8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Eine dunkle Liebe, die zum tödlichen Verhängnis wird
Die schöne Vampirin Jaelyn darf als Jägerin niemals ihren Gefühlen nachgeben. Sie ist bekannt für ihre Willensstärke – bis sie Ariyal, einem Mann aus dem verfeindeten Elfenvolk, begegnet und gefährliche Leidenschaft von ihr Besitz ergreift. Als eine schreckliche Prophezeiung die Dämonenwelt zu vernichten droht, beginnt sich zu zeigen, was die schicksalhafte Begegnung zwischen Jaelyn und Ariyal bringt: Rettung oder Verderben …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 534
Alexandra Ivy
DER DUNKELHEIT
VERSPROCHEN
Roman
Aus dem Englischen von Kim Kerry
Das Buch
Das mächtige Elfenvolk der Sylvermyst ist seit Jahrhunderten mit den Vampiren verfeindet, aber nun braucht der Elfenprinz Ariyal die Hilfe der Vampirin und Jägerin Jaelyn. Doch diese hat den Auftrag, den Sylvermist an die mächtige Kommission auszuliefern. Um dies zu verhindern, entführt Ariyal die Vampirin kurzerhand. Denn er hat eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Er muss einen abtrünnigen Clanbruder finden, der zusammen mit dem Zauberer Sergei den Fürsten der Finsternis wiederauferstehen lassen und damit die dunklen Mächte in die Dämonenwelt zurückholen will. Die Lage, in die Jaelyn gerät, erweist sich als besonders gefährlich für sie, denn sie kann ihre Leidenschaft für Ariyal nur schwer kontrollieren: Sie ist eine Jägerin und darf unter keinen Umständen ihren Gefühlen nachgeben – andernfalls droht ihr eine schreckliche Strafe.Als ein mächtiges Orakel ihr den Auftrag gibt,Ariyal trotzdem zur Seite zu stehen, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Und es steht mehr auf dem Spiel als ein einzelnes Leben: Können Jaelyn undAriyal die Welt vor dem Untergang bewahren?
Die Autorin
Unter dem Pseudonym Alexandra Ivy veröffentlicht die bekannte Regency-Liebesroman-Autorin Deborah Raleigh ihre Vampirromane. Der Dunkelheit versprochen ist der achte Band ihrer international erfolgreichen Guardians of Eternity-Reihe, mit der die Autorin regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste vertreten ist. Im Diana Verlag sind bisher erschienen: Der Nacht ergeben, Der Kuss des Blutes, Nur ein einziger Biss, Im Bann der Nacht, Im Rausch der Dunkelheit, Wächterin des Blutes sowie Fesseln der Finsternis. Alexandra Ivy ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Missouri.
»Fleisch von Fleisch, Blut von Blut, gebunden in Finsternis.
Alpha und Omega sollen auseinandergerissen
und durch den Nebel wieder vereint werden.
Wege, die verborgen waren, werden gefunden werden,
und der Schleier für die Gläubigen geteilt.
Die Zwillinge werden aufsteigen, und
das Chaos wird bis in alle Ewigkeit herrschen.«
Prophezeiung der Sylvermyst
Santiagos Club, auf dem Mississippi gelegen,
genau in der Mitte zwischen Chicago und St. Louis
Es war niemals von Mutter Natur vorgesehen, dass Vampire und Werwölfe in Frieden miteinander leben. Und man konnte verdammt sicher davon ausgehen, dass sie niemals den Plan verfolgt hatte, die beiden eine Art Du-bist-mein-bester-Kumpel-Männerfreundschaft genießen zu lassen, wie sie im Augenblick bei den Menschen so hoch im Kurs war. Das war auch verdammt gut so, wenn man bedachte, dass die beiden räuberischen Spezies dazu neigten, schon in mörderischen Zorn zu geraten, selbst wenn sie sich einfach nur in demselben Territorium aufhielten.
Doch das drohende Ende der Welt sorgte wahrhaftig für seltsame Bündnisse. Angesichts der möglichen Rückkehr des Fürsten der Finsternis aus der Höllendimension, wohin er vor Jahrhunderten verbannt worden war, blieb weder dem Anasso der Vampire noch dem König der Werwölfe eine andere Wahl, als wenigstens versuchsweise zusammenzuarbeiten.
Nun, der Ausdruck »zusammenarbeiten« war wohl doch eine sehr wohlwollende Beschreibung ihres unsicheren Waffenstillstandes, dachte Styx. Seine zwei Meter hohe Gestalt lehnte am Schreibtisch aus Walnussholz, der in dem Büro seines Vampirkameraden Santiago stand. Er trug sein übliches Ensemble aus schwarzer Lederhose, Springerstiefeln und einem Seidenhemd, das über seinen gewaltigen Schultern spannte. Seine äußere Erscheinung wies ihn als genau das aus, was er auch war: den harten Anführer der Vampirclans. Aber es waren die grimmige Macht, die in der aztekischen Schönheit seines Gesichtes lag, und die unbarmherzige Intelligenz in seinen dunklen Augen, die erfahrene Dämonen dazu brachte, vor Furcht zu erschauern. Styx war mehr als ein überdimensionaler Tyrann. Er war gleichzeitig gerissen, geduldig und imstande, Kompromisse einzugehen, falls es notwendig war.
Und das war auch der einzige Grund, weshalb er sich im gleichen Raum mit einem Hund aufhielt.
Der zierliche Türkisschmuck, welcher in seinen beinahe bis zu den Kniekehlen reichenden Zopf eingeflochten war, klimperte, als er trübselig den Kopf schüttelte, während er den anderen Mann nicht aus den Augen ließ.
So ungern er es sich auch eingestand, Salvatore passte weitaus besser in das elegante Büro – mit dem schiefergrauen Teppich und den museumsreifen Gemälden französischer Impressionisten, die an den getäfelten Wänden hingen und sorgfältig durch gläserne Schaukästen geschützt wurden – als er selbst.
Diesem Bastard gelang es doch stets, vom Scheitel bis zur Sohle wie ein König auszusehen, mit dem dunklen zum Zopf gefassten Haar und dem muskulösen Körper, der in einem schwarzgrauen Anzug steckte, welcher zweifelsohne mehr gekostet hatte, als das Bruttonationaleinkommen mehrerer kleiner Länder betrug. Und trotzdem lag, wie auch bei Styx, in Salvatores dunklen, lateinamerikanischen Gesichtszügen und seinen goldenen Augen eine unverkennbare, schonungslose Autorität.
Er herrschte über eine wilde Rasse, die einen schwachen König im wahrsten Sinne des Wortes zerfetzen und auffressen würde.
Der Werwolf hielt inne, um die Reihe der Hightechmonitore und die beeindruckende Überwachungsausrüstung zu studieren. Sein Blick ruhte auf dem Monitor, auf dem ein Paar beinahe identisch aussehender Werwölfinnen mit blondem Haar und grünen Augen zu sehen war, die mehrere Stockwerke unter ihnen an einem Tisch saßen.
»Seid Ihr wirklich sicher, dass dieser Ort genügend Sicherheit bietet?«
Styx schnaubte. Die Tatsache, dass er mit der Werwolfschwester von Salvatores Gefährtin verbunden war, trug nicht gerade dazu bei, die Anspannung zu verringern, die zwischen ihm und Salvatore herrschte. Nicht, nachdem dieser Bastard alles darangesetzt hatte, um Darcy aus Styx’ Obhut zu entführen.
Allerdings konnte er Salvatores Notlage in einem geringen – einem sehr geringen – Maße nachfühlen. Damals waren seine Werwölfe vom Aussterben bedroht, und er hatte beim Versuch, sein Volk zu retten, vier weibliche Werwolfwelpen genetisch verändert. Nachdem diese geraubt worden waren, hatte der König sich geschworen, sie zurückzuholen. Wie sein Unglück es jedoch wollte, entschieden sich sowohl Darcy als auch Regan, sich mit Vampiren zu verbinden. Aber seine Frustration und sein Zorn hatten nachgelassen, als er die dritte Schwester gefunden hatte, Harley. Dieser war es gelungen, die uralten Paarungstriebe zurückzubringen, die den Werwölfen seit Jahrhunderten versagt gewesen waren.
»Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass Santiago sich nicht in der Nähe aufhält«, entgegnete er warnend. Obgleich dieser Club, der auf die Dämonen abzielte, die über die ländliche Gegend von Illinois verstreut waren, eigentlich Viper gehörte, dem Clanchef von Chicago, war er Santiagos ganzer Stolz. »Er würde Euren Mangel an Vertrauen in seine Sicherheitsmaßnahmen als persönliche Kränkung auffassen. Und ein unglücklicher Vampir bedeutet niemals etwas Gutes.«
»Ich könnte dasselbe über einen glücklichen Vampir behaupten«, erwiderte Salvatore gedehnt und wandte sich um, um Styx ein spöttisches Lächeln zuzuwerfen.
»Ihr wart derjenige, der um diese Zusammenkunft gebeten hat.«
Der Hund zuckte mit den Achseln. »Harley vermisst ihre Schwester.«
Styx glaubte ihm aufs Wort. Obgleich nur drei Wochen vergangen waren, seit Salvatore und Harley Chicago verlassen hatten und nach St. Louis abgereist waren, war das Band zwischen den beiden Schwestern sehr eng geworden, seit sie wieder vereint waren. Aber er war sich auch sicher, dass er nicht aufgrund seiner sprühenden Persönlichkeit hergebeten worden war.
»Und die Wiedervereinigung unserer Gefährtinnen bietet uns die Möglichkeit, uns zu besprechen, ohne die gesamte Welt auf unsere Zusammenkunft aufmerksam zu machen?«
Salvatore zuckte mit den Schultern. »Ich ziehe es vor, keine lästige Neugierde zu wecken.«
»Ihr habt Neuigkeiten?«
»Nein, ich habe lediglich einige Fragen.«
»Verdammt.« Styx verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich befürchtete bereits, dass Ihr das sagen würdet. Was wollt Ihr wissen?«
»Ist es Euren Raben gelungen, Caine und Kassandra aufzuspüren?«
Styx’ Körper spannte sich an, als er die unerwartete Frage vernahm. Es war kein Geheimnis, dass es sich bei Kassandra um die letzte der vermissten Werwolfschwestern handelte, die unerwarteterweise in den Höhlen eines Dämonenlords aufgespürt worden war. Sie befand sich nun mit einer männlichen Wolfstöle auf der Flucht, die bei der Rettung der Frau auf magische Weise in einen reinblütigen Werwolf verwandelt worden war. Die Handlungen seiner persönlichen Leibwache jedoch waren geheim.
»Was lässt Euch annehmen, dass ich nach ihnen suche?«
Salvatore zog spöttisch eine Augenbraue hoch. »Dass ich gut aussehe, bedeutet nicht, dass ich dumm bin.«
»Allerdings bedeutet es, dass Ihr eine Nervensäge seid.«
»Seid Ihr neidisch?«
Styx zog die Lippen zurück, wodurch seine riesigen Fangzähne sichtbar wurden. »Eher zunehmend hungrig.«
Gefahr lag prickelnd in der Luft, als die Macht der beiden Alphatiere erwachte. Der eisige Luftstoß des Vampirs prallte gegen die rohe Hitze des Werwolfes. Falls die Macht beider Männer freigesetzt würde, hätte dies eine heftige Explosion zur Folge.
Dann bändigte Salvatore mit einem leisen Knurren seinen inneren Wolf und zeigte erneut sein spöttisches Lächeln.
»Ich weiß, dass Darcy ungeduldig darauf wartet, ihre verschollene Schwester kennenzulernen, und da die Dämonenwelt sehr wohl weiß, dass sie Euch mit Leichtigkeit um den Finger wickeln kann, ging ich logischerweise davon aus, dass Ihr Eure Schläger auf die Suche nach ihr ausgesandt hättet.«
Styx nickte nachdenklich und nahm zugunsten von Salvatore an, dass dieser lediglich eine berechtigte Vermutung ausgesprochen hatte. Er war zwar bereit, mit den Werwölfen zu kooperieren, um das Ende der Welt zu verhindern, doch er wollte verdammt sein, wenn diese verlausten Bastarde Spione in sein Lager schickten.
»Ebenso, wie Ihr Eure Hunde freigelassen habt?«, verlangte er zu wissen.
Eine kurze Pause trat ein, bevor Salvatore widerwillig mit dem Kopf nickte. Er war ebenso wenig glücklich darüber wie Styx, persönliche Informationen preisgeben zu müssen.
»Ich gebe zu, dass ich Fess und einige meiner bewährtesten Leute zu einer Unterredung mit Caine ausgeschickt habe.«
»Und?«
»Und sie behaupten, er und Kassandra hätten sich in Luft aufgelöst.« Das schmale Gesicht verhärtete sich. »Wenn ich nicht wüsste, dass es sich bei ihnen um die besten Spurenleser handelt, die es gibt, hätte ich sie häuten lassen – dafür, dass sie entweder inkompetent sind oder lügen.«
»Und Ihr wollt wissen, ob meine Raben mehr Erfolg hatten?«
»Ja.«
»Fess spricht die Wahrheit«, räumte Styx ein, womit er sich auf den Mann bezog, der als Salvatores rechte Hand fungierte. »Jagr war imstande, Caine bis zu einem Versteck außerhalb Chicagos zu verfolgen. Obgleich er das Haus aufgrund der Zauber nicht betreten konnte, mit denen die Wolfstöle das Gelände schützen ließ, deuten sämtliche Zeichen darauf, dass sie einfach verschwunden sind.«
Salvatore fluchte. Er machte sich nicht die Mühe, Styx mit dummen Fragen zu behelligen. Jagr war Styx’ bester Rabe, und wenn dieser behauptet hatte, dass die Spur dort endete, dann endete sie tatsächlich dort.
»Magie?«, fragte er stattdessen.
»Die Spur war zu kalt, als dass man das mit Sicherheit sagen könnte.«
Salvatore begann erneut, das Zimmer mit großen Schritten zu durchqueren. »Verdammt.«
»Ich nehme an, dass Harley über diese Neuigkeit nicht erfreut sein wird«, meinte Styx spöttisch. Er freute sich, Salvatore spüren lassen zu können, dass dieser der Gnade seiner Gefährtin ebenso ausgeliefert war wie er selbst.
»Nicht erfreuter als Darcy.« Der Werwolf schüttelte den Kopf. Sein Körper war angespannt. »Aber es geht nicht nur darum, Kassandra zu ihren Schwestern zurückzubringen. Oder auch darum, was in drei Teufels Namen Caine von einer räudigen Wolfstöle in einen Rassewolf verwandelt hat.«
»Was beunruhigt Euch denn?«
»Was sollte mich nicht beunruhigen?« Salvatores humorloses Lachen hallte durch das Büro. »Scheußliche Kreaturen, von denen wir annahmen, dass sie auf ewig aus der Welt verschwunden sein würden, kriechen nun aus ihren Löchern.« Der Werwolf funkelte Styx wütend an, als sei es einzig und allein dessen Schuld, dass die Straßen plötzlich von Dämonen wimmelten, die eigentlich verbannt sein sollten. Einschließlich der verdammten Sylvermyst, der bösartigen Verwandten des Feenvolkes, die ihren großen Auftritt erst vor wenigen Wochen gehabt und prompt dafür gesorgt hatten, dass die Rettung von Laylah und ihrem Kind durch Tane misslungen war. »Und es scheint, als gebe es jede Woche einen neuen Plan, den Fürsten der Finsternis zurückzubringen.«
Styx stieß sich vom Schreibtisch ab. Wilder Zorn durchfuhr ihn. »Manch einer kommt seinem Ziel gefährlich nahe.«
»Ganz genau.« Salvatore gestikulierte mit seiner schlanken Hand. »Und wir haben die Säuglinge, die angeblich irgendeine dumme mysteriöse Prophezeiung erfüllen.«
Der Wortlaut der Vorhersage kam Styx in den Sinn. Er hatte die vergangenen Wochen damit verbracht, alles, was nur irgend möglich war, über diese Prophezeiung herauszufinden. Und vor allem hatte er versucht herauszufinden, was zum Teufel sie wohl bedeuten mochte.
»Seid nicht so geringschätzig, Werwolf«, knurrte er. »Ich bin alt genug, um die Gefahren zu kennen, wenn derart eindringliche Warnungen ignoriert werden.«
»Glaubt mir, Blutsauger, ich bin nicht geringschätzig.« In den goldenen Augen glühte mit einem Mal Salvatores innerer Wolf. »Nicht, nachdem es diesem Dämonenlord beinahe gelungen wäre, mein Volk zu vernichten. Sämtliche Omen deuten darauf hin, dass die Barriere zwischen den Dimensionen abnimmt. Und genau das ist der Grund, weshalb ich so besorgt um Kassandra bin.«
Styx verzog die Lippen, als ihm bewusst wurde, dass Salvatores Gedanken den gleichen Gang nahmen wie seine eigenen. Und dass sie die Werwölfin aus demselben Grund verfolgten.
Ein Werwolf mit Verstand. Zum Teufel, die Welt verfiel wahrhaft dem Irrsinn.
»Da sie eine Prophetin ist.« Das war eine Aussage, keine Frage.
Salvatore neigte zustimmend den Kopf. »Die erste wahrhaftige Prophetin seit Jahrhunderten. Ihr Verschwinden zu dieser Zeit kann kein Zufall sein.«
»Nein.« Styx ballte seine Hände zu Fäusten. Die Auswirkungen ihrer Abwesenheit verursachten ihm bereits Albträume. »Sie wäre eine unbezahlbare Waffe für jeden, der Zugang zu ihren Kräften hätte.«
»Wir benötigen Eure Jägerin. Sie ist die Einzige, die über die Fähigkeiten verfügt, Kassandra zu finden.«
Styx fauchte bei der Erwähnung der verschollenen Vampirin. Trotz ihrer Jugend war Jaelyn die beste Jägerin, die im vergangenen Jahrhundert ausgebildet worden war. Unglücklicherweise war sie vor drei Wochen von Ariyal entführt worden, einem Sylvermyst-Prinzen.
Verdammt sollte sein schwarzes Herz sein.
»Jaelyn ist noch immer verschwunden.«
»Der Sylvermyst?«
»Das ist unsere Vermutung, doch wir wissen es nicht mit Sicherheit.«
Beide schwiegen und fanden sich im Stillen mit der Möglichkeit ab, dass Jaelyn tot war. Nur ein weiterer Todesfall in dem immer gefährlicher werdenden Krieg.
Salvatore trat auf Styx zu. Seine Züge waren ganz hart vor Sorge.
»Etwas Gefährliches kommt auf uns zu, Vampir«, sagte er warnend, »und wir sollten besser darauf vorbereitet sein.«
Styx nickte. Im Augenblick waren sie ausnahmsweise einmal vollkommen einer Meinung.
»Ja.«
Morgana le Fay mochte tot sein, aber ihr luxuriöser Palast auf der Insel Avalon war noch immer unversehrt.
Na ja, nicht ganz unversehrt.
Mehr als ein Raum war vollkommen ruiniert. Und der große Thronsaal war völlig zerstört worden, doch die riesigen Harems waren während Morganas letzter großer Schlacht zum großen Teil unbeschädigt geblieben.
Es war eine verdammte Schande.
Nicht nur, weil die riesigen Räume, die mit Mosaikfliesen, Marmorbrunnen und Kuppeldächern ausgestattet waren, wirkten, als wären sie aus einem schlechten »1001 Nacht«-Film entsprungen, sondern auch, weil Ariyal so viele Jahrhunderte als Sklave in dem Harem verbracht hatte, dass er sich eigentlich nicht daran erinnern wollte, wie viele das genau waren.
Es war ein gut gehütetes Geheimnis gewesen, dass eine Handvoll Sylvermyst, die bösen Verwandten des Feenvolkes, sich von ihrem Herrn und Meister, dem Fürsten der Finsternis, abgewandt hatten. Sie hatten mit Morgana le Fay ausgehandelt, dass diese sie inmitten der Nebel von Avalon versteckte. Als Gegenleistung mussten sie ihre unersättliche Gier nach Männern und Schmerzen befriedigen.
Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.
Unglücklicherweise war Ariyal ein Liebling des sadistischen Miststücks gewesen.
Sie war von dem metallischen Glanz seiner Bronzeaugen und seinem langen, kastanienbraunen Haar fasziniert gewesen. Aber es waren die schlanken, fein gemeißelten Muskeln seines Körpers gewesen, die sie stundenlang erkundet hatte. Und gefoltert.
Mit einem leisen Knurren schüttelte er die unangenehmen Erinnerungen ab.
Stattdessen konzentrierte er sich auf die Frau, die im Augenblick jene bösen Überraschungen genoss, die inmitten der Samtdiwane und erlesenen Wandteppiche verborgen waren.
Na ja, vielleicht war es nicht gerade Genuss, was sie empfand, dachte er belustigt, als er zusah, wie sie sich allmählich der Tatsache bewusst wurde, dass sie mit silbernen Fesseln an die Wand gekettet war.
Jaelyn, die vampirische Nervensäge, stieß eine Reihe übler Flüche aus. Offenbar wusste sie es nicht zu würdigen, dass er ihre Haut sorgfältig mit Leder geschützt hatte, um das Silber davon abzuhalten, ihr das Fleisch zu versengen, oder dass er ein Zimmer ausgewählt hatte, das eigens dafür gebaut worden war, Blutsauger vor der kleinen Menge Sonnenlicht zu schützen, die durch die Nebel drang, die sie umgaben.
Tatsächlich vermittelte sie eher den Eindruck, als ob sie in ihrer Stimmung wirklich nur eins zu schätzen wüsste, und zwar, ihm mit ihren perlweißen Zähnen die Kehle herauszureißen.
Eine verräterische Hitze schoss ihm durch den Körper.
Er sagte sich, dass das eine natürliche Reaktion war.
Jaelyn war umwerfend, obwohl sie eine Blutsaugerin war.
Sie war groß und auf athletische Weise schlank. In ihr hatten sich unterschiedliche Rassen vereinigt, was zu einer exotischen Schönheit geführt hatte.
Glänzendes schwarzes Haar, das auf eine Abstammung aus dem Fernen Osten hindeutete, war zu einem festen Zopf zusammengebunden, der ihr über den Rücken fiel. Der asiatische Einfluss wurde von der Form ihrer Augen widergespiegelt, obwohl diese dunkelblau waren, was wiederum eine europäische Herkunft erkennen ließ. Ihre Haut war hell wie Alabaster und so vollkommen glatt, dass er sich danach sehnte, seine Finger darübergleiten zu lassen.
Von Kopf bis Fuß. Und wieder zurück.
Wenn man sich noch das schwarze Lycra, das sich an ihre schlanken Kurven schmiegte, und die abgesägte Schrotflinte, die er ihr klugerweise lange bevor sie das Portal betreten hatte, abgenommen hatte, dazudachte, war sie eine fleischgewordene Fantasie.
Eine Jägerin.
Eine tödliche Schönheit.
Ja, es gab wohl keinen lebendigen Mann, der nicht seinen rechten Hoden dafür gegeben hätte, um zwischen diesen langen, schlanken Beinen zu liegen (vielleicht gab es sogar einige tote, die sich das sehnlichst wünschten).
Aber Ariyal hatte die schockierende Erregung nicht völlig vergessen können, die während seiner kurzen Einkerkerung durch die Hand dieser Frau mit einem Ruck in ihm erwacht war.
Verdammt, die kleinste Berührung ihrer Hand hatte ihn bereits in Flammen aufgehen lassen.
Und das machte ihn wütend.
Im Gegensatz zu den meisten seiner Brüder ließ er es aber nicht zu, dass seine Leidenschaften sein Leben bestimmten.
Er bestimmte über seine Leidenschaften.
Die Tatsache, dass er sich dies verbissen ins Gedächtnis rief, verhalf ihm allerdings nicht im Geringsten dazu, die Erregung aufzuhalten, die in seinem Körper brannte, als der Blick aus ihren indigoblauen Augen über seinen schlanken Körper glitt, der bis auf eine locker sitzende Dojo-Hose nackt war.
Zum Teufel.
Sein Magen zog sich zusammen, und sein Penis wurde hart. Allein durch diesen Blick.
Was zum Teufel würde wohl passieren, wenn er sie auf das Bett in ihrer Nähe legen und …
Die Vampirin versteifte sich – zweifellos, weil sie seine explosionsartige Begierde spürte. Dann kniff sie sichtlich angestrengt ihre herrlichen Augen zusammen und hüllte sich in kühle Selbstbeherrschung.
»Du.« Das Wort klirrte förmlich vor Kälte.
»Ich.«
Sie stand stolz da und gab vor, nicht zu bemerken, dass sie im Augenblick an die Wand gekettet war.
»Warum hast du mich entführt?«
Ariyal zuckte mit den Schultern, nicht willens, ihr die Wahrheit zu gestehen.
Er hatte nicht die blasseste Ahnung, aus welchem Grund er sie festgehalten hatte, als er durch das Portal geflohen war, das sie aus den eiskalten Höhlen Sibiriens auf diese verborgene Insel gebracht hatte. Er wusste nur, dass seine Reaktion auf diese Frau dunkel und ursprünglich und gefährlich besitzergreifend war.
»Du hast mich gefangen gehalten«, entgegnete er gedehnt. »Das ist nur gerecht.«
»Als ob ein Mistkerl wie du die Bedeutung von ›gerecht‹ kennen würde.«
Er lächelte überlegen. »Kennst du nicht den alten Spruch ›In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt‹?« Er ließ seinen Blick zu der verführerischen Wölbung ihres Busens sinken, und Erregung erfasste ihn, als er ihren verräterischen Schauder wahrnahm. »Wir könnten der Liste ohne Zweifel noch einige andere Beschäftigungen hinzufügen.«
»Lass mich frei.«
»Was ist los, Schätzchen? Hast du etwa Angst, dass ich dich meinem bösen Willen unterwerfe?« Er legte eine Kunstpause ein. »Oder hoffst du es sogar?«
»Zumindest ›böse‹ trifft es sehr gut.«
Er trat so nahe an sie heran, dass ihr verführerischer Duft ihn reizte, der so ganz und gar nicht zu ihrem Image der kalten, unbarmherzigen Jägerin passte.
Aber andererseits war alles an dieser Frau – kompliziert.
»Weißt du, es gibt keinen Grund für uns, Feinde zu sein.«
»Nichts außer der Tatsache, dass ich von den Orakeln damit beauftragt wurde, dich gefangen zu nehmen.« Ihr Lächeln war kalt. »Oh, und außer deinen psychopathischen Versuchen, zwei hilflose Kinder zu töten.«
»Hilflos?« Ein Gefühl der Frustration flammte in ihm auf. »Diese Monstrositäten sind die Gefäße des Fürsten der Finsternis, und wenn es Tearloch gelingt, das Kind zu benutzen, um den Meister auferstehen zu lassen, trägst du die Schuld daran, wenn die Hölle entfesselt wird.«
Sie ignorierte seine Warnung. So, wie sie sie in der sibirischen Höhle ignoriert hatte, als er sein Bestes getan hatte, um der Gefahr ein Ende zu setzen.
Er war darauf vorbereitet gewesen, das Notwendige zu unternehmen, aber wegen der verdammten Vampire war einer der Säuglinge von seinem Clanbruder Tearloch und dem Magier geraubt worden. Nun konnte er nur noch beten, dass er sie aufspürte, bevor sie den Fürsten der Finsternis auferstehen lassen und den Schleier zerreißen konnten, der die Horden der Hölle zurückhielt.
»Ich werde nicht dafür bezahlt, die Welt zu retten. Ich werde dafür bezahlt, dich an die Kommission auszuliefern.«
Bei dieser ungefragten Erinnerung runzelte Ariyal die Stirn.
Die Kommission war eine Gruppe von Orakeln, die die Herrschaft über die Dämonenwelt innehatten. Es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten, wenn sie entschieden, dass man es wert war, von ihnen beachtet zu werden.
Insbesondere, wenn sie bereitwillig die exorbitante Gebühr zahlten, die nötig war, um einen vampirischen Jäger oder eine vampirische Jägerin für die Gefangennahme der entsprechenden Person zu bezahlen.
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Das ist mir auch gleichgültig. Es ist einfach nur meine Aufgabe.«
Er beugte sich vor, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. »Es fühlt sich wesentlich persönlicher an als einfach nur eine Aufgabe.«
Einen atemlosen Augenblick lang flackerte reines Verlangen in ihren Augen auf und sorgte dafür, dass sich sein Körper erwartungsvoll anspannte. O ja … Aber dann war die kurze Gefühlsaufwallung genauso schnell, wie sie gekommen war, wieder verschwunden.
»Reg dich ab.«
»Ich errege lieber dich.«
»Lass mich in Ruhe.«
Ariyal erzitterte, als ganz plötzlich eine schneidende Kälte in der Luft lag.
Verdammt. Gerade noch war er von dem Verlangen nach dieser Frau überwältigt gewesen, und jetzt hätte sie einem Feuerkobold Frostbeulen verpassen können.
»Na schön.« Er trat einen Schritt zurück, und sein Lächeln war angespannt vor Ärger. »Ich hoffe, du hast es bequem, Schätzchen. Du wirst nämlich noch eine Weile hierbleiben.«
Ihr Blick erforschte den Raum, dessen kunstvolle Ausstattung verschiedene Schattierungen von Gold und Elfenbein aufwies.
»Wo sind wir hier?«
»In Avalon.«
Sie fauchte schockiert. »Das ist unmöglich.«
»So ein gefährliches Wort.«
»Die Nebel sind undurchdringlich.« Ihre kalte Arroganz blieb unverändert, aber in ihren Augen flackerte ein Anflug von Vorsicht auf. »Es sei denn, sie wurden bei dem Tod Morgana le Fays zerstört.«
Er verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. »Sie sind erhalten geblieben, aber ich habe nicht Jahrhunderte als Sexsklave dieses Miststücks vergeudet, indem ich einfach nur schön war. Ich habe vor Jahrhunderten einen geheimen Ausgang entdeckt.«
Jaelyn forschte schweigend in seinem Gesicht. Jägerinnen und Jäger verfügten über eine ganze Reihe von Fähigkeiten. Sie waren angeblich stärker und schneller als ein durchschnittlicher Vampir und darüber hinaus in der Lage, sich so tief in Schatten zu hüllen, dass sie beinahe unsichtbar waren.
Noch beeindruckender war die Tatsache, dass es sich bei ihnen um wandelnde Lügendetektoren handelte. Angeblich gelang es keinem Dämon, sie zu täuschen.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Gott. Er hätte sie in Sibirien zurücklassen sollen.
»Wenn du wusstest, wie man von der Insel entkommen konnte, warum bist du dann nicht geflohen?«, wollte sie wissen.
»Weil ich meine Brüder nicht retten konnte, ohne die Wachtposten zu alarmieren.«
»Also bist du geblieben?«
Er runzelte die Stirn, irritiert über ihre Neugierde. »Ich habe sie nicht im Stich gelassen. Überrascht dich das?«
Eine nicht zu entziffernde Emotion zeigte sich kurz auf ihrem schönen Gesicht, war aber im Nu wieder verschwunden.
»Die Sylvermyst sind nicht gerade für ihre Selbstlosigkeit oder ihre edle Natur berühmt. Tearloch hat das bewiesen.«
Ariyal konnte ihr nicht widersprechen.
Die Sylvermyst besaßen seit langer Zeit den wohlverdienten Ruf, ein grausames Naturell zu besitzen und gierig nach Gewalt zu sein, aber er würde auf gar keinen Fall zulassen, dass eine kaltherzige Blutsaugerin ihn verurteilte.
Nicht nach all den Opfern, die er gebracht hatte, um sein Volk zu retten.
»Tearloch ist verängstigt und … verwirrt«, gestand er. »Sobald ich ihn aufgespürt habe, werde ich ihn auf seine Fehler hinweisen.«
»Du meinst, er wird das tun, was du willst, oder du tötest ihn?«
»Ah, du verstehst mich so gut, Schätzchen.«
»Ich verstehe, dass du ein Mistkerl bist, der es darauf abgesehen hat, seine eigene wertlose Haut zu retten«, entgegnete sie scharf.
»Gut. Dann muss ich dich nicht davon überzeugen, dass ich dich mit Freuden hier verrotten lassen werde, falls du nicht einwilligst, genau das zu tun, was ich dir sage.«
Ein eiskaltes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. »Sei kein Dummkopf. Wenn ich verschwinde, wird der Anasso ein Dutzend Krieger aussenden, die nach mir suchen.«
»Er kann hundert von ihnen schicken, wenn er will. Es wird ihnen niemals gelingen, dich hinter den Nebeln aufzuspüren.« Sein Blick ruhte auf ihren sinnlichen, vollen Lippen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was für ein Vergnügen sie einem Mann bereiten konnten. Mit einem Knurren ging er instinktiv einen Schritt auf sie zu, ohne auf die Gefahr zu achten. »Schätzchen, du musst dich damit abfinden, dass sie schon jetzt annehmen, du seiest tot.«
»Dann werden sie Jagd auf dich machen und dich hinrichten. Es gibt keinen Ort, an dem sie dich nicht finden.«
Er nahm ihr Kinn in seine Hand und blickte ihr tief in die Augen, die ihre eisige Ausstrahlung verloren hatten. Stattdessen blitzte in ihnen ein indigoblaues Feuer. Sein Unterleib zog sich vor Verlangen zusammen.
»Ich habe Jahrhunderte in dem Harem von Morgana le Fay verbracht. Blutsauger jagen mir keine Angst ein.«
»Und was jagt dir Angst ein?«
»Dies hier …«
Die Fangzähne ignorierend, die ihm mit einem Biss die Kehle herausreißen konnten, ganz zu schweigen von den Klauen, die sogar stabilen Beton mühelos durchdrangen, beugte Ariyal sich vor und eroberte ihren Mund mit einem äußerst besitzergreifenden Kuss.
Mein …
Jaelyn ließ sich nie von irgendetwas überrumpeln.
Niemals.
Sie war eine Jägerin. Eine wachsame, scharfsinnige Kriegerin mit solch überragenden Fähigkeiten, dass sie nur wenige Wochen nach ihrer Verwandlung vom Addonexus (einer auf Geheimoperationen spezialisierten vampirischen Einrichtung) aufgenommen worden war.
Und trotz ihrer natürlichen Fähigkeiten war sie noch jahrelang ausgebildet worden, bevor es ihr erlaubt worden war, das geheime Gelände zu verlassen.
Spurenlesen, Waffen, Kampfsport, psychologische Kriegführung und die neueste Technik (einschließlich der Fähigkeit, in ein Computersystem nach militärischen Qualitätsstandards einzudringen) waren ihr in den letzten fünfzig Jahren mit brutaler Gründlichkeit eingebläut worden.
Aber dieser verdammte Sylvermyst überrumpelte sie immer wieder und war ihr ständig einen Schritt voraus.
Sie wollte glauben, dass das irgendetwas mit mystischem Feenvolkkram zu tun hatte.
Schließlich war die einzige Schwachstelle eines Vampirs die Magie, und da man glaubte, dass die Sylvermyst zusammen mit ihrem Herrn und Meister, dem Fürsten der Finsternis, verbannt worden waren, war ihr nicht beigebracht worden, welche Arten von schändlichen Tricks sich möglicherweise hinter Ariyals allzu hübscher Fassade verbargen.
Das würde erklären, wie er es geschafft hatte, aus einer mit Eisen ausgekleideten Zelle zu entkommen, nachdem sie ihn gefangen genommen hatte. Und ebenso, wie es ihm hatte gelingen können, sie unvorbereitet zu erwischen, in ein Portal zu zerren und auf diese gottverlassene Insel zu bringen.
Und wie es sein konnte, dass er sie auf eine fordernde Art küsste, die ihre sämtlichen Gehirnfunktionen ausschaltete, ebenso wie ihre höheren motorischen Fähigkeiten.
Sein Mund war herrlich warm und verlangte nach einer Reaktion, und einen verrückten Moment lang ließ sie es zu, dass sich ein überwältigendes Wonnegefühl in ihr ausbreitete. Ihre Zehenspitzen krümmten sich in ihren Stiefeln. Erst als sie tatsächlich kurz davor war, sich der Versuchung seines harten Körpers hinzugeben, wurde sie aus dem seltsamen Zauber herausgerissen.
Oh … Verdammt.
Das war kein Zauber.
Es war gute, altmodische Lust, die seit der ersten, erschütternden Berührung zwischen ihnen brodelte. Oder vielleicht seit dem Moment, als sie seinen kräftigen, erdigen Duft gerochen hatte, eine Mischung aus Kräutern und reiner männlicher Macht.
Nicht, dass das Wann oder Wie eine Rolle spielte.
Sie war vielleicht nicht ausgebildet, mit Feenvolkmagie umzugehen, aber verdammt noch mal, sie war gründlich darin ausgebildet worden, ihre niederen Instinkte zu beherrschen.
Es gab nichts Wirkungsvolleres, um eine junge Vampirin dazu zu bringen, sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren, als mehrmals bei lebendigem Leib gehäutet zu werden.
Mit einem leisen Fauchen drehte sie den Kopf zur Seite und schnappte mit den Fangzähnen nach seiner Kehle.
Ariyal fluchte, während er einen Satz nach hinten machte, und seine hinreißenden Bronzeaugen weiteten sich, als ihm bewusst wurde, mit welcher Leichtigkeit sie ihm das Fleisch hätte aufschlitzen können.
»Verdammt!«
»Such dir jemand anders zum Spielen, Feelein«, sagte sie warnend und musterte ihn mit trotzigem Stolz, scheinbar die Tatsache ignorierend, dass sie im Augenblick an die Wand gekettet war. Ach ja, und obwohl sie unter seinem Kuss vor Verlangen fast zu einer Pfütze auf dem Boden dahingeschmolzen war. »Ich beiße.«
»Sylvermyst«, korrigierte er sie. Sein Blick ruhte auf ihren vollen Lippen. »Und ich beiße zurück.«
Die Vorstellung, wie seine perfekten weißen Zähne sich in ihren Hals gruben, jagte ihr einen gefährlichen Schauder der Erregung über den Rücken. Dieses verdammte Feenvolk. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, wobei sie ihre Fingernägel in ihre Handfläche bohrte. Es gab kein besseres Mittel als Schmerz, um die Herrschaft über den Körper schnellstens wiederzuerlangen.
»Was hast du mit mir vor?«
Er lächelte mit verschmitzter Belustigung über die Eiseskälte, die in ihren Worten mitschwang.
»Das hängt von dir ab.«
Sie kniff die Augen misstrauisch zusammen. »Du denkst, ich würde über meine Freiheit verhandeln?«
Er streckte einen schlanken Finger aus, um ihn über ihre Halsbeuge gleiten zu lassen.
»Das werden wir herausfinden, nicht wahr?«
»Hör auf damit«, knurrte sie und bleckte ihre Fangzähne.
»Gefällt es dir nicht, berührt zu werden?«
»Es gefällt mir durchaus.« Ihr herablassender Blick schnellte zu seinem unanständig schönen Gesicht. »Nur nicht von dir.«
»Du lügst«, flüsterte er, womit er sich sanft über ihre eigene Fähigkeit lustig machte, Täuschung bei anderen zu erkennen.
Sie kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Sag mir, was du von mir willst.«
»Was ich will?« Die Bronzeaugen verdunkelten sich vor Begierde. »Ich will, dass dieser harte, gut gebaute Körper nackt auf meinem Bett ausgestreckt ist, sodass ich jeden perfekten Zentimeter davon kosten kann.«
Sie bohrte ihre Nägel noch tiefer in ihre Handfläche, sodass Blut herunterlief. »Niemals.«
»Na schön.« Seine leise Stimme streifte ihre empfindliche Haut wie eine Liebkosung. »Dann bin eben ich nackt, und du kannst diese bezaubernden Lippen dazu nutzen, um sie …«
»Der Vertrag besteht darin, dass ich dir für meine Freilassung Sex anbiete?«, unterbrach sie ihn mit scharfer Stimme.
Sein Blick glitt für einen kurzen Augenblick nach unten zu der kleinen Rundung ihrer Brüste, die sich unter dem engen Lycra abzeichneten.
Er hob den Blick wieder und sah ihr in die eiskalten Augen. »Du wirst dir deine Freiheit verdienen müssen.«
Sie zwang sich, seinen spöttischen Blick mit kalter Gleichgültigkeit zu erwidern, von der sie nur hoffen konnte, dass sie echt war. Verdammt, sie war eine Jägerin, keine verwelkende Jungfrau, die Angst vor der Berührung eines Mannes hatte. Selbst wenn sie vor Verlangen erzitterte.
Ihre Verpflichtung bestand darin, jedes Mittel zu nutzen, das nötig war, um sich zu befreien und ihre Mission zu erfüllen.
Und damit Schluss.
»Ich habe dir eine klare Frage gestellt. Erlaubst du mir zu gehen, wenn ich Sex mit dir habe?«
Er stutzte. Ihre unverblümte Frage traf ihn unvorbereitet. »Und wenn ich Ja sage?«
»Es ist gegen die Regeln. Aber …«
»Welche Regeln?«
»Es ist Jägerinnen und Jägern nicht erlaubt, mit ihrer Beute intim zu sein.«
»Das erscheint mir vernünftig.« Er verschränkte seine Arme vor seiner muskulösen Brust und benahm sich, als sei er eher neugierig als erregt durch ihren Vorschlag. Dieses unverschämte, eingebildete Feelein. »Und was wäre, wenn ich nicht deine Beute wäre?«
»Intimität wird grundsätzlich missbilligt.«
Sein entnervender Blick forschte in ihrer eisigen Miene, als spüre er die düsteren, gnadenlosen Erinnerungen, die am Rand ihres Bewusstseins kratzten.
»Sie wird missbilligt?«
»Sex ist bestenfalls eine unnötige Ablenkung, schlimmstenfalls ein tödlicher Fehler.«
Er neigte den Kopf zur Seite, als er ihre abgeklärten Worte vernahm. Das Licht der Kerzen ließ seine losen Haarsträhnen in einem kräftigen kastanienbraunen Farbton aufleuchten. Jaelyn biss die Zähne zusammen, erfasst von dem heftigen Verlangen, ihre Finger durch die seidigen langen Haare gleiten zu lassen.
Seine Lippen verzogen sich langsam zu einem verschmitzten Lächeln. »Ich kann deinen Hunger riechen.«
»Natürlich. Es ist Tage her, seit ich Nahrung zu mir genommen habe.« Ihre eiskalte, abweisende Art besänftigte ihren Stolz, aber vermochte es nicht, die lästige Reaktion ihres Körpers zu kaschieren. »Auch wenn ich eher an Langeweile sterben werde, als zu verhungern, wenn du mich nicht bald freilässt. Werden wir uns nun einig oder nicht?«
Ariyal lachte leise. Er ließ sich keinen Moment lang täuschen. Dieser Mistkerl.
»Durchaus.«
»Also – Sex?«
Er schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick langsam und auf vertrauliche Weise über ihren angespannten Körper wandern.
»Wenn ich dich zu meiner Geliebten nehme, Jaelyn, wirst du dich nicht hinter dem Vorwand verstecken können, dass es darum ginge, irgendeine verdammte Übereinkunft zu erfüllen.«
Seine mit seidenweicher Stimme vorgetragene Warnung erfüllte sie wie warmer Honig und brachte noch eine weitere Schicht ihres eiskalten Widerstands zum Schmelzen. Ah, es wäre so einfach, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, wie seine schlanken Finger über ihre nackte Haut glitten, wie sein muskulöser Körper sie gegen die Matratze in ihrer Nähe drückte, während sein Mund die erogenen Stellen suchte, deren Existenz sie zu ignorieren versuchte.
Noch schlimmer war allerdings, dass sie nicht leugnen konnte, enttäuscht zu sein … Enttäuscht – dass er nicht die Absicht hatte, ihren Körper im Tausch gegen ihre Freiheit zu benutzen.
O Gott, sie musste weg von diesem Mann!
Je eher, desto besser.
»Was willst du also?«
Sein Blick richtete sich auf sie und begegnete ihrem eisigen Starren. »Deine Fähigkeiten als Jägerin.«
»Als Jägerin?«
Er zuckte mit den Achseln. »Um genau zu sein, als Spurenleserin.«
Sie war nicht gekränkt.
Was sollte es ihr schon ausmachen, wenn er eher an ihrer Kriegerinnenausbildung interessiert war als an ihren weiblichen Reizen?
Tatsächlich als Frau begehrt zu werden …
Das war doch reiner Wahnsinn.
Irrsinn.
Ja, ganz genau.
»Du willst, dass ich Tearloch finde?«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Ja.«
»Warst du nicht irgendeine Art Prinz?«, spottete sie.
Ein überraschender Hauch von Schmerz flackerte kurz in den Bronzeaugen auf.
»Das bin ich.«
»Solltest du dann nicht die Fähigkeit besitzen, einen deiner eigenen Lakaien aufzuspüren?«
Ariyal zuckte unruhig mit der Schulter und drehte sich um, um auf dem Mosaikfliesenboden hin und her zu laufen. Seine geschmeidige Anmut erinnerte Jaelyn daran, dass sich hinter seinem spöttischen Benehmen ein äußerst gefährliches Raubtier verbarg. Einer der wenigen Männer, die es an Stärke und Gerissenheit mit ihr aufnehmen konnten.
Er erreichte den unbezahlbaren Wandteppich, der die gegenüberliegende Wand bedeckte, und sein Blick blieb für einen Augenblick an dem gestickten Bild hängen, das Morgana le Fay auf einem Pferd zeigte. Sie führte eine Feenvolkarmee in irgendeinen längst vergessenen Krieg. Dann drehte Ariyal sich wieder um und sah Jaelyn mit gerunzelter Stirn an.
»Es wäre kein Problem, wenn ich mir nur um Tearloch Gedanken machen müsste«, murmelte er. »Leider stellt er das geringste meiner Probleme dar.«
Jaelyn rief sich die Momente in der eiskalten Höhle ins Gedächtnis, bevor Ariyals Stammesangehöriger unerwartet aufgetaucht war.
Zu dieser Zeit war Laylah, ein Dschinnmischling, gerade damit beschäftigt gewesen, Marika zu töten, die psychopathische Vampirin, die die Absicht hatte, Mutter zu werden – oder vielleicht auch die gruselige Königinnengemahlin des Fürsten der Finsternis, sobald er wiedergeboren war. Zur gleichen Zeit hatte Marikas Schoßmagier Sergei den Stillstandszauber aufgehoben, in den das Kind eingehüllt gewesen war, das Laylah verborgen zwischen den Dimensionen gefunden hatte. Seine Anstrengungen hatten zum Vorschein gebracht, dass es nicht ein Baby war, sondern zwei. Ein Junge und ein Mädchen.
Es war keine große Überraschung, dass es Tearloch mitten in diesem Durcheinander gelungen war, den Magier gefangen zu nehmen, der den weiblichen Säugling festhielt, und mit ihm durch ein Portal zu verschwinden, bevor er aufgehalten werden konnte.
»Du meinst seinen Begleiter?«, fragte Jaelyn und schürzte geringschätzig die Lippen. Sie hasste Magier. Widerliches Ungeziefer. »Vampire sind nicht imstande, Magie zu spüren. Wenn Sergei deinen Stammesangehörigen versteckt, wäre ich mehr als nutzlos, sollte ich versuchen, ihn aufzuspüren.«
Ariyal machte eine verächtliche Handbewegung. »Wenn sie immer noch zusammen sind, weiß ich genau, wo Sergei zu finden ist. Ich war lange genug bei Marika, um ihren hingebungsvollen Magier kennen zu lernen. Wenn er eins ist, dann berechenbar.«
Verärgerung versetzte Jaelyn einen Stich ins Herz bei der Erinnerung daran, dass Ariyal früher der wunderschönen, für ihre unersättliche Lust berüchtigten Vampirin treu ergeben gewesen war.
War da etwa noch mehr gewesen als treue Ergebenheit?
Und warum zum Teufel spielte das überhaupt eine Rolle?
»Wofür brauchst du mich dann überhaupt noch?«, fauchte sie.
»Ich bin ein Sylvermyst.«
»Ja, das habe ich gehört.«
Er wölbte eine Braue angesichts ihrer schlechten Laune. »Hast du dann auch gehört, dass ich nicht gerade der beliebteste Dämon bin?«
»Das habe ich ganz allein herausgefunden.« Sie fletschte die Fangzähne. »Willst du, dass ich dich töte und dich aus deinem Elend erlöse?«
Er kehrte zu ihr zurück und blieb knapp außerhalb ihrer Reichweite stehen.
Kluges Feelein.
»Eigentlich, Schätzchen, sollst du dafür sorgen, dass ich am Leben bleibe.«
Ariyal sah, wie Jaelyn ihre Augen in echter Verwirrung zusammenkniff.
»Du hast doch gesagt, nichts könnte uns hier finden«, rief sie ihm in Erinnerung und schloss die Augen, während sie offenbar ihre Jägerinnensinne nutzte, um den riesigen, zerstörten Palast und die große Insel zu durchsuchen. Sie stieß einen leisen Fluch aus und riss die Augen wieder auf. Ariyal konnte mühelos erraten, dass die wabernden Nebel ihre Kräfte behinderten. Sie gingen ihm wahrhaftig auf die Nerven. »Gibt es auf der Insel einen Feind?«
Ariyal holte tief Luft, und sein Körper wurde augenblicklich hart, als er den beißenden Geruch der weiblichen Macht wahrnahm. Was war das nur mit dieser Frau?
Sie besaß die Zunge einer Viper, die Reizbarkeit einer schwangeren Harpyie, und das Schlimmste war, dass sie eine verdammte Vampirin war.
Aber er konnte nicht leugnen, dass er für sie entflammt war.
»Nein, wir sind völlig allein«, antwortete er und unterdrückte widerstrebend die lebhaften Fantasien, die seine Pläne zum Scheitern zu bringen drohten. »Aber sosehr es mir auch gefiele, hierzubleiben und zu spielen – ich muss Tearloch finden, bevor er den Fürsten der Finsternis wiedererwecken kann. Sobald ich die Nebel verlassen habe, bin ich für jeden verdammten Dämon, der meinen Kopf an seiner Trophäenwand aufhängen will, eine Zielscheibe.«
»Ich bin Jägerin, keine Magierin«, entgegnete Jaelyn spöttisch. »Ich kann keine Wunder vollbringen.«
Er stieß einen Seufzer aus. Zum Teufel, er hätte sich auf den Handel mit dem Sex einlassen sollen.
»Es gibt nur wenige Dämonen, die den Versuch wagen würden, mich herauszufordern, und die meisten von ihnen kann ich besiegen, selbst wenn sie mir zahlenmäßig überlegen sind.«
Sie stieß ein angewidertes Schnauben aus. »Wie arrogant.«
»Nein, das ist nur die Wahrheit.« Er sah ihr offen in die Augen. »Und ich gebe zu, dass ich nicht unverwundbar bin. Ich lasse nicht zu, dass mein Stolz mich davon abhält, mit einer anderen Person ein Geschäft abzuschließen, damit sie mir den Rücken deckt, während ich damit beschäftigt bin, die Apokalypse aufzuhalten.«
»Warum denkst du, ich würde dir nicht ein Messer in den Rücken rammen, statt ihn dir zu decken?«
Das war eine hervorragende Frage.
Nicht ganz so hervorragend wie die Frage, warum zum Teufel er diesen dummen Handel überhaupt vorgeschlagen hatte.
Zugegeben, er war in der Dämonenwelt das Äquivalent von Kim Jong-il, aber er verfügte über die Fähigkeit zu reisen, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und es war nicht nur eine großspurige Behauptung gewesen, dass er mit seiner Macht alle bis auf einige wenige Feinde besiegen konnte. Wenn er nur ein wenig Glück hatte, konnte er Tearloch und den Säugling zurückholen, bevor irgendjemand überhaupt bemerkte, was geschah.
Auf keinen Fall konnte er eine wilde Vampirin gebrauchen, die ihn so über alle Maßen ablenkte.
Aber der Gedanke, ohne sie zu gehen oder, noch schlimmer, ihr zu erlauben, einfach zu verschwinden, war vollkommen inakzeptabel.
»Weil die Guten so furchtbar mit ihrer Ehre beschäftigt sind.« Ein selbstironisches Lächeln bildete sich in seinen Mundwinkeln. »Sobald sie ihr Wort gegeben haben, sind sie nicht mehr in der Lage, es zu brechen.«
Jaelyns wunderschönes Gesicht trug einen undurchschaubaren Ausdruck, als sie auf unheimliche Art und Weise vollkommen regungslos dastand, wie es nur Vampire vermochten.
»Du hast nur einen entscheidenden Punkt vergessen.«
»Und der wäre?«
»Ich habe mein Wort bereits den Orakeln gegeben, und noch wichtiger ist, dass der Addonexus bereits für meine Dienste bezahlt wurde. Meine Loyalität gehört ihnen.« Die indigoblauen Augen hatten einen abweisenden Ausdruck angenommen, wodurch die Leidenschaft verdeckt wurde, die darunter brannte. Doch das war in Ordnung. Ariyal wusste, dass sie existierte und nur auf ihn wartete. »Zumindest, bis die Aufgabe erledigt ist.«
Er schüttelte die Warnung ab. Der Grund, warum die Herrscher der Dämonenwelt das Geld und die Mühe aufgebracht hatten, um eine Jägerin auf ihn anzusetzen, war eine weitere Angelegenheit, über die er sich nicht den Kopf zerbrechen wollte.
Wenn er nicht die Absicht hatte, sich gefangen nehmen zu lassen, welche Rolle sollte das dann spielen?
»Die Aufgabe hatte sich in dem Augenblick erledigt, als ich dich durch das Portal gezogen habe«, teilte er Jaelyn mit und wickelte sich eine Strähne ihrer schwarzen Haare um den Finger. »Ich habe gewonnen, und nun befindest du dich in meiner Gewalt.«
Sie riss den Kopf zurück, und Ariyal unterdrückte ein Stöhnen, als er spürte, wie die kühle Seide ihrer Haare sich an seiner Haut bewegte. Allein der Gedanke, nackt zu sein, während Jaelyn rittlings auf seinen Hüften saß und diese ebenholzfarbene Mähne über seine Brust strich, reichte aus, um ihn schmerzhaft hart werden zu lassen.
»Du hast nicht gewonnen, bevor ich tot bin«, fauchte sie.
»Das wäre allerdings Verschwendung.« Sein nachdenklicher Blick senkte sich zu ihren vollen Lippen, die einem Mann den Himmel auf Erden bereiten konnten. »Akzeptiere mein Angebot, Jaelyn, und mach uns beide glücklich.«
Wenn er nicht die geschärften Sinne eines mächtigen Feenvolkangehörigen besessen hätte, wären ihm ihre geweiteten Pupillen und ihre leicht geblähten Nasenflügel nicht aufgefallen – Reaktionen auf den Duft seiner Erregung.
»Nein.«
»Dann wirst du meine Gefangene bleiben.«
»Du kannst mich nicht ewig gefangen halten.«
Er konnte nicht anders, als über ihre ungeheure Arroganz zu lächeln. Das war so typisch für Blutsauger.
Nein, nicht typisch, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Selbst für eine Vampirin war sie – unglaublich. Etwas Besonderes.
»Vielleicht gelingt es dir, dich von den Ketten zu befreien, doch Avalon kannst du nicht entkommen.« Er wies mit dem Kopf in Richtung der dichten Nebel, die durch das stark dunkel getönte Fenster zu sehen waren. »Es gibt da auch noch etwas anderes, das du wissen solltest.«
»Und was?«
»Die Zeit vergeht in den Nebeln anders.«
Jaelyn runzelte die Stirn. Sie spürte, dass er die Wahrheit sagte. »Wie anders?«
»Sie ist nie konstant«, antwortete er. Seine Theorie besagte, dass die von Morgana erschaffenen Nebel den Nebeln ähnelten, die zwischen den Dimensionen existierten und von den Dschinnen zum Reisen genutzt wurden. Das würde erklären, warum die Zeit hier anders verging als in der Außenwelt. »Vielleicht sind nur wenige Stunden vergangen, seit wir in Avalon angekommen sind, vielleicht aber auch mehrere Wochen.«
»Warum hast du uns dann hergebracht?«, erkundigte sich Jaelyn frustriert. »Wer weiß, vielleicht hat Sergei den Fürsten der Finsternis bereits zum Leben erweckt.«
Ariyal erschauderte. Diese Frau war zu jung, um sich an den Fürsten der Finsternis oder seine abscheulichen Horden von Lakaien erinnern zu können – sonst hätte sie nie und nimmer von seiner Rückkehr gesprochen, als wäre das nicht mehr als eine Unannehmlichkeit.
»Wir wüssten es, wenn die Pforten der Hölle sich geöffnet hätten«, versicherte er ihr trocken. »Und dies hier ist der einzige Ort, an dem ich dich vor den anderen Blutsaugern verstecken konnte.«
Zu spät wurde ihm klar, was er mit seinen Worten verraten hatte.
»Du hast das Ende der Welt riskiert, nur um mich zu deiner Geisel zu machen?«
Ariyal wandte sich abrupt um, um sein Unbehagen zu verbergen, und durchquerte den Raum, um durch die Türöffnung zu starren, die zu den angrenzenden Badezimmern führte. Er schnitt eine Grimasse, als er bemerkte, dass die flachen Becken noch immer mit dem parfümierten Wasser gefüllt waren, mit dem Morganas Sexsklaven sich hatten waschen müssen, bevor sie in ihr Bett gekommen waren.
»Ich sagte doch schon, ich brauche jemanden, der mir den Rücken deckt«, fauchte er, wobei seine Stimme urplötzlich rau klang.
»Treibt sich dein Stamm nicht hier irgendwo herum?«
»Meine Leute ziehen genau die Art von Aufmerksamkeit auf sich, die ich zu vermeiden hoffe.«
»Und?«
Er drehte sich um und begegnete ihrem ungläubigen Blick. »Es gibt kein ›Und‹.«
Die Kette rasselte, als Jaelyn ungeduldig einen Schritt auf ihn zukam. Sie spürte deutlich, dass er ihr gegenüber nicht ganz ehrlich war.
»Doch, das gibt es durchaus.«
»Verdammt, ist das lästig«, murmelte er.
»Dann lass mich frei.«
Auf gar keinen Fall.
Sein Blick glitt über die harten Linien ihres Körpers. Sie wirkte wie ein geschmeidiger Windhund, muskulös und anmutig.
Und sie gehörte ihm.
Er unterdrückte diesen beunruhigenden Gedanken und konzentrierte sich darauf, Jaelyn abzulenken.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Tearlochs Wahnsinn ein Einzelfall ist.«
Glücklicherweise biss Jaelyn gleich an. »Du glaubst, er ist ansteckend?«
»Nein, aber der Schleier zwischen den Welten wird immer durchlässiger, wodurch sich dem Fürsten der Finsternis mehr Möglichkeiten bieten, die Gedanken anderer zu beeinflussen.« Reue darüber, dass er das Böse, das Tearloch befallen hatte, nicht verhindert hatte, erfasste sein Herz. »Und leider ist es unmöglich, seinen Einfluss zu erkennen, bevor es zu spät ist.«
Eine merkwürdige Emotion zeigte sich auf Jaelyns wunderschönem Gesicht, bevor sie sich abrupt umdrehte, um den Wandteppich an der gegenüberliegenden Wand anzustarren.
War es Mitgefühl?
Auf gar keinen Fall.
Nicht bei dieser kaltherzigen Jägerin.
»Woher willst du wissen, dass ich nicht unter dem Einfluss irgendeiner Jedi-Gedankenkontrolle stehe?«, fragte sie spöttisch, um ihre Gleichgültigkeit zu beweisen.
»Vampire sind immun gegen solche Tricks«, knurrte er. »Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass du so unerträglich halsstarrig bist, dass sich der Fürst der Finsternis auf keinen Fall mit dir abgäbe.«
Sie kniff die Lippen zusammen. »Nein.«
»Nein, du bist nicht halsstarrig?«
»Nein, ich akzeptiere diesen Handel nicht.«
Ariyal eilte auf Jaelyn zu und achtete nicht auf die Gefahr, die ihm drohte, als er die Frau an den Schultern packte und sie zwang, seinem finsteren Blick zu begegnen.
»Du willst hier als meine Gefangene bleiben?«
Sie schob das Kinn vor. »Ja.«
»Warum?« Er forschte in den indigoblauen Augen. »Weil ich ein böser Sylvermyst bin?«
»Das ist nur einer von vielen Gründen.«
»Und worin bestehen die anderen?«
»Ich weigere mich, tatenlos dabei zuzusehen, wenn du ein unschuldiges Kind niedermetzelst.«
Er grub die Finger in ihr Fleisch, zwang sich dann jedoch, seinen Griff zu lockern. Rein verstandesmäßig begriff er, dass sie eine unsterbliche Vampirin war, die ihm eine Abreibung verpassen konnte, sobald sie die Chance dazu erhielt, aber als seine mächtige Gestalt über ihrem schlanken Körper aufragte, konnte er einfach nicht ignorieren, wie zerbrechlich ihre Knochen sich unter seinen Händen anfühlten.
Ganz schön verrückt, oder nicht?
»Es ist kein Kind«, stieß er hervor, »sondern ein Gefäß, erschaffen vom Fürsten der Finsternis.«
»Das steht noch nicht fest.«
Er knurrte. Was musste er denn tun, um die Dämonenwelt davon zu überzeugen, dass dieser Säugling nur einem einzigen Zweck diente? Sollte er etwa zulassen, dass Tearloch und Sergei diese Dimension vernichteten?
»Na schön«, gab er zurück. »Was, wenn ich verspräche, nur den Säugling zu holen und ihn hierher zurückzubringen, wo ich ihn beschützen kann?«
Sie weigerte sich nachzugeben. Das war ja klar.
»Selbst wenn ich dumm genug wäre, dir zu trauen, was nicht der Fall ist, bin ich trotzdem noch an meinen Vertrag mit den Orakeln gebunden.«
Seine Hand zeichnete die Linie ihrer Schulter nach und strich über die geschmeidigen Muskeln ihrer Arme. Sein Magen zog sich zusammen, als er unter seiner Handfläche ihre kühle, samtweiche Haut spürte.
»Ich glaube nicht, dass du mich an die Kommission ausliefern wirst«, sagte er mit belegter Stimme.
Jaelyn versteifte sich, aber seltsamerweise entzog sie sich nicht seiner sehnsüchtigen Berührung.
»Warum sollte ich das nicht tun?«
»Weil du es nicht ertragen könntest, wenn ich vernichtet werden würde.«
Sie schnaubte angewidert. »Bist du einfach nur arrogant oder selbstmordgefährdet?«
»Ich bin erfahren.« Ein verschmitztes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er bemerkte, wie sie einen kurzen Moment erschauderte. »Ich weiß genug über Frauen, um es zu bemerken, wenn eine von ihnen sich nach meiner Berührung sehnt.«
Sie machte mit einem trotzigen Gesichtsausdruck jäh einen Schritt von ihm weg. »Definitiv selbstmordgefährdet.«
Er holte tief Luft, doch das trug nicht im Geringsten dazu bei, seine pochende Erektion zu lindern. Dann murmelte er einen Fluch vor sich hin und steuerte auf die Tür zu.
Zum Teufel damit.
Jaelyn beabsichtigte offensichtlich, eine unkooperative Nervensäge zu bleiben.
»Ich habe keine Zeit für so etwas.«
»Wohin gehst du?«
»Ich muss ein paar Dinge erledigen und diverse Leute aufsuchen«, antwortete er, ohne dabei seine Schritte zu verlangsamen.
»Wann kommst du zurück?«
Er ging durch die Tür, ohne dem Impuls nachzugeben, einen Blick über seine Schulter zu werfen. Sie würde auch noch da sein und auf ihn warten, wenn er mit Tearloch fertig war.
»Die Frage, Schätzchen, ist nicht, wann ich zurückkomme«, erwiderte er spöttisch, »sondern ob ich zurückkomme.«
Kettenrasseln war zu hören, gefolgt von einem leisen, ganz und gar weiblichen Zornesfauchen.
»Zum Teufel mit dir!«
London, England
Die Nacht brach über die schmalen Straßen Londons herein, als die beiden Männer in der Nähe einer großen Hecke anhielten.
Der eine davon war ein schlanker, unglaublich schöner Mann mit sahnefarbener Haut und langem, kupferrotem Haar, das er in einem fest geflochtenen Zopf bändigte. Man hätte ihn fast für einen Menschen halten können, wäre da nicht der metallische Glanz in seinen Sterlingsilberaugen gewesen, und auch der starke Kräuterduft, der seine zerfetzte Robe umgab, die mit dem grünen Gebüsch hinter ihm verschmolz.
Der andere Mann war ebenso schlank, verfügte jedoch nicht über die gleiche überirdische Anmut oder Schönheit wie der erste. Sein Alter war schwer zu bestimmen, er besaß hohe slawische Wangenknochen sowie eisige blaue Augen, aus denen eine listige Intelligenz leuchtete. Normalerweise trug er einen eleganten Gucci-Anzug und das schulterlange silberfarbene Haar aus dem schmalen Gesicht gestrichen.
Aber normal war hier wahrhaftig nichts.
Nachdem sie sich drei Wochen lang in den Sümpfen Floridas versteckt gehalten hatten, war Sergei Krakov müde und schmutzig und wünschte sich nur noch inbrünstig, nie etwas mit dem Kind zu tun gehabt zu haben, das er in den Armen hielt.
Nun, zumindest war er jetzt zu Hause, versuchte er im Stillen seine blank liegenden Nerven zu beruhigen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als er seinen Blick über das Reihenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert in der Nähe des Green Park schweifen ließ.
Die historische Gesellschaft behauptete, das Gebäude sei von Robert Adam entworfen worden. Und Passanten blieben häufig stehen, um die klassische Schönheit der alten Backsteine, des eleganten Säulenganges und der großen Fenster mit den gemeißelten Steingirlanden zu bestaunen. Einige Unerschrockene hatten sogar versucht, einen Blick durch die Tür auf die Treppenaufgänge aus gemeißeltem Marmor und die pompösen Räume zu erhaschen, die mit Chippendale-Möbeln und unbezahlbaren Kunstwerken angefüllt waren.
Dieser Fehler hatte jedoch häufig ihren Tod zur Folge, zu jener Zeit nämlich, als die Vampirin Marika das Haus noch als Versteck genutzt hatte.
Sergei stieß einen Fluch aus und verdrängte jeden Gedanken an seine frühere Gebieterin. Nicht etwa aus Entsetzen, weil der Vampirin von ihrer eigenen Nichte der Kopf abgetrennt worden war. Nach vier Jahrhunderten als Prügelknabe dieses Miststücks war er vielmehr ungemein glücklich gewesen bei dem Anblick, wie sie sich in einen Haufen Asche verwandelte.
Aber trotz ihrer furchtbaren Reizbarkeit und der Sucht, anderen Schmerzen zuzufügen, war sie eine machtvolle Spießgesellin gewesen. Welcher Dämon wäre so dumm, einer Vampirin Widerstand zu leisten, die sich am Rande des Wahnsinns befand? Sie hatte definitiv zu den Frauen gehört, die zuerst töteten und dann erst Fragen stellten.
Nun stand er nicht mehr unter ihrem Schutz. Das wäre vielleicht eine gute Sache gewesen, wenn er aus den russischen Höhlen hätte entkommen können, ohne erneut mit einem Irrsinnigen um seinen sicheren Abzug feilschen zu müssen. Dieses Mal handelte es sich dabei um einen verrückten Sylvermyst, und außerdem gab es da noch ein Kind, das von dem bösesten aller Übel erschaffen worden war.
Einfach perfekt.
Wie aufs Stichwort stieß Tearloch ihn mit der Spitze des riesigen Schwertes an, das er nie aus der Hand legte. Nicht einmal im Schlaf. Nur darum hatte Sergei bis jetzt noch nie versucht, diesen Bastard zu erwürgen.
Und auch nicht, ihn in einen Frosch zu verwandeln.
»Was ist das für ein Ort?«, verlangte der Angehörige des dunklen Feenvolkes zu wissen.
»Die Zivilisation.« Tief atmete Sergei die feuchte Luft ein. Der Sommer hatte Einzug gehalten, doch der Nebel war geblieben. Ah, das gute alte London … »Du kannst gerne in den dreckigen Sümpfen umherschleichen, aber mir reicht es. Ich wünsche mir ein Bad und ein Bett mit Satinlaken.«
»Verwöhnter Mensch«, spottete Tearloch und ließ seinen Blick über die Reihe der sauberen, ordentlichen Häuser gleiten. »Diese Mauern schwächen dich.«
»Magier, nicht Mensch«, korrigierte ihn Sergei kalt und ließ ihn deutlich seine Magie spüren. »Ich muss nicht wie ein Tier leben, um meine Macht zu beweisen.« Er legte eine Kunstpause ein. »Nicht wahr?«
Der Feenvolkangehörige schnaubte verächtlich, doch er machte keinerlei Anstalten, seine Überlegenheit zu beweisen.
Im Augenblick balancierten die beiden Männer auf einem gefährlichen Grat zwischen Hass und Gier. Ein einziger Fehler konnte zu einem Gewaltausbruch führen, an dessen Ende durchaus ihrer beider Tod stehen konnte.
»Weiß Ariyal von diesem Versteck?«, fragte er stattdessen.
»Was für eine Rolle sollte das spielen?« Sergei zuckte mit den Schultern. »Die Vampire halten ihn ganz offensichtlich als Geisel, sonst hätte er uns bereits aufgespürt.«
Die silbernen Augen verengten sich. »Sei dir nicht so sicher. Es könnte eine Menge guter Gründe dafür geben, dass er uns noch nicht auf den Fersen ist.«
Sergei, der nun endlich davon überzeugt war, dass das Haus leer war und keine Feinde in den Schatten lauerten, packte das regungslose Kind unter seine zerrissene Jacke und überquerte die Straße.
»Wenn du dich vor diesem Verräter fürchtest, steht es dir frei, in deine Moorerde zurückzukehren«, entgegnete er.
Erwartungsgemäß blieb Tearloch ihm dicht auf den Fersen.
»Ich gehe nicht ohne das Kind.«
»Dann befinden wir uns offenbar in einer Pattsituation.«
Sergei erklomm die Stufen und murmelte einige magische Worte vor sich hin. Ein leises Klicken ertönte, und dann schwang die Tür auf. Er betrat die mit schwarzen und weißen Kacheln ausgestattete Vorhalle und wartete widerwillig, bis Tearloch sich zu ihm gesellt hatte, bevor er die Tür schloss und den Abwehrzauber erneuerte.
Nun konnte niemand das Haus betreten, ohne dass er gewarnt würde.
Sergei erklomm die marmorne Bogentreppe und steuerte direkt auf ein Kinderzimmer im hinteren Teil des Hauses zu. Es war verstaubt, da es lange nicht benutzt worden war. Er überquerte den gewirkten Teppich, der zu den Möbelbezügen in hellgelben und lavendelfarbenen Tönen passte, und legte das Kind in die handgeschnitzte Wiege. Der Säugling regte sich nicht, und seine Augen blieben fest geschlossen.
Soweit Sergei es beurteilen konnte, befand sich das Kind noch immer unter dem Einfluss des Stillstandszaubers, der dafür gesorgt hatte, dass es und sein Zwillingsbruder seit Jahrhunderten unverändert und immun gegenüber der Außenwelt geblieben waren.
Tearloch blickte auf das Kind hinunter, doch er war klug genug, es nicht zu berühren.
Sergei hatte das Baby in eine Decke gehüllt, die einen machtvollen Fluch enthielt. Ein Sylvermyst, oder auch jedes andere Feenwesen, das töricht genug wäre zu versuchen, das Kind zu rauben, würde fürchterliche Schmerzen erleiden.
»Wann beabsichtigst du die Zeremonie durchzuführen?«, wollte der Angehörige des Feenvolks wissen.
Sergei schnitt eine Grimasse.
Niemals wäre wohl der richtige Ausdruck gewesen.
Es war eine verdammte Schande, dass er sprichwörtlich zwischen allen Stühlen saß.
Vor langer Zeit war er einmal dumm genug gewesen zu glauben, er sei zu Großem berufen. Doch nach den vielen Jahren, in denen er Marikas Grausamkeit ausgesetzt gewesen war, hatte er erkannt, dass es nicht gerade nach begehrenswerter Zukunft klang, wenn die Welt von einer Horde von Kreaturen überschwemmt würde, die Marika im Vergleich mit diesen wie eine Pfadfinderin aussehen ließen.
Tearloch hatte zwar nicht versucht, ihm das Kind wegzunehmen, doch Sergei verdankte sein Überleben dem Umstand, dass er alles andere als ein Schwachkopf war. Er wusste, dass er nur deshalb noch am Leben war, weil der Sylvermyst darauf angewiesen war, dass er den Zauber wirkte, welcher die Seele des Fürsten der Finsternis in dem Kind auferstehen ließ. Falls er sich weigerte …
Nun, er hatte nicht die Absicht herauszufinden, was dann geschehen würde.
»Ich sagte doch bereits, ich muss darauf warten, dass sich die Zeichen einstellen, um den Höhepunkt meiner Stärke zu erreichen«, erwiderte er, verzweifelt darauf bedacht, das Unvermeidliche hinauszuzögern.
Tearloch beäugte ihn mit unverhohlenem Misstrauen. »Ich komme nicht umhin zu argwöhnen, dass diese mysteriösen Zeichen nicht mehr sind als der Versuch, die Erfüllung deiner Pflicht zu vermeiden.«
»Willst du wirklich das Risiko eingehen, die beste Gelegenheit, deinen Herrn und Meister zurückzuholen, zu zerstören …«
»Unseren Herrn und Meister.«
»Weil ich mich nicht auf dem Höhepunkt meiner Macht befinde?«, fuhr Sergei fort, die harsche Berichtigung ignorierend.
Tearloch murmelte ein Zauberwort in einer fremden Sprache. Die Luft begann warnend zu kribbeln.
»Du hast noch Zeit bis zum Vollmond.«
»Willst du mir drohen?«, verlangte Sergei betont herrisch zu wissen.
Schneller als ein Wimpernschlag bohrte sich die Spitze des riesigen Schwertes in Sergeis Kehle, und der Sylvermyst beugte sich vor, bis sich die Nasenspitzen der beiden Männer beinahe berührten.
»Ja.«
Sergei vernahm das Zischen, als die sonderbare Klinge den Blutstropfen absorbierte, der aus der nadelstichartigen Wunde in seinem Hals drang. Dann wirbelte der Angehörige des Feenvolks herum und verschwand durch die Tür.
»Wahnsinniger Bastard«, murmelte Sergei.
Es kostete Jaelyn beinahe eine Stunde und mehrere Hautschichten, sich endlich von den Ketten zu befreien, die sie festhielten. Sobald sie frei war, bahnte sie sich ganz vorsichtig ihren Weg aus den Harems, alle Sinne in höchster Alarmbereitschaft.
Verdammt, dieser Ort war eine einzige Katastrophe.
Zerbrochenes Glas, einstürzende Steinmauern und fehlende Kuppeldächer, durch die die wabernden Nebel durch das riesige Spinnennetz aus Kammern kriechen konnten.
Jaelyn schauderte, als sie sich die Macht vorstellte, die nötig war, um solche Schäden anzurichten, während sie gleichzeitig Ariyal verfluchte, weil er sie auf dieser gottverlassenen Insel zurückgelassen hatte.
Sie war nicht nur gezwungen, ständig denselben Weg wieder zurückzugehen, den sie gerade gekommen war, um das anscheinend unaufhörlich flutende Sonnenlicht zu meiden, das die Nebel immer wieder überraschend durchdrang – die endlose Reihe von Gängen schien außerdem von einer Sackgasse zur nächsten zu führen.
Stimmte das wirklich?
War es möglich, dass sie in Avalon gefangen war?
Sie blieb vor einem Bogenportal mit seltsamen in den Stein gemeißelten Figuren stehen, die ihr gerade den Durchgang versperrten, und dachte über die wirkungsvollste Möglichkeit nach, das schwere Türschloss zu zerstören. Da spürte sie plötzlich, wie sich hinter ihr der Luftdruck veränderte.
»Ich würde mich nicht zu weit vom Ausgangspunkt entfernen, Jägerin«, warnte sie eine leise Frauenstimme. »Morgana le Fay verfügte über die hässliche Angewohnheit, Fallen für die Unvorsichtigen aufzustellen.«