Depressivität im Schulalter - Armin Castello - E-Book

Depressivität im Schulalter E-Book

Armin Castello

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Beschreibung

Veränderungen und Belastungen im Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen wirken sich zunehmend auf deren psychische Gesundheit aus. Immer mehr Schülerinnen und Schüler zeigen soziales Rückzugsverhalten, erleben Phasen der Traurigkeit, Motivationslosigkeit, Gereiztheit und des Interessensverlustes. Lehrkräfte und andere pädagogische Berufsgruppen sind konfrontiert mit besonderen Anforderungen, die nur selten Bestandteil ihrer Ausbildung waren. Das Fallbuch "Depressivität im Schulalter" vermittelt fachliches Grundlagenwissen auf eine anschauliche Weise und gibt einen Überblick zu Möglichkeiten pädagogischen Handelns gegenüber Kindern und Jugendlichen mit dem Verdacht auf eine depressive Entwicklung. Anhand von fünf Fallbeispielen wird fundiertes pädagogisches Handeln bei unterschiedlichen Ausgangslagen anschaulich und praxisnah dargestellt.

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Inhalt

Cover

01_Castello_Titelei

1 Hintergrund

1.1 Fallbuch Depressivität im Schulalter

1.2 Gesellschaftliches Umfeld

1.3 Depressivität im Schulumfeld

1.4 Schulische Ressourcen

1.5 Über dieses Fallbuch

2 Pädagogisches Basiswissen

2.1 Symptome

2.2 Formen

2.2.1 (Wiederkehrende) depressive Episode

2.2.2 Dysthymie

2.2.3 Anpassungsstörung mit Depression

2.2.4 Bipolare Störung

2.3 Häufigkeit und Verlauf

2.4 Risiko- und Schutzfaktoren

2.4.1 Risikofaktoren

2.4.2 Schutzfaktoren

2.5 Erklärungskonzepte

3 Umgang mit Hinweisen auf eine depressive Entwicklung

3.1 Bestandteile einer pädagogischen Dokumentation

3.2 Verhaltensbeobachtungen

3.3 Gespräche im Kollegium

3.4 Gesprächsangebot für Betroffene und Bezugspersonen

3.4.1 Kontaktaufnahme

3.4.2 Vorbereitung des Erstgesprächs

3.4.3 Grundlegendes für das Gespräch

3.4.4 Gesprächsablauf

3.4.5 Psychoedukation für Eltern oder Bezugspersonen

3.4.6 Gesprächsverhalten gegenüber der Schülerin bzw. dem Schüler

3.4.7 Psychoedukation für Schülerinnen und Schüler

3.4.8 Entscheidung für eine pädagogische Initiative

4 Pädagogische Initiativen

4.1 Bewältigung negativen Denkens

4.2 Aktivierung interner und externer Ressourcen

4.2.1 Interne und externe Ressourcen

4.2.2 Ressourcenaktivierung im Schulalltag

4.3 Stärkung von Self-Compassion/Selbstmitgefühl

4.4 Reduktion schulischer Belastungen

4.4.1 Nachteilsausgleich

4.4.2 Dysfunktionales Handeln im Kollegium

4.4.3 Leistungsrückmeldung

4.4.4 Reintegration nach Klinikaufenthalt

4.5 Schulentwicklung und kollegiale Kooperation

4.6 Bewältigung von Passivität und Rückzug

4.6.1 Umsetzung von Verhaltensaktivierung in der Schule

4.6.2 Stimmungsprotokoll als Grundlage

4.6.3 Aktivitätenplanung

4.6.4 Weitere Informationen zur Verhaltensaktivierung

4.7 Umgang mit Verdacht auf Suizidalität

4.7.1 Hintergrund

4.7.2 Alarmsignale

4.7.3 Verhalten als Lehrkraft

4.7.4 Verhalten bei akuter Suizidalität

4.7.5 Verhalten als Schule

4.7.6 Kontaktadressen

4.8 Qualitätssicherung und evaluative Perspektive

5 Fallbeispiele

5.1 Fall Collin

5.1.1 Ausgangslage

5.1.2 Vorbereitung Gesprächsangebot und pädagogische Gespräche

5.1.3 Pädagogische Initiativen

5.1.4 Evaluation

5.2 Fall Amira

5.2.1 Ausgangslage

5.2.2 Vorbereitung

5.2.3 Pädagogische Initiativen

5.2.4 Evaluation

5.3 Fall Leon

5.3.1 Ausgangslage

5.3.2 Vorbereitung

5.3.3 Pädagogische Initiativen

5.3.4 Evaluation

5.4 Fall Zoé

5.4.1 Ausgangslage

5.4.2 Schulische Situation

5.4.3 Vorbereitung pädagogischer Initiativen

5.4.4 Umsetzung der pädagogischen Initiativen

5.4.5 Evaluation

5.5 Fall Sofia

5.5.1 Ausgangslage

5.5.2 Informationen zur Person und familiärer Hintergrund

5.5.3 Schulische Situation

5.5.4 Vorbereitung pädagogischer Initiativen

5.5.5 Umsetzung der pädagogischen Initiativen

5.5.6 Evaluation

6 Abschließende Betrachtung

Anhang

Pädagogische Dokumentation

Elterninformation: Depressive Entwicklung

Elterninformation: Depressive Entwicklung (leichte Sprache)

Information für Jugendliche: Wenn es mir nicht gut geht!

Information für das Kollegium: Depressive Entwicklung

Literatur

Kohlhammer

Fallbuch Pädagogik

Herausgegeben von Armin Castello

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/fallbuch-paedagogik.html

Die Autorin, die Autoren

Dr. Armin Castello ist Professor für Sonderpädagogik, Psychologie und Diagnostik am Institut für Sonderpädagogik der Europa-Universität Flensburg.

Dipl.-Psych. Friederike Grabowski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogik der Europa-Universität Flensburg

Dr. Gunnar Brodersen ist akademischer Rat am Institut für Sonderpädagogik der Europa-Universität Flensburg.

Armin Castello,Friederike Grabowski,Gunnar Brodersen

Depressivität im Schulalter

Fachlich fundiert pädagogisch handeln

Verlag W. Kohlhammer

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-043627-5

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-043628-2epub:ISBN 978-3-17-043629-9

1 Hintergrund

1.1 Fallbuch Depressivität im Schulalter

Die Initiative für ein pädagogisches Fallbuch zum Themenspektrum »Depressivität« entstand vor dem Hintergrund der Belastungen im gesellschaftlichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen und schulisch bedeutsamen Auswirkungen depressiver Symptome mit dem Ziel der Aktivierung von schulischen Ressourcen.

1.2 Gesellschaftliches Umfeld

Ohne Zweifel sind die vergangenen Jahre geprägt durch multiple Krisen, die sich unmittelbar auch bei Kindern und Jugendlichen auswirken. Diese Belastungen treffen solche Schülerinnen und Schüler besonders schwer, die aufgrund sozialer oder familiärer Faktoren vorbelastet sind. Auch solche Kinder, die zusätzlich unter Entwicklungsrisiken leiden, sind z. B. durch den temporären Lockdown von Bildungseinrichtungen, durch soziale Verwerfungen und den zunehmenden Mangel an Lehrkräften in ihrer schulischen Entwicklung gefährdet.

Diese Kumulation von Risiken kann in der Kombination individueller Auslöser bei einigen Schülerinnen und Schülern zu einer depressiven Entwicklung beitragen. Der in Kapitel 2 (▸ Kap. 2) dargestellte Anstieg von belastenden depressiven Symptomen macht deutlich, dass depressive Symptome im Schulumfeld eine wachsende Rolle spielen. Gleichzeitig stagniert die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in vielen Regionen Deutschlands auf einem Niveau, das zu langen Wartezeiten und Nicht-Versorgung beiträgt.

1.3 Depressivität im Schulumfeld

Lehrkräften begegnen depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen zunehmend häufig mit erheblichen Auswirkungen auf verschiedenen schulisch relevanten Ebenen. So trägt das mit Depressionen oft verbundene soziale Rückzugsverhalten zu Fehlzeiten bei, die wiederum eine negative Feedbackschleife aus Vermeidung, Lernrückständen und Depressivität perpetuiert. Depressive Symptome können sich als auffälliges Sozialverhalten, Beeinträchtigungen im Denken und motivationale Probleme manifestieren und haben insofern unmittelbare Auswirkungen auf schulisch bedeutsame Funktionen.

Viele Lehrkräfte wissen aufgrund ihrer Erfahrung, wie wirksam ihr pädagogisches Handeln sein kann, und handeln als erwachsene Bezugsperson gegenüber Heranwachsenden wertschätzend und integer. Sie haben zumeist die Stärken ihrer Schülerinnen und Schüler im Blick, gehen konstruktiv mit negativem Denken von Jugendlichen um und unterstützen sie dabei, sich ggf. Hilfe zu suchen. Bemerkenswert ist aber, dass ein evidenzorientierter pädagogischer Umgang mit Depressivität weiterhin nur selten Inhalt des Studiums oder Fortbildung für Lehrkräfte ist.

1.4 Schulische Ressourcen

Die Institution Schule kann als Schutzfaktor wirken, insbesondere wenn Wissen über pädagogische Handlungsmöglichkeiten vorliegt und wirksame Schritte initiiert werden. Sie kann aber auch ein Risikofaktor sein, z. B. wenn pädagogisches Wissen fehlt, Stigmatisierung durch Gleichaltrige oder Erwachsene stattfindet oder dysfunktionales (z. B. beschämendes) pädagogisches Handeln gezeigt wird.

Die Koordination von pädagogischen Initiativen für Betroffene, u. a. das Zusammenfassen vorliegender Informationen, der Kontakt zu Bezugspersonen und das Erkennen von problematischen Verhaltensänderungen liegt zumeist in den Händen der Klassenlehrkraft. Bei einer Kontaktaufnahme zum Schulpsychologischen Dienst und expliziten Maßnahmen zur Unterstützung eines Kindes oder Jugendlichen ist die Schulleitung involviert. Mitarbeitende der Schulsozialarbeit und Beratungslehrkräfte werden jeweils hinzugezogen, d. h. die Organisation einer sinnvollen Arbeitsstruktur und Rollenklärung sowie ein pädagogisches Arbeitskonzept sind wichtige schulische Ressourcen.

1.5 Über dieses Fallbuch

Zielsetzung dieses Fallbuchs ist es, grundlegendes Wissen zu einer depressiven Entwicklung zusammenzufassen (▸ Kap. 3) und pädagogische Handlungsmöglichkeiten darzustellen (▸ Kap. 4), die bei Hinweisen auf eine depressive Entwicklung bei Schülerinnen und Schülern die pädagogische Arbeit ergänzen sollen.

Diese in Kapitel 5 (▸ Kap. 5) zusammengestellten Fallbeispiele zeigen ausgehend von Informationen über die Situation eines Kindes oder Jugendlichen hilfreiche Möglichkeiten für pädagogische Handlungsschritte:

Collin ist 15 Jahre alt, zeigt erhebliche schulische Fehlzeiten, hat Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme und Konflikte in seiner Klasse und ist unglücklich verliebt. Collin hat extrem negatives Denken entwickelt mit einer Tendenz zum Grübeln und nachfolgenden Problemen beim Einschlafen. Außerdem kommt er mit dem neuen Lebenspartner seiner Mutter nicht zurecht. Für Collin wird durch die Schule psychoedukative Information angeboten und eine Verhaltensaktivierung geplant, die erreichen soll, dass er im Alltag mehr positive und seltener negative Erfahrungen machen kann. Bei Klassengesprächen werden verletzende Umgangsformen thematisiert und Collin erhält Unterstützung durch die Aktivierung sozialer Ressourcen und eine berufliche Perspektive.

Amira ist 14 Jahre alt. Ihre Familie war ehemals kulturell und religiös in ihrer Heimat gut integriert. Sie hat nun, nach der sehr belastenden Zeit ihrer Flucht, kaum engere soziale Kontakte außerhalb der Familie und nimmt gegenüber ihren jüngeren Geschwistern eine Elternrolle ein. Im Alltag fehlt ihr die nötige Sprachpraxis. Amira macht sich große Sorgen um ihre Eltern, da ihre Mutter immer wieder depressive Phasen hat, auch wegen der Sorgen um ihren Ehemann, Amiras Vater. Amira wirkt oft traurig und ist emotional belastet. Sie wird dabei unterstützt, Kontakte mit Gleichaltrigen zu knüpfen, und im Rahmen eines externen Beratungsgesprächs mit Amiras Mutter soll familiäre Entlastung initiiert werden. Amira erhält zusätzliche schulische Unterstützung und strukturierende Arbeitshilfen.

Leon ist 14 Jahre alt und zeigt Lern- und Verhaltensprobleme. Seine Eltern arbeiten viel in ihrer eigenen Gaststätte, wobei es im Kontext familiärer Alkoholprobleme Streit zuhause gibt. Leon erlebt Selbstzweifel, handelt gereizt und aggressiv, beteiligt sich nicht im Unterricht, ist oft müde und bedrückt. Unterstützung erhält er im Umgang mit Belastungen und durch einen gezielten Nachteilsausgleich. Es finden Klassenprojekte statt und er erhält externe Freizeitangebote.

Zoé ist 9 Jahre alt und wirkt häufig müde, unkonzentriert und zerstreut. Ihr Vater leidet unter Diabetes und weiteren gesundheitlichen Beschwerden, außerdem hat die Familie finanzielle Schwierigkeiten. Sie hat nur wenige Freundinnen und Freunde, fehlt oft z. B. wegen Bauchschmerzen und macht sich Sorgen um ihre Familie. Zoé wirkt oft niedergeschlagen. Im Elterngespräch soll erreicht werden, dass für Zoé die Sorgen um die Familie reduziert werden. Zudem sollen altersgemäße Aktivitäten ermöglicht und das Klassenklima durch Gruppenaktivitäten verbessert werden.

Sofia besucht die 7. Klasse, wirkt oft niedergeschlagen, scheint sozial isoliert und erlebt durch Mitschülerinnen und Mitschüler Mobbing über WhatsApp. Sie entwickelt einen starken schulischen Leistungsabfall und Verlust an Interessen. Die Trennung ihrer Eltern stellt eine weitere Belastung dar. Im Gespräch mit Sofia zeigen sich Hinweise auf Suizidalität. Dargestellt werden das Gespräch mit Sofias Eltern, der Kontakt zum schulpsychologischen Dienst und Initiativen zum Umgang mit Cybermobbing.

Im Anhang des Fallbuchs findet sich eine Zusammenstellung der in den Fallbeispielen eingesetzten Materialien.

2 Pädagogisches Basiswissen

Stimmungsschwankungen gehören bei Kindern und Jugendlichen zum entwicklungstypischen Erleben dazu. Bei einigen sind Traurigkeit, Interessenlosigkeit und Reizbarkeit jedoch stark ausgeprägt, dauern über einen längeren Zeitraum an und beeinträchtigen die täglichen Aktivitäten erheblich. Begleitet werden diese Phänomene oft von weiteren Symptomen, die das Erleben und Verhalten der Betroffenen negativ beeinflussen und ihre sozialen Beziehungen belasten. Fällt dies auf, sollte eine depressive Entwicklung in Betracht gezogen und fachlich abgeklärt werden. Depressionen sind die häufigste psychische Störung im Kindes- und Jugendalter (Shorey et al., 2022) und haben weitreichende negative Folgen für die weitere Entwicklung (Clayborne et al., 2019). Es ist wichtig, dass Depressionen bei Kindern und Jugendlichen möglichst früh erkannt werden und die Betroffenen angemessene Hilfe erhalten, um den Leidensdruck zu mindern und ihre Heilungschancen zu verbessern.

2.1 Symptome

Depressionen zeigen sich bei Kindern und Jugendlichen sehr unterschiedlich. Es können kognitive, emotionale, soziale und körperliche Symptome gleichzeitig auftreten. Die Kernsymptome einer Depression sind:

eine anhaltende, ausgeprägte Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit; bei Kindern und Jugendlichen auch eine erhöhte Reizbarkeit,

die eingeschränkte Fähigkeit, Freude, Lust und Interesse zu empfinden,

ein verminderter Antrieb, weniger Aktivität, leichtere Erschöpfung oder Müdigkeit.

Zudem treten in anderen Erlebens- und Verhaltensbereichen Auffälligkeiten auf.

Kognitiv ist das Denken oft beeinträchtigt, es können

Probleme in der Aufmerksamkeit und Konzentration,

eine eingeschränkte Merkfähigkeit,

eine reduzierte Denkgeschwindigkeit,

Entscheidungsprobleme

und dysfunktionale Gedanken wie negative Gedanken über sich selbst, die eigene Umwelt und Zukunft sowie Suizidgedanken auftreten.

Emotional kann es neben den oben genannten auch zu folgenden Veränderungen kommen:

Schuldgefühle,

Gefühle der Wertlosigkeit,

gereizte Grundstimmung,

abgeflachte Mimik und Gestik.

Sozial kommt es häufig zu

Rückzug aus dem Familien- und Freundeskreis und

Gefühlen der Isolation und Einsamkeit.

Körperlich können

unspezifische Schmerzen in Kopf, Bauch und anderen Körperregionen, die medizinisch ohne Befund bleiben,

Veränderungen im Schlaf (Einschlaf- oder Durchschlafstörungen, vermehrtes Schlafen) und

Veränderungen im Appetit (mehr oder weniger essen) auftreten. Dies kann zu Gewichtsabnahme oder -zunahme führen.

Im Verhalten wird vielfach

eine erhöhte Teilnahmslosigkeit,

Unruhe oder Verlangsamung,

Reduktion an Körperspannung,

Vermeiden von Blickkontakt,

aggressives Verhalten (vor allem im Jugendalter) erlebt.

Für eine klinische Diagnose müssen zwei der drei Kernsymptome zusammen mit weiteren Symptomen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen vorliegen (APA, 2015; WHO, 2019). Darüber hinaus müssen eine hohe subjektive Beeinträchtigung und ein Verlust an Lebensqualität gegeben sein. Obwohl die Diagnosekriterien im Kindes- und Jugendalter gleich denen im Erwachsenenalter sind, gibt es einige entwicklungstypische Besonderheiten. Zu diesen zählen neben Trennungsängsten (vor allem bei Kindern) auch Reizbarkeit und schlechte Stimmung sowie Gelangweiltsein. Zudem sind vermehrte somatische Beschwerden ein typisches depressives Anzeichen in dieser Altersgruppe. Insbesondere bei Jugendlichen ist auch das Auftreten von selbstverletzendem Verhalten und Selbstmedikation mit Depressionen assoziiert.

Auch gesunde Kinder und Jugendliche erleben, vor allem in der Pubertät, einzelne depressive Symptome. Aufmerksam werden sollte man, wenn die Symptome einen längeren Zeitraum ohne Normalisierung andauern, mehrere Symptome gleichzeitig auftreten und die Betroffenen in ihrem Erleben und Verhalten beeinträchtigt sind. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass häufig keine formelle Diagnose vorliegt, entweder weil sie noch nicht gestellt wurde oder weil die depressiven Symptome subklinisch sind und nicht alle Kriterien erfüllen. Doch auch in diesen Situationen können pädagogische Initiativen äußerst sinnvoll sein.

2.2 Formen

Die Vielzahl möglicher Symptome und die schwierige Abgrenzung zu alterstypischen Verhaltensweisen während der Pubertät kann die Erkennung und Diagnosestellung einer Depression erheblich erschweren. Zudem gibt es verschiedene Formen und Ausprägungen, teils mit fließenden Übergängen. Die vier wichtigsten Formen sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.

2.2.1 (Wiederkehrende) depressive Episode

Die depressive Episode (auch Major Depression) ist die »typische« Depression, die in einzelnen oder wiederkehrenden Phasen auftritt. In diesen mindestens zweiwöchigen Phasen liegen mindestens zwei der Kernsymptome vor (Niedergeschlagenheit, Verlust an Interesse oder ein verminderter Antrieb). Zusätzlich kommt es zu Beeinträchtigungen im alltäglichen Erleben und Verhalten der Person und einem Verlust an Lebensqualität. Es besteht die Möglichkeit, eine Schweregradeinteilung nach Anzahl der Symptome und Ausmaß der Beeinträchtigung vorzunehmen.

2.2.2 Dysthymie

Bei einer Dysthymie handelt es sich um eine anhaltende depressive oder gereizte Stimmung, bei der die auftretenden depressiven Symptome insgesamt weniger stark ausgeprägt sind. Allerdings treten diese für die Dauer von mindestens einem Jahr für den Großteil des Tages an den meisten Tagen auf. Typische Symptome sind Veränderungen im Schlaf- und Essverhalten, Energielosigkeit und Müdigkeit, geringes Selbstvertrauen, weniger Konzentration und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

2.2.3 Anpassungsstörung mit Depression

Eine Anpassungsstörung mit Depression tritt nach einem belastenden Lebensereignis (z. B. Tod nahestehender Person, Traumatisierung) auf. Dabei beginnen die Symptome im Monat nach dem Ereignis und dauern maximal sechs Monate an.

2.2.4 Bipolare Störung

Bei der bipolaren Störung wechseln sich depressive Phasen, manische Phasen und unauffällige Stimmungszustände ab. Manische Phasen kennzeichnen sich durch ein extremes Hochgefühl, das verbunden ist mit sehr viel Energie und Tatendrang. Kinder und Jugendliche in manischen Phasen sind häufig übermütig, innerlich unruhig, hypergereizt und können riskantes Verhalten (z. B. rücksichtsloses Fahren, riskantes sexuelles Verhalten) zeigen. Oft ist die Dauer des nächtlichen Schlafs vermindert und die Selbsteinschätzung überhöht. Bipolare Störungen sind bei Kindern selten und beginnen meistens im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Die depressiven und manischen Phasen dauern bei Jugendlichen im Gegensatz zu Erwachsenen meistens kürzer an und wechseln sich häufiger ab. Bipolare Störungen treten deutlich seltener auf als rein depressive Störungen (Jugendalter: 1 – 2 %; van Meter et al., 2011), gehen dafür aber mit schwerwiegenderen Beeinträchtigungen und Komplikationen einher.

2.3 Häufigkeit und Verlauf

Im Kindesalter sind circa 3 – 4 % und gleich viele Jungen wie Mädchen von einer depressiven Entwicklung betroffen (Mehler-Wex & Kölch, 2008). Ab der Pubertät leiden doppelt so viele weibliche wie männliche Jugendliche an einer Depression, und es wird davon ausgegangen, dass jeder 10. Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr eine depressive Episode erlebt hat (Wartberg et al., 2018). Insgesamt sind in den letzten Jahren steigende Zahlen von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten. Grund hierfür sind unter anderem gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und diverse Krisenlagen (Daly, 2022).

Bei Kindern und Jugendlichen dauern depressive Episoden häufig kürzer an als bei Erwachsenen, die genaue Länge variiert individuell jedoch stark und kann bei wenigen Wochen bis hin zu mehreren Monaten und Jahren liegen. Bei einer früh beginnenden Behandlung, wenigen zusätzlichen Risikofaktoren und einem leichten bis mittleren Schweregrad stehen die Chancen für eine Remission gut (Mudra & Schulte-Markwort, 2020). Da dies jedoch häufig nicht der Fall ist, ist die Rückfallrate, trotz schnellerer Erholung als bei Erwachsenen, hoch: So sind nach einem Jahr 25 % und nach 5 Jahren 75 % erneut depressiv (Klasen et al., 2017).

Depressive Entwicklungen im Kindes- und Jugendalter haben kurzfristig und langfristig negative Folgen. Depressive Symptome beeinträchtigen die Aufmerksamkeit, Konzentration sowie das Arbeitsgedächtnis (Wagner et al., 2015). Auch haben Kinder und Jugendliche mit Depressionen oft ein negatives Fähigkeitsselbstkonzept und schreiben sich Misserfolge selbst zu (Försterling & Binser, 2002); zusätzlich wird das soziale Miteinander oft als Herausforderung erlebt aufgrund von und mit der Folge geringer sozialer Integration. Die beschriebenen Probleme können im schulischen Bereich dazu führen, dass betroffene Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten haben, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen, Lerninhalte angemessen zu verarbeiten und Aufgabenstellungen zielgerichtet zu erledigen (Castello & Brodersen, 2020). Zudem ist bei depressiven Kindern und Jugendlichen das Suizidrisiko deutlich erhöht (Carballo et al., 2020) – Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen (▸ Kap. 4.7 Umgang mit Verdacht auf Suizidalität).

Langfristig kontinuieren früh einsetzende Depressionen oft bis ins Erwachsenenalter und können die sozialen Beziehungen, Schulleistungen und die Entwicklung Betroffener insgesamt negativ beeinflussen (Clayborne et al., 2019; Johnson et al., 2018). Es treten beispielsweise häufiger weitere psychische Störungen auf, es kommt zu mehr Schwierigkeiten in Beziehungen und Beruf, zudem ist das Risiko von Substanzmissbrauch erhöht.

2.4 Risiko- und Schutzfaktoren

Die Entstehung einer depressiven Entwicklung muss als Interaktion verschiedener Faktoren verstanden werden. Während Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit, depressiv zu erkranken, erhöhen, können Schutzfaktoren negative Entwicklungen abpuffern bzw. abmildern.

2.4.1 Risikofaktoren

Einer depressiven Erkrankung können unterschiedliche Risikofaktoren zugrunde liegen, wobei in der Entstehung von einem komplexen Zusammenspiel biologischer, sozialer und psychischer Faktoren ausgegangen wird. Nach Groen & Petermann (2013) können die Risikofaktoren in fünf Bereiche gegliedert werden:

Biologisch bedeutsam sind

Alter (je älter, desto höher das Erkrankungsrisiko),

Geschlecht (weiblich),

Auffälligkeiten im Hirnstoffwechsel (z. B. Serotoninmangel),

biologische Stressempfindlichkeit und

genetische Faktoren: Kinder und Jugendliche mit einem depressiv erkrankten Elternteil haben eine deutlich höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit (Goodman et al., 2011).

Kognitiv-emotional steigern

ungünstige gedankliche Verarbeitungs- und Bewertungsmuster,

ein negatives Bild von sich, anderen und der Zukunft,

unzureichende Emotionsregulation bzw. negative Affektivität und

mangelnde Problemlösefertigkeiten

das Risiko für eine depressive Entwicklung.

Familiär können

eine geringe Bindungsqualität zwischen Eltern und Kindern,

abweichendes elterliches Verhalten (z. B. Alkoholismus, impulsiver oder autoritärer Erziehungsstil),

anhaltende Disharmonie,

Trennungen und Verlusterlebnisse,

psychische Erkrankungen eines Elternteils und

andere familiäre Belastungen (z. B. Missbrauch, Misshandlung, Streit)

bedeutsam für eine depressive Entwicklung sein.

Risikobehaftete soziale Faktoren sind

geringe soziale Kompetenzen,

wenige Kontakte und Freundschaften,

Ablehnung und Isolation und

belastende Erfahrungen im Freundeskreis (z. B. Streit, Trennung, Tod oder Krankheit).

Kritische Lebensereignisse und Stress können ebenfalls Risikofaktoren darstellen, beispielsweise in Form von

überzogenen Leistungserwartungen im schulischen Kontext und einer nicht angemessenen Form des Unterrichts (z. B. wegen Unter- oder Überforderung, unerkannter Teilleistungsstörungen),

Stress im sozialen Umfeld durch sozioökonomische Belastungen, Migration, Umzüge und Trennungen,

Substanzmissbrauch von z. B. Alkohol und Cannabis (Brière et al., 2014).

2.4.2 Schutzfaktoren

Neben Faktoren, die die Entstehung einer Depression begünstigen, existieren auch Schutzfaktoren. Sie stärken die psychische Widerstandfähigkeit, die auch als Resilienz bezeichnet wird. Je stärker diese schützenden Ressourcen ausgebildet sind, desto weniger psychische Auffälligkeiten sind zu beobachten. Schutzfaktoren tragen zur Stabilisierung und Abmilderung negativer Effekte bei und stellen einen »Puffer« zwischen der psychischen Verletzlichkeit und einer depressiven Entwicklung dar (Klasen et al., 2017).

Auf individueller Ebene stärken

eine positive Lebenseinstellung mit lösungsorientierter Perspektive,

die Nutzung bewährter Lösungsstrategien,

erlebte Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative, vor allem bezüglich der Suche und Annahme von Hilfe,

das Erlernen und Einsetzen von positiven Strategien zum Umgang mit Stress

die Resilienz.

Schulisch können

ein positives Schul- und Klassenklima (u. a. ein wertschätzendes Klassenklima und eine positive Beziehung zu Lehrkräften),

ein Mitbestimmungsrecht von Schülerinnen und Schülern (z. B. Klassenrat),

die Besprechung von Konflikten in der Klasse und

das Aufstellen von Regeln zum Umgang miteinander die psychische Widerstandsfähigkeit stärken.

Familiär ist ein positives Familienklima günstig. Im sozialen