Flammenliebe - Alexandra Ivy - E-Book

Flammenliebe E-Book

Alexandra Ivy

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Beschreibung

Als Halbblut hatte der attraktive Drachenkrieger Torque noch nie ein großes Mitspracherecht, was seine Zukunft betraf. Dass sein Vater ihn nun einfach ohne ihn zu fragen Rya, der Tochter des mächtigen Drachenfürsten Synge versprochen hat, passt Torque trotzdem nicht in den Kram. Dass Rya ziemlich sexy ist, macht die Sache auch nicht besser. Aber dann verschwindet Ryas Mutter plötzlich spurlos, und die beiden Verlobten wider Willen müssen mit einem Mal zusammenarbeiten. Dabei kommen sie nicht nur einem düsteren Geheimnis auf die Spur, sondern entdecken auch ihre Leidenschaft füreinander.

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Seitenzahl: 392

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ALEXANDRA IVY

FLAMMEN

LIEBE

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Als Halbblut hatte der attraktive Drachenkrieger Torque noch nie ein großes Mitspracherecht, was seine Zukunft betraf. Das schließt auch die Wahl seiner Gefährtin mit ein. Sein Vater hat ihn aus politischen Gründen Rya, der Tochter des mächtigen Drachenfürsten Synge, versprochen. Dass Rya klug und wunderschön ist, macht die Sache auch nicht besser, denn Torque hätte sich seine Frau lieber selbst ausgesucht. Also hat er seine Zukünftige schon aus Prinzip seit der Verlobungszeremonie, auf der er ihr sein Drachenmal verlieh, keines Blickes mehr gewürdigt. Aber dann verschwindet Rya eines Tages spurlos aus der Drachenhöhle ihres Vaters, und Torque wird ausgeschickt, um sie zurückzuholen. Gegen seinen Willen bemerkt er, dass Rya sein Herz höher schlagen lässt. Doch als er seine Zukünftige schließlich findet, muss er feststellen, dass sie in tödlicher Gefahr schwebt …

Die Autorin

Unter dem Pseudonym Alexandra Ivy veröffentlicht die bekannte Regency-Liebesroman-Autorin Deborah Raleigh ihre Vampirromane. Ihre international erfolgreiche Guardians-of-Eternity-Reihe umfasst bereits elf Bände und steht regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Alexandra Ivy lebt mit ihrer Familie in Missouri.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Titel der amerikanischen Originalausgabe

Scorched BY DARKNESS

Deutsche Übersetzung von Beate Brammertz

Deutsche Erstausgabe 05/2018

Redaktion: Diana Mantel

Copyright © 2016 by Debbie Raleigh

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe und der

Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-22522-3V002

www.heyne.de

1

Torque befand sich im Trainingsraum.

An diesem perfekten Ort, wo er mit seinem inneren Drachen verschmolz und die Welt mit gestochen scharfem, fast schon schmerzhaft intensivem Blick sah.

Er bewegte sich mit fließender Eleganz, durchquerte den riesigen Raum in einer Abfolge komplizierter Sprünge, Tritte und blitzschneller Stöße. Feuer tänzelte über seine Haut und hinterließ Brandflecken auf dem Granitboden. Zwar mochte er ein Halbblut sein, doch sein Drache war ungewöhnlich stark, weshalb er, wenn er nicht achtgab, genug Hitze erzeugen konnte, um Stein zu schmelzen.

Außerdem war er in der Lage, kleine Portale zu erzeugen, die seine Anwesenheit verbargen und es ihm erlaubten, seine Gegner mit bloßen Händen zu töten. Und er besaß die einzigartige Gabe, winzige Funken heraufzubeschwören, die er überall in die Welt schicken konnte. Kein besonders nützliches Talent, aber er hatte es mehr als einmal eingesetzt, um seine Feinde lange genug abzulenken, bis er die Oberhand gewann.

Während Torque seine tägliche Routine beenden wollte, geriet seine Konzentration ins Wanken, als er das Aufflackern einer Bewegung neben der Tür bemerkte.

»Nicht jetzt«, knurrte er und machte einen solch beeindruckenden Satz in die Höhe, dass er den Ring zu fassen bekam, der von der Decke herabhing.

Mit übermenschlicher Kraft schwang er sich vor und ließ den Ring los, um in einem weiten Bogen durch die Luft zu segeln, bevor er leichtfüßig auf den Füßen landete und dem an Stahlstäben befestigten Boxsack einen Tritt versetzte.

»Dein Typ wird verlangt«, sagte eine vertraute männliche Stimme.

Char.

Ebenso wie Torque war er ein Halbblutdrache, der in Baines Diensten stand, doch hier endete auch schon die Gemeinsamkeit der beiden Männer.

Torque war ein ausgebildeter Soldat mit kurzen dunklen Haaren und leuchtend blauen Augen. Char war ein enger Vertrauter von Baine und besaß die Fähigkeit, sich teilweise in seine Drachenform zu verwandeln. Er hatte silberne Haare und graue Augen, die zwischen Aschfahl und Kohlschwarz jede Farbe annehmen konnten, je nachdem, in welcher Stimmung er war.

Der ältere Mann bevorzugte elegante Anzüge, während Torque die schlichte schwarze Uniform einer Wache trug oder, wenn er keinen Dienst hatte, legere Jeans und ein Sweatshirt.

Selbst ihre Persönlichkeiten könnten nicht unterschiedlicher sein. Char war durchtrieben, sarkastisch und charmant. Die Sorte Mensch, die es liebte, über die Welt zu lachen. Torque hingegen war viel ernsthafter. Er war pflichtbesessen und darauf bedacht, seine Kampfkünste stets auf höchstem Niveau zu halten.

»Von wem?«, wollte Torque wissen, während er herumwirbelte und dem Sandsack einen weiteren Tritt verpasste. »Von dir?«

Char stieß ein kurzes Lachen aus. »Du glaubst wohl, heute wäre dein Glückstag.«

»Ja, natürlich.« Ein weiterer Kick. »Wenn man dem Harem Glauben schenken darf, braucht man kein Glück, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Du schenkst dein Interesse ohnehin gerne her.«

»Das stimmt.« Char zögerte absichtlich. »Aber ich ziehe die Grenze bei einem gereizten Soldaten, der Sidekicks und das Stemmen von Gewichten für einen romantischen Abend hält. Ich bevorzuge eine heiße Frau auf Satinlaken und ein kaltes Glas Champagner.«

Torque zischte frustriert auf und drehte sich langsam zu dem Mann um, der lässig gegen den Türrahmen lehnte. Anscheinend würde er erst seine Ruhe bekommen, wenn er den unwillkommenen Eindringling abgewimmelt hatte.

»Wirst du mir verraten, warum du mich beim Training störst?«, fauchte er.

Char sah zu, wie sich Torque ein Handtuch schnappte, um sich den Schweiß vom Körper zu wischen, während immer noch kleine Rauchkringel von seiner feuchten Haut aufstiegen.

»Baine hatte Besuch von einem Abgesandten seines Vaters«, sagte er.

Torque runzelte finster die Stirn. Baine hatte sich vor Jahrhunderten im Streit von seinem Vater Synge getrennt. Die Dynamik in der Drachenfamilie war gelinde gesagt explosiv. Manchmal sogar tödlich. Doch seit Baine seine Gefährtin gefunden hatte, hatten die zwei sich wieder vorsichtig angenähert.

Was bedeutete, dass es nicht gänzlich überraschend war, dass Synge einen Boten schickte.

»Und?«

»Und jetzt will er, dass du zum Thronsaal kommst.«

»Eine Ratsversammlung?«

»Nein. Nur du.« Die grauen Augen verdunkelten sich mit etwas, das möglicherweise Bedauern war. »Ich denke, die Zeit ist gekommen.«

Ein Schauder kroch Torque die Wirbelsäule hinab. Er hatte immer gewusst, dass das Ende nahte. Seine Verlobte war genau auf den Tag vor hundert Jahren geboren worden. Weshalb sie von nun an als mündige Erwachsene galt. Bereit für den Bund.

Doch er hatte den Gedanken an sein drohendes Schicksal bestmöglich verdrängt. »Jetzt sofort?«, flüsterte er.

Char verzog das Gesicht. »Tut mir leid, mein Freund.«

Torque drehte sich weg. Er hatte das Gefühl, in die Enge getrieben worden zu sein. Hatte ihm jemand eine Schlinge um den Hals gelegt, als er kurz nicht aufgepasst hatte, und zog sie nun zu?

»Sag unserem Herrn, dass ich nach meinem Bad kommen werde«, murmelte er und marschierte in einer geraden Linie zu der Tür, die zur Umkleide führte.

Nachdem er seinen Karateanzug ausgezogen und auf den Boden geschleudert hatte, stieg er in ein Schwimmbecken, das mit kostbaren schwarzen und goldenen Fliesen ausgelegt war. Dieser Raum war wie der Rest der Drachenhöhle.

Opulent. Üppig. Bis zum Rand mit unschätzbaren Reichtümern bestückt.

Drachen waren eifersüchtige Sammler von wunderschönen Objekten, und ihr Zuhause spiegelte ihren Status wider. Je mehr Schätze es gab, desto größer war ihre Macht.

Es gab keinen Zweifel, dass Baine ganz oben in der Nahrungskette stand.

Er war gleichzeitig ein erstaunlich gerechter Herr über seine kleine Armee an Dienern. Nicht, dass er schwach gewesen wäre. Zum Teufel noch mal, er konnte so arrogant und temperamentvoll wie jeder Drache sein. Aber er war nicht unnötig grausam.

Etwas, womit er sich im Lauf des vergangenen Jahrhunderts Torques unerschütterliche Loyalität verdient hatte.

Was diesen Tag nur noch schwieriger gestaltete.

Sobald Torque die Mitte des Bads erreicht hatte, ließ er sich in das heiße Wasser sinken und schrubbte sich sauber, bevor er das Becken wieder verließ. Auf den reich verzierten Fliesen sonderte er einen Schwall Hitze ab, um seine Haut zu trocknen, als ein livrierter Diener herbeieilte, um ihm die fein säuberlich gebügelte Uniform zu reichen.

Schweigend zog sich Torque an, während düstere Gedanken sein Bewusstsein vernebelten.

Er war nicht vollkommen sicher, warum er das Gefühl hatte, als wäre er von einem Güterzug überrollt worden. Tatsächlich war er bereits einmal von einem Güterzug erfasst worden, kurz nachdem sie in diese Welt zurückgekehrt waren, und es war nicht halb so schlimm gewesen.

Er war verletzt gewesen. Ja. Und wütend auf Char, weil er ihn provoziert hatte, sich auf die Gleise zu stellen. Aber nicht so geschockt wie jetzt in diesem Moment, in dem er kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte.

Er fluchte leise.

Ja, er war ein Narr. Sein Schicksal war vor Jahrzehnten besiegelt worden. Nein. Vor noch längerer Zeit. Immerhin hatte er gewusst, dass er keinerlei Einfluss auf seine Zukunft haben würde, nachdem sein Drachenvater Pyre ihn an Synge verscherbelt hatte, um eine Schuld zu begleichen.

Damals hatte er angenommen, er würde zeitlebens als Wache für den uralten Drachen arbeiten. Kein ungewöhnliches Schicksal für ein Halbblut. Und eines, auf das er sich seit seinen frühesten Jahren vorbereitet hatte. Wenn er schon ein Diener sein musste, dann wäre er bei Gott ein unglaublich guter Diener, der beste, den es gab.

Doch da hatte Synges Lieblingskonkubine eine Vision gehabt – und sein gesamtes Leben war auf den Kopf gestellt worden.

Mit gestrafften Schultern zwang Torque sich nun, die Umkleide zu verlassen. Es war sinnlos, das Unausweichliche aufzuschieben.

Baine war im Gegensatz zu vielen anderen Drachen kein Freund von Tod und blutiger Zerstörung, doch Geduld gehörte nicht zu seinen größten Stärken.

Ein kluger Diener würde ihn nicht warten lassen.

Nachdem er die Tür aufgedrückt hatte, trat er in den Korridor, wo er beim Anblick von Char, der lässig gegen die Wand lehnte, überrascht anhielt.

»Was tust du hier?«

Mit einem Schulterzucken richtete sich der Mann zu seiner vollen Größe auf. »Ich wollte dich begleiten.«

Torque blickte finster drein. »Hat Baine Angst, ich könnte mich aus dem Staub machen?«

Char hob eine Augenbraue, die mehrere Nuancen dunkler als sein silberblondes Haar war. »Baine ist überzeugt, dass seine Dienerschaft ihm jeden seiner Wünsche eifrig erfüllt.«

Ja, das war allerdings wahr. Wahrscheinlich weil jeder Diener wahrlich eifrig erpicht darauf war, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.

Während sie den Gang hinabschritten, warf Torque dem älteren Mann, der im Gleichschritt neben ihm herging, verstohlene Seitenblicke zu.

»Warum eskortierst du mich dann?«

Char bedachte ihn mit einem charmanten Lächeln. Einem Lächeln, mit dem er einen gesamten Harem wie eine Horde Hyänen zum Kichern bringen konnte.

»Ich nehme an, dass du uns heute verlässt«, sagte er. »Und da wir seit über einem Jahrhundert zusammenarbeiten, wollte ich noch einen ungestörten Moment mit dir verbringen.«

Torque verdrehte die Augen, während sie in einen Hauptkorridor bogen, der mit unschätzbaren Wandteppichen und mehreren Wachen gesäumt war, die in Habachtstellung dastanden.

»Könnte dieser Tag denn überhaupt noch schlimmer werden?«

Char lachte, während er ihn mit eindringlicher Intensität musterte.

»Die meisten Männer freuen sich, mit ihren Gefährtinnen vereint zu werden«, murmelte er.

Torque erstarrte. Das war ein Thema, das er niemals zur Sprache brachte. Bei niemandem.

Doch wie Char richtig gesagt hatte, würde er bald fortgehen.

Es machte wenig Sinn, nicht darüber zu sprechen.

»Rya ist nicht meine Gefährtin«, widersprach er. »Zumindest nicht meine wahre Gefährtin.«

Char wirkte eher neugierig als überrascht. Im Gegensatz zu vielen Unsterblichen wählten Drachen häufig ihre Gemahlinnen, um ihr Machtgefüge zu stärken oder ihr Vermögen zu mehren. Sie konnten allerdings auch aufgrund von Gefühlen und Instinkten heiraten. Baine war dafür der beste Beweis. Doch die einzelgängerische Natur ihres inneren Tiers, ganz zu schweigen von ihrem gewaltsamen Wesen, machte es sehr unwahrscheinlich, dass sie die wahre Liebe fanden.

»Warum bist du dann mit ihr verlobt?«

»Ihre Mutter ist eine Shinto«, erwiderte er.

Char stieß einen leisen Pfiff aus. »Sehr selten.«

Das waren sie. Die Shinto waren ein zurückgezogener Clan von Elfen, die in den tiefsten Wäldern Zentralasiens lebten. Sie waren schwer fassbare Geschöpfe, die jeden Kontakt mit räuberischen Arten vermieden. Insbesondere mit Drachen, die die Shinto allerdings wegen ihrer Fähigkeit schätzten, in die Zukunft blicken zu können.

»Ja.«

»Kein Wunder, dass Synge ihr ein Heim geboten hat.« Chars Augen verengten sich. »Vielmehr …«

»Was?«

»Ich will nicht unhöflich sein, aber Synge hätte ein Vermögen für sie bekommen können«, sagte Char. »Warum wählt er einen Halbblutdrachen, der sie überhaupt nicht will?«

»Sie ist keine Vollblutshinto«, erklärte Torque. Synge war ein Drache der alten Schule. Er plünderte, brandschatzte und benutzte seine Halbblutkinder als Trumpfkarten bei Verhandlungen. »Außerdem hatte ihre Mutter während der Schwangerschaft die Vision, dass ihre Tochter Rya Pyres Sohn mit den Augen von Saphiren heiraten wird und dass wir gemeinsam Synges verlorenen Schatz wiederfinden.«

»Du kamst in einer Vision vor?« Char blinzelte langsam. »Nett.«

Torque schnaubte verächtlich. »Nun, nicht wirklich.«

»Und was hat es mit dem Schatz auf sich?«

»Synge weigert sich, irgendetwas zu dem Thema zu sagen. Aber allem Anschein nach ist er überzeugt, dass es sich lohnt, uns zu vermählen.«

Es folgten ein paar Minuten des Schweigens, während sie sich den gewaltigen, aus Ebenholz gefertigten und mit goldenen Intarsien verzierten Doppeltüren näherten.

»Wenigstens ist sie hübsch«, murmelte Char schließlich.

Ein sonderbarer Verdruss zischte wie Feuer durch Torques Adern. Seine Verlobte war nicht nur hübsch – sie war von betörender Schönheit. Langes, seidig glänzendes schwarzes Haar, das ihr in einem komplizierten Zopf den Rücken hinabfiel. Ein perfektes ovales Gesicht. Haut von der Farbe von dunklem Honig. Mandelförmige Augen, die mit demselben Feuer wie die von Baine glühten, allerdings bernsteinfarben gefärbt waren. Und ein hochgewachsener, schlanker Körper, der sich mit betörender Eleganz bewegte.

Doch obwohl er sie natürlich während ihrer kurzen Verlobungszeremonie vor fünfzig Jahren gesehen und sogar sein persönliches Zeichen auf ihrem Rücken hinterlassen hatte, sollte kein anderer Mann ihre Reize bewundern können.

War das nicht Sinn und Zweck eines Harems?

»Du kennst sie?«

Chars Lippen zuckten, als wäre ihm Torques eigenartige Reaktion nicht entgangen.

»Ich habe sie aus der Ferne gesehen. Sie ist …«

Mein.

Das Wort geisterte flüsternd durch Torques Hinterkopf, noch während er seinen Freund unterbrach.

»Ja, sie ist recht hübsch«, murmelte er, wobei er seiner Stimme absichtlich eine zurückhaltende, widerstrebende Note verlieh.

»Aber?«, hakte Char nach.

»Aber ich bin ein ausgebildeter Soldat, kein Schatzjäger«, erwiderte Torque, nun wieder auf vertrautem Boden. Er wollte nicht an die Nächte denken, in denen sich das Bild von Rya in seine Träume geschlichen hatte. Nein, er zog es vor, dem düsteren Gefühl von Ungerechtigkeit nachzuhängen. »Ganz abgesehen von dem Umstand, dass ich mir meine Frau lieber selbst ausgesucht hätte.«

»Hab Vertrauen, mein Freund«, murmelte Char. »Das Universum bringt uns Glück, wenn wir es am wenigsten vermuten.«

Torque blickte zu seinem Begleiter. »Seit wann bist du ein Philosoph?«

Char bedachte ihn mit einem breiten Lächeln. »Ich bin ein Drache mit vielen Talenten.«

»Und einem Ego, das seinesgleichen sucht.«

»Hey, wenn ich meine vielen beeindruckenden Eigenschaften nicht zu schätzen weiß, wer dann?« Char berührte leicht Torques Schulter. »Torque, pass auf dich auf. Und wenn du mich eines Tages brauchen solltest, musst du nur nach mir rufen.«

Torque senkte den Kopf, gerührt über das ernst gemeinte Angebot. Die beiden Männer mochten das genaue Gegenteil voneinander sein, doch im Lauf der vergangenen hundert Jahre hatte sich ein unverwüstliches Band zwischen ihnen geknüpft.

Noch bevor Char sich zum Gehen gewandt hatte, hatte Torque bereits eine der Türen aufgestoßen und war in den Thronsaal getreten.

Die Empfangshalle war genauso prächtig, wie man es in einer Drachenhöhle erwarten würde. Fast einhundert Meter lang, mit Wänden aus Elfenbein, in die kostbare Spiegel eingearbeitet waren. Die Decke war mit einem skurrilen Wandgemälde von Aladdin bemalt, und in der Mitte verbreitete ein unbezahlbarer venezianischer Kronleuchter ein strahlendes Licht über den glänzenden Parkettboden.

Am anderen Ende standen zwei goldene Thronsessel auf einer Estrade, wo Baine und seine Gefährtin Tayla schon auf ihn warteten.

Der reinblütige Drache hatte glatte schwarze Haare, die sein schmales Gesicht umrahmten, und mandelförmige Augen, in denen ein Bernsteinfeuer loderte. Wie gewöhnlich trug Baine nur eine weit geschnittene Dojo-Hose, weshalb seine Tätowierungen zu sehen waren, die mit einem metallenen Schimmer über seine Haut krochen.

Die Zeichen waren mehr als nur dekorativer Natur. Sie stellten die enorme Menge an Wissen dar, die der Drache im Laufe vieler langer Jahrhunderte angesammelt hatte.

Er war ebenso sehr ein Gelehrter wie ein Krieger.

Die Elfe neben ihm hatte dunkelgoldenes Haar mit einem Hauch von Feuer in den seidig weichen Strähnen. Ihr Gesicht war blass und wurde von zwei hellgrünen Augen beherrscht, die mit jadefarbenen Flecken gesprenkelt waren.

Ihre Schönheit war unübersehbar, doch jeder in der Drachenhöhle wusste, dass es ihre sanfte Seele und ihre unerschöpfliche Liebe waren, die Baines müdes Herz erobert hatten.

Torque marschierte den schmalen purpurroten Läufer entlang, nur darauf wartend, dass Baine mit den Fingern schnippte. Mit jedem Schritt trat die Macht des Mannes noch deutlicher hervor. Der Drache mochte wie ein träger Pascha auf seinem Thron fläzen, doch nur ein Narr würde die Magie nicht wahrnehmen, die förmlich in der Luft pulsierte.

Kurz vor der Estrade fiel Torque ergeben auf die Knie und senkte respektvoll den Kopf.

»Herr und Meister.«

Ein missmutiges Seufzen kam von der winzigen Frau an Baines Seite. »Du musst wirklich etwas dagegen unternehmen.«

Baine blickte zu seiner reizenden Gefährtin. »Was?«

»Herr und Meister.« Tayla verdrehte die Augen.

»Das ist mein Titel.« Baine zuckte mit den Achseln. »Zumindest müssen meine Diener nicht vor mir auf den Knien robben.«

»Verlangen das etwa andere Drachen?«, fragte die Elfe.

Baine zuckte mit den Schultern. »Natürlich.«

Tayla schnalzte mit der Zunge. »Also wirklich, wir müssen unbedingt ein Seminar abhalten, um deinen Leuten beizubringen, wie man mit Angestellten umgeht. Es ist nicht nett, dem eigenen Personal Angst einzujagen. Ganz zu schweigen von eurem ständigen Feuerspeien.«

Baines Lippen zuckten. »Letzte Nacht hat es dich auch nicht gestört, dass ich Feuer gespuckt habe.«

Die Elfe errötete, obwohl ihre Augen bei der Erinnerung an das köstliche Vergnügen funkelten. »Das war etwas anderes.«

»Ihr habt nach mir gerufen?« Torque unterbrach die beiden Turteltauben.

Er respektierte seinen Meister von ganzem Herzen, und das gesamte Drachennest vergötterte die süße Elfe, die er zur Gefährtin erkoren hatte, doch Torques Nerven waren zum Reißen gespannt.

Nun, da sein Schicksal sich erfüllen sollte, wollte er die Sache einfach hinter sich bringen.

»Ja«, sagte Baine, und sein seltenes Lächeln verschwand.

Die Schlinge zog sich fester um Torques Kehle.

»Ich bin bereit, mein Los anzunehmen«, erklärte er stoisch.

»Um ehrlich zu sein, hat sich dein Los ein wenig verändert.«

Torque hob den Kopf und betrachtete Baine verwirrt. »Was soll das bedeuten?«

»Mein Vater hat mich heute Morgen benachrichtigt, dass deine zukünftige Gefährtin verschwunden ist.«

Torque erhob sich langsam. Eigentlich hatte er erwartet, augenblicklich zu dem Portal geführt zu werden, das ihn in Synges Drachenhöhle bringen würde.

Stirnrunzelnd versuchte er nun, sich einen Reim daraus zu machen, was zum Teufel hier gerade vor sich ging. »Verschwunden? Das verstehe ich nicht«, murmelte er.

»Sie ist unauffindbar.«

»Aber …« Torque schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie wäre im Harem?«

Baine zuckte mit den Schultern. »Das haben wohl alle angenommen.«

»Wurde sie entführt?«

»Nein.«

Torques Stirnrunzeln wurde noch tiefer, und die bohrende Angst verblasste allmählich, während sich ein Fünkchen Wut in seiner Magengrube entzündete.

»Was ist dann passiert?«, fragte er verwundert.

»Das Einzige, was wir derzeit wissen, ist, dass sie sich unbemerkt davongeschlichen hat.«

Davongeschlichen? Im Sinne von, sie hat sich aus dem Harem wie ein Dieb in der Nacht fortgestohlen?

»Wie ist das möglich?«

»In ihren Adern fließt Elfenblut«, sagte Baine. »Wie in deinen.«

Torque legte die Stirn in Falten. Er redete nie über seine Mutter. Hauptsächlich weil es nichts zu sagen gab. Abgesehen von dem Umstand, dass sie eine Elfe war, wusste er nichts über sie. Nur dass sie ihn wenige Minuten nach seiner Geburt im Stich gelassen hatte.

Nicht gerade die Sorte Mutter, mit der man herumprahlen wollte.

»Und?«, hakte er nach.

»Und sie war in der Lage, ein Portal zu erzeugen, um ihr Zuhause zu verlassen, ohne dass irgendjemand ihr Verschwinden mitbekommen hätte.«

Torques Hände ballten sich an seinen Seiten zu Fäusten, als eine Woge von Wut ihn überrollte.

Es bedeutete, dass seine Gefährtin sich nicht nur heimlich davongestohlen hatte, sondern ihrem Vater absichtlich vorgegaukelt hatte, sie wäre immer noch dort.

Er reckte das Kinn, sein Stolz wie weggefegt durch den Betrug.

War es nicht schon schlimm genug gewesen, dass ihm befohlen worden war, sie mit seinem Zeichen zu brandmarken? Jetzt hatte sie ihn öffentlich gedemütigt, indem sie weggelaufen war, als sie eigentlich die formelle Zeremonie ihres Bundes hätten eingehen müssen.

»Weiß irgendjemand, wie lang sie schon fort ist?«

Baine schüttelte den Kopf. »Leider nein. Sie hat in ihrem Familienharem gelebt, was bedeutet, dass die Wachen nur zu ihrem Schutz aufgestellt waren. Also konnte sie sich völlig frei bewegen, ohne dass ihr Kommen und Gehen überwacht worden wäre«, erklärte er. »Sie hätte seit Stunden oder Wochen fort sein können, bevor Synge ihr Verschwinden bemerkt hätte.«

Torque drehte sich zur Seite, da er nicht wollte, dass sein Herr die starken Emotionen sah, die in ihm wüteten.

Irgendwo in seinem Hinterkopf flüsterte eine Stimme, dass er erleichtert sein sollte. Wenn die Frau verschwunden war, musste er sie nicht zu seiner Gefährtin machen.

Doch es war keine Erleichterung, die durch seine Adern peitschte, sondern eine gefährliche Verbindung aus Wut und Verrat.

»Warum sollte sie weglaufen?«

Baine räusperte sich. »Das ist genau die Frage, auf die du für meinen Vater die Antwort herausfinden sollst.«

Torque drehte sich zurück und begegnete Baines glühendem bernsteinfarbenem Blick.

»Er weiß, wo sie steckt?«

»Das ist deine Aufgabe.«

Torque reckte das Kinn und täuschte eine Gleichgültigkeit vor, die er keineswegs verspürte.

»Wenn sie weggelaufen ist, bevor unser Bund geschlossen werden konnte, dann ist unser Vertrag null und nichtig.«

Mit seinen schlanken Fingern klopfte Baine auf die Armlehne seines riesigen Throns. »Das habe ich Synge gegenüber ebenfalls erwähnt.«

»Und?«

»Er ist davon überzeugt, dass es deine Pflicht ist, sie aufzuspüren und zurück in ihren Harem zu bringen«, entgegnete Baine.

Torque presste die Lippen aufeinander. Natürlich wollte der ältere Drache ihm die Verantwortung in die Schuhe schieben.

»Und wenn ich mich weigere?«

Baine verzog das Gesicht. »Dann kannst du deinen Dienst als Gesandter bei den Trollen antreten.«

Es war der schlimmste Job in der ganzen Drachenwelt. Niemand, nicht einmal der hartgesottenste Krieger, wollte dauerhaft etwas mit den stinkenden, dickköpfigen Trollen zu tun haben, die wie Barbaren in den abgelegensten Bergen hausten.

»Ich weiß nicht einmal, wo ich mit der Suche nach ihr beginnen sollte«, murmelte er und tat immer noch so, als wollte er seiner Pflicht nur widerwillig nachkommen. Tief in ihm rührte sich allerdings sein inneres Tier mit fiebriger Entschlossenheit, endlich auf die Jagd zu gehen. »Ihr Drachenblut wird ihr helfen, ihre Gegenwart zu verbergen.«

»Ah.« Unvermittelt war das Geräusch von Krallen zu hören, die über Parkett kratzten.

Nach einem Blick über die Schulter erschauderte Torque, als er den einen Meter großen Gargoyle bemerkte, der über den roten Teppich stolzierte. Levet war ein Freund von Tayla und ein häufiger Gast in der Drachenhöhle.

»Wenn ihr auf der Suche nach einem Fährtenleser seid, habt ihr großes Glück, dass ich mich gerade entschieden habe, meinen BFF Baine zu besuchen.«

Baine sah finster drein. Es zeugte von seiner Liebe für seine Gefährtin, dass der Miniatur-Gargoyle noch nicht in einen verkohlten Berg Asche verwandelt worden war.

»BFF?«, fragte der Drache.

Levet breitete die Flügel aus, die nicht nur hauchzart wie die der Tauelfen waren, sondern in unzähligen Schattierungen von Blau und Purpur und Gold schimmerten.

»Best friend forever«, erklärte er dem Drachen fröhlich.

Baine wirkte für einen kurzen Moment entsetzt. »Wir sind keine Freunde.«

»Natürlich sind wir das.« Levet kratzte sich an einem seiner verkümmerten Hörner und rümpfte verwirrt die hässliche Schnauze. »Warum sonst habe ich meine eigenen Gemächer in deinem Drachennest?«

Rauchfäden kringelten sich aus Baines geblähten Nasenlöchern. »Eigene Gemächer?«

»Das besprechen wir später«, murmelte Tayla und beeilte sich, mit der Hand sanft über Baines nackten Arm zu streicheln. Er entspannte sich augenblicklich, als verfügte sie über magische Fähigkeiten, die sein inneres Tier beruhigten. Sobald sie sicher war, dass er den Raum nicht mit einer mächtigen Feuersalve in Schutt und Asche legen würde, wandte sie sich an Levet. »Kannst du Rya aufspüren?«

»Aber natürlich.« Der Schwanz des Gargoyles kringelte sich um seine Füße, seine Brust war stolzgeschwellt. »Ich bin der Piccolo, um wunderschöne Frauen zu orten.«

»Piccolo?«, fauchte Baine.

Tayla machte ein ersticktes Geräusch, offensichtlich in dem Bemühen, nicht laut loszulachen. »Ich glaube, er meint Picasso.«

Baine zischte verärgert auf. »Das ergibt trotzdem keinen Sinn.«

Levet ließ seine Feenflügel flattern. »Ich bin ein Meister meines Fachs.«

Torque trat vorsichtshalber einen Schritt zur Seite, da er annahm, Baine würde sie von dieser lästigen Nervensäge befreien. Stattdessen legte sich ein träges Lächeln auf die grausamen Lippen des schlauen Drachens.

»Es könnte nicht schaden, wenn du ihn mitnimmst«, sagte er zu Torque.

»Nein. Auf gar keinen Fall!« Die Weigerung platzte aus Torque heraus, bevor er sie zurücknehmen konnte.

Allein der Gedanke, diesen kleinen Plagegeist am Hals zu haben, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Ein echtes Kunststück, wenn man bedachte, dass er halb Drache war.

Baine hob die Augenbrauen. »Willst du die nächsten paar Jahrhunderte etwa bei den Trollen verbringen?«

Dieses Mal gelang es Torque, sich eine Bemerkung zu verbeißen. Ihm war durchaus bewusst, dass Baine nur versuchte, selbst den nervigen Gargoyle loszuwerden, doch sofern Torque nicht mit Dutzenden stinkenden Trollen in einer dunklen Höhle landen wollte …

»Na schön«, knurrte er durch zusammengepresste Zähne.

Als bliebe ihm eine andere Wahl.

Levet streckte eine Klauenhand aus. Seine grauen Augen funkelten vor eitler Selbstzufriedenheit.

»Ich brauche einen Gegenstand, der eine Verbindung zu der Frau hat«, befahl er.

Als Torque Baines warnenden Blick spürte, zog er widerwillig den Zinnring von seinem Finger. Er war von Rya höchstpersönlich gefertigt worden und barg einen Teil ihrer Magie.

»Das war ihr Verlobungsgeschenk«, sagte er, während er das Kleinod in Levets ausgestreckte Pfote fallen ließ.

Es folgte eine winzige Explosion, ein Aufflackern von Magie, und im nächsten Moment war der Ring verschwunden.

Torque verspürte ein plötzliches Aufbäumen von Panik. Nicht dass er an dem Ring gehangen hätte, beteuerte er sich hastig. Er war nur … Verdammt, er wusste nicht, was los war. Gerade wusste er nur, dass er dem Gargoyle die Flügel ausreißen würde, falls dieser das Verlobungsgeschenk verlieren sollte.

»Komm mit.« Levet drehte sich jäh um und watschelte zur Tür. »Wir müssen eine Hexe finden.«

Torque zwang sich, ihm zu folgen. »Wozu brauchst du eine Hexe?«

Levet trottete ungerührt weiter. »Wie jeder große Künstler benötige ich gutes Handwerkszeug. Fragst du etwa auch, warum Renoir einen Pinsel braucht?«

Torque warf einen Blick über die Schulter und sah seinem belustigten Meister fest in die Augen.

»Wie lange müsste ich denn bei den Trollen bleiben?«

Baine zeigte mit dem Finger zur Tür. »Na los!«

Torque marschierte weiter und fragte sich verwundert, ob er es auch nur aus der Drachenhöhle schaffen würde, bevor er den winzigen Dämon in Brand gesteckt hatte.

Sie hatten fast die Tür des Thronsaals erreicht, als Taylas Stimme sanft durch die Luft wehte.

»Torque.«

Ein weiterer Blick über die Schulter. »Ja?«

»Sei nachsichtig mit ihr, wenn du sie findest.«

Seine Miene verfinsterte sich. Rya hatte ihn öffentlich bloßgestellt.

»Nachsichtig?«

Tayla warf ihm ein mitleidvolles Lächeln zu. »Du weißt nicht, warum sie verschwunden ist.«

Torque schnaubte verächtlich und stürmte aus dem Thronsaal.

Es war ihm völlig egal, warum sie weggelaufen war. Er wusste nur, dass er, sobald er sie finden würde …

Nun ja, er hatte nicht wirklich einen Plan. Aber sobald er sie gefunden hatte, würde er sicherstellen, dass sie nicht wieder fliehen würde.

2

Das Märzwetter stürmte wie ein Löwe über den Vatnajökull-Gletscher auf Island. Die Temperatur bewegte sich knapp unter dem Gefrierpunkt, und es wehte ein beißender Wind, der mit brutaler Kälte durch die Luft schnitt.

Das Gebiet war unwirtlich für Menschen, mit schmalen Schneekämmen, die durch enge Schluchten getrennt waren und gelegentlich unachtsame Wanderer auf rasiermesserscharfem Eis in die Tiefe stürzen ließ. Und dann war da Grímsvötn, der aktive Vulkan, der giftige Gase und Asche ausstieß.

Der perfekte Ort für eine kleine Kolonie von Frostelfen.

Diese Geschöpfe waren fast ebenso selten wie Shintoelfen und nahmen sich wie sie vor raubtierhaften Spezies in Acht.

Nicht dass sie hilflos waren. Sie hatten gut ausgebildete Krieger, die sich sowohl mit dem Schwert als auch mit ihrer magischen Fähigkeit, eine Eisschicht um ihre Feinde zu bilden, zu wehren wussten.

Eigentlich hätten sie in diesem Teil der Welt in Sicherheit sein müssen, aber natürlich konnte sich niemand ewig verbergen und Gefahren aus dem Weg gehen.

Vor vier Wochen war der erste Frostelf verschwunden. Anfangs hatten sie angenommen, der junge Elf hätte dem Verlangen nachgegeben, zu einem der weit entfernten Dörfer zu reisen und sich ein paar Nächte mit menschlichen Frauen zu vergnügen. Das war etwas, das die abenteuerlustigeren Geschöpfe unter ihnen gelegentlich taten. Doch als er nicht zurückkehrte, begannen die anderen sich allmählich Sorgen zu machen. Dann verschwand ein weiterer Frostelf. Und noch einer.

Als fünf Elfen wie vom Erdboden verschluckt waren, wussten sie, dass sie dieses Problem nicht allein lösen konnten. Verzweifelt wandten sich die Frostelfen an Ryas Mutter. Ihre Kunst, einen Schatten zu erzeugen, umfasste ebenfalls die Fähigkeit, das projizierte Abbild zu benutzen, um damit möglicherweise den Vermissten finden zu können.

Unglücklicherweise war sie tief in den Höhlen gewesen, um die Stelle zu berühren, wo der letzte Elf gesichtet worden war, als sie ebenfalls verschwand.

Mehrere Tage später hatte Rya die verworrene Botschaft von den Frostelfen erhalten und war Hals über Kopf nach Island aufgebrochen.

Als Erstes hatte sie ein Portal erzeugen müssen, damit die Wachen ihres Vaters nichts von ihrer Flucht mitbekamen. Sie hatte zwar die Erlaubnis, den Harem jederzeit zu verlassen, allerdings nur in Begleitung einer bewaffneten Wache. Diesmal wollte sie jedoch unbemerkt reisen. Etwas, das mit einem Drachen, der Chaos um sie herum verursachte, unmöglich gewesen wäre.

Aus diesem Grund hatte sie eine kleine Reisetasche gepackt, war aus der Drachenhöhle geschlüpft und heimlich zum Gletscher gereist.

Bei ihrer Ankunft war die Elfenkolonie bereits zu einem versteckten Ort weit entfernt von ihrer bisherigen Heimat geflüchtet, und nur Finn war zurückgeblieben, um die Suche nach den Vermissten fortzusetzen.

Der Frostelf war nicht nur ein Prinz, sondern gleichzeitig ihr stärkster Krieger.

Jetzt beobachtete Rya, wie Finn sich aus dem eiskalten Meer erhob und in ihre Richtung schlenderte. Der Elf hatte unter dem Treibeis nach dem Anzeichen eines Portals gesucht, während sie die Lavatunnel durchkämmt hatte.

Ihr Drachenblut mied kaltes Wasser, von dem Finn behauptete, es wäre belebend für Geist und Körper.

»Etwas gefunden?«, fragte Rya, als sich Finn eine blaue Robe um die hochgewachsene, schmale, wenn auch muskulöse Gestalt schlang.

Mit eleganten Fingern schob er sich das Haar zurück, das die Farbe von blassem Silber hatte und so lang war, dass es seine breiten Schultern berührte. Seine Gesichtszüge waren fein geschnitten, aber gleichzeitig unglaublich männlich. Seine Augen schimmerten wie geschliffene Diamanten im Licht der untergehenden Sonne, während seine Haut perlweiß glänzte.

Er kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Das hier.«

Rya runzelte die Stirn, als sie den kleinen goldenen Gegenstand betrachtete, auf dem Spuren eines Fluchs eingebrannt waren.

»Ein Amulett«, murmelte sie und spürte das kleine magische Kitzeln, das die runde Scheibe umgab. »Kennst du es?«

»Es gehört einer Elfe, aber niemandem von unserem Stamm«, erwiderte er.

Rya biss sich auf die Unterlippe. »Ist es möglich, dass auch Elfen aus anderen Kolonien verschleppt werden?«

»Natürlich.« Die diamantfarbenen Augen blitzten vor Wut auf, als sich seine Finger um das Amulett schlossen. »Oder es gehört unserem unbekannten Feind.«

Rya rümpfte die Nase. »Gut möglich. Leider bringt uns das bei der Suche nach dem Entführer keinen Schritt weiter.«

»Nein.« Die Luft knisterte vor der Macht des Elfen, bevor er den Kopf schüttelte und das Amulett in die Tasche seiner Robe steckte. »Hast du schon gegessen?«

Rya musste bei dem abrupten Themenwechsel blinzeln. »Ich bin nicht hungrig.«

»Wie schade.« Er verengte seine Diamantaugen. »Du brauchst Nahrung und Ruhe. Du kannst entweder freiwillig mitkommen, oder ich werfe dich mir über die Schultern.«

Rya täuschte eine finstere Miene vor. »Tyrann.«

Er lächelte. »Du bist nicht die Erste, die mich so nennt.«

»Das überrascht mich nicht«, murrte Rya, obwohl sie dem Elfen gestattete, sie über den Schnee in den Tunnel zu führen, der in das Eis gegraben war.

»Es riecht köstlich«, murmelte sie, als sie eine überraschend schöne Höhle betraten, die mit Tausenden winziger Lichterketten erhellt war und deren Schimmer voll betörender Schönheit über das Eis tänzelte.

»Ich habe den Lachs heute Morgen frisch gefangen und ihn zusammen mit Gewürzen in Blätter eingewickelt, bevor ich ihn in die heißen Quellen gelegt habe.« Er führte sie um einen Stalagmiten – oder war es ein Stalaktit? Eines dieser spitzen Dinge eben, die aus dem Boden von Höhlen wuchsen. Beim Anblick des kleinen Tischs, auf dem Kerzen leuchteten und eine Kristallkaraffe mit einer goldenen Flüssigkeit stand, riss Rya überrascht die Augen auf. »Es gibt sogar Nektar«, fuhr er fort, »den ich einem Elfen abgekauft habe, als ich in Flú∂ir war.«

Ihr Magen knurrte, als sie zu ihrem Stuhl ging und sich setzte. Der Versuch, die Magie aufzudecken, mit der die Elfen entführt worden waren, hatte sie unglaublich viel Energie gekostet.

Niemand verschwand einfach ohne jede Spur. Irgendwo musste es einen noch so kleinen Hinweis geben, wer für diese Schandtat verantwortlich war.

Finn ging zu einem seichten Gewässer in der Mitte der Höhle, das durch die Hitze der unterirdischen Lava brodelte. Mit überraschender Effizienz – immerhin war er ein Prinz, der normalerweise gewiss Dutzende Diener hatte, die sich um sein Leib und Wohl kümmerten – wickelte er den Lachs aus und drapierte ihn auf Tellern, zusammen mit aufgeschnittenem frischem Obst, das er tags zuvor durch ein eigens zu diesem Zweck geschaffenen Portal geholt hatte.

Zurück am Tisch stellte er einen Teller vor Rya, bevor er ebenfalls Platz nahm.

»Ein wahres Festessen«, sagte sie mit tief empfundener Dankbarkeit.

Finn zuckte mit den Schultern. »Wir haben hart gearbeitet, also verdienen wir eine Pause.«

Rya versuchte, die nagende Angst um ihre Mutter für einen Moment zu unterdrücken. Finn hatte recht. Es wäre nicht hilfreich, wenn sie vor Erschöpfung zusammenbrach.

»Ich weiß nicht so recht«, erwiderte sie.

»Darf ich?« Finn griff nach der Karaffe und goss ihnen beiden ein Glas von dem Nektar ein.

Rya nahm einen Schluck und bebte, als die köstliche Wärme durch ihren Köper wallte.

Zwar war sie nur zur Hälfte eine Elfe, doch der Nektar floss durch sie hindurch wie edelster Champagner.

»Sehr stark.«

Sie blickte zu dem Elfen, der sich mit arroganter Gelassenheit auf seinem Stuhl zurücklehnte. Er war wunderschön. Wie schade, dass er es nicht schaffte, ihr Herz zum Schlagen zu bringen. Oder ihre Träume mit heißen Fantasien zu füllen. Das war bisher nur einem Mann gelungen.

Torque.

Ihr Rücken kribbelte auf einmal, als wollte er sie daran erinnern, dass sie das Zeichen dieses Mannes trug. Nicht dass sie dies jemals hätte vergessen können. Seine sanfte Berührung während der Zeremonie vor fünfzig Jahren hätte eigentlich ein kleines Symbol hinterlassen sollen, um ihre Verlobung zu besiegeln. Stattdessen war jäh das Bild eines Drachen erschienen, und hatte sich in leuchtendem Gold und Jadegrün auf ihrer Haut ausgebreitet.

Die Tätowierung begann in ihrem Nacken und schlängelte sich ihren langen, durchtrainierten Körper hinab bis zu der Wölbung ihrer rechten Pobacke. Erstaunlicherweise hatte der Drache zwei saphirblaue Augen, das perfekte Abbild ihres Verlobten.

Allein der Umstand, dass Torque ebenso überrascht wie sie von der Größe und den aufwendigen Details des Mals gewesen war, hatte dafür gesorgt, dass sie sich damals ihre empörten Worte verkniffen hatte.

»Stimmt etwas nicht?« Finns tiefe, melodiöse Stimme durchbrach ihre zerstreuten Gedanken. »Die Luft hat sich plötzlich um mehrere Grad erwärmt.«

Rya setzte ein gespieltes Lächeln auf und spürte, wie Röte in ihre Wangen kroch.

Verdammt. Sie verwendete so viel Energie darauf zu vergessen, dass sie einen Verlobten hatte, ganz zu schweigen von der Erinnerung, dass er ihr Blut damals zum Brodeln gebracht hatte. Immerhin hatte sich Torque damals nicht die geringste Mühe gegeben, sein verbissenes Bedauern zu verbergen, dass er genötigt worden war, sie zu seiner Gefährtin zu nehmen.

Mistkerl.

»Wie schon gesagt, der Nektar ist sehr stark«, plapperte sie und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit dem Elfen zu schenken, der neben ihr saß. »Du versuchst hoffentlich nicht, mich betrunken zu machen, oder?«

Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinen maskulinen Lippen. »Würde es denn funktionieren?«

Ihre kurze Anspannung verflog. Dieser Elf mochte ihr Herz nicht zum Überschäumen bringen, doch er war gut aussehend und charmant und die perfekte Ablenkung, bis sie die Suche nach ihrer Mutter wieder aufnahm.

»Elfen sind so vorhersehbar«, neckte sie ihn.

Finn griff nach seinem Nektar, und das zarte Kristallglas überzog sich mit Raureif unter seinen Fingern.

»Ich denke, es hat mehr damit zu tun, dass ich ein Mann bin und nicht nur ein Elf«, erklärte er.

»Wie wahr«, stimmte sie ihm zu und verdrehte die Augen. »Männer sind so vorhersehbar.«

Finn kicherte. »Darauf trinke ich.«

Mit einem reumütigen Kopfschütteln schnappte sich Rya ihre Gabel und machte sich über ihre Mahlzeit her.

Sie aßen schweigend, denn beide brauchten die Kalorien, um wieder zu Kräften zu kommen. Als Rya endlich satt war, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und nippte an ihrem Nektar.

»Vielen Dank«, murmelte sie. »Das war köstlich.«

»Es ist nur eine Kleinigkeit, um dir meine Anerkennung für deine Hilfe bei der Suche nach meinem Volk auszudrücken.« Ohne Vorwarnung beugte er sich vor und strich mit dem Finger über ihre Wange. »Ich kenne einen … persönlicheren Weg, um dir später meine Dankbarkeit zu beweisen.«

Rya grinste. Sie hatte den Großteil ihres Lebens in einem Harem verbracht. Kein Harem, der für die Kurtisanen bestimmt war, die den Drachen zu Diensten stehen sollten, sondern private Gemächer in der Drachenhöhle ihres Vaters, die gewissenhaft geschützt wurden. Was bedeutete, dass sie kaum Erfahrung mit Männern hatte. Doch sie war klug genug, um zu wissen, dass Finn nicht von ihrem Charme betört war. Er würde jede Frau beglücken, die sich ihm anbot.

Ihre Lippen teilten sich, um ihm zu erklären, dass sie seinen Dank nicht wünschte, als eine plötzliche Hitze die Luft durchschnitt.

Was zum Teufel war das?

»Lass die Finger von ihr, bevor ich sie dir alle einzeln ausreiße und in deine Kehle stopfe«, befahl eine dunkle männliche Stimme.

Rya sprang auf die Beine, wirbelte herum und sah, wie der Eindringling auf sie zukam.

Torque.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, während ihr Blick über seine ernsten Gesichtszüge glitt, die aussahen, als wären sie von der Hand eines Künstlers geschaffen worden. Seine Augen waren von einem hell leuchtenden Blau, das von der Hitze seines inneren Drachen zum Glühen gebracht wurde. Ein saphirfarbenes Feuer. Sein Mund war perfekt gemeißelt, seine Unterlippe überraschend voll, als wäre sie ein Hinweis auf eine eisern zurückgedrängte Leidenschaft. Seine Stirn war breit, mit dunklen gewölbten Augenbrauen.

Er war nicht nur wunderschön, er war unwiderstehlich, stellte Rya stillschweigend fest, während ihr Blick über den schlanken, muskulösen Körper wanderte, der trotz der eisigen Kälte nur von einem dünnen schwarzen T-Shirt und einer ausgewaschenen Jeans bedeckt war.

Unbewusst leckte sie sich die Lippen. Seine schier überschäumende Kraft war entschlossen gebändigt, doch ein Nachhall seiner Macht pulsierte über seine Haut. Sie hatte das Gefühl, als würde sie mitten in einem Gewitter stehen und darauf warten, dass das Unwetter über ihr losbrach und sie zermalmte.

Als sie wieder nach oben sah und seinem glühenden Blick begegnete, reckte sie in einer unbewusst abwehrenden Bewegung das Kinn, um das Brennen der Erregung zu unterdrücken, das sie packte.

Er war ihr gefolgt.

Das hatte sie nicht erwartet.

»Was tust du hier?«, fragte sie.

Torque funkelte Finn, der sich neben Rya gestellt hatte, eisig an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau schenkte.

»Ich bin natürlich hier, um meine Verlobte abzuholen«, knurrte er. Dampf wirbelte um seine Füße, während seine Verärgerung die in der Nähe gelegenen Stalagmiten zum Schmelzen brachte. Oder waren es Stalaktiten? Sie musste das wirklich einmal lernen. »Etwas, das nicht nötig wäre, wenn du im Harem wärst, wo du hingehörst.«

Rya verengte die Augen zu Schlitzen und schob entschieden ihre alberne Erregung beiseite.

Sie hatte schon vergessen, dass der Halbblutdrache ein eingebildeter Mistkerl war. Glücklicherweise hatten die ersten Worte aus seinem Mund sie daran erinnert.

»Wie hast du mich gefunden?«, wollte sie wissen.

»Ah.« Das Aufblitzen von Farbe lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den winzigen Dämon, der unvermittelt auf sie zuwatschelte. »Dafür darfst du mir danken, ma belle. Ich bin ein großer Piccolo …«

»Nicht jetzt, Gargoyle«, unterbrach Torque ihn fauchend.

»Hey!« Das graue Geschöpf mit den großen Feenflügeln und den knubbeligen Gesichtszügen warf seinem Begleiter einen ungeduldigen Blick zu. »Die Welt ist erpicht darauf, meine beeindruckenden Fähigkeiten zu honorieren, n’est-ce pas?« Nach einigen Schritten stand der Dämon direkt vor Rya und verbeugte sich leicht. »Levet, RISR, stets zu Diensten.«

Rya musterte ihn verwirrt. »RISR?«

»Nicht fragen«, murmelte Torque.

Levet schnaubte verächtlich in Richtung des Drachen, bevor er sich zu Rya zurückdrehte.

»Ritter in schimmernder Rüstung«, erklärte er und streckte stolzgeschwellt die Brust heraus.

»Oh.« Rya legte den Kopf schief. Hatte der Drache etwa eine Wette verloren? Das war der einzige plausible Grund, dass dieser arrogante, unnahbare Mistkerl mit einem solch … interessanten Begleiter reiste. »Bist du ein Gargoyle?«

Levet breitete die Flügel aus. »Nicht nur irgendein Gargoyle, sondern der bekannteste meines Geschlechts.«

»Du bist sehr …« Sie ließ ihre Worte verhallen.

»Kompakt?«, sprang ihr Levet hilfreich zur Seite.

»Ja.«

»Das reicht«, knurrte Torque und ging unvermittelt einen Schritt vor. »Wir machen uns sogleich auf den Weg zurück in die Drachenhöhle deines Vaters.«

Es war ein klarer Befehl. Als wäre es sein gutes Recht, ihr Anweisungen zu erteilen.

Ihr eigener Drache erwachte wütend zum Leben.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem verkniffenen Lächeln. »Tu dir keinen Zwang an, du kannst überall hin reisen, wo auch immer du hin willst, im Grunde habe ich sogar ein paar Vorschläge parat. Alle von ihnen sind heiß und voller Flammen. Aber ich bleibe hier.«

Torque blinzelte, als würde ihre Weigerung ihn überraschen. »Was hast du gerade gesagt?«

»Ich. Bleibe. Hier.«

Der saphirfarbene Blick huschte zu Finn, der dicht neben Rya stand.

»Wirst du gegen deinen Willen hier festgehalten?«

Ohne Vorwarnung schlang der Elfenprinz einen Arm um Ryas Schulter und zog sie an sich.

»Sieht es etwa so aus, als würde sie hier gegen ihren Willen festgehalten werden?«, fragte er spöttisch.

Torque zischte, und Feuer tänzelte über seine Haut, als er auf sie zukam.

»Ich habe dich gewarnt. Du weißt, was geschehen wird, wenn du sie noch einmal anfasst«, sagte er, seine dunkle Stimme mit Mordlust gefärbt.

Instinktiv huschte Rya vor und legte ihm die flache Hand genau in die Mitte der Brust.

»Torque, nein!« Sie stellte sich ihm direkt in den Weg, ohne auf die Flammen zu achten, die eine normale Fee längst versengt hätten. Zwar hatte sie nicht den blassesten Schimmer, was genau Torque derart auf die Palme brachte, doch sie wusste, dass sie den armen Finn nicht in diesen gerade aufziehenden Sturm hineinreißen wollte. »Lässt du uns kurz allein?«, bat sie den Prinzen, ohne Torque auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Eisige Kälte schnitt durch die Luft und zischte kreischend auf, als sie mit voller Wucht auf Torques Hitze prallte.

»Ich halte es für keine gute Idee, dass du mit ihm allein bist«, protestierte Finn. »Er ist offensichtlich gewalttätig.«

Rohe Kraft donnerte durch die Luft, wirbelte Ryas Haare auf und ließ Finn vor Schmerz aufkeuchen.

»Du wirst noch herausfinden, wie gewalttätig ich in Wirklichkeit sein kann«, versprach Torque mit bedrohlicher Stimme.

»Finn, mir wird nichts geschehen«, beruhigte Rya den Elf, während sie sich zwischen die beiden Männer drängte. Sie war nicht nur in der Lage, das Feuer zu ertragen, das um ihn tanzte, sondern hatte genug Drachenblut in sich, um zu wissen, dass sie sich zur Wehr setzen könnte, sollte der Fall aller Fälle eintreten. »Ich kann mich gut um mich selbst kümmern.«

Finn zögerte. Zweifellos, weil in Torques Augen eine Verheißung von Tod aufblitzte.

»Bist du sicher?«

Sie hätte nicht sicher sein dürfen. Bisher hatte sie Torque erst einmal in ihrem Leben getroffen, bei ihrer offiziellen Verlobung, während der er sie kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Selbst als er mit seinen Fingern über ihren Rücken gestrichen war, hatte es den Anschein gehabt, als wäre er im Geiste meilenweit weg.

Dennoch wusste sie ohne den Schatten eines Zweifels, dass er ihr niemals wehtun würde.

»Ich würde vorschlagen, dass du mit mir kommst«, durchbrach Levet die angespannte Stille und bedeutete Finn, ihm zu folgen, während er in Richtung des Tunnels am hinteren Ende der Höhle watschelte. »Im Laufe der vergangenen paar Tage habe ich gelernt, dass es das Beste ist, einen Drachen nicht zu stören, wenn er in einer solchen Stimmung ist.« Die Flügel des Gargoyles schimmerten im Elfenlicht. »Sie können ebenso temperamentvoll wie Vampire sein.«

Finn fluchte leise. »Ich bin draußen, falls du mich brauchen solltest«, sagte er und bedachte Torque mit einem warnenden Stirnrunzeln.

»Vielen Dank, Finn«, murmelte Rya und wartete, dass beide, der Gargoyle und der Elf, im Tunnel verschwunden waren. Dann stemmte sie sich die Hände in die Hüften und funkelte den Mann, der die einzigartige Fähigkeit besaß, sie zur Weißglut zu bringen, böse an. »Na schön. Verrätst du mir jetzt bitte, was zum Teufel du hier willst?«

3

Torque hatte das Gefühl, als würde er auf dünnem Eis stehen.

Im wahrsten Sinne des Wortes.

Zweifellos war dies dem Umstand geschuldet, dass er in kürzester Zeit einen Schock nach dem anderen erlitten hatte.

Der erste Schock war gekommen, als er aus dem Portal getreten war und erkannt hatte, dass er sich in einer eisigen Ödnis befand, deren unbewohnte Trostlosigkeit sich bis zum Horizont erstreckte. Warum sollte irgendeine Frau freiwillig die luxuriöse Annehmlichkeit einer Drachenhöhle verlassen, um sich den hübschen Hintern am Ende der Welt abzufrieren?

Der nächste Schock war seine ungeheuerliche Wut gewesen, als er die Höhle erreicht hatte und beobachten musste, wie ein Fremder seine Verlobte berührte.

Okay. Jeder Drache wäre verstimmt, wenn er seine Verlobte bei einem Candle-Light-Dinner mit einem anderen Mann erwischte. Insbesondere wenn der Mistkerl es wagte, sie noch dazu anzufassen. Doch der kochende Kessel an Zorn tief in seiner Magengrube, der ihn beinahe dazu gebracht hätte, den fremden Mann in ein mickriges Häufchen Asche zu verwandeln … war etwas übertrieben.

Allein das Wissen, dass er sich völlig untypisch verhielt, brachte ihn davon ab, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen.

Aber war ihm Rya für seine Zurückhaltung dankbar gewesen?

Nein.

Sie hatte so getan, als sei er ein unwillkommener Eindringling. Und nun funkelte sie ihn ohne den kleinsten Anflug von Schuldgefühlen an.

Was war aus der sanftmütigen, fügsamen Frau geworden, die er während ihrer Verlobungszeremonie kennengelernt hatte?

War es … wie nannten die Menschen es gleich noch mal? Eine Lockvogeltaktik?

Fast als wollte sie den Gedanken eindrucksvoll untermalen, dass sie nicht mehr dieselbe ruhige Frau war, die sein Mal akzeptiert hatte, stemmte Rya entschlossen die Hände in die Hüften.

»Ich habe dir eine Frage gestellt«, fauchte sie.

Torque trat vor und ignorierte den Umstand, dass seine Hitze das Eis unter seinen Füßen zum Schmelzen brachte. Ausnahmsweise gelang es ihm nicht, seine übliche stoische Selbstbeherrschung zu wahren.