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Die Symphonie des Winters.
Im Sommer 1941 verlassen die deutschen Soldaten klammheimlich Leningrad. Eine Katastrophe naht: Die Stadt wird belagert, soll dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Großteil der Künstler und Kulturschaffenden wird evakuiert. Bis auf Dmitri Schostakowitsch, den wohl berühmtesten russischen Komponisten. Er bleibt, um seine Stadt zu verteidigen. Am Tage hebt er Gräben aus, des Nachts arbeitet er an einem neuen, unerhörten Werk. Doch ein anderer wird zum eigentlichen Helden: Karl Eliasberg, Dirigent eines zweitklassigen Radioorchesters und ebenso glühender wie hasserfüllter Bewunderer Schostakowitschs. Hungernd und im Angesicht des Todes wird Eliasberg mit seinem Orchester Schostakowitschs »Siebte Symphonie« aufführen ...
Ein ergreifender Roman über den Sieg der Kunst über die Barbarei.
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Seitenzahl: 543
Sarah Quigley
DER DIRIGENT
Roman
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
Die Originalausgabe unter dem Titel
The Conductor
erschien 2011 bei Vintage Books, Auckland.
Die deutsche Ausgabe wurde freundlich unterstützt von
ISBN 978-3-8412-0466-0
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, August 2012
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die deutsche Erstausgabe erschien 2012 bei Aufbau, einer Marke
der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
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Innentitel
Inhaltsübersicht
Anhang
Informationen zum Buch
Informationen zur Autorin
Impressum
Inhaltsübersicht
Prolog
TEIL I
Das Klopfen an der Tür
Die Nachricht
Die Bank
Vorfreude
Der Geburtstag
Nikolais Trauer
Möbelpreise
Ein fast unentrinnbares Vermächtnis
Nachtwache
In Sollertinskis Büro
Der erste Kampf
Auf dem Fischmarkt
Der Wendepunkt
TEIL II
Der Kosak und der tote Junge
Der Versuch zu lügen
Branntwein, Gespräche und der zwölfte Juli
Die Wahrheit über Nina Warsar
Der Reiter
Die Verschlossenheit der männlichen Eliasbergs
Der Marsch
Rückwärts zählen
Ins Rampenlicht
Begegnungen und Abschiede
Sie geht nicht
Die Bitte
TEIL III
Der Niedergang
Rette sich, wer kann
Die Brandnacht
Eine Art Rückzug
Helden
Die Vergangenheit ausbeuten
Das Schlimmste von allem
Verwandte
Das Geschenk
Rivalen
Der Dieb
Befehle
TEIL IV
Kriechtempo
Entschlüsse
Der Auftrag
Nach dem Schnee
Eine neue Front
Die Fehlenden
Elias kommt nach Hause
Der Briefkasten
Prioritäten
Generalprobe
Epilog
Danksagungen
Anhang
1. Dmitri Schostakowitsch
2. Die Leningrader Sinfonie
3. Die Belagerung Leningrads
4. Interview mit Sarah Quigley
Ich wurde ohne Herz geboren.
Das glauben sie jedenfalls. Ich höre ja auf den Proben, was sie sagen. Zum Musikmachen reicht ihre Atemluft kaum – da kann ich schmeicheln und betteln oder poltern wie Donner, es nützt alles nichts. Aber wenn sie über mich tuscheln, dröhnen ihre Stimmen durch den Saal, als träfen Spitzhacken auf Eis.
Ein Dirigent muss abseitsstehen. Das ist Teil der Aufgabe, des Privilegs, der Bürde. Der Schritt zum Nicht-Gemochtwerden ist klein. Mich kümmert das nicht. Genauer: Es kann mich nicht kümmern. Für den Luxus, beleidigt zu sein, fehlt mir gegenwärtig die Kraft. Sollen sie doch reden, soviel sie wollen – über meine Hakennase, meine schmalen Lippen, meine altmodische Brille. Sollen sie sich über mein Beharren auf Pünktlichkeit ruhig lustig machen. So hart, wie ich sei, müsse ich wohl mit dem großen Führer unserer gefürchteten Regierung verwandt sein! (Sie haben sich angewöhnt, solche Sachen tonlos zu sagen, hinter vorgehaltener Hand, aus Angst, Stalins Leute könnten an der Tür lauschen.) Vielleicht – das äußern sie schon lauter – ähnelte ich in meiner abweisenden Art aber auch eher Hitler, dem größten Feind unseres Landes. Ich höre diese Vergleiche und finde sie lästig, wenn auch kaum überraschend. Vom Beginn meiner Karriere an hat man mir immer wieder vorgeworfen, ich sei streng, fordernd, feindselig – und, ja, diktatorisch.
Was ist es, das ich vor meinen Musikern verbergen muss? Dass ich, Karl Iljitsch Eliasberg, einmal so gefühlvoll war wie jeder andere. Dass ich an einem Junitag vor vielen Jahren, als der helle Staub wie lange zitternde Gardinen in der Luft tanzte, die hohen Fenster weit geöffnet waren und Sonnenlicht die Marmorhalle erfüllte, auf der geschwungenen Treppe des Konservatoriums stehen blieb und mir, während ich zuhörte, das Herz aufging. Vor Neid, vor Bewunderung, vor Liebe.
Mein Widersacher, mein Freund. Über die Jahre ist er beides für mich gewesen. Seinetwegen bin ich heute hier, verhöhnt, verhasst, vermeintlich herzlos. Hätte ich die Kraft dazu, dann würde ich lachen, so paradox ist das. Natürlich habe ich kein Herz! Ich habe es ja vor vielen Jahren, auf jener Treppe in Leningrad, Schostakowitsch geschenkt.
Frühling – Sommer 1941
Ihm war, als hätte er sein Leben lang auf das Klopfen an der Tür gewartet. Im Schlaf hörte er es gedämpft an die Oberfläche seiner Träume pochen. Bei der Arbeit hörte er es im drängenden Grollen der Pauken oder im scharf gezupften Pizzicato. Er hörte es in seinen eigenen Schritten auf der Straße, sodass er ihm, selbst wenn er rannte, nie entkam.
Tag und Nacht folgte ihm die Angst wie ein störrischer streunender Hund.
Schostakowitsch! Schostakowitsch! Rief da jemand seinen Namen? Mühsam öffnete er die Augen. Das Zimmer war an den Rändern seines Blickfelds verschwommen, rund um einen gleißenden Fleck in der Mitte herum, wo der Schreibtisch stand.
»Nina?«, rief er, doch seine Stimme war belegt von halb erinnerten Träumen.
Er griff blind nach seiner Brille, tastete auf der Matratze und dem niedrigen Hocker neben dem Bett herum. Den Arm zu heben strengte ihn an; seine Finger fühlten sich ganz schlaff an, ohne die gewohnte Kraft. Er hatte bis spät in die Nacht gearbeitet und abgesehen von etwas hartem, in Tee getunktem Roggenbrot seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen. Das Gute an Hunger und extremer Müdigkeit war, dass sie die Angst milderten. Das Geräusch, das ihn geweckt hatte – war es das Klopfen gewesen? Wenn sie ihn jetzt mitnähmen, wäre er beinahe erleichtert.
Seine Finger fanden die Stahlbügel seiner Brille, dann die tröstliche Rundung der Gläser. Er schob die grobe graue Decke weg – angeblich ein Privileg. Aber auch ein Privileg konnte kratzen.
Sobald er die Brille aufgesetzt hatte, löste sich das weiße Flimmern auf. Die schäbigen Wände traten zurück, der Raum hielt den Atem an. Jetzt war er sich nicht mehr sicher, was er gehört hatte – jemanden auf der Straße? Oder bloß das Klappern des losen Fensterrahmens?
»Nina?«, rief er noch einmal. Er schwang die Beine über den Bettrand, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schlurfte zur Tür.
Vorsichtig spähte er in das andere Zimmer; es war leer.
Unten in der Gemeinschaftsküche eine nackte Glühbirne. Er stieß mit dem Kopf dagegen, wie immer, und fluchte. Der durchdringende Geruch von Reinigungsmittel, Kohl und billigem Fleisch verursachte ihm Übelkeit. Während er seinen Haferbrei anrührte, hielt er sich die Hand fest über die Nase und atmete demonstrativ durch den Mund, obwohl er kein Publikum hatte. Wofür er allerdings dankbar war. Er hatte noch nie gern vor Mittag geredet und hasste es, wenn er von der Treppe aus den Lärm gleich mehrerer Spirituskocher hörte und sich ihm schon am frühen Morgen Stimmen in den Kopf bohrten. (Wie gleichgültig Nina auch wirken mochte, wie sehr sie sich auch gegenüber seinem Leiden zu verschließen schien – wenigstens klang sie nie wie ein Fischweib!)
Er lehnte am Tisch und wischte sich ein wenig Staub von der Brille, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Kleine katzengleiche Schritte, schnüffelnder Atem. Er warf einen raschen Blick über die Schulter und sah ein rissiges Paar Überschuhe, ein mageres Paar Knöchel.
Er seufzte. Wann immer er den Herd oben ausgehen ließ und gezwungen war, sich hier herunterzuwagen, musste er sich auf diese Prüfung gefasst machen, es sei denn, er schaffte es, so leise zu sein wie wachsendes Frühlingsgras.
»Aaahhh, Herr Schostakowitsch!« Wie üblich lag eine heillose Genugtuung in dem Gruß. »Ich habe schon an dem Geschlurfe über meiner Zimmerdecke gehört, dass Sie es sind.«
»Irina Barinowa!« Er tat, als sei er in seiner eigenen Welt versunken gewesen. Genau das erwartete sie schließlich von ihm: die Zerstreutheit des Künstlers, die ihn als Nachbarn und Menschen untauglich machte. »Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«
»Guten Morgen?«, wiederholte Irina Barinowa und schaffte es, einen zugleich nachdenklichen und scharfen Ton anzuschlagen. »Ist es noch Morgen?« Ihre Stimme hob sich, ebenso wie ihre schrumpelige Hand, die zur Vorderseite ihrer verschlissenen grünen Jacke wanderte (es war ja wesentlich vornehmer, alte Kleidungsstücke auszubessern, als protzige neue zu kaufen). Sie kramte in den Taschen ihres Hauskleids. »Aaahhh«, sagte sie wieder, und ihr Triumph, dieses Mal unverkennbar, schlug eine Schneise in die dunstige Luft. »Es ist aber schon Nachmittag, Herr Schostakowitsch.«
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