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Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Brütende Hitze lastet auf dem Land, über Menschen und Tieren. Unbarmherzig brennt die Sonne von einem blaßblauen Himmel. Die Luft ist schwer und bleiern, und wer es sich leisten kann, flüchtet in kühle Häuser und sucht sich schattige Plätze. Auf der Landstraße nach Niederau wandert eine junge Frau matt und erschöpft, müde und durstig. Der kleine Handkoffer hängt ihr wie Blei am Arm, und nach kaum zehn Schritten wechselt sie ihn von der einen Hand in die andere. Es ist aber nicht allein die lastende Hitze, die sie so lustlos dahinwanken läßt. Mutlosigkeit bedrückt sie und Angst, Angst vor dem Kommenden, vor den fremden Menschen, die sie weder erwarten noch gewünscht haben. Hinter den Chausseebäumen tauchen die ersten Häuser auf, und links ragt der spitze Turm der Kirche hervor. Es liegt malerisch gebettet zwischen Wäldern und Hügeln, dieses Dorf Niederau – ihr Ziel. Zu jeder anderen Zeit würde sie, das Naturkind, sich daran erfreuen. Doch jetzt hat sie keinen Blick für die Schönheit. Noch bedrängt die Vergangenheit sie zu sehr und hält sie gefangen. Wohin sie auch wandert, als Schatten geht sie mit ihr, sie hört ihre Stimme, die sie quält und belastet. Unter einem der hohen Bäume, die viel zu wenig Schatten werfen, läßt sie sich am Chausseegraben nieder. Mit einer Ecke des schmutzig gewordenen Taschentuches wischt sie sich die Schweißtropfen von der Stirn. Mit schmerzendem Rücken lehnt sie sich gegen den Baumstamm, und den Kopf beugt sie weit zurück. Hinter der Stirn hämmert und klopft und sticht es wie mit tausend Nadeln. Sie schließt die Augen und dämmert vor sich hin. Von weitem ist Räderrollen zu hören, das immer näher kommt. Ist sie eingeschlafen?
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Seitenzahl: 208
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Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen, sie kennt die so sympathische Familie des Professors Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi inzwischen schon besser als jeder andere. Die geliebte kleine Bambi wird in den neuen Romanen für besondere Furore sorgen, und eine erfrischend engagierte junge Ärztin wird den Sonnenwinkel gehörig aufmischen.
»Schluß, Angela!« Mit vor Ärger gerötetem Gesicht wirft Gert Rosen den Tennisschläger auf den Rasen und überquert ihn mit großen Schritten. Vor der jungen Frau, die ihm mehr erschrocken als schuldbewußt entgegenblickt, bleibt er breitbeinig stehen. »Du spielst heute miserabel, Angela, hundsmiserabel. Was ist nur in dich gefahren? Hast du Kummer?«
Verwirrt neigt Angela Worminghaus den Kopf. Kurz entschlossen legt sie den Schläger auf die Bank und blinzelt ihren Partner von der Seite her an.
»Habe ich so schlecht gespielt, Gert?«
»Schlecht? – Schlecht ist gar kein Ausdruck –«
»Ich weiß, ich weiß«, fällt sie ihm lächelnd ins Wort, »hundsmiserabel. Mir ist auch die Lust vergangen. Komm, ruhen wir aus.«
Wortlos verlassen sie den Tennisplatz. Sie wiegt sich leicht in den Hüften beim Gehen. Anmutig sinkt Angela auf der Terrasse des Hauses auf einen der aufgestellten Liegestühle unter schützendem Sonnendach. Erst nachdem Rosen sich aufmerksam überzeugt hat, daß es ihr an Bequemlichkeit nicht mangelt, nimmt er neben ihr Platz.
Sie liegt in lässiger, entspannter Haltung, den linken Arm hat sie unter den Kopf geschoben. Die Augen hält sie geschlossen. Die junge, straffe Brust hebt und senkt sich unter gleichmäßigen Atemzügen.
Rosen betrachtet sie aufmerksam.
Weiß Gott, der Herrgott hat diese Frau in ganz besonderer Geberlaune erschaffen – geht es ihm durch den Kopf. Von der dunklen Haarflut bis hinab zu den schlanken, zierlichen Füßen ist alles harmonisch und wohlgebildet. Die dunkle Haarflut mit dem roten, metallischen Schimmer umgibt ein edelgeformtes Antlitz. Eine eigenwillige Locke fällt in die hohe, kluge Stirn. Wie gezeichnet stehen die Augenbrauen in diesem zarten, leidenschaftlichen Gesicht, das ganz und gar von dunklen Augen von seltener Tiefe beherrscht wird.
Der Mund ist weich und schwellend und – wie es Gert Rosen scheint – im Augenblick herb zusammengepreßt. Und aus diesem Gedanken heraus sagt er:
»Du hast doch etwas, Angela!«
Angelas Gedanken sind ganz woanders. Immer glaubt sie die Stimme ihres Mannes zu hören, diese tiefe, warme Stimme, die so modulationsfähig ist, von warmer Güte bis zur eisigen Strenge; und so streng, wie er manchmal zu seinen Patienten sprechen muß, der Herr Professor Worminghaus, so streng hat er heute morgen zu ihr gesprochen: »Ich erwarte dich Punkt ein Uhr in meinem Privatzimmer in der Klinik.«
Und diese Worte verfolgen sie seither. – Um ein Uhr erwartet ihr Mann sie zu einer Besprechung, und wie diese auslaufen wird, das weiß sie jetzt schon. Ein eisiger Schauer läuft ihr über den Rücken, so daß sie fröstelnd die Schultern zusammenzieht:
»Ist dir kalt, Angela?«
Schreckhaft fährt sie zusammen. Sie hat ihn ganz und gar vergessen, Gert Rosen, den Freund ihrer Jugend, ihrer Kindheit, den einzigen und treuesten Freund, den sie überhaupt besitzt.
»Verzeih, Gert, ich war sehr unaufmerksam.«
Mit einem Ruck sitzt er aufrecht und neigt den Oberkörper ihr zu.
»Hast du mit deinem Mann gesprochen, Angela? Weiß er, daß ich dich liebe?«
Sie lächelt wehmütig und streift ihn mit einem Blick, den er schwer deuten kann. Fast glaubt er, Mitleid darin zu lesen.
»Das weiß er doch schon lange, Gert!«
»Dann ist ja alles gut.«
»Nichts ist gut, denn du hast das Wichtigste dabei vergessen.«
»Das Wichtigste?« Er neigt sich noch tiefer zu ihr hin.
Groß und ehrlich schlägt sie die Augen zu ihm auf. »Ja, das Wichtigste, Gert. Ich liebe dich – nicht!«
»Angela!« Mit einem Satz steht er auf den Beinen. »Du lügst, Angela.«
»Freunde belügen sich nicht. Und wir sind doch gute Freunde.«
Kreidebleich ist sein frisches Jungengesicht geworden.
»Dann hast du die ganze Zeit über nur mit mir gespielt?« stößt er in großer Aufregung hervor.
»Gert, ich bitte dich!« Sie hat sich aufgerichtet und versucht, ihn mit sanfter Gewalt wieder in den Stuhl neben sich zu drücken. Doch er reißt sich los und tritt an die Brüstung. In seinem Kopf wirbelt alles durcheinander, und er weiß nicht, was sie alles spricht. Nur die dunkle Stimme vernimmt er, die er so sehr liebt, wie er überhaupt der Frau unsagbar zugetan ist, die ihm soeben kaltlächelnd eröffnet hat, daß sie ihn nicht liebe.
Ich Narr, ich tausendfältiger Narr, sinnt er verzweifelt.
Angela ahnt, daß jedes Wort in die Luft gesprochen ist. Sie erhebt sich und tritt zu ihm, legt ihre Hand beruhigend auf seinen Arm.
»Gert, ich bitte dich, höre mich in Ruhe an. Du hast dich in eine fixe Idee verrannt.«
»Fixe Idee nennst du das, wenn man einen Menschen von ganzem Herzen liebt?« fällt er ihr erbittert ins Wort.
»Wir waren immer nur Freunde«, spricht sie unbeirrt weiter. »Gute Freunde, Gert. Nie habe ich etwas anderes in dir gesehen. Wir haben zusammen gespielt, du hast mich stets beschützt. Du warst ein großer Bruder für mich, mehr nicht. Nie habe ich dich darüber in Zweifel gelassen. Und als du vor zwei Jahren hier an die Oper kamst, da haben wir die alte Kinderfreundschaft wiederaufgenommen. Bitte, sage nie wieder, daß ich mit dir gespielt habe. Damit tust du mir nur weh, denn ich habe nie andere als freundschaftliche Gefühle in dir erwecken wollen.«
»Und hast es doch getan.«
»Dann unbewußt, Gert.«
Hat er bisher in die Luft gesprochen, so wendet er sich ihr jetzt zu und umfaßt ihre Schultern. »Warum hast du mich dann nicht bereits vor zwei Jahren fortgeschickt? Es hätte dir doch schon damals klar sein müssen, daß es eine Freundschaft zwischen Mann und Frau für die Dauer nicht gibt. Ich bin schließlich nur ein Mensch und habe Blut in den Adern wie jeder andere – und ich liebe dich, Angela. Ich möchte dich besitzen, du sollst mir gehören, als meine Frau. Hast du nicht selbst gesagt, daß ich dich erst zum Leben erweckt habe? Was warst du für ein verkümmertes Menschenkind, als ich hier in die Stadt kam!«
»Gert, ich bitte dich, höre auf«, stöhnt Angela und schlägt die Hände vor das Gesicht. »Ich liebe – meinen Mann.«
»So, du liebst deinen Mann. Und was tut dein Herr Gemahl, diese Operationsmaschine? Weiß er überhaupt noch, daß er eine junge, schöne Frau sein eigen nennt?«
»Gert«, bittet sie leise, eindringlich. »Sprich nicht so abwertend von meinem Mann. Denk an die vielen Menschen, die verehrungsvoll zu ihm aufsehen, denen er das Leben gerettet hat, für die er, wenn es sein muß, Tag und Nacht da ist.«
»Und läßt dabei die eigene Frau in Einsamkeit verkümmern.«
Sie läßt die Hände sinken. Ihre Augen sehen über ihn hinweg in eine unbekannte Ferne. Um ihren Mund zuckt es. Wie ein Hauch kommt es von ihren Lippen:
»Dann teile ich das Schicksal aller einsamen Frauen, die große Männer haben.«
Stille lastet zwischen ihnen, bis sie leise den Faden wieder aufnimmt.
»Gert, sei wieder gut. Ich bin dir so dankbar, daß du deine Freizeit mir geschenkt hast. Ich habe dir wirklich viel zu verdanken.«
»Dankbarkeit – Mitleid –«, er lacht hart auf.
»Verzichte auf beides. Ein Spielzeug war ich für dich. Ich muß dir danken, danken für deine Offenheit. Du brauchst Zerstreuung, und ich hielt es für Liebe. Ich Narr, ich großer. Gut, daß es zwischen uns klar ist. Leb’ wohl, Angela.«
Mit einem Satz springt er die Stufen hinab und eilt über den Kies der Garage zu, wo sein Sportwagen parkt.
»Gert! Gert!«
Sinnlose Angst überfällt sie und läßt sie hinter ihm hereilen. Da stürmt er dahin, der junge Hitzkopf, in dem es gärt wie junger Wein. Sie weiß, daß sie ihn jetzt nicht allein lassen darf, daß er irgend etwas Sinnloses tun wird, was er hinterher schwer bereuen wird. Aber sie kommt zu spät. Er sitzt schon am Steuer seines Wagens und reißt ihn so hart herum, daß sie zur Seite springen muß.
»Gert! Gert!«
Aber er braust davon, und ihr Ruf verhallt ungehört. Angela bebt an allen Gliedern, und als sie ins Haus zurückkehrt, hat sie keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht, so daß Malchen, die alte Haushälterin, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.
»Mein Gott, Kindchen, wie siehst du aus?« jammert die Alte und nimmt Angela, an der sie Mutterstelle vertreten hat, behutsam in ihre Arme. »Was hat es denn gegeben mit Gert?«
»Ach, Malchen«, weint Angela Worminghaus leidenschaftlich los. »Gert ist wie ein Rasender davongefahren. Es wird ein Unglück geschehen! Es wird ein Unglück geschehen, ich fühle es! Er war wie von Sinnen, und ich konnte doch nicht anders. Ich mußte ihm die Wahrheit sagen.«
»Alle guten Geister, daß ihr euch das Leben so schwer machen müßt. Und an alledem ist dein Mann schuld –«
Angela hält ihr den Mund zu und sieht sie dabei mit einem so flehenden Blick an, daß Malchen einlenkt.
»Ich sage ja schon gar nichts mehr. Aber bitte, beruhige dich und schau auf die Uhr. Du mußt um ein Uhr in der Klinik sein.«
Wie geistesabwesend streicht Angela sich über die Augen und wendet sich der Treppe zu. Malchen verfolgt die Bewegungen der jungen Frau, die wie eine Kranke die Stufen emporschleicht, mit kummervollen Augen. Als sich die Tür hinter der schlanken Gestalt geschlossen hat, murmelt die Haushälterin:
»Was soll daraus nur werden? Wenn das man kein Unglück gibt.«
*
Wohl schon zum hundertsten Male hat sich Oberschwester Elsbeth in dem Empfangszimmer zu schaffen gemacht. Sie, die sonst die Ruhe in Person ist, wird heute von einer Unruhe gequält, die sie sich selbst nicht erklären kann. Aber nie verläßt sie den weiten, eleganten Raum, ohne einen langen Blick nach der Tür zu werfen, die in das Privatzimmer des Chefs, Professor Worminghaus, führt. Manchmal bleibt sie auch lauschend stehen, dann hört sie die Schritte des Chefs; immer gleichmäßig auf und ab hört sie ihn gehen.
Nur widerwillig verläßt sie den Raum. Wann ist es einmal vorgekommen, daß der Professor sich tagsüber so lange isoliert hat7
»Ich wünsche auf keinen Fall gestört zu werden. Wenn meine Frau kommt, dann führen Sie sie zu mir. Ich erwarte ihren Besuch um ein Uhr«, hat er gesagt.
Und jetzt fehlen nur noch einige Minuten an ein Uhr.
›Was er nur haben mag‹ – denkt sie und begibt sich hinüber in die Halle. Es ist ein weitläufiger Raum mit vielen bequemen Sitzgelegenheiten, marmornem, spiegelglattem Fußboden und freundlichen Blumengruppen, von tiefen und breiten Fenstern flankiert, die das helle Sonnenlicht ungehindert bis in die äußerste Ecke einlassen.
Die Klinik Professor Worminghaus’ ist nicht nur die modernste, sie genießt auch Weltruf, denn ihr Chef ist als Chirurg berühmt.
Man sagt ihm nicht nur die sicherste Hand nach, man schätzt ihn auch als Internist.
Im Augenblick kümmert den Chef des Hauses seine Berühmtheit wenig, da sie ihn mehr bedrückt als erfreut, weil er spürt, daß ihn sein Beruf und die Wissenschaft so in Fesseln geschlagen haben, daß er den Menschen, sein eigenes Ich, dabei verloren hat.
Und nun ist er dabei, Bilanz zu ziehen, die Bilanz seiner Ehe. Hart geht er dabei mit sich ins Gericht und gibt sich selbst die Schuld. Er hätte die junge, hübsche Angela Wendloh nicht an sich ketten dürfen. Ein Verbrechen hat er an ihrer kostbaren Jugend begangen. In seinem Leben ist kein Raum für Liebe und Glück.
Etwas bäumt sich bei dieser Feststellung in ihm auf. Hat er nicht wie jeder andere Mensch auch ein Recht auf Liebe und Glück? Und liebt er Angela nicht über alles? – Kann er sich überhaupt ein Leben ohne diese kindhafte Frau noch vorstellen? Nein! Und abermals – nein!
Seit wann herrscht die Entfremdung zwischen ihnen? – Seitdem Gert Rosen in ihrem Hause aus und ein geht! – Nein! Bestimmt auch nicht! Sie bestand vorher schon zwischen ihnen. Nur das Auftauchen des Jugendfreundes hat den Riß noch vergrößert. Warum hat er nur so tatenlos zusehen können, wie dieser ungewöhnlich begabte und sympathische Mensch Angela immer mehr zu sich herüberzog?
Bis hierher ist er gekommen, der kluge und berühmte Mann. Er stöhnt aus tiefstem Herzen voller Qual auf.
Zu spät! – Furchtbar, dieses ›Zu spät‹! Ein Esel war er, ein ausgemachter Esel, sonst hätte ihm nicht geschehen können, daß es einem Gert Rosen gelang, unter seinen Augen das Herz seiner Frau zu erringen. Nicht einen Augenblick kommen ihm Zweifel, daß Angela diesen Menschen nicht liebt.
Und heute kommt die Entscheidung! Er weiß genau, Angela wird ihre Freiheit von ihm fordern. Und er wird sie ihr nicht verweigern, denn er liebt Angela. Er will nur ihr Glück. Angela hat das Glück nicht an seiner Seite gefunden, also hat sie es woanders gesucht – bei Gert Rosen, dem allseits beliebten Opernsänger.
Warum hat er ihn nicht gleich zu Beginn der häufigen Besuche aus dem Hause geworfen? – Aber dann hätte er ja Angela die einzige Freude nehmen müssen. Jörg Worminghaus unterbricht seinen Marsch durch das Zimmer und lehnt sich gegen das Fenster, die Hände auf dem Rücken zu Fäusten geballt. – Da geht es wie ein Ruck durch seinen Körper.
Angela kommt – seine Frau. Er spürt sein Herz bis zum Halse hinauf klopfen.
Die Entscheidung naht. Er gäbe sonst etwas darum, könnte er sie weit hinausschieben. Er, der Mann, der für klare Entschlüsse ist, fürchtet sich wohl zum ersten Male in seinem Leben vor einer Auseinandersetzung.
»Angela!«
Stöhnend birgt er das Gesicht in den Händen. Mein Gott! Was ist er für ein Jammerlappen geworden. Sogar seine Nerven hat ihm sein Beruf schon genommen.
Als wenig später die Oberschwester die junge Frau des Chefs ins Zimmer geleitet und es nach kurzem Gruß leise wieder verläßt, da hat Professor Worminghaus nach außen hin seine Fassung wiedergewonnen.
Nichts ist ihm von dem großen Kampf anzumerken, der soeben noch in seiner Brust getobt hat. Nur noch verschlossener wirkt sein markantes Gesicht, das Angela so unsagbar liebt und doch nur mit einem scheuen Blick zu streifen wagt.
»Bitte!« Er schiebt ihr einen bequemen Sessel zurecht. »Du gestattest wohl, daß ich stehen bleibe? Darf ich rauchen?«
Angela nickt. Die Kehle ist ihr wie zugeschnürt. ›Setz dich zu mir‹ – möchte sie bitten. ›Wenn du von dieser Höhe zu mir herabsiehst, komme ich mir noch kleiner und unbedeutender neben dir vor.‹ Aber sie wagt es nicht. Sie neigt wie in Demut das schöne dunkle Haupt und ahnt nicht einmal, wieviel brennende Liebe in dem Blick des Gatten liegt, mit dem er die gepflegte und liebliche Erscheinung Angelas betrachtet.
›Wahnsinn‹ – denkt er – ›was ich zu tun im Begriff bin. Warum gehe ich nicht einfach hin und reiße sie in meine Arme und an mein Herz? Könnte es nicht einmal wieder so werden zwischen uns, wie es war?‹
Stille lastet zwischen ihnen und legt sich beklemmend auf Herz und Gemüt.
›Wie soll ich bloß leben ohne Jörg‹ – sinnt Angela und preßt die feinen Hände im Schoß zusammen. ›Ich liebe ihn ja – Herrgott – ich liebe ihn! Ich werde elend zugrunde gehen – ohne Jörg.‹
Ein schmerzliches Stöhnen ringt sich von ihren Lippen, und wiederum geht ein Ruck durch Worminghaus’ hohe Gestalt.
»Verzeih, Angela, meine Gedanken waren –«
»Ich weiß, was du sagen willst: bei deinen Patienten«, fällt sie ihm bitter ins Wort, und sofort ist ihre weiche Regung erstorben.
»Nein, diesmal nicht, Angela.« Er lächelt fein. Aber das sieht sie nicht. Trotzig hält sie die Augen gesenkt.
»Ich habe dich zu mir gebeten, damit zwischen uns Klarheit wird.«
»Ja, Jörg, das möchte ich auch.«
Sie schnellt in die Höhe. Sie kann einfach nicht mehr still sitzen. Seine Ruhe und Gelassenheit, die doch nur erkünstelt sind, regen sie über alle Maßen auf.
Sie muß sich direkt bezwingen, ihm nicht alles ins Gesicht zu schleudern, was sich im Laufe der Zeit an Erbitterung in ihr gesammelt hat.
»Viel haben wir uns ja sowieso nicht mehr zu sagen. Bitte, mach es kurz.«
»Das stimmt nicht ganz, Angela.« – Da sind sie wieder, diese Ruhe und Überlegenheit, die sie haßt, daß sie am liebsten laut aufweinen möchte. Einmal nur, ein einziges Mal nur möchte sie diesen Mann schwach und hilflos sehen. Kein Laut kommt von ihren Lippen. Sie schaut ihn nur groß und erwartungsvoll an, und unter dem Blick dieser tiefdunklen Augen fällt es ihm noch viel schwerer, zu sagen, was gesagt werden muß. »Einiges haben wir uns doch noch zu sagen. Vor allem will ich vorausschicken: Ich gebe dich frei, Angela. Ich werde dir keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Ich werde alle Schuld auf mich nehmen und hoffe, daß du dann bald Gert Rosens Frau werden kannst.«
In ihren Augen steigt langsam das Entsetzen auf, und ihr ist, als greife eine eiserne Faust nach dem Herzen und presse es zusammen, langsam, ganz langsam. Jetzt ist diese schwere Faust an der Kehle und drückt sie zusammen.
»Angela!«
Mit einem Satz kniet Jörg Worminghaus neben der zusammengesunkenen Gestalt und reißt sie in seine Arme, trägt sie hinüber zu der breiten Couch und läßt sie, widerstrebend nur, auf das weiche Polster gleiten. Sekundenlang mißt er mit einem schmerzlichen Blick das bleiche, liebliche Antlitz. Jetzt diesen blassen Mund küssen dürfen! Da reißt er sich los, eilt ins nebenliegende Labor und kehrt mit Glas und Fläschchen zurück.
Seine Hände zittern so heftig, saß er den Inhalt des Glases noch einmal weggießen muß, da er in der Erregung zuviel Tropfen dem Wasser beigemischt hat. Aber das sieht Angela nicht. Sie liegt in tiefer Ohnmacht.
›Die Freude hat ihr die Besinnung geraubt‹ – denkt er, und die Erbitterung nimmt immer mehr Raum in seinem Herzen ein. ›So sehr freut sie sich, von mir loszukommen!‹
Er flößt ihr den belebenden Trunk ein und rückt sich einen Sessel neben ihr Lager. Er ist ganz in ihren Anblick versunken. Ihre Hand hält er in der seinen.
Langsam kehrt Angelas Leben zu-rück. Aber sie hält die Augen geschlossen. Und da setzt das Denken genau dort wieder ein, wo es sie verlassen hat.
Scheidung! – Und sie hat nur an eine vorübergehende Trennung gedacht. So gleichgültig ist sie ihm geworden? – Da kommt es wieder auf sie zu, dieses eiskalte Gefühl, und in den Ohren ein Sausen und Brausen.
Voll Besorgnis neigt er sich tiefer über die geliebte Frau, immer den Puls kontrollierend.
Da schrillt der Hausapparat hinter ihm. Er wagt sich nicht zu rühren. Alle seine Gedanken sind bei Angela.
Das Klingeln läßt nicht nach. Widerstrebend legt er Angelas Hand in ihren Schoß und eilt zum Schreibtisch.
»Worminghaus! Ich höre. Ist es denn so wichtig? Ich wollte unter keinen Umständen gestört sein. Gut! In zwei Minuten bin ich in der Aufnahme. Oberschwester, kommen Sie inzwischen hierher in mein Zimmer. Meine Frau – ein Unwohlsein, bitte!« setzt er leise hinzu, und dann hängt er den Hörer ein.
Eine tiefe Falte ist steil in seine Stirn gekerbt, wie immer, wenn er schwer nachdenken muß.
Hier seine Frau – drüben, wie es scheint, ein schwerer Fall.
Da taucht schon die Oberschwester neben ihm auf, die er nicht einmal hat kommen hören. Leise murmelt er einige Verhaltungsmaßregeln, streichelt noch einmal scheu über die eiskalte Hand Angelas, dann geht er. –
Er hat die Oberschwester mit keinem Blick gestreift, so ist ihm auch deren offensichtliche Verstörtheit entgangen.
Als er hinüber in die Aufnahme geht, ist es, als trüge er eine unsichtbare Last, er ahnt ja nicht, daß ihm noch Schwereres bevorsteht.
*
In der Aufnahme herrscht eine Unruhe, wie man sie sonst in dem Haus, in dem alles seinen wohlgeregelten Gang geht, nicht gewohnt ist. Sie schlägt Worminghaus sofort bei seinem Eintritt entgegen.
Dr. Schäfer, der Oberarzt und Dr. Geyer richten sich gleichzeitig auf und geben dem Chef den Blick auf die Bahre und auf den Verunglückten frei.
Worminghaus prallt zurück.
Vor ihm liegt – Gert Rosen.
Aber was ist aus dem jungen, blühenden Menschen geworden? Ein schmales, wachsbleiches Gesicht, die Nase spitz – vom Tode gezeichnet.
Wie angewurzelt verharrt der Professor an seinem Platz. Beide Ärzte blicken auf ihn, aber für ihn scheint die Umgebung – auch der Verunglückte – versunken zu sein. Er starrt unverwandt auf das elende Bündel Mensch – und doch ins Leere.
*
Unheimlich kommt Dr. Schäfer der Chef vor, und so wagt er, die Totenstille zu unterbrechen.
»Ich habe meine Diagnose bereits gestellt: Milz-Ruptur!«
Worminghaus bleibt stumm. Er fühlt, wie die Blicke der beiden Ärzte an seinem Munde hängen. Wie sie von ihm den Befehl erwarten:
»Sofort in den Operationssaal! Alles zur Operation vorbereiten! «
Statt dessen rührt Worminghaus sich nicht. Auch kein Befehl kommt aus seinem Mund.
»Herr Professor!« mahnt der Oberarzt leise.
Worminghaus strafft sich. Sein Mund ist fest zusammengepreßt und seine Backenmuskeln spielen. Keiner ahnt, was in ihm vorgeht. Langsam macht er auf dem Absatz kehrt und geht zur Tür. Von dorther sagt er mit rauher Stimme:
»Ich fühle mich außerstande, die Operation durchzuführen.«
Klapp! Die Tür ist hinter der hohen Gestalt ins Schloß geglitten. Er hinterläßt lähmendes Entsetzen und völlige Ratlosigkeit.
*
Angela Worminghaus streicht mit einer müden Gebärde die Locke aus der Stirn und läßt die Füße auf den Fußboden gleiten. –
»Ich danke Ihnen, Oberschwester. Sie können mich beruhigt allein lassen. Mir ist wieder ganz wohl. Ich erwarte hier meinen Mann.«
Oberschwester Elsbeth streift das blasse Gesicht der jungen Frau mit einem besorgten Blick, rückt die Kissen auf der Couch zurecht und geht nur zögernd zur Tür.
»Wollen Sie so freundlich sein und meinen Mann zu mir schicken?«
Langsam wendet sich die Oberschwester wieder um.
»Ich glaube, gnädige Frau, es wird eine Zeit dauern.«
Angela hebt matt die Hand, als wollte sie andeuten, daß sie es ja gewohnt sei, zu warten. Und die Oberschwester ist so ratlos wie noch nie in ihrem Leben. Soll sie der jungen Frau sagen und ihr schonend beibringen, daß Gert Rosen schwerverletzt eingeliefert wurde? Angela Worminghaus macht ihr einen so erbarmungswürdigen Eindruck, und auf der anderen Seite ist es kein Geheimnis in der Klinik, daß Gert Rosen der beste Freund des Hauses Worminghaus ist. Während sie noch mit sich kämpft, erhebt Angela Worminghaus sich entschlossen.
»Ich werde selbst nach meinem
Manne sehen. Vielleicht lohnt es sich nicht, zu warten.«
Zusammen verlassen sie das Privatzimmer, durchqueren den Empfangssalon und wollen eben in die Halle einbiegen, als zwei Wärter der Klinik mit der Bahre erscheinen. Oberschwester Elsbeth tut das Verkehrteste, was sie tun kann. Sie ergreift Angela erregt am Arm und bittet:
»Kommen Sie, gnädige Frau, das ist kein Anblick für Sie.«
Und sie versucht, die junge Frau in die Pförtnerloge zu ziehen.
»Aber Oberschwester, das sagen Sie ausgerechnet der Frau eines Arztes? Ja, meinen Sie denn, daß ich in Ohnmacht fallen würde?«
Doch kaum hat sie es ausgesprochen, als sie den Arm der Oberschwester krampfhaft umfaßt.
»Mein Gott«, stammelt sie und muß sich taumelnd gegen ihre Begleiterin lehnen. »Gert Rosen! Lassen Sie mich, bitte, lassen Sie mich.«
Sie reißt sich los und eilt auf den der Bahre folgenden Oberarzt Dr. Schäfer zu.
»Herr Doktor, was ist mit Herrn Rosen? Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit. Wo ist mein Mann? Haben Sie den Verunglückten schon untersucht? Was ist mit Gert Rosen?«
Ihre Fragen überstürzen sich. Aus ihren Augen springt förmlich Verzweiflung, so daß Dr. Schäfer sie einigermaßen konsterniert anblickt.
»Gnädige Frau, bitte, beruhigen Sie sich, Herr Rosen ist mit seinem Wagen verunglückt und wurde uns vor knapp einer Viertelstunde eingeliefert. Leider.«
»Was leider?« forscht sie, als er verstummt, weil er unschlüssig ist, ob er ihr die volle Wahrheit sagen soll. Doch da kommt ihm ein rettender Gedanke. »Gnädige Frau. Sie müssen uns helfen.«
Und während er sie beiseite nimmt, beginnt er eindringlich auf sie einzusprechen. Angela Worminghaus muß all ihre Kraft zusammennehmen, um nicht zusammenzubrechen. Alles verwirrt sich in ihr. Gert Rosen ihretwegen ins Unglück gerannt. – Es geht auf Leben und Tod. Ihr Mann ist der einzige, der helfen kann. Innerhalb einer Stunde muß die Operation vorgenommen werden, sonst verblutet der Kranke. Die Auseinandersetzung, die sie soeben mit ihrem Mann hatte…
»Mein Gott, was soll ich tun?«
»Ich bin völlig ratlos. Ihr Gatte will nicht operieren. Gehen Sie, gnädige Frau, zu ihm und bitten Sie ihn darum. Ich kenne ja auch seine Gründe nicht. Aber es ist ganz und gar absurd. Noch nie habe ich an dem Herrn Professor eine Schwäche bemerkt, und jetzt… Ich kann die Operation auch nicht vornehmen. Die Verantwortung ist zu groß für mich. Ich bin einfach nicht fähig dazu.«
›Und ich kann Jörg nicht darum bitten‹ – geht es ihr verzweifelt durch den Kopf. ›Ich kann es einfach nicht.‹
»Gibt es keinen anderen Arzt, der operieren kann, außer meinem Mann?«
»Gewiß, doch ehe dieser zur Stelle ist, kann der Patient schon verblutet sein.«
Angela lehnt sich wie schutzsuchend gegen die Wand. Die Augen hält sie geschlossen. Und wieder spricht der Arzt auf sie ein. Die Worte rauschen an ihrem Ohr vorbei. Nur das eine faßt sie: Sie muß zu Jörg gehen! Es handelt sich um ein Menschenleben.
Nein! – Niemals! Er würde sie auslachen, ja, er müßte ihr eigennützige Motive unterschieben.
›Aber ich muß zu ihm gehen. Es geht um ein Menschenleben!‹
Sie dreht sich entschlossen dem wartenden Arzt zu.
»Wo finde ich meinen Mann?«
»Gnädige Frau, ich lasse ihn sofort suchen. Warten Sie hier.«