Denn das Schicksal bestimmt - Karin Bucha - E-Book

Denn das Schicksal bestimmt E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Seit zwei Tagen schon – vor vier Tagen hat Kunsthändler Frei­burg in seinen privaten Räumen die Ausstellung eröffnet – sitzt Al­bert Tressler vor dem Gemälde »Mädchen mit Rose«. Es ist ein langgestreckter, unterteilter Raum, und am Ende, in ei­ner Nische, getrennt durch eine grüne, geraffte Samtportiere, hängt das am meisten belagerte Bild. Rechts davon steht eine Bodenvase mit den schönsten Blumen, und etwas in die Ecke gerückt, steht ein Sessel, auf dem Albert Tressler sitzt, von den wenigsten beachtet. Alle nimmt die Schönheit des Gemäldes gefangen. Albert Tressler wendet keinen Blick von dem Bild. Er murmelt Worte vor sich hin, die kaum verständlich sind. »Julietta! Es ist Julietta!« flüstert er, und dann wieder überkom­men ihn Zweifel. Die Augen des Mädchens auf dem Bilde sind von tiefstem Veil­chenblau. Julietta hatte große samtdunkle Augen. Auch kann er sich nicht entsinnen, daß seine Frau sich jemals hätte malen lassen. Vielleicht vor ihrer Hochzeit? Fragen über Fragen überfallen ihn, und keine einzige kann er sich beantworten. Mühsam erhebt er sich, strafft die hohe Gestalt mit dem markan­ten Gesicht, den lichtblauen Augen und dem schlohweißen Haar und verläßt als letzter die Ausstellung. Axel Römer heißt der Maler. Kein anderer als der Kunsthändler Freiburg kann ihm Auskunft geben, zu dem ihn jetzt sein Weg führt. Juliane Bohlen stürmt die teppichbelegte Freitreppe empor, wo sich die Privaträume befinden. Beinahe hätte sie das Hausmädchen Vera überrannt. »Ist mein Vater im Hause?«

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Karin Bucha Classic – 44 –

Denn das Schicksal bestimmt

Karin Bucha

Seit zwei Tagen schon – vor vier Tagen hat Kunsthändler Frei­burg in seinen privaten Räumen die Ausstellung eröffnet – sitzt Al­bert Tressler vor dem Gemälde »Mädchen mit Rose«.

Es ist ein langgestreckter, unterteilter Raum, und am Ende, in ei­ner Nische, getrennt durch eine grüne, geraffte Samtportiere, hängt das am meisten belagerte Bild. Rechts davon steht eine Bodenvase mit den schönsten Blumen, und etwas in die Ecke gerückt, steht ein Sessel, auf dem Albert Tressler sitzt, von den wenigsten beachtet. Alle nimmt die Schönheit des Gemäldes gefangen.

Albert Tressler wendet keinen Blick von dem Bild. Er murmelt Worte vor sich hin, die kaum verständlich sind.

»Julietta! Es ist Julietta!« flüstert er, und dann wieder überkom­men ihn Zweifel.

Die Augen des Mädchens auf dem Bilde sind von tiefstem Veil­chenblau. Julietta hatte große samtdunkle Augen. Auch kann er sich nicht entsinnen, daß seine Frau sich jemals hätte malen lassen. Vielleicht vor ihrer Hochzeit?

Fragen über Fragen überfallen ihn, und keine einzige kann er sich beantworten.

Mühsam erhebt er sich, strafft die hohe Gestalt mit dem markan­ten Gesicht, den lichtblauen Augen und dem schlohweißen Haar und verläßt als letzter die Ausstellung.

Axel Römer heißt der Maler. Kein anderer als der Kunsthändler Freiburg kann ihm Auskunft geben, zu dem ihn jetzt sein Weg führt.

*

Juliane Bohlen stürmt die teppichbelegte Freitreppe empor, wo sich die Privaträume befinden. Beinahe hätte sie das Hausmädchen Vera überrannt. Sie stoppt ihren Lauf und fragt atemlos:

»Ist mein Vater im Hause?«

»Ja, Herr Bohlen ist vor ungefähr einer Viertelstunde heimgekommen und befindet sich in seinem Arbeitszimmer.«

»Danke!«

Juliane hetzt weiter. Ohne anzuklopfen, tritt sie in das Zimmer ihres Vaters.

Armin Bohlen, noch nicht fünfzig Jahre alt, stattlich, gepflegt und gutaussehend, blickt bei Julianes Eintritt von seiner Arbeit auf.

»Vater!« Sie wirft sich ihm an den Hals. »Väterchen! Freiburg hat mein Bild ausgestellt«, schluchzt sie. »Alle können es sehen. Alle begaffen es. Hast du davon gewußt?«

Behutsam löst er ihre Arme von seinem Hals und sieht sie bestürzt an.

»Das kann doch nicht möglich sein, Kind! Er hat mir versprochen, das

Bild nicht auszustellen. Beruhige dich, Juliane. Das werde ich in Ordnung bringen. Es muß sofort verschwinden!«

»Es ist gemein«, stößt Juliane zitternd vor Erregung hervor. »Hätte ich nur nicht meine Zusage zu den Sitzungen gegeben! Ob Axel Römer dahintersteckt?«

»Das werde ich in Erfahrung bringen«, erwidert Armin Bohlen, den man allgemein den Gummireifen-König nennt, und dessen Vermögen stattlich ist.

»Warum weinst du so sehr? Jede andere Frau wäre beglückt, so viel Bewunderer zu finden –«

Sie legt den Kopf in den Nacken.

»Du heißt es gut, Vater?«

Er schüttelt heftig den Kopf. »Keineswegs, Kind. Ich bin genauso empört wie du. Das war auch nicht ausgemacht. Ich wollte das Bild für mich haben.«

Sie lächelt ihn unter Tränen erlöst an. »Dann ist es gut. Du wirst die Sache bereinigen, nicht wahr?«

»Worauf du dich verlassen kannst«, sagt er grimmig. Ihm ist es so wenig recht wie Juliane. Gerade ist sie aus der Schweiz zurückgekehrt, wo sie eine gute Erziehung genossen hat, und noch ehe er sie in die Gesellschaft eingeführt hat, muß die dumme Geschichte passieren. Auch aus einem anderen Grund ist sie ihm höchst unangenehm, aber das verschweigt er Juliane.

*

Albert Tressler steht vor dem Kunsthändler, einem mittelgroßen Mann mit einem durchgeistigten Gesicht, der überall Sympathien hat.

»Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen über dieses Bild keine Auskunft geben kann. Es ist mir verboten worden.«

Schon eine ganze Weile hat er auf den Kunsthändler eingesprochen, ohne zu einem Ziel zu gelangen. Er stößt immer wieder auf dessen Wider-

stand.

»Ich habe ein ganz persönliches Interesse an dem Bild«, gibt er endlich zu. »Es ähnelt einer Verwandten von mir, und ich möchte es erwerben.«

»Auch das geht nicht«, widerspricht Freiburg. »Das Bild ist unverkäuflich.«

»Unverkäuflich«, murmelt Tressler vor sich hin. Ob er über den Maler Römer etwas erfahren kann? Vielleicht öffnet er den Mund, wenn er ihm Geld bietet, viel Geld.

»Entschuldigen Sie die Störung«, verabschiedet Tressler sich. »Nur um einen Gefallen möchte ich Sie bitten: geben Sie mir die Anschrift des Malers.«

»Gewiß, die können Sie haben«, versichert Freiburg, dem der Besuch unangenehm ist. »Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: auch der Maler darf nichts von dem Modell erzählen.«

»Wir werden sehen«, erwidert Tressler zuversichtlich.

Mit der Adresse Axel Römers in der Tasche verläßt er Freiburg.

Unauffällig sieht Albert Tressler sich in dem Atelier um. Aus allen Ecken scheint die Armut zu schreien. Der Maler macht einen guten Eindruck auf ihn. Er ist höflich, aber er sieht aus, als bekäme er nicht richtig zu essen. Er ist schmal und blaß. Aber die Augen sind offen und lebendig.

Tressler hat sein Anliegen hervorgebracht, und Römer hat ihm eine Absage geben müssen.

»Das Bild ist schon verkauft.«

»Verkauft?« wiederholt Tressler erstaunt. Davon hat der Kunsthändler ihm nichts erzählt. »Und wer hat es gekauft?«

Römer zuckt die Schultern. »Darüber darf ich nicht sprechen.«

Auch hier wieder die unüberwindliche Mauer, gegen die er immer wieder stößt.

»Können Sie mir wenigstens sagen, wer die Dame auf dem Bilde ist?«

»Auch das darf ich nicht sagen. Dafür habe ich mein Wort gegeben.«

Tressler blickt enttäuscht auf den Maler. Er sieht ein, daß es wenig Zweck hat, noch weitere Fragen zu stellen. Er verabschiedet sich und sucht abermals die Ausstellung auf.

*

Nervös trommelt Bohlen auf die Schreibtischplatte.

»Ich wünsche, daß das Bild meiner Tochter sofort entfernt wird.« Seine Stimme ist scharf am Telefon. »Wie konnten Sie es überhaupt aufhängen?«

»Es ging um Axel Römer, dieses junge Talent. Ihm wollte ich einen Gefallen damit tun. Man sollte auf ihn aufmerksam werden.«

Bohlen überlegte kurz. Er kann sich gut in den Kunsthändler hineinversetzen. Trotzdem – es geht um seine Tochter – und noch um mehr.

»Sie werden es sofort wegnehmen?« läßt Bohlen sich verneh-

men.

»Gewiß, wenn Sie es wünschen – nur –«

»Was heißt nur? Ich werde das Bild dem Maler abkaufen, und zwar für jeden Preis, den er verlangt. Richten Sie ihm das aus.«

»Wenn es Ihnen recht ist, schicke ich Axel Römer zu Ihnen.«

»Ist mir recht«, gibt Bohlen zurück und bricht das Gespräch ab.

*

Bedrückt, niedergeschlagen kommt Axel Römer bei Margit Sommers an. Sie ist die Frau, die er liebt. Er hätte sie längst geheiratet, aber sie hat als Verkäuferin ein kleines Gehalt, und er verdient viel zu wenig, um eine Familie gründen zu können.

Kurz vor Abschluß der Ausstellung hat er sich noch einmal das Bild ansehen wollen – und fand den Platz leer. Kopflos ist er davongestürzt, um Margit Mitteilung davon zu machen. Sie teilt getreulich Freud und Leid mit ihm. Vor allem glaubt sie an sein Können und versteht es immer wieder, ihn aufzurichten.

Aber jetzt versagt das zierliche, quecksilbrige Persönchen mit dem dunklen Wuschelhaar und den großen sprechenden Augen. Er sieht ihr zu, wie sie mit wenig Mitteln versucht, einen netten Tisch zu decken. Beim Vorübergehen streicht sie ihm über das braune Haar.

»Nun verzweifle doch nicht gleich, Axel«, ermuntert sie ihn. »Iß erst mal was, und trink eine Tasse Tee. Wer weiß, warum Freiburg das Bild entfernt hat.«

Sie geht zur Kochnische und holt den aufgebrühten Tee heraus. Aus dem Schrank bringt sie schmunzelnd eine Flasche hervor.

»Noch ein Rest Rum für dich, Axel.«

Er zieht sie an sich und preßt sein Gesicht an ihre Schulter.

»Wenn ich dich nicht hätte! Ich verstehe nicht, woher du immer wieder das Vertrauen zu meinem Schaffen nimmst.«

»Ich liebe dich, du ungläubiger Thomas«, sagt sie, küßt ihn auf die Nasenspitze und nimmt ihm gegenüber Platz. »Nun lang zu. Hast du heute überhaupt schon etwas zu dir genommen?«

Mit beiden Händen fährt er sich über das Haar. »Jetzt erst fällt es mir ein, daß ich noch nichts gegessen habe.«

»Kein Wunder!« Margit reicht ihm die Platte mit den belegten Broten. »Mit leerem Magen ist man geneigt, alles viel schwärzer zu sehen.«

Er kaut an der Schnitte, als sei es Leder. Er hat einfach keinen Appetit. Immer muß er an das Bild denken, und warum Freiburg es herabnehmen will.

Dabei hat er sich täglich überzeugt, daß es allgemein Anklang bei den Besuchern gefunden hat, ja, daß es das meistbelagerte Bild der ganzen Ausstellung war.

Er legt den Rest Brot auf seinen Teller und steht auf. »Ich kann nicht, Margit, sei mir nicht böse. Ich muß Gewißheit haben. Deine Wirtin hat ein Telefon. Darf ich Freiburg mal anrufen?«

»Gewiß, Axel, komm!« Sie begleitet ihn auf den langen Flur, wo das Telefon steht. Das Geld für ein Gespräch legt sie gewissenhaft auf den Tisch, so wie es die anderen Mieter auch tun. Sie lehnt sich an die Wand, während Römer die Nummer wählt.

»Hier Axel Römer«, meldet er sich. Weiter kommt er nicht.

Freiburg selbst ist am Apparat.

»Menschenskind, Römer, ich lasse Sie überall suchen! Ihr Bild ist verkauft! Kommen Sie sofort zu mir! Ich warte solange, bis Sie hier sind.«

Betont langsam hängt Axel den Hörer in die Gabel. Er ist noch blasser geworden und taumelt.

»Was ist denn los?« Margit greift ihm unter den Arm und hält ihn

fest.

»Komm, Liebling, ich sage es dir in deinem Zimmer.«

Schnell zieht er Margit mit sich und schließt die Tür hinter ihnen.

»Halte dich fest, Margit, mein Bild ist verkauft!«

»Du lieber Gott!« Margit preßt die Hand gegen den Mund. »Wirklich verkauft?«

Sie kann es noch nicht fassen. Axels strahlendes Gesicht sagt ihr alles.

»Ja, wirklich und wahrhaftig verkauft! Komm, Liebes, zieh dir einen Mantel an. Wir müssen sofort zu Freiburg! Er erwartet mich.«

*

Albert Tressler sitzt auf seinem alten Platz in der Ausstellung. Noch kann er nicht fassen, daß das Bild gegen ein anderes ausgetauscht worden ist. Ganz in sich zusammengesunken starrt er vor sich hin. Warum läßt ihn das Bild nicht los? Warum steigt die Vergangenheit immer wieder vor ihm auf?

Auf einer seiner Reisen war es, die er als reicher, unabhängiger Mann unternehmen konnte, als er Julietta, seine spätere Frau, in einem kleinen ita-lienischen Ort zum ersten Male sah. Er war von ihrer Schönheit, die ihm wie eine Offenbarung erschien, wie verzaubert. Jede freie Minute verbrachte er in ihrer Gesellschaft. Bald spürte er, daß sie nicht nur schön, sondern auch klug war. Sie stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Er hätte sie gern in kostbaren Kleidern gesehen, doch stolz lehnte sie alles von ihm ab.

Er erfuhr, daß sie eine italienische Mutter und einen deutschen Vater habe. Der Vater habe ihr selbst die deutsche Sprache beigebracht. So konnte er sich mit Julietta gut unterhalten.

Er erzählte ihr von seinen Reisen und von seinem großen Besitz im Norden Deutschlands. Mit großen samtdunklen Augen saß sie neben ihm, die Hände um die Knie geschlungen, und war eine aufmerksame Zuhörerin.

Da mußte er an die Heimreise denken. Er ging nicht eher, bevor er ihre Zustimmung hatte, seine Frau zu werden. Ihrer Mutter hinterließ er eine größere Summe, und Julietta ging gern mit ihm.

Er füllte ihre Bildungslücken, er schulte sie in jeder Beziehung, er hüllte sie in kostbare Kleider, die ihre Schönheit erst richtig zur Geltung brachten. Er überschüttete sie mit Schmuck. Julietta wurde von ihm in die Gesellschaft eingeführt. Überall, wo er mit ihr auftauchte, wurde sie zum glanzvollen Mittelpunkt.

Es war die schönste Zeit seines Lebens an der Seite seiner schönen jungen Frau. Er war ihrer unbedingt sicher, so daß er ihr alle Freiheit ließ. Nur noch inniger schloß sie sich an ihn an. Er lächelte, wenn man sie auf Reisen oft für Vater und Tochter hielt.

Schlagartig veränderte sich ihr Wesen. Wohin war ihr köstliches Lachen, ihr sprühender Witz gekommen? Ruhelos wanderte sie durch die Räume, die mit Kostbarkeiten angefüllt waren, und die den rechten Rahmen für ihre Schönheit bildeten. Dann wieder konnte sie stundenlang irgendwo sitzen und vor sich hin grübeln.

Sie begann auch, die Farbe zu verlieren.

»Hast du Sehnsucht nach deiner Heimat?« fragte er sie eines Tages und setzte sich ihr gegenüber.

»Nein, Albert, ganz gewiß nicht.«

»Wollen wir aufs Gut fahren? Ich glaube, die Gesellschaften dieses Winters waren zu anstrengend für dich.«

»Nein, bitte nicht, laß uns hierbleiben«, flehte sie und wich seinen forschenden Blicken aus. Nein, er wurde nicht mehr klug aus ihr und ihrem seltsamen Verhalten.

So blieben sie weiter in der Stadtwohnung, und Julietta wurde immer schwermütiger.

Er begann sich ernsthaft um sie zu sorgen. Wenn er davon sprach, einen Arzt kommen zu lassen, war sie ganz außer sich.

»Ich bin nicht krank, ganz bestimmt nicht. Ich brauche keinen Arzt«, wehrte sie sich, und er unterließ es.

Wenn er es jetzt in der Erinnerung recht bedachte, begann ihr verändertes Wesen mit dem Tag, da ihr der blonde junge Mann mit den strahlend blauen Augen vorgestellt wurde.

Er war ihm nur einmal begegnet und konnte sich nicht auf seinen Namen besinnen.

Julietta hatte ein paarmal mit ihm getanzt, dann war er aus ihrem Gesichtskreis verschwunden.

Wie einen Schlag empfand er Juliettas Bitte:

»Gib mich frei, Albert, bitte, gib mich frei!«

Mit größter Bestürzung sah er sie an. Er vermochte ihre Bitte zunächst nicht zu fassen.

»Liebst du mich nicht mehr?« hatte er gefragt. Ihre Augen sahen ihn hilfeflehend an.

»Ich weiß es nicht, Albert«, hatte sie geflüstert und dann ihr Gesicht in den Händen verborgen.

»Liebst du einen anderen Mann?«

Sie hatte so wild und verzweifelt vor sich hin geschluchzt, ohne seine Frage zu beantworten, daß er sie mitleidig in seine Arme nahm.

»Wenn du mir meine Frage nicht beantworten kannst oder willst, werde ich dich auch nicht quälen«, hatte er sich schließlich abgerungen. »Du sollst nichts übereilen, Julietta, gar nichts. Wie wäre es, wenn du mit Dora eine Zeit auf Reisen gehst?«

Dora war eine ältere, erfahrene Frau und Julietta treu ergeben. Sie würde über Julietta wachen und alles für sie tun.

Langsam hatte sie den schönen Kopf erhoben.

»Ohne dich?«

»Ohne mich«, bestätigte er ernst. »Du sollst dich in dieser Zeit entscheiden. Eine Trennung vermag manchmal sehr viel, vielleicht alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich liebe dich viel zu sehr, als dich neben mir unglücklich zu sehen.«

»Ach, Albert, du bist so gut zu mir, viel zu gut.« Und wieder barg sie ihren Kopf an seiner Schulter.

So hatte er sie schweren Herzens auf Reisen geschickt, und er war immer mit ihr in Verbindung geblieben. Er wußte stets, wo sie sich aufhielt. Er erhielt regelmäßig Briefe, Briefe voll von Dankbarkeit und jenem kindlichen Vertrauen, das sie ihm von Anfang an entgegengebracht hatte.

Und dann kam der furchtbare Schlag. Dora hatte ihm mitgeteilt, daß Julietta gestorben sei. Sie wäre schon immer kränklich gewesen. Dann wäre ein kurzes, aber heftiges Fieber dazugekommen, und sie sei still hinübergeschlummert. Beiliegenden Brief hätte sie für ihn hinterlassen. Da er sehr großzügig mit Geldanweisungen gewesen sei, wäre Julietta, ihre geliebte Herrin, in ihre Heimat überführt und läge dort begraben.

Albert Tressler stöhnt vor sich hin. Jedes Wort des Briefes kennt er, so oft hat er ihn gelesen. Er lautet:

Mein lieber, einziger Freund! Wie oft habe ich im letzten halben Jahr an unser Verhältnis zueinander gedacht. Wie oft habe ich mit den Gedanken gespielt, zu Dir zu fahren, um mich an Deiner Schulter auszuweinen und Trost zu suchen. Ich hätte Dich auch rufen können, aber Du wärest erschrocken. Von der einst strahlenden Julietta ist nicht mehr viel übriggeblieben. Wenn es Todesahnungen gibt, dann habe ich sie. Ich übergebe Dora diesen Brief, damit sie ihn an Dich weiterleitet. Sie war eine treue, ergebene Frau und hat sich um mich einen sorglosen Lebensabend verdient. Man soll mich in meiner Heimat in die Erde betten. Und nun leb wohl, liebster Freund. Vielen Dank für Deine Güte und Dein Verständnis. Es war eine schöne Zeit mit Dir.

Deine Julietta.

Er war damals sofort zu ihr gefahren und dann weiter in das kleine ita-lienische Dörfchen, das ihre Heimat war.

Er fand eine gebrochene Mutter vor, die an Juliettas Tod kaum glauben wollte, wenn nicht das Grab gewesen wäre.

Er riß sich zusammen, setzte Julietta einen Stein aus Marmor auf den Erdhügel, hinterließ ihrer Mutter genügend Geld und nahm Dora mit sich.

Viel hat sie nie über Julietta gesprochen. Sie war ebenso erschüttert wie er. Sie versah sein Hauswesen und hatte das übrige Personal unter sich. Sie bereitete ihm ein gemütliches Heim, gerade, als hätte Julietta sie damit beauftragt.

Höflich nähert sich der Diener dem ganz in sich versunkenen Mann.

»Verzeihung, mein Herr, die Ausstellung wird geschlossen.«

Verwirrt blickt Tressler empor. Richtig, alle Besucher haben sich entfernt.

»Können Sie mir sagen, warum das ›Mädchen mit der Rose‹ entfernt worden ist?«

Der Mann zuckt die Schulter. »Das weiß ich auch nicht.«

Tressler zieht seine Brieftasche und entnimmt ihr einen Schein, doch der Mann wehrt heftig ab.

»Bitte, behalten Sie Ihr Geld. Ich weiß es wirklich nicht.«

*

Juliane Bohlen hat ihren Wagen auf dem Parkplatz abgestellt. Es ist ein Geschenk ihres Vaters, ein cremefarbener Sportzweisitzer mit roten Polstern.

Sie macht kleine Einkäufe und wandert dann die Hauptstraße entlang, besieht sich die hellerleuchteten Auslagen in den Schaufenstern und bleibt vor einem Juweliergeschäft stehen. Sie ist hell begeistert von den kostbaren Dingen und betrachtet sie prüfend. Plötzlich fühlt sie sich beobachtet. Im blitzenden Glas der Scheibe blickt sie in ein Paar hellgraue Augen, die zu einem hochgewachsenen, breitschultrigen Mann gehören. Unverwandt starrt er sie an, daß sie sich unwillig abwendet. Eine Hand legt sich auf ihre Schulter, und eine wohllaute Stimme spricht:

»Bitte, laufen Sie nicht weg, und halten Sie es nicht für ein plumpes Annäherungsmanöver, daß ich es wage, Sie anzusprechen. Kennen wir uns nicht?«

Juliane macht ein abweisendes, verschlossenes Gesicht. Der Mann hält sich eisern an ihrer Seite.

»Ich kenne Sie nicht«, sagt sie, und es klingt direkt hochmütig.

»Das ist unmöglich«, beharrt er, und ein bewundernder Seitenblick trifft ihre grazile Gestalt. »Und doch habe ich Sie schon gesehen.« Er grübelt eine Weile. »Ich weiß nur nicht, wo und wann.«

Jetzt lacht sie leise auf. »Dann habe ich bestimmt eine Doppelgängerin!«

»Unmöglich! Eine Frau wie Sie ist mir noch nie begegnet. Die laufen nicht in Mengen herum. Darf ich mich wenigstens vorstellen?« Er zieht den Hut. »Doktor Conny Haller, Rechtsanwalt und Syndikus in den Bohlen-Werken.«

Ruckartig bleibt sie stehen. »In den Bohlen-Werken?« wiederholt sie ungläubig, und er nickt eifrig.

»Kommt Ihnen das so seltsam vor?«

»Nein, durchaus nicht«, erwidert sie und senkt verwirrt den Blick. Langsam gehen sie weiter. »Übrigens haben Sie sich widersprochen. Sie behaupten, mich zu kennen und sagen gleichzeitig, eine Frau wie ich sei Ihnen noch nicht begegnet. Darin liegt ein Widerspruch.«

»Irgendwo habe ich Sie aber gesehen! Nur kein Wort haben wir miteinander gewechselt. Das wüßte ich.«

Sie lächelt still vor sich hin. Nun, sie wird ihm nicht erzählen, daß sie die Tochter Armin Bohlens ist.

Von der Seite her betrachtet sie den Mann, der wie selbstverständlich neben ihr dahergeht. Er sieht unheimlich gut aus, von einer reifen männlichen Schönheit. Ihr Herz klopft ein paar Schläge schneller, als er sich ihr im selben Augenblick zuwendet.

»Möchten Sie mir nicht Ihren Namen sagen?« fällt er in ihren Gedankengang ein.

»Ist das nötig?« weicht sie aus.

»Sehr sogar. Ich hätte Gelegenheit, eine Zusammenkunft mit Ihnen zu verabreden.« Seine Stimme hat einen weichen, bittenden Klang.

»Überlassen wir es dem Zufall«, sagt sie schließlich und bemerkt sofort seine Enttäuschung. Sie lächelt in sich hinein. Der Zufall ist nicht weit entfernt. Er soll eine Überraschung erleben, nun sie weiß, wer er ist.

»Wollen Sie ein Wiedersehen wirklich vom Zufall abhängig machen?«

Sie nickt eifrig und bleibt stehen. »Hier muß ich mich verabschieden.« Sie reicht ihm die Hand, die er länger als nötig in seiner hält.

*

Kunsthändler Freiburg sieht mit Wohlgefallen auf das junge Paar, das mit erwartungsvoller Spannung vor ihm sitzt. Axel Römer, der talentvolle Maler, war ihm immer schon sympathisch. Und seine kleine Braut mit den rehbraunen Augen und den dunklen Haaren gefällt ihm ebenfalls.

Er selbst ist ein mittelgroßer Mann, der etwas zur Korpulenz neigt. Hinter scharfgeschnittenen Brillengläsern ist ein Paar wachsamer Augen. Er hat einen ausgeprägten Künstlerkopf mit einer Mähne dichten ergrauten Haares.

»Nun, Herr Römer, was haben Sie sich für einen Preis für das Gemälde vorgestellt?«

Römer zuckt hilflos die Schultern. »Ich weiß nicht, Herr Freiburg. Bislang habe ich nur einige Skizzen und ein paar belanglose Bilder verkauft.«

»Das Bild geht für dreißigtausend Mark weg.«

»Nein«, stößt Römer ungläubig hervor und sinkt in sich zusammen. »Das – das kann doch nicht möglich sein!«

»Es ist aber so! Und es ist den Preis auch wert, glauben Sie mir. Bisher war es das schönste Gemälde, das Sie schufen. Sie dürfen mir das glauben.«

»Ich kann es einfach nicht fassen«, stammelt Römer und blickt auf Margit, der es die Sprache verschlagen hat, und das will bei ihr schon etwas bedeuten.

»Hier ist der Scheck.« Freiburg reicht dem Maler das Papier, das für Römer so unendlich viel bedeutet: neuen Auftrieb und Verwirklichung langgehegter Pläne. Vor allem können sie heiraten und sich ein bescheidenes Heim schaffen.

»Sie müssen mir nur noch alle vorhandenen Skizzen von dem Modell übergeben. Das hat der Käufer zur Bedingung gemacht«, spricht Freiburg weiter und nickt den beiden jungen Menschen aufmunternd zu. »Ich selbst habe mit diesem Bild allerhand Ärger gehabt, da ich es ohne Wissen des Vaters des Modells ausgestellt habe.«

»Darf ich wenigstens wissen, wer diese junge Dame ist?«

Entsetzt wehrt Freiburg ab. »Keinesfalls, auch das wurde mir zur Bedingung gemacht. Nehmen Sie das Geld. Sie haben es ehrlich verdient, und fragen Sie nicht nach dem Namen des Modells und den Auftraggeber. Lassen Sie die Angelegenheit auf sich beruhen. Ich wollte Ihnen einen Gefallen tun –«

»Weiß Gott«, fährt Römer ihm dankbar ins Wort, »das haben Sie getan.«

Freiburg reicht dem Maler die Hand. »Geben Sie mir die Hand, daß Sie keinerlei Nachforschungen anstellen.« Er lächelt nachsichtig. »Es könnte ja möglich sein, daß Sie noch einmal Verlangen haben, die Dame als Modell zu gewinnen.«

Ohne Zögern gibt Römer dem Kunsthändler die Hand.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll! Wirklich, ich bin ganz durcheinander.«

Freiburg merkt, wie erschüttert Römer ist, und begleitet das junge Paar zum Ausgang. »Und wenn Sie einen Trauzeugen brauchen, ich stelle mich ihnen gern zur Verfügung. Jetzt wird doch nun geheiratet – oder?«

»So schnell wie möglich«, erwidert Römer, immer noch benommen, und hält Margits Arm fest. »Und nochmals vielen Dank!«

Draußen schlingt Margit die Arme um Axels Hals und weint vor Freude auf. Beruhigend streicht er ihr über das Haar. Ihm ist selbst zum Heulen zumute. Er beherrscht sich aber.

»Auch die Freude kann einen umwerfen, nicht wahr, Liebes? Nun beruhige dich doch. Jetzt hat das Elend ein Ende. Wir werden sehr sparsam mit dem Geld umgehen und einen Notgroschen zurücklegen. Man weiß nie, was kommen kann.«

Margit löst ihre Arme um seinen Hals, trocknet die Tränen und schmiegt sich fest an seine Seite.

»Alles, was du tust, ist mir recht, Axel. Vorläufig werde ich auch meine Stellung nicht aufgeben –«

»Das kommt nicht in Frage, Kleines«, widerspricht er energisch. Lange genug hat es ihn gequält, Margit als Verkäuferin zu sehen, alle Launen der Kundschaft ertragend, immer hin und her rennend und dazu ein Lächeln zeigend. »Nein, du kündigst sofort, wenn du mir einen großen Wunsch erfüllen willst.«

»Ach, Axel!« Wie auf Wolken geht Margit neben dem Verlobten her. »Du glaubst nicht, wie gern ich meine Arbeit aufgebe. Am liebsten möchte ich einen Luftsprung machen.«