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Leopold Schefers Buch 'Der arme Dschem: Historischer Roman' entführt den Leser in die Welt des 19. Jahrhunderts, in der die Geschichte von Dschem, einem armen und geheimnisvollen Mann, präsentiert wird. Schefer's literarischer Stil zeichnet sich durch seine detailreiche Beschreibung der historischen Umgebung und die lebendigen Charaktere aus, die er geschaffen hat. Der Autor nutzt seine Kenntnisse der Geschichte, um eine fesselnde Erzählung zu kreieren, die den Leser in die Handlung eintauchen lässt und gleichzeitig Einblicke in die sozialen und politischen Verhältnisse jener Zeit bietet. 'Der arme Dschem' ist ein Meisterwerk, das durch seine fesselnde Erzählweise und die gut recherchierten historischen Details besticht. Leopold Schefer, ein bekannter deutscher Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, schafft es, den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Durch seine tiefgreifende Kenntnis der Geschichte und sein Gespür für fesselnde Handlungsstränge gelingt es ihm, ein Werk zu erschaffen, das sowohl unterhaltsam als auch lehrreich ist. 'Der arme Dschem' ist ein Buch, das jedem empfohlen werden kann, der sich für historische Romane und fesselnde Erzählungen interessiert. Schefer's Werk ist ein faszinierendes Fenster in eine vergangene Zeit, das den Leser auf eine unvergessliche Reise mitnimmt.
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Seitenzahl: 120
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Du liebe Zeit. Mir ist so bang’! Die Nacht ist lang,
Hast Du gehört, ich bin im Kloster! im Kloster! Ich, das fröhliche Mädchen, das heitre, das muntre! der Schalk, wie Du mich nanntest, als ich bei Euch noch in Spanien lebte, und groß wuchs. O der schönen Tage auf Eurem Schlosse bei Mallaga! O der schönen sorglosen Kindbett, die noch gar nichts hoffte, nichts fürchtete, am wenigsten solch ein Geschick! Ach, das alles ist nun aus! Ich weiß nun, ich weiß, was hinter den Bergen mir lag! Ach, ich weiß, was die Sonnen mir in so nahen Tagen heraufführen sollten, die purpurnen Sonnen, die ich so ahndelos in dem Meere versinken, ertrinken sah. Doch die Sonne, sie brachte, sie brachte auch Ihn mir, auch Ihn!
Da sah ich alle Herrlichkeit der Welt auf einmal! Da war Alles, was jemals das Herz erfüllt, das so sehnte und schmachtete, bangte und zagte und hoffte. Ja, es hat Wort gehalten, das unersättliche Herz! Was mir die Rosen als Kinde geblüht, das ist alles eingetroffen! Was die Lerchen mir Mädchen gesungen, was die Nachtigall geschlagen, was der Kukuk gerufen, was mir des Mondes helles Antlitz prophezeiht, wenn ich zu ihm aufsah, das ist alles eingetroffen! Alles übertreffen! Die Sonne, der Frühling, die Erde, und alle Menschen, sie haben Wort gehalten; die Nähe, die Ferne, die Fremde sogar hat erst recht mich überschüttet mit Seligkeit! Ach, und von wem nur kommt mir mein Leid? Höre, von meinem Bruder, dem bösen der Brüder, deren Einer noch weint, und weinend beschämt dem Andern folgen mußte, mich hier zu begraben in Rom, in dem Kloster, in Trastevere, so weit von meiner Heimath, von dem schönen Sassenage in dem schönen Frankreich! Und wie sehr ich meine Brüder liebte — Du hast nur Schwestern, Du kannst es nicht ahnen, wie sehr eine Schwester den Bruder zu lieben vermag! Denn halb ist er der Sohn des ehrwürdigen Vaters, und also ehrwürdig! und halb ist er ein Gleichbild des künftigen Geliebten, ein Zauberschein des Gemahls, und also liebenswürdig! O Ehre und Liebe, warum kämpfet ihr so schrecklich auf Leben, und Tod in der Welt? Seid ihr Himmlischen Beide so selten einig und eins, und am öftersten da nur, wo die Augen der Welt nicht auf die zu niedrig geborenen Menschen sehen! O sie sind glücklich, allein glücklich, diese niedrig geborenen Menschen!
Denn so kann Ich ja sagen: Was hätte mir unadlige Geburt geschadet? — Nichts! Er hätte mich dennoch gesehen, dennoch geliebt! Und auch so bin ich Ihm ja doch viel zu gering, nur eine Magd, oder wie sein Volk sagt: eine Sklavin. Doch ach, was denk’ ich an Ihn! Es ist Alles vorbei! Er ist mir ja doch verloren! Und nur Ein Unglück ist noch größer: Ich bin Ihm ja doch verloren! und daß Dieses das größte Unglück ist, das ist mir ein Trost! der größte, der süßeste, unentbehrlichste, und ohne Den bin ich ganz verloren! Dann bin ich vergebens gefangen im Kloster, von solcher grünen Jugend an bis … . . bis in unabdenkliche Jahre! Ja, meine Freundin, wäre ein Kloster ein Ort, wo ein Mädchen wirklich sein Herz vergäße mit allen seinen Freuden und Leiden, wäre es nicht grade der Ort, wo Einsamkeit und Stille unser verschwiegenes Geheimniß zu tausend Blüthen bringen, wie eine den Winter über in das warme Zimmer gezogene Rebe des Weinstocks, wären wir nicht wir im Kloster, kämen wir aus dem Kloster in die Welt, nicht aus der selig betrübenden Welt in das Kloster, gingen Engel hinein, nicht arme unwissende, verlorene Menschen, so pries’ ich die Mauern, die ich jetzt verwünsche, den Boden mit Füßen stampfe, die Wände mit den geballten kleinen Händen schlage. Ja manchmal lange dasitzend und ganz verträumt mein’ ich, sie wegzublasen mit meinem Hauch wie Nebelwände; ja wegweinen wollte ich sie, wenn ich es nur anzufangen wüßte. Aber, mein Gott! Ich will ja nicht glücklich sein, denn Er ist unglücklich! Ich will ja nicht frei sein, denn Er ist gefangen!
Gefangen in schöner Jugend! Ja, ich möchte zu Ihm auf seinen Thurm, hinter seine Gitter! Denn, wäre ich frei, hätte ich erst solche Angst, wie das Weib des Hänflings, dem die Kinder den Mann weggefangen, und den sie, nutzlos und kummervoll frei schwebend, frei umher fliegend, im Kerker erblicken kann und erblickt. Ach, Du hast nichts von meinem Schicksal gehört, das doppelt schwer ist, da sein Schicksal durch meineLiebe auch meines geworden. Nichts ist erschollen davon bis zu Euch, sonst hättest Du mich ja getröstet. Alles ist dunkel bedeckt geblieben; denn harte Thaten geschehen geheim an den Menschen, im Finstern, im Sichern! Und ach! auch ich übereile mich vor Hast der Mittheilung! Aber selber einen Korb mit Blumen, den wir zu lange getragen, schütten wir froh durcheinander auf einmal aus, geschweige ein schweres Herz voll Leiden! Doch ich will mich sammeln, eine Weile ruhen, um alles in wenige Worte zu drängen.
Ich bin gestern um Sonnenuntergang an Ripa grande gewesen, dem Hafen von Rom, wo am breiten Ufer der Tiber auch die spanischen Schiffe ihren Wein ausladen. — Ich bin also noch Novize, wie Du daraus abnimmst. Dort traf ich letzthin unter den spanischen Schiffern einen Mauren, der ein Christ geworden, um in seinem Vaterlande bleiben zu dürfen.
O wie rührte mich der arme Morisco, der statt Isa, oder Jesus, nun Esao heißt. Ich konnte meine Freude vor den Schwestern kaum verbergen; nur ich von ihnen konnte mit ihm sprechen in seiner Sprache, die ich mit Dir von unsrer Dienern, der Maurin gelernt. Ich durfte mit ihm sprechen, da er der Bruder unsrer Dienerin ist. O die Heimathlaute, die Laute der Muttersprache, sie öffnen dem Fremden selber das Herz; darum vertraute er mir, und ich vertraute dem Vertrauenden, ihn zu bitten, mir einen Brief an Dich mitzunehmen, und sicher zu bestellen. Nun hörte ich gestern von ihm, das Schiff geht erst morgen, übermorgen, überübermorgen! Da ist denn Zeit, Dir Alles ordentlich zu erzählen. Ich habe die Nacht nur geträumt, nur geweint! Und doch hat sich das Herz mir wunderbar gestärkt und befestigt, ich habe klar gefühlt: ich bin unschuldig! Doch Unschuld schützt vor Unglück nicht, sie lehrt es nur dulden, und immer zu wagen. Ich bitte vom Himmel nur um Gelegenheit zu einem Wagniß, zum größten bin ich bereit!
— Und nun höre, was ich gethan … . .
„Ich habe geliebt!“
; Einen schönen jungen Mann, der mich liebte, Lieben und Wiederlieben, nicht vergehen lassen des Liebenden Herz, das ist unsre Bestimmung. Zu was sonst war ich geboren!
„Als ich schon sein war mit ganzer Seele, da erfuhr ich erst: mein Geliebter hat ein Weib, ja ein Kind!“
; Aber ich wußte ja vom ersten Anblick, daß er ein Türke ist, und weiß, daß ihm sein Gesetz erlaubt, eine zweite Frau zu nehmen zur Ersten, ja Drei auch Vier Frauen zu gleicher Zeit zu haben, nicht nur nach einander, wie bei uns die christlichen Wittwer! Und bleibt und lebt nicht auch Diesen, den christlichen Wittwern. die Erste, gestorbene Frau im Herzen? oder nicht? Ich hoffe, bei dem guten Manne lebt die Gestorbene auch noch mit der Zweiten fort, die Zweite mit der Dritten, die Erste und Zweite und Dritte mit der Vierten, und schlimmer —: verborgen, recht innerlich! Und hatten nicht selber die griechischen christlichen Kaiser und ihre Brüder ihre schönsten Töchter den türkischen Sultanen und ihren Brüdern zu Weibern gegeben, auch ohne den Vorbehalt, das einzige, ewig-erste Weib zu sein? Denn so tief war ich nicht über die Entdeckung erschrocken, mein Geliebter habe ein Weib in der Ferne, in Aegypten, als ich darüber erschrak: mein Geliebter ist der Sohn des Sultan Mohammed, des schrecklichen Eroberers von Constantinopel, und der Bruder des herrschenden Sultan Bajasid, und soll oder soll nicht hinziehen: den Bruder vom Throne zu stoßen! —
Liebe, barmherzige Freundin, jetzt weißt Du Alles, was mir geschehen ist — höre aber nun erst an, wie es mir geschehen, höre die Leiden des schönen armen Prinzen Dschem! Das ist sein Name: Dschem! Dschem! Aber das sonderbare Wort „Regenbogen“ bedeutet nicht so Himmlisches, Unausdenkbares. Schönes, Liebes und Liebendes, als die arme Sylbe Dschem.
Sprich sie nur ja recht weich und sanft aus, sonst thust Du Sünde an dem herrlichsten, ärmsten Mann auf Erden! Ich bin erst zwanzig Jahr, und mit aller Besinnung, mit allem klaren Denken finde ich mich schon in den Ketten meiner Mädchenzeit, in Ketten, die ich aus Gedanken und Gefühlen wie gewebt, und die mich nun fesseln und halten auf immer und immer. Ach, ich kann nicht aus meiner Seele, aus meinem Herzen, und möchte nicht! O meine Freundin, wenn Du liebst und sagst: die Liebe ist das Süßeste auf Erden! so höre doch mein leises Wort: die Treue ist tausendmal süßer, die Treue ist reine heilige Liebe! Wenn ich mich nicht bedaure, wirst Du mich also auch nicht so beschuldigen. Ich war, wie Du weißt, ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren, als ich von Euch mußte, von Dir und meiner Mutter. Schwester, da meine Mutter gestorben war. In Trauerkleidern betrat ich das Vaterhaus. wo die Brüder nun herrschten, blos von unster lieben Maurin Helena begleitet. Granada war erobert, war ruhig, wie ein Grab, fleißig, wie ein Bienenstock, die Mauren hatten sich taufen lassen, und auch Helene war getauft, und vorher schon so treu und sanft wie die wahrste Christin. Ich war ihre Pathe, ich hatte ihr meinen zweiten Taufnamen gegeben, so folgte sie mir. Der Herbst war gekommen, das Laub auf den Linden vor unserem Schlosse war schon gefärbt, wie ich beim Scheine der Fackeln der Diener sah, als ich den Schloßhof betrat, meine Füßchen raschelten muthwillig vor Trauer schon im gefallenen Laube, Man leuchtete mir durch die leeren Säle, durch das leere Zimmer der Mutter, an deren leeres Bett ich hinkniete, weinte und betete, in mein sonst bewohntes, liebes Zimmer nach dem Garten, der bis zu dem alten Schlosse sich dehnt, das auf dem jähen Felsenabhang liegt. Ich wußte nicht, wer darin gefangen gehalten ward. Der Morgen war herrlich, ich ging in dm Garten, bei den Herbstblumen langsam vorüber, bis in die Gebüsche. Auch Du, liebe Seele, würdest es mährchenhaft. traumhaft, bezaubernd gefunden haben, da, im gewohnten alten Kindergarten, an einem kleinen saubern Altar, der nach Osten gerichtet war, einen Morgenländer betend zu erblicken! Einen schönen jungen Mann, in den saubersten, prachtvollsten Kleidern, das engelgleiche, blasse Gesicht voll Andacht, Wehmuth und Inbrunst. Er wand die weißen, schönen Hände, daß die Ringe an seinen Fingern grün und purpurn blitzten. Seine großen Augen schwammen in Thränen. Aus frommer Scheu und Bewunderung hielt ich sogar den Athem an, und wagte keinen Schritt zurück, indeß doch ein Vogel über ihm laut sein Morgengebet sang. Aber wie heiter und froh! Da mit erschreckender Hast richtete sich der Betende auf. stampfte mit dem Fuß, und richtete einen durchdringenden Blick aus den düstern Augen in die Tiefe des blauen Himmels. Dann legte er seine Hand auf das Herz, senkte das Haupt und lächelte so bezaubernd anzuschauen, daß ich fast aufgeschrieen hätte, vor unerträglichem Entzücken. Ja, auch weinen hätte ich mögen! Da fiel sein Blick auf mich, wie ich ihn ansah, und nun wollte ich nicht erröthen. und weiß nicht, ob es doch mir geschah, aber ich vermochte nicht, meine Augen von seinen Augen zu wenden, die ganz allmälig aus leisem Erstaunen immer glühender, schwärzer, stralender wurden, das Antlitz immer schöner, anmuthiger, die Lippen immer holder geöffnet wie zu reden. Und ohne einen Schritt mir zu nahen, sprach er endlich mit wunderbar mich treffender Stimme und der reinsten Ehrfurcht: „Ich habe den Himmel gebeten, mir einen Engel zum Troste zu senden, und so schnell erfüllt er das Gebet des Duldenden! — Da steht er in seinem Sonnenschein! O Sonne, du bist nicht wunderbarer als diese Jungfrau, nicht herrlicher! Willst Du mir nicht Deinen Namen sagen? — Wirst Du bei mir bleiben? Werd’ ich Dich wiedersehen? Einmal? Immer? Keinmal? Ach, ich bin gewohnt, alles Beste und Liebste zu verlieren, vielleicht verloren zu haben! Nun sollte ich auch noch beklagen, Dich gesehen zu haben! — Sage mir nur Deinen Namen! Ein Name ist ein Talisman, damit zaubert sich die Seele Tag und Nacht ihre Schätze herbei aus der Ferne, herauf aus dem Grabe, herab aus dem Himmel!“
; Wie konnte ich auf diese, in feinem Französisch gesprochenen Worten ihm sagen: „Ich heiße Philippine!“ Seine Ehrfurcht und Bewunderung hatte mir die höchste, wahrste, reinste Stimmung des Weibes gegeben, und ächt mädchenhaft schämte ich mich meines Namens „Philippine von Sassenage!“ Dadurch ward ich ein bloßes Fräulein von Adel! ich fiel aus den Wolken nach Frankreich! indeß die Erde mir ihn und mich nur ihm trug, wie Gewölk. O süße Freundin, der Augenblick war himmlisch! Ich empfand mich erst recht völlig! Ich wuchs mir groß, mir war wonnevoll zu Muth. Die Ehrfurcht vor dem Weibe entzündet die Liebe.