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Dieses E-Book ist Teil einer zwölfbändigen Reihe, die die Geschichte des deutschen Films anhand der Sammlungsbestände der Deutschen Kinemathek von den Anfängen im Jahr 1895 bis zur Gegenwart dokumentiert. Jeder Band im ePUB-Format konzentriert sich auf eine Dekade und bietet einen prägnanten Überblick über die filmischen Meisterwerke und Meilensteine dieser Epoche, beleuchtet berühmte und wiederzuentdeckende Filme und würdigt das Kino, sein Publikum und die kreativen Köpfe hinter der Vielfalt des deutschen Films. Das Gesamtwerk, das über 2.700 Objekte aus allen Sammlungsbereichen umfasst und sich über 130 Jahre erstreckt, ist zudem als gedrucktes Buch und als PDF in deutscher und englischer Sprache erhältlich. DIE DEUTSCHE KINEMATHEK zählt zu den führenden Institutionen für die Sammlung, Bewahrung und Präsentation des audiovisuellen Erbes. In ihren Archiven werden dauerhaft Hunderttausende von Objekten erhalten und für die film- und fernsehgeschichtliche Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bestände umfassen neben Drehbüchern, Fotos, Plakaten, Kostümen und Entwürfen unter anderem auch filmtechnische Geräte. Die Kinemathek kuratiert Filmreihen und Ausstellungen, sie restauriert und digitalisiert Filme. Ihre vielfältigen Angebote, darunter Installationen, Publikationen, Vermittlungsformate und Konferenzen, laden zur Entdeckung der Welt bewegter Bilder ein.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 169
Einleitung
DEFA-Filme auf der Berlinale
Die Wendländische Filmkooperative
Erinnerungsarbeit: Deutschland bleiche Mutter von Helma Sanders-Brahms
Insert: Der Kameramann Jürgen Jürges
Adolf Winkelmanns filmische Denkmäler für das Ruhrgebiet
Berliner Subkultur in den 1980er-Jahren
Frauenbiografien: Die bleierne Zeit und Rosa Luxemburg von Margarethe von Trotta
Schauspielstars (IV/VI) (BRD und DDR)
Die BRD-Trilogie von Rainer Werner Fassbinder
Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
Oscarnominierung für einen Amphibienfilm: Wolfgang Petersens Das Boot
Insert: Die Filmarchitektin, Bühnen- und Kostümbildnerin Monika Bauert
Frauenrollen in Ulrike Ottingers Filmen
Die Weiße Rose im Film
Eine deutsch-französische Co-Produktion: Romy Schneiders letzter Film
Frauenporträts im DEFA-Film
Werner Herzog und Klaus Kinski drehen am Amazonas
Dokumentarfilme von Helga Reidemeister
Herbert Achternbuschs Das Gespenst und die Münchner Erklärung
Insert: Münchner Erklärung im Wortlaut
„Impossible Shots“: Die Steadycam
Alexander Kluge – der Vielseitige
Milieustudie: Uwe Schraders Kanakerbraut
Deutsche Nachkriegszeit: Peppermint Frieden
Der Experimentalfilm Echtzeit
Insert: Auszug aus „Vorwort zu einem Film“ von Hellmuth Costard und Jürgen Ebert
Die Verfilmung von Die unendliche Geschichte
Maximilian Schells Dokumentarfilm über Marlene Dietrich
Das Filmepos Heimat von Edgar Reitz
Filmische Auseinandersetzungen mit dem Holocaust
Plakate zu Kinderfilmen der 1980er-Jahre
Doris Dörrie: Ethnologin, Filmemacherin, Schriftstellerin
Komiker im Kino: Otto Waalkes und Dieter Hallervorden
Die Gestalt des Aliens in Enemy Mine
Reinhard Hauffs Stammheim auf der Berlinale
Internationale Großproduktion: Der Name der Rose
Wim Wenders’ Der Himmel über Berlin
Zwischen Bagdad Café und Paris, Texas
Anfänge des deutsch-türkischen Kinos
Pionierin des Queer Cinema: Monika Treut
Loriot und das Kino
Actionfilme von Dominik Graf
Die Filme von Jeanine Meerapfel
Coming out am 9. November 1989
Die Generation des Neuen Deutschen Films hatte sich, wie zahlreiche Preise auf den Festivals in Cannes, Venedig und Berlin belegen, große internationale Reputation erworben. Werner Schroeter, Margarethe von Trotta, Wim Wenders, Alexander Kluge, Werner Herzog und Barbara Sukowa gewannen Preise für ihre Filme, das Gesamtwerk oder besondere Leistungen. Vom Aufbruch ging der Neue Deutsche Film über in seine klassische Periode, die Produktionen waren besser finanziert, richteten sich an ein breites Publikum. Oft handelte es sich um internationale Co-Produktionen. Wim Wenders und Volker Schlöndorff agierten auch in Hollywood, mit unterschiedlichen Erfahrungen. Einer aber fehlte: Rainer Werner Fassbinder starb am 10. Juni 1982. Sein letzter Film, Querelle – Ein Pakt mit dem Teufel (BRD 1982), wurde posthum am 31. August uraufgeführt. Fassbinders Öffnung hin zum melodramatischen Erzählen hatte ihm zuletzt ein größeres Publikum erschlossen, das zeigte sich auch bei den beiden letzten Filmen seiner BRD-Trilogie, Lola (BRD 1981) und Die Sehnsucht der Veronika Voss (BRD 1982).
1 Der Willi-Busch-Report, BRD 1979, Regie: Niklaus Schilling
Während der Dreharbeiten: der Hauptdarsteller Tilo Prückner (2. v. l.), Niklaus Schilling (3. v. l.) und der Kameramann Wolfgang Dickmann mit der Steadycam und der damit verbundenen Kamera Arriflex 35BL, Werkfoto
Anders fiel die Rezeption von Helma Sanders-Brahms’ im Ausland geschätzten Werk Deutschland bleiche Mutter (BRD 1980) aus, das bei der Berlinale-Premiere ebenso harsche Ablehnung durch deutsche Kritiker erfuhr wie später Margarethe von Trottas Heller Wahn (BRD/F 1983) – die Emotionalität der Filme verstörte. Die Strenge und Distanziertheit von Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Klassenverhältnisse (BRD/F 1983, nach Franz Kafka) und Der Tod des Empedokles (BRD 1987, nach Friedrich Hölderlin) provozierten ebenfalls bei den Filmfestspielen. Der aus der DDR ausgereiste Thomas Brasch begann seine Regiekarriere in der Bundesrepublik mit Engel aus Eisen (BRD 1981). Sein Produzent war der auf Independent-Filme vor allem aus (aber nicht über) Berlin spezialisierte Joachim von Vietinghoff.
Harun Farocki, Heinz Emigholz, Hartmut Bitomsky, Hellmuth Costard und Jürgen Ebert erkundeten in essayistischen oder experimentellen Filmen die Möglichkeiten filmischer Reflexion. Als fiktionalisierte Spurensicherung zur eigenen Familiengeschichte schienen Jutta Brückners Hungerjahre (BRD 1980) und Jeanine Meerapfels Malou (BRD 1981) konzipiert. Letztere warf mit Die Kümmeltürkin geht (BRD 1985) einen skeptischen Blick auf die Integrationsfähigkeit der westdeutschen Gesellschaft. Das Thema Integrationsbehinderung griff Tevfik Başer auf: In 40 qm Deutschland (BRD 1986) wird eine junge Türkin von ihrem Ehemann in einer Hamburger Hinterhauswohnung isoliert. Das Erstlingswerk wurde mit dem Goldenen Leoparden in Locarno ausgezeichnet.
2 Monatlich erscheinende Programmbroschüre filmtips der Programmkinos Apollo, Kino am Raschplatz sowie Kommunales Kino, Hannover, Juli 1981
Titelseite mit Szenenfoto aus Jede Menge Kohle (BRD 1981, Regie: Adolf Winkelmann)
Nah an der Realität und zugleich in Genremustern abgesichert waren auch andere Filme dieser Zeit. Dominik Graf inszenierte sowohl für das Kino wie für das Fernsehen. Ein weites Spektrum, von Thrillern (Die Katze, BRD 1988) über Komödien und historische Stoffe bis zu Dokumentationen, ist bis heute kennzeichnend für sein Werk. Das Erzählkino konnte in diesem Jahrzehnt einige bemerkenswerte Erfolge verzeichnen, auch hier oft mit realistischer Grundierung. Peter F. Bringmanns Roadmovie Theo gegen den Rest der Welt (BRD 1980) war, nicht zuletzt wegen seines überzeugenden Hauptdarstellers Marius Müller-Westernhagen, der deutsche „Blockbuster“ dieses Jahres. Eine ähnliche Kombination von authentischem Ambiente und publikumswirksamer Story zeigten Adolf Winkelmanns Jede Menge Kohle (BRD 1981), Zuckerbaby von Percy Adlon (BRD 1985) und Doris Dörries Komödien-Hit Männer (BRD 1985), mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht als neuen Stars.
3 Deutschland bleiche Mutter
BRD 1980, Regie: Helma Sanders-Brahms
Plakat für die französische Verleihfassung Helma-Sanders-Brahms-Archiv
Der Bayerische Filmpreis wurde 1980 erstmals vergeben, die in verschiedenen Kategorien ausgelobten Preisgelder wurden in der Summe nur vom Bundesfilmpreis übertroffen. Als explizit auf den Nachwuchs ausgerichtete Veranstaltung entstand im gleichen Jahr in Saarbrücken das Filmfestival Max Ophüls Preis. Erster Gewinner war Niklaus Schilling mit Der Willi-Busch-Report (BRD 1979). Ebenfalls 1980 verabschiedete die UNESCO Empfehlungen zum Schutz und zur Erhaltung bewegter Bilder, ein deutlicher Hinweis auf Mängel bei der Pflege des filmischen Erbes. Das 1. Kölner FrauenFilmFest – Feminale fand 1984 statt. Die Gründerinnen verzichteten auf einen Wettbewerb und setzten stattdessen auf Austausch. Novembermond von Alexandra von Grote (BRD/F 1985) erzählte erstmals explizit eine lesbische Liebesgeschichte. Die Story um eine emigrierte deutsche Jüdin und ihre französische Geliebte ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt. Mit Museumsgründungen in Potsdam (1980) und Frankfurt a. M. (1984) entstanden in beiden deutschen Staaten erstmals feste Ausstellungshäuser für den Film. CineGraph, das ab 1984 von Hans-Michael Bock als Loseblattsammlung herausgegebene biofilmografische Lexikon, setzte mit gesicherten Angaben zu deutschen Filmschaffenden und ihren Werken einen Standard.
4 Die Sehnsucht der Veronika Voss
BRD 1982, Regie: Rainer Werner Fassbinder
Abendkleid für die Figur der Veronika Voss, gespielt von Rosel Zech, Kostümbild: Barbara Baum
Als ein deutliches politisches Statement brachten Stefan Aust, Alexander von Eschwege, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge Der Kandidat (BRD 1980) heraus. Anlass gab die Kanzlerkandidatur des CSU-Politikers Franz Josef Strauß, von dem die Regisseure eine konservative Wende befürchteten. Als Menetekel empfanden viele Filmemacher im September 1983 die Weigerung von Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, aus den Fördermitteln des Bundesfilmpreises die noch ausstehende letzte Rate von 75 000 DM für Herbert Achternbuschs Das Gespenst (BRD 1982) auszuzahlen. Der Film wurde von kirchlichen Kreisen als blasphemisch empfunden. Achternbusch, der fast im Jahresrhythmus einen neuen Film bajuwarischer Prägung herausbrachte, erfuhr die Solidarität von Kolleginnen und Kollegen, die bei der nächsten Bundesfilmpreis-Verleihung als Gespenster verkleidet demonstrierten. Dennoch kam es zu einer Veränderung der Vergabepraxis: Das Bundesfilmpreis-Preisgeld durfte nur noch bis zu 30 Prozent der Produktionskosten des neuen Projekts ausmachen. Das traf vor allem den Autorenfilm. Zimmermanns Haltung wurde als Teil einer „geistig-moralischen Wende“ aufgefasst, die mit der seit dem 1. Oktober 1982 regierenden Koalition von CDU/CSU und FDP unter Führung von Helmut Kohl verbunden wurde. Diese hielt jedoch an der Entspannungspolitik der sozialliberalen Vorgängerkabinette fest. In der Sozialpolitik unterblieben radikale Einschnitte. Im Juni 1986 wurde, als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, mit Walter Wallmann erstmals ein Bundesumweltminister berufen. In der Medienpolitik ermöglichte die Koalition mit der Einführung des Kabelfernsehens – 1984 nach einem Pilotprojekt in Kohls Heimatstadt Ludwigshafen realisiert – das Entstehen zahlreicher Privatsender, die fortan mit dem öffentlich-rechtlichen System von ARD und ZDF konkurrierten. Dies veränderte perspektivisch die Landschaft der audiovisuellen Medien nachhaltig.
5 Der Stand der Dinge
BRD 1982, Regie: Wim Wenders
Drehbuchautor Dennis (John Paul Getty III, l.), Kameramann Joe Corby (Samuel Fuller, 2. v. l.) und Regisseur Friedrich Munro (Patrick Bauchau, vorne r.), Szenenfoto; ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 1982
6 Die bleierne Zeit
BRD 1981, Regie: Margarethe von Trotta
Juliane (Jutta Lampe, 3. v. l.) und Marianne (Barbara Sukowa, 2. v. r.), Aushangfoto; ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 1981
Am 2. April 1981 hatte Uli Edels Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Premiere. Das Drehbuch, basierend auf dem vom Stern herausgegebenen Buch von Kai Hermann und Horst Rieck, stammte von Herman Weigel. Produziert hatte den Film die Solaris Filmproduktion, die Produzenten waren Bernd Eichinger, Hans Weth und Bertram Vetter. Der immense Erfolg war vor allem für Weigel und Eichinger eine Inspiration. Weigel schrieb in den nächsten Jahren weiterhin erfolgreich Drehbücher und wirkte als Produzent, zuletzt unter anderem bei Aus dem Nichts (D/F 2017) von Fatih Akin. Eichinger, der 1979 die Neue Constantin Film GmbH übernommen hatte, verfolgte erkennbar eine doppelte Strategie: Vor allem mit Komödien zielte er auf den deutschen, mit aufwändigen Produktionen jedoch auf den internationalen Markt. Das erste Projekt dieser Art war Die unendliche Geschichte (BRD 1984, Regie: Wolfgang Petersen), viele weitere folgten, darunter Der Name der Rose (BRD/F/I 1986, Regie: Jean-Jacques Annaud) und Das Geisterhaus (D/DK/PT 1993, Regie: Bille August). Eichinger wurde in den nächsten Jahrzehnten zur prägenden Gestalt unter den Filmproduzenten, die Neue Constantin zur wahrscheinlich einflussreichsten deutschen Filmfirma.
7 Die unendliche Geschichte
BRD 1984, Regie: Wolfgang Petersen
Titelseite eines Bandes mit Interviews und weiteren Materialien zum Film
Wolfgang Petersens Das Boot, der sechs Oscar-Nominierungen erhielt, galt auf andere Weise als Modell für internationalen Erfolg: 1981 als Kinofilm gestartet, kam der von der Bavaria Film und dem Produzenten Günter Rohrbach hergestellte Film vier Jahre später in einer deutlich längeren Fassung von 308 Minuten als Mehrteiler ins Fernsehen. Der „amphibische Film“ – geeignet für die Auswertung im Kino und, in längerer Version, im TV – sollte Schule machen. Beide Fassungen von Das Boot konnten international vermarktet werden.
8 Winter adé, DDR 1988, Regie: Helke Misselwitz
Plakat
Edgar Reitz’ TV-Mehrteiler Heimat (D 1981–1984, elf Teile) – mit einer Spieldauer von 924 Minuten wohl eine der aufwändigsten deutschen TV-Produktion dieser Zeit – fand ebenfalls nicht nur im Fernsehen sein Publikum, sondern auch auf Festivals (unter anderem beim Filmfest München und bei den Filmfestspielen von Venedig) sowie in ausgewählten Kinos. Reitz hatte einen anderen, sehr eigenständigen Weg auf den internationalen Markt genommen. Zum Vorspann der Serie gehörte in der Originalfassung eine Einstellung, die einen Granitblock zeigt, in den die Worte „Made in Germany“ eingemeißelt sind.
9 Insel der Schwäne, DDR 1983, Regie: Herrmann Zschoche
Plakat
In ihrem Rückblick auf die DEFA-Produktion dieser Dekade konstatiert die Filmhistorikerin Elke Schieber, die 1980er-Jahre hätten für das Studio hoffnungsvoll begonnen, doch bald eine andere Wendung genommen. 1980 stand ein Publikumserfolg wie Hermann Zschoches Und nächstes Jahr am Balaton (DDR 1980) neben dem authentischen Porträt einer selbstbewusst-kämpferischen Sängerin in Solo Sunny (DDR 1980, Regie: Konrad Wolf) mit Renate Krößner in der Titelrolle. Zudem schienen bemerkenswerte Erfolge von DEFA-Filmen auf mehreren internationalen Festivals einen Aufbruch zu signalisieren. Im Wettbewerb der Berlinale etwa und beim Internationalen Forum des Jungen Films waren Babelsberger Produktionen gut vertreten. So lief im Forum das Spielfilmdebüt von Evelyn Schmidt, Seitensprung (DDR 1980). Filme von DEFA-Regisseurinnen zeichnete oft aus, dass sie – ohne prinzipielle Kritik anzustreben – ungeschminkt von einer Realität erzählten, die in deutlichem Widerspruch zur offiziellen Lesart stand, nach der die völlige Gleichberechtigung der Frau bereits erreicht sei. Solche Erzählungen stießen in der Presse und auch bei der Studioleitung zunehmend auf Ablehnung. Ab Mitte des Jahrzehnts schien eine „vierte Generation“ von Regisseurinnen und Regisseuren am Anfang ihrer Karrieren zu stehen, darunter Karl Heinz Lotz, Jörg Foth und Maxim Dessau. Der radikale Umbruch nach dem Mauerfall sollte jedoch viele von ihnen an der kontinuierlichen Weiterarbeit hindern.
Der Kurs in der Kulturpolitik wurde schon bald von Hardlinern bestimmt, von Aufbruchsstimmung war keine Rede mehr. Die SED-Führung agierte trotz wachsender diplomatischer Anerkennung aus einer Position der Defensive. Die zunehmend fragile politische Lage in mehreren der sogenannten Bruderstaaten schuf Verunsicherung. An die Stelle von Tauwetter und Experiment traten wieder altbekannte Prinzipien und konventionelle Stoffe „im Sinne des Sozialismus“. Die in Polen im September 1980 gegründete unabhängige Gewerkschaft Solidarność wirkte für die SED wie ein Alarmsignal. Zwar stellte das von Wojciech Jaruzelski am 13. Dezember 1981 im Nachbarland verhängte Kriegsrecht die Kontrolle durch die Kommunistische Partei wieder her. Die Wirtschaftskrise und die politischen Konflikte aber wurden nur verdeckt, nicht gelöst. Das war das Ziel von Reformen, die der am 11. März 1985 gewählte neue Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow in der damaligen UdSSR einleitete. Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) sollten den Weg zu mehr Meinungsfreiheit und zur Abkehr von der strikten Planwirtschaft bereiten. Die SED-Führung erblickte darin eine Bedrohung des eigenen Systems. Sie versuchte, die DDR gegen solche Einflüsse abzuschotten. Im November 1988 unterband sie die Verbreitung der sowjetischen Zeitschrift Sputnik, die in ihrer neuesten Ausgabe über den in der DDR noch tabuisierten Hitler-Stalin-Pakt berichtete. Auch weiterhin restriktive Reiseregelungen führten zur Distanzierung großer Teile der Bevölkerung, und die offenkundige Wahlfälschung bei Kommunalwahlen im Mai 1989 stärkte entstehende oppositionellen Gruppen noch mehr.
Vor diesem Hintergrund erscheint die widersprüchliche Politik des DEFA-Studios als ständiges Lavieren, das vor allem auf Konfliktvermeidung ausgerichtet war. Ein frühes Verbot ereilte Rainer Simons Jadup und Boel, der bereits 1980 fertiggestellt und im März 1981 im Studio abgenommen worden war, jedoch erst 1988, mit nur wenigen Kopien, in die Kinos kam. Festivaleinladungen zum Beispiel aus Wien und London für Das Fahrrad (DDR 1982, Regie: Evelyn Schmidt) wurden abgelehnt, der Film sollte im Ausland nicht gezeigt werden. Ein Leserbrief im Neuen Deutschland (17.11.1981), gezeichnet von „Hubert Vater“, kritisierte schon früh im Jahrzehnt mangelnden Stolz auf das, was die Partei mit den Werktätigen vollbracht habe. Das wurde als deutliche politische Warnung erkannt. Dennoch entstanden weiterhin auch Filme, die ohne Selbstzensur entworfen und ohne Rücksicht auf Bedenken vonseiten der Studioleitung realisiert wurden. Dazu gehören Roland Gräfs Märkische Forschungen (DDR 1982) nach einer Erzählung von Günter de Bruyn, Dein unbekannter Bruder von Ulrich Weiß (DDR 1982, nach Willi Bredel) und Hermann Zschoches Insel der Schwäne (DDR 1983), zu dem Ulrich Plenzdorf das Drehbuch verfasste. Die Zensur verlangte hier etliche Änderungen und Schnitte, aber die kritische Haltung gegenüber der DDR-Wirklichkeit blieb sichtbar, sodass die Junge Welt, das Zentralorgan der FDJ, festhielt: „Das ist wieder kein DEFA-Film über uns!“
Die DDR-Kulturpolitik erzeugte im Studio eine Atmosphäre der Verunsicherung. Sie konnte kritische Positionen nicht vollends unterdrücken, wohl aber Karrieren entscheidend behindern. Immer wieder führten Filme, die als „zu kritisch“ eingeschätzt wurden, dazu, dass die verantwortlichen Künstler keine neuen Aufträge bekamen. Sämtliche Projekte etwa, die Ulrich Weiß einreichte, wurden nach Dein unbekannter Bruder und Olle Henry (DDR 1983, Regie: Ulrich Weiß) abgelehnt. Lange Wartezeiten bis zum nächsten Film, vergebliche Kämpfe um einen Stoff erlebten in diesen Jahren unter anderem Heiner Carow, Siegfried Kühn, Evelyn Schmidt, Iris Gusner und Frank Beyer.
Im dokumentarischen Film, der mit der Kompilation Das Jahr 1945 (DDR 1985) von Karl Gass den bestbesuchten Film dieses Jahres beisteuerte, wurde gegen Ende des Jahrzehnts die Krise des Systems immer deutlicher. Widersprüche und skeptische Töne kennzeichnen schon Lebensläufe – Die Geschichte der Kinder von Golzow in einzelnen Porträts (DDR 1980, Regie: Winfried und Barbara Junge). Ungeschminkte Darstellungen von Menschen in der DDR, unter anderem in den Filmen von Helke Misselwitz – Winter adé (DDR 1988) und Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann (DDR 1989) – oder in Volker Koepps Märkische Ziegel (DDR 1989), zeigen eine Gesellschaft, deren wirtschaftliche Grundlagen marode und deren moralische Legitimation fraglich sind. Die sich überstürzenden Ereignisse mit Massenprotesten in zahlreichen Städten der DDR und schließlich die Grenzöffnung ermöglichten dann einige gänzlich unabhängige Produktionen. Leipzig im Herbst (DDR 1989) von Andreas Voigt und Gerd Kroske entstand teilweise noch vor dem Mauerfall und gewann bei der Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche in Leipzig die Goldene Taube. Interviews und Bilder von den Montagsdemonstrationen in Leipzig geben die Atmosphäre der Umbruchzeit aus größter Nähe wieder. rr
Nach der ersten Teilnahme eines DEFA-Films am Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin, die möglich war, weil zuvor die damalige UdSSR bereit gewesen war, sowjetische Filme zur Berlinale zu schicken, vergingen fünf Jahre bis zu einer erneuten Einladung. 1980 wurde mit Konrad Wolfs Solo Sunny die zweite Babelsberger Produktion präsentiert. Mit dem ungeschönten Blick auf die DDR-Provinz und Ostberlin mit seinen tristen Hinterhöfen und vernachlässigten Altbauten war sie eine Überraschung. Der Autor Wolfgang Kohlhaase hatte mit der sich illusionslos durchsetzenden Sunny eine Figur geschaffen, die vollkommen glaubwürdig und jenseits aller Klischees war. Einige ihrer Sentenzen wurden so populär, dass sie als geflügelte Worte gelten können. Renate Krößner erhielt für ihre Darstellung den Silbernen Bären als beste weibliche Hauptdarstellerin.
1 Internationale Filmfestspiele Berlin 1980
Renate Krößner mit dem Silbernen Bären für ihre Darstellung in Solo Sunny (DDR 1980, Regie: Konrad Wolf) in den Räumen der Berlinale im Bikini-Haus, Budapester Straße Foto: Mario Mach, Mario-Mach-Archiv
Kontakte zwischen dem Festival und der DDR-Kulturverwaltung bestanden schon seit den 1960er-Jahren. Mittlerweile waren beide Seiten im Zeichen der Entspannungspolitik an einem dauerhaften Austausch interessiert. Bis 1990, als die Berlinale das letzte Mal vor der Wiedervereinigung Deutschlands stattfand, wurden insgesamt elf Spielfilme der DEFA in den Wettbewerb eingeladen, darunter eine internationale Co-Produktion: Pestalozzis Berg (CH/BRD/I/DDR 1989) von Peter von Gunten. Angesichts der geringen Jahresproduktion – in den 1980er-Jahren wurden in Babelsberg pro Jahr 14 beziehungsweise 15, 1981 einmal 17 Filme realisiert – stellt dies eine bemerkenswert starke Präsenz der DEFA bei den Filmfestspielen im Westteil der Stadt dar. Tatsächlich vermochten viele der eingeladenen Titel sowohl das Publikum wie die internationalen Jurys und die Kritik zu überzeugen. Nur zwei Jahre nach Renate Krößner wurde Katrin Sass für ihre Rolle in Bürgschaft für ein Jahr (DDR 1981, Regie: Herrmann Zschoche) ebenfalls mit dem Silbernen Bären geehrt.
2 Internationale Filmfestspiele Berlin 1982
Katrin Sass mit dem Silbernen Bären für ihre Darstellung in Bürgschaft für ein Jahr (DDR 1981, Regie: Herrmann Zschoche) Foto: Mario Mach, Mario-Mach-Archiv
Als beste Darsteller wurden 1988 auch Manfred Möck und Jörg Pose für ihre Rollen in Einer trage des anderen Last … (DDR 1988, Regie: Lothar Warneke) gemeinsam ausgezeichnet. Ein evangelischer Vikar und ein Kommissar der Volkspolizei müssen sich in einer Lungenheilanstalt ein Zimmer teilen. Kruzifix und Stalinporträt markieren deutlich die unterschiedlichen Überzeugungen. Diese Konstellation, in der ein gläubiger Christ und ein überzeugter Marxist sich vielen Diskussionen annähern, war für den DEFA-Film ein absolutes Novum, das als Zeichen der Annäherungsbereitschaft der SED an die Kirchen interpretiert wurde. Der Film avancierte in der DDR zum populärsten Titel der Saison. Sogar einen Goldenen Bären für den besten Film konnte die DEFA für sich verbuchen: 1985 für Die Frau und der Fremde von Rainer Simon. Der Preis ging ex aequo auch an David Hares Wetherby (UK 1985). 1990 schließlich – schon mit Berlinale-Spielstätten in West- wie Ostberlin – bekam Coming Out (DDR 1989, Regie: Heiner Carow,) den Silbernen Bären für besondere künstlerische Leistungen. Nicht alle diese Erfolge stießen bei den Kulturpolitikern des SED auf Begeisterung. Sowohl Renate Krößner wie Katrin Sass berichteten später, dass sie wegen der erhaltenen Auszeichnung mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Beide bekamen zunächst nur noch Angebote für Fernseh-, aber nicht mehr für Kinofilme. Renate Krößner reiste daher schon 1985 mit ihrem Lebensgefährten Bernd Stegemann in die Bundesrepublik aus.
3 Internationale Filmfestspiele Berlin 1988
Manfred Möck (2. v. l.) und Jörg Pose (3. v. l.) mit den Silbernen Bären für ihre Darstellung in Einer trage des anderen Last ... (DDR 1988, Regie: Lothar Warneke) Foto: Mario Mach, Mario-Mach-Archiv
Die im Wettbewerb der Berlinale präsentierten Titel waren durchweg „Problemfilme“, allerdings solche, die ohne die enge Schablone positiven Heldentums auskamen. Nina Kern (Katrin Sass) in Bürgschaft für ein Jahr hat ihr Leben nicht im Griff. Sie vernachlässigt trotz guter Vorsätze ihre drei Kinder, verliert das Sorgerecht, darf schließlich die beiden Jüngsten wieder zu sich nehmen und gibt die Älteste zur Adoption frei. Und es waren Filme, die Konventionalität vermieden. Die Frau und der Fremde – die zweite Verfilmung von Leonhard Franks Novelle Karl und Anna (1926) nach Joe Mays Heimkehr (D 1928) – wurde von der Ostberliner Weltbühne