Der Duft von bitteren Orangen - Claire Hajaj - E-Book
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Der Duft von bitteren Orangen E-Book

Claire Hajaj

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Beschreibung

Kann Liebe wachsen, wo Hass gesät wird?

Jaffa, April 1948. Der siebenjährige Salim, Sohn eines palästinensischen Orangenzüchters, darf endlich die ersten Früchte des Orangenbaums ernten, der zu seiner Geburt gepflanzt wurde. Doch der Krieg bricht aus und seine Familie muss fliehen. Von nun an hat er nur noch einen Traum: eines Tages zu seinem Baum zurückzukehren. Zur selben Zeit wächst Judith mit ihrer jüdischen Familie in England auf – und sehnt sich nach einem Leben jenseits der dunklen Schatten der Vergangenheit. Als Salim und Judith sich im London der Sechzigerjahre begegnen und ineinander verlieben, nimmt das Schicksal seinen Lauf und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe …

Die Hardcover-Ausgabe erschien unter dem Titel »Ismaels Orangen« bei Blanvalet.

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Seitenzahl: 603

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Buch

1948 wächst der siebenjährige Salim Al-Ismaeli als Sohn eines wohlhabenden Orangenzüchters in Jaffa auf. Das sogenannte Orangenhaus, in dem die Familie wohnt, ist Salims ganzer Stolz. Wie für seine Brüder Hassan und Rafan wurde zu seiner Geburt ein Baum im Garten gepflanzt, von dem Salim hofft, bald die ersten Früchte ernten zu dürfen – dann wird er der Tradition zufolge endlich ein Mann sein. Doch bevor er diesen Schritt ins Erwachsenenleben machen kann, bricht in Palästina der Krieg aus. Die Familie muss ihr Land verlassen und nach Nazareth fliehen, wo ­Salims Halbschwester Nadia und ihr Mann ihnen Unterschlupf gewähren. Salim trägt ein Foto vom Orangenhaus bei sich, das sein kostbarster Schatz ist – und bald der letzte Beweis seines einstigen Glücks ...

Autorin

CLAIRE HAJAJ, 1973 in London geboren, hat ihr bisheriges Leben zwischen zwei Kulturen, der jüdischen und der palästinensischen, verbracht und versucht, sie zu vereinbaren. In ihrer Kindheit lebte sie sowohl im Nahen Osten als auch im ländlichen England. Sie bereiste alle vier Kontinente und arbeitete für die UN in Kriegsgebieten wie Burma oder Baghdad. Sie schrieb Beiträge für den BBC World Service, außer­dem veröffentlichte sie Artikel in Time Out und Literary Review. Ihren Master in Klassischer und Englischer Literatur hat sie in Oxford gemacht. Zur Zeit lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Beirut.Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag

DER DUFT VON

BITTEREN ORANGEN

ROMAN

Aus dem Englischen übersetztvon Karin Dufner

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Ishmael’s Oranges« bei Oneworld Publications, London.
Der Roman erschien bereits 2015 unter dem Titel »Ismaels Orangen« bei Blanvalet.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit real existierenden, ­lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Die beschriebenen ­Begebenheiten, Gedanken und Dialoge sind fiktiv.
Copyright der Originalausgabe © 2014 by Claire Hajaj Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2015 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Rainer Schöttle Umschlaggestaltung: © www.buerosued.deUmschlagabbildungen: © Arcangel Images/Des Panteva; Getty Images/Jaime Monfort; www.buerosued.deED Herstellung: wag Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-21391-6V003
www.blanvalet.de

Für meine Familie, die am Anfang der Reise stand – in Bewunderung und Liebe

Geliebte Sophie,

ich erwarte nicht, dass Du mir verzeihst oder Verständnis für mich hast. Du warst von Anfang an das ausgleichende Element. Die Friedensstifterin.

Allerdings kann ich es inzwischen absolut nachvollziehen, nun, da ich hier bin und es sehe, Sophie. Ja, ich sehe es mit eigenen Augen, nachdem ich es mir so viele Jahre lang nur ausgemalt hatte. Es ist wirklich genau wie auf dem Bild. Weiß. So weiß wie ein Knochen. Hinter dem Tor wachsen Bäume, und der Staub überall schimmert wie Gold.

Eigentlich sollte ich diesen Ort ja hassen. Aber es ist so wunderschön, wie es hier draußen so ganz allein steht. Wie in den Amateurfilmen, die wir als Kinder in der Wüste gedreht haben. Weißt du noch? Bilder ohne Ton. Wir alle haben gelacht und gewinkt, er hat die Kamera bedient und uns angefeuert. Das waren die einzigen Momente, in denen wir nicht Theater gespielt haben, in denen wir tatsächlich beinahe eine Familie waren.

Soll ich dir sagen, was am meisten wehtut? Die vielen Gutenachtgeschichten, die Mum uns vorgelesen hat – Du weißt schon, die mit »Es war einmal« und »Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute«. Erinnerst Du Dich, wie viel Freude wir daran hatten? Aber es war alles nur Lüge. Geschichten haben weder Anfang noch Ende. Sie gehen einfach immer weiter. Du, ich, sie, die vielen Menschen vor uns, sie tanzen alle zu derselben beschissenen Melodie. Und ich bin müde, so saumüde. Und trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, wie das jemals aufhören soll.

Das Schlimmste ist, dass wir vielleicht wirklich die Möglichkeit gehabt hätten, in diesem Haus glücklich zu werden. Wäre das nicht der größte Witz der Welt? Wenn der alte Sturkopf letztlich doch damit recht gehabt hätte, dass es unser wahres Zuhause hätte sein können? Unsere schönsten Erinnerungen hängen an der Wand. Mein erster Auftritt. Du und ich, Hand in Hand am Strand. Mum im Hochzeitskleid. Sogar ein Bild von ihm, beim Fußballspielen genau hier, barfuß im Staub, und ringsherum das Meer. All die Dinge, die ich an ihm hätte lieben können und die ich weiter geliebt habe, selbst nachdem er mich weggeworfen hat.

Ich wünschte, ich könnte es besser erklären, Sophie. Ich würde so gern einen Weg finden, es verständlich auszudrücken, damit Du auch ohne Worte verstehst, was ich meine. So wie früher. Du wirst es sicher versuchen, weil Du mich liebst. Aber manchmal genügt das eben nicht, oder?

Weißt du was? Ich habe da so einen Traum. Ich träume, dass wir uns eines Tages alle hier versammeln werden. Die beiden Sippen, ihre und seine. Wäre das nicht ein wundervolles Ende? Wir könnten den kleinen Pfad entlanggehen, bis wir am Meer sind. Ich höre es auf der anderen Seite des Hügels, kann es aber nicht sehen. Es spricht mit mir. Ich schwöre, dass es mir mit hundert Stimmen etwas zuraunt. Bestimmt könnte es erzählen, was in Wahrheit hier passiert ist – wenn ihm nur jemand zuhören würde. Doch keiner tut es. Wir alle taumeln blind durch die Welt. Wir schauen einfach durch einander hindurch wie Fremde. Selbst durch die Menschen, mit denen wir unter einem Dach leben.

Vergiss nicht, dass ich Dich immer lieben werde.

Marc

Jaffa, Dezember 1988

Noch während er die letzten Worte schrieb, war ihm klar, dass zu vieles unausgesprochen geblieben war. Doch die Zeit wurde knapp – die Momente flossen ineinander, ein unglaubliches Gefühl, so als würde er hinuntergezogen auf den Meeresgrund. Inzwischen trieb er mit der Flut und wurde von einem strahlenden, schillernden Meer und der Wärme des weißen Steins unter seiner Hand in Richtung seines Ziels getragen, als er über die hohe Mauer schlüpfte. Bebende Äste voller Blätter und Schatten halfen ihm hinunter in den stillen Garten.

Endlich berührten seine Füße den Boden. Und da sah er es – eingeschnitzt in den Baumstamm. Ungelenke Kinderbuchstaben, eingegraben in die Rinde. Er fuhr mit den Fingern die schwachen Schnörkel nach. Salim. Der Bogen des m war nur halb geschlossen, verschluckt vom nachwachsenden Holz. Kurz empfand er Verwirrung; die längst vergessene Inschrift wurde zu einem Gesicht, und ein Augenpaar stellte eine Frage, auf die er keine Antwort hatte. Er legte eine Hand darüber, um es nicht anschauen zu müssen. Dann griff er mit der anderen Hand zum Messer und schnitzte darunter seinen eigenen Namenszug ein.

Die Glasscheibe in der Küchentür bestand aus Wasser; sie teilte sich, als er die Hand hindurchstreckte, und er spürte nichts. Und dann, endlich, sah er, wie sich das Haus für ihn öffnete und ihn willkommen hieß.

Als er mit seiner leeren Tasche in die Küche zurückkehrte, hörte er, wie sie sich am Tor zusammenfanden, ein hoher beharrlicher Ton wie vom Summen einer Biene. Jetzt wurde es Zeit, und einen Moment pochte die Angst. Dann jedoch hielt er sich wieder vor Augen, dass seine Arbeit getan war, er war bereit. Und zwischen ihm und den Stimmen erhoben sich die raunenden Bäume, lag das Gewicht der Erde unter einem schützenden Gewirr aus Ästen.

Er konnte sie hören, wenn er die Augen schloss. Ein gedämpfter Chor aus Stimmen schwebte durch die Baumkronen wie Luftblasen aus der Vergangenheit, freigesetzt von demselben Wind, der das Laub verwehte und den Geruch von Orangen ins Haus trug.

Gelächter hallte durch die Bäume. Oder etwas Ähnliches – die hellen, hohen Rufe spielender Jungen. Und irgendwo hinter ihm, weit weg hinter geschlossenen Türen, sang vielleicht eine Frau.

Plötzlich wurde er von dem Drang ergriffen, diesen Stimmen zu antworten, aufzustehen, die Türen aufzureißen und erkannt zu werden. Doch dann, in diesem Augenblick, kam das Licht herangebraust. Es raste mit voller Wucht vorwärts, durch die Tür und über ihn hinweg, bis ins Innere des Hauses. Es erfüllte ihn dabei mit Frieden und riss alles mit sich wie die brandende Flut.

Das Leben jedes Menschen schließt die Leben aller anderen mit ein. Eine Geschichte ist nichts weiter als ein Bruchstück einer anderen Geschichte.

Stephen Vizinczey

1Reisen

Ein »Abwesender« ist ein palästinensischer Staatsbürger, der seinen Wohnort vor dem 1. September 1948 verlassen hat, um an einem Ort zu leben … der zum Einflussbereich von Mächten gehört, die die Gründung des Staates Israel verhindern wollen … Alle Eigentumsrechte eines Abwesenden an Grundbesitz gehen automatisch in den Besitz des Custodian Council for Absentee Property über.

Aus dem israelischen Gesetz über das Eigentum Abwesender von 1950

Die Juden sind ohne Zweifel kein liebenswertes Volk. Ich selber kann sie nicht leiden. Aber das ist doch kein Grund für ein Pogrom.

Neville Chamberlain, Briefe, 1938

1948

»Yalla*, Salim, los! Die Juden werden dich holen, Bauernjunge! Sie schmeißen dich raus und verhauen dir den knochigen Hintern wie einem Esel.«

Zwei Jungen standen einander auf der Staubstraße zwischen Jaffas Orangenhainen und dem Meer gegenüber.

Der eine war älter, kräftig gebaut und schwarzhaarig. An Kinn, Armen und Bauch wabbelten Fettwülste wie an einem schlachtreifen Lamm. In einigen Jahren würden sie sich in die respekteinflößende Leibesfülle eines A’yan verwandeln – eines wohlhabenden Mannes, der im Kaffeehaus herumsaß, in einer weißen Villa wohnte und eine teure Ehefrau hatte. Doch bis jetzt brachte die Körpermasse nur den Vorteil der kräftemäßigen Überlegenheit. Ansonsten musste sich ihr Besitzer eben schwitzend durch die warme Frühlingsluft quälen.

Der Jüngere der beiden hatte sich dem sich allmählich verdunkelnden Wasser zugewandt. Er hatte einen Fußball in der Hand und trug geschnürte schwarze Schulschuhe und ordentliche braune Shorts. Das weiße Hemd war manierlich in den Hosenbund gesteckt und bis zum Kinn zugeknöpft; sein schmales, blasses Gesicht sei wie ein offenes Buch, pflegten die Frères zu scherzen, eine leere Seite, auf die jeder schreiben konnte.

»Nenn mich nicht Fellah«, erwiderte er zögernd und drehte den Fußball zwischen den Händen hin und her. Es war nicht ratsam, sich mit Masen anzulegen, der mit seinen knapp zehn Jahren schon ordentlich hinlangen konnte. »Ich bin kein Bauer.«

»Warum nicht? Du wohnst auf einer Farm, und dein Vater lässt dich Obst pflücken wie die Fellahin.«

Salim lag eine zornige Antwort auf der Zunge, doch er schluckte sie, plötzlich verunsichert, hinunter. Hatte er letzte Woche nicht selbst darum gebettelt, mit zu den Orangenhainen zu dürfen? Die Erntezeit neigte sich dem Ende zu, und die Arbeiter seines Vaters hatten das Obst auf der Farm der Familie gepflückt – fünfzehn ganze Dunums, fünfzehntausend Quadratmeter gutes Orangenland. Er hatte es sich zum Geburtstag gewünscht, bei der Ernte mithelfen zu können: Er war jetzt sieben, und eines Tages würde er sich die Haine mit Hassan und Rafan teilen. Lass mich mitkommen, hatte er gebeten. Aber sein Vater hatte Nein gesagt, und Salim hatte zu seiner Schande geweint.

»Mein Vater gibt Fellahin Arbeit, deiner steckt sie ins Gefängnis«, wechselte er die Strategie. Masens Vater war einer der obersten Richter von Jaffa, ein Kadi. Hassan sagte, dass er vor Geld stank. »Wenn die Juden kommen und in eurem Haus wohnen, kann dein Vater ihnen helfen, uns alle einzusperren.«

Masen grinste. »Keine Angst«, sagte er. »Wenn du mich nett bittest, kümmere ich mich um dich und deine hübsche Mama. Aber Hassan, dieser Blödmann, kann schauen, wo er bleibt.«

Er nahm Salim den Fußball weg und schlug den Weg zum Meer ein. Der kleine Junge folgte ihm, ohne nachzudenken, und schritt, die Arme seitlich herabbaumelnd, in den Sonnenuntergang hinein.

»Die Juden kommen sowieso nicht. Nicht, solange die Briten hier sind«, verkündete Salim, dem plötzlich einfiel, was Frère Philippe ihm heute Morgen in St. Joseph gesagt hatte. In der Pause war es zu einer Rauferei zwischen zwei Jungen gekommen: Der eine hatte den Vater des anderen als Verräter bezeichnet, weil er seine Dunums an die Juden verkauft hatte. Daraufhin hatte der andere zurückgebrüllt, zumindest sei er nicht wie ein Feigling aus seinem Haus geflohen. Die beiden schlugen sogar noch aufeinander ein, als sie an den Ohren gepackt und abgeführt wurden. Salim hatte dagestanden wie erstarrt, während Masen sie lachend angefeuert hatte. Danach hatte Frère Philippe ihm sanft die Wange getätschelt. »Keine Angst, Habibi« – mein Freund –, sagte er, während im Hintergrund das Schnalzen der Peitsche ertönte, als die beiden Raufbolde ihre Tracht Prügel bezogen. »Dieses ganze Gerede von den Juden und Armeen … Es sind nicht alle wild darauf zu kämpfen, nicht, solange die Briten hier sind und Gott über seine Schäflein wacht.«

»Gott hilft denen, die sich selbst helfen«, entgegnete ein anderer Frère mit finsterer Miene.

»Wollen wir es hoffen …«, meinte ein anderer. »Denn auf die Briten würde ich mich nicht verlassen.«

»Du bist ja so ein Esel, Salim«, höhnte Masen und holte ihn damit in die Gegenwart zurück. »Den Briten ist es egal, ob wir leben oder sterben. Sie wollen dieses Land zerteilen wie eine Orange und den Juden das größte Stück geben. Aber bei Gott, wir werden bereit sein. Sollen sie die Najjada nur herausfordern. Ich kann es kaum erwarten, einen Juden abzuknallen.«

Salim konnte es sich nicht vorstellen, auf einen Menschen zu schießen. Er hatte einmal miterlebt, wie ein britischer Polizist einen kranken Hund – einen Streuner – erschossen hatte. Das traurige Geräusch der in den Körper eindringenden Kugel hatte dafür gesorgt, dass Salim in die Knie gegangen war und sich übergeben musste. Und dann war noch die Sache letzten Monat gewesen – das Blut, das über die Pflastersteine auf seine Schuhe gelaufen war –, doch daran wollte er lieber gar nicht denken.

»Du darfst ja gar nicht zur Najjada«, verkündete er, steckte die Hände in die Hosentaschen und straffte die Schultern. »Du bist nämlich noch ein Junge. Mama sagt, die nehmen nur Männer.« Pfadfinder mit Gewehren hatte sie die Soldaten bei der Parade letzte Woche genannt, doch Salim hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und hinter Hassans Rücken hervorgespäht, um zu sehen, wie die jungen Männer auf dem Clock Tower Square strammstanden. Sie hatten lange Gewehre und trugen schneidige graue Uniformen. Er kannte einen von ihnen. Masens Clique nannte ihn Katzenarsch, weil er einen dunkelbraunen Pickel mitten auf dem Kinn hatte. Sie hatten ihn deshalb gehänselt, bis ihm die Tränen kamen. Doch an jenem Tag hatten seine Augen stolz geleuchtet. Hassan wäre auch gerne beigetreten, aber Mohammad Nimir al-Hawari nahm keine Jungen unter fünfzehn auf.

»Deine Mama hat eben den Verstand einer Frau«, höhnte Masen. »Al-Hawari ist ein Freund meines Vaters. Außerdem würde ich es dir sowieso nicht sagen, wenn ich mich freiwillig melde. Kleine Esel wie du dürfen da nicht mitmachen.«

»Ich bin kein Esel«, flüsterte Salim, als Masen vorauslief. Manchmal, in seinen kühnsten Träumen, malte Salim sich aus, dass er Masen zu Boden stieß und ihn trat wie einen fetten Fußball. Doch Masen war mit seinen riesigen Fäusten und seinem grausamen Spott sogar noch angsteinflößender als die Juden. Hoffentlich kriegen die Juden Masen, wenn sie kommen.

Und die Juden würden kommen. Das tuschelten die Frères in der Schule einander zu. Die Landbevölkerung floh vor den herannahenden feindlichen Kämpfern, sodass es in Jaffa von Flüchtlingen mit ihren schmutzigen Säcken und ihren quengelnden Kindern nur so wimmelte. Salims Vater hatte sich beim Bürgermeister über sie beschwert, doch seine Mutter ließ Lebensmittelpakete an die Frauen mit Kleinkindern verteilen. Salim begriff nicht, warum diese Leute lieber in Jaffas Moscheen und Kirchen schliefen anstatt bei sich zu Hause.

Doch heute, im strahlenden Sonnenschein und in einer Luft, die nach Meerwasser und Orangen duftete, brauchte man keine Angst zu haben. Die beiden Jungen jagten einander den Pfad entlang, rannten durchs Gestrüpp und riefen in die warme Meeresbrise hinein. Als der Ball aufs Wasser zuflog, lief Salim atemlos und aufgeregt voraus und schnappte ihn sich, bevor die Wellen ihn verschlucken konnten. Er wirbelte herum, um seinen Triumph zu feiern, stellte aber plötzlich fest, dass er allein war. Seine Wangen röteten sich, als er Masen entdeckte, der oben auf der Böschung stand und zu ihm hinuntergrinste.

»Immer wieder fällst du darauf rein«, sagte er lachend. Salim senkte den Kopf, um das peinliche Erröten zu verbergen. Warum lässt du dich dauernd von ihm austricksen, Idiot?, schienen die Steine auf dem Boden ihm zuzuflüstern.

»Komm, Fellah«, meinte Masen und wies auf Salims schmutzige Knie und sein verschwitztes Gesicht. »Ich habe Hunger. Lass uns in den Souk gehen.«

Von Al-Ajami gab es zwei Wege zu den Souks am Clock Tower Square von Jaffa.

Die Route von Salims Haus aus führte schnurstracks durch das stille Landesinnere, vorbei an von der Sonne ausgebleichten weißen Strandvillen, aus deren ummauerten Gärten prachtvolle Kaskaden roter Bougainvilleen und der intensive Geruch von Orangen quollen. Danach bog man links in die alte Al-Ajami Street ein, wo neue Automobile an Eseln vorbeisausten, die schwer mit Granatäpfeln und Zitronen beladen waren. Die Tür von Abulafias Bäckerei stand immer offen, selbst in den kühlen Wintermonaten. Hunderte von Malen hatte Salim schon dort gewartet, seine Sinne überflutet vom Duft nach Gebäck und Wolken von Zimt und Piment. Seine Mutter liebte Manakisch, mit Thymian und Sesam bestreute Brotfladen. Er hatte sich von ihr mit kleinen Stücken davon füttern lassen, während sie durch Jaffas Altstadt mit ihren Kaffeehäusern geschlendert waren, aus denen der gelbliche Rauch der Wasserpfeifen wehte.

Der andere Weg zum Clock Tower Square gehörte den Jungen von Jaffa. Ihn zu nehmen bedeutete sozusagen eine Mutprobe. Sobald ein Junge gehen konnte, wurde er herausgefordert, ihn auszuprobieren, was hieß, die wilden Strände zu überqueren, glitschige Felsen zu überwinden und sich dann, Schritt für Schritt, unter der alten Hafenmauer entlangzutasten.

Heute brannte die Sonne auf den gewaltigen Halbmond des Mittelmeers herunter; golden schimmernd, hob sich das Wasser vom schwarzen Land ab wie ein Ohrring von der Gesichtshaut eines Afrikaners. Salim und Masen sprangen über Tümpel und spritzten die Jungen nass, die dort mit nackten Armen versuchten, Krebse zu fangen. Sie kletterten über schartige Felsen, bis der aus weißem, vom Meerwasser fleckigem Stein bestehende Hafen von Jaffa in Sicht kam.

»Der Hafen von Jaffa ist so alt wie das Meer«, hatte Frère Philippe ihnen beigebracht. »Er war schon vor den Arabern und den Juden da. Gott selbst hat Noahs Sohn Japhet in uralten Zeiten hierhergeführt. Hier ruhen die Gebeine von zweiundzwanzig Armeen. Die Heiden von Theben haben die Jungfrauen, die sie opfern wollten, genau dort angekettet.« Als er mit einer runzeligen Hand in Richtung Meer deutete, folgten ihm ein Dutzend Augenpaare. »Da draußen auf den Felsen, die wir Andromeda nennen, und dann haben sie darauf gewartet, dass ein Meeresungeheuer sie verschlingt. Der Kreuzfahrerkönig Richard Löwenherz hütete hier im Hafen das Krankenlager und flehte Salah Al-Din um Frieden an. Der gottlose Kaiser Napoleon campierte am Leuchtturm, während die Pest seine Armee dahinraffte und seine tapferen Gefangenen sich gegen ihn erhoben. Der hat seine Lektion gelernt, das kann ich euch sagen, mes enfants: Jaffa ist ein Ort, den Gott liebt, und alle sind verflucht, die ihm Schaden zufügen wollen.«

Zu seiner Schande musste Salim gestehen, dass er den englischen König verehrte, während die meisten Jungen Napoleon oder Salah Al-Din, dem Bewahrer des Glaubens, den Vorzug gaben. Als er sich nun vorsichtig unter der vergilbten Hafenmauer hindurchtastete, stellte er sich Richard vor. Vielleicht hatte er ja das Gleiche erlebt wie er jetzt: das muffige Schwappen des seichten Wassers und den blutigen Geruch der Feluccas, die den Fang des Tages an Land brachten. Nur die großen Dampfer am Horizont wiesen darauf hin, dass seitdem viele Jahrhunderte vergangen waren.

Bis er sich zum Hafen hinaufgezogen hatte, hatte Masen bereits eine herumliegende Orange gefunden. Er warf das weiße Häutchen auf den Boden, gelber Saft rann ihm übers Kinn. »Da drüben ist es«, verkündete er und zeigte mit einem pummeligen Finger nach Norden. »Dort sind sie.« Auf der anderen Seite der Bucht ragten die funkelnden Wolkenkratzer von Tel Aviv in den Himmel und erstreckten sich, so weit das Auge reichte, die geschwungene Küste entlang.

Meistens nahm Salim Tel Aviv kaum zur Kenntnis. Nur die ganz alten Leute, die Großmütter und Großväter seiner Freunde, sprachen manchmal noch von einer Zeit, als Jaffa von Wanderdünen umgeben und Tel Aviv nur ein paar Muscheln in einer Sandverwehung gewesen war. Für Salim hatte es die Stadt schon immer gegeben. Genauso wie die Briten. Auch die waren schon immer hier, die Commissioners und Commanders, diese steifen Männer mit den rosigen Gesichtern. Die Jungen nannten sie Schwee schwees; so klang das Geräusch, das Schweine von sich gaben. Allerdings mochten sie die Garnison in Jaffa. Ein Gefreiter, der Jonno hieß, schenkte Masen und Hassan manchmal Zigaretten. Er hatte Salim versprochen, dass er auch welche haben könne, sobald er acht sei.

In letzter Zeit hatte Salim den Eindruck gehabt, dass er Tel Aviv häufiger zu Gesicht bekam als einen Briten. Die britische Herrschaft über die Mutter Palästina endet nächsten Monat, sagten die Frères. Und dann wird ein neues Land namens Israel aus ihrem Schoß hervorbrechen und sie für immer zerreißen. Salim hatte Masens Vater es in einfachere Worte kleiden hören: »Wenn ihr das nächste Mal einen Briten seht, wird er an Deck eines Schiffes stehen und euch zum Abschied zuwinken.«

»Es ist spät«, stellte Masen stirnrunzelnd fest, als der Ruf zum Abendgebet ertönte. »Wenn du nicht so rumtrödeln würdest, wären wir schon längst da.«

»Lass uns besser nicht hingehen«, erwiderte Salim rasch. Die Furcht, die beim Herumklettern unter der Mauer in ihm aufgestiegen war, schwappte nun wie eine bittere Welle über ihn hinweg. Im Abendlicht sahen seine Füße rot aus, so rot wie das Blut auf den Steinen und das Geräusch der Schreie. Aber Masen lachte nur. »Hosenscheißer! Baby!«, höhnte er. Er wischte sich den Mund ab, packte Salim am Arm und zog ihn in die schmalen Gassen von Jaffa, während die Worte des Muezzins die Stadt einhüllten, ein atonaler Klagelaut, der sich an allen Mauern brach.

Sie erreichten den Clock Tower Square, als die Melodien verhallten. Salim keuchte, und der Arm tat ihm weh. Masen ließ ihn los, und er blieb einen Moment stehen, um wieder zu Atem zu kommen und sein wild klopfendes Herz zu beruhigen. Unwillkürlich wanderte sein Blick die schroffen Kanten des Turms hinauf. Sultan Abd Al-Hamid II. stand auf einer Plakette an der Mauer. Sie hatten in der Schule gelernt, dass dem großen ottomanischen Kaiser das Geld – und vielleicht auch die Geduld – ausgegangen war, worauf er Jaffas Honoratioren aufgefordert hatte, den Turm doch selbst zu bezahlen. Bis heute gab es in Jaffa kaum einen reichen Mann – ganz gleich, ob Moslem, Christ oder Jude –, der nicht für sich in Anspruch nahm, an den Kosten beteiligt gewesen zu sein.

Doch damit war es nun vorbei. Auf der anderen Seite des Platzes klaffte die Ruine des New Seray Government House, ein Trümmerberg, wie eine offene Wunde. Die Explosion hatte das Gebäude auseinandergerissen, sodass es nun als zahnlose Mundhöhle über den Platz ragte.

Salim kletterte über den Schutt. Masen beobachtete einen in eine Kufiya gehüllten Mann, der Steine aus dem Haufen zog.

»Ich wette, da liegen noch Leichen drunter.« Masen wies auf die dunkelroten Flecken. »Oder vielleicht Arme und Beine und so. Wenn mein Vater zum Bürgermeister gewählt worden wäre und nicht Heikal, dieser Idiot, hätte er das alles schon längst wegräumen lassen. Riech nur, wie es stinkt. Aber vielleicht fällt es dir ja gar nicht mehr auf, weil Hassan immer so mieft.«

Salim spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Die Bomben seien in einem Laster voller Orangen versteckt gewesen, hieß es. Der Fahrer habe zwar wie ein Araber ausgesehen, aber in Wirklichkeit zur Irgun gehört, zu den gefährlichsten Juden von allen.

Sie hatten den Knall auf dem Weg zum Klassenzimmer gehört und danach die Schreie. Hassan war sofort losgerannt, sein Tornister tanzte auf seinem Rücken. Voller Angst, zurückgelassen zu werden, hatte Salim sich an seine Fersen geheftet. Er hatte nach Hassans Tornister gegriffen, bis sein Bruder vor ihm in einer dicken gelben Wolke verschwunden war. Im nächsten Moment hatte die Wolke sich auch über ihn gelegt, und der Staub hatte ihm den Atem geraubt, während unter seinen Füßen Glasscherben und Schutt knirschten, sodass er stolperte und der Länge nach zu Boden fiel. Trotz des Klingelns in seinen Ohren hatte er Sirenen gehört. Jemand schrie immer wieder Omar! Omar! Er war wie in einem dunklen Brunnen gefangen, in dem er ertrank. Als er Hassans Namen rufen wollte, war sein Mund voller Staub. Etwas Großes und Weiches lag neben seinen Beinen und sonderte pulsierende Flüssigkeit ab, bis sich seine Leinenschuhe in der allmählich wieder zum Vorschein kommenden Sonne rot verfärbten. Wie erstarrt hatte er dagelegen, während sich die Farbe immer mehr um ihn herum ausbreitete. Bis plötzlich Hassan über ihm erschien. Sein Gesicht war mit grauem Staub verschmiert, seine Augen waren geweitet wie bei einem geschlagenen Pferd. Er zerrte Salim an seinem schmutzigen Hemd hoch und schleppte ihn nach Hause.

Am nächsten Tag weinten Jaffas Mütter, während britische Soldaten die Ruinen durchkämmten. Wie gelähmt hatte er zugesehen, wie Masen den Fetzen eines Hemdes unter einem Mauerstein hervorgezogen hatte. Der Stoff war weiß und mit schwarzem Blut und braunem Morast verkrustet. Der Geruch war abscheulich, und er wurde ihn nicht mehr los, selbst als die Polizisten sie davonjagten.

Salim zupfte Masen am Hemd. »Können wir jetzt bitte gehen? Ich finde es scheußlich hier.« Masen schob Salims Hand zwar weg, wandte sich aber trotzdem ab. Sie werden Geister, hatte Masen ihm erklärt, als die Leichen abtransportiert wurden. Die Toten kommen ohne Rache nicht zur Ruhe.

Sie machten sich auf den Weg zum Souk El Attarin, um Süßigkeiten zu kaufen. Die Berge von Pistazien, Zitronen, Rosen und Gold rochen so gut wie immer, aber Salim hatte einen trockenen Mund. Normalerweise mussten sich die Jungen durch eine Menschenmenge kämpfen, um an die Leckereien heranzukommen. Allerdings nicht heute. Der Souk war beinahe menschenleer. Der alte Ladenbesitzer sah sie aus hungrigen Augen an, als sie ihm ihr Taschengeld übergaben.

»Hallo, Salim!«

Erschrocken blickte Salim sich um. So kurz vor der Ausgangssperre hätten sie eigentlich nicht mehr auf der Straße sein dürfen.

»Mist!«, rief Masen aus. »Das ist der Yehuda-Scheißer.«

»Hallo, Elia«, erwiderte Salim. »Wie läuft’s denn so?« Er ließ den Blick in alle Richtungen schweifen, erleichtert, dass niemand auf dem Platz war. Es war nicht gut, sich mit einem Juden sehen zu lassen, nicht einmal mit einem, der schon immer hier in der Stadt wohnte.

Elia war älter als Masen, hellhäutig wie Salim und hatte magere Arme. »Ya’ni«, antwortete er und zuckte mit den schmalen Schultern – das arabische Allerweltswort, das die Grauzone zwischen Gut und Schlecht umfasste. »Ich wollte zu meinem Vater«, fügte er hinzu und wies in Richtung des Souk Balasbeh, des Kleidermarkts. »Inzwischen schließen wir früher. Er möchte nicht, dass ich alleine nach Hause gehe. Wegen der vielen Schwierigkeiten.«

»Wer macht denn diese Schwierigkeiten?«, entgegnete Masen. »Doch wohl dein Vater und seine Kumpane.«

»Er gehört nicht zu denen, Masen«, protestierte Salim. Undeutlich erinnerte er sich an die Zeit, als sie noch Freunde hatten sein dürfen. Isak Yashuv, Elias Vater, war beinahe Araber. Man konnte ihn mit seiner dunklen irakischen Haut und den scharfen Augen, die über die Kohlen seiner den ganzen Tag blubbernden Wasserpfeife spähten, kaum von einem Palästinenser unterscheiden. Doch Elias Mutter stammte nicht aus Palästina und war mit den weißen Juden gekommen.

Dieser Punkt war ausführlich und hitzig in Salims Familie debattiert worden, als man einen Schlussstrich unter die Freundschaft zwischen Elia und Salim gezogen hatte.

»Ein Jude ist kein Palästinenser, und ein Jude ist auch kein Araber«, hatte Abu Hassan gebrüllt und mit der Faust auf den Tisch geschlagen. »Das sind alles Schweinekerle, die nur hergekommen sind, um uns auszurauben. Willst du mich zum Gespött machen?«

»Herrgott, beruhige dich«, entgegnete seine Mutter kühl. Ihre hohe Stirn war so glatt wie Glas. »Isaks Familie hat schon im Souk Balasbeh Knöpfe angenäht, als du noch gar nicht geboren warst. Und wenn du schon von seiner ausländischen Frau sprichst – was ist denn mit mir? Hast du mich nicht auch in dieses gottverlassene Land verschleppt wie eine Kuh auf einem Karren?«

Salim wusste, dass seine Mutter und die blasse Lili Yashuv auch eine seltsame Freundschaft verband; wenn sie schöne Kleider in Isaks Laden kauften, unterhielt sich Lili in stockendem Arabisch mit starkem Akzent mit ihr. Und Salims Mutter lächelte dann, wie sie es nur selten tat, selbst bei den Frauen anderer A’yan.

Heute wirkte Elia noch bedrückter als sonst. Seine Familie gehörte zu den wenigen, die sich weiterhin an ihr Zuhause in Jaffa klammerten. Alle anderen waren nach Tel Aviv gezogen. Der Laden auf dem Kleidermarkt machte sie zu einer Zielscheibe, doch Isak weigerte sich aufzugeben. »Ich lasse mich von diesem Wahnsinn nicht kleinkriegen«, beharrte er und ging hartnäckig jeden Tag zur Arbeit, obwohl die Geschäfte immer schlechter liefen.

»Meine Familie möchte keinen Ärger«, wandte sich Elia an Masen. »Wir wollen einfach nur unsere Arbeit machen. Allerdings haben wir die Schwierigkeiten nicht nur der Irgun zu verdanken.« Er wies mit dem Kopf nach Süden, wo sich die Hauptquartiere der Najjada und der Arabischen Befreiungsarmee befanden.

»Hör zu, Elia, ich begleite dich jetzt zu deinem Vater«, schlug Salim rasch vor. In Masens Miene malte sich nämlich ein Ausdruck, den er nur allzu gut kannte: sein Schlägergesicht. »Wir müssen vor der Ausgangssperre zu Hause sein.«

»Viel Spaß, ihr Yehudim.« Masens Tonfall triefte vor Verachtung. »Noch einen schönen Spaziergang. Wir sehen uns, wenn die arabischen Armeen kommen.« Er trat auf Elia zu und beugte sich dicht zu dessen Ohr vor. »Wir sind viele Tausende, Jude. Wart’s ab.« Mit diesen Worten wandte er ihnen den Rücken zu und lief über den Platz.

»Du brauchst nicht mitzukommen, Salim«, meinte Elia. Der Himmel verdunkelte sich. Die Nacht brachte schiefergraue Wolken.

»Ich muss ja nicht den ganzen Weg mitkommen. Nur ein Stückchen. Geht es deiner Mama gut?«

»Ja, aber sie hat inzwischen Angst. Sie und Papa streiten oft.«

»Meine Eltern auch.« Salim stieß die Schuhspitze gegen den Boden. »Hat sie Angst, dass die arabischen Armeen kommen könnten, um uns zu retten?« Inzwischen war im Radio und in den Freitagspredigten von nichts anderem mehr die Rede.

Da Elia nicht antwortete, setzten sie ihren Weg schweigend fort. Salim hatte ein wenig Mitleid mit ihm. Würde er sich an Elias Stelle nicht auch vor den gewaltigen arabischen Armeen fürchten? Er malte sich unzählige Reihen von Männern aus, die Fahnen und Gewehre schwenkten wie die Beduinen in den alten Geschichten.

»Dann kannst du zu uns kommen«, sagte er, von Gefühlen überwältigt. »Mama wird dich verstecken. Wir erzählen einfach niemandem, dass du Jude bist. Bei uns bist du sicher.«

Als Elia plötzlich den Kopf hob, erschrak Salim über seinen Gesichtsausdruck. »Ya, Salim, ich glaube nicht, dass wir so weiterleben können wie bisher«, meinte er zögernd. »Mama sagt, deine Leute hassen die Juden und werden das Land nicht zur Ruhe kommen lassen. Also werden wir einander bekämpfen, ganz gleich, was auch geschieht.« Wieder zuckte er die Achseln. »Nur Gott weiß, wer siegen wird.«

»Die Araber werden siegen«, erwiderte Salim mit Nachdruck. Er hatte zwar nicht viel für seinen Vater, Abu Masen oder die anderen beleibten Männer übrig, die bei ihm zu Hause aus und ein gingen, doch seine Welt drehte sich um den Geruch ihrer Zigaretten und ihre leisen Gespräche. Für ihn war es unvorstellbar, dass sie einmal nicht mehr die Macht haben könnten, in Ruhe das Universum zu ordnen.

»Wenn du das glaubst, bist du auch nicht besser als Masen«, entgegnete Elia und blieb neben ihm stehen. »Warum bist du nicht mit dem da mitgegangen? Er wird dir beibringen, wie du meine Familie erschießen und unseren Laden verwüsten kannst wie seine Terroristenfreunde.«

Salim konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Die Vorstellung, wie der fette Masen schreiend mit einer Pistole herumfuchtelte, war einfach zu komisch. Allerdings schien seine Reaktion Elia gekränkt zu haben. Seine mageren Schultern zogen sich in den Körper zurück; er wirkte jetzt wie ein sprungbereiter Schachtelteufel. »Yalla, dann hau halt ab!«, brüllte er. Sein Arm schoss, halb Schlag, halb Schubser, nach vorne, traf Salim an der Brust und drückte ihn an die Steinmauer.

Es fühlte sich an wie damals der Bienenstich – zuerst war alles taub, dann kam ein Schmerz, der immer stärker wurde, sodass Salim am liebsten losgeschrien hätte. Heiße Tränen traten ihm in die Augen.

»Du solltest abhauen!«, brüllte er zurück und ballte die Fäuste. »Verschwinde. Das hier ist Palästina, wo Araber wohnen. Geh doch zurück, wo du hergekommen bist.«

»Ich komme aus Jaffa.« Elia klang, als sei er den Tränen nah. »Aber Masen, dieser Schwachkopf, will uns eine Bombe ins Fenster schmeißen. Was sollen wir denn tun?«

Salim erinnerte sich an den Terroranschlag auf dem Clock Tower Square, an die blutigen Gesteinsbrocken und an die schrillen Schreie, die wie Rauch durch die Luft waberten. An jenem Abend hatte Bürgermeister Heikal im Radio gesprochen und die Juden als Kindermörder und wilde Bären bezeichnet. Masen und seine Bande hatten Rache geschworen. An diesem Tag wäre es in ganz Jaffa der Ketzerei gleichgekommen, die Juden nicht für Teufel zu halten.

Dennoch war Salim überzeugt, dass sich auch die Welt der Juden in Gut und Böse aufteilte. Die Bösen lebten in Tel Aviv und auf den großen Landgütern, auf die ein Araber keinen Fuß setzte. Es hieß, sie hätten Familien aus ihren Häusern vertrieben, seien in Haifa, Jerusalem und in arabische Dörfer einmarschiert und hätten Hunderte von Menschen getötet, während die Briten tatenlos zusahen. Salim war noch nie einem dieser Albtraum-Juden begegnet. Doch nachts beim Einschlafen umringten ihn ihre dunklen gesichtslosen Gestalten.

Aber Elias Familie sah doch aus wie die meisten Einwohner von Jaffa. Sie arbeiteten und lebten genau wie seine Familie. Wie also konnten sie dann Feinde sein?

Als er das Elia erklären wollte, fand er nicht die richtigen Worte. Dafür war er viel zu verwirrt. Stattdessen stand er einfach da, senkte den Blick und scharrte mit dem Fuß im Kies. Bis zu den Toren von El-Balasbeh war es noch ein Stück, und es war kurz vor Ladenschluss. Elia seufzte, ein Geräusch, das wie ein Und? klang. Doch falls es sich dabei um eine Einladung handelte, dann verstand Salim sie nicht.

»Ich muss nach Hause«, sagte Salim schließlich. Vielleicht konnten sie ja am nächsten Tag alles klären. Elia nickte.

»Gut, Salim«, erwiderte er. »Ma salam – geh in Frieden.«

Als Elia sich entfernte, fühlte sich Salims Magen schwer an – so als stießen dort die Sorgen wie Kieselsteinchen aneinander. Ihm blieb nichts anderes übrig, als vorbei an der Ruine auf dem Platz und durch die Straßen mit den geschlossenen Läden, nach Hause zu laufen, wo er in Sicherheit war.

Die Villa der Al-Ismaelis wurde allgemein nur Beit Al-Shamouti, Orangenhaus, genannt. Durch die Gitterstäbe des eisernen Tors war eine dichte Front von Bäumen zu sehen, die Shamouti-Orangen trugen. Im Frühling schwollen die Knospen an ihren Zweigen. Und im Sommer verwandelten sich die kleinen zitronengelben Knollen in das kugelrunde Gold von Jaffa. Wenn die Orangen zu Saft gepresst oder aufgeschnitten und mit Zucker und Rosenwasser besprengt wurden, lag eine bittere Süße in der Luft. Am anderen Ende von Jaffa wurden die Früchte in Papier gewickelt, in Dampfschiffe verladen und in Länder gebracht, von denen Salim nur träumen konnte.

Die Nachbarn tuschelten, dass sich der wulstlippige Said Al-Ismaeli – von seinen Freunden Abu Hassan genannt – ohne seine fünfzehn Dunums großen Orangenhaine südlich der Stadt wohl kaum mehr als einen Schuppen in seinem Garten hätte leisten können. Das war der andere Grund für den Spitznamen des Hauses.

Auf dem Nachhauseweg durch die dämmrigen Straßen dachte Salim über Elia und Masen nach. Früher waren sie alle Freunde gewesen. Doch im letzten Jahr hatte sich alles verändert.

Frère Philippe hatte versucht, es ihnen in der Schule zu erklären. Palästina sollte zwischen den Juden und den Arabern aufgeteilt werden. Die Juden würden die nördliche Küste, Galiläa und die Wüste im Süden bekommen. Die Palästinenser das fruchtbare Westufer des Jordan, die grünen Hügel an der Grenze zum Libanon und den Hafen Gaza im Süden. Jerusalem sollte der ganzen Welt gehören. Da Jaffa im palästinensischen Teil lag, hatten die Juden dem Gesetz nach keinen Zugriff darauf. Salim hatte seinen Lehrer verdattert angestarrt. Wer waren denn diese Leute, die einfach die Häuser anderer Menschen umverteilten?

Beim bloßen Gedanken, jemand könnte ihm seine Bäume wegnehmen, begann seine Haut zu prickeln. Fellah! Wie konnte Masen es wagen, ihn einen Bauern zu nennen? Bauern waren arm und schmutzig und hatten schwielige Hände und schlechte Zähne. Sie arbeiteten zwar auf den Feldern, aber sie gehörten ihnen nicht. Ich bin der Sohn eines Landbesitzers. Ich habe das Recht, die Ernte einzubringen.

Als er letzte Woche in den Hainen gewesen war, hatte er keine Frucht berühren dürfen. Salim sei zu jung, hatte Abu Hassan gesagt – was zu ungehorsam bedeutete. Die Ernte ist eine Arbeit für Männer, nicht für Kinder, hatte er verkündet.

Hassan hingegen durfte immer mit. Abu Hassan hatte seine Freude daran, wie ein richtiger Herr, ein Effendi, den ältesten Sohn durch die Baumreihen zu führen. »Als ob er der Erbe einer großen Sache wäre, nicht nur von ein paar Hektar Staub«, hatte seine Mutter gesagt. Salim war ein zu komplizierter Fall für einen Mann, der Geld, Müßiggang und Kaffee – in dieser Reihenfolge – liebte und den Filastin, die in Jaffa erscheinende Zeitung, nur kaufte, um ihn zusammengefaltet auf den Wohnzimmertisch zu legen.

Deshalb hatte Masens Seitenhieb auch so wehgetan. »Mein Vater ist ein kluger und wichtiger Mann, der die Zusammenhänge durchschaut«, hatte er damit sagen wollen. »Dein Vater mag ein wenig Geld haben, aber er hat den Verstand eines Fellah. Und deshalb wird deine Familie im Regen stehen, falls es zu Kämpfen kommt.«

Salim drehte den Knauf des rückwärtigen Tors und schlüpfte in den Garten. Die Bäume wirkten in der Dämmerung schläfrig, die Luft zwischen ihnen war noch von der Sonne erwärmt.

Es machte ihm Spaß, sie zu zählen, während er den Weg hinauf zur Veranda ging. Jeder Baum hatte eine Geschichte: Der schiefe hier hatte bei einem berüchtigten Wintersturm seine Zweige verloren, stand nun wie ein Bettler am Tor und streckte Gästen klagend einen Arm entgegen. Der dort drüben war ein Rabauke, der seine Äste in die Kronen seiner Nachbarn zwängte, während seine Wurzeln wie Meeresungeheuer aus dem Boden quollen.

Und dann waren da noch die drei kleinsten Bäume, gepflanzt für die Söhne: erst der für Hassan, dann der für Salim und im letzten Jahr auch einer für Rafan.

Hassans Baum hatte für sein Alter eine ansehnliche Größe erreicht. Er war hoch genug, um sich darunterzustellen, und hatte dicke Wurzeln. Da er rasch gewachsen war, hatte Hassan schon mit fünf Jahren die ersten Früchte ernten können. Salim konnte sich an kein Jahr ohne das Ritual erinnern, bei dem er den geflochtenen Korb für seinen älteren Bruder gehalten und den bitteren Duft der frisch gepflückten Orangen geschnuppert hatte.

Salims Baum trug nun seit einem Jahr Früchte. Allerdings hatte sein Vater sie ihn noch nicht ernten lassen, um ihm eine Lektion in Gehorsamkeit zu erteilen. Die Besitzer von Orangenplantagen pflanzen Bäume, wenn ihre Söhne geboren werden, sagten die Fellahin. Doch süß werden die Früchte erst, wenn aus den Jungen Männer geworden sind.

Vielleicht bist du ja deshalb so klein, dachte er traurig und streichelte die Rinde. Der Baum war nur drei Jahre jünger als der von Hassan, aber erst knapp halb so groß. Außerdem neigte sich der Baum nach Westen, dem Sonnenuntergang entgegen. Seine Zweige griffen nach der Mauer, als wollten sie darüberklettern, um zu fliehen.

Dass Salims Baum nicht wachsen wollte, war in der Familie häufig das Thema von Frotzeleien. Besonders Hassan hatte seine Freude daran. »Hoffentlich werden deine Eier mal größer als deine Orangen, Salim«, hänselte er. »Vielleicht verwandelst du dich sonst noch in eine Frau.« Seine Mutter gab dem schlechten Boden die Schuld. Am Tor war er steinig, und außerdem fehlte die Morgensonne. Aber sie verspottete ihn nie dafür, dass er ihn liebte. Er berührte die frische Kerbe, die erst diese Woche hinzugekommen war, und erinnerte sich daran, wie sie bei Kerzenschein zusammen in den Garten geschlichen waren, um durch einen Ritz am Baum seine Körpergröße am siebten Geburtstag zu markieren und im Schein der Sterne Süßigkeiten zu essen.

Als er ankam, saß seine Mutter auf der Veranda und gab Rafan die Brust. Der Himmel hinter ihr verdunkelte sich, und die blauen Schatten ließen ihr Haar schwarz wirken. Sie hatte den Kopf über das Baby gebeugt. Die Meeresbrise verschluckte ihr leises Lied.

Nur Al-Ismaeli war eine atemberaubende Frau. Das erkannte selbst Salim am Getuschel der anderen Jungen und der ehrfürchtigen Haltung der Frères, wenn sie ihn und Hassan zur Schule brachte. Es war ihre distanzierte Art – so still und melancholisch wie eine Statue und gleichzeitig so herablassend wie die an den Felsen gebundene Andromeda. Ihre helle Gesichtsfarbe und ihre olivgrünen Augen waren das Erbe einer adeligen libanesischen Familie, die, in finanzielle Schwierigkeiten geraten, die Jungfräulichkeit ihrer fünfzehnjährigen Tochter für den Gegenwert zweier neuer Autos und einer Pension für ihren Vater an Said Al-Ismaeli verkauft hatte.

Inzwischen, fünfzehn Jahre später und mit drei Kindern, die alle hier geboren waren und aufwuchsen, lebte sie noch immer wie eine Fremde in Palästina. Doch für Salim war sie die Quelle aller Wunder und der Liebe. Er war immer ihr Lieblingskind gewesen – bis das neue Baby kam.

Auf einmal unbeschreiblich müde, stützte er das Kinn auf ihre Schulter. Sie wandte den Kopf, um ihre Stirn an seine zu lehnen. Kurz schloss er die Augen.

»Wo warst du, Ya’Eni?«, fragte sie. Salim war das einzige ihrer Kinder, das sie je mit diesem Kosenamen bedachte, dem Segen einer Mutter, der »Du bist mir wertvoller als meine Augen« bedeutete. Sie drückte das in dem altmodischen förmlichen Arabisch der Imame und Sänger aus – in Worten, die Distanz schufen und sie als Ausländerin brandmarkten. Doch für Salim klangen sie erhaben und weckten Tagträume von Rittern und Königinnen.

»Unterwegs mit Masen, Mama.«

Sie lachte, als Rafan auf ihrem Schoß leise schnaubte. »Ich begreife nicht, was du an diesem Schweinesohn findest.« Salim spürte, wie ihm ein schlechtes Gewissen den Rücken hinaufkroch.

»Ich mag ihn auch nicht. Aber sonst ist ja niemand mehr hier«, rechtfertigte er sich. Das stimmte – viele Menschen hatten Jaffa verlassen und gesagt, sie würden zurückkommen, wenn die »Schwierigkeiten« ausgestanden seien. Salim zögerte und fügte dann hinzu: »Er hat Baba einen Bauern genannt.«

»Aya, dann ist er vielleicht klüger, als ich dachte.« Sie hob den Kopf ins Dämmerlicht und musterte ihn forschend mit aufmerksamen Augen. »Hat es dir etwas ausgemacht?« Salim ließ den Kopf hängen und wagte nicht zu antworten.

»Habibi, mein Liebling«, sagte sie, und er bemerkte, dass ihr Tonfall leicht belustigt war. »Er ist traurig, weil ein Moskito ihn gestochen hat. Es gibt hier so viele, überall schwirren sie herum. Doch wenn der Morgen kommt, Ya’Eni, was geschieht dann mit den Moskitos?« Sie öffnete die leere Hand, und Salim malte sich aus, wie winzige Schatten in der Luft verpufften. »Eines Tages werden die Masens dieser Welt genauso unwichtig für dich sein wie das hier. Du wirst ein größerer Mann sein als sie.«

Ebenso schnell ließ sie die Hand wieder sinken und blickte zum Horizont, wo sich ein fahler Dämmerschein über dem Meer ausbreitete.

»Wenn du wissen willst, was für ein großer Mann Masen einmal werden wird, geh nur rein«, fuhr sie in wegwerfendem Ton fort. »Abu Masen ist da und spricht mit deinem Vater über den Lauf der Welt.«

In der Küche war es dunkel. Das Abendessen stand schon fertig und abgedeckt auf dem Tisch; ein warmer Duft nach Reis, Lamm, Sesampaste und kleinen Päckchen aus gedämpften Kohlblättern. Gleich hinter der Küchentür begann Abu Hassans Reich, ausgestattet mit ausladenden Ledersesseln rings um einen mit Schildpattlack überzogenen Couchtisch.

Durch die Tür konnte Salim das leise, vorwurfsvolle Brummeln seines Vaters und Abu Masens geschliffene Antworten hören. Als er das Wort Juden aufschnappte, schob er die Tür einen Spalt weit auf, um besser lauschen zu können.

»Das kannst du sehen, wie du willst, mein Freund«, sagte Abu Masen. »Aber die Männer, die jetzt gehen, verhalten sich vernünftig. Nimm nur Heikal und Al-Hawari! Heikal ist Jaffas Stadtoberhaupt, und Al-Hawari ist der ranghöchste Soldat. Und sind sie hier? Nein. Sie warten in Beirut und Kairo ab, wie sich die Lage entwickelt. Sie wissen, dass die Briten uns fallen gelassen haben wie eine heiße Kartoffel. Die Juden haben Haifa und Jerusalem eingenommen, ohne dass die Inglisi auch nur einen einzigen Schuss abgegeben hätten. Bald werden sie hier sein. Und dann wird genau das Gleiche passieren wie in Deir Yassin.«

Deir Yassin. Bei diesen Worten überlief es Salim eiskalt. Er hatte Fotos von dem Dorf gesehen, nachdem die Irgun dort gewesen war. Es hieß, die Juden hätten ganze Familien an die Wand gestellt und sie mit Kugeln vollgepumpt.

»Die Juden sind Feiglinge.« Abu Hassan hatte eine heisere Bassstimme. »Haifa und Deir Yassin konnten sich nicht verteidigen. Wir hier haben die Arabische Befreiungsarmee mit mehr als zweitausend Mann.«

»Von den paar Figuren werden sie sich nicht stören lassen. Sie haben die Americani auf ihrer Seite. Und die Vereinten Nationen. Außerdem besitzen sie Gewehre und Artillerie aus Europa. In drei Wochen wird über Palästina das Todesurteil gesprochen. Sobald die Briten fort sind, werden die Juden ihre Flagge hissen und sie auch verteidigen. Oder glaubst du, Ben-Gurion wartet ab, bis wir seine Konvois und Kibbuze überfallen? Darauf, dass die Ägypter und Jordanier in seinem neuen Israel einmarschieren, in unseren Städten Posten beziehen und dann nach Jerusalem vorrücken, um ihn zu vernichten? Nein, das werden die Juden nicht riskieren, darauf gehe ich jede Wette ein. Sie werden zuerst angreifen und alles an sich reißen, was sie kriegen können. Haifa ist verloren. Wir sind die Nächsten. Erinnerst du dich an den Vorfall auf dem Clock Tower Square? Unser Schicksal kümmert die nicht. Vielleicht sollten wir uns aus dem Staub machen, bis unsere Freunde über die Grenze kommen, um uns zu helfen.«

Aus dem Staub machen?, dachte Salim, während sein Vater erwiderte: »Warum sollte ich wegen der Yehudim mein eigenes Haus verlassen? Sollen die arabischen Armeen doch ringsherum kämpfen.«

Im nächsten Moment stieß Salim einen Schreckensschrei aus, denn eine Hand legte sich über seine Augen und eine zweite über seinen Mund.

Das Kichern hinter ihm verriet ihm, dass es Hassan war. Er wurde kräftig in die Wange gekniffen. »Was soll das, ya Salimo? Lauschst du schon wieder an Türen? Soll ich es Baba erzählen, oder gibst du mir Schweigegeld?«

Panisch drehte Salim sich um und versuchte, sich aus Hassans Griff zu befreien. Ein rudernder Arm traf Hassan an der Wange. Der Junge hörte auf zu lachen und fing stattdessen zu schreien an: »Baba, Baba!«

Das Gespräch verstummte. Schritte näherten sich, und dann wurde die Tür aufgerissen. Da Hassan ihn noch immer fest im Schwitzkasten hielt, konnte Salim nur die runden Wangen und die eingesunkenen Augen seines Vaters über dem weißen Hemd und dem Halstuch sehen, die ihn finster betrachteten.

»Er hat mich gehauen, Baba«, keuchte Hassan. »Er hat an der Tür gelauscht, und als ich ihn daran hindern wollte, hat er mich gehauen.«

Die Unverfrorenheit verschlug Salim den Atem, und die Worte sprudelten aus ihm hervor, ehe er sie zurückdrängen konnte. »Du Lügner!«, brüllte er. »Du verlogener Sohn eines Schweins!«

Als Hassans Augen sich vor Schreck weiteten, wurde Salim klar, was er gerade gesagt hatte. Im nächsten Moment sauste Abu Hassans beringte Hand durch die Luft auf ihn zu und ohrfeigte ihn so heftig, dass er sich auf die Lippe biss. Speichel und Blut mischten sich mit den Tränen, die ihm über die Wange liefen.

Er blickte zu seinem Vater hinauf und sah die vorgeschobene Unterlippe. Dieselbe starrsinnige Unterlippe, über die letzte Woche das Nein zur Ernte, das Nein zum Orangenbaum und das Nein zum Vorschlag seiner Mutter gekommen waren, für ihn eine Geburtstagsfeier zu veranstalten, wie sie bei den britischen Kindern stattfand. Und er hörte sich selbst sagen: »Hoffentlich kommen die Juden und schmeißen dich raus.« Dann rannte er schluchzend die Treppe hinauf in sein Zimmer und knallte die Tür zu.

Allmählich beruhigte er sich, und die Geräusche jenseits seiner Tür waren wieder zu hören. Das Abendessen, das ohne ihn eingenommen wurde. Die Stimmen seiner Mutter und seines Vaters, erhoben zum allabendlichen Streit. Heute ging es um die Perlenkette, die Rafan zerrissen hatte und deren Reparatur laut Baba zu teuer geworden wäre. »Glaubst du, du hättest einen reichen Mann geheiratet?«, polterte er in seinem heiseren Bass. »Genügt es dir denn nicht, dass ich von diesen Libanesen ausgeplündert worden bin, als ich dich zur Frau genommen habe? Willst du das Werk für sie vollenden?« Und dann: »Wenn du herumlaufen willst wie eine Beiruter Hure, geh doch dorthin zurück. Ich werde dich nicht daran hindern.« Worauf ihre kalte Antwort folgte: »In Beirut führen sogar die Huren ein besseres Leben als ich.« Salim zog sich das Kissen über den Kopf.

Nach dem Essen öffnete sich quietschend die Tür, und er hörte leise Schritte. Eine Stimme flüsterte: »Hey, Salim, Baba sagt, du musst ohne Abendessen ins Bett, aber ich habe dir einen Teller gebracht.« Es war ein zerknirschter Hassan. Salim drehte sich zu ihm um, antwortete jedoch nicht.

»Mein Gott, es war doch nur ein Scherz, Salim. Du nimmst immer alles so ernst, du Dummerchen. Aber warum musst du den Alten immer wieder ärgern? Du weißt doch, wie er ist.« Verlegen streckte er die Hand aus und zauste Salim das Haar.

Nachdem Hassan fort war, versuchte Salim, das Essen nicht zu beachten. Aber ihm knurrte so sehr der Magen, dass er schließlich den Teller zu sich heranzog, alles in sich hineinstopfte und wütend hinunterschlang.

Die Gedanken in seinem Kopf verknoteten sich wie Schlangen. Es war alles so entsetzlich ungerecht. Hassans stolzer Tag bei der Ernte, die Geburt von Rafan, der nun die Zeit und die Arme seiner Mutter beanspruchte. Und er, Salim, war weder ein Mann, den man achtete, noch ein Kleinkind, das mit Liebe überschüttet wurde. Als Nächstes fielen ihm wieder Abu Masens Worte ein und glitten ihm, kalt wie Eis und nach Furcht schmeckend, die heiße Kehle hinab. Warum würden die Juden demnächst hierherkommen? Warum würden sie ihr Zuhause verlassen müssen? Es wird genau das Gleiche passieren wie in Deir Yassin. Die Berichte über das Massaker hatten sich wie ein Lauffeuer in Palästina verbreitet – fünfzig Tote, einhundert, zweihundert. Der Reis in seinem Mund war so körnig wie Staub, und er hörte Frauen schreien – Omar! Omar!

Er schob den Teller weg, legte sich wieder hin und zog sich die Decke über den Kopf. Noch eine Stunde war vergangen, als er wieder das Klicken des Türknaufs hörte. Diesmal spürte Salim eine kühle Hand, die sich ihm auf die Stirn legte, und der beruhigende Duft des Parfüms seiner Mutter stieg ihm in die Nase. Er lag so reglos da wie möglich, voller Angst, er könnte wollen, dass sie wieder ging, wenn er nur ein Wort sagte.

Lange herrschte Schweigen. Doch schließlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. »Es ist nicht meine Schuld, Mama«, flüsterte er. »Baba hasst mich.«

»Hass?« Ihr Gesicht wirkte in der Dunkelheit wie eine weiße Wand. »Du weißt noch gar nicht, was Hass ist, Ya’Eni.«

»Warum darf Hassan wieder in die Orangenhaine und ich nicht? Es ist so ungerecht.«

»Was ist im Leben schon gerecht?«, erwiderte sie mit leiser Stimme. »Nicht einmal Gott ist gerecht. Es gibt zwar dumme Menschen, die etwas anderes behaupten, aber du wirst es noch lernen, Salim. Wenn ein Mann etwas will, muss er seinen eigenen Weg finden.«

»Ich will die Ernte einbringen«, verkündete er und setzte sich auf. »Ich habe ein Recht darauf. Ich bin jetzt an der Reihe.«

Sie lachte leise auf. »Also willst du auch ein Fellah sein, mein kluger Junge?« Das Wort beschämte ihn genauso wie aus Masens Mund.

»Ich bin kein Fellah«, protestierte er heftig. »Aber die Bäume gehören mir genauso wie Hassan. Und jetzt bin ich sieben. Ich bin an der Reihe. Das haben du und Baba mir versprochen.«

Als sie sein Kinn mit der Hand umfasste, waren ihre Finger so glatt wie Marmor. »Nun, Effendi, da gibt es etwas, wofür wir Gott danken können. Er hat dir eine kluge Mutter geschenkt – wallah, genauso klug wie ihr Sohn. Jedenfalls zu klug für deinen Baba. Wir haben heute Abend miteinander geredet, nachdem die Shisha ihn ein wenig beruhigt hatte. Komm morgen früh nach unten, und küss ihm die Hand. Dann kriegst du deine Ernte. Das ist dein Geburtstagsgeschenk, Ya’Eni.«

Er umklammerte den Rand des Kissens. Die plötzliche Freude überkam ihn so heftig, dass sie ihm den Atem verschlug wie eine kalte Welle am Strand. Er schlang ihr die Arme um den Hals, und die Worte Mama, Mama stiegen ihm in der Kehle auf. Doch er schluckte sie hinunter, nur für den Fall, dass sie ihn hätten zum Weinen bringen können wie ein Baby.

Sie drückte ihn an sich. »Keine Angst, Ya’Eni«, sagte sie leise, und ihr Atem streifte warm sein Haar. Aber im nächsten Moment veränderte sich etwas – sie machte sich los und schob ihn zurück aufs Bett. »Bukra, Inschallah«, fügte sie hinzu und drehte sich zur Tür um. Morgen, wenn Gott will.

»Morgen«, erwiderte er und spürte wieder das vertraute Ziehen in der Brust.

Als sie sich über ihn beugte, um ihn auf die Wange zu küssen, fiel ihm in letzter Minute noch etwas Schreckliches ein.

»Mama«, sagte er drängend. »Wie ist das mit den Juden? Werden sie hierherkommen?«

Sie blieb auf der Schwelle stehen. Das Licht auf dem Flur tauchte sie in einen sanften Schein. »Wie kommst du darauf?«

»Abu Masen hat darüber geredet. Und Masen auch und die Frères. Wird es werden wie in Deir Yassin? Warum haben sie das gemacht?«

Als sie schwieg, befürchtete er schon, sie verärgert zu haben. Doch schließlich antwortete sie, ein Wort nach dem anderen, als müsse sie jedes einzelne aus einem Brunnen nach oben holen.

»Alle hier sind Träumer, Salim«, sagte sie. »Die Juden träumen von einer Heimat, die Araber davon, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Dein Vater träumt vom Reichtum. Sogar ich träume.« Seufzend wandte sie sich ab. »Und wenn die Träume wichtiger werden als das Leben, ist man bereit, alles zu tun, damit sie in Erfüllung gehen.«

Er lag reglos da, das Kissen noch immer fest umklammert, die Brust noch leicht vom Glück. Wenn sie von Träumen sprach, konnte er nur an die Bäume im Garten denken.

Sie wandte sich zum Gehen, doch er spürte, dass sie zögerte. Ihre Hand berührte sein Gesicht.

»Salim, wenn dich jemand einen Bauern nennt, streite es nicht ab«, meinte sie. »Die Fellahin sind die einzigen aufrichtigen Männer in Palästina. Sie sind es, die dieses Land wirklich besitzen – nicht die Juden oder die A’yan. Sie haben es mit ihrem Schweiß und ihren Händen bearbeitet. Sie hätten es gerettet, wenn sie gekonnt hätten. Doch sie wurden betrogen. Verstehst du das?«

Salim nickte, fest entschlossen, sie nicht zu enttäuschen. In Wahrheit jedoch waren ihre Worte so verwirrend wie ein Lied, sorgten dafür, dass er sich ratlos und erschöpft fühlte, und schlugen ihn dennoch in ihren Bann.

Sie nahm die Hand von seiner Wange. »Schlaf jetzt«, sagte sie. Doch nachdem sie fort war, lag Salim noch lange wach, bis der Tag schließlich im Brunnen der Müdigkeit versank und ihm die Augen zufielen.

*

»Jeder Jude kann eine Geschichte erzählen, die sein Leben in einen Zusammenhang mit der Staatsgründung stellt«, pflegte Rebecca immer zu sagen. »Wo genau er gewesen ist, als Israel geboren wurde. Und du, Judit, bist die Geschichte deiner Mutter.«

»Ich will aber keine Kriegsgeschichte sein.«

»Du bist deine eigene Geschichte, Mamele. Die nur dir allein gehört. Daran, was du für andere Menschen bist, kannst du nichts ändern.«

»Ich habe Tage gebraucht, bis sie endlich kam«, erzählte Dora jedes Mal, wenn sie sich an der Schul in der Ryhope Road wieder um das Thema Palästinakrieg zankten wie Hunde um einen Knochen. Ihr Finger bebte in der Luft, als wollte sie ein Symphonieorchester ihres persönlichen Leids dirigieren. »Sie kam sehr spät, weil ich mir solche Sorgen machte, denn ihr Onkel war in der Armee, wisst ihr, in Jaffa und in Haifa. Tag und Nacht hörten wir BBC, weil all die Meschungóim, diese verdammten Araber, gedroht hatten, uns ins Meer zu werfen.«

Es hatte sich folgendermaßen abgespielt: Gerade hatten sie ihr Bekleidungsgeschäft Gold’s Fashion geschlossen und waren auf der Heimfahrt, als Dora die erste Schmerzwelle spürte, die sie traf wie der Tritt eines Pferdes. Sie packte Jack am Arm, der das Lenkrad hielt. »Halt an, du Idiot, es ist so weit!«

Eine halbe Stunde später taumelten sie ins Sunderland Royal Hospital, wo Dora in der Akte des Gynäkologen als D. Gold, ältere Primigravida – Risikogeburt vermerkt wurde. Die Hebamme vergewisserte sich, dass der diensthabende Arzt nüchtern war, wechselte den Kittel und richtete sich darauf ein, die Patientin zu beruhigen.

Doch es war alles vergebens. Doras Wehen wurden schwächer, und die Fruchtblase wollte einfach nicht platzen, sosehr der Arzt auch bohrte und stocherte. Nach zwei Tagen im grellen Schein der Krankenhausbeleuchtung wurde endlich entschieden, das Baby zu holen.

Jack bezeichnete Judiths Geburt als »das Wunder des sicheren Autofahrens«. Dora hingegen schob es auf das Wirken einer höheren Macht und nahm es gewissermaßen als Zeichen, dass mit der Geburt ihrer Tochter um Haaresbreite eine Katastrophe verhindert worden war. Das war der Preis, den sie bezahlt hatte, um als Normalbürgerin die gewaltige Bühne des jüdischen Leids betreten zu dürfen: achtundvierzig Stunden Wehen, bis sie nur noch »Herrgott noch mal, jetzt holt es endlich raus!« geschrien hatte. Blut und Wunden hätten für ein ganzes Schlachtfeld genügt, und zu guter Letzt wurde ein winziges, geschwächtes Mädchen geboren, das nach Luft rang, während der neue Staat Israel gerade den ersten Atemzug tat.

Judith bezog ein Zimmer, in dem bereits Gertie lebte, ein zartes Geschöpf von sechzehn Jahren. »Nicht deine leibliche Schwester«, erklärte Großmutter Rebecca einmal, »aber trotzdem ein Kind Gottes.« Ihre ersten Erinnerungen handelten von Gertie, die nachts neben ihr lag und weinte. Die Melodie dieses Weinens durchzog ihre Kindheit wie ein hellblauer Fluss, schlich sich in ihre Träume und füllte sie mit Trauer. Dann, eines Tages, fand sie ein Foto unter Gerties Kissen: eine andere Familie – zwei steif posierende Mädchen mit einem kleinen Jungen im Arm. Gertrude, Esther und Daniel Kraus, Wien 1939, hieß es auf der Rückseite.

In Judiths Geburtsurkunde, von Jack mit zitternder Hand ausgefüllt, stand Judit Rebecca Gold. Dora hatte auf Judit bestanden. Es war der Name ihrer Mutter gewesen, die schon zu Anfang des Kriegs in Budapest gestorben war und immer noch leidenschaftlich betrauert wurde. Doras Jugend hatte von Judits gewimmelt, sodass sie nie auf den Gedanken gekommen war, wie dieser Name außerhalb der eingeschworenen jüdischen Gemeinde von Sunderland wirken würde; in einem durchschnittlichen englischen Klassenzimmer, wo Charlottes und Victorias saßen. Sie wäre entsetzt gewesen, wenn sie je von dem verräterischen Akt erfahren hätte, in dem ihre Tochter kurz nach ihrem fünften Geburtstag heimlich ein »h« an ihren Namen angehängt hatte.

»Es klingt komisch, Bubbe«, hatte Judith auf dem Heimweg vom Kindergarten zu Rebecca gesagt und den Blondschopf hängen lassen. »Die anderen lachen mich aus. Warum kann ich keinen anderen Namen haben? Fragst du Mummy für mich?«

»Oh, Mamele«, erwiderte Rebecca, und ihre sommersprossige Hand tätschelte ein Patschhändchen. »Eines Tages, wenn du älter bist, kannst du dir selbst einen Namen aussuchen, so wie Papa es getan hat und ich auch. Doch solange wir klein sind, haben wir die Namen, die unsere Eltern uns gegeben haben. Es sind unsere Babynamen, die zeigen, dass unsere Mamas und Papas uns lieben und immer in ihren Herzen bewahren.«

»Aber warum ausgerechnet so ein komischer Name? Dein Name ist doch auch nicht komisch. Und der von Tony genauso wenig.« Anthony, ihr wohlhabender Cousin, wurde sehr beneidet und war häufig Gesprächsthema im Hause Gold.

»Deine Mama hat dich nach ihrer Mama benannt, weil sie dich so liebt, wie ihre Mama sie geliebt hat. Wir bewahren das Andenken an geliebte Menschen, indem wir sie in unseren Kindern am Leben erhalten. Deshalb hat dein Papa dir auch meinen Namen gegeben, damit du dich an mich erinnern und ein kleines Stück von mir am Leben erhalten kannst, wenn ich einmal nicht mehr bin.«