Sanfte Hände auf nackter Haut - Judy Duarte - E-Book

Sanfte Hände auf nackter Haut E-Book

Judy Duarte

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Beschreibung

Verbotene Gefühle! Sich leidenschaftlich in einen Patienten zu verlieben, ist komplett unprofessionell, weiß Schwester Leah. Aber sie kann nicht anders. Javier Mendoza ist einfach ihr Traummann. Und gegen ihr Herzklopfen in seiner Nähe hilft nur eins …

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IMPRESSUM

Sanfte Hände auf nackter Haut erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Mendoza’s Miracle“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 331 - 2013 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Ursula Drukarczyk

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733776329

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Javier Mendoza hatte sich seiner Familie gegenüber gerade sehr gereizt und unwirsch gezeigt, aber im Grunde wollte er einfach nur allein sein.

Als sie seinen Wink endlich verstanden und sein Krankenhauszimmer verlassen hatte, fühlte er sich zunächst erleichtert. Doch dann hörte er, wie sie draußen vor der Tür zu flüstern begannen.

„Vielleicht sollten wir einen Psychologen hinzuziehen“, sagte sein Vater.

Luis Mendoza glaubte anscheinend, leise genug gesprochen zu haben, doch Javier war nicht taub.

Er warf Leah Roberts, die noch am Fußende seines Bettes stand, einen genervten Blick zu. Leah war seine Krankenschwester und Retterin in der Not. Verständnisvoll sah sie ihn an.

„Sie meinen es nur gut“, beschwichtigte Leah ihn so leise, dass es die Familie draußen auf dem Flur nicht hören konnte.

Natürlich hatte sie recht. Als er auf der Intensivstation gelegen hatte, hatten sein Vater und seine Geschwister nächtelang für ihn gebetet. Nun, da es ihm besser ging und er auf die normale Krankenstation verlegt worden war, besuchten sie ihn regelmäßig. Er war ihnen dankbar für ihre Liebe und Fürsorge, aber er hatte keine psychischen Probleme, sondern wollte nur so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen.

Zwei Monate zuvor war ein gewaltiger Tornado über Red Rock hinweggefegt und hatte im Bruchteil einer Sekunde Javiers Leben komplett auf den Kopf gestellt.

Alles, was er über jenen schicksalsträchtigen Tag und die darauffolgenden fünf Wochen wusste, war das, was man ihm erzählt oder was er in den alten Zeitungen gelesen hatte, die Leah ihm mitgebracht hatte.

Er konnte sich an so gut wie nichts erinnern, was an jenem Dezembertag nach der Hochzeit seines Bruders Marcos mit Wendy Fortune geschehen war. Beide Familien hatten zusammen gefeiert. Weil die aus Atlanta stammenden Fortunes anschließend zu einer Silvesterparty nach Hause zurückfliegen wollten, waren sie mit mehreren Wagen zum Flughafen aufgebrochen. Javier hatte am Steuer eines der Autos gesessen.

Doch urplötzlich war der Wind stark aufgefrischt. Dunkle Wolken türmten sich drohend vor ihnen auf. Die Reisenden hofften, noch vor dem Sturm abfliegen zu können.

Doch dann geschah das Unglück. Wie aus dem Nichts bildete sich vor ihren Augen ein Tornado. Er wirbelte die Wagen wie Spielzeugautos durcheinander. Mehrere Menschen wurden getötet und etliche verletzt.

Javier gehörte zu den „glücklichen“ Überlebenden, wie mehrere Ärzte ihm versicherten. Doch er war so schwer verletzt, dass es Wochen dauerte, bis man wusste, ob er durchkommen würde. Über einen Monat hatte er im künstlichen Koma gelegen und erst im Februar das Bewusstsein wiedererlangt.

Seine Familie und die vielen Spezialisten, die ihn behandelt hatten, waren überaus erleichtert, dass sein Gehirn das Unglück offenbar vollkommen unbeschadet überstanden hatte, auch wenn er in den ersten Tagen nach dem Aufwachen sehr verwirrt war.

Seine anschließende Genesung aber erwies sich als ausgesprochen schwierig. Durch die komplizierten Brüche in beiden Beinen standen ihm im Anschluss an die Klinik wochenlange Therapien in einer Rehabilitationseinrichtung bevor. Dort würde er wieder lernen müssen, ganz ohne Hilfe zu gehen. Eine Zeit lang waren die Ärzte nicht sicher, ob ihm das wirklich gelingen könnte.

Javiers behandelnder Orthopäde und langjähriger Freund Jeremy Fortune hatte ihm ehrlich gesagt, dass die anstehende Physiotherapie äußerst anstrengend werden würde, für Javiers völlige Genesung aber unerlässlich sei.

„Du bist jung“, hatte Jeremy gesagt. „Und du bist stark. Nach der Reha wirst du mit etwas Glück wieder wie neu sein.“

Davon war Javier allerdings nicht überzeugt. Er hatte so viel Zeit verloren. Seine Erinnerungslücken füllten sich zwar allmählich wieder, dennoch hatte er beruflich wie privat einiges verpasst.

Gut, vielleicht würde er physisch wieder ganz gesund werden, aber tief in seinem Inneren hatte sich etwas verändert.

Javier war ein anderer geworden.

Seine Familie hielt ihn offenbar für depressiv und vielleicht traf das zum Teil auch zu. Wer wäre es an seiner Stelle nicht?

In den vergangenen einunddreißig Jahren hatte er sich immer auf seinen Körper und seine Intelligenz verlassen können. Nun war er schon seit Wochen auf die Hilfe anderer angewiesen. Zu allem Unglück schritt seine Genesung kaum voran.

Was wäre, wenn er niemals den Glauben an sich selbst zurückgewinnen würde?

Diese Frage ängstigte ihn zutiefst. Nie im Leben würde er mit jemand anderem darüber reden, schon gar nicht mit einem Psychiater.

Javier blickte wieder zu Leah, die ihr langes braunes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen hatte. Leah sah ihn mit ihren ausdrucksvollen haselnussbraunen Augen an, als wisse sie, was er dachte und fühlte, ohne dass er es auszusprechen brauchte.

Sie war die einzige Person, deren Gegenwart ihn nicht verrückt machte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn vorher nicht gekannt hatte und nichts von ihm erwartete. Vielleicht war er ihr auch einfach nur dankbar, dass sie ihn nicht mit Samthandschuhen anfasste und Fröhlichkeit mimte, wenn sie traurig war.

Leah war eine schöne Frau. Sie strahlte von außen wie von innen. Natürlich wollte er in ihrer Gegenwart ein ganzer Mann sein. Schließlich war er nur verletzt und gewisse Teile seines Körpers bedurften in keiner Weise einer Reha.

Leah kam zum Kopfende seines Bettes und legte die Hand auf das Gestell. Sie hatte lange, schmale Finger mit sorgfältig manikürten Nägeln. Er wusste, dass ihre Berührung leicht und trotzdem fest und kompetent war.

Er war versucht, die Hand nach ihr auszustrecken, doch ehe er das Für und Wider einer solchen Handlung abwägen konnte, wandte sie sich ihm zu. „Ich werde Ihre Familie bitten, ihre Unterhaltung in einem der Besprechungsräume weiterzuführen.“

„Danke.“

Sie nickte und ging auf den Flur hinaus.

Das Letzte, was er hörte, war Leah, die sagte: „Kommen Sie doch bitte mit mir.“

Während Leah die Familie Mendoza am Schwesternzimmer vorbei über den Flur führte, sagte sie: „Javier hat Ihr Gespräch mitbekommen. Ich halte es für das Beste, wenn Sie sich anderswo weiterunterhalten.“

„Oje.“ Javiers Vater Luis fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich wollte wirklich nicht, dass er uns hört. Wir machen uns einfach nur Sorgen um ihn.“

Auch Leah war in Sorge. Ihr war aufgefallen, wie sehr Javier sich änderte, sobald seine Familie zu Besuch kam. Sie hatte ihn sogar einmal darauf angesprochen, doch er hatte es nur kurz abgetan und dann das Thema gewechselt.

„Seine Hilflosigkeit ist für ihn sehr schwer zu ertragen“, fuhr Leah fort.

Alle nickten zustimmend.

„Zu schade, dass Sie ihn nicht vor seiner Verletzung kennengelernt haben“, bemerkte Luis.

Das dachte Leah auch. Doch selbst in seinem jetzigen Zustand war sie von ihrem schönen Patienten fasziniert. Oft schaute sie auch an den Tagen bei ihm vorbei, an denen sie anderen Pa­tienten zugeteilt war.

„Javier ist durch und durch Unternehmer und Immobilienmakler“, fügte Luis hinzu. „Jedes neue Projekt hat ihn früher sofort begeistert, aber wenn wir jetzt über das Geschäft reden wollen, wechselt er sofort das Thema.“

Leah wusste, dass ihr Patient beruflich sehr erfolgreich war und ein schönes Haus in einer eleganten Gegend von Red Rock besaß.

„Er ist ein begnadeter Musiker“, fügte seine ältere Schwester Isabella hinzu. „Und sehr sportlich. Vor dem Unfall hat er Tennis und Golf gespielt. Aber wenn wir Musik oder Sport erwähnen, presst er die Lippen aufeinander und schaut grimmig.“

„Sicher wird er irgendwann wieder Tennis und Golf spielen“, erwiderte Leah und öffnete die Tür zu einem Besprechungsraum. Sie wartete, bis Luis Mendoza und sein Sohn Rafe eintraten. Rafes Frau Melina und Isabella folgten.

„Mein Bruder war immer ein positiver und energiegeladener Mensch“, sagte Isabella. „Es tut mir in der Seele weh, ihn so deprimiert zu sehen.“

„Das kann ich gut verstehen.“ Leah hatte gehört, dass Javier sehr aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen hatte und zu Red Rocks begehrtesten Junggesellen gehörte.

Wäre Leah ihm vor dem Unfall begegnet, hätte sie ihn sicherlich sehr interessant gefunden.

Sogar jetzt, da er entweder in einem Krankenhausbett lag oder im Rollstuhl saß, war ihr Interesse an ihm groß … vielleicht sogar ein wenig zu groß.

„Ich bin von Beruf Therapeutin“, sagte Melina. „Mir ist klar, was in Javier vorgeht. Ich habe schon mit vielen Unfallopfern gearbeitet, von denen sich einige mit der Tatsache abfinden mussten, nie wieder der Mann oder die Frau zu werden, die sie vorher waren. Es ist schwer, sich mit der eigenen Sterblichkeit oder Gebrechlichkeit auseinanderzusetzen, von daher sind Javiers Depressionen nur allzu verständlich. Vor allem für einen Mann wie ihn, der immer der Beste sein wollte.“

„Das sage ich ja“, warf Luis ein. Er blickte Leah erwartungsvoll an. „Meinen Sie nicht, es wäre gut für ihn, wenn er mit einem Psychologen sprechen würde?“

„Doch“, gab sie zu, „sobald er in der Reha ist, bekommt er ohnehin Gelegenheit dazu.“

„Wir sollten Ihrer Meinung nach also abwarten?“, fragte Luis.

„Ich würde ihm noch ein wenig Zeit geben“, erwiderte sie. „Er hat im Augenblick genug Probleme. Die Zeit ist Ihr bester Verbündeter.“

Die Familie schien diesen Vorschlag abzuwägen. Sobald Dr. Fortune Javiers Verlegung in die Reha anordnete, würde Leah in ihrem Bericht auf die Besorgnis der Familie eingehen.

„Wissen Sie, ich habe nachgedacht“, sagte Rafe. „Wir haben seine Freunde und Geschäftspartner gebeten, ihn vorläufig nicht zu besuchen. Aber vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, sie herzubitten?“

„Ach, ich weiß nicht“, warf Isabella ein. „Seine Launen machen ja uns schon zu schaffen.“

„Ich sage ja nicht, dass wir alle Welt zu einem Besuch ermuntern sollten, aber wie wäre es mit einigen der Ladies, mit denen er sonst ausgegangen ist?“ Rafe fasste nach Melinas Hand. „Mir zaubert der Anblick meiner Frau auch immer ein Lächeln auf das Gesicht.“

Alle im Raum amüsierten sich über diese Bemerkung.

Alle außer Leah.

Sie wollte nicht an die Frauen denken, mit denen sich Javier vor dem Unglück getroffen hatte. Aber warum?

Schließlich hatte sie nicht vor, selbst mit ihm auszugehen. Sie ließ sich nie auf eine Beziehung mit ihren Patienten ein.

Ach nein? meldete sich eine Stimme in ihrem Inneren. Und warum war sie dann jedes Mal enttäuscht, wenn eine andere Krankenschwester für Javiers Zimmer eingeteilt wurde?

Darauf wusste Leah keine Antwort. Sie spürte nur, dass Javier ihr mittlerweile sehr ans Herz gewachsen war. Sie verstand, welch harten Kampf er mit sich ausfocht, und fühlte sich ihm verbunden.

Dass er nicht nur attraktiv, sondern auch sympathisch war, hatte damit rein gar nichts zu tun.

Stimmt nicht, flüsterte die aufdringliche Stimme.

Leah musste zugeben, dass Javier Mendoza tatsächlich etwas an sich hatte, was sie zu ihm hinzog.

Etwas, das sie nicht erklären konnte.

Seit einigen Minuten zappte Javier schon durch die verschiedenen Fernsehsender, doch er fand nichts, was ihn interessierte.

Die Übertragung eines Tennismatchs erinnerte ihn nur an die traurige Tatsache, dass er für die nächsten Monate, ja vielleicht sogar Jahre nicht würde Tennis spielen können. Und die Nachrichten zeigten ihm, wie viel er während seiner Zeit auf der Intensivstation versäumt hatte.

Er wusste schon gar nicht mehr, wie sein Leben außerhalb dieser weißen Wände ausgesehen hatte, und als er an den vor ihm liegenden langen Weg der Genesung dachte, überfiel ihn wieder tiefste Verzweiflung.

Obwohl er früher nie zu Wutausbrüchen geneigt hatte, überkam ihn der heftige Drang, die Fernbedienung quer durch das Zimmer zu schleudern. Javier beherrschte sich und schaltete das Gerät stattdessen aus.

Als der Bildschirm dunkel wurde, trat Leah ins Zimmer. Schon der Anblick seiner hübschen Krankenschwester genügte, um ihn fröhlicher zu stimmen.

Was für eine nette Abwechslung!

Ein Lächeln umspielte seine Lippen und verscheuchte die eben noch so grimmigen Gesichtszüge.

Auf den ersten Blick entsprach Leah nicht unbedingt seiner Vorstellung von einer umwerfend schönen Frau. Schließlich hatte er sie bisher nur in ihrer Krankenhauskleidung und dazu passenden Crocs an den Füßen gesehen. Doch mit der Zeit wurde ihm bewusst, dass sich unter ihrer lose sitzenden Kleidung ein verführerischer weiblicher Körper befinden musste.

Ihr langes glattes Haar, das sie als Knoten oder Zopf trug, hatte einen schönen kastanienbraunen Schimmer. Sie war, wenn überhaupt, nur ganz dezent geschminkt. Doch ihre natürliche Schönheit hatte ein Make-up auch gar nicht nötig.

Er fragte sich oft, wie sie wohl an ihren freien Tagen aussah oder was sie trug, wenn sie am Abend ausging. Tatsächlich wollte er noch eine ganze Menge anderer Dinge über sie wissen!

War sie verheiratet?

Hoffentlich nicht.

Während Leah durch sein Zimmer ging, fragte er sich, ob sie einen festen Freund hatte. Eigentlich war es schwer vorstellbar, dass es keinen Mann geben sollte, der sie ganz für sich alleine haben wollte. Denn wie viele Frauen gab es schon, die so liebevoll, nett und süß waren?

Einige Male war er kurz davor gewesen, sie zu fragen, ob sie Single war, aber er hatte es dann aus unerfindlichen Gründen doch lieber gelassen. Wahrscheinlich war es ihm unangenehm, wenn seine Krankenschwester erfuhr, dass er sie attraktiv fand. Es wäre natürlich etwas anderes, wenn er nicht hier im Bett läge. Der alte Javier hätte keine Sekunde gezögert, sie um ein Date zu bitten. Aber er war weit entfernt von dem Mann, der er einmal gewesen war.

„Im Fernsehen läuft wohl nichts Interessantes?“, fragte sie.

„Nein.“ Er legte die Fernbedienung zur Seite.

„Gleich kommt das Abendessen.“

„Ich kann es kaum erwarten.“

Bei seinem sarkastischen Ton wandte sie sich zu ihm und lächelte. „Sie haben Glück. Das Essen im San Antonio General ist ziemlich gut.“

Vielleicht stimmte das, aber sein Appetit war noch nicht zurückgekehrt. Der einzige Grund, warum er sich auf die Mahlzeiten freute, war der, dass sie das Einerlei des Tages unterbrachen.

„Hey, Florence“, sagte er und benutzte den Kosenamen, den er ihr gegeben hatte, als er sie zum ersten Mal nicht als Krankenschwester, sondern als Frau gesehen hatte. „Ich hätte eine Frage.“

„Und die wäre?“

„Was ist Ihr Mann von Beruf? Ist er auch im medizinischen Bereich tätig?“

Überrascht hielt sie inne. „Mein Mann? Ich bin nicht verheiratet.“

Javier musste sich angesichts der guten Nachricht ein Lächeln verkneifen. „Ach nein? Ich war mir sicher, dass eine Frau wie Sie verheiratet ist.“

Ihre Hand stahl sich zum V-Ausschnitt ihres pinkfarbenen Kasacks.

War sie nervös? Aus dem Gleichgewicht gebracht? Vielleicht sogar geschmeichelt?

Der Gedanke gefiel ihm.

Noch ehe einer von ihnen etwas sagen konnte, ertönte von der Tür her die Stimme einer Frau.

Leah und Javier wandten gleichzeitig die Köpfe nach dem fröhlichen „Hallo“ um, das von einer großen, schlanken Blondine, die einen riesigen Blumenstrauß vor ihr Gesicht hielt, stammte.

Savannah Bennett?

Als sie den Blumenstrauß senkte, sah er seine Vermutung bestätigt.

„Hoffentlich störe ich dich nicht“, begann Savannah. „Ich wollte dich schon vor Wochen besuchen, aber bisher durften das ja nur Familienmitglieder.“

Davon hatte Javier zwar bisher nichts gewusst, aber im Grunde war es ihm auch einerlei. Ihm stand der Sinn überhaupt nicht nach Besuch, egal ob von der Familie oder Freunden.

„Aber dann traf ich heute Nachmittag zufällig Rafe im Supermarkt“, fuhr Savannah fort. „Er sagte mir, dass du dringend Unterhaltung brauchst. Und voilà, hier bin ich.“

Dringend? Das war schlicht gelogen, und Rafe wusste es ganz genau.

„Danke, dass du gekommen bist.“ Er bemühte sich um Höflichkeit.

Ob Savannah wohl an seinem Tonfall bemerkte, dass seine Worte nicht ehrlich waren? Schließlich waren sie höchstens vier oder fünf Mal innerhalb von zwei Monaten miteinander ausgegangen, und das war lange vor seinem Unfall gewesen.

Savannah hatte mehr von ihm gewollt, als er zu geben bereit war. Und während er kein Hehl aus seinem glücklichen Junggesellenleben gemacht hatte, schien sie zu glauben, die Eine zu sein, für die er seine Meinung ändern könnte. Also hatte es ein paar Tränen auf ihrer Seite gegeben, aber wahrscheinlich wäre sie viel enttäuschter gewesen, wenn er ihr gegenüber unaufrichtig gewesen wäre.

Rafe hatte davon natürlich keine Ahnung. Javier war nicht der Typ, der alles ausplauderte.

Leah, die neben seinem Bett stand, trat einen Schritt zurück, um möglichst unauffällig das Zimmer zu verlassen.

Sie würde ihn doch jetzt nicht mit Savannah allein lassen? Nicht, dass es von Bedeutung gewesen wäre. Nur, er wollte nicht, dass Leah ging.

„Hey, Florence“, sagte er daher.

„Ja?“ Leahs Gesichtsausdruck war undurchdringlich.

Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte. Doch beide Frauen sollten wissen, dass er und die Blondine kein Liebesverhältnis miteinander hatten.

„Ich möchte Sie mit einer Freundin bekannt machen“, sagte er zu seiner Krankenschwester. „Savannah ist Anwaltsgehilfin in einer hiesigen Kanzlei. Zumindest war sie es, als wir uns das letzte Mal trafen.“ Er wandte sich an seine Besucherin. „Arbeitest du immer noch bei Higgins und Lamphier?“

Savannah nickte etwas steif und zog die Augenbrauen zusammen.

„Angenehm“, sagte Leah und lächelte unverbindlich. Dann machte sie eine Kopfbewegung zur Tür. „Ich muss jetzt wieder an die Arbeit.“

Javier hätte sie am liebsten gebeten zu bleiben, aber unter welchem Vorwand? Das Leben war schon kompliziert genug.

2. KAPITEL

Mit einem Gefühl leichten Unbehagens trat Leah auf den Flur hinaus. Sie hätte schwören können, dass Javier sie eben fragen wollte, ob sie Single sei und vielleicht sogar …

Interessiert?

Okay, vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet.

Wer weiß, was er mit seinen Fragen bezweckt hatte. Ihre Unterhaltung war durch das Auftauchen von Savannah Wer-auch-immer unterbrochen worden, noch bevor sie richtig in Schwung gekommen war.

Vielleicht war es ja auch besser so. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war ein unnötiges Drama am Arbeitsplatz.

Und dennoch hatte seine Frage sie aus der Fassung gebracht. Sie spürte, dass sie trotz all ihrer Bemühung um Professionalität ihren Patienten anscheinend ein bisschen zu sehr mochte.

Natürlich würde sie das nie nach außen zeigen. Dafür liebte sie ihren Beruf viel zu sehr.

Auf dem Weg zum Schwesternzimmer ging sie daher aufrecht und mit hoch erhobenem Kopf. Sie sollte dankbar sein, dass Savannahs Besuch ihre Unterhaltung unterbrochen hatte.

Doch gleichzeitig musste sie sich eingestehen, dass es ihr einen Stich gegeben hatte, als die schöne Blondine Javiers Zimmer betrat. Dabei wusste sie doch, dass Javier vor seinem Unfall ein gut aussehender und heiß begehrter Junggeselle gewesen war. Die Frauen hatten ihn sicher umschwärmt.

Wieso traf der Besuch einer Frau sie dann so unerwartet? Und warum war ihr deshalb unwohl zumute?

Wahrscheinlich weil er bisher nur Besuch von seiner Familie bekommen und sie keinen Gedanken an sein Liebesleben verschwendet hatte.

Obwohl das nicht ganz stimmte. Sie hatte schon ab und an über seine früheren Freundinnen nachgedacht, aber in ihrer Fantasie waren es immer gesichtslose Schönheiten geblieben.

Das hatte sich nun geändert. Eine von ihnen hatte Gestalt angenommen, und es schien, dass Javier große, kultivierte Blondinen bevorzugte, die sich elegant kleideten und top gestylt waren.

Leah schnalzte mit der Zunge und tadelte sich selbst für diese Unterstellung. Vielleicht war alles ganz anders? Sie wusste ja nicht einmal, ob Javier und Savannah wirklich eine Beziehung hatten. Er hatte sie schließlich sehr betont als eine Freundin vorgestellt.

Wenn er nicht einmal wusste, ob Savannah noch immer denselben Job hatte, konnten sie beide eigentlich kein Paar sein. Offensichtlich hatten sie sich längere Zeit nicht gesehen.

Leahs Unbehagen wollte sich schon auflösen, als ihr bewusst wurde, dass er ja seit über zwei Monaten in der Klinik war. Die Hälfte der Zeit davon hatte er im Koma gelegen.

Dann fiel ihr wieder ein, was Rafe der Familie am Morgen vorgeschlagen hatte.

Folglich war Savannahs Besuch heute kein Zufall. Rafe hatte das Ganze in Gang gesetzt.

Leah brauchte wenig Fantasie, um zu begreifen, dass Javier und Savannah nicht nur alte Bekannte waren, auch wenn er diesen Eindruck erwecken wollte.

Als Leah sich hinter ihren Schreibtisch setzte, stellte sie fest, wie sehr ihr die Vorstellung missfiel, dass Javier eine Freundin haben könnte. Und das brachte sie in Bedrängnis. Fühlte sie sich etwa stärker zu ihrem Patienten hingezogen, als es einer Krankenschwester erlaubt war?

Es gab nur zwei Möglichkeiten für sie. Entweder musste sie dafür sorgen, dass Javier auf eine andere Station verlegt wurde oder sie musste etwaige Gefühle bekämpfen, die sich mit ihrer beruflichen Ethik nicht vereinbaren ließen.

Noch immer tief in ihre Überlegungen versunken, nahm sie sich die Akte eines anderen Patienten vor und tat, als sei sie beschäftigt. Doch in Wirklichkeit konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren.

Aus unerfindlichen Gründen hatte sie Javier von Anfang an für einen Mann gehalten, der ungebunden und frei war. Im Grunde waren diese Gedanken allein schon der erste Hinweis darauf, dass ihr Interesse an ihm über das normale Maß hinausging.

Und nun? Sollte sie tatsächlich darum bitten, dass er auf eine andere Station kam?

Das Dumme war, dass sich Javiers Gemütslage immer verbesserte, sobald sie in seine Nähe kam. Wie konnte sie unter dieser Voraussetzung auch nur an eine Verlegung denken? Sie konnte einen Patienten doch nicht dann abschieben, wenn er sie am meisten brauchte?

Leah hatte Glück. Ihre Schicht ging zu Ende, ohne dass sie noch einmal in Javiers Zimmer musste. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht wusste, wer dort ein und aus ging.

Savannah hatte die Klinik sehr zu Leahs Freude schon kurz nach ihrem Eintreffen wieder verlassen. Ihr Besuch bei Javier hatte höchstens fünf oder sechs Minuten gedauert. Aber war die Erleichterung, die sie darüber empfand, etwa professionell?

Leah warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und sah, dass es Zeit für den Schichtwechsel war. Zum Glück hatte sie morgen frei. Ein wenig Abstand von ihrem attraktiven Patienten würde ihr nur guttun. Sie würde all die unpassenden Gedanken und Gefühle abschütteln, die sie in seiner Gegenwart ständig überfielen.

Sie öffnete gerade die letzte Krankenakte, um einen Vermerk einzutragen, als die Schwesternschülerin Leanne Beattie hereinkam, die für das Verteilen der Mahlzeiten zuständig war. „Dem Typen in drei-vierzehn schmeckt unser Essen anscheinend überhaupt nicht“, sagte sie.

Der Typ in drei-vierzehn war Javier.

Leah sah von ihren Unterlagen auf. „Was meinst du damit?“

„Nun, er hat heute kaum etwas gegessen. Sein Frühstück hat er nicht angerührt und im Mittagessen auch nur herumgestochert. Und soweit ich es beurteilen kann, hat er bis auf die Schoko-Eiscreme sein ganzes Abendessen stehen lassen. Ich dachte, ich sollte es erwähnen.“