Der Arsch der Welt hat tolle Backen - Marion Fennel-Stüber - E-Book

Der Arsch der Welt hat tolle Backen E-Book

Marion Fennel-Stüber

4,5

Beschreibung

„Dann fliege ich eben nach Kolumbien…“. Eine Entscheidung, ganz spontan aus einem Trotzgefühl heraus getroffen, es sich und vor allem ihrem Ehemann einmal zu zeigen, der sie kurz zuvor verlassen hat. Sie wählt dafür ein Reiseziel, das bei uns eher für negative Schlagzeilen bekannt ist, die mit Drogenkriminalität, Guerillakämpfen oder Entführungen zu tun haben. Nur bruchstückhaft des Spanischen mächtig, ausgestattet mit einer nicht funktionierenden Geldkarte und einem ebenso wenig funktionierenden Handy, gelingt es ihr vor allem mit Hilfe entfernter Verwandter, unter allerlei Missverständnissen und Schwierigkeiten, die Etappen der Reise zu bewältigen und sich zugleich zunehmend mit den landestypischen Besonderheiten und der Mentalität der Kolumbianer vertraut zu machen. Die Faszination des wunderschönen und zugleich kulturell hochinteressanten Landes nimmt sie während ihres Aufenthaltes zunehmend gefangen. Sie berichtet von versunkenen, rätselhaften Kulturen und vom Alltag der heutigen Kolumbianer. Dabei nimmt sie den Leser mit auf wagemutige Motorradtouren und Geländeritte zu archäologischen Stätten, auf Tauchausflüge zwischen Haien und Walen, an paradiesisch schöne Strände, in entlegene Andenregionen und alte Kolonialstädte. Sie berichtet von der enormen Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Kolumbianer, schwärmt von herrlicher Musik oder exotischen Früchten und von Tieren wie Papageien, Kondoren, Kolibris und Affen. Am Ende ist sie sicher, hierher so bald wie nur möglich wieder zurückkehren zu wollen.

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Meinen liebenswerten kolumbianischen Familienmitgliedern und Freunden gewidmet.

Inhalt

Vorwort

Warum denn ausgerechnet Kolumbien?

Ein Flug ins Blaue

Äääätsch!

Unterwegs nach El Dorado

Um das Einpökeln gerade noch einmal herumgekommen

Frauenzeiten

Verlust und Gewinn

Alltagsabenteuer

Lebendig gestorben, lebendig ins Paradies

Auf mich allein gestellt „zur Probe“

Erfrischend anders

Man ist erst dann verloren, wenn man sich selbst verliert

Allein reisen bedeutet nicht allein sein

Selbst ist die Frau

Ärger macht nur noch ein Flugzeug-Tischchen

Dank

Externe Bildquellen

Die Autorin

Vorwort

Im Jahre 1492 macht sich ein Italiener im Auftrag der spanischen Krone auf, einen neuen Seeweg nach Indien zu suchen. Er ist ein nur wenig gebildeter Mensch, der von den zeitgenössischen Gelehrten folglich auch als ein von seinen Ideen besessener Spinner abgetan und belächelt wird. Seine Berechnungen tut man daher in diesen Kreisen auch als großen Unfug ab. Angetan von den Reiseberichten Marco Polos und mithilfe seines Wissens aus der Bibel hat er eine Entfernung von 6.000 Kilometern über den Atlantischen Ozean zwischen Europa und Indien errechnet. Da Isabella und Ferdinand von Spanien sich gerade mit Portugal in einer Art Wettlauf um die Entdeckung ferner Länder befinden, stellen sie dem jungen, machtgierigen Abenteurer schließlich drei Schiffe zur Verfügung. Dieser ehrgeizige Seefahrer heißt Christoph Columbus. Das Ergebnis seiner Irrfahrt ist bekannt: Er erreicht drei Monate später den Doppelkontinent Amerika und meint, in Indien angekommen zu sein. Der neu entdeckte Kontinent ist jedoch vor seiner Entdeckung durch Kolumbus schon seit Tausenden von Jahren besiedelt. Es gibt dort hoch entwickelte Kulturen, die ebenso hoch entwickelte politische Systeme besitzen. Die Spanier entdecken also bei ihrer Ankunft keine „Wilden“. Wie die „Wilden“ gebärden sich stattdessen die Spanier selbst. Die ihnen zunächst friedlich gesonnenen Ureinwohner werden in der folgenden Zeit von den europäischen Eroberern ausgebeutet, unterdrückt und ihrer kulturellen Identität beraubt. Wer die Massaker überlebt, wird versklavt. Viele der Sklaven werden sogar bis nach Europa verschleppt. Kolumbus selbst wütet so grausam, dass seine Auftraggeberin, Königin Isabella, als sie davon Kenntnis bekommt, ihn in Ketten legen und zurück nach Spanien verfrachten lässt. Auch wenn er anschließend rehabilitiert wird, ist damit sein Ruhm erloschen. Doch andere, ebenso grausam Wütende folgen. Der durch eingeschleppte Krankheiten und die Gewaltherrschaft der Spanier dezimierten einheimischen Bevölkerung gelingt keine nennenswerte Gegenwehr gegen die Übermacht der Spanier. Mit der Zerstörung der alten Kulturen und der Plünderung ihrer Schätze, vor allen Dingen solcher aus Gold, verschwinden auch für lange Zeit - in vielen Fällen sogar für immer - ihre Überlieferungen und Zeugnisse, und alte Städte und Handelswege werden von der Landkarte getilgt. Eroberer wie Cortez und Pizarro machen sich im 16. Jahrhundert in das bis dahin noch verschonte Innere des Kontinents auf. Angeblich zu seiner Erforschung, in Wahrheit jedoch geht es auch ihnen nur um Plünderung und Zerstörung. Vasco de Balboa entdeckt im Jahre 1513 als erster Europäer den Pazifischen Ozean, den er „Meer des Südens“ nennt. Er bringt die Spanier zusätzlich auch von der Westseite her ins heutige Peru und Chile. So wird der Kontinent in der Folgezeit von der Kolonialmacht von allen Seiten in die Zange genommen und von innen her ausgeblutet. Erst 1810 befreit sich Südamerika vom 300 Jahre lang anhaltenden Joch der Fremdherrschaft. Aber es ist keine Revolte der Urbevölkerung gegen die Eroberer, sondern eine Befreiung der dort lebenden Menschen von dem Mutterland Spanien. Inzwischen ist der Kontinent zu einem Schmelztiegel der Kulturen und Rassen geworden. Es gibt die indigene Bevölkerung, die Nachfahren der spanischen Kolonisten und auch eine Menge von Afrikanern, die als Arbeitssklaven von den Spaniern hierher verschleppt wurden. Zudem haben sich alle Rassen auch noch miteinander gemischt. Unter Simon Bolívar und Francisco de Paula Santander gelingt am Ende die Rebellion, und aus dem Vizekönigreich NEUGRANADA entsteht nach blutigen Auseinandersetzungen schließlich die Republik Kolumbien, die 1830 in die Länder Ecuador, Venezuela und Kolumbien aufgeteilt wird.

520 Jahre nach Kolumbus kommt eine Frau auf dem Flughafen EL DORADO in BOGOTÁ an. Auch sie weiß fast nichts über das Land, in dem sie gerade gelandet ist. Auch sie versteht kaum die Sprache der Menschen um sich herum. Auch sie hat einen Irrweg hinter sich, der sogar noch viel länger als der von Kolumbus war, nämlich fast vier Jahrzehnte. Ihre Beweggründe für die Reise? Abstand zum Alltagsfrust gewinnen. Schöne Landschaften sehen wollen. Die Hoffnung darauf, warmherzige Menschen zu treffen. Lebensfreude zu tanken. All das gelingt ihr. Diese Frau, die Leser werden es schon erahnt haben, bin ich. Auf meiner Reise durch Kolumbien komme ich mir täglich vor wie eine Entdeckerin. Ich komme aus dem Staunen fast nie heraus. Eine Entdeckung führt zur nächsten. Schätze an Landschaften und Kulturen, liebenswerte Menschen, mitreißende Musik, die alles zu durchdringen scheint. Ein Land, das Gegensätze und Widersprüche vereint und zu einer ganz speziellen Identität vereinigt hat. Für den Besucher ein buntes Kaleidoskop an Möglichkeiten, seinem Körper und Geist eine Auszeit zu verschaffen oder sogar eine persönliche Neuzeit einzuläuten. Jeder bringt aus Kolumbien einen Schatz zurück, mag er auch nicht mehr das von den frühen Entdeckern so ignorant und gnadenlos geplünderte Gold sein. Das heutige Gold Kolumbiens ist vor allen Dingen seine besondere Schönheit. Dieser Schatz bleibt im Land zurück, auch wenn der Besucher geht. Aber er wirkt nach, und so kehrt der Besucher am Ende gerne wieder zurück, um noch mehr zu entdecken.

Warum denn ausgerechnet Kolumbien?

„Nach Kolumbien? Du ganz allein? Bist du denn verrückt?“ Nein, nicht ich bin verrückt, aber mein Leben ist es. Oder genauer gesagt, es hat sich verrückt wie nach einem heftigen Erdbeben. Die Teile passen nicht mehr zusammen, sind zerbrochen und vollkommen durcheinander. Nichts ist zu diesem Zeitpunkt mehr so, wie es einmal war oder auch nur für mich zu sein schien. Oben ist unten, gut ist schlecht, wahr ist falsch, liebevoll ist gleichgültig und sicher ist unsicher. Warum also nicht nach Kolumbien, wenn ohnedies schon alles so zerrüttet ist? Klingt das zu fatalistisch? Nun, dann sollte man vielleicht besser fragen: „Warum ausgerechnet nach Kolumbien?“ Das ist jedenfalls viel leichter zu beantworten: „Weil ich nicht weiß, wohin ich sonst alleine reisen kann. Denn dort kenne ich zumindest ein paar Leute. Zudem soll das Land wunderschön sein.“ So einfach ist meine Entscheidung. Eine Entscheidung aus dem Bauch und aus der Ratlosigkeit heraus. Ich kenne mich zu diesem Zeitpunkt selbst nicht mehr, da ich mich wie mittendurch geschnitten fühle, halbiert, zerrissen, demoliert, wertlos, verlassen und auch noch schuld daran, wofür ich mich zutiefst schäme. Nur, dass ich nicht weiß, wann und wodurch ich schuldig geworden bin. Meine zweite Hälfte fehlt, und ohne sie bin ich nichts, fühle mich meiner Identität beraubt, weiß nicht mehr, wer ich überhaupt bin, wer ich jetzt noch werden möchte, wie ich das schaffen soll, ob es den Einsatz wert ist, und worin dieser Einsatz denn überhaupt bestehen soll. Ich bin vollkommen verunsichert, und es fehlt mir ein Gerüst, um mich daran festzuhalten, aufzurichten und erst mal wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Denn sonst, das ist gewiss, werde ich wie im Treibsand einfach untergehen und daran sterben. Genau genommen, fühle ich mich zum Zeitpunkt meiner Reise-Entscheidung wie lebendig gestorben. Geht so etwas denn überhaupt? Bin ich vielleicht doch verrückt? Oder gibt es vielleicht noch andere Stufen zwischen Leben und Tod als das Vorhandensein oder die Abwesenheit messbarer Vitalfunktionen? Das Sterben kann nach meinen Lebenserfahrungen ein Durchgang sein, den man in zwei Richtungen und sogar mehrfach durchschreiten kann. In so einer gefühlten Durchgangssituation befinde ich mich also, als ich mich für Kolumbien als Reiseziel entscheide. Kolumbien, so meine ich, passt da sehr gut. Ein Land im Umbruch, wie sich auch mein Leben gerade im Umbruch befindet, nachdem so vieles zerstört und gestorben ist und es dennoch weitergehen muss, weil die Zeit nicht stillsteht, nur weil meine Welt in Scherben liegt. Nach 37 gemeinsam verbrachten Jahren, 34 davon als Ehepaar, hat mich mein Mann Knall auf Fall ohne jede Vorwarnung für eine 10 Jahre jüngere Frau verlassen. Ohne vorangegangenen Streit, ohne jeden für mich erkennbaren Anlass. Er hat eine Beziehung, die er selbst immer als „Bilderbuch-Ehe“ bezeichnet hat, einseitig aufgekündigt. Aber wie Bilderbücher es eben so an sich haben, zeigen sie nur Bilder und lassen oft nicht das erkennen, was sich dahinter verbirgt. Erst recht nicht, wenn sie zuvor nur bei schlechter, schummriger Beleuchtung betrachtet wurden und vielleicht sogar mit einer unscharfen Liebesbrille, die alles Harte weichgezeichnet hat. Plötzlich, im realen Licht erkennt man dann, dass das meiste einfach nur Illusion und Wunschdenken gewesen ist.

Bereits nach der ersten Verliebtheits- und Werbephase, in der mein Mann mir den Himmel auf Erden versprach, nach dem Motto: „Du bist meine große Liebe, ich habe mich definitiv für dich entschieden und möchte mit dir zusammen einmal alt werden“, zog er sich wieder von mir zurück. Dieser Rückzug, von mir anfangs noch schmerzlich bemerkt, wurde hinter vorgeschobenen Pflichten und Scheinargumenten kaschiert. Nein, das läge doch nicht an mir, ich sei ja nach wie vor die ideale Frau für ihn, er brauche eben die lange Leine, schätze unendlich mein uneingeschränktes Vertrauen, das er ganz sicher niemals missbrauchen oder ausnutzen wolle. Sobald dies oder das einmal erledigt sei, habe er ja sicher viel mehr Zeit für mich. Aber kaum war die eine Verpflichtung erledigt, nahm er die nächste an, und die Zeit für mich, für uns, wurde erneut auf spätere Zeiten verschoben und irgendwann auch ganz vergessen.

Früh habe ich erfasst, dass die einzige Möglichkeit zu partnerschaftlicher Nähe zwischen uns beiden darin bestand, in Urlaub zu fahren. Als Individualtouristen, damit niemand und kein Reiseprogramm sich zwischen uns drängen konnte, und weit genug weg, dass mein Mann nicht wieder plötzlich in der Heimat auftretenden Verpflichtungen nachkommen und schnell mal heimfahren konnte. Dabei sah ich ihn immer als einen, der sich von Arbeitgebern oder Freunden gutmütig ausnutzen ließ. Als äußerst großzügigen Mann, der half, einsprang und alles stehen und liegen ließ, wo und wann immer er konnte, als pflichtgetreues Arbeitstier. Leider war ich dann eben immer wieder das Bauernopfer dabei.

Urlaubsziele in Indonesien, Thailand, Singapur, Ruanda, Burundi, Kongo, Madagaskar, Sri Lanka, Mauritus, Réunion, Martinique, Guadeloupe oder Grenada schienen die richtige Distanz zu bieten, auch wirklich einmal ganz weg von allem und allen zu sein, die mir den Rest des Jahres über - auch an Feiertagen oder Wochenenden - den Partner nahmen. In dieser gemeinsam verbrachten Zeit ganz allein in der Fremde, waren wir nur aufeinander bezogen, schon aus dem einfachen Grund, dass sonst keiner da war, den wir kannten. So waren die Zeiten, in denen wir ein „normales“ und partnerschaftliches Eheleben führten, die Urlaubszeiten. Da hatten wir auch mal Zeit und die nötige Ruhe und Muße für innere Nähe, Austausch und gemeinsames Erleben. Das, was in anderen Ehen der Normalzustand ist, hatten wir in unserem Alltag nie. Mein Mann stand erst mindestens zwei Stunden nach mir auf, wenn ich schon lange zur Arbeit weggegangen war. Dann arbeitete er selbst mindestens 11 Stunden, oft auch mehr. Wenn er heimkam, war für nichts mehr Zeit außer zum Essen und Fernsehen, und oft ging er danach erneut arbeiten. Nicht, weil er musste, sondern weil er von irgendeiner Idee angefressen war, die er dann umgehend umsetzen wollte. Und da sich diese Ideen oft genug als falsch herausstellten, musste er die nächsten Abende, Nächte oder Feiertage daran nachbessern. Zum Abschalten brauchte er nach der Arbeit noch die Kneipe. In Heidelberg war es das Cave 54. Andere Kneipen folgten. Dort stand er dann herum und „guckte, wer so guckt“, rauchte wie ein Schlot und gab sich mit Bourbon-Cola die Kante. Er ging ins Bett, wenn ich schon lange schlief und weil das so spät nachts beziehungsweise früh morgens war, musste er danach wieder lange schlafen und der Kontakt-Vermeidungs-Kreislauf ging von vorne los. Andere Leute, die andere Formen des Zusammenlebens pflegten, nannte er Langweiler und Spießer. Hätte ich ihm gesagt, dass ich so wie diese Menschen leben will, wäre ich in die gleiche Schublade gerutscht. Also begehrte ich nur selten auf, und irgendwann war ich an unsere Lebensart gewöhnt. Und dann waren ja auch die Urlaube wieder da. Doch die Nähe, die sich in dieser Zeit entwickelte, war wenige Stunden nach der Heimkunft wieder zerstört. Der erste Weg nach der Reise führte ihn, selbst wenn es mitten in der Nacht war, nicht ins Bett, sondern in die Uni, das Institut, die Firma, wahrscheinlich anschließend auch in die Kneipe, sofern noch eine offen hatte. Zuletzt führte ihn sein Weg wohl direkt zu seiner geheimen Liebschaft. Eine weniger vor Liebe und Vertrauen betriebsblinde Frau hätte erkannt, dass immer wieder ganz bewusst Ausflüchte und Fluchten geschaffen wurden, um die entstandene Nähe zu zerstören, die mein Partner dauerhaft nicht ertrug. Zumindest nicht von mir und auch nicht von unserer Tochter.

Unterm Strich kann man sagen: Ich lebte für die kurze Zeit der Nähe in unseren Urlauben. Er lebte für die lange Zeit der Distanzhaltung dazwischen. Da ich aber davon ausging, auch er wolle nichts mehr als mit mir zusammen sein, so wie er es in der Werbephase ja immer wieder gesagt hatte, gab ich mir bei der Planung unserer Urlaube immer unendlich viel Mühe. Doch konnten sie nie nachhaltig wirken, da er zu Hause ja umgehend wieder Distanz schaffen musste. Ich dachte dann, ich hätte den Urlaub nicht schön und intensiv genug gestaltet und gab mir bei der Planung des nächsten noch mehr Mühe. Und genau aus diesem Grund musste er dann noch mehr Distanz schaffen. Es war ein Selbstverstärkungseffekt, da ich von den falschen Voraussetzungen ausging. Weil ich die Liebesschwüre der Werbephase als unumstößliche und absolute Wahrheit für alle Zeit genommen habe. Er hat sie nie revidiert, also mussten sie noch immer gültig sein. So war es für mich, so hatte ich es in meiner Herkunftsfamilie gelernt, so musste es auch für ihn sein, zumal er bei Nachfragen auch immer meine falsche Einschätzung bestätigte. „Ich würde ja gerne, aber… es tut mir ja so leid, aber ich muss... es geht leider nicht anders, weil…“. Wahrscheinlich waren das von ihm meistens nur Ausflüchte, um seine Ruhe zu haben und weiterhin sein freies Leben als Single mit Anhang führen zu können. Ich bin sicher, eine andere Frau hätte irgendwann einmal ein Ultimatum gestellt. Ich war für ihn bequem, ließ ihn in Ruhe das machen, was er wollte. Er hatte eine Frau auf der sicheren Seite und konnte nebenher „gucken, wer so guckt“. Am Ende guckte ihn eine andere Frau zu intensiv an, er selbst guckte zurück, verguckte sich dabei und hat uns als Konsequenz einfach ausgetauscht. Bereits vorher schon - das weiß ich auch erst heute, weil es durch einen kleinen Zufall aufgeflogen ist - hat er gerne nebenher die Damenwelt „getestet“. Es war eben doch nie einfach nur beim Gucken geblieben. Aber er hatte mir ja Liebe und Treue versprochen, also habe ich ihm vertraut. Ja, Liebe macht dumm und betriebsblind.

In den letzten Jahren wollte mein Mann nicht mehr so weit weg in den Urlaub fahren. „Ich muss immer für die Firma erreichbar sein“, war die Begründung. Also fuhren wir nach ELBA. Insgesamt 15-mal. Jedes Jahr zweimal für maximal 14 Tage, oft auch kürzer. Manchmal fuhr er noch ein weiteres Mal für ein paar Tage ohne mich dorthin, weil ich gerade keine Ferien hatte. Dort gingen wir in erster Linie zum Tauchen. Ich meist nur einmal täglich, er fast immer zweimal und wenn es einen Nachttauchgang gab, auch dreimal. Unter Wasser konnten wir uns nicht unterhalten, über Wasser waren immer andere Leute mit dabei, zumal die Tauchbasis zugleich auch ein Ort des Kontakts und vieler Feste und Begegnungen war, wo man außerhalb der Tauchzeiten immer jemanden fand, mit dem man abhängen konnte. So entstand in diesen Urlauben zwischen uns schon lange keine Nähe und Austauschmöglichkeit mehr, da mein Mann am liebsten ganztägig mit den Tauchleuten zusammen war und nachts, beziehungsweise frühmorgens, erst lange nach mir aus der Tauchbasis oder der Kneipe in die Ferienwohnung heimkam. Da ich bereits an diesen Zustand gewöhnt war, war ich zwar oft sehr traurig, fand mich aber damit ab. Dinge wie Spaziergänge oder Inseltouren machte ich eben alleine. Ich wollte ihn ja nicht drängen, ihm nicht zusetzen und ihn dadurch verärgern, keine Spießerin sein. Ich nahm die von ihm gesetzten Bedingungen der sogenannten „langen Leine“ hin, um ihn halten zu können, was ja schon ein Widerspruch in sich ist - nur habe ich diese Tatsache damals selbst nicht erkannt. Ich wähnte mich ja glücklich, weil ich glücklich sein wollte. Weil ich meinen Mann liebte und mir ein Leben ohne ihn unerträglich vorgekommen wäre. Ich hatte von ihm die Spitze der Fingerkuppe des kleinen Fingers, wo ich bei einem anderen Ehepartner wahrscheinlich die ganze Hand, wenn nicht sogar den ganzen Mann hätte haben können. Nun also war wieder Urlaubszeit. Ehemalige Nähezeit. „Meine“ Zeit, auf die ich so lange gewartet hatte, appetent wie ein Zugvogel auf den Abflugtag. Nun also rückten meine ersten Ferien als Single in die Nähe, als Verlassene, als minderwertige Frau, so wie ich mich damals noch empfand. Natürlich fuhr er weiterhin mit der Neuen in unseren alten Urlaubsort auf ELBA - dieses Ziel war also fortan für mich verbrannte Erde und die Leute, die wir dort kannten, gleich mit dazu. Wie ich später erfahren habe, hat er die für ihn wichtigen unter ihnen manipuliert und gegen mich aufgewiegelt. Denn eine durchgeknallte Frau verlassen zu haben, konnte ihm keiner zum Vorwurf machen. So stand er besser vor den anderen und vielleicht sogar vor sich selbst da. Er erleichterte sein Gewissen durch Unrechtshandlungen, durch die ein weniger narzisstisch veranlagter Mensch sein Gewissen noch zusätzlich belastet hätte. Dass die Leute mich daraufhin links liegen ließen, war ihm wohl egal.

Für diese seit 37 Jahren für mich wichtigste Zeit im Jahr wusste ich auf einmal nicht, wie, wo und mit wem ich sie verbringen sollte. Urlaub ohne Nähe zu schaffen. Ohne zu kitten, was in Wahrheit nicht zu kitten gewesen ist. Urlaub ohne diesen Kontext. Wozu dann überhaupt noch Urlaub machen? Nun, eines war klar, ich musste einfach weg von meinen Problemen. Der täglichen Frustration, Depression, Trauer und den tiefen Versagensgefühlen. Zumindest räumlich wollte und musste ich für eine Weile Abstand schaffen. Ich brauchte dazu eine neue Urlaubsbegründung. Urlaub einfach nur für mich. Das kannte ich bislang nicht. Urlaub allein, das schließt aber auch viele Länder der Erde aus, wo man als Single-Frau nicht einfach und sicher auf eigene Faust herumreisen kann. Aber einfach daheim zu bleiben, noch dazu in dem Wissen, dass er mit ihr im gleichen Moment irgendwo das genießt, was ich nie mehr haben darf? Diese quälende Aussicht war für mich erst recht keine Alternative. Das war also meine Gefühlslage nach der Trennung. Ich hatte regelrecht Angst vor der Urlaubszeit. Diese Angst war größer als alle Bedenken, in ein Land wie Kolumbien zu reisen, von dem ich ja schon so viele negative Schlagzeilen gelesen hatte. Und - wie anfangs geschrieben - ich wusste nicht, wohin ich sonst allein hätte reisen sollen. Ich brauchte eine gewisse „Basis“ für meine Unternehmungen vor Ort. In POPAYÁN, einer traumhaft schönen, alten Stadt in den südkolumbianischen Anden, kannte ich, wenn auch nur flüchtig, die angeheiratete Familie meines Neffen. Sie zu besuchen, war für mich zumindest eine Option, ein Plan B für den Fall, dass der „Frühlingsspaziergang“ meines Mannes bis dahin noch immer nicht beendet wäre. Trotz der tiefen Verletzungen und des Verrats hielt ich zu diesem Zeitpunkt noch unbeirrt an der Lebenslüge fest, mein Mann habe sich nur auf seinem Lebensweg irgendwie verirrt und würde hoffentlich bald zu mir zurückkommen. Die Zeit schleppte sich mit quälender Zähigkeit dahin, und zugleich lief sie mir davon, denn ich hatte zu nichts Kraft außer zu meiner Trauer, die mich von innen her aufzufressen drohte. Je länger ich wartete, desto schlimmer wurde es für mich. Zeit heilte nicht die Wunden, sie riss sie sogar immer stärker und tiefer auf. Daher schob ich meine Reisevorbereitungen nur kraft- und antriebslos vor mir her. Ich nahm mir auch immer wieder vor, bei einer Kollegin Spanisch zu lernen, um in Südamerika herumreisen zu können, bekam aber zum wirklich intensiven Lernen den Kopf nicht frei. So flog ich am Ende mehr oder weniger unvorbereitet nach Kolumbien und mein Motto war: „Mir kann nichts mehr passieren, ich bin doch schon einmal lebendig gestorben.“

Ich habe völlig furchtlos komplizierte und riskante Situationen mit wachsendem Vergnügen gemeistert. „Was soll mir denn noch passieren…“ Ich bin ohne Helm mit einem ziemlich schottreifen Motorrad als Beifahrerin durch unwegsame Andentäler auf schlechten Straßen gefahren, in geliehenen Gummistiefeln und mit rutschenden Socken bergab und bergauf auf einem temperamentvollen Paso-Fino-Pferd geritten, zu Fuß an Steilhängen bis an die vorderste Kante gegangen, um Fotos zu machen, fast hätte ich sogar noch über der Stadt CALI einen Passagier-Gleitschirmflug gemacht, der nur an meinen Sprachschwierigkeiten gescheitert ist, bin auf einem Seelenverkäufer von Schiff drei Tage lang mit über 20 fremden Studenten zur Insel GORGONA im Pazifischen Ozean gefahren, um dort zwischen Walen, Karettschildkröten und Haien zu tauchen, habe allein die Traumstadt CARTAGENA erkundet und bin auf der Straße mit einem mir bis dahin völlig fremden Einheimischen trotz meiner holperigen Spanischkenntnisse ins Gespräch gekommen, der mich dann die nächsten drei Tage begleitet hat, um mir alles, auch die Bereiche, von denen man sagt, dass Touristen sie meiden sollten, zu zeigen. „Was soll mir schon passieren…?“ Ich bin von dort aus noch zu einem weiteren Urlaubsziel aufgebrochen, einer der kleinen Inseln des Archipels NUESTRA SEÑORA DEL ROSARIO, die man kurz ISLAS DEL ROSARIO nennt. Dort habe ich jemanden gesucht und gefunden, der mit mir taucht und kannte bereits am zweiten Abend fast alle weiteren Gäste des Hotels. Ich habe mich in ein Land aufgemacht, in dem fast keiner eine andere Sprache als Spanisch spricht und habe gelernt, mich dennoch gut zu verständigen. Ich war so beschäftigt damit, dass fürs Grübeln über meine gescheiterte Ehe kaum noch Zeit vorhanden war. Dabei habe ich wunderbare Menschen kennengelernt und Freunde fürs Leben gewonnen. Aus der Ferne habe ich schließlich erkannt, dass meine wunderbare Beziehung zu meinem Mann nur noch eine Illusion gewesen war, die ich durch ständiges und immer mehr Verzichten zu halten versucht habe, bis nichts mehr zu halten war. Nicht die Illusion und auch nicht der Ehemann. Ich war schon lebendig gestorben, mir konnte nichts mehr passieren. Ich war nach dem Sterben bei lebendigem Leib durch die Hölle der Selbstzweifel und Verzweiflung gegangen, und nun, ebenfalls lebendig, war ich auf einmal im Paradies angekommen. Im Paradies am Ende der Welt. Am Arsch der Welt. In einem Paradies mit vielen verschiedenen Erscheinungsformen, einer schöner und interessanter als der anderen. Oder, um beim Arsch zu bleiben: Einem Arsch mit tollen Backen. Aber spätestens beim Anflug auf CARTAGENA im Angesicht der Elendsgürtel um die traumhaft schöne Stadt herum wurde mir auch klar, dass das, was für mich ein Paradies ist, für viele dort lebende Menschen ganz und gar nichts Paradiesisches an sich hat. Dass mein Leben in Deutschland doch wohl eher ihrer Vorstellung eines paradiesischen Zustandes entspricht und das sogar unter den momentan noch immer erschwerten und sehr belastenden Umständen. Es liegt in erster Linie an mir selbst, auch diesen Zustand zu einer Art Paradies für mich werden zu lassen. Vielleicht am Anfang noch eines mit Schönheitsflecken, die jedoch verblassen werden, wenn ich daran arbeite. Überall kann man schon zu Lebzeiten ein Paradies finden, wenn man dazu bereit ist. Die Reise muss nicht gleich so weit gehen. Es reicht, wenn man, gewissermaßen, einmal in sich selbst hineinreist. Aber um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, musste ich erst einmal in das ferne Paradies nach Kolumbien reisen.

Es ist mir ein Bedürfnis, meine Eindrücke und Erfahrungen mit diesem großartigen Land und den herrlichen Menschen, die ich dort einen Monat lang ständig um mich hatte, noch einmal anhand meiner Tagebuchaufzeichnungen durchzugehen und sie dann hier festzuhalten. Den Menschen, denen ich an den verschiedenen Reisestationen begegnet bin und die vor Ort eine Weile lang meinen Alltag auf so wohlwollende und liebeswürdige Art begleitet und mir dabei geholfen haben, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen, bin ich überaus dankbar. Auch Totgeglaubte können reisen. Sogar, wenn sie sich selbst schon einmal fast aufgegeben haben. Und egal, wohin die Reise mich gebracht hat, sie führte mich letztlich immer zum gleichen Ziel, das ich zu Beginn noch gar nicht so vor Augen gehabt hatte: Zum Leben, mitten hinein.

Gut gelaunt unterwegs

Ein Flug ins Blaue

„So, dann fliege ich eben nach Kolumbien. Mein Mann hatte vor einem Jahr Angst davor, länger als fünf Tage zur Hochzeit unseres Neffen und seiner kolumbianischen Braut in ein so unsicheres Land zu reisen. Da wird er ja wohl einen Schreck bekommen, wenn ich das nun ganz allein vorhabe. Wenn er sich nicht zu einhundert Prozent sicher ist, dass er mich auch wirklich für immer verlassen will, dann schreckt er jetzt auf, versucht, es mir auszureden, hält mich zurück. Beendet meinen Alptraum.“ Solche Gedanken hege ich, als ich ganz spontan beschließe, im Sommer nach Kolumbien zu fliegen. Es ist wie die Hoffnung eines Kindes, vom Vater von einer großen Dummheit abgehalten zu werden, die nur als Provokation gedacht war, um die volle Zuwendung wiederzuerhalten.

Aber mein Mann reagiert nicht. Und wenn er weiterhin nicht reagiert? Wie reist man denn überhaupt allein? Ich sollte am besten vorher schon einmal üben und irgendwohin reisen. Aber wohin? Allein? Oder lieber in einer Gruppe? So etwas habe ich bislang noch nie gemacht. Da lese ich in der Presse von einer günstigen KAPPADOKIEN-Reise. Eine Woche nur, das hält man auch aus, wenn’s ein Flop wird, und ich melde mich kurz entschlossen an. Das verschafft mir ein kleines kurzfristiges Hochgefühl, bis mich ein Anruf des Veranstalters informiert, in den von mir gewünschten Osterferien seien alle Plätze bereits ausgebucht. Niedergeschlagen erzähle ich das meiner Nachbarin, und sie rät mir, es doch mal in einem Reisebüro zu versuchen. Auf so eine einfache Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Bislang hatte ich immer ganz konkrete Reisevorstellungen und Pläne, deshalb habe ich im Reisebüro nur immer Flüge für Reiseziele und Routen gebucht, die ich alleine auf andere Art bereits festgelegt hatte. Also gehe ich ins hiesige Reisebüro und sage: „Ich will allein verreisen“, nenne die möglichen Eckdaten in den schon bald kommenden Osterferien und sage, dass es nicht allzu viel kosten darf, weil ich im Sommer schon eine große Reise nach Lateinamerika vorhabe. „Wohin soll’s denn jetzt erst mal gehen?“ „Das ist mir völlig egal.“ „Was haben Sie sich denn so gedacht, was sie dort machen wollen?“ „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Nicht zu viel, nicht zu wenig Bildung, keinen langen, teuren Flug, nette Leute, aber keine riesige Gruppe, Sonne, irgendwohin, wo ich bislang noch nie war, wegen der vergleichenden Erinnerungen…“ Die Angestellte des Reisebüros scheint zu verstehen, dass es mir einfach momentan schlecht geht, und sie schlägt mir eine Single-Reise mit einem Reiseunternehmer vor, der sich auf Kulturreisen spezialisiert hat. Mit Gleichgesinnten, wie sie sagt. Und sie trifft es genau. Ich entscheide mich für eine Woche MALTA, ein abwechslungsreiches Programm mit Spazierengehen, Bootsfahrten und viel toller Kultur - eine gute Mischung. Leider hat das alles dann doch einen recht hohen Preis, aber es ist zum Urlaub-Üben genau richtig.

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