Unterricht und Förderung bei Depressionen - Armin Castello - E-Book

Unterricht und Förderung bei Depressionen E-Book

Armin Castello

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Beschreibung

Dieses Buch vermittelt psychologisch fundiertes Wissen und praxisrelevante Handlungsstrategien für die Gestaltung des Unterrichts und pädagogischer Situationen außerhalb des Unterrichts. Der Band bietet zunächst einen Überblick zu den häufigsten Symptomen bei Depressionen von Kindern und Jugendlichen, insbesondere solche, die schulische Auswirkungen haben. Anschließend steht die Unterstützung und Förderung von betroffenen Schülerinnen und Schülern im Mittelpunkt, damit diesen die Teilnahme am Unterricht erleichtert wird. Evidenzbasierte Programme zur pädagogischen Prävention depressiver Entwicklungen sowie unterrichtsnahe Möglichkeiten zum Umgang mit motivationalen Beeinträchtigungen und kognitiven Auswirkungen von Depressionen werden vorgestellt. Weitere Themenfelder sind die Förderung realistischen Denkens, Stärkung des Selbstmitgefühls bei Schülerinnen und Schülern und Möglichkeiten zur Bewältigung emotionsbezogener Symptome. Abschließend werden wichtige Fragen zum Umgang mit einem Verdacht auf Suizidalität und zur Kooperation mit schulischen und außerschulischen Partnern beantwortet.

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Armin Castello

Gunnar Brodersen

Unterricht und Förderung bei Depressionen

Psychologisches Wissen für Lehrkräfte

Prof. Dr. Armin Castello, geb. 1964. 1988 – 1995 Studium der Psychologie in Freiburg. 2002 Promotion, 2007 Habilitation. 1995–2000 Tätigkeit in der Jugendhilfe und beruflichen Rehabilitation. 2001 – 2006 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Psychologie in Freiburg und Tätigkeit an der dortigen Kinder- und Jugendambulanz. 2006 – 2008 Vertretung einer Professur für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. 2008 – 2010 Akademischer Rat an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Seit 2010 W3-Professur für Sonderpädagogik, Psychologie und Diagnostik an der Europa-Universität Flensburg. Arbeitsschwerpunkte: Pädagogisches Handeln bei psychischen Beeinträchtigungen, Mental Health Literacy und klinisch-psychologische Qualifikation von Lehrkräften.

Dr. Gunnar Brodersen, geb. 1983. 2005 – 2010 Studium der Psychologie in Würzburg. 2016 Promotion. 2010 – 2012 Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe im oberfränkischen Kinder- und Jugenddorf Martinsberg. 2012 – 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie und Motivation an der Universität Hamburg. Seit 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Sonderpädagogische Psychologie am Institut für Sonderpädagogik der Europa-Universität Flensburg. Arbeitsschwerpunkte: Diagnostik und Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen, pädagogisch-psychologische Qualifikation von Lehrkräften.

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Umschlagabbildung: © iStock by Getty Images / ClarkandCompany

Satz: Michael Kleine, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2021

© 2021 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2980-9; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2980-0)

ISBN 978-3-8017-2980-6

https://doi.org/10.1026/02980-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Grundlagen: Depressivität bei Kindern und Jugendlichen (Armin Castello)

1.1 Formen depressiver Erkrankungen

1.2 Symptombereiche von Depressionen

1.3 Alterstypische Symptome der Depression

1.4 Häufigkeit und Verlauf

1.5 Entstehungsbedingungen

1.5.1 Biologische Faktoren

1.5.2 Umwelteinflüsse

1.5.3 Auslösende Ereignisse

1.5.4 Kompetenzen und Ressourcen

2 Beeinträchtigungen im schulischen Alltag (Gunnar Brodersen)

2.1 Kognitive Leistungsfähigkeit

2.2 Denkmuster und kognitive Schemata

2.3 Motivation und Interesse

2.4 Fähigkeitsselbstkonzept

2.5 Emotionen und Lernen

2.6 Sozialverhalten

2.7 Schulisches Beispiel

3 Programme zur schulischen Prävention von depressiven Episoden (Gunnar Brodersen)

3.1 Universale und selektive Prävention

3.2 Universale Präventionsprogramme

3.2.1 LARS & LISA: Lust an realistischer Sicht & Leichtigkeit im sozialen Alltag

3.2.2 Jugendpräventionsprogramm mit Expressivem Schreiben (JES)

3.2.3 Resourceful Adolescent Program (RAP)

3.2.4 FREUNDE

3.2.5 Gesundheit und Optimismus (GO!)

3.3 Selektive Präventionsprogramme

3.3.1 Familienorientiertes Präventionsprogramm (Beardslee, Salt et al., 1997)

3.3.2 Coping with Stress (Clarke et al., 1995)

4 Schulische Förderung bei motivationsbezogenen Symptomen von Depression (Gunnar Brodersen)

4.1 Intrinsische und extrinsische Motivation

4.1.1 Ist intrinsische Motivation „besser“ als extrinsische?

4.1.2 Selbstbestimmung zur Förderung von Motivation im Unterricht

4.2 Attributionstraining

4.2.1 Zielsetzung von Attributionstrainings

4.2.2 Techniken eines Attributionstrainings

4.3 Verhaltensaktivierung

4.3.1 Zielsetzung und Grundhaltung der Verhaltensaktivierung

4.3.2 Umsetzung der Verhaltensaktivierung

4.4 Weitere unterrichtsbezogene Ansätze zur Förderung der Motivation

4.4.1 Zielsetzung

4.4.2 Wenn-Dann-Pläne

4.4.3 Sportliche Aktivität

5 Förderung bei kognitiven Beeinträchtigungen in Zusammenhang mit Depressionen (Armin Castello)

5.1 Wechselwirkung kognitiver und depressiver Symptome

5.2 Betroffene Funktionsbereiche des Denkens

5.3 Förderung und Unterricht bei depressionsbedingten kognitiven Beeinträchtigungen

5.3.1 Unterstützung der exekutiven Funktionen schulischen Lernens

5.3.2 Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit

5.3.3 Förderung von Merkfähigkeit und Gedächtnisprozessen

5.4 Weitere Möglichkeiten einer individuellen Unterstützung

6 Förderung realistischen Denkens im schulischen Alltag (Armin Castello)

6.1 Formen negativer, dysfunktionaler Bewertungen

6.2 Entstehungsbedingungen dysfunktionalen Denkens

6.3 Schulische Förderung realistischen Denkens

7 Self-Compassion bei Kindern und Jugendlichen mit Depressionen (Armin Castello)

7.1 Feedback und Selbstkritik

7.2 Self-Compassion

7.3 Bedeutung von Self-Compassion für die psychische Gesundheit und die schulische Entwicklung

7.4 Entwicklung und Ablehnung von Self-Compassion

7.5 Bedeutung für pädagogisches Handeln

7.6 Unterrichtliches Handeln

7.7 Psychotherapeutische Stärkung von Self-Compassion

8 Schulische Förderung bei emotionsbezogenen Symptomen (Gunnar Brodersen)

8.1 Komponenten emotionaler Kompetenz

8.2 Förderung emotionaler Kompetenzen

8.2.1 Emotionstraining in der Schule

8.2.2 Expressives und positives Schreiben

8.2.3 Mood Monitoring

8.2.4 Durchbrechen von Regelkreisläufen

9 Suizidalität bei Depressionen (Armin Castello)

9.1 Begriffsbestimmung

9.2 Häufigkeit und Verlauf

9.3 Risiko- und Schutzfaktoren und Warnhinweise von Suizidalität

9.4 Suizidprävention im schulischen Umfeld

9.4.1 Psychoedukation für Schülerinnen und Schüler

9.4.2 Qualifikation beteiligter Personengruppen

9.4.3 Handeln im Verdachtsfall

9.4.4 Postvention

9.5 Außerschulische Hilfsangebote

10 Kooperation und Kommunikation innerhalb und außerhalb des Schulumfelds (Armin Castello & Gunnar Brodersen)

10.1 Kommunikation

10.2 Eltern und Familien

10.3 Kooperation innerhalb des Schulbetriebs

10.4 Kooperation mit externen Beteiligten

10.5 Umgang mit Stigmatisierung

Literatur

|9|Einleitung

Depressionen im Kindes- und Jugendalter gehören zu den Global Health Priorities der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Laut WHO stellen sie im Ersterscheinungsjahr dieses Bandes die zweithäufigste Bedrohung der Gesundheit insgesamt dar. Dennoch fehlen in der Bundesrepublik Deutschland seit sehr vielen Jahren ausreichende kinder- und jugendtherapeutische Angebote mit der Folge, dass Lehrkräften sehr häufig psychotherapeutisch nicht adäquat versorgte Schülerinnen und Schüler im Unterricht begegnen. Obwohl die Merkmale unterschiedlicher Formen von Depressionen die schulischen Leistungen und das soziale Verhalten bei betroffenen Mädchen und Jungen stark beeinträchtigen können, gehört fachlich fundiertes Wissen zu den emotionalen, kognitiven, psychosomatischen und verhaltensbezogenen Symptomen einer Depression bislang nicht zum pädagogischen Wissenskanon. Gleiches gilt für wirksame Formen pädagogischen Handelns in Schule und Unterricht.

Der vorliegende Band ist vor dem Hintergrund dieses Versorgungs- und Wissensmangels entstanden und daher als Angebot zu verstehen, pädagogisches Handeln um klinisch-psychologisches und pädagogisch-psychologisches Wissen anzureichern mit dem Ziel, Lehrkräfte in der alltäglichen pädagogischen Arbeit im Schulumfeld zu unterstützen.

Um dieses Anliegen umzusetzen, werden in Kapitel 1 zunächst die aus pädagogischer Sicht wichtigsten fachlichen Grundlagen zu Depressionen im Kindes- und Jugendalter zusammengefasst. Auf dieser Basis können im zweiten Kapitel häufige Beeinträchtigungen im schulischen Alltag erläutert werden. Programme zur pädagogischen Prävention depressiver Symptome werden seit vielen Jahren erfolgreich an Schulen praktiziert und sind ein wichtiges Handwerkszeug, sodass in Kapitel 3 ausgewählte Präventionsprogramme für den deutschsprachigen Raum vorgestellt werden. Ein schulisch sehr relevanter Symptombereich sind motivationale Probleme in Zusammenhang mit depressiven Episoden. Damit, wie die betroffenen Schülerinnen und Schüler diesbezüglich gefördert werden können, befasst sich Kapitel 4. Das nachfolgende Kapitel 5 fokussiert die Unterstützung bei den gleichfalls häufig auftretenden kognitiven Auswir|10|kungen von Depressionen, wie z. B. Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit, der Merkfähigkeit und der exekutiven Funktionen. Wie Kinder und Jugendliche im schulischen Alltag unterstützt werden können, realistisches Denken zu entwickeln, anstatt in belastenden Denk- und Bewertungsformen zu verharren, thematisiert Kapitel 6. Dass sich Lernende mit mehr Akzeptanz, Freundlichkeit und selbst gerichtetem Mitgefühl (Self-Compassion) begegnen, kann durch die in Kapitel 7 beschriebenen positiven Handlungsansätze für Lehrkräfte unterstützt werden. Kapitel 8 stellt dann Möglichkeiten der schulischen Förderung bei emotionsbezogenen Symptomen dar. Den pädagogischen Umgang mit verschiedenen Aspekten von Suizidalität bei Depressionen thematisiert Kapitel 9, und das letzte Kapitel 10 fasst Informationen zu den wichtigsten Kooperationsfragen von Lehrkräften innerhalb und außerhalb des Schulumfelds zusammen.

In dieser kompakten thematischen Zusammenstellung soll psychologisches Wissen zu Depressionen bei Kindern und Jugendlichen pädagogisch nutzbar gemacht werden. Um die Navigation innerhalb des Buches zu erleichtern, finden sich folgende Markierungen im Text:

(1)

besondere pädagogische Relevanz (Symbol „Ausrufezeichen“),

(2)

Praxis, Anwendung oder Übung (Symbol „Werkzeugkasten“),

(3)

wissenschaftliche Perspektive (Symbol „Doktorhut“).

Für die Unterstützung in der Vorbereitung dieses Bandes möchten wir uns recht herzlich bei allen Lehrkräften der Schule Hesterberg in Schleswig, bei Andrée Nykamp, Marcus Petersen und bei den Lehrkräften der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Starogard (Polen) bedanken. Für die redaktionelle Unterstützung vielen Dank an Felix Castello, für fachliche Unterstützung bedanken wir uns bei Dr. Martin Jung, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Helios Klinikum Schleswig.

Flensburg,

Armin Castello und

im Sommer 2020

Gunnar Brodersen

|11|1 Grundlagen: Depressivität bei Kindern und Jugendlichen

Dieses Kapitel vermittelt grundlegendes Wissen zu unterschiedlichen Formen depressiver Auffälligkeiten. Die Häufigkeit des Auftretens von Depressionen und deren quantitative und qualitative Veränderungen mit der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter werden dargestellt. Ein Schwerpunkt liegt in der differenzierten Darstellung beteiligter Faktoren und Entstehungsbedingungen von Depressionen.

1.1 Formen depressiver Erkrankungen

Die Kernsymptome der verschiedenen Formen einer depressiven Erkrankung im Kindes- und Jugendalter liegen in einem ausgeprägten Interesseverlust, einer Reduktion des Antriebs und einem starken Gefühl der Niedergeschlagenheit. Der Begriff „Depression“ repräsentiert allerdings sehr unterschiedliche Ausprägungsgrade und Formen des Störungsbilds (Groen & Petermann, 2011). In der Art der Symptomatik bestehen teilweise erhebliche Unterschiede zwischen Depressionen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (vgl. Kapitel 1.3 in diesem Band).

Als häufigste Form gilt die unipolare Depression, sie stellt außerdem die typische Form einer Depression dar und wird in der ICD-10, dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation WHO (Dilling et al., 2016), auch als depressive Episode beschrieben. Um von einer Depression mit Störungsqualität zu sprechen, muss diese Episode über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen hinweg andauern (Groen & Petermann, 2011, S. 23). Eine unipolare Depression verläuft zumeist in wiederkehrenden (rezidivierenden) Episoden, die durch ein ausgeprägtes und nahezu ununterbrochenes Auftreten der Kernsymptome und oft auch weiterer Beschwerden gekennzeichnet sind. Die Schwere einer unipolaren Depression wird nach Ausprägungsgraden unterschieden (leicht, mittelgradig und schwer). Diese Abstufung orientiert sich an der Anzahl auftretender Symptome, die Kriterien einer unipolaren Depression mit Krank|12|heitswert sind erfüllt, wenn mindestens vier Symptome auftreten (vgl. Kapitel 1.2 in diesem Band).

Die bipolare Störung ist eine Abfolge von Phasen, die im Wechsel jeweils gekennzeichnet sind durch manische oder depressive Zustände. Während in den depressiven Phasen vielfach die dargestellten Symptome der unipolaren Depression zu beobachten sind, ist eine manische Phase durch euphorische Zustände geprägt. Betroffene erleben dann ein reduziertes Schlafbedürfnis, ein extrem erhöhtes Selbstwertgefühl, zeigen ein hohes Maß an körperlicher Aktivität (Aufgedrehtsein) bei gleichzeitig hoher Ablenkbarkeit durch viele konkurrierende Ideen. Aufgrund von hyperaktiven und wenig rücksichtsvollen Verhaltensweisen in manischen Phasen werden sie häufig mit externalisierenden Störungen verwechselt. Bipolare Störungen verlaufen in einem zyklischen Wechsel von Aktivität und Euphorie einerseits und Antriebslosigkeit und Depression andererseits, unterbrochen durch einen Zustand der Normalisierung.

Die dysthyme Störung stellt eine Form der unipolaren Depression dar, die aber im Ausprägungsgrad der Symptome weniger gravierend ist und im Verlauf über einen längeren Zeitraum erstreckt. Kinder und Jugendliche sind im Fall einer dysthymen Störung über die meiste Zeit eines Tages durch Symptome einer Depression belastet, und dies gilt für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr an über der Hälfte aller Tage. An diesen Tagen erleben sie Gefühle der Abgeschlagenheit, Müdigkeit, des Gereiztseins und der Überforderung bei gleichzeitig reduzierter Fähigkeit, schöne und erfreuliche Dinge zu genießen. Typischerweise treten auch Veränderungen des Essbedürfnisses in Form einer Steigerung oder Hemmung auf. Es entwickelt sich häufiger eine Irritation des Schlafs, wobei dies ein übermäßiges Bedürfnis nach Schlaf oder Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen sein kann. Menschen, die unter einer dysthymen Störung leiden, können von den unterschiedlichen belastenden Symptomen einer Depression betroffen sein, wie einem reduzierten Selbstwertgefühl oder kognitiven Beeinträchtigungen, z. B. Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsproblemen. Es entsteht oft, auch wegen der Dauer der Auffälligkeiten, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit; dysthyme Störungen werden daher bei Kindern und Jugendlichen auch als reizbare Verstimmung bezeichnet. Voraussetzung für die Diagnose dysthyme Störung ist das Vorliegen von mindestens zwei Symptomen (siehe Kapitel 1.2).

So genannte Anpassungsstörungen mit Depressionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kurze Zeit nach einem identifizierbaren Belastungsereignis eintreten. Sie stellen insofern eine Belastungsreaktion dar, die die depressiven Symptome zur Folge hat, aber Ausgangspunkt einer Anpassung auf eine neue Situation ist. Belastungen können z. B. der Verlust einer nahe|13|stehenden Person sein, die Trennung der Eltern, ein traumatisierendes Ereignis oder eine Erkrankung. Anpassungsstörungen mit Depressionen treten gemäß ICD-10 innerhalb eines Monats nach dem erkennbaren Belastungsereignis auf, allerdings sollten die Symptome nicht länger als 6 Monate anhalten.

Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich die Symptome eines Burnouts (Erschöpfungsdepression) häufig in Schlafstörungen und Essstörungen. Auch das Interesse an vormals attraktiven Beschäftigungen kann leiden, wenn Patienten im Jugendalter aufgrund einer schulischen Überlastung die Symptome des Burnouts entwickeln. Dieses Phänomen tritt bei Mädchen und jungen Frauen häufiger als bei männlichen Gleichaltrigen auf. Im Hintergrund liegt teilweise eine problematische Einstellung zu Schulleistungen bzw. ein unverhältnismäßig hoher Anspruch an deren Quantität und Qualität.

1.2 Symptombereiche von Depressionen

Depressionen müssen als ausgesprochen heterogenes psychisches Phänomen bezeichnet werden (Groen & Petermann, 2011). Übereinstimmend liegt ein hohes Maß an subjektiver Beeinträchtigung und eine Reduktion der Lebensqualität vor. Patienten berichten teilweise von einer als kaum erträglich empfundenen Niedergeschlagenheit, von geringem Interesse an Dingen, die sie eigentlich mögen, einer Reduktion ihrer Aktivitätsbereiche, einem Gefühl der inneren Leere, großer Langeweile, intensivem Grübeln und lähmender Antriebsarmut. Neben den Kernsymptomen gibt es eine lange Reihe weiterer Symptome, die individuell in sehr unterschiedlichen Variationen auftreten können.

Körperliche bzw. somatische Beschwerden zeigen sich z. B. in einem Gefühl der Kraftlosigkeit, die auch mit häufigen Ein- oder Durchschlafstörungen in Verbindung stehen. Schlaf wird von Betroffenen seltener als erholsam empfunden, das Schlafbedürfnis ist vielfach beeinträchtigend hoch oder aber gar nicht vorhanden. Ähnliche Irritationen erleben Patienten in ihrer Ernährung, also bei der Nahrungsaufnahme, Appetitregulation und Verdauung. Das Hungergefühl wird ständig oder aber gar nicht wahrgenommen, es können Phänomene der Verstopfung oder des Durchfalls auftreten.

Neben dem Kernsymptom der Niedergeschlagenheit mit einer Anmutung der Emotionslosigkeit durch abgeflachte Mimik und Gestik können sich andererseits emotionale Symptome entwickeln, die zu externalisierenden |14|Problemen führen. Belastend für die Patienten selbst, deren Angehörige aber auch Gleichaltrige und Lehrkräfte ist eine auftretende gereizte Grundstimmung mit aggressiven Verhaltenstendenzen. Dies kann soziale Ablehnung, Disziplinierungsmaßnahmen und soziale Isolation zur Folge haben, sodass eine negative Feedbackschleife entstehen kann, die die Symptomatik noch verstärkt.

Abbildung 1: Negative Feedbackschleife „Disziplinierung und Verstimmung“

Auf diese Weise kann sich im Wechsel aus aggressivem Verhalten, negativen Rückmeldungen und entstehenden Schuldgefühlen eine zunehmende Schulunlust etablieren. So können schulische Fehlzeiten mit weiteren negativen Feedbacks entstehen, manche Schülerinnen oder Schüler brechen ihre schulische Laufbahn ab oder wechseln möglicherweise mehrfach die Schule.

Neben aggressivem, hyperaktivem oder sogar delinquentem Verhalten und möglichen Problemen im Klassenverband werden auch verhaltensbezogene Symptome in der entgegengesetzten Form sichtbar. So zeigen sich auch Apathie und psychomotorische Verlangsamung. Nonverbale Signale einer Depression können in einer reduzierten Körperspannung, einem maskenhaften oder emotionslosen Gesichtsausdruck, Vermeiden des Blickkontakts oder in einer leisen und monotonen Stimme liegen (Nevermann und Reicher, 2009, S. 199).

Bei manchen Jugendlichen kann der erlebte innere Zustand einer depressiven Episode zu einem Verhaltensmuster der Selbstverletzung führen. Denn Selbstverletzungen ermöglichen eine prompte Reduktion der als aversiv erlebten inneren Anspannung, sodass z. B. das „Ritzen“ unmittelbar entspannend wirkt und dadurch verstärkt wird. Durch Reduktion der belastend negativen Gedanken und Linderung des emotionalen Zustands in Folge von Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmissbrauch kann sich |15|ein problematisches Suchtverhalten festigen. Auch exzessives Videospiel und Internetsucht ist ein verbreitet beobachtbares Phänomen im Kontext von Depressionen bei Jugendlichen. Substanzgebundenes und -ungebundenes Suchtverhalten tritt deswegen insgesamt vermehrt auf.

Häufig verändert sich auch das Denken bei betroffenen Kindern und Jugendlichen. Dies gilt einerseits für ihre kognitive Leistungsfähigkeit, wie Konzentrations- und Merkfähigkeit, die allgemeine Belastbarkeit und die Geschwindigkeit des Denkens (siehe Kapitel 5.2). Die Folge hiervon kann sein, dass sich die schulische Leistung und damit auch deren Bewertungen negativ entwickeln. Auf diese Weise kann erneut eine negative Feedbackschleife entstehen, in der schulische Leistungen als Folge und/oder Ursache anderer depressionsbezogener Symptome verstanden werden müssen, wie z. B. ein negatives Leistungsselbstkonzept. Dieser Zusammenhang – zwischen schulischen Leistungen und Depressionen – ist für Lehrkräfte oftmals nicht auf den ersten Blick offensichtlich. In Kapitel 2 wird dieses Themenfeld vertiefend dargestellt.

Abbildung 2: Negative Feedbackschleife von Schulleistungen und Depressivität