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Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Ferdinand Ronald, Spitzen-Regisseur der Awa-Film-Produktion, von dem für gewöhnlich eine wohltuende Ruhe ausgeht in dem Betrieb, der mitunter einem Hexenkessel gleicht, jagt freudig erregt durch die Ateliers. »Haben Sie Frau Velden gesehen?« Schon an dem Ausdruck des Gefragten, der meist ratlos ist, erkennt er, woran er ist und stürmt weiter. Endlich stößt er auf Anna Wiesel, genannt das Wieselchen, die Garderobiere von Chris Velden. Er packt sie an den Schultern. »Zum Donnerwetter! Sie müssen doch wissen, wo Frau Velden sich aufhält.« »Sie – sie –«, stottert sie erschrokken, denn noch nie hat der Regisseur einen solchen Ton angeschlagen, »sie muß in ihrer Garderobe sein. Dort habe ich sie zuletzt gesehen.« »Danke«, murmelt er und hastete davon. Das Telegramm, das das Erscheinen James Maltons zur Premiere von »Verwehte Herzen« ankündigt, trägt er wie ein Fähnchen in der Hand. James Malton kommt extra aus London, um an der Premiere seines und Chris Veldens Film teilzunehmen. Daß er sein Kommen von dem Erscheinen Chris Veldens abhängig macht, stört Ronald weiter nicht. Chris Velden ist immer zur Stelle, wenn sie benötigt wird. Aber er muß ihr die freudige Nachricht sofort bringen. Sie muß es unbedingt wissen. Vor Chris Veldens Garderobentür stockt sein Fuß.
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Seitenzahl: 197
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Ferdinand Ronald, Spitzen-Regisseur der Awa-Film-Produktion, von dem für gewöhnlich eine wohltuende Ruhe ausgeht in dem Betrieb, der mitunter einem Hexenkessel gleicht, jagt freudig erregt durch die Ateliers. Wer ihm gerade in die Hände läuft, wird von ihm gefragt:
»Haben Sie Frau Velden gesehen?«
Schon an dem Ausdruck des Gefragten, der meist ratlos ist, erkennt er, woran er ist und stürmt weiter.
Endlich stößt er auf Anna Wiesel, genannt das Wieselchen, die Garderobiere von Chris Velden.
Er packt sie an den Schultern.
»Zum Donnerwetter! Sie müssen doch wissen, wo Frau Velden sich aufhält.«
»Sie – sie –«, stottert sie erschrokken, denn noch nie hat der Regisseur einen solchen Ton angeschlagen, »sie muß in ihrer Garderobe sein. Dort habe ich sie zuletzt gesehen.«
»Danke«, murmelt er und hastete davon. Das Telegramm, das das Erscheinen James Maltons zur Premiere von »Verwehte Herzen« ankündigt, trägt er wie ein Fähnchen in der Hand.
James Malton kommt extra aus London, um an der Premiere seines und Chris Veldens Film teilzunehmen. Daß er sein Kommen von dem Erscheinen Chris Veldens abhängig macht, stört Ronald weiter nicht.
Chris Velden ist immer zur Stelle, wenn sie benötigt wird. Aber er muß ihr die freudige Nachricht sofort bringen. Sie muß es unbedingt wissen.
Vor Chris Veldens Garderobentür stockt sein Fuß. Er weiß, Chris läßt sich hier nicht stören. Er klopft zaghaft, dann energischer.
Als keine Aufforderung zu hören ist, öffnet er die Tür. Die Garderobe ist leer. Merkwürdig leer und aufgeräumt, so als würde ihr Besitzer nicht mehr zurückkommen wollen. Sein Blick gleitet zum Toilettenspiegel. Langsam geht er darauf zu. Quer über die Scheibe steht mit Lippenstift geschrieben:
Ferdinand, ich habe mir Urlaub genommen. Ich brauche Ruhe, völlige Ruhe. Suche mich nicht. Zur rechten Zeit melde ich mich wieder. Chris.
Wie erschlagen sinkt er auf dem Hocker vor dem Spiegel nieder. Immer wieder liest er die für ihn bestimmte Nachricht.
Er fährt sich nervös über Stirn und Augen. Chris ist auf und davon? Ohne ihn von ihrem Plan zu unterrichten?
Du lieber Himmel! Und es ist alles für die Premiere vorbereitet! Er sieht die Schlange von Menschen vor sich, die alle eine Karte zur Premiere für den Awa-Film-Palast kaufen wollen. Sie wollen Chris Velden sehen. Allein ihretwegen kommen sie.
Wut und Empörung steigen in ihm auf. Er weiß wirklich nicht, was er tun soll. Vielleicht ist sie noch in ihrem Haus zu erreichen?
Er springt auf und eilt in sein Büro. Dann läßt er sich mit Chris Veldens Haus verbinden.
Er atmet auf, als er die Stimme der Zofe erkennt.
»Lidy«, schreit er in den Apparat. »Wo ist Frau Velden zu erreichen?«
»Frau Velden?« Er hört deutlich Erstaunen aus ihrem Ton. »Aber ich bit-
te Sie, Herr Ronald, sie ist doch im Atelier –«
»Ist sie eben nicht«, fällt er ihr unbeherrscht ins Wort. »Sie müssen doch wissen, wo sie sich aufhält. Sagen Sie mir die Wahrheit, Lidy. Wir brauchen Frau Velden heute abend zur Premiere. Was wissen Sie?«
»Nichts, Herr Ronald. Frau Velden ist überhaupt noch nicht aus dem Atelier heimgekehrt.«
»Danke, Lidy.« Ronald atmet hörbar auf. »Dann wird alles noch gut. Sie wird irgendwelche Besorgungen machen und dann heimkommen.« Sein Ton wird drängend und beschwörend. »Lidy, Sie müssen mich sofort anrufen, wenn die gnädige Frau eintrifft. Hören Sie?«
»Natürlich werde ich es der gnädigen Frau ausrichten.«
Ihre Antwort hört er nicht mehr ab. Er knallt den Hörer auf die Gabel. Sein Hemd ist schweißnaß vor Aufregung und klebt am Körper.
Er blickt auf die Uhr.
Keine Zeit mehr zum Telefonieren. Er muß zum Flughafen und James Malton abholen.
Hoffentlich kommt Chris rechtzeitig, denkt er unaufhörlich, während er in den leichten Mantel schlüpft, den Hut vom Haken reißt und zum Parkplatz stürmt, wo er seinen Wagen abgestellt hat.
Er fährt zum Flughafen. Das Gefühl, das ihn beherrscht, ist die Ahnung kommenden Unheils, das ganz allein ihn trifft.
*
Während Ferdinand Ronald verzweifelt nach einer Ausrede sucht, um Malton zu besänftigen, sitzt Chris Velden hinter dem Lenkrad ihres cremefarbenen Wagens. Sie hat das Verdeck zurückgeschlagen und läßt sich den Fahrtwind um die Ohren brausen.
Es ist ein wunderschöner Tag, ein Tag wie geschaffen, um in die Ferien zu fahren – und wenn es erzwungene Ferien sind.
Sie ist glücklich wie noch nie. Losgelöst vom Alltag, bereit, alles Schöne, das ihr begegnet, aus vollem Herzen zu genießen.
Zunächst wird sie sich Elfi holen, das reizende lebhafte Kind ihrer verstorbenen Schwester, und dann wird sie irgendwo seßhaft werden, wo es ihr gefällt.
Sie möchte jubeln, sie möchte singen. Nicht einen Gedanken schickt sie zu denen zurück, welchen sie mit ihrer Flucht in die Ferien Unannehmlichkeiten bereitet hat. Endlich einmal frei! Endlich sich einmal selbst gehören.
Chris Velden hat völlig abgeschaltet. Sie ist nichts als ein junger Mensch mit dem unbändigen Wunsch nach Ruhe und Erholung.
Sie meidet auf ihrer Fahrt auch die großen Städte. Sie liebt es, durch kleine Dörfer und Städchen zu fahren, über einsame, baumbestandene Landstra-ßen, vorbei an Waldstücken, sie atmet tief die reine, würzige Luft.
Eben hat sie wieder eines der idyllisch gelegenen Dörfer passiert, fährt vorbei an einem Teich, bewundert die Rosen, die auf einer stillen Wasserfläche schwimmen, und ist ganz entzückt von dem Bild.
Gerade in diesem Augenblick kommt von links aus dem Wald ein Reiter. Sie erschrickt so heftig, daß sie den Gashebel durchtritt und der Wagen förmlich einen Sprung nach vorn macht und an den nächsten Baum prallt.
Chris Velden fühlt einen heftigen Schmerz. Ihre Händen sinken vom Lenkrad, und ihr Kopf fällt vornüber.
Während der Motor weiterläuft, versinkt Chris in eine grundlose Tiefe. Sie ist ohnmächtig geworden.
*
Wartend geht Georg Hagen, Besitzer des Hagenhofes, auf der Sonnenterrasse hin und her.
Er wartet auf seine Hausdame. Endlich hört er ihren leichten Schritt.
»Karl hat soeben das Pferd vorgeführt«, meldet sie ihm. Er nickt ihr dankend zu und will an ihr vorüber ins Haus gehen.
»Herr Hagen«, bittet sie ihn, und sofort bleibt er stehen. »Sie sollten heute nicht allein bleiben. Sie sollten sich Gäste einladen. Gerade heute! Die Einsamkeit ist nicht gut für Sie, und immer nur arbeiten taugt auch nichts für einen jungen Menschen. Sie müssen Ihr Leid einmal vergessen.«
Er macht eine ungeduldige Handbewegung, und sofort schweigt sie. Sie weiß, er hört solche Worte nicht gern.
Aber sie kennt sein Leid. Wie eine Mutter hat sie mit ihm gelitten. Einmal war sie von Herzen froh, daß er in der Arbeit Vergessen fand. Doch jetzt meint sie, er übertreibe. Er lebt zu sehr das Leben eines Einsiedlers, dabei ist er gerade dreißig Jahre geworden.
Wortlos blickt er sie an, und da wagt sie weiterzusprechen:
»Sie sollten wieder heiraten, Herr Hagen.« Ihr Ton ist von reiner Mütterlichkeit getragen.
»Glauben Sie mir, Frau Irene, ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut. Und Gäste einladen? Wen denn, bitte? Soll ich sie mir vielleicht von der Straße auflesen?«
Sie legt die Hände zusammen und reibt die Flächen gegeneinander. »Ach, Herr Hagen, Sie haben so viel Freunde. Sie haben sie nur alle vergessen. Ein Anruf, und Doktor Brenner ist sofort da.«
Er entzündet sich eine neue Zigarette, an der er nervös zieht.
»Ja, der gute alte Joachim, ihn habe ich auch vergessen.« Er spricht gedankenverloren und wie zu sich selbst.
Georg Hagen durchquert die Halle und nimmt vor dem Portal sein Pferd in Empfang.
Merkwürdige Unruhe liegt über ihm. Er selbst spürt sie bis ins Herz hinein. Er reitet auch nicht zu den Feldern, sondern biegt in den Waldweg ein. Langsam läßt er sein Pferd traben.
Schließlich wird er sich seiner dunk-len Gedanken, die alle in die Vergangenheit gleiten, bewußt. Er wendet sein Pferd und reitet der Landstraße zu, diesmal im Galopp, und da wird er Zeuge, wie Chris Velden vor seinem plötzlichen Auftauchen die Gewalt über den Wagen verliert und an einen Baum fährt.
Im Nu ist er neben dem Wagen, springt vom Pferd und beugt sich über das dunkelhaarige Haupt der Verunglückten.
*
Belustigt betrachtet James Malton den berühmten Regisseur, unter dessen Leitung er sehr gern gearbeitet hat.
»Was ist denn los mit Ihnen?« fragt er und reicht über den Tisch hinweg Roland seine goldene Zigarettendose. »Sie machen einen recht nervösen Eindruck. Klappt etwas nicht?«
Mit einem tiefen Seufzer fährt Ronald sich durch das dichte Haar, greift zur Zigarette und nimmt Feuer entgegen.
»Nun?« erinnert Malton ihn, immer noch das amüsierte Lächeln um den gutgeschnittenen Mund.
»Chris Velden wird an der Pre-
miere nicht teilnehmen«, platzt er heraus.
»Nicht teilnehmen?« Malton zieht die Brauen hoch. »Verstehe ich nicht.«
»Frau Velden ist abgereist mit unbekanntem Ziel. Sie hat sich Urlaub genommen und keinen vorher verständigt, und das ausgerechnet vor der Premiere.«
»Sieh mal an«, entfährt es Malton. »So einfach geflohen?« Sein Gesicht nimmt einen enttäuschten Ausdruck an. »Das tut mir ehrlich leid, Ronald. Auf das Wiedersehen mit Frau Velden habe ich mich so sehr gefreut. Überhaupt bin ich nur ihretwegen gekommen. In London hätte ich wichtige Dinge zu erledigen.« Er nagt ärgerlich an seiner Unterlippe.
»Sie können es mir glauben«, nimmt Ronald die Unterhaltung wieder auf, »keiner hat von Frau Veldens Absicht gewußt.«
Malton nimmt einen Schluck aus seinem Glas und setzt es dann bedächtig ab. »Ja, was können wir noch unternehmen?«
Ronald zuckt mit den Achseln. »Nichts! Ich habe bereits alles getan.«
Malton sinnt vor sich hin, dann hebt er den Kopf. »Ja, mein Lieber, dann werde ich mich wohl allein dem Premierenpublikum stellen müssen. Schade, wirklich schade. Ich verehre Frau Velden sehr.«
Ronald wirft einen kurzen, mißtrauischen Blick auf den Schauspieler.
»Sie werden doch nicht Ihr Herz an ihr verloren haben?«
»Doch, habe ich«, gibt Malton unumwunden zu. »Aus diesem Grunde trifft es mich doppelt hart. Aber Sie werden weitersuchen, ja? Und Sie werden mich unterrichten? Gleich nach der Premiere muß ich mit dem nächsten Flugzeug starten.«
Heimlich atmet Ronald auf. Er hat sich diese Unterhaltung weitaus schlimmer vorgestellt. Betroffen hat ihn allerdings die Nachricht, daß Malton Chris Velden liebt.
»Haben Sie Angst, ich werde Ihnen Ihre beste Schauspielerin wegholen, weil Sie mir nicht antworten?«
Ronald trommelt nervös mit der Hand auf den Tisch. »Lieber Malton, wenn Chris Velden Sie liebte, könnte ich sie mit tausend Banden nicht halten. Davon bin ich überzeugt. Natürlich werde ich sie suchen. Schließlich haben wir einen Vertrag.«
Ehrlich erfreut streckt Malton dem Regisseur die Hand über den Tisch hinweg zu. »Ich danke Ihnen, Ronald, und ich verlasse mich auf Sie.«
Die beiden Herren unterhalten sich noch eine halbe Stunde, dann verläßt Ronald das Appartement des Schauspielers. Es wartet noch andere Arbeit auf ihn.
*
Allmählich kehrt Chris Velden aus tiefer Bewußtlosigkeit in die Wirklichkeit zurück. Sie versucht, den Kopf ein wenig zu heben und sinkt mit einem Schmerzenslaut sofort zurück.
Die tiefblauen Augen wandern umher. Verwundert mustert sie die ihr völlig fremde Umgebung. Diesen weiten, sonnendurchfluteten Raum mit den gemütlichen Sitzecken, den Glasvitrinen mit wertvollem Inhalt, die kostbaren Teppiche.
»Wie geht es Ihnen?« Ein paar helle, zwingende Augen sind auf sie gerichtet. Ein schmales, rassiges Gesicht neigt sich etwas zu ihr.
»Was – was ist denn los mit mir?« flüstert sie leise. Ihre Hand tastet dabei nach dem Kopf. Sie fühlt einen Verband, und da weiß sie Bescheid. »Ich bin verunglückt, nicht wahr?«
»Ja«, hörte sie eine warme, sonore Männerstimme. »Und ich trage die Schuld daran. Mein Pferd hat Sie erschreckt –«
Schon eine ganze Weile, seit der Arzt das Haus verlassen hat, betrachtet er dieses schöne, bezaubernde Frauenantlitz. Er sieht das erschrockene Gesicht seiner Hausdame vor sich, als er mit der Fremden auf dem Arm das Haus betrat. Trotz des Unglückes mußte er über den bekümmerten Ausdruck ihres Gesichtes leise auflachen.
»Sehen Sie, Frau Irene«, hat er ihr leise zugeflüstert, »nun habe ich mir tatsächlich einen Gast von der Straße aufgelesen.«
»Ich rufe sofort den Arzt, Herr Hagen«, hat er von ihr gehört, dann lief sie zum Telefon, während er die Frau im Terrassenzimmer auf die weiche, breite Couch bettete.
Und nun ist er abermals mit ihr allein. Während ihrer tiefen Bewußtlosigkeit hat er jeden Zug in diesem zarten, ebenmäßigen Antlitz studiert. Selten hat er eine so schöne Frau gesehen. Dagegen verblaßt sogar Ediths Bild.
Selbst der Hausarzt hat seine polternde Art gemäßigt, als er die Verletzte vor sich sah. Stumm und geschickt hat er die Stirnwunde verbunden.
»Es wird keine Narbe zurückbleiben«, meint er zu dem danebenstehenden Hagen. »Wäre schade um so viel Schönheit.«
Ob sie wieder ohnmächtig geworden ist? überlegt Hagen. Just in diesem Augenblick schlägt sie die Augen auf. Es sind zwei tiefblaue Sterne, die sein Gesicht erforschen.
»Ich bereite Ihnen wohl sehr viel Unannehmlichkeiten?«
Ihre Stimme ist von einem seltenen Wohllaut. Stundenlang möchte er ihr lauschen.
»Überhaupt nicht«, erwidert er hastig. »Sie müssen aber Ruhe haben. An eine Weiterfahrt ist vorläufig nicht zu denken.«
»Oh, wie schade«, murmelt Chris Velden und denkt an Elfi und an die Heimleiterin. Sie hat ihren Besuch angekündigt. Und nun liegt sie hier bei einem völlig fremden Mann in einem ihr fremden Haus.
»Machen Sie sich Sorgen?« Seine Stimme klingt teilnehmend. »Kann ich Ihre Angehörigen benachrichtigen?«
»Ich – ich bin alleinstehend. Nur – nur…« Sie verstummt. In ihre Augen tritt Angst.
Er läßt sich neben ihrem Lager nieder und ergreift ihre Hand. Eine schmale, edelgeformte Hand.
»Sie dürfen sich mir ruhig anvertrauen. Gestatten, Georg Hagen«, stellt er sich vor. »Und Sie befinden sich auf dem Hagenhof. Was kann ich für Sie tun?«
Ihre Augen wandern umher. »Meine Tasche«, flüstert sie, und sofort erhebt er sich und nimmt sie vom seitlich stehenden Tisch, um sie ihr in die Hand zu drücken.
Ihre Hände zittern, so sehr sie sich auch zusammenreißt. Sie holt ein Notizbuch hervor und reicht es ihm. »Sie finden eine Telefonnummer auf dieser Seite. Bitte, rufen Sie an. Es meldet sich ein Kinderheim. Verlangen Sie die Heimleiterin, und sagen Sie ihr, daß ich später komme, um meine Nichte zu holen. Man erwartet mich.«
»Gern«, sagt er bereitwillig und geht sofort zum Telefon. Chris Velden hört seine Stimme, hört, was er spricht. Die Verbindung ist schnell hergestellt. Enttäuscht läßt sie sich tiefer in das Kissen sinken. Arme Elfi! Sie wird gezappelt haben, und nun wird das Kind bitter enttäuscht, genauso wie sie selbst. Dann überrascht sie sich dabei, daß sie gar nicht mehr auf seine Worte, vielmehr auf seine Stimme lauscht, diese sonore eindrucksvolle Stimme, die so gar nicht zu den tiefernsten, ja, harten grauen Augen paßt.
»So«, sagt er und nimmt seinen Platz neben ihr wieder ein. »Das wäre erledigt. Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«
»Danke«, flüstert sie. »Ich hätte nur gern gewußt, wie lange ich Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen muß.«
Ein flüchtiges Lächeln geht über seine Züge. »Es ist Ihnen wohl sehr unangenehm?«
Aus ihren großen tiefblauen Augen blickt sie ihn unverwandt prüfend an. Er hält diesem Blick stand. Nicht mit der Wimper zuckt er. Etwas hat die Fremde in ihm berührt, aber er möchte es nicht einmal vor sich selbst eingestehen.
»Ja, auch das«, gibt sie ehrlich zu. »Aber in erster Linie bin ich in Sorge um meine kleine Nichte. Sie hat sich so sehr auf meinen Besuch gefreut. Wir wollten gemeinsam Ferien machen.«
»So ist das«, erwidert er nachdenklich, ohne sie aus den Augen zu lassen. Ein selten schöner Paradiesvogel ist ihm da ins Haus geflattert. Ehrlich gibt er das zu, denn er liebt alles, was schön ist und das Auge erfreut, und diese Frau ist eine Augenweide.
Georg, du bist verrückt, ruft er sich zur Ordnung. Und dann überlegt er, wie er ihr helfen kann.
Dann läßt der sonst so besonnene Mann sich zu einem Impuls hinreißen.
»Wie wäre es, wenn wir Ihre Nichte hierher holen? Mein Besitz ist groß genug, als daß darin nicht noch ein Kind Platz hätte. Nun, einverstanden?«
»Das geht doch nicht.« Vor freudigem Schreck steigt in ihre zarten Wangen leichtes Rot. »Sie kennen noch nicht einmal meinen Namen –«
Jetzt lachte er auf. »Aber, meine Gnädigste, das ist doch wohl schnell nachzuholen. Bisher waren Sie ja ohnmächtig und konnten ihn nicht nennen!«
Elfi hierherholen, überlegt sie. Das wäre wunderbar. Ihre Blicke wandern umher. Weit sind die Terrassentüren geöffnet. Die Sonne malt lustige Kringel auf den Marmorboden und huscht über den Teppich. Auf einem großen Gemälde, das seine dunkelhaarige schöne Frau darstellt, bleiben ihre Augen haften.
Er folgt ihrem Blick. »Oh«, kommt es bewundernd von ihren Lippen. »Ihre Frau Gemahlin?«
Eine kleine peinliche Pause tritt ein. Dann steht er unvermittelt auf. Schroff sagt er. »Ja!« Er geht hinüber zu dem wunderbaren Gemälde, streicht über die Blumen in der Kristallvase und dreht sich dann mit einem Ruck zu ihr um. »Meine Frau ist tot. Heute ist ihr Todestag.« Ihren kleinen erschreckten Laut übergeht er. »Sie hat sich eingebildet, eine große Schauspielerin zu sein und ist mir davongelaufen. Trotz meiner Liebe konnte ich sie nicht halten. Das Theater zog sie an wie das Licht die Motten. Ich blieb allein zurück, wurde verbittert und einsam. Und dann traf ein Telegramm ein. Es kam aus Paris. Die Adresse war eine Straße in einem Vorort. Sofort machte ich mich auf den Weg. Ich traf nur noch eine Tote an, in einer armseligen Umgebung. Ich wollte ihr vergeben, sie gesund pflegen lassen. Zu spät. Als Tote nahm ich sie mit zurück. Sie ruht in der Familiengruft.«
Wieder dieses qualvolle Schweigen, in dem Chris Veldens Herz hämmert, als müßte es ihr zum Hals herausspringen. Schnell fährt er fort:
»Seither lebe ich als Einsiedler. Die Arbeit hat mich über alles hinweggebracht. Nur etwas hat sie nicht fertiggebracht, mir den Haß zu nehmen, gegen alles, was mit Theater und Film zusammenhängt.«
Er spricht ins Leere, ohne die schöne Frau auf der Couch zu beachten. So bemerkt er auch nicht ihr Zusammenzucken. Sie sinnt dem Gehörten nach. Alles, was Theater heißt, haßt er. Also wird er auch sie hassen, wenn sie ihm sagt, wer sie ist. Sie darf ihren Künstlernamen nicht nennen.
»Verzeihen Sie.« Mit düsterer Miene kehrt er an ihr Lager zurück. »Ich weiß gar nicht, wie ich dazu komme, Ihnen, der fremden Frau –«
»Mein Name ist Christine Velding«, wirft sie rasch ein. Er macht eine kleine Verbeugung. »Sie brauchen sich wirklich nicht wegen Ihrer Mitteilsamkeit zu entschuldigen. Es gibt eben Augenblicke, in denen man sich das Herz freisprechen muß.«
»Vielleicht«, meint er gedankenvoll. Sein Auge streift nunmehr das Bild mit keinem Blick mehr. Er stellt sich wieder ganz auf die kranke Frau ein. »Wie ist das nun? Möchten Sie Ihre Nichte hier haben?«
Ihre Augen strahlen. »Doch, das möchte ich schon. Nur – kann ich das überhaupt annehmen?«
»Es wird Ihnen bestimmt bei mir gefallen. Sie kennen meinen Besitz noch nicht. Für Kinder ist er ein Paradies. Wenn Sie erst aufstehen dürfen, können Sie sich alles ansehen. Bis dahin hat es wohl noch Zeit, oder?«
»Gewiß«, versichert sie eifrig, und der Gedanke, die Gastfreundschaft dieses Hauses mit Elfi zusammen in Anspruch zu nehmen, hat etwas Verlockendes an sich. Grübelnd lehnt sie den Kopf mit dem schwarzglänzenden Haar tief in das weiche Kissen, schließt die Augen und läßt die Ruhe auf sich wirken.
Unter halbgeschlossenen Lidern beobachtet Georg Hagen die Frau. Stundenlang könnte er so sitzen und jeden Zug in diesem feingezeichneten Antlitz studieren.
Christine Velding heißt sie. Ob sie wohl verheiratet ist? Ob sie einen Beruf hat, da sie von Ferien spricht?
Merkwürdig! Eine Stunde kann einschneidend auf das Leben eines Menschen wirken. Vorher war tiefe Einsamkeit um ihn, wenn auch eine selbstgewählte, und jetzt gibt es eine Frau, um die er sich sorgt, und die den Wunsch in ihm weckt, sie zu beschützen.
*
Ferdinand Ronald hat nach einer gelungenen Premiere und anschließendem Festessen den Schauspieler Malton zurück zum Flughafen gefahren.
Am Rande der Stadt im Grünen bewohnt er ein kleines, aber hochmodernes Haus, von einem der bekanntesten Architekten erbaut.
Es ist spät, und doch sieht er im ersten Stock zwei Fenster leuchten. Rasch bringt er den Wagen in die Garage und sperrt das Haus auf. Leise steigt er die Treppe empor
Behutsam öffnet er die Tür, hinter der er das Licht gesehen hat. Er betritt ein Schlafzimmer, in lichten, freundlichen Farben gehalten.
»Ingeborg«, flüstert er und tritt auf Zehenspitzen näher. Er sieht ein blasses, von Krankheit gezeichnetes Gesicht, umrahmt von schwerem goldblondem Haar, das über das weiche Kissen rieselt.
Wie stets, wenn er an das Lager seiner kranken Frau tritt, zieht sich ihm das Herz zusammen. Er hat sie einmal unsagbar geliebt. Auch nach dem Unfall auf der Bühne noch. Aber nach und nach ist tiefes Mitleid daraus geworden. Seine ganze Fürsorge gilt ihr. Alle erdenkliche Erleichterung verschafft er ihr.
Er möchte sie in seinem Leben nicht missen. Sie ist ein Teil seiner selbst geworden. Trotz ihrer Schmerzen, die sie mitunter unsagbar quälen, nimmt sie an seinem Schaffen vom Bett aus größten Anteil. Was er ihr nicht selbst erzählt, läßt sie sich von ihrer Pflegerin Maria berichten.
Immer wenn er sein Haus betritt, hat er das Gefühl, aus dem nervenaufreibenden Getriebe seines Berufes auf eine Insel des Friedens zu kommen.
»Endlich, Liebster!«
Er küßt sie zärtlich und rückt sich einen Hocker herbei.
»Es ist spät geworden, Ingelein. Habe ich dich aus dem Schlaf gerissen? Nur wissen wollte ich, wie es dir heute gegangen ist. Nicht einmal zu einem Telefongespräch hat meine Zeit ge-
langt.«
Sie preßt ihre schlanken Finger um seine Hand. »Das macht nichts, Ferdi-nand. Hauptsache, es ist alles glatt verlaufen.«
Bedrückt bleibt er seitwärts, und sofort wird sie hellwach.
»Hast du Sorgen?«
Er beugt sich über ihre Hände und drückt einen Kuß darauf.
»Ich hatte Sorgen. Jetzt ist alles vorbei. Chris Velden hat mich bei der Premiere im Stich gelassen, aber Malton hat es mit Fassung ertragen. Ihretwegen ist er eigentlich zur Premiere gekommen.«
»Im Stich gelassen?« Ihre Augen weiten sich vor Staunen. »Das kann ich von Chris kaum glauben.«
»Sie ist auf und davon. Hat sich einfach Ferien genommen«, berichtet er weiter.
Sie lächelt leicht vor sich hin. »Ferdinand, hat sie nicht das Recht, sich einmal Ruhe zu gönnen?«
Wieder haucht er über ihren Handrücken. »Du findest doch für alles eine Entschuldigung. Nun ja, ich gebe zu, ich habe ein tolles Tempo in letzter Zeit gehabt, aber ich werde schließlich auch getrieben.«
Sie streichelt zart über seine Hand hin. »Dann solltest du auch Ferien haben«, schlägt sie vor.
Er lacht bitter auf. »Ich kann mir keine Ferien gönnen, Ingelein –«
»Und wenn du einmal nicht mehr da bist, muß es auch ohne dich gehen«, fällt sie ihm schnell ins Wort. »Du siehst doch, ich war einstmals auch eine berühmte Künstlerin, und wie schnell hat man mich vergessen. Es geht auch ohne mich.«
»Liebes!« Er legte den Arm um ihre schmalen Schultern. »Ich brauche dich. Das weißt du doch.«
Glückselig sieht sie zu ihm auf. Wie sehr sie ihn liebt, seine Güte, seine unendliche Geduld. Sein Glück ist auch ihr Glück. Ein weher Schmerz zuckt in ihrem Herzen. Wenn sich das sein nun einmal einer anderen Frau zuwendet? Lieber Gott! Ich weiß nicht, ob ich das ertragen könnte. Ich würde aus seinem Leben gehen. Ganz bestimmt.
Er drückt sie fester an sich. »Du bist ganz blaß geworden, Liebes. Willst du nicht lieber schlafen? Soll ich ge-
hen?«
Sie schmiegt sich innig in seinen Arm. »Nein!« haucht sie mit geschlossenen Augen. »Bleibe nur ein wenig bei mir, bitte.«
Er nickt und bettet sie bequemer in seinen Arm. Wortloses Einverständnis herrscht zwischen ihnen.
Nein! Ferdinand werde ich nie eine Last sein, denkt sie, und ihr Atem wird ruhiger. Müdigkeit überkommt sie.
»Ich – ich liebe dich, Ferdinand«, haucht sie und ist im nächsten Augenblick eingeschlafen. Er rührt sich nicht, um sie ja nicht zu wecken.
Lange sitzt Ronald in dieser Haltung. Leise tickt die Uhr auf dem Nachttisch. Schließlich fallen auch ihm die Augen zu. Er versinkt in einen leichten Dämmerschlaf.
*