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Der reiche Unternehmer Jason Rayburn engagiert Juliana nur vorübergehend als Assistentin. Doch dann findet er in den Armen der schönen Künstlerin das Einzige, das ihm im Leben immer fehlte. Aber kann er sein Herz einer Frau anvertrauen, die von einem anderen schwanger ist?
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Seitenzahl: 173
IMPRESSUM
Der Boss, die Braut und das Baby erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2015 by Judy Duarte Originaltitel: „The Boss, the Bride & the Baby“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 33 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Rainer Nolden
Umschlagsmotive: petrenkod / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733747893
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Jay Rayburn war noch nie ein Frühaufsteher gewesen. Umso bemerkenswerter war es daher, dass er sich bereits den zweiten Kaffee eingoss, als die Sonne über der Leaning-R-Ranch aufging.
Wäre sein Vater nicht gestorben, wäre er heute in Houston. Wahrscheinlich läge er noch im Bett und würde über einen Besuch im Fitnessstudio nachdenken – anstatt über die dringend notwendige Reparatur des Scheunentors. Nach dem Sport würde er duschen und dann in die Stadt fahren, wo seine Firma Rayburn Energy, deren Gründer und Geschäftsführer er war, im obersten Stockwerk eines Hochhauses ihren Sitz hatte.
Nach dem Tod seines Vaters leitete er jetzt nicht nur Rayburn Enterprises, sondern war gleichzeitig auch noch einziger Treuhänder der Charles-Darren-Rayburn-Stiftung.
Schon jetzt hatte er alle Hände voll zu tun, um die einzelnen Bereiche auseinanderzuhalten. Genau aus dem Grund war er nach Brighton Valley zurückgekommen.
Die Ranch hatte zum Besitz seiner Urgroßmutter gehört – mochte sie in Frieden ruhen! Die Ranch sowie das gesamte Vermögen hatte Rosabelle Rayburn Charles vermacht unter der Bedingung, dass er es bei seinem Tod zu gleichen Teilen an seine Kinder vererbte. Ihre Enkel sollten es gemeinschaftlich und einvernehmlich verwalten.
Toll! Dabei waren Jason und seine Halbgeschwister noch nie einer Meinung gewesen. Granny hatte das natürlich gewusst. Er vermutete, dass es ihr letzter Versuch gewesen war, die Familie zusammenzubringen, was ihr zu Lebzeiten nicht gelungen war.
Natürlich gab es einen Grund für die Unstimmigkeiten: Jason, Brady und Carly hatten kaum etwas gemeinsam. Eigentlich standen sie einander wie Fremde gegenüber.
Deshalb musste Jason sich nun um den Verkauf der Leaning-R-Ranch kümmern. Denn als Geschäftspartner waren weder sein Bruder noch seine Schwester zu gebrauchen. Er konnte nur hoffen, dass sie sich auf einen Makler und einen Preis einigen würden.
Als Kind hatte Jason seine Ferien immer auf der Ranch verbracht und davon geträumt, Cowboy zu werden. Das war lange vorbei. Stattdessen war er nun Chef eines großen Unternehmens.
Manchmal wurde er noch von seinen Kindheitsträumen heimgesucht. Auch dafür gab es einen Grund. Er war so oft bei Großmutter Rayburn auf der Ranch gewesen, dass er sich hier wie zu Hause gefühlt hatte – mehr als irgendwo sonst. Auch das war lange her. Inzwischen war er durch und durch Stadtmensch geworden und brannte darauf, zurück nach Houston zu fahren.
Allerdings war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen – vor allem nicht, wenn manche Gedanken so bittersüß waren, dass er schlucken musste wie ein kleiner Junge. Während er durchs Haus lief, um abzuschätzen, was noch alles zu erledigen war, stieg ihm in jedem Raum der Duft von Zitronenöl und Grannys Lieblings-Lavendellotion in die Nase, der immer noch in der Luft zu liegen schien. Es war also praktisch unmöglich, den Erinnerungen zu entkommen.
Fest entschlossen, sich nicht in der Vergangenheit zu verlieren, konzentrierte er sich auf die Aufgaben, die vor ihm lagen. Es gab viel zu tun. Einige geschäftliche Dinge konnte er glücklicherweise auch von hier aus erledigen. Die Firma würde ja nicht ihren Betrieb einstellen, nur weil er ein paar familiäre Angelegenheiten zu regeln hatte.
Sein Blick wanderte über die verblasste blaue Tapete mit Strohkörben voller Wildblumen. Die einst kräftigen Farben hatten Grannys Küche immer zum Leuchten gebracht.
Wie sehr vermisste er diese liebenswürdige alte Frau! Sie war für ihn wie eine Mutter gewesen – die einzige, die er jemals gehabt hatte.
Die Kaffeemaschine röchelte. Er nahm einen letzten Schluck von dem braunen Getränk und verzog das Gesicht, ehe er den Rest in den Ausguss kippte.
Er wollte gerade die Küche verlassen, als das Licht von Autoschweinwerfern durch das Fenster fiel. Kies knirschte unter den Reifen des Wagens, der vor dem Haus zum Stehen kam. Wer mochte das sein? So früh erwartete er niemanden.
Beim Blick aus dem Fenster bemerkte er eine Frau, die aus ihrem kleinen Pickup stieg. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Statt zur Vordertür zu kommen, lief sie geradewegs zum Hintereingang – als ob sie die Besitzerin des Hauses wäre.
Carly?
Seine Halbschwester hatte versprochen, ihm beim Inventarisieren der Möbel zu helfen, um das Haus für den Verkauf vorzubereiten. Es war der schwierigste Teil des Jobs, den er zu bewältigen hatte. Er hatte sie allerdings erst für den nächsten Tag erwartet. Was trieb sie hierher – einen Tag zu früh und in aller Herrgottsfrühe? Soweit er sich erinnerte, war sie ebenfalls keine Frühaufsteherin.
Jason betrat gerade das Hinterzimmer, als die Tür geöffnet wurde und Carly eintrat.
„Das ist aber eine Überraschung“, begrüßte er sie. „Heute habe ich noch gar nicht mir dir gerechnet. Möchtest du einen Kaffee?“
„Nein, danke. Ich kann nicht lange bleiben.“
„Was ist denn los?“
„Ich habe gerade ein Engagement bekommen. Es ist ziemlich wichtig für mich. Ich werde also ein paar Wochen nicht in der Stadt sein. Ich wollte dir nur sagen, dass auf dem Speicher ein paar Kisten stehen, die Granny für mich aufgehoben hat. Wirf sie nicht weg und verkauf sie auch nicht. Mir tut es selber leid, dass ich dir nicht helfen kann. Aber es geht wirklich nicht.“
„Nun ja, ich …“, begann er ein wenig ratlos.
„Braden könnte sich doch um alles kümmern“, unterbrach sie ihn.
Toller Vorschlag! Er und Braden sprachen praktisch nicht miteinander. Wie sollten sie da Partner bei einem so wichtigen Geschäft werden, ohne dass ständig die Fetzen flogen? Auch deshalb wollte er die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen – damit alle drei wieder ihrer eigenen Wege gehen konnten. Am Kontakt mit Carly lag ihm ebenso wenig. Sie war mit ganzem Herzen Sängerin und Schauspielerin. Damit konnte er überhaupt nichts anfangen. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie nichts gemeinsam hatten – bis auf die DNA, die sie von ihrem Vater geerbt hatten.
„Ich habe auch einige Sachen für Braden im Wagen“, fuhr Carly fort. „Er kann sie sich dann hier abholen.“
„Wovon redest du?“
„Bradens Freund hat sie bei mir untergestellt. Ich habe sie eine Woche lang aufbewahrt. Aber da ich gekündigt habe, muss das Zeug ja aus der Wohnung. Hier ist es am besten aufgehoben; da braucht er sich auch keine Sorgen darum zu machen.“
Jason hatte stets eine engere Beziehung zu Carly gehabt als zu Braden. Als sie noch Kinder waren, hatte Jason Braden vorgeworfen, der Grund für die Scheidung gewesen zu sein, die seine Mutter aus der Bahn geworfen hatte. Später war ihm dann klar geworden, dass Braden ebenso ein Opfer gewesen war wie er selbst. Aber man konnte keine Beziehung bereinigen, die niemals eine richtige gewesen war.
„Wo ist Braden denn?“, wollte Jason wissen.
„Ich weiß nicht so genau. Irgendwo in Mexiko, glaube ich. Es war alles sehr mysteriös. Sein Freund hat das Bild und die Kisten irgendwann vorbeigebracht und gesagt, es sei wichtig, dass ich die Sachen für ihn aufbewahre.“
„Warum hast du sie nicht sofort zu Bradens Ranch gebracht?“
„Es muss einen Grund geben, warum er wollte, dass sie bei mir sind. Braden sollte es mir erklären, wenn er die Sachen abholt. Er sagte, er schuldete mir etwas. Aber jetzt schuldet er eben dir etwas.“
„Hat er denn gesagt, wann er zurückkommt?“
„Sobald wie möglich. In spätestens ein paar Wochen.“
„Himmel, ich will das hier alles so schnell wie möglich hinter mich bringen. So lange kann ich auch nicht aus der Firma wegbleiben. Ihr reist durch die Weltgeschichte, und ich muss den Kram hier alleine zusammenpacken …“
Sie schnaubte verächtlich. „Mit dir zu reden ist genauso, als würde man mit Dad reden. Ich wusste, dass du es nicht verstehen würdest.“
Ihre Worte waren wie eine Ohrfeige. Jason hatte immer versucht, die Anerkennung seines Vaters zu gewinnen und deshalb am selben College studiert, seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht und eine eigene Firma gegründet. Allerdings war es nie sein Ziel gewesen, genauso zu werden wie er.
„Versuch’s doch einfach mal.“
Sie verdrehte nur die Augen, die genauso groß und blau waren wie die ihrer Mutter.
Jason konnte ihr ihre Reaktion nicht verübeln. Sie waren einander nie besonders nahe gewesen. Sie war vierundzwanzig und damit sechs Jahre jünger als er. Sie hatte sich für Kunst und Musik interessiert, während er nur Sport im Kopf gehabt hatte, ehe er seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht hatte.
Aber da sich die drei Halbgeschwister nun einmal gemeinsam um den Besitz zu kümmern hatten – eine Aufgabe, die nahezu aussichtslos zu sein schien angesichts der Tatsache, dass sie es kaum ertragen konnten, gleichzeitig in derselben Stadt zu sein –, mussten sie wohl oder übel einen Weg finden, miteinander klarzukommen.
„Erzähl mir von deinem Engagement“, sagte er versöhnlich.
Sie ließ die verschränkten Arme sinken, legte den Kopf schräg und schaute ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Dann steckte sie die Daumen in die Taschen ihrer Jeans und beugte sich lächelnd nach vorn. „Ich trete in einem Nachtklub in der Nähe des Riverwalks auf. Der Gig geht über sechs Wochen … aber es könnte etwas Größeres daraus werden … und etwas Besseres.“
Sie sagte es so, als würde sie am Broadway auftreten.
Er beschloss, ihr Spiel mitzuspielen. „Das klingt ja großartig, Carly. Ich drücke dir die Daumen.“
Sie schwieg eine Sekunde und schob sich eine blonde Locke hinters Ohr. „Du hast also nichts dagegen, dass ich Bradens Sachen hier abstelle?“
Wenn sich der Verkauf der Ranch dadurch nicht verzögerte … Wenn er darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass die Beziehung zu seinem Bruder viel schlechter war als sein Verhältnis zu Carly. Also lag es nur nahe, Braden den Gefallen zu tun.
„Und du kannst wirklich nicht noch eine Weile bleiben und mir beim Sortieren helfen …?“
„Leider nein. Ich fange heute Abend an, und ich muss am Nachmittag zur Kostümprobe in San Antonio sein. Das ist schon eine ziemliche Strecke.“
Mist! Wie sollte er das alles allein schaffen – eine Bestandsaufnahme des gesamten Inventars zu machen, sich um sein Büro und gleich auch noch um die ganze Firma zu kümmern? Und das alles ohne Hilfe?
Er hatte auf Carlys Unterstützung gehofft. Alles, was er entdeckte und anfasste, erinnerte ihn an seine Großmutter. Das war schon schwer genug. Carly konnte besser beurteilen, was sie behalten, was sie verkaufen und was sie entsorgen sollten.
„Dann muss ich mir eine andere Hilfe suchen“, seufzte er. „Und zwar schnell.“
Ein Lächeln breitete sich auf Carlys Gesicht aus. In diesem Moment war sie wirklich hübsch. Sie kam nach ihrer Mutter, einer populären Country- und Westernsängerin, die vor Kurzem ihre Karriere beendet und einen Politiker geheiratet hatte.
„Ich wüsste jemanden, der das machen könnte. Sie sucht auch gerade Arbeit.“
„Wer?“
„Erinnerst du dich an meine Freundin Juliana Bailey?“
Rote Haare, Zöpfe. Große braune Augen und Sommersprossen auf der Nase. „Ist das die, die ich immer ‚Bohnenstange‘ genannt habe?“
„Du würdest dich wundern. So dürr ist sie gar nicht mehr.“
„Was macht sie denn?“
„Nach dem College hat sie in einer Kunstgalerie in Wexler gearbeitet, ist aber vor Kurzem entlassen worden. Jetzt ist sie wieder in der Stadt und jobbt halbtags in Caroline’s Diner. Sie braucht aber etwas, wo sie mehr verdienen kann. Ich bin sicher, dass sie hier ganze Arbeit leisten würde. Wer weiß, vielleicht wird ja mehr daraus, wenn du mit ihr zufrieden bist.“
„Falls sie an einer Arbeit bei Rayburn Enterprises denkt … ich möchte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Um Neubesetzungen kümmert sich die Personalabteilung; damit habe ich gar nichts zu tun. Aber hier könnte ich tatsächlich jemanden gebrauchen. Und ich werde sie auch gut bezahlen.“
„Du wirst es nicht bereuen. Juliana ist klug und ein absoluter Profi. Ich weiß gar nicht, warum die Galerie in Wexler sie entlassen hat. Möglicherweise ist das Geschäft pleite gegangen. Warum sollten sie sonst ihrer besten Angestellten kündigen?“
„Du brauchst hier keine Loblieder über sie zu singen. Im Moment nehme ich jeden.“
„Prima. Ich glaube, heute Morgen hat sie Dienst. Ihre neue Handynummer habe ich leider nicht, aber warum fährst du nicht einfach zu Caroline’s und redest mir ihr?“
„Echt? Du glaubst, sie wäre an so einer Arbeit interessiert? Auch wenn es nur vorübergehend ist?“
„Na ja, vielleicht gibt es ja doch etwas bei euch in der Firma. Du könntest ja zumindest mal nachfragen.“
„Okay. Das mache ich.“
„Danke, Jason. Du wirst es nicht bereuen.“
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bereute er es allerdings bereits. Er folgte Carly in den Hof. „Wie viele Kisten sind es denn?“, fragte er, als er neben ihr vor dem Pickup stand.
„Zwei. Eine mit Keramiksachen und die andere mit Papierarbeiten. Ein paar Gemälde sind auch dabei.“ Sie öffnete die Heckklappe und zog an einer Kiste. „Ganz schön schwer. Kannst du sie ins Haus tragen?“
Jason nahm die Kiste – und verspürte plötzlich den unbezähmbaren Wunsch, sie einfach auf den Boden zu werfen. Oder besser noch sie zu Bradens Ranch zu fahren, die nur zehn Meilen entfernt war.
„Hast du versucht, ihn anzurufen?“, fragte Jason, als er die Kiste im Haus abgestellt hatte.
„Mehrfach. Aber offenbar hat er keinen Empfang dort, wo er sich aufhält.“
„Hast du nicht gefragt, was er da unten macht?“
„Braden ist nicht gerade eine Plaudertasche.“
Das stimmte. Und Jason würde er sowieso nichts erzählen. Manchmal bedauerte Jason das. Er hätte es gern geändert. Aber es gehörten immer zwei dazu, eine gestörte Beziehung zu kitten.
Carly stellte die kleinere Kiste auf den Küchentisch, und sie gingen zurück, um die Bilder zu holen. Dabei wollte er eigentlich das Haus leerräumen, anstatt noch mehr Dinge anzuhäufen. Wenn es ihm nicht so wichtig gewesen wäre, das Verhältnis zu seinen Geschwistern zu verbessern, dann … er wusste selbst nicht, was er dann getan hätte.
Das war alles die Schuld seines Vaters! Warum musste er auch sterben und ihm das Chaos im Haus und die verkorksten Familienverhältnisse hinterlassen? Er hatte wirklich genug anderes zu tun.
Und warum zum Teufel verdrückte Braden sich an einen unbekannten Ort, wenn seine Familie ihn am meisten brauchte?
Doch noch ehe er Carly an seinen Gedanken teilhaben lassen konnte, saß sie bereits hinterm Steuer ihres roten Pickups und sauste über die Straße, als die Sonne über der Ranch aufging.
Und nun?
Er könnte in die Stadt fahren und bei Caroline’s frühstücken. Vielleicht ließ sich die neue Kellnerin mit einem besseren Angebot weglocken – Zimmer, Verpflegung und ein höheres Gehalt. Und möglicherweise die Aussicht auf einen festen Job – irgendwann einmal.
Es wäre zu schön, wenn sie auf seinen Vorschlag einginge.
Juliana Bailey hatte gehofft, das Leben in der Kleinstadt endlich hinter sich lassen zu können. Und jetzt war sie ganz kleinlaut nach Brighton Valley zurückgekehrt.
Hinter ihrem Rücken tuschelten die Leute, dass man ihr in der Galerie im nahegelegenen Wexler gekündigt habe und sie deshalb in die Zweizimmerwohnung über dem Drugstore zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter gezogen sei. Sie schlief auf dem Bettsofa und lief jeden Tag zu Caroline’s Diner, das einen Block weit entfernt lag. Aber auch diesen Job würde sie nicht mehr lange haben. Denn sie war fest entschlossen, der Stadt den Rücken zu kehren, ehe ihr Geheimnis ans Licht kam. Bis jetzt konnte sie es unter ihrer gelben Arbeitsschürze verbergen, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie war.
Außer ihrer Frauenärztin Selena Ramirez-Connor wusste glücklicherweise niemand, dass sie einem Mann auf den Leim gegangen war, der „vergessen“ hatte ihr mitzuteilen, dass er verheiratet war. Doch wenn sie ihrer Mutter, die als Sekretärin im Pfarramt arbeitete, und ihrer Großmutter, die eine Stelle im Rathaus hatte, den Skandal ersparen wollte, musste sie so bald wie möglich wieder aus Brighton Valley verschwinden.
Das Problem war: Juliana hatte gerade eine hübsche Wohnung in der Nähe der Galerie in Wexler gemietet. Als sie sich dann entschieden hatte, die Stadt zu verlassen, musste sie ihre gesamten Ersparnisse aufwenden, um vorzeitig aus dem Vertrag herauszukommen. Danach hatte sie nicht mehr genug Geld gehabt, sich ein Apartment in der Stadt zu suchen – und einen Job hatte sie ebenfalls nicht in Aussicht. Und dann war da auch noch das Baby, das in fünf Monaten auf die Welt kommen würde … Irgendwie saß sie gerade in der Falle.
Sie füllte gerade die Kaffeetasse des einsamen Gastes an Tisch drei – ein älterer Herr mit schütterem Haar –, als ihr Blick auf das fettige Würstchen auf seinem Teller fiel, das in einem See von glibberigem Eigelb schwamm. Ihr Magen drehte sich, und einen Moment lang befürchtete sie, auf die Toilette rennen zu müssen.
Rasch schloss sie die Augen und schluckte den Anflug von Übelkeit hinunter. Eigentlich hatte sie gehofft, das morgendliche Unwohlsein, das sie sechs lange Wochen geplagt hatte, endlich hinter sich gelassen zu haben. Aber es gab immer noch Momente wie diesen …
„Danke, Schätzchen“, sagte der alte Herr gerade. „Haben Sie noch ein paar von den Zimtrollen? Margie sagte, sie hätte sie gestern erst gemacht.“
„Ich frag mal nach. Ansonsten könnte ich Ihnen die Muffins empfehlen.“
„Auch nicht schlecht!“
Die Glocke über der Eingangstür kündigte einen neuen Gast an. Normalerweise wanderte ihr Blick bei dem Geräusch nicht automatisch zur Tür – das überließ sie Margie, der anderen Kellnerin, die jeden Kunden sofort mit einem strahlenden Lächeln begrüßte, in der Hoffnung, den neuesten Klatsch zu erfahren. Und da Margie ihrerseits ebenso auskunftsfreudig war, musste Juliana doppelt achtgeben, nichts von ihrem Zustand zu verraten. Die Neuigkeit würde sich in Windeseile verbreiten – und ihrer Mutter und Großmutter noch mehr Peinlichkeiten bereiten.
Aus irgendeinem Grund schaute Juliana diesmal doch zur Tür. Ein neues Gesicht. Nein, nicht wirklich neu. Aber eines, das sie seit Jahren nicht gesehen hatte.
Jason Rayburn – denn kein anderer konnte es sein – war erwachsen und ein stattlicher Mann geworden.
Er war mindestens einen Meter fünfundachtzig groß, und sein dunkles Haar wirkte auf elegante Art zerzaust. Sie hatte gehört, dass der wohlhabende Geschäftsmann sich in Brighton Valley aufhielt, aber niemals damit gerechnet, dass er hier auftauchen würde. In seinen verblichenen Jeans und dem Leinenhemd passte er allerdings in diese Umgebung – obwohl ihn mit den Einwohnern des Ortes kaum noch etwas verband.
Sie hatte seine Karriere verfolgt, und irgendwie faszinierte er sie. Eigentlich hatte die ganze Rayburn-Familie stets im Fokus ihres Interesses gestanden – inklusive Carly und Braden. Sie hatten zwar denselben Vater, konnten aber kaum unterschiedlicher sein.
Carly und Braden kannte sie gut. Jason dagegen war mehr der Einzelgänger – reich und erfolgreich, nach allem, was sie über ihn gehört hatte.
Gleich nach dem College war er in die Firma seines Vaters eingetreten. Zurückgekommen war er danach nur noch selten – das letzte Mal zum Begräbnis seiner Großmutter. Und danach war er sofort wieder verschwunden.
Er ließ seinen Blick durch das kleine Restaurant schweifen. Als er sie entdeckte, breitete sich ein Lächeln auf seinem hübschen Gesicht aus. Auf seinen Wangen bildeten sich zwei Grübchen, und in seinen grünen Augen blitzte es amüsiert.
Lässig wie ein Mann, der gewohnt ist, zu bekommen, was er will, schritt er auf sie zu. Fast hätte sie die Kaffeekanne fallen lassen.
„Sieh mal an“, sagte er, und sein Lächeln wurde noch breiter, „wenn das nicht die Bohnenstange ist.“
Sie erwiderte sein Lächeln. „Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich einen Stein nach dir geworfen, als du mich das letzte Mal so genannt hast.“
„Das stimmt. Ich hatte etwas wenig Nettes über meinen Bruder Braden gesagt, und du wolltest ihn verteidigen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hast du mich nicht getroffen.“
„Das stimmt auch. Aber ich habe deinem Pferd einen Schrecken eingejagt.“
„Zum Glück bin ich ein guter Reiter.“
Sie hob die Kaffeekanne. „Ich mache gerade frischen. Ich bringe dir einen an deinen Tisch – wenn du dich hinsetzen willst.“
„Klingt gut. An welchen Tischen bedienst du denn?“
Mit einer Kopfbewegung deutete sie zur Fensterfront. „An allen, die da stehen.“
„Okay.“
Kurz darauf kam sie mit der Speisekarte und frischem Kaffee an seinen Tisch. „Milch und Zucker?“
„Schwarz.“
„Ich nehme sofort deine Bestellung auf.“
„Lass dir Zeit.“