« auf der Tagesordnung stand. Stadträtinnen und Stadträte sollten demnach künftig die im Rahmen von Sitzungen entstehenden Kosten für Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen erstattet bekommen. Die Idee war nicht neu, wie mir eine Stadträtin erzählte, die schon vor über 30 Jahren als Alleinerziehende im Stadtrat saß. Damals war die Idee einer finanziellen Beteiligung der Stadt an der Kinderbetreuung mit Gelächter und Kommentaren wie »Wo kämen wir denn da hin!?« abgelehnt worden. 2013 ergriff die Freie Grüne Liste erneut die Initiative, und die Verwaltung erhielt vom Rat den Auftrag, einen Vorschlag zu erarbeiten. Er besagte, dass die Kinderbetreuungskosten künftig auf Antrag »bis max. 10 Euro/Stunde für die Betreuung von Kindern unter 14 Jahren während der Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse und Beiräte« erstattet werden sollten. Zu meiner großen Erleichterung fand der Vorschlag in unserem Stadtrat eine Mehrheit.

Im Vorfeld dieser Sitzung hatte es durchaus noch kritische Stimmen gegeben, so dass nicht klar war, ob die Beschlussfassung klappen würde. Es hieß zum Beispiel, die vorgesehene Satzungsänderung sei ein Luxus, mit dem StadträtInnen gegenüber anderen Ehrenamtlichen bevorzugt werden sollten. Es war auch die Rede davon, dass man so ein Amt nur antreten solle, wenn man es auch »einrichten« könne, und vereinzelt war zu hören, dass Kinderbetreuung Privatsache sei, und wer das nicht geregelt bekomme, könne eben kein Amt ausüben. Dass hier die politische Teilhabe von Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Mandat gefördert wurde, hielten längst nicht alle für nötig oder wünschenswert.

Ohne den Beschluss, die Kinderbetreuungskosten zu erstatten, wäre ich aber in echte Geldnot geraten. Auch daher rührte mein Magengrummeln bei der Verabschiedung des langjährigen Stadtrats: Ich beneidete ihn um seine komfortable finanzielle Situation, die es ihm mit Leichtigkeit ermöglicht hätte, eine bezahlte Kinderbetreuung zu organisieren.

Dank der neu beschlossenen Erstattungsmöglichkeit konnte ich schließlich zwei Minijobberinnen einstellen, die gerade eine Ausbildung zur frühkindlichen Pädagogin machten und die sich die Termine aufteilten, was ganz wunderbar funktionierte. Zwar lagen die Kinder fast nie im Bett, wenn ich spätabends nach Hause kam, einfach weil es so aufregend war, dass eine fremde Person zum Aufpassen da war und Mama für den Gute-Nacht-Kuss fehlte, aber ich wusste sie bestens versorgt, was mir die nötige Ruhe gab, mich auf die Sitzungen zu konzentrieren.

Rein praktisch sah es so aus, dass ich für jeden Kindersittereinsatz ein Formular ausfüllte, auf dem die genauen Uhrzeiten, das Gremium, der Stundenlohn und Unterschriften einzutragen waren. Dieses Formular reichte ich nach einem von mir selbst zu bestimmenden Zeitraum mit der Bitte um Erstattung ein. All dies kostet am Ende natürlich Geld. Denn es entstehen nicht nur Kosten für die Kinderbetreuung, sondern auch in der Verwaltung. Deren Mitarbeiter müssen in den Protokollen die Anwesenheit nachprüfen und einen Vorgang anlegen. Bei uns in der Stadt hielt sich der Aufwand allerdings in Grenzen: Seit der Einführung der Erstattung von Kinderbetreuungskosten haben genau drei Stadträtinnen und zwei Stadträte diese Möglichkeit in Anspruch genommen.

Die beiden Männer, junge Väter, kenne ich gut – beide sagten mir auf Rückfrage, sie hätten die Erstattung der Kinderbetreuung »einige Male« und »immer mal wieder« genutzt, teils, weil die Partnerin noch studierte, sie selbst berufstätig sei oder anderweitig ein Engpass bei der Betreuung des Kleinkinds entstanden sei. Die finanziellen Verhältnisse der beiden kenne ich nicht im Detail, aber junge Familien müssen generell eher aufs Geld achten. Daher zeigt sich hier sehr schön, dass die Wiedererstattung von Kinderbetreuungskosten nicht nur den Frauen dient, auch wenn das sicher ein hervorragendes Instrument zur Förderung der Gleichstellung von Frauen in politischen Ämtern ist, sondern dass sie auch die Diversität generell fördert.

Junge, moderne Väter sind ebenfalls ein echter Gewinn für politische Gremien. Auch sie leiden tendenziell unter Zeitnot und bereichern nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Haltung und Arbeitsweise die Gremien sehr. Pointiert gesagt, machen sie die Teilnahme an Sitzungen für engagierte Mütter etwas erträglicher, auch weil diese Väter nicht zu endlosen, selbstverliebten Monologen neigen und ihnen feministische Ansätze nicht gänzlich fremd sind. Sie sind Verbündete im Wunsch nach politischer Teilhabe, von denen Frauen wie ich nie zu hören bekommen: »Willst du dich nicht lieber um deine Kinder kümmern, anstatt hier herumzusitzen?« Im Gegenteil: Sie drücken eher ihren Respekt dafür aus, dass ich mich trotz meiner Rahmenbedingungen einbringe. Das macht einen großen Unterschied und hilft dabei, die teilweise zähen Sitzungen durchzuhalten.

Es kostet also nicht die Welt, die Kinderbetreuungskosten zu erstatten, hilft aber, die politische Teilhabe von Frauen ordentlich voranzubringen. Vor allem ermöglicht es all jenen, die sich einbringen wollen, überhaupt erst die Teilhabe. Dass es bundesweit noch nicht überall Standard ist, die Vereinbarkeit von Familie und Mandat auf diese Art zu fördern, liegt selbstverständlich am Föderalismus – aber die Recherche in den 16 Bundesländern bringt Interessantes zutage: Rein theoretisch ist nämlich schon in den Gemeindeordnungen von mindestens 8 der 16 Länder ausdrücklich die Möglichkeit verankert, diese Kosten erstattet zu bekommen. Ausdrücklich möglich machen die Erstattung der Kinderbetreuungskosten jetzt schon Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.

In Bayern und Thüringen gibt es keine Regelung zum Ersatz von Kosten für die Kinderbetreuung. Für das Saarland ist »eine entsprechende Regelung geplant und auch bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kommunal- und dienstrechtlicher Vorschriften enthalten«, wie es auf Anfrage hieß. In Sachsen gibt es zumindest einen Spielraum für den Ersatz von Aufwendungen aufgrund ehrenamtlicher Tätigkeiten: Zwar ist er nicht ausdrücklich vorgesehen, aber zulässig.

Wie die einzelnen Kommunen die Umsetzung für eine Kostenerstattung handhaben, ist also deren Sache und eine Frage der konkreten Beschlüsse beziehungsweise der politischen Mehrheiten. Aber man sieht: Die Länder haben es durch ihre jeweiligen Ordnungen durchaus in der Hand, den Prozess der politischen Teilhabe von Müttern und jungen Eltern voranzubringen, indem sie entsprechende Satzungen aufstellen, die dann wiederum in den Kommunen zum Anlass genommen werden können, um konkrete Anträge zu stellen und die Dinge vor Ort für Eltern etwas leichter zu machen.

Ist die Bezahlung der Kinderbetreuung geregelt, gibt es auch sehr viel weniger Gründe, neidisch auf Männer zu sein, die sich bei der Ehefrau fürs »Rückenfreihalten« bedanken, und es ist auch nicht mehr vordringlich eine Frage des Geldes, ob man sich die politische Teilhabe leisten kann.

Mittlerweile habe ich mich auch bei Verabschiedungen von langjährigen Ratsmitgliedern besser im Griff, ich kriege das hin, ohne laut zu seufzen. Vielleicht habe ich mich auch einfach nur daran gewöhnt, dass Floskeln dieser Art zum politischen Betrieb dazugehören. Was nicht heißt, dass mich das auf der strukturellen Ebene nicht stören würde. Im Gegenteil: Wenn Frauen aus dem Gemeinderat verabschiedet werden, hört man nie, sie hätten das ohne ihren Ehemann unmöglich machen können, da er ihnen dankenswerterweise den Rücken freigehalten habe. Aber immerhin können ausscheidende Rätinnen und Räte sowie Verwaltungsmitglieder neuerdings wählen, ob sie lieber Wein oder Blumen als Abschiedspräsent überreicht bekommen wollen. Bis vor kurzem bekamen Frauen automatisch Blumen und Männer ein Weinpaket. Eines weiß ich jetzt schon: Ich nehme dann den Wein.

***

Fazit

VEREINBARKEIT VON MANDAT UND FAMILIE

Idee: Alle Eltern, die sich auf kommunaler Ebene ehrenamtlich politisch engagieren, sollen die Kosten für die Betreuung jüngerer Kinder erstattet bekommen.

Effekt: Mehr Mütter und Väter, vor allem auch alleinerziehende, könnten sich politische Teilhabe leisten – finanziell und zeitlich. Die Vereinbarkeit von politischem Ehrenamt und Familie wäre gewährleistet. Gemeinderäte würden diverser, politische Entscheidungen vielfältiger werden.

Umsetzbarkeit: In 8 von 16 Bundesländern ist es zumindest theoretisch möglich, die Kosten zu erstatten. Die Option ist in den Gemeindesatzungen verankert. Die restlichen Länder könnten dem ohne großen Aufwand folgen.

***

Christine Finke ist Autorin und Bloggerin (Mama arbeitet). 2014 wurde die alleinerziehende Mutter von drei Kindern in den Gemeinderat von Konstanz gewählt. Seither ist sie dort ehrenamtliche Gemeinderätin der Wählergemeinschaft Junges Forum Konstanz. 2020 erhielt sie für ihr kommunalpolitisches Engagement den Helene-Weber-Preis.

DIGITAL TAGEN UND IN MITTAGSPAUSEN NETZWERKEN

Dorothee Bär und Franziska Brantner

Parlamente sollten elterngerechter werden, damit die Interessen von Familien besser vertreten werden. Dorothee Bär, CSU-Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, und Franziska Brantner, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag, sind beide Mütter, die seit Jahren politische Verantwortung tragen. Im Gespräch fordern sie ein besseres Zeitmanagement, virtuelle Teilnahmemöglichkeiten und Mittagspausen.

Punkt 13 Uhr erscheinen die Buchstaben FB, dann ist Franziska Brantner auf dem Bildschirm zu sehen. Einen Augenblick später folgt das Kästchen DB: Dorothee Bär hat sich auch zugeschaltet. Beide Politikerinnen begrüßen sich kurz und freundlich zur Videokonferenz mit der Hertie-Stiftung, für die sie sich eine Stunde Zeit genommen haben. Beide verweisen darauf, dass sie pünktlich Schluss machen müssen. Die nächsten Termine warten. Die Zeit ist an diesem Donnerstag wie so oft im politischen Berlin knapp. Bei Politikerinnen wie Bär und Brantner ist sie immer noch ein bisschen knapper: Sie sind beide Mütter. Die drei Kinder von Dorothee Bär leben in Bayern, in ihrem Wahlkreis. Brantners Tochter wohnt in Berlin, das schafft mehr räumliche Nähe, aber nicht unbedingt mehr gemeinsam verbrachte Zeit. Zudem ist Brantner alleinerziehend.

Zeit, fehlende oder nicht effektiv genutzte, wird auch im folgenden Gespräch Thema sein. Denn sie ist einer der Hauptgründe, weshalb sich Politik nach wie vor so schwer mit Elternschaft vereinbaren lässt. Bär und Brantner haben beide während ihrer politischen Tätigkeit Kinder bekommen. Beide haben erfahren, wie groß die Hürden vor allem für Mütter in den Monaten nach der Geburt sind: fehlende Stillmöglichkeiten, mangelndes Verständnis, ausufernde Sitzungen.

Bei allen politischen Unterschieden sind sich Bär und Brantner in diesem Punkt einig: Parlamente müssen elterngerechter werden. Denn mehr Väter und Mütter in Parlamenten erhöhen die Repräsentanz. Mehr Abgeordnete mit Kindern – auch auf kommunaler Ebene – führen zu einer gerechteren Politik, da ihre Bedürfnisse bisher häufig zu wenig bedacht werden. Zuletzt war dies während des ersten großen Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 der Fall – als sich plötzlich auch Abgeordnete zwischen Sitzungen und Homeschooling aufgerieben haben.

Franziska Brantner: