Der Butler 01 - Die Erbin - J.J. Preyer - E-Book

Der Butler 01 - Die Erbin E-Book

J. J. Preyer

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Beschreibung

Amanda Marbely, eine steinreiche Lady aus London, beerbt ihren überraschend früh verstorbenen Cousin aus Königstein im Taunus. Um das gigantische, jedoch sehr bedeckt gehaltene Firmenimperium des geliebten Verwandten aus Deutschland in Augenschein zu nehmen, übersiedelt die schrullige Lady ins Siegerland.Die internationalen Geheimdienste ziehen im Hintergrund bereits ihre Fäden. Das Innenministerium stellt der Lady, die unversehens zur reichsten Frau auf Erden wurde, einen vornehmen Butler mit vielen Talenten und Geheimnissen zur Verfügung.Die Printausgabe umfasst 188 Buchseiten.

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Seitenzahl: 182

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DER BUTLERBand 1

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

J. J. Preyer

DIE ERBIN

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Andreas ZwengelLektorat: Dr. Richard WernerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierIllustrationen: Jörg NeidhardtSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-509-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Die Erbin

Das Vibrieren des Lenkrads irritierte den ­Chauffeur. Dazu kam noch ein lautes ­Hämmern und Zischen, das für die ­Nobelkarosse ­untypisch war.

Ob der in Deutschland erhältliche Treibstoff die Ursache für die Probleme war?, fragte sich der Chauffeur. Er hatte den Maybach 62 S vor einer halben Stunde in Arnsberg aufgetankt und war nun in südlicher Richtung nach Siegen unterwegs. Der Navigator verriet ihm, dass er sich im Bereich des Rothaargebirges befand, einer hügeligen ­Landschaft mit Fichtenwäldern und Buchen, die so früh im Jahr noch keine Blätter trugen.

Dichter Hochnebel verdüsterte die verlassen ­wirkende Gegend, in der kaum jemand unterwegs war.

Dabei war es der Zeitangabe des Maybachs nach erst vier Uhr dreiundzwanzig. Die hellblau leuchtende digitale Uhr hatte sich automatisch von westeuropäischer auf mitteleuropäische Zeit umgestellt. Das bedeutete Anfang März minus eine Stunde zu England. Der Chauffeur machte sich keine Sorgen, denn auf den Maybach war Verlass. Abgesehen von den seltsamen Geräuschen, dem Vibrieren des Lenkrads und dem Schlingern des Fahrzeugs. Arthur steuerte die schwarze Limousine konzentriert über die kurvenreiche Straße.

Um sich abzulenken, startete er den CD-Player mit Lady Marbelys Lieblingsmusik, Tschaikowskis Dorn­röschen. Zu den Klängen der Ballettmusik setzte nun Nieselregen ein. Die Wischer des Maybachs nahmen von selbst ihren Dienst auf. Ein starker Wind rüttelte kaum merklich an dem 6.300 Pfund schweren Luxuswagen.

Der Wind entwickelte sich rasch zu einem ausgelassenen Sturm. Der Chauffeur bemerkte es an umherwirbelnden Ästen und Laub, das vom Winter schwarz und klumpig geworden war. Dazu passte Tschaikowskis Musik, die sich in Tempo und Lautstärke steigerte. Doch da war noch etwas. Auch das Fahrgeräusch war stärker geworden, der Maybach ließ sich kaum mehr lenken. Des Chauffeurs rechter Fuß presste das Bremspedal in die Gummimulde, gleichzeitig entwickelte der über sechs Meter lange Wagen ein unkontrollierbares Eigenleben. Der Chauffeur musste hilflos mit ansehen, wie die Landschaft, die eben noch seitlich neben ihm sichtbar gewesen war, nun an der Frontscheibe entlangflog. Sekundenbruchteile später lag die Straße, die er hinter sich gelassen hatte, vor ihm. Die Gegend veränderte sich aber nicht nur in der Horizontalen, sondern auch in der Vertikalen. Der Hochnebel lag unten, die Fahrbahn verlief entlang des Autodaches.

Eine verwirrende Situation, die zwar der Begleitmusik entsprach, doch dem Chauffeur unerklärlich schien.

Dann hörte er einen Knall und verspürte einen mörderischen Schlag gegen den Oberkörper. Er fürchtete, erschossen worden zu sein, während die durch den Unfall ausgelösten Airbags ihm Atem und Bewusstsein nahmen.

Der athletische Mann in der Montur eines Butlers nahm die Treppe in die 7. Etage des Best Western Park Hotels zu Fuß, zwei Stufen auf einmal. Er musste in Form bleiben. Die Aufgabe, die er im Auftrag von SSI zu erfüllen hatte, würde nicht einfach werden.

Sie werden Lady Marbely Tag und Nacht zur Seite stehen, hatte Mister Prince gesagt. Es darf ihr nichts zustoßen, schon gar nicht auf deutschem Boden. Die Lady kommt im Maybach, mit Chauffeur, ohne ihren Butler. Dessen Part übernehmen Sie, und zwar so, dass Lady Marbely ihren eigenen Butler in keiner Weise vermisst.

Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, die Lady zufriedenzustellen, hatte er vollmundig erwidert und sich auf die Mission vorbereitet.

Er wurde zum perfekten Butler. Über der dunklen Hose und dem dezent gestreiften Frackrock trug er einen ­schwarzen Kamelhaarmantel. Am linken Unterarm balancierte er einen Regenschirm, auf dem Kopf saß die Melone. Wenn der Frack nicht aus schusssicherem Material gewesen wäre, wäre er, nun als der Butler, noch leichtfüßiger unterwegs gewesen. Wobei schnellere Bewegungen ohnehin nicht der Würde seines neuen Berufs entsprochen hätten.

Bevor er an die Tür zur Suite der Lady klopfte, versicherte er sich des tadellosen Sitzes seiner Kleidung, wischte einige Staubkörner vom Revers und räusperte sich, um plötzlich erschrocken innezuhalten. Er hatte vergessen, die weißen Handschuhe anzuziehen und holte dies umgehend nach.

Er war gespannt auf die Lady. Er wusste nur, dass sie sehr nobel und sehr reich war, nicht mehr die Jüngste, doch voll Abenteuerlust und unkonventionellen Ideen.

Er klopfte an die Tür und vernahm ein Come in, das ihn zum Eintreten aufforderte.

Ach ja, gepflegtes Englisch sollte er auch beherrschen. Eine knifflige Aufgabe, all diese Details unter einen Hut zu bringen, auch wenn dieser, wie in seinem Fall, eine Spezialanfertigung aus Stahl war.

„Oh my God, Sie sehen ja tatsächlich wie ein richtiger Butler aus“, begrüßte ihn Lady Marbely in beinahe akzentfreiem Deutsch.

Der Butler verneigte sich leicht. „Immer zu Ihren Diensten, Mylady.“

Vor dem Butler stand eine jugendlich wirkende Einundsiebzigjährige, die ihm die rechte Hand zum Gruß entgegenstreckte.

Er fragte sich, ob er den Handschuh ausziehen sollte.

„Anlassen“, sagte die Lady und lächelte ihn aus ihren wasserblauen Augen freundlich an. „Ein Butler lässt die Handschuhe stets an. Und er schüttelt der Dame nicht die Hand, sondern deutet einen Handkuss an. Etwa so.“ Mit diesen Worten beugte sich Lady Marbely über die Hand ihres neuen Butlers und demonstrierte, was sie meinte.

„Ich war um eine möglichst perfekte Vorbereitung bemüht“, sagte der Butler, „bin aber auf Ihr freundliches Wohlwollen angewiesen. Kleinere Unzulänglichkeiten bitte ich höflichst zu verzeihen.“

„Wie heißt es so schön am Ende von Some Like It Hot? Nobody is perfect. Nicht einmal Henry, mein Butler in Marbely House, kann und weiß alles.“ Die kleine Frau mit dem grau-rötlichen Haar, deren dezente Kleidung die durchaus vorhandenen Rundungen elegant kaschierte, strahlte ihr Gegenüber entwaffnend an.

„Ich danke für Ihren Großmut, Mylady, in der Hoffnung, diesen nicht allzu sehr beanspruchen zu müssen.“

„Also, ich bin Mylady, und Sie sind …“

„Nennen Sie mich James!“

„Kein deutscher Name?“

Er überging die Frage. „Sie erlauben mir das Kompliment: Ihr Deutsch ist fehlerlos, nahezu perfekt.“

„Auch ein Butler sollte bei der Wahrheit bleiben. Meine Deutschkenntnisse sind eingerostet. Aber ich hoffe, sie im Siegerland aufpolieren zu können. Man spricht doch Deutsch hier?“ Sie lachte dezent. „Was ich am Flughafen hörte, klang nicht danach. Ich wähnte mich in Amerika.“

„Die Leute sprechen den lokalen Dialekt, das Siegerländer Platt“, erklärte der Butler. „Die Phonetik ist Ihrer Sprache sehr ähnlich.“

„Ach, James, wenn Sie mir ein Beispiel davon geben könnten!“

Der Butler konzentrierte sich, dann begann er: „Komm, Lädi, mr wonn Platt schwätze, dat rummt beasser!“

„Und das heißt, lieber James? Sie übersetzen es mir doch!“

„Das hat keine besondere Bedeutung. Es drückt aus, dass die Mundart das gemütlichere Sprachmedium ist. Wenn Mylady so belieben.“

„Ach, wie liebe ich die Sprache und die Kultur dieses Landes! Die Musik, die Märchen, die Lieder!“

„Die Politik wohl weniger. Wenn ich mir diesen Einwurf gestatten darf.“

„Bleiben wir auf sicherem Terrain, äh …“

„James.“

„Richtig, James. Bleiben wir bei den alten Werten Deutschlands.“

„Sie befehlen, Mylady, ich werde bestrebt sein, Ihren Wünschen nachzukommen.“

„Gut, dann bereiten Sie uns Tee, und wir planen die nächsten Schritte.“

Der Butler atmete auf. Das Ärgste schien überwunden. Er wusste, wie man perfekten englischen Tee machte und begab sich in die Küche der Suite.

Lady Marbely war ins Siegerland gereist, weil sie an den Begräbnisfeierlichkeiten ihres unter mysteriösen Umständen verstorbenen Cousins teilnehmen wollte, der sie als Alleinerbin eingesetzt hatte. Die Aufgabe des Spezial-­Butlers war es, die Lady dabei zu unterstützen und zu beschützen. Die Erklärungen, die ihm Mister Prince dazu telefonisch gegeben hatte, waren mehr als beunruhigend gewesen, auch für einen Spitzenmann des SSI.

SSI konzentrierte sich auf besonders heikle Fälle. Dem Special Service International standen Topleute der Verbrechensbekämpfung in den Bereichen Polizei, BKA, BND zur Verfügung. International kooperierte SSI mit FBI und dem amerikanischen Geheimdienst für die wirklich besonderen Fälle. Der Butler war einer der Mitarbeiter. Und er wusste, dass der Schutz der Lady und die Lösung der vielfältigen Probleme rund um den Tod ihres Cousins und dessen berufliche Tätigkeit nicht leicht würden.

Umso wichtiger war es, dass Lady Marbely sich während ihres Aufenthaltes in Deutschland einigermaßen wohlfühlte. Dazu gehörte das richtige Ambiente.

Das Viersternehotel war zweckmäßig eingerichtet. Die Suite im obersten Stockwerk bot einiges an Komfort, doch fehlte das spezielle Flair für eine an Luxus gewöhnte Dame.

Das Teegeschirr, mit dem der Butler soeben hantierte, wirkte bescheiden, wie die gesamte Einrichtung der Suite. Der Blick auf das im Augenblick von der Sonne beschienene Siegen war schön, bot aber nichts Außergewöhnliches.

Der Butler entschied sich, Lady Marbely vorzuschlagen, so rasch wie möglich das Anwesen des Verstorbenen in Königstein im Taunus aufzusuchen und es als Unterkunft zu nutzen, wenn es sich als geeignet herausstellte.

Als er der Lady starken heißen Tee mit gewärmter Milch und Sandwiches servierte, bat sie ihn, Platz zu nehmen und sich ebenfalls zu bedienen.

„Es stört Sie doch nicht, wenn ich rauche?“, fragte Lady Marbely nach dem ersten Schluck Tee.

„Natürlich nicht, Mylady.“ Er gab ihr Feuer.

Lady Marbely sog mehrmals an einem Zigarillo und blies den Rauch in den Raum, bevor sie sich den Sandwiches zuwandte.

„Ich muss Sie loben, James. Der Tee ist vorzüglich, die Sandwiches könnten etwas Salz in der Butter vertragen.“

„Ich notiere den Wunsch, Mylady.“

„Also, was schlagen Sie weiter vor?“

„Ich wäre Ihnen gerne behilflich, einen Terminplan für die nächsten Tage zu erstellen.“

Mit diesen Worten entnahm der Butler seinem Frackrock ein iPad, startete diesen und öffnete den noch leeren Terminkalender.

„Ich rate Mylady, folgende Termine einzuplanen: Begräbnisfeierlichkeiten Jakob Aufhauser, morgen elf Uhr, in Königstein. Fahrzeit Siegen - Königstein eineinhalb Stunden. Also Abfahrt vom Hotel neun Uhr fünfzehn.“

„Der neue Maybach trifft erst im Laufe des morgigen Tages ein“, erklärte die Lady. „Wir müssen Ihren Wagen nehmen.“

„Gern, Mylady.“

„Und wir müssen meinen Chauffeur unbedingt im Krankenhaus besuchen.“

„Ich merke diesen Punkt vor, Mylady.“ Der Butler tippte Buchstaben und Zahlen in den Tablet-PC. „Das Anwesen Ihres Herrn Cousins in Königstein könnte sich als ­angemessenere Unterkunft als das Parkhotel erweisen. Außerdem sollten wir uns ein Bild davon machen, wie Ihr Vetter gelebt hat.“

„Sie kannten ihn?“, fragte die Lady.

„Wie darf ich Ihre Frage verstehen, Mylady?“

„Sie erwähnten die Leibesfülle Jakobs, also vermute ich, dass Sie ein Bild oder ihn selbst gesehen haben. Soweit ich weiß, war er nicht besonders dick.“

Der Butler dachte kurz nach. „Mir ist nicht bewusst, eine Bemerkung über das Aussehen Jakob Aufhausers gemacht zu haben, wenn Mylady gestatten.“

„Sie nannten ihn Fetter, und das heißt doch …“

Der Butler lächelte. „Ein Missverständnis, Mylady. Leicht aufzuklären. Vetter mit V ist ein Synonym, ein anderes Wort für Cousin.“

„Ach herrje. Ich verstehe. Sie können fortfahren, James. Ich meine mit dem Erstellen des Terminplans.“

„Sehr wohl, Mylady. Da wären noch um fünfzehn Uhr die Testamentseröffnung im Amtsgericht Königstein unterzubringen und später eine Besichtigung der Firma Ihres Cousins hier in Siegen.“

„Und der Besuch meines Chauffeurs im Spital.“

„Natürlich. Darf ich also folgende Reihenfolge der morgigen Termine vorschlagen: Fahrt nach Königstein, ­Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten, Testamentseröffnung, Rückfahrt nach Siegen, Besuch Ihres Chauffeurs im Krankenhaus. Eine Besichtigung der Fabrik des Verstorbenen und seines Anwesens in Königstein müssen wir auf übermorgen verschieben. Ich ersuche Mylady um Verständnis, dass Sie bis dahin weiterhin mit dem Park Hotel vorlieb nehmen müssen.“

„Ich bin voll und ganz zufrieden, James. Es ist ein ruhiges, sauberes Haus mit einem schönen Blick auf die Stadt. Kein Problem.“

„Und ich bitte weiter um Verständnis, wenn ich die nächsten Stunden Mylady nicht zur Verfügung stehen kann.“

„Was haben Sie vor, James?“

„Eine Fahrt nach Königstein.“

„Noch heute?“

„Es ist die letzte Gelegenheit, Ihren Verwandten zu sehen, bevor er in die Erde versenkt wird. Ich möchte mir ein Bild machen, woran er tatsächlich gestorben ist.“

„Ich komme selbstverständlich mit“, schlug Lady Marbely resolut vor.

„Ich muss Sie bitten, davon Abstand zu nehmen, Mylady. Es sind gewisse Manipulationen am Körper des Herrn Cousins notwendig, die nicht für die Augen einer Lady bestimmt sind. Außerdem bedeutet das Eindringen in den Kühlbereich des Bestattungsinstituts einen Gesetzesverstoß, der einer Dame Ihres Ranges schwerlich zuzumuten ist.“

„Dann werde ich fernsehen und Gin-Tonic trinken.“

„Und die weißen Mäuse in Empfang nehmen, die im Laufe des Abends geliefert werden.“

Die Lady hob die Augenbrauen, und der Butler erkannte eine weitere Verständigungsschwierigkeit. „Die Labormäuse benötige ich für eine medizinische Untersuchung.“

Mylady lachte befreit auf, wurde aber sofort wieder ernst. „Sofern die armen Tiere nicht leiden müssen …“

„Das, Mylady, kann ich leider nicht versprechen. Es hängt davon ab, ob Ihr geschätzter Verwandter eines natürlichen Todes gestorben oder ermordet worden ist.“

Lady Marbely nickte nachdenklich. „Ich verstehe.“

Der Butler startete seinen silbergrauen Mercedes GLK 220 und fuhr vom Hotelparkplatz zur A45, Richtung Frankfurt am Main. Bei Nieder-Mörlen verließ er die Autobahn, um den Verkehrsstaus in der Stadtregion Frankfurt zu entgehen. Er fuhr am ehemaligen Führerhauptquartier in Butzbach vorbei, dessen mit Efeu bewachsener und einer Schiefermauer getarnter Luftschutzbunker noch zu sehen war. Die sanften Hügel des Naturparks Hochtaunus, in dem Königstein lag, waren dicht mit Laubbäumen bewachsen, deren dunkle Zweige einen ersten Hauch von Grün erkennen ließen.

Der Luftkurort Königstein war von überdurchschnittlich vielen Wohlhabenden bis Reichen bewohnt. Die ­vielen Gärten und Villen und die an den Straßen parkenden Autos vermittelten einen ersten Eindruck der Kaufkraft seiner Bewohner. Es war kurz nach achtzehn Uhr. Die Sonne versank als rotorangefarbener Ball hinter der im Westen gelegenen Schlossruine. Am Fuße des Hanges, auf der die Festung stand, lag der Friedhof. Der Butler fuhr in die Limburger Straße zum Bestattungsinstitut Pietät Bertram, das in einer Gründerzeitvilla mit Türmchen und Erkern untergebracht war, und prüfte die Zugänge zu dem düster wirkenden Gebäude.

Der Butler entschloss sich, für sein heikles Vorhaben den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten. Er gab die Adresse des verstorbenen Cousins von Lady Marbely in das Navigationsgerät ein und fuhr ein Stück weiter in die Theresenstraße, von der aus die Villa Andreae auf dem Gaisberg gut zu erkennen war. Das kleine Schloss leuchtete weiß durch die dichte Vegetation des Parks. Im Sommer, wenn die Büsche und Bäume Blätter trugen, würde man keine Sicht mehr auf das Gebäude haben, das auf den Butler mehr als vielversprechend wirkte. Wenn das Innere des Schlosses ebenso ansprechend war, böte es das ideale Ambiente für Lady Marbelys Aufenthalt.

Gegen einundzwanzig Uhr war es so weit. Der Butler betrat den Vorgarten des Bestattungsunternehmens und bewegte sich gemessenen Schrittes hinter die Villa, wo er sich ungestört Zutritt zu den Räumlichkeiten verschaffen konnte. Er kontrollierte die Fenster und Türen nach Anzeichen einer Alarmanlage, wurde aber nicht fündig. Dennoch war er zum schnellen Rückzug bereit, sollte er ein Signal auslösen.

Die schwarze Tür aus massivem Holz ließ sich innerhalb weniger Minuten öffnen. Er ließ sie angelehnt, um, wenn nötig, rasch fliehen zu können. Im Inneren des Gebäudes orientierte er sich mithilfe seiner leistungsstarken Kryptonlampe, die er immer wieder abschaltete, um nicht von der Straße aus bemerkt zu werden.

Der Butler vermutete den Kühlraum der Bestattung im Erdgeschoss, das würde den An- und Abtransport der Toten erleichtern. Nach zwei Fehlversuchen fand er den fensterlosen Raum mit den silbrig schimmernden Leichenkühlzellen aus Edelstahl. Er entriegelte die Tür und betätigte den Lichtschalter. Zwei Reihen von Neonlampen tauchten die Halle in kaltes Licht. Den Butler fröstelte, als er die Kühlzellen der Reihe nach öffnete und die an den linken großen Zehen angebrachten Namensschilder der Verstorbenen las.

In der vierten unteren Zelle lag Lady Marbelys Cousin. Ein Mann Ende fünfzig, mit einem mageren, unsportlichen Körper. Seine Augen waren geschlossen, der Unterkiefer war mit einer weißen Mullbinde fixiert worden. Der Butler schob die Mulde, so weit es ging, aus dem Metallschrank und begann den Körper nach Einstichspuren zu untersuchen. Auf der Vorderseite des Toten konnte er in der Linse seiner Leuchtlupe nichts entdecken, also musste er den Toten umdrehen.

Bevor er jedoch die Untersuchung des Verstorbenen fortsetzen konnte, hörte er den gedämpften Sirenenton einer Alarmanlage. Der Butler lauschte. Das Geräusch des Alarms kam nicht vom Haus, die Quelle war weiter entfernt. Außerdem klang die Sirene verdächtig nach der Alarmanlage seines Mercedes. Er würde das Fahrzeug exakt kontrollieren, bevor er es in Betrieb nahm. Es konnte aber auch sein, dass eine Katze, die etwas heftig auf den Wagen gesprungen war, den Sirenenton ausgelöst hatte.

Der Butler wandte sich erneut dem bleichen Körper zu, der in der Leichenmulde vor ihm lag und erkannte einen Einstich in der Haut am linken Schulterblatt. Das sah nach einer letalen Injektion aus. Mit seinem Leatherman schnitt der Butler etwas Gewebe aus dem Toten und schob es in ein Reagenzglas, in dem sich eine Mischung aus Benzylalkohol, absolutem Ethanol, Propylenglycol und Essigsäure befand. Der Butler überlegte, ob der Tote nicht doch eine Botschaft, seinen Mörder betreffend, hinterlassen hatte. Wo würde er selbst in einer solchen Situation einen Hinweis verbergen? Es boten sich nicht allzu viele Möglichkeiten. Er würde sich einen Zettel in den Mund stecken und hoffentlich die innere Ruhe haben, ihn nicht in den Rachenraum hinter die Zähne zu schieben, denn dort konnte er später nicht entdeckt werden. Ein Mensch, der etwas Zeit hatte zu überlegen, würde eine schriftliche Botschaft zwischen Lippen und Wangen verbergen.

Der Butler zog Latexhandschuhe an, begann den äußeren Mundraum abzutasten und spürte tatsächlich einen Gegenstand an der linken Wange. Bingo! Es war ein Stück Pappe, auf dem elf Ziffern standen: 89124118139. Er legte den Zettel in einen Polyethylensack und hielt die Zahl in seinem iPad fest.

Beim Verlassen des Bestattungsinstituts verschloss er die Tür und begab sich zu seinem in einiger Entfernung geparkten Wagen, dem er eine Wolldecke entnahm, die er auf dem Asphalt ausbreitete und sich mit dem Rücken darauf legte. Dann leuchtete er unter das Fahrzeug, wo er nichts Außerordentliches entdecken konnte. Als Nächstes entfernte er die Radkappen aller vier Reifen und erkannte, dass die Muttern am linken Vorderrad gelockert worden waren. Mit dem Radkreuz aus dem Kofferraum befestigte er diese wieder. Dann trat er die Rückreise nach Siegen an.

Der Butler vermutete, dass man ihn mit derselben Methode, die man schon bei Lady Marbelys Maybach angewandt hatte, buchstäblich aus dem Verkehr ziehen wollte. Demnach war der mysteriöse Attentäter also auch auf ihn aufmerksam geworden.

Um genau dreiundzwanzig Uhr siebzehn stoppte der Butler seinen Geländewagen auf dem Parkplatz des Siegener Hotels. Oben im Apartment kümmerte sich Lady Marbely gerade liebevoll um vier weiße Mäuse, die in einem Käfig hin und her huschten. „Sie dürfen sie nicht alle töten, James! Genügt es nicht, das Experiment nur bei einem der Tiere durchzuführen?“

„Ich schlage Mylady folgenden Kompromiss vor. Wenn einer der Mäuse nichts geschieht, wenn also die Substanz, die ich dem Körper des Verstorbenen entnommen habe, nicht toxisch ist, wiederhole ich den Vorgang bei den ­weiteren Tieren. Wenn allerdings die erste Maus stirbt, verschone ich die restlichen.“

„Wenn es unbedingt sein muss“, seufzte die Lady. „Aber welche nehmen wir?“

„Diejenige, die sich am leichtesten fangen lässt.“

„Sie entschuldigen mich einen Augenblick, James. Ich möchte nicht anwesend sein, wenn Sie über Leben und Tod dieser zauberhaften Wesen entscheiden.“

„Es geschieht nichts mit ihnen, das nicht auch Ihrem Herrn Vetter geschah, Mylady.“

„Das macht es nicht besser, James.“ Lady Marbely verließ den Raum, ein Glas Gin in der Hand.

Der Butler verdünnte die Lösung im Reagenzglas, das die Gewebeprobe aus dem Rücken des Toten enthielt, mit einem Milliliter Wasser, das er einer braunen Ampulle entnahm. Dann zog er die Flüssigkeit in eine Spritze, indem er deren Kolben betätigte. Anschließend injizierte er einer der Mäuse die Flüssigkeit und beobachtete das Tier. Die Maus lief aufgeregt im Käfig hin und her, ihre Artgenossen beschnüffelten sie, dann sank sie zur Seite, die rosaroten Pfoten zitterten. Schließlich erstarrte der kleine Körper.

Der Butler erhob sich und klopfte an die Tür zu Lady Marbelys Schlafgemach.

„Ist es vorbei?“, fragte die Lady.

„Eine der Mäuse ist bedauerlicherweise verstorben“, bestätigte der Butler.

„God …! Und das heißt für unseren Fall?“

„Das heißt, dass man Ihrem Verwandten eine tödliche Substanz injiziert hat. Ich tippe auf Insulin, das bei dem nicht zuckerkranken Jakob Aufhauser Hypoglykämie, also Unterzuckerung, ausgelöst hat. Mit tödlicher Folge in beiden Fällen.“

„Was haben Sie vor mit Philip?“, fragte die Lady streng.

„Philip? Sie entschuldigen meine geistige Schwerfälligkeit, Mylady, aber ich …“

„Die tote Maus, James. Was haben Sie mit ihr vor?“

„Ich dachte … Master Philip in der Toilette zu entsorgen.“

Mylady blähte sich auf. „Unterstehen Sie sich!“

„Selbstverständlich! Das geht natürlich nicht! Wie lautet Ihr Vorschlag, Mylady?“

„Ein Begräbnis im Hotelgarten.“

„Es ist schon sehr spät, und wir müssen morgen …“

„Dann mache ich es allein.“

„Auf keinen Fall, Mylady!“

Lady Marbely reichte dem Butler ein blütenweißes Spitzentaschentuch, in das er Maus Philip hüllte. Daraufhin folgte er der Lady, die den Lift nach unten nahm, dem verschlafen wirkenden Portier würdevoll zunickte und den Park des Hotels durch den Hinterausgang betrat.

Der Butler stach mit dem Leatherman einen quadratischen Rasenziegel aus dem Boden und hob eine kleine Mulde aus. Lady Marbely legte die tote Maus liebevoll hinein und ließ Erde auf das schneeweiße Tier rieseln. Der Butler verschloss das Grab und wollte wieder nach oben eilen, doch Lady Marbely beliebte es, noch einige Minuten in stillem Gedenken zu verweilen. So musste auch der Butler an ihrer Seite ausharren, bis sie sich endlich von der Grabstätte lösen konnte.

Der Butler nahm an jenem Abend eine Schlaftablette, um nach kurzem Schlaf am nächsten Tag voll einsatzfähig zu sein. So schwer hatte er sich seinen neuen Job nicht vorgestellt.

Die Fahrt von Siegen nach Königstein verlief programmgemäß, begünstigt durch den Frühlingssonnenschein, der die hügelige Landschaft zum Funkeln und Strahlen brachte. Die getönten Scheiben des GLK 220 schützten gegen die Blendung, die von Flüssen, Bächen und Fensterscheiben ausging.