Kannst du mir verzeihen? - Karin Bucha - E-Book

Kannst du mir verzeihen? E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Geschieden! Beide schuldig geschieden! Brigitte Markhoffs Kopf sank tief auf die Brust. Sie hatte jeden Sinn für ihre Umgebung verloren. Ihre Hände umkrampften das harte Holz der Bank, auf der sie noch immer saß. Erst als ihr Anwalt zu ihr trat, besann sie sich. »Was ist mit dem Kind, Herr Doktor?« fragte sie angsterfüllt. schien, als wäre plötzlich wieder die alte Leidenschaft, mit der sie in dem Ehescheidungsprozeß um das Kind gekämpft hatte, in ihr erwacht. »Was ist mit meinem Kind?« »Das Kind wurde Ihnen zugesprochen!« »Großer Gott – ich danke dir«, sagte sie leise und lehnte sich aufatmend zurück. Der Schein eines Lächelns irrte um ihren Mund. Nun gehörte das Kind ihr, ihr ganz allein! Das kleine, empfindsame Seelchen blieb in ihrem Schutz. »Ihrem Mann steht aber das Recht zu, das Kind von Zeit zu Zeit zu sehen«, unterbrach der Anwalt Brigittes Gedanken. Mechanisch nickte sie. Was bedeuteten ihr diese Worte in dem berauschenden Glücksgefühl!

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Karin Bucha Classic – 21 –

Kannst du mir verzeihen?

Karin Bucha

Geschieden!

Beide schuldig geschieden!

Brigitte Markhoffs Kopf sank tief auf die Brust. Sie hatte jeden Sinn für ihre Umgebung verloren.

Ihre Hände umkrampften das harte Holz der Bank, auf der sie noch immer saß. Erst als ihr Anwalt zu ihr trat, besann sie sich.

»Was ist mit dem Kind, Herr Doktor?« fragte sie angsterfüllt. Es

schien, als wäre plötzlich wieder die alte Leidenschaft, mit der sie in dem Ehescheidungsprozeß um das Kind gekämpft hatte, in ihr erwacht. »Was ist mit meinem Kind?«

Behutsam legte der Anwalt seine Hand auf den Arm der jungen Frau und sagte gütig:

»Das Kind wurde Ihnen zugesprochen!«

»Großer Gott – ich danke dir«, sagte sie leise und lehnte sich aufatmend zurück. Der Schein eines Lächelns irrte um ihren Mund. Nun gehörte das Kind ihr, ihr ganz allein! Das kleine, empfindsame Seelchen blieb in ihrem Schutz.

»Ihrem Mann steht aber das Recht zu, das Kind von Zeit zu Zeit zu sehen«, unterbrach der Anwalt Brigittes Gedanken.

Mechanisch nickte sie. Was bedeuteten ihr diese Worte in dem berauschenden Glücksgefühl! – Ursula gehörte ihr! Nun gab es doch einen Lebensinhalt für sie: Ursula! All ihre Liebe und Sehnsucht umschloß dieser Name, war auch ihr Traum von Liebe, Glück und Treue jäh zerbrochen.

Weiter konnte sie nicht denken. Ein Krampf preßte ihr das Herz zusammen. Sie neigte den Kopf mit dem rostbraunen Haar, das wie eine Krone über der Stirn schimmerte. Ihre Schultern zuckten von Schluchzen. Stärker als je zuvor traf sie der Schmerz und die Verzweiflung über ihr junges und doch schon so verfehltes Leben. Heute hatte sie die letzten Ideale, mit denen sie in die Ehe gegangen war, begraben müssen. Man hatte ihr Herz mit Füßen getreten und bitteres Leid in ihre Seele gesenkt.

Fassungslos stand der Anwalt vor Brigitte. Er ahnte ja nicht, was in der wunden Seele der Frau vorging, sondern glaubte vielmehr, sie müsse froh sein, endlich von der Qual ihrer Ehe befreit zu sein. Leise besänftigend bat er:

»Frau Markhoff, fassen Sie sich!«

Brigitte aber weinte weiter, hemmungslos.

»Frau Markhoff!«

Allmählich wurde das Weinen leiser, das an den Schmerz eines hilflosen Kindes erinnerte. Endlich hob sie das tränennasse, schöne Gesicht zu dem Anwalt auf und trocknete hastig die Augen. Ihre Lippen bebten, als sie, wie zu sich selbst, sagte:

»Das also ist das Ende einer großen Liebe!«

Dr. Reger sah das tiefe Leid, geboren aus zerschlagenen Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen, das dem bleichen, feinen Frauenantlitz seinen harten Stempel aufgedrückt hatte. Er sah den Zug, der um den blassen, schöngeschwungenen Mund gegraben war, und war voll des Mitgefühls für die Frau, die sich die ganze Zeit so überaus tapfer gehalten hatte.

»Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden, könnte ich Sie nach Hause begleiten«, schlug er ihr vor.

Heftig abwehrend schüttelte sie den Kopf.

»Danke, Herr Doktor, ich finde allein heim. Allein werde ich ja nun auch meinen Weg durchs Leben gehen müssen.«

»Sie haben Ihr Kind, Frau Markhoff!« mahnte Dr. Reger und nahm die eiskalte Hand der jungen Frau.

»Ja, ich habe mein Kind, meine Ursula.« Plötzlich drückte sie heftig die Hand des Anwalts. »Und Ihnen habe ich das zu danken, Ihnen ganz allein.«

Reger wehrte ab. »Weil Sie bewiesen haben, daß Sie stets der Hüter der kleinen Kinderseele waren.«

In einem sie jäh anfallenden Angstgefühl schloß Brigitte die Augen und flüsterte: »Aber das Urteil, Herr Doktor! Das Gericht hat mich als mitschuldig verurteilt.«

Der Anwalt hob leicht den Kopf.

»Das ist mir mehr als unverständlich. Aber die Zeugen, die Ihr Mann aufmarschieren ließ, haben ja geradezu von dem liebenswürdigen, höflichen und tüchtigen Fred Markhoff geschwärmt, und nicht einer hat etwas Nachteiliges über ihn ausgesagt. Gegen seelische Marter gibt es eben leider bei uns noch keine Paragraphen. Belastend war allerdings der erwiesene Leichtsinn und das fehlende Verantwortungsgefühl Ihres Mannes.«

Und seine immerwährende Untreue, seine Gefühlsrohheit und sein Hang zum Sadismus – setzte Brigitte in Gedanken hinzu. Laut sagte sie: »Ja, die Liebenswürdigkeit Fred Markhoffs, die bestechende Höflichkeit! Ihretwegen wurde ich gezwungen, eine Schuld zu büßen, an der ich keinen Anteil habe.« Mit harter Stimme sprach sie weiter: »Aus! Vorbei! Die Hauptsache ist, daß ich in Zukunft mit meinem Kind allein bin.«

Der Anwalt sah ernst hinter der schlanken Frauengestalt her. Ihm schien, als trüge sie eine unsichtbare Last auf ihren schmalen Schultern.

*

Mit müden Schritten stieg Brigitte die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie war am Ende ihrer seelischen Kraft. Jeder Nerv in ihr bebte, und ihr Herz schlug rasend. Geschieden! Das Wort klang ihr wie ein höhnender Schrei in den Ohren. In der Wohnung empfing sie bedrückende Stille. Ihr Kind hatte sie schon vor Wochen zu den Eltern gegeben, damit Ursula nicht mit in den bösen Streit hineingezogen wurde.

Aber nun war sie frei, endgültig frei, und die Sehnsucht nach Ursula, dem lieben, herzigen Geschöpf, wurde übermächtig in ihr.

Brigitte ging ins Schlafzimmer, warf sich auf das Bett und schloß die Augen.

Aus dieser seelischen und körperlichen Erschöpfung schreckte sie ein Geräusch. Sie richtete sich jäh auf und lauschte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Tür wurde geöffnet und Schritte, die ihr das Blut in den Adern stocken ließen, kamen den Korridor entlang. Jetzt machten sie vor der Tür ihres Schlafzimmers halt.

Fred! Fred war gekommen, seine Koffer zu holen!

Mit einem Ruck hatte sie sich erhoben. Aber die Kräften drohten sie zu verlassen, und es wurde ihr nicht leicht, die sie anfallende Schwäche zu überwinden.

Da wurde auch schon die Tür aufgerissen – Fred Markhoff stand im Zimmer.

Alles schien sich um Brigitte zu drehen. Nur langsam ließ die wahnsinnige Erregung nach.

»Was willst du bei mir? Du hast kein Recht, hierher zu kommen!«

»Meine Koffer will ich holen, sonst nichts!« entgegnete Markhoff höhnend.

Sie hob die Hand und wies auf die Tür.

»Du weißt genau, wo du sie findest. Bei mir jedenfalls nicht. Bitte, laß mich allein!«

Markhoff trat ein paar Schritte zurück, aber er ließ die schlanke, zitternde Frau nicht aus den Augen. Wie schön sie war!

»Vielleicht will ich auch noch etwas anderes von dir«, sagte er gedehnt.

In ihren Augen flatterte Entsetzen auf.

»Zwischen uns gibt es keine Gemeinschaft mehr!«

»Du irrst!« lachte er, und dieses Lachen, mit dem er ihr Schimpf über Schimpf angetan hatte, jagte ihr eisige Schauer über den Rücken. »Du vergißt das Kind! Wo steckt Ursula überhaupt?«

Brigittes weit geöffnete Augen sahen zur Seite. Machte sich nicht schon jetzt die Kette bemerkbar, die ihr das Schicksal und der heutige Urteilsspruch angelegt hatten?

»Bei meiner Mutter«, sagte sie widerwillig. Voller Abscheu wandte sie sich dem Fenster zu. Plötzlich fuhr sie herum. »Du wirst doch nicht etwa so taktlos sein und zu meinen Eltern gehen, um dort das Kind zu sehen?«

Er wich ihren Blicken aus. Lässig griff er in die Brusttasche und entnahm dieser seine Zigarettendose. Spielerisch drehte er sie zwischen den gepflegten Fingern.

Brigitte sah auf seine weißen Hände. Sie haßte diese Hände, die alles zerstörten, was sie ergriffen.

»Vielleicht, ich weiß noch nicht«, erwiderte er zögernd und sah mit halbgeschlossenen Lidern auf die Frau, die er plötzlich wieder begehrte.

Hastig trat er ein paar Schritte auf sie zu.

»Brigitte, warum hast du so wenig Verständnis für meine Schwächen gehabt? Warum kämpftest du nicht gegen den Leichtsinn, der mir nun einmal im Blut sitzt?«

Einen Augenblick starrte sie den Sprecher atemlos an. Maßloser Zorn wallte in ihr empor. Ihre Augen blitzten ihn verächtlich an.

»Warum ich kein Verständnis für deine Schwächen gehabt habe?« wiederholte sie und ballte die Hände. »Weil ich so nicht weiterleben konnte! Menschen wie dir, die noch Rücksicht für ihren Leichtsinn verlangen, die in ihre Schwächen verliebt sind, ist nicht zu helfen. Du hast ein Kind in die Welt gesetzt, ohne dir der Pflichten bewußt zu sein, die du damit auf dich nahmst! Du hättest sogar gewissenlos das Leben deines Kindes gefährdet, wenn ich nicht ein Ende unserer Ehe herbeigeführt hätte. Du taugst nicht zum Ehemann.«

Erschöpft hielt Brigitte inne. Furcht vor den drohenden Augen des Mannes griff an ihr Herz. Doch gleich warf sie den Kopf stolz in den Nacken. Nein, frei war sie, innerlich frei, und es schaffte ihr unendliche Erleichterung, ihm ihre ganze Verachtung ins Gesicht schleudern zu können. Kalt wies sie zur Tür.

»Geh! Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege nie wieder.«

Mit aschfahlem Gesicht und fliegenden Händen versuchte Markhoff, sich eine Zigarette anzuzünden. Es gelang ihm nicht. Irgendwie war er von den harten Worten tief getroffen. Aber er suchte die Schuld nicht bei sich.

»Du wirst noch sehr oft von mir hören«, schrie er boshaft. »Ich werde Ursula besuchen, wann ich will, und für diese Worte werde ich mich hundertfach an dir rächen. Du wirst noch einmal an diese Stunde denken.«

Den Oberkörper nach vorn geneigt, lauschte Brigitte auf die Schritte, die sich nach der Haustür entfernten.

Dann wurde sie zugeschlagen, und damit fiel auch die Lähmung von Brigitte.

Mit einem Wehlaut sank sie in sich zusammen.

*

»Mami – Mami!«

Brigitte Markhoff blieb stehen. Sie hatte eben den Garten des väterlichen Hauses betreten und die Tür leise ins Schloß klappen lassen, als sie die helle, jubelnde Stimme ihrer Tochter vernahm.

»Ursula!«

Sie neigte sich hinab und öffnete weit die Arme, um die kleine Gestalt in dem duftigen weißen Kleidchen aufzufangen, die atemlos auf sie zugestürmt kam.

»Mami! Meine gute Mami! Endlich bist du da! Nimmst du mich nun mit heim?«

Der eiserne Ring, der sich um Brigittes Herz gelegt hatte, schien zu zerspringen. Alles Bedrückende löste sich. Eine Tränenflut spülte es hinweg, während sie ihr Gesicht fest an die weiche Wange des Kindes drückte und den zarten Körper an sich preßte.

»Ursula – mein Liebling!«

Bestürzt faßten die zierlichen Finger des Kindes nach Brigittes Gesicht.

»Du weinst, Mami – du bist traurig?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Es sind Freudentränen«, flüsterte sie bewegt. »Ich nehme dich mit, Ursula. Nun bleiben wir für immer beisammen, du und ich!«

»Und Vati?« fragte Ursula mit kindlicher Unbekümmertheit.

»Vati?« Hilfesuchend hob Brigitte den Blick zu der schlanken dunkelgekleideten alten Dame, die dem Kind langsam gefolgt war. Sie wußte nicht, inwieweit die Mutter Ursula aufgeklärt hatte. Sie wußte auch nicht, wie sie dem Kind die Änderung der Verhältnisse klarmachen sollte.

Aber Frau Kläre Freier enthob Brigitte vorläufig der peinlichen Beantwortung dieser Frage, indem sie Ursula aus den Armen der Mutter löste.

»Lauf schnell zum Opa, Ursel, und sag ihm, daß Mami gekommen ist! Er hält auf der Terrasse ein Mittagsschläfchen.«

Gehorsam nickte Ursula, drückte aber schnell noch einmal ihre zarten Lippen auf die Wange der Mutter. Auch deren Hand gab sie nur ungern frei. Beinahe krampfhaft hielt sie sie umschlossen, und Brigitte war es, als ströme von der kleinen zarten Kinderhand so viel Wärme aus, daß sie es bis zum Herzen zu spüren vermeinte.

»Mami!« sagte Ursula noch einmal zärtlich und schaute mit glücklichem Lächeln zu Brigitte auf. Dabei hielt sie das feine Köpfchen mit den dicken braunen Locken zur Seite geneigt. Das war eine Bewegung, die Brigitte an dem Kind schon immer entzückt hatte.

»Ursula – mein Liebling!«

Nun erst sprang Ursula davon, und die beiden Frauen waren allein. Unter den Obstbäumen, die den schmalen Gartenweg umsäumten, gingen sie langsam wie unter einem grünen Dom dahin.

Brigitte spürte ganz deutlich die Spannung, von der die Mutter erfüllt war.

»Nun ist alles vorüber, Brigitte?«

»Ja, Mutter!« erwiderte sie leise, und ein tiefer Atemzug begleitete ihre Worte.

»Und wie lautet das Urteil?«

Mit einem Ruck wandte Brigitte den Kopf, und in einer sie plötzlich anfallenden Angst sagte sie zunächst das, was für sie günstig war.

»Das Kind gehört mir, Mutter.«

»Gottlob!« Brigitte bemerkte, wie die Mutter ebenfalls aufatmete. Aber die gab sich mit dieser Antwort noch nicht zufrieden.

»Und sonst?«

»Beide schuldig!« Zaghaft lösten sich die Worte von Brigittes Lippen. »Aber das Urteil bedeutet für mich die Erlösung von einer unsagbaren Qual«, fügte sie dann hart hinzu.

Fassungslos blickte die alte Dame in das leidenschaftlich bewegte Gesicht der sonst so sanften Tochter. Dann sagte sie tonlos:

»Das hättest du dir auch früher überlegen können, wenn man verheiratet ist, ist es zu spät.«

»Nein – und tausendmal nein!« schrie Brigitte. »Habe ich vorher wissen können, daß ich mein Schicksal einem Unwürdigen anvertraute? War ich denn nicht ebenso gläubig vertrauend wie du, als du Vater wähltest? Meiner Meinung nach ist es schmachvoller, eine entwürdigende Ehe zu führen, als ein neues Leben zu beginnen.«

»Wenn man keine Kinder hat, magst du Recht haben.«

»Auch in ihrem Fall hat Brigitte recht«, unterbrach eine tiefe Männerstimme die Überlegungen der Mutter.

»Vater – lieber Vater!«

Mit einem hellen Aufschrei warf sich Brigitte an die Brust des Vaters. Sie sah unter Tränen in seine hellen, gütigen Augen und schluchzte:

»Wenn du wüßtest, was dein Verständnis für mich bedeutet! In mir ist noch alles so verworren.«

Sie weinte, und Frau Kläre Freier nahm Ursula, die soeben mit fragenden Augen unter der Tür erschienen war, bei der Hand und ging mit ihr hinaus.

»Das Urteil, Brigitte?«

Brigitte löste sich vom Hals des Vaters und trocknete die Tränen. Schon wieder überkam sie völlige Mutlosigkeit.

»Wir sind beide schuldig geschieden!« sagte sie und lief ruhelos im Zimmer hin und her. Hinter ihren Schläfen pochte und arbeitete es fieberhaft. Sie erschrak, als der Vater ihr plötzlich den Weg versperrte.

»Wie konnte das geschehen?«

Brigitte zuckte die Schultern.

»Ich weiß es nicht, Vater; aber du kennst eben Fred Markhoff nicht. Er hat es jedenfalls fertiggebracht. Wahrscheinlich mit bestochenen Zeugen. Ich habe keine Ahnung. Mein Anwalt war genauso sprachlos.«

»Er war bereits hier und wollte das Kind sehen.«

Brigittes Hände fuhren empor und sanken dann schlaff herab.

»Natürlich haben wir es ihm verweigert«, vollendete Philipp Freier.

Brigitte fiel ein Stein vom Herzen. Aber war damit die Gefahr beseitigt?

»Er darf das Kind sehen, laut Richterspruch«, erklärte sie mit verzweifelter Stimme.

»In meinem Haus aber niemals!« In den Augen des alten Mannes loderte es zornig auf. »Ich jage ihn eigenhändig davon, diesen gewissenlosen Menschen, der dieses Elend über dich gebracht hat.«

Brigitte versuchte zu lächeln. Es nahm sich seltsam aus in dem bleichen, verhärmten Frauenantlitz.

»Vater, wenn ihr mich doch verstehen würdet! Ich bin froh und glücklich, endlich frei von ihm zu sein. Ich habe doch mein Kind, meine Ursula!«

Plötzlich kam Kläre atemlos ins Zimmer gestürzt. »Philipp – Brigitte – um Gottes willen – ich kann nicht mehr vor Schreck…«

Brigitte fuhr auf. »Ursula!« Sie glaubte zu wissen, was geschehen war. »Du wirst noch an mich denken«, hatte ihr Fred Markhoff vor wenigen Stunden gedroht.

Um Gottes willen…

Ehe die Eltern es verhindern konnten, rannte Brigitte in den Garten. Man hörte ihre verzweifelten Rufe: »Ursula! Ursula!« Dann erstarb die Stimme in Schluchzen.

Die alten Leute sahen sich entsetzt an. Aber noch ehe sie ein Wort hervorbringen konnten, wurde die Tür aufgerissen.

Anna Schneider, eine alte Bekannte, stand auf der Schwelle.

»Guten Tag«, grüßte sie und betrachtete die beiden teils erstaunt, teils empört. »Was ist denn eigentlich in Brigitte gefahren? Sie rannte eben an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Ich finde, das ist ein sehr eigentümliches Benehmen.«

»Ich weiß auch nicht, was sie hat«, stammelte Kläre. »Es muß ein Mißverständnis sein. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich will nach ihr sehen.«

Rasch verließ sie das Zimmer und eilte in den Garten. Dort sah sie Brigitte auf einer Bank sitzen, die kleine Ursula fest in ihren Armen haltend.

»Was ist denn nur los, Brigitte?« fragte sie ungehalten. »Weshalb bist du denn wie von Sinnen davongestürzt?«

»Ach, Mutter«, erwiderte Brigitte noch ganz atemlos. »Du kamst und warst so aufgeregt, und da dachte ich, es wäre etwas mit Ursula…«

»Welch ein Unsinn! Ich wollte doch nur sagen, daß Frau Schneider kommt! Du weißt doch, wie sie ist. Sie will uns sicher nur wegen deiner Scheidung aushorchen. Sei so gut, Brigitte, und bleib mit der Kleinen vorläufig im Garten. Es wäre mir peinlich, wenn du jetzt mit ihr zusammenträfst. Sie war sowieso schon ungehalten, daß du ohne Gruß an ihr vorbeigelaufen bist. Ach«, fuhr sie nach einer Pause fort, »wie ist das alles schrecklich!«

Brigitte erhob sich, ihr Gesicht war schneeweiß.

»Ihr sollt meinethalben keine Unannehmlichkeiten haben.« Tapfer verbiß sie die aufsteigenden Tränen. »Ich gehe. Lebt wohl! Grüß Vater!«

»Brigitte – bleib doch!« forderte die Mutter sie auf, aber ihren Worten fehlte die Herzlichkeit.

Brigitte nahm das verängstigte Gesicht des Kindes in ihre Hände und sah ihm ganz tief in die klaren Augen.

»Komm, mein Liebling, wir gehen heim.«

Wenige Minuten später verließ sie mit ihrer Tochter das Elternhaus.

Jeden Schritt, den sie tat, spürte sie wie einen harten Stoß im Herzen. Sie fühlte, daß es ein Abschied für immer war.

Ein Lied fiel ihr ein, das sie in ihrer Jugendzeit gehört hatte. Nur wenige Worte wußte sie noch davon, aber trafen diese nicht auf ihr Leben zu? Flüsternd sagte sie den Text vor sich her:

»Die Nixe da unten im Wasser hat uns eine Wiege bestellt.

Für uns blinkt kein Sternlein am Himmel. Wir haben kein Glück auf der Welt!«

Fest drückte sie die kleine Hand, die sich so vertrauensvoll in die ihre schmiegte und neigte sich zu ihrem Kind hinab.

»Nun habe ich nur noch dich, Ursula!«

Ursula aber schlang die Ärmchen fest um den Hals der Mutter und versicherte innig:

»Ich hab’ dich auch sehr lieb, Mami, sooo lieb!«

Es war, als verstünde Ursula, daß die Mutter gerade jetzt wissen mußte, wie sehr sie sie liebte. Und mit ernsthaftem Kopfnicken bestätigte sie nochmals:

»Sooo lieb, Mami!«

Mit geschlossenen Augen nahm Brigitte dieses innige Bekenntnis in sich auf. Weshalb war sie eigentlich verzagt? War sie nicht zu beneiden? Gehörte der ganze Liebesreichtum des kleinen Kinderherzens nicht ihr – ihr allein?

»Mein Liebling!« flüsterte sie zärtlich, wieder etwas ruhiger. »Meine Ursula!«

Die Hand des Kindes fest in der ihren haltend, setzten sie ihren Weg fort. Es war sehr still zwischen Mutter und Kind. Ursulas kleiner Mund war verstummt. Ernst, fast feierlich blickte die Mutter drein.

Das Kind fühlte deutlich, daß sie heute anders als sonst war. Aber es spürte auch die tiefe Liebe der Mutter, die es wie ein schützender Mantel umgab und schon in dem Druck der Hand spürbar wurde. Und willig schmiegte sie die kleinen Finger hinein. Sie unterdrückte auch tapfer alle Fragen darüber, warum sie so schnell von den Großeltern fortgegangen waren; sie hatte sich nicht einmal von Opa und Oma verabschieden können.

Strahlend stand die Sonne über dem Birkenwäldchen, dem Brigitte zustrebte. Klar und wolkenlos wölbte sich der Himmel über den Bäumen. Ein starker, betäubender Duft strömte aus den Gärten, an denen ihr Weg vorbeiführte. Auf einem Weg, der in ein neues Leben führen sollte, in eine bessere Zukunft, die ganz allein ihr und dem Kind gehörte.

Allmählich wurde Brigitte zuversichtlicher gestimmt. Sie ging schneller und elastischer, doch immer darauf bedacht, mit den trippelnden Kinderfüßchen Schritt zu halten.

Auch ihre Erregung verebbte mehr und mehr. Neuer Lebensmut, neuer Lebenswille durchströmte ihren Körper.

*

Breit und behäbig ließ sich Anna Schneider in den Sessel nieder, den Kläre Freier ihr mit zitternden Händen zugeschoben hatte.

»Wo ist denn Brigitte?« fragte sie jetzt. »Was hatte sie nur?« Dabei ließ sie ihre hellen wässerigen Augen umherschweifen. Der Tonfall ihrer Stimme war schleppend und stand im Widerspruch zu den Nadelstichen, die sie versetzen konnte. »Gerade zu Brigitte wollte ich.«

Philipp Freier hatte noch nie Sympathie für die Frau empfunden, nur den nötigen Respekt brachte er ihr entgegen. Jetzt aber stieg ein empfindlicher Widerwille in ihm empor.

Bevor er jedoch die scharfe Antwort, die er auf der Zunge hatte, hervorbringen konnte, sagte seine Frau:

»Brigitte hat soeben das Haus verlassen und…«

»Nanu«, unterbrach Anna Schneider sie verwundert. »Das sieht ja beinahe wie Flucht aus!«

»Weshalb sollte Brigitte ausgerechnet vor Ihnen fliehen?« fragte Philipp Freier. »Sie können sie ja jederzeit in ihrem Heim aufsuchen, wenn Sie sie unbedingt sprechen müssen.«

Offener Spott lag in diesen Worten, und wenn sie ihn spürte, dann überging sie ihn absichtlich.

»Um Gottes willen!« Sie hob entsetzt die Hände. »Nachdem Brigitte sich so benommen hat!«

Ein verweisender Blick aus Philipp Freiers Augen traf die Frau. Zornige Röte stieg ihm in die Stirn. Aber er schwieg. Sie war die Frau seines Vorgesetzten, und er hatte Rücksicht zu nehmen.

»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?« fragte Kläre rasch, um die peinliche Pause zu überbrücken.

»Nein, danke! Ich habe nicht so viel Zeit«, lehnte sie etwas von oben herab ab. »Wissen Sie übrigens auch, daß man Brigitte nicht verstehen kann?«

»Wer ist man?« kam es kurz aus Freiers Mund.

Diese Gegenfrage brachte Anna Schneider außer Fassung. Ihr an sich schon gerötetes Gesicht färbte sich ärgerlich dunkelrot.

»Nun, alle – alle, die Fred Markhoff kennen«, stieß sie hervor.