Der deutsche Film. Band 7: 1960-1969 -  - E-Book

Der deutsche Film. Band 7: 1960-1969 E-Book

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Beschreibung

Dieses E-Book ist Teil einer zwölfbändigen Reihe, die die Geschichte des deutschen Films anhand der Sammlungsbestände der Deutschen Kinemathek von den Anfängen im Jahr 1895 bis zur Gegenwart dokumentiert. Jeder Band im ePUB-Format konzentriert sich auf eine Dekade und bietet einen prägnanten Überblick über die filmischen Meisterwerke und Meilensteine dieser Epoche, beleuchtet berühmte und wiederzuentdeckende Filme und würdigt das Kino, sein Publikum und die kreativen Köpfe hinter der Vielfalt des deutschen Films. Das Gesamtwerk, das über 2.700 Objekte aus allen Sammlungsbereichen umfasst und sich über 130 Jahre erstreckt, ist zudem als gedrucktes Buch und als PDF in deutscher und englischer Sprache erhältlich. DIE DEUTSCHE KINEMATHEK zählt zu den führenden Institutionen für die Sammlung, Bewahrung und Präsentation des audiovisuellen Erbes. In ihren Archiven werden dauerhaft Hunderttausende von Objekten erhalten und für die film- und fernsehgeschichtliche Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bestände umfassen neben Drehbüchern, Fotos, Plakaten, Kostümen und Entwürfen unter anderem auch filmtechnische Geräte. Die Kinemathek kuratiert Filmreihen und Ausstellungen, sie restauriert und digitalisiert Filme. Ihre vielfältigen Angebote, darunter Installationen, Publikationen, Vermittlungsformate und Konferenzen, laden zur Entdeckung der Welt bewegter Bilder ein.

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Inhalt

Einleitung

Vergangenheitsbewältigung in Ost und West

Utopischer Film: Science-Fiction bei der DEFA

Insert:Der Mann mit dem Objektiv

DEFA-Filmsprache im internationalen Format

Eine Komödie aus dem Kalten Krieg: One, Two, Three

Insert: Republikflucht als westdeutsches Filmthema

Aufbruch zur Selbstbestimmung: Lots Weib

Architektur und NS-Kritik: Brutalität in Stein

Das geteilte Berlin und der Mauerbau 1961

Schauspielstars (II/VI) (BRD und DDR)

Das Oberhausener Manifest

Sturmspitzen des Neuen Deutschen Films: Hansjürgen Pohland, Herbert Vesely und Wolf Wirth

Western made in Germany: Die Karl-May-Verfilmungen der 1960er-Jahre

Die Eröffnung der Deutschen Kinemathek 1963

Der Filmkritiker Joe Hembus

Frühe Filme nach Heinrich Böll

Film als „optische Literatur“: Die Filme des Literarischen Colloquiums Berlin

Die Beziehung zwischen Film und Fernsehen

Insert: Fernsehproduktionen auf der Berlinale

Plakate aus dem Filmverleih Neue Filmkunst Walter Kirchner

Insert: Moderne Grafik im Filmplakat

Plakate aus dem Atlas Filmverleih

Insert: Ambitionierte Werbekonzepte

Vielseitig: Der Regisseur Frank Beyer

James Bond jagt deutsche Bösewichte

Der Schutz des „sittlichen Empfindens“ durch die FSK

Aufbruch Ost (I/II): DEFA-Verbotsfilme

Aufbruch Ost (II/II): Rekonstruktionen

Die Edgar-Wallace-Filme

Kiezchronist: Jürgen Roland auf St. Pauli

Gegenwartszeichen im Neuen Deutschen Film

Kafka auf der Kinoleinwand

Der Aufbruch der Filmemacherinnen 1966

Plakate zu Unterhaltungsfilmen der DEFA, 1960–1964

Plakate zu Unterhaltungsfilmen der DEFA, 1965–1969

Der Dokumentarist und Chronist Peter Nestler

Filme der Polizeihistorischen Sammlung Berlin

Die Filmausschnittsammlung aus Gerhard Lamprechts Nachlass

Die „Western“ der DEFA

Das Kuratorium junger deutscher Film

Experimentelle Filmarbeit von Dore O.

Experimentalfilme von Werner Nekes

Die Entstehung der Hamburger Filmmacher Cooperative

Im Schatten der Bavaria: Neuer Münchner Film

Filmrestaurierung (IV/IV): Neun Leben hat die Katze

Die Sexwelle im deutsch-deutschen Sommerfilm 1968

1969 – das Jahr des Rainer Werner Fassbinder

Film und Fernsehen wachsen zusammen

Charles Wilp – Werbeinszenierungen der 1960er-Jahre

1960–1969

Einleitung

Erfolge in Serie

Das Unterhaltungskino schien ungebrochen populär: In der Bundesrepublik bestand es vor allem aus Komödien, Kriminal- und Schlagerfilmen (mit Freddy Quinn oder Peter Kraus), die wie ein Nachhall der 1950er-Jahre wirkten; bei der DEFA aus Musikfilmen wie Heiẞ er Sommer mit Frank Schöbel (DDR 1968, Regie: Joachim Hasler) und Krimis – bevorzugt solchen, die im kapitalistischen Westen spielen. Dazu kamen einige Science-Fiction-Filme wie Der schweigende Stern (PL/DDR 1960, Regie: Kurt Maetzig).

1 Das Premierenkino International in der Karl-Marx-Allee 33, Ostberlin

An der Fassade des von Josef Kaiser und Heinz Aust entworfenen Baus wird der Film Optimistitscheskaja Tragedija/Optimistische Tragödie (SU 1963, Regie: Samson Samsonow) beworben. Postkarte

In Westdeutschland half man sich in der künstlerischen Flaute mit dem Rückgriff auf Bewährtes: Aus Filmerfolgen entstanden Serien. Die Edgar-Wallace-Filme behaupteten sich robust. Den ersten, Der Frosch mit der Maske (DK 1959, Regie: Harald Reinl), hatte die Constantin Film bei der dänischen Rialto-Film in Auftrag gegeben. Die deutsche Tochtergesellschaft und mehrere andere Firmen produzierten bis Anfang der 1970er-Jahre über 30 weitere Titel, von denen Alfred Vohrer 14 inszenierte. Thriller schienen besonders serientauglich. Sieben weitere Filme um Dr. Mabuse folgten Fritz Langs Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (BRD/I/F 1960); die Jerry-Cotton-Heftromane inspirierten acht Titel. Die erfolgreichste Serie des Jahrzehnts griff jedoch auf die Romane Karl Mays aus dem späten 19. Jahrhundert zurück. Am Anfang stand Der Schatz im Silbersee (BRD/JUG/F 1962, Regie: Harald Reinl) mit Pierre Brice als Winnetou und Lex Barker als Old Shatterhand. Der spektakuläre Erfolg löste Varianten in rascher Frequenz aus. Die Rialto-Film legte mit drei Winnetou-Filmen nach (1963–1965, Regie: Harald Reinl), Artur Brauners CCC ritt 1964 mit Old Shatterhand (BRD/F/I 1964, Regie: Hugo Fregonese) auf der ertragreichen Welle. Innerhalb von nur sechs Jahren entstanden 17 Filme. Immerhin acht von ihnen erhielten die ab 1964 vergebene Goldene Leinwand, eine Auszeichnung für Titel, die in den ersten zwölf (seit 1972 18) Monaten mehr als drei Millionen Zuschauer:innen erreichen. Irgendwann war der kommerzielle Erfolg jedoch ausgereizt und eine gewisse Müdigkeit machte sich beim Publikum breit.

In der DDR gab es kaum vergleichbare Serien, doch die sogenannten Indianerfilme der DEFA wirkten wie eine Antwort auf die Karl-May-Adaptionen. Es entstanden zwölf Filme mit Gojko Mitic als Hauptdarsteller. Der erste, Die Söhne der groẞ en Bärin (DDR 1966, Regie: Josef Mach), legte die Perspektive fest: Die Storys wurden aus Sicht der bedrängten Ureinwohner erzählt. Erst in den frühen 1980er-Jahren endete die langlebige Reihe mit Der Scout (DDR/MNG 1983, Regie: Konrad Petzold).

Zeit der Krisen

Die Krisen in der Filmproduktion in der Bundesrepublik und in der DDR in diesem Jahrzehnt hatten unterschiedliche Ursachen. Durchaus vergleichbar war jedoch das Unbehagen, das sich angesichts konventioneller Ästhetik und immer gleicher Schablonen artikulierte. Die Polemik Der deutsche Film kann gar nicht besser sein von Joe Hembus aus dem Jahr 1961 schildert die Misere in Westdeutschland, die Autoren der Fachzeitschrift Film – Wissenschaftliche Mitteilungen benannten die Defizite bei der DEFA. Strömungen wie der italienische Neorealismus, die französische Nouvelle Vague oder die Polnische Filmschule schlugen sich hüben wie drüben kaum nieder. Das berühmte Oberhausener Manifest, 1962 auf den dortigen Kurzfilmtagen verkündet, dekretierte den Tod von „Papas Kino“ und forderte finanzielle Unterstützung für neue Filme ein. Aber bis erste Filme erschienen, die den Anspruch einlösten, dauerte es eine Zeit. Kurzfilme wie Machorka-Muff (BRD 1963) von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet brachen mit dem Kino der sogenannten Altbranche. 1966 reüssierten dann gleich mehrere Werke der jungen Generation: Alexander Kluges Abschied von Gestern gewann bei den Filmfestspielen in Venedig einen Silbernen Löwen und Peter Schamoni auf der Berlinale einen Silbernen Bären für Schonzeit für Füchse. Volker Schlöndorffs Der junge Törless sowie Ulrich Schamonis Es wurden beim Deutschen Filmpreis ex aequo für die beste Regie ausgezeichnet. Einstmals prägende Regisseure rückten vom Kino ab und wandten sich verstärkt dem Fernsehen zu. Gleichwohl entstanden für das Kino zu Beginn des Jahrzehnts noch beeindruckende Filme wie Helmut Käutners Schwarzer Kies (BRD 1961), der von Konflikten um eine amerikanische Militärbasis erzählt, oder von Wolfgang Staudte, der in Kirmes (BRD 1960) das Schweigen einer Dorfgemeinschaft über schuldhaftes Handeln im Nationalsozialismus thematisiert. Mit Ganovenehre (1966) lieferte Staudte eine im „Unterweltmilieu“ spielende Komödie, zu den Darstellern zählen Gert Fröbe, Mario Adorf und Curt Bois.

2 Schüsse aus dem Geigenkasten

BRD 1965, Regie: Fritz Umgelter

Jerry Cotton (George Nader), Aushangfoto

3 Der Hund von Blackwood-Castle

BRD 1968, Regie: Alfred Vohrer

Plakat

4 Die 1000 Augen des Dr. Mabuse

BRD/I/F 1960, Regie: Fritz Lang

Plakat

Es war die Zeit des Aufbruchs der Filmemacher. Edgar Reitz, Straub/Huillet, Vlado Kristl, Christian Rischert, Johannes Schaaf und Werner Herzog, der für Lebenszeichen (BRD 1968) mit dem Silbernen Bären für das beste Erstlingswerk ausgezeichnet wurde, präsentierten lange Spielfilme. Doch 1966 war auch das Jahr, in dem weibliche Regisseurinnen in die Männerdomäne vordrangen. Kurzfilme von Jeanine Meerapfel, Ula Stöckl, Helke Sander, Claudia von Alemann oder May Spils erzählten andere Geschichten – und erzählten sie auch anders. Die Gründung von Filmhochschulen half in der Bundesrepublik bei der Überwindung bislang bestehender Schranken. In der DDR gab es bereits seit 1954 die Deutsche Hochschule für Filmkunst; im Westen setzte die Ausbildung im institutionellen Rahmen jenseits der Branche erst später ein: zunächst in Ulm (1962), Berlin und München (beide 1966). Hier, wie auch in der 1968 gegründeten Hamburger Filmmacher Cooperative, entwickelten sich neue Formen des experimentellen Films. May Spils gelang mit Zur Sache, Schätzchen (BRD 1968) ein veritabler Kultfilm, und Ula Stöckl schuf mit Neun Leben hat die Katze im gleichen Jahr einen frühen Klassiker des feministischen Films. Die 1963 gegründete Deutsche Kinemathek widmete sich in den folgenden Jahrzehnten nicht zuletzt solchen unabhängigen Produktionen, aber auch Themen wie dem Exilfilm, Kontinuitäten und Brüchen in der deutschen Film- und Fernsehgeschichte und dem Werk einzelner herausragender Künstler:innen. Gegen Ende des Jahrzehnts entstanden in München die ersten Filme von Rudolf Thome und Wim Wenders, auch Rainer Werner Fassbinder begann seine Karriere.

5 Schwarzer Kies

D 1961, Regie: Helmut Käutner

Plakat

6 Der Schatz im Silbersee

BRD/JUG/F 1962, Regie: Harald Reinl

Neues Filmprogramm, Nr. 2965, Titelseite

Aufmerksamkeit für die Probleme des Alltags und der eigenen Gesellschaft prägte Anfang des Jahrzehnts Filme aus der DDR. Winfried Junge begann mit „Wenn ich erst zur Schule geh’…“ (1962) sein beispielloses Langzeitprojekt der Golzow-Dokumentationen, das er bald mit seiner Frau Barbara Junge fortsetzte. Der Spielfilm Das zweite Gleis (DDR 1962, Regie: Hans-Joachim Kunert) rührte zum ersten Mal an die Legende vom „antifaschistischen Staat“. Indem er thematisierte, dass Täter aus der Zeit des Nationalsozialismus unbehelligt und integriert in der DDR-Gesellschaft lebten, zeigte er eine Alternative zu den traditionellen DEFA-Filmen über den Nationalsozialismus auf, von denen Frank Beyer gleich drei bemerkenswerte Beispiele inszenierte: Fünf Patronenhülsen (DDR 1960), Königskinder (DDR 1962) und Nackt unter Wölfen (DDR 1963). Die Abenteuer des Werner Holt (DDR 1965, Regie: Joachim Kunert) nach dem Roman von Dieter Noll griff das Thema der kriegsbegeisterten Jugend im NS-System auf. Den Mauerbau von 1961 rechtfertigten Filme wie … und deine Liebe auch (DDR 1962, Regie: Frank Vogel), Der Kinnhaken (DDR 1962, Regie: Heinz Thiel) und Sonntagsfahrer (1963, Regie: Gerhard Klein). Weniger plakativ nahm Konrad Wolfs Der geteilte Himmel (DDR 1964) nach Christa Wolfs Roman das Thema der deutschen Teilung auf. Der 1970 in der DDR wegen der „Republikflucht-Problematik“ nicht zur Wiederaufführung zugelassene Film wurde auch in der Bundesrepublik gezeigt. Der Innerministerielle Ausschuss der Bundesregierung, der darüber entschied, ob ein DEFA-Film in Westdeutschland gezeigt werden durfte, ließ zunächst Aufführungen in Filmclubs zu. 1966 kam der Film dann auch in die Kinos. Die Kritiken bemerkten die regimetreue Botschaft sehr wohl, doch seine Ernsthaftigkeit und ästhetische Anlage wurden positiv besprochen.

7 Helga

BRD 1967, Regie: Erich F. Bender

Plakat

Die Hoffnung vieler DDR-Künstler, nach der brutalen Abschottung des eigenen Landes dessen offenkundige Probleme nun offen behandeln zu können, trog. Der Schriftsteller Heiner Müller zitierte dazu in Marcel Ophüls Film Novembertage (BRD/CH/UK 1990) Otto Gotsche, den persönlichen Referenten des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, so: „Jetzt haben wir die Mauer gebaut, und daran werden wie jeden zerquetschen, der gegen uns ist.“ Das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED, das vom 16. bis zum 18. Dezember 1965 stattfand, geriet zur Abrechnung mit künstlerischen Positionen. Verlangt wurde Anpassung an die Parteilinie. Christa Wolf, Heiner Müller und andere galten als „Abweichler“. Die Vorführung der schon fertiggestellten, aber noch nicht freigegebenen Filme Denk bloẞ nicht, ich heule (DDR 1965, Regie: Frank Vogel) und Das Kaninchen bin ich (DDR 1965/1990, Regie: Kurt Maetzig) gerieten zum Tribunal. Harsche Angriffe der Parteiführung zeigten Wirkung, die Titel verschwanden im Archiv. Als „Kellerfilme“ endeten auch etliche spätere Produktionen. Spur der Steine (DDR 1966, Regie: Frank Beyer) wurde nach wenigen Tagen Kinoeinsatz verboten. Keine Aufführung vor 1989 erlebten unter anderem Jahrgang 45 (DDR 1966/1990, Regie: Jürgen Böttcher) und Karla (DDR 1966/1990, Regie: Herrmann Zschoche). Der Kahlschlag nahm dem Film der DEFA auf Jahre hinaus gesellschaftliche und ästhetische Relevanz. Erst nach dem Mauerfall konnten die sogenannten Verbotsfilme restauriert oder rekonstruiert werden.

8 Das Filmtheater Kosmos in der Karl-Marx-Allee 131, Ostberlin

Das von Josef Kaiser und Heinz Aust entworfene Premierenkino wurde am 5. Oktober 1962 eröffnet. Postkarte

Das Jahr 1966 wurde so zum Wendepunkt in West und Ost – der Neue Deutsche Film hatte einen bemerkenswerten Start hingelegt und kämpfte in den folgenden Jahren um sein Publikum, während die DEFA Jahre brauchte, um sich wieder an heikle Themen zu wagen. Durch das Diktat der Partei waren kritische Filme verboten, was zugleich die Akzeptanz der eigenen Filmproduktion nachhaltig beschädigte.

9 Lebenszeichen

BRD 1968, Regie: Werner Herzog

Plakat

Der Abschwung in Zahlen

In der DDR kamen im Krisenjahr 1966 nur mehr neun DEFA-Spielfilme heraus, doch auch danach entstanden bloß 14 bis 17 Titel pro Jahr gegenüber 21 bis 25 in den Vorjahren. Die Zahlen für die Bundesrepublik wirken auf den ersten Blick positiver, denn statt 98 im Jahr 1960 zählte man 1969 sogar 110 Spielfilme. Es gab aber in der Dekade auch Jahre mit nur 56 bis 60 Produktionen, zudem stieg der Marktanteil ausländischer Filme stark an.

10 Gründungsdirektor Gerhard Lamprecht bei der Eröffnungsfeier der Deutschen Kinemathek in der Akademie der Künste, Westberlin, 1. Februar 1963

Dramatisch war das Kinosterben: Von fast 7000 Spielstätten in der Bundesrepublik blieben nur 3739; in der DDR sank ihre Zahl etwas weniger rasant von 1379 auf 864. Der Einbruch beim Publikumszuspruch übertraf den Rückgang der Kinospielstätten sogar noch. Aus 605 Millionen verkauften Eintrittskarten pro Jahr wurden in der Bundesrepublik Ende des Jahrzehnts 122 Millionen. In der DDR zeigte sich die Tendenz wieder etwas glimpflicher, von 238 Millionen blieben 1969 noch 93 Millionen. Ein Grund war sicherlich die wachsende Verbreitung und Popularität des Fernsehens. Hatten in der Bundesrepublik 1959 etwa 24 Prozent der Bevölkerung Zugang zu einem Fernsehgerät, traf das Ende des Jahrzehnts schon auf mehr als 80 Prozent zu. Analog verhielt es sich in der DDR, wo statistisch gesehen 1960 auf 100 Haushalte 18,5 Fernsehgeräte entfielen, zehn Jahre später schon über 70. Das Fernsehen gewann mit der Ausweitung des Programms, der Etablierung zweiter Kanäle (ZDF 1963, DFF 2 1969) sowie der Einrichtung regionaler Dritter Programme in der Bundesrepublik (ab 1964) beträchtlich an Reichweite und Attraktivität. Auch die Einführung des Farbfernsehens – in der Bundesrepublik mit dem PAL-System ab 1967, in der DDR mit dem SECAM-System ab 1969 – trug dazu bei. Die neue Konkurrenz war jedoch nicht allein für den Publikumsschwund beim Film verantwortlich. Veränderungen im Konsumverhalten, Fehler der Filmbranche und Eingriffe der Politik trugen zu dieser Entwicklung bei. rr

11 Ganovenehre

BRD 1966, Regie: Wolfgang Staudte

Georg, genannt „Orje“ (Mario Adorf) und Nelly (Karin Baal), Szenenfoto

12 Ganovenehre

BRD 1966, Regie: Wolfgang Staudte

Morgenmantel für die Figur des Orje, gespielt von Mario Adorf, Kostümbild: Paul Seltenhammer

Vergangenheitsbewältigung in Ost und West

Die filmische Thematisierung der jüngeren deutschen Geschichte (insbesondere die Verstrickung des deutschen Volkes in die Verbrechen des „Dritten Reiches“) gestaltete sich in Ost- und Westdeutschland verschiedenartig. Während in der DDR seit DEFA-Gründung diese Stoffe einen Hauptstrang der Filmproduktion ausmachten, wurden sie im westdeutschen Filmschaffen kaum tangiert und Werke, die deutsche Historie kritisch hinterfragten, erhielten oftmals negative Pressestimmen. Zu Beginn der 1960er-Jahre offenbarten zwei Filme, die auf Ereignisse aus der NS-Zeit rekurrierten, obgleich sie in der Gegenwart angesiedelt waren, die Diskrepanz zwischen den beiden deutschen Staaten.

1 Das zweite Gleis

DDR 1962, Regie: Joachim Kunert

Fahrleiter Brock (Albert Hetterle), Foto: Max Teschner, Szenenfoto

Joachim Kunert hatte bereits in seinem Debütfilm Besondere Kennzeichen: keine (DDR 1956) Zweiten Weltkrieg und Nachkriegszeit anhand der Geschichte einer Kriegswitwe behandelt. Mit Das zweite Gleis (DDR 1962) wandte er sich erneut diesem Sujet zu und gestaltete eine Erzählung (geschrieben gemeinsam mit seinem Bruder Günter Kunert), die Auswirkungen von Verbrechen der Nazi-Diktatur auf die Gegenwart beleuchtet: Fahrleiter Brock (Albert Hetterle) überrascht nachts auf den Gleisen eines Güterbahnhofs zwei Diebe. Obwohl er den einen, Runge (Walter Richter-Reinick), erkennt, identifiziert er ihn bei der Gegenüberstellung nicht und lässt sich kurz darauf versetzen. Brocks Tochter Vera (Annekathrin Bürger) findet gemeinsam mit Runges Komplizen Frank (Horst Jonischkan) heraus, dass Runge im Krieg ein Nazischerge war und Veras Mutter, die einen jüdischen Flüchtling versteckt hielt, der Gestapo auslieferte. Aus Scham darüber, dass er damals nicht alles getan hat, um dieses Unglück zu verhindern, schwieg Brock. Erst als Runge Frank ermordet, bricht Brock sein Schweigen. Der Film bedient sich einer ausgefeilten Bildsprache. Kontrastreiche Schwarz-Weiß-Aufnahmen von sich überkreuzenden und parallel verlaufenden Gleisen verweisen symbolisch überhöht auf ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit. Auch Kunerts nächster Film, Die Abenteuer des Werner Holt (DDR 1965) nach dem gleichnamigen Roman von Dieter Noll, sollte Ereignisse aus der NS-Zeit zum Gegenstand haben.

2 Das zweite Gleis

DDR 1962, Regie: Joachim Kunert

Plakat: Helmut Merten

Wolfgang Staudte, der 1956 in die Bundesrepublik ging, hatte bei der DEFA mit Die Mörder sind unter uns (D/Ost 1946), Rotation (D/Ost 1949) und Der Untertan (DDR 1951) maßgebliche Werke über die deutsche Geschichte gestaltet. Doch die Fortsetzung der filmischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Epoche wurde ihm erschwert. Für dezidiert politische Projekte erhielt der Regisseur keine Finanzierung. Erst in Rosen für den Staatsanwalt (BRD 1959) sowie Kirmes (BRD 1960) – letzterer hergestellt von der Freie Filmproduktion GmbH, einer von Staudte, Helmut Käutner und Harald Braun gegründeten Produktionsfirma –, konnte er sich erneut mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Ähnlich wie in Kunerts Das zweite Gleis holt auch in Kirmes die Vergangenheit die Jetztzeit ein: 15 Jahre nach Kriegsende wird in einem Eifeldorf beim Aufbau eines Jahrmarkts ein Skelett gefunden. Es handelt sich um den Soldaten Robert Mertens (Götz George), der 1944 aus der Wehrmacht desertierte, in der Heimat keine Unterstützung fand und verzweifelt Selbstmord beging. Nach dem Leichenfund bemühen sich die Dorfbewohner, die Vorfälle der Kriegszeit zu vertuschen. Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden (seit 2009: Deutsche Film- und Medienbewertung) verweigerte Staudtes Film zunächst ein Prädikat, wobei sie eine „tendenziöse Verzeichnung der Fabel“ bemängelte und die „gegenwärtige Lebensordnung der Bundesrepublik faktisch mit der Lebensordnung des Dritten Reiches identifiziert“ sah, so formuliert im Gutachten vom 12. Juli 1960. Erst nach einem Einspruch seitens des Regisseurs wurde Kirmes im August 1960 das Prädikat „Wertvoll“ zuerkannt. Wenige Jahre später sollte Staudtes Herrenpartie (BRD/JUG 1964) die Polemik gegen fortschrittlich gesinnte Filmproduktionen in der Bundesrepublik vor 1968 nochmals befeuern. mw

3 Kirmes

BRD 1960, Regie: Wolfgang Staudte

Szenenfoto

4 Kirmes

BRD 1960, Regie: Wolfgang Staudte

Plakat: Heinz Schwabe

Utopischer Film: Science-Fiction bei der DEFA

Die Bemühungen der DEFA um ein Genrekino setzten direkt nach ihrer Gründung ein und bewegten sich in verschiedene Richtungen: 1947 entstanden zunächst Komödien und Musikfilme, in den 1950er-Jahren folgten Kriminal- und Spionagefilme und später, ab 1966, die beim Publikum besonders erfolgreichen „Indianerfilme“. Ebenfalls in den 1960er-Jahren etablierte sich ein weiteres Genre, das vier kostenintensive Produktionen hervorbringen sollte: der Science-Fiction- oder utopische Film.

1 Der schweigende Stern, DDR/PL 1960, Regie: Kurt Maetzig

Pilot Brinkmann (Günther Simon) auf der Venus, Foto: Waltraut Pathenheimer Szenenfoto

Wieder war es der DEFA-Gründungsvater Kurt Maetzig, der das neue Terrain als Erster betrat. Im Februar 1959 begann der Regisseur mit den Dreharbeiten zu Der schweigende Stern (DDR 1960), einer Co-Produktion der DEFA mit Polen, basierend auf dem Roman Planet des Todes des polnischen Autors Stanisław Lem. Nach der Entschlüsselung einer Botschaft, die besagt, dass Venusbewohner einst einen Angriff auf die Erde planten, bricht im Jahr 1970 eine Weltraumexpedition dorthin auf. Auf der Venus entdecken die Astronauten keine Lebewesen, aber eine Vernichtungsmaschine, die radioaktive Strahlung aussendet. Maetzig hatte seinen Film bereits 1958 geplant, musste den Dreh aber aufgrund politischer Differenzen im Nachgang der Zweiten Filmkonferenz vom Juli 1958 aufschieben.

2 Signale – Ein Weltraumabenteuer, DDR/PL 1970, Regie: Gottfried Kolditz

Kosmonaut Terry (Gojko Mitić), Foto: Kurt Schulze, Manfred Damm, Detlef Hertelt, Heinz Wenzel, Szenenfoto

Gottfried Kolditz (der im gleichen Zeitraum einige „Indianerfilme“ realisierte) schuf den zweiten utopischen Film der DEFA, Signale – Ein Weltraumabenteuer (DDR 1970), der zugleich auch der zweite von insgesamt sieben zwischen 1968 und 1973 auf 70mm-Material gedrehten DEFA-Spielfilmen ist. Die internationale Crew der Laika begibt sich ins All, um nach dem verschollenen Raumschiff Ikaros zu suchen. Sie empfängt Funksignale einer extraterrestrischen, höher entwickelten Zivilisation, die Interessenkämpfe, Krieg und Vernichtung bereits überwunden hat und die Astronauten bei der Suche nach der Ikaros unterstützt.

3 Eolomea

DDR 1972, Regie: Herrmann Zschoche

Kun (Wsewolod Sanajew) und Dan (Iwan Andonow), Foto: Alexander Kühn, Szenenfoto

Mit Eolomea (DDR 1972), geschrieben von Angel Wagenstein, legte Herrmann Zschoche eine für ihn vom Genre her untypische Arbeit vor: Die Astrophysikerin Maria Scholl (Cox Habbema) beruft eine internationale Konferenz ein, um dem Verschwinden von acht Raumschiffen nachzugehen. Dabei stößt sie auf ein vor der Öffentlichkeit geheim gehaltenes Projekt, das der Menschheit eine Zukunft in den Weiten des Kosmos eröffnen soll. Auch Eolomea, der neben einem ethischen Diskurs humoristische Einschübe enthält, wurde aufwendig auf 70mm-Filmmaterial hergestellt.

4 Im Staub der Sterne

DDR 1976, Regie: Gottfried Kolditz

Auf dem Planeten TEM 4, Foto: Heinz Pufahl, Szenenfoto

Der letzte Science-Fiction der DEFA, Im Staub der Sterne (DDR 1976), entstand abermals in der Regie von Gottfried Kolditz. Im Mittelpunkt steht die Besatzung des Raumschiffs Cynro, die einen Hilferuf von Planet TEM 4 empfängt. Dort angekommen, stößt sie auf die unterdrückten Ureinwohner des Planeten, die sie zu einem Aufstand gegen einen gewissenlos herrschenden Diktator (Ekkehard Schall) bewegen kann. Eine zu sehr auf Effekte bedachte Inszenierung schwächte die politischen Implikationen der Geschichte allerdings ab.

Neben großem Materialaufwand und elaborierter Tricktechnik war allen utopischen Filmen der DEFA die Mitwirkung ausländischer Darsteller:innen, vor allem aus sozialistischen Ländern, gemeinsam. Bereits Der schweigende Stern wies eine internationale Besetzung inklusive der Franko-Japanerin Yoko Tani in der Rolle der Ärztin Sumiko auf. Als Protagonisten von Signale – Ein Weltraumabenteuer agierten neben Gojko Mitić, der aus Jugoslawien stammte und in der DDR mit „Indianerfilmen“ ein zugkräftiger DEFA-Star wurde, Irena Karel und Piotr Pawłowski aus Polen sowie Iurie Darie aus Rumänien. In