Der dritte Bildungsweg - Jürgen Becker - E-Book

Der dritte Bildungsweg E-Book

Jürgen Becker

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Beschreibung

Der Bildungsnotstand hat ein Ende – die Humorversity ist eröffnet! Als Hochschullehrer mit rheinischem Humor begeistert Jürgen Becker in der WDR-Fernsehsendung »Der dritte Bildungsweg«. Zusammen mit dem ewigen Studenten Martin Stankowski und dem Co-Autor der Sendung, Dietmar Jacobs, hat er dieses Buch verfasst – und alle drei gehen mit dem gleichnamigen Programm auf Tour. Gemeinsam beleuchten sie zahlreiche Themen des Weltwissens, liefern neue Fakten und erklären Zusammenhänge, wo es bislang keine gab. Und zwar zu recht. Getreu dem Motto: Man muss nicht alles verstanden haben. Aber man muss alles erklären können!

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Jürgen Becker / Dietmar Jacobs / Martin Stankowski

Der dritte Bildungsweg

Halbwissen leicht gemacht

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Jürgen Becker / Dietmar Jacobs / Martin Stankowski

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Jürgen Becker / Dietmar Jacobs / Martin Stankowski

Jürgen Becker, geboren 1959, Moderator der »Mitternachtsspitzen«, alternativer Karnevalspräsident der legendären Kölner »Stunksitzung«, zurzeit mit dem Kabarettprogramm »Ja, was glauben Sie denn?« unterwegs. Bei KiWi u. a.: »Biotop für Bekloppte« (mit Martin Stankowski), »Von wegen nix zu machen» (mit Franz Meurer und Martin Stankowski), »Religion ist, wenn man trotzdem stirbt», »Geld allein macht nicht unglücklich«.

www.juergen-becker-kabarettist.de

 

Dietmar Jacobs, Dr. phil., 1967 geboren. Schreibt begeistert Theaterstücke, Kabarettprogramme und Drehbücher, u. a. für Richard Rogler, Jochen Busse, Thomas Freitag, das Kom(m)ödchen und die »Mitternachtsspitzen«. Seit 2006 Grimmepreisträger und Autor für »Stromberg«, »Dr. Psycho«, »Käptn’ Blaubär« und viele andere Serien.

www.circenses.com

 

Martin Stankowski, Dr. phil., Jahrgang 1944, arbeitet als Publizist, Geschichtenerzähler und Rundfunkautor.

www.martin-stankowski.de

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Über dieses Buch

»So was lebt und Goethe musste sterben« ist die kleine Hausapotheke für den Bildungsnotstand. Ein nützlicher Helfer, wenn’s intellektuell eng wird. Wieso sind Flitzer peinlich? Wie kam das Lachen in die Kultur? Seit wann schämen wir uns, wenn wir »in flagranti« erwischt werden?

In seiner WDR-Sendung »Der dritte Bildungsweg« hat Jürgen Becker bereits mit Erfolg gezeigt, wie man mit Witz und Humor Bildung, Halbbildung und haltlose Thesen vermitteln kann. Hier führt er es fort. Gemeinsam mit seinen Co-Autoren Dietmar Jacobs und Martin Stankowski beleuchtet er zahlreiche Themen des Weltwissens, liefert neue Fakten und erklärt Zusammenhänge, wo es bislang keine gab. Und zwar zu recht. Getreu dem Motto: Man muss nicht alles verstanden haben. Aber man muss alles erklären können!

Tourdaten zu »Der dritte Bildungsweg« unter www.juergen-becker-kabarettist.de

Inhaltsverzeichnis

»In die Welt hinaus«

Zu Hause ist Wegfahren am schönsten

Wo ist Gottes Gewerbegebiet?

War Marx ein Marxist?

Hose runter!

Pferd ist lecker, außer der Sattel

Von Knüllern und Faltern

Ohne Kopf topfit

Langes Leben mit kurzen Beinen

Römer go home

Der Orgasmus des Zwerchfells

Schlussendlich: Mit Witz zum Wissen

Bildnachweise

»In die Welt hinaus«

von Jürgen Becker

Die einzige Unterrichtsstunde, an die ich mich wirklich erinnere, fand bereits im ersten Schuljahr statt. Meine Grundschule Rosenzweigweg liegt mitten im Kölner Stadtteil Zollstock. Ein mächtiger Altbau aus der Gründerzeit umrahmt den Schulhof, der damals, 1966, Mädchen und Jungen durch eine durchgehende Linie strikt voneinander trennte. Auch in den Klassen keine Spur von Unisex. Einziges weibliches Wesen war unsere junge resolute Lehrerin. Die dritte Stunde eröffnete sie im Ton einer Oberbefehlshaberin: »Heimatkunde, Jungs, jetzt gehen wir erst mal in die Kneipe!« Wir trotteten in Zweierreihen – Frollein Dröschel hinterher – in die Wirtschaft »Zollstocker Hof«.

Schänke und Schule bei Hofe

Ein halbes Dutzend alter Kölner rauchte und soff sich bereits auf Betriebstemperatur, während wir I-Dötzchen den Bierdunst und Tabaknebel des Schankraums durchtasteten.

Auch Kneipen trennen offenbar sauber die Geschlechter, dachte ich, die Frauen sind wahrscheinlich in der Pinte nebenan.

»Watt wollt ihr dann he?«, fragte einer der Männer. Doch der Wirt wusste Bescheid. »Et jeht denne öm dat Öhlbild, Willi!«

Neben dem Glaskasten mit schönen Karnevalsorden hing ein riesiger Ölschinken. Er zeigte einen Stadtsoldaten an einem Schlagbaum, im Hintergrund eine alte Stadt. Das konnte nicht Köln sein, schließlich fehlte der Dom. So lernte ich beiläufig von Frollein Dröschel, dass dieser noch gar nicht so lange fertig ist und das Bild wohl vorher gemalt worden war. Damals mussten alle, die in die Stadt wollten, ihre Waren verzollen, erst dann ging dieser Stock auf. Deswegen nannte man diesen Schlagbaum damals Zollstock. »Jetzt ratet mal, warum euer Stadtteil so heißt?«

Nach ihrem launigen Vortrag hatte ich einigermaßen begriffen, wie Stadt früher funktionierte. Und da ich den ganzen Tag nach Bier und Qualm roch, ist mein Interesse für Geschichte nie verloschen.

Erst auf dem Gymnasium – dort fand nicht eine Exkursion statt – begann ich das Fach zu hassen. Die Sterilität des Klassenzimmers, die Monotonie der Pädagogin und nicht zuletzt die Abwesenheit von Bierdunst perfektionierte die Ödnis, in der nur noch die träumerische Fantasie eine Bildungsreise entstehen ließ.

Dieses Buch soll Appetit machen auf die kleinen Exkursionen, die letztlich im Gedächtnis mehr verfangen als die berühmte lange Rede mit dem kurzen Sinn. Hand aufs Knie: Wer kommt schon auf die Idee, auf dem Weg von Osnabrück nach Venedig ausgerechnet in Hamm oder Remagen Station zu machen?

Wer vermutet hier hinduistische Götter, die mit Milch übergossen werden, oder den heiligen Apollinaris, den Schutzpatron der Menschen mit dickem Kopf?

Unsere Reisegewohnheiten kaprizieren sich aufs Ankommen. Das aber führt zur Beliebigkeit des Zwischenraums. Doch gerade in diesem Zwischenraum verbirgt sich unsere Kulturgeschichte. Ob in Dülken, Gelsenkirchen, Augsburg oder in der Kneipe nebenan – überall gibt es Geschichte zum Anfassen. Dieses Buch ist ein Plädoyer für Goethes Gloria:

In die Welt hinaus!

Außer dem Haus

Ist immer das beste Leben!

Der dritte Bildungsweg führt uns an diese ungewöhnlichen Orte:

1  St. Peter und Paul (S. 20)

2  Hindutempel (S. 27)

3  Wellness-Kloster (S. 32)

4  CPP Studios (S. 41)

5  Zentralkomitee der MPLD (S. 49)

6  Akademisches Kunstmuseum (S. 55)

7  St. Peter (S. 59)

8  Nacktreiter (S. 65)

9  Pferdemetzger (S. 76)

10  Toilettenzentrale (S. 89)

11  Agentur für zeitgemäße Umgangsformen (S. 96)

12  St. Apollinaris (S. 103)

13  Wunderstollen (S. 111)

14  Alibi-Agentur (S. 123)

15  RömerWelt (S. 134)

16  Narrenakademie (S. 152)

17  St. Anna (S. 36)

Zu Hause ist Wegfahren am schönsten

Über das Reisen

Reisen bildet. Nur durch Reisen erlebt man fremde Welten, andere Kulturen, unbekannte Gebräuche. Was nicht zwangsläufig heißt, dass Reisen auch glücklich macht. Blaise Pascal war sich sicher: »Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht ruhig im Zimmer bleiben können.«

Einiges mag tatsächlich dafür sprechen, dass er recht hat: Vierzig Millionen Deutsche fahren jedes Jahr in den Urlaub und geben dabei fast 150 Milliarden Euro aus, um sich zu entspannen. Doch über ein Drittel der Deutschen ist nach einer Umfrage mit dem Urlaub unzufrieden. In dieser Zeit werden die meisten Scheidungen eingeleitet, jedes Jahr werden Männer von ihren Frauen auf der Fahrt in den Urlaub an Autobahnraststätten ausgesetzt – und viele Männer merken das erst, wenn die Frau sie auf der Rückfahrt wieder abholt. Und tatsächlich stellt man sich nach manchem Urlaub die berechtigte Frage: Was für einen Stress tun wir uns in unserer freien Zeit eigentlich an? Nachbarn waren zum Beispiel vor Kurzem mit drei Kindern für zwei Wochen auf Mykonos. Mit dem Auto! Fünfzig Stunden Fahrt! Und das einzige Hörspiel, das sie für die Fahrt mitgenommen hatten, war »Pippi Langstrumpf«. Fünfzig Stunden nonstop »Pippi Langstrumpf«! Wissen Sie, was das mit einem menschlichen Gehirn macht? An der kroatischen Grenze nach den Pässen gefragt, erklärten die Kinder instinktiv: »Wir sind Pippi, Tommy und Annika und wollen nach Bullerbü.«

Andere Freunde sind in diesem Jahr nach Zypern gereist. Bei fünfzig Grad im Schatten haben die sich über die Insel geschleppt, angeblich, weil das Land kulturell so viel zu bieten hat. Halb griechisch, halb türkisch. Da fragt man sich: Muss man dafür nach Zypern? Das hat man auch in Duisburg. Oder muss man im August durch Pompeji laufen, um die Ruinen einer runtergekommenen Stadt zu sehen? Da wartet man doch lieber mit einem Kaffee in der Kölner Südstadt, bis der U-Bahn-Bau fortgesetzt wird.

Aber im Urlaub sind wir zu jeder Anstrengung bereit. Es gibt bereits Angebote für 12-Stunden-Reisen nach Mallorca: hinfliegen, am Ballermann komasaufen und wieder zurück zum Flughafen. Was dann beim Rückflug im Flugzeug sitzt, sind keine Passagiere mehr. Das gilt als Reliquientransport.

In den schönsten Wochen des Jahres wollen wir uns erholen. Und wo fahren wir hin? In den Cluburlaub. Waren Sie da mal? In so einem Ferien-Guantánamo? Da hängt man auf Fuerteventura – eine Insel, etwa so interessant wie ein gebrauchtes Blatt Sandpapier –, will sich am Pool ausruhen … und im nächsten Moment tanzen dreißig Animateure um einen herum und fragen, ob man Lust hat, die Schönheiten der Insel pantomimisch darzustellen oder in Seidenmalerei umzusetzen. Das würden wir zu Hause nie machen! Oder was würden Sie sagen, wenn Sie in Wesseling wohnen, einer bei Ihnen klingelt und fragt, ob Sie mit ihm die Schönheiten Wesselings pantomimisch darstellen wollen. Oder als Seidenmalerei. Der bekäme die Tür vor den Kopf. Und zwar zu Recht. Aber im Urlaub nehmen wir das hin.

Wobei sich auch viele Reisende hinterher über den verkorksten Urlaub beschweren. Auch vor Gericht. Denn oft präsentiert sich der Ferienort anders als im Prospekt angekündigt. Wenn dort zum Beispiel steht: »In Ihrem Urlaubshotel liegt internationales Flair in der Luft.« Dann liegt es wahrscheinlich in der Einflugschneise. Gerade in Hotels gibt es immer wieder Punkte, die einem den Urlaub vermiesen können. Auch in guten. Zum Beispiel in Berlin im Adlon. Sie hatten da Handtücher, die so dick und weich waren, dass man sie bei der Abreise gar nicht in den Koffer gekriegt hat. Geschweige denn den Bademantel. Und so kommt es zu Klagen. Es gibt in Deutschland jedes Jahr über 15000 gerichtliche Auseinandersetzungen über Reisemängel. Von der Anzahl der zulässigen Moskitos in Marokko über Schnecken im Salat bis zum fehlenden Meerblick in der Schweiz wird alles verhandelt.

Einen besonderen Fall gab es vor dem Amtsgericht Mönchengladbach, wo ein Paar ernsthaft gegen einen Reiseveranstalter klagte, weil im gebuchten Doppelzimmer auf Mallorca kein Ehebett, sondern zwei Einzelbetten nebeneinander standen. Wörtliches Zitat aus der Klageschrift: »Die Betten standen auf einem rutschigen Fliesenboden, sodass ein harmonisches Einschlaf- und Beischlaferlebnis während der gesamten 14-tägigen Reise nicht zustande gekommen ist, weil die Betten bei jeder kleinsten Bewegung mittig auseinandergegangen sind.« Die Klage wurde allerdings abgewiesen, was das Gericht mit Witz und Hintersinn begründete: »Der Kläger hat nicht dargelegt, welche besonderen Beischlafgewohnheiten er hat, die fest verbundene Doppelbetten voraussetzen. Dem Gericht sind mehrere Varianten der Ausführung des Beischlafs bekannt, die auf einem einzelnen Bett ausgeübt werden können, und zwar durchaus zur Zufriedenheit aller Beteiligter … Es hätte nur weniger Handgriffe bedurft, die Betten mit einer Schnur zu verbinden. Statt einer Schnur hätte sich der Kläger auch seines Hosengürtels bedienen können. Dieser wurde in seiner ursprünglichen Funktion in diesem Augenblick sicher nicht benötigt.« So weit das Urteil aus Mönchengladbach.

Aber dass es überhaupt so viele Klagen gibt, zeigt: Urlaub ist für viele lästig, was man auch an unserer Sprache ablesen kann. Wenn ein Engländer aus dem Urlaub kommt, wird er gefragt: »How was your holiday?« Wenn ein Italiener zurückkommt, fragt man ihn: »Come è stata la vacanza?« Was fragt man in Deutschland? »Haben Sie den Urlaub gut überlebt?« Uns Deutschen geht es im Urlaub nicht ums Erholen. Es geht ums Überleben. Das zeigt sich übrigens auch an unseren Wanderliedern. Deutschland ist ja seit der Romantik ein Volk von Wandervögeln und hat Hunderte von Wanderliedern hervorgebracht, die das Reisen besingen. Aber was singt man da eigentlich?

Im Frühtau zu Berge, wir zieh’n, fallera,

es grünen die Wälder, die Höh’n, fallera.

Wir wandern ohne Sorgen,

singend in den Morgen,

noch ehe im Tale die Hähne kräh’n.

Ist das wirklich Erholung und Entspannung? Morgens, in aller Herrgottsfrühe, bevor es hell ist, todmüde durch eine nasse Wiese rennen? Und dabei noch singen? Das ist für mich kein Urlaub, das ist Folter!

Und was sieht der Deutsche, wenn er reist?

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp, klapp. Bei Tag und bei Nacht ist der Müller stets wach, klipp, klapp.

Der Müller Tag und Nacht wach? Der muss also 24 Stunden arbeiten? Da kommt doch kein Urlaubsgefühl auf, wenn man das sieht. Das klingt nach Ich-AG. Urlaub ist für uns Deutsche mit Leiden verbunden. Deshalb ist das berühmteste Kölner Reiselied in der Zielrichtung ja auch ganz klar: »Ich mööt ze Fooß noh Kölle jon.« Das Beste an der Reise ist der Weg nach Hause. Oder wie der Schriftsteller Manfred Schmidt schrieb: »Der Sinn des Reisens ist es, es zu Hause wieder schön zu finden.« Deshalb versuchen wir im Urlaub ja auch immer die Heimat nachzubauen. Man fliegt 2000 Kilometer nach Mallorca, um da Leute aus Bergheim zu treffen und am Ballermann »Viva Colonia« zu singen. Die Heimat nehmen wir immer mit. Und das gilt nicht nur für Pauschaltouristen, sondern auch für die individuellsten Individualisten. In den Siebzigerjahren zogen zum Beispiel viele deutsche Hippies nach Kreta, lebten da in Höhlen, liefen nackt durch die Gegend und hatten Sex am Strand. Aber nach ein paar Jahren gab es tatsächlich eine Höhlenordnung. Die gilt heute noch. Und vor jeder Höhle gibt es Zäune. Früher war da Highlife und freie Liebe. Wenn da heute einer nackt mit einer Erektion am Zaun steht, wird er von den Nachbarn wegen Astüberhang verklagt. Weil die deutsche Heimat wieder durchbricht.

Denn eigentlich suchen wir uns beim Reisen selbst. Wir wollen das herstellen, was wir kennen. Das sieht man auch am Camping. Camping ist ja , wenn man die eigene Verwahrlosung als Erholung empfindet. Man sucht das Gefühl von Freiheit und fährt auf einen Platz mit einer größeren Bevölkerungsdichte als Mexico City. Der Mensch strebt somit auch beim Reisen nach Sesshaftigkeit.

Daher stellt sich die Frage: Wenn der Mensch die Heimat auf Reisen mitnimmt, warum fährt er dann überhaupt weg? Das liegt natürlich vor allem an unseren Vorfahren, den Urmenschen. Die ersten Menschen waren ja herumreisende Nomadenvölker. Wir waren von Natur aus Reisende, bis wir sesshaft wurden. Aber wie kam es dazu?

Da gibt es zwei Theorien. Die eine besagt, dass es vor etwa 10000 Jahren auf der Erde wärmer wurde. Die Lebensbedingungen verbesserten sich, weshalb sich die Menschen stärker vermehrten. Für die erhöhte Population reichte das Jagen als Nahrungsquelle nicht mehr aus, weshalb die Urvölker begannen, sich niederzulassen und Getreide zu kultivieren. Die Männer gingen zur Jagd, und die Frauen kümmerten sich zu Hause um die Ernte. Jagen und Getreide anbauen. Deshalb heißen die bekanntesten Schnapssorten ja auch heute noch Jägermeister und Korn.

Und mit Alkohol wird auch eine der neuesten Theorien zur Sesshaftigkeit begründet: Der Evolutionsbiologe Josef Reichholf behauptet, dass das Bier der eigentliche Grund für die Sesshaftigkeit sei.

Die ersten Siedlungen der Menschheitsgeschichte findet man in Mesopotamien. Da gab es aber nie Nahrungsknappheit, wegen der man Getreide hätte anbauen müssen. Da liefen so viele Tiere rum, die konnten da im Prinzip jeden Tag grillen. Aber es fehlte zum Grillen das passende Getränk. Das wurde dann zum Glück entdeckt, als irgendwer mal versehentlich ein paar Handvoll Getreidekörner in einer Ecke liegen ließ, auf die es dann geregnet hat. Das Getreide fing an zu gären, und aus dem gegorenen Schmodder entstand eine Vorform von Bier, die man heute noch »Alt« nennt.

Nach Reichholf begannen die Menschen also Getreide anzubauen, um Bier zu brauen. Der Ursprung der Sesshaftigkeit war die Kneipe.

Schon damals gab es natürlich Leute, die sich mit dem Bierbrauen besser auskannten als andere, also Geheimwissen besaßen. Diese wurden sehr verehrt, woraus sich die Priesterkaste entwickelte, weshalb die Priester auch heute noch als Einzige in der Kirche Alkohol trinken dürfen.

Somit entstand auch die Religion aus dem Bier. Und neben ihr auch Kultur und Verwaltung. Das besagt die Reichholf-Theorie. Denn das Getreide fürs Brauen musste ja gewonnen, gelagert, gewogen und gemischt werden. Um das zu organisieren, entwickelten die Menschen die Bürokratie und die Schrift. Tatsächlich hat man die ersten Schriftzeichen auf Behältern für Getreide gefunden. Dort stand in Keilschrift, wie viel drin war.

Dass die Keilschrift mitdem Bier zu tun hat, ist bekannt. Schließlich wird sie von den Wirten heute noch verwendet.

Die Keilschrift: das Alphabet der Kneippenwirte

Das hier ist ein ganzer Satz. Er lautet: »Geh mal nach Haus, ich glaub, deine Frau wartet.« So entstanden die Sesshaftigkeit und die Idee, dass man besser zu Hause bleibt, als in die Welt hinauszuziehen. Home sweet home.

Ein Motto, das übrigens auch vom Christentum immer wieder propagiert wurde. Das kann man sehr schön in Remagen beobachten – ein Ort, den man besuchen sollte, bevor man für immer zu Hause bleibt.

Das erste Fluggerät

Im Jahre 2001 feierte die Stadt Remagen am Rhein ihren 2000. Geburtstag. Das war nicht falsch, aber zu kurz gegriffen. Die Remagener erinnerten an die Errichtung eines römischen Kastells, das an der alten Militärstraße von Mainz nach Köln erbaut worden war. Doch die Siedlung an dieser Stelle ist älter und geht wie der ursprüngliche Name Rigomagus wohl auf die Kelten zurück. Das sind stolze Daten und Jubiläen, die man dem Ort jedoch im Alltag nicht ansieht. Remagen wird, wie die allermeisten Dörfer und Städte am Rhein, von der Bundesstraße durchtrennt, und seine Stadtteile wirken ein wenig verloren. Wie hingeworfen erscheinen die unterschiedlichen Stile und Bauten, ungalant die Plätze, und vor allem an der Uferzone wird deutlich, dass hier von einem Gestaltungswillen in den letzten fünfzig Jahren kaum gesprochen werden kann. Da tröstet auch der Hinweis auf die lange Geschichte nicht.

Ein schönes Ensemble im ansonsten eher durchschnittlichen Stadtbild von Remagen findet man indes rund um die Alte Pfarrkirche St. Peter und Paul. Die Gassen und Mauern, Häuser und Gärten erscheinen fast wie ein vergessenes urbanes Quartier in dieser Kleinstadt. Die Kirche gilt als eine der ältesten am Rhein, der Bau entstand im 13. Jahrhundert, der Zeit der Spätromanik. Faszinierend ist vor allem das »Pfarrhoftor«, ein großes Portal vor der Kirche, das schon aus dem frühen 12. Jahrhundert stammt, aber erst 1902 an diesem Ort aufgestellt wurde. Ein großer und ein kleiner Torbogen mit vitalen Plastiken und Halbreliefs geben der Kunstgeschichte Rätsel auf, da sie heidnische und christliche Motive, Bilder und Symbole mischen. Allgemein nimmt man eine Darstellung der Laster an, symbolisiert sind Hochmut, Eitelkeit, Zorn oder Geiz, wobei die ausdrucksstarken Bilder eine eigene Sprache sprechen: Tiere, die sich selbst verschlingen, Übergangswesen zwischen Mensch und Tier bzw. Tier und Pflanze, expressive Gesichter, die uns an afrikanische Masken erinnern und die nichts von ihrer Faszination verloren haben. Man kann sich wunderbar ausmalen, was man hier sehen und erkennen will.

Heidentum und Christentum in einer Firma – anfassen ist keine Sünde.

Eine Geschichte, die direkt über dem kleineren Tor dargestellt ist, hat als literarische Vorlage die Himmelfahrt Alexanders des Großen. Der Feldherr Alexander war bei seinen Kriegszügen am Ende der Welt angelangt und wollte nun auch den Himmel erkunden. Er baute sich einen Flugapparat, einen Korb, an den er zwei Greifenvögel band, furchterregende Tiere mit Löwenkörpern und Adlerköpfen, denen er zwei Ratten als Köder vorhielt. Als die Vögel danach schnappen wollten, setzten sie das Gefährt in Betrieb. Vögel als Motoren und Ratten quasi als Treibstoff – vielleicht der erste Flugversuch der Geschichte. Nach siebentägigem Flug begegnete Alexander einem Engel, der wissen wollte, wieso er den Kosmos erkunde, obwohl er doch nicht einmal die irdischen Dinge kenne. Beschämt kehrte Alexander um und fuhr nach Hause zurück.

Diese Parabel stammt aus dem Alexanderroman, dem populärsten Volksbuch in Antike und Mittelalter neben der Bibel, und wurde als Allegorie für den Hochmut verstanden. Aber der Alexanderroman war mehr, er war Kriegsbericht, exotischer Reiseroman und auch Erbauungsliteratur. Hat der Mensch das Recht die Grenzen der Welt zu erkunden, gar zu überschreiten? Wie lange lassen sich das die Götter gefallen? Und was ist überhaupt jenseits der Grenze?

Pfarrhoftor Remagen

St. Peter, Kirchstraße 32

53424 Remagen

Liebt er zwar die Heimat, so strebt der Mensch doch auch danach, die eigene Begrenztheit zu überwinden. Und dafür hat er einiges unternommen. Er hat das Rad erfunden, die Eisenbahn, das Auto. Das gibt es schon seit 1759 und wurde von dem Franzosen Nicolas Cugnot konstruiert:

Ließ es ordentlich kesseln: Cygnots Chrash-Car