Fesseln der Finsternis - Alexandra Ivy - E-Book
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Fesseln der Finsternis E-Book

Alexandra Ivy

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Beschreibung

Verfolgt von mächtigen Gegnern, gefangen in den Fesseln der Leidenschaft

Laylah, halb Dschinn, halb Mensch, gerät in die Fänge des Vampirs Tane. Obwohl sie Feinde sind, fühlen sie sich leidenschaftlich zueinander hingezogen. Doch Laylah muss wachsam sein: In ihrer Obhut befindet sich ein Kind, das die Macht hat, über das Schicksal der Dämonenwelt zu entscheiden. Um es beschützen zu können, muss sie nach London reisen. Tane weicht ihr jedoch nicht von der Seite: Kann sie dem Vampir vertrauen? Denn mächtige Gegner sind Laylah dicht auf den Fersen, und sie wollen das Kind um jeden Preis in ihre Gewalt bringen.

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Seitenzahl: 520

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Alexandra Ivy | Fesseln der Finsternis

Das Buch

Laylah wird in der Dämonenwelt als Halbdschinn systematisch verfolgt. Schon ihr ganzes Leben lang musste sie sich verstecken. Als ihr Tane, Vampir und Scharfrichter, auf die Spur kommt, droht Laylah der Prozess vor der Kommission der Dämonen. Doch Laylah hat eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: Sie muss ein Kind mit übernatürlichen Kräften beschützen, das die Macht hat, über das Schicksal der Dämonenwelt zu entscheiden. Laylah macht sich auf den Weg nach London, wo sie etwas über ihre Herkunft herausfinden möchte und auf Hilfe für sich und das Kind hofft. Tane verfolgt sie – doch auf welcher Seite steht er wirklich? Denn er scheint nicht nur leidenschaftliche Gefühle für Laylah zu hegen, sondern hilft ihr auch noch, ein Versteck zu finden. Auch Laylah fühlt sich immer stärker zu dem attraktiven Vampir hingezogen. Und doch bleiben ihr Zweifel, ob sie ihm wirklich vertrauen kann. Denn seit sie das magische Kind beschützt, ist Laylah umzingelt von Feinden: Die Vampirin Marika will das Kind um jeden Preis in ihre Gewalt bringen – es soll ihr als Gefäß dienen, um den bisher verbannten Fürsten der Finsternis wieder an die Macht zu bringen. Und die mächtige Marika hat ein ganzes Heer von kriegerischen Elfen, die Sylvermyst, an ihrer Seite. Wem kann Laylah trauen, und wer wird über das Schicksal der Dämonen entscheiden?

Die Autorin

Unter dem Pseudonym Alexandra Ivy veröffentlicht die bekannte Regency-Liebesroman-Autorin Deborah Raleigh ihre Vampirromane. Fesseln der Finsternis ist der siebte Band ihrer international erfolgreichen Guardians of Eternity-Reihe, mit der die Autorin regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste vertreten ist. Im Diana Verlag sind bisher erschienen: Der Nacht ergeben, Der Kuss des Blutes, Nur ein einziger Biss, Im Bann der Nacht, Im Rausch der Dunkelheit und Wächterin des Blutes. Alexandra Ivy ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Missouri.

Alexandra Ivy

FESSELN DER

FINSTERNIS

Roman

Aus dem Englischen von Kim Kerry

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel

Devoured by Darkness (Guardians of Eternity, Book VII)

bei ZEBRA Books, Kensington Publishing Corp., New York

Deutsche Erstausgabe 05/2012

Copyright©2010 by Debbie Raleigh

Published by Arrangement with Kensington Publishing Corp.,

New York, NY, USA

Copyright© der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Diana Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion | Vera Serafin

Satz | Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-641-07616-0V002

www.diana-verlag.de

KAPITEL 1

Laylah war müde.

Sie hatte die Nase voll von den dunklen, beengten Tunneln im Nordosten von Missouri, durch die sie die vergangenen beiden Tage gelaufen war. Sie hatte es satt, von einem Feind gejagt zu werden, den sie nicht sehen konnte. Sie hatte genug davon, dass sich ihr Magen vor Hunger zusammenkrampfte und dass ihre Glieder aus Protest gegen ihr gnadenloses Tempo aufheulten.

Als sie eine kleine Höhle erreichte, blieb sie abrupt stehen und fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen, stacheligen Strähnen ihrer leuchtend roten Haare. Ihre schwarzen Augen durchsuchten die Dunkelheit nach ihrem Verfolger.

Nicht, dass sie erwartet hätte, die kalte Nervensäge tatsächlich zu erblicken.

Vampire besaßen nicht nur eine übernatürliche Schnelligkeit und Stärke, sondern sie konnten sich auch in Schatten hüllen, wodurch sie unmöglich wahrzunehmen waren, selbst für die meisten Dämonen. Nur dem Umstand, dass Dschinnblut durch ihre Adern floss, verdankte sie die Fähigkeit, den unermüdlichen Blutsauger spüren zu können, der ihr folgte, während sie durch die Tunnel hetzte.

Was sie nicht wusste, war …

Aus welchem Grund er das tat.

Sie zitterte, ihr Mund war trocken. O Gott. Sie hatte sich für so klug gehalten, als sie den Vampir anfangs ihre Spur hatte aufnehmen lassen. Ihre Hoffnung war es gewesen, ihn zusammen mit den anderen Eindringlingen von Caines Privatversteck fortzulocken.

Diese Wolfstöle war ihr vollkommen gleichgültig, aber sie hatte ihren kostbarsten Schatz auf dem Grundstück des Mannes versteckt und konnte es sich nicht leisten, irgendein Wesen mit den überragenden Sinnen eines Vampirs oder auch denen eines vollblütigen Werwolfes in die Nähe ihres Geheimnisses vordringen zu lassen. Sie hatte gedacht, dass die Dämonen sie einige Stunden lang verfolgen würden, schließlich jedoch genug von diesem Spiel hätten und hoffentlich nach Hannibal oder sogar St. Louis zurückkehren würden.

Aber ihr hastig entwickelter Plan war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

Der Werwolf hatte seinen Weg zu Caines Versteck fortgesetzt, und der Vampir hatte einfach nicht aufgegeben, ganz egal, wie weit oder wie schnell sie gelaufen war.

Jetzt war sie zu schwach, um ihre Schattenwanderkräfte wirken zu lassen, und zu weit von Caine entfernt, um ihn zu Hilfe zu rufen.

»Oh, Scheiße«, murmelte sie, stemmte die Hände in die Hüften und schob trotzig das Kinn vor. »Ich weiß, dass du mir folgst, Vampir. Warum zeigst du dich nicht einfach?«

Eine bedrohliche Kälte lag schwer in der Luft und kribbelte schmerzhaft auf ihrer Haut.

»Du denkst, du könntest mir Befehle erteilen, Mischling?«, hallte eine dunkle, unwirklich schöne Stimme durch die Höhle.

Laylahs Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Trotz ihres Dämonenblutes war sie nicht immun gegen die unbarmherzige Sinnlichkeit, die genauso zu einem Vampir gehörte wie seine tödlichen Fangzähne.

»Was ich denke, ist, dass ich genug vom Rennen habe«, stieß sie hervor. »Also kannst du mich entweder töten oder dir ein anderes Opfer zum Jagen suchen.«

»Ah. Dann bist du überzeugt, es sei dir gelungen, mich weit genug fortzuführen?«

»Weit genug fort?« Laylah erstarrte und leckte sich die plötzlich trockenen Lippen. Er konnte nichts davon wissen. Niemand wusste es. »Fort wovon?«

»Genau das frage ich mich«, antwortete die dunkle Stimme. »Es muss eine große Bedeutung besitzen.«

Laylah zwang sich, tief Luft zu holen, und kämpfte gegen den Impuls an, in Panik auszubrechen. Dieser dumme Vampir versuchte einfach, alle Register zu ziehen. Jeder wusste, dass Vampire es liebten, mit ihrer Beute zu spielen.

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

»Hmmm. Hast du jemals eine Wachtel beobachtet?«

Laylah spürte, wie unsichtbare Finger ihren Nacken streiften, aber seltsamerweise entfachte die kalte Berührung ein Gefühl der Hitze in ihrer Magengrube. Sie wirbelte herum und war nicht überrascht zu entdecken, dass das Raubtier verschwunden war.

»Den Vogel?«, fragte sie heiser und wünschte sich verspätet, mehr als eine abgeschnittene Jeanshose und ein Muskelshirt zu tragen. Dass sie so viel Haut zeigte, gab ihr ein eigenartiges Gefühl der Verletzlichkeit.

Nicht, dass Kleidung einen entschlossenen Vampir abhielt.

Es hätte auch keine Rolle gespielt, wenn sie in Zement getaucht und mit Stacheldraht umwickelt wäre.

»Wenn ein Raubtier sich dem Nest nähert, täuscht die Wachtelhenne einen gebrochenen Flügel vor und stiebt davon, um die Gefahr von ihren Küken fortzulocken«, erklärte ihr Peiniger, wobei seine Stimme direkt in ihrem Ohr zu ertönen schien.

Instinktiv stolperte Laylah nach hinten. Ihr Mund fühlte sich trocken an, als sie plötzlich Angst befiel.

»Die einzigen Wachteln, die mich interessieren, werden gebacken auf einem Reisbett serviert.«

»Was versuchst du zu beschützen?« Laylahs unsichtbarer Gegner legte eine Kunstpause ein. »Oder sollte ich sagen, wen?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon zum Teufel du sprichst.«

»Ist es ein Geliebter? Ein Bruder oder eine Schwester? Ein Kind?« Sein leises Lachen streifte ihre Wange, als der heftige Satz, den ihr Herzschlag machte, sie verriet. »Aha, das ist es also. Dein Kind?«

Laylah ballte frustriert ihre Hände zu Fäusten. Er kam der Wahrheit zu nahe. Sie musste diesen Mistkerl ablenken.

»Ich dachte, Vampire wären für ihren Mut bekannt«, spottete sie geflissentlich. Sie war bereit, einen Kampf zu riskieren, den sie nicht gewinnen konnte, wenn nur dadurch ihre Geheimnisse gewahrt blieben. »Bist du so ein großer Feigling, dass du dich in den Schatten verbergen musst?«

Die Kälte nahm zu, die Gefahr war fast mit Händen zu greifen. Dann bewegten sich die Schatten direkt vor ihr, und allmählich wurde der Vampir sichtbar.

Laylah taumelte und fühlte sich, als habe ihr jemand einen Schlag in den Magen verpasst.

Alle Vampire waren schön. Und sexy.

Unverschämt, unanständig sexy.

Aber dieser hier …

Laylah vergaß fast zu atmen und ließ ihren Blick über die edlen Gesichtszüge gleiten, die die polynesische Abstammung des Mannes verrieten. Seine schräg gestellten Augen leuchteten honigfarben, sein pechschwarzes Haar war an den Seiten abrasiert und er trug einen Irokesenschnitt, dessen Strähnen ihm bis über die breiten Schultern reichten.

Sie senkte den Blick weiter, und die ungeheure Erregung, die ihr den Magen zusammenzog, wurde noch größer beim Anblick seines halb nackten Körpers, der durch die Khakishorts kaum bedeckt wurde.

Dieser verdammte, lästige Blutsauger.

Hatte er seinen wundervollen Körper absichtlich so zur Schau gestellt? Schließlich musste er doch wissen, dass sie das Verlangen spürte, die glatte Haut seiner Brust zu erkunden. Oder vielleicht … würde sie sich an seinem flachen Bauch entlang nach unten arbeiten …

Ihrer hilflosen Reaktion auf seine sinnliche Schönheit ausgeliefert, fiel ihr abrupt wieder die Gefahr ein, in der sie schwebte, als der Dämon viel zu dicht an sie herantrat und mit den Fingern lässig über ihren Hals strich.

»Hat dir noch niemand von den Gefahren erzählt, die sich ergeben, wenn man einen Vampir provoziert?«, fragte er leise.

Laylah lief ein Schauder über den Rücken, aber sie zwang sich, seinem hypnotisierenden Blick standzuhalten.

»Hast du vor, mich auszusaugen?«

Seine Lippen zuckten. »Erzähle mir von dem Kind.«

»Nein.«

»Ist es deines?« Er ließ seine Finger zu dem Puls wandern, der an ihrer Kehle hämmerte. Auf seinem schönen Gesicht zeigte sich ein Ausdruck intensiver Konzentration. »Nein. Es ist nicht deines. Du bist so rein wie ein Engel.«

Echte Angst erfüllte nun Laylahs Herz. Verdammt sollte dieser Blutsauger sein, der sich in alles einmischte.

»Lass mich in Ruhe!«, keuchte sie.

Die Honigaugen verdunkelten sich, und es war ein gefährlicher Hunger darin zu erkennen. Laylah war sich nicht sicher, ob nach Blut oder nach Sex.

Vielleicht traf beides zu.

»Ein wunderschöner Engel«, meinte er heiser und schlang die Arme um sie, um sie heftig an seinen starken Körper zu ziehen. »Und ich habe zu lange gewartet, um von dir zu kosten.«

Laylah war nicht imstande, ihre Panik noch länger zu unterdrücken. Ihre unberechenbaren Kräfte begannen zu wirken, und die elektrische Aufladung, die in der Luft lag, ließ den Vampir überrascht einen Satz nach hinten machen.

»Ich habe gesagt, lass mich in Ruhe!«

Die goldenen Augen verengten sich. »Soso, du willst also die Unnahbare spielen.«

»Ich will überhaupt nicht spielen«, fauchte sie. »Was willst du von mir?«

»Ursprünglich war es meine Absicht, dich gefangen zu nehmen, um dich vor die Kommission zu bringen.«

Bei der Drohung zuckte sie zusammen, und ihre Kräfte ließen abrupt nach. Sie hatte sich seit zwei Jahrhunderten vor den offiziellen Anführerinnen und Anführern der Dämonenwelt versteckt gehalten. Zu den Orakeln gebracht zu werden, aus denen die Kommission bestand, kam einem Todesurteil gleich.

»Ich habe nichts getan, womit ich eine solche Bestrafung verdienen würde«, versuchte sie zu bluffen.

»Allein deine Existenz verdient es, bestraft zu werden«, gab der Vampir ruhig zurück. »Dschinnmischlinge stehen auf dem Index.«

Laylah unterdrückte die vertraute Wut über diese ungeheure Ungerechtigkeit. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren, ob sie für die Sünden ihrer Eltern ausgelöscht werden sollte oder nicht.

»Du hast gesagt, das wäre ursprünglich deine Absicht gewesen«, sprach sie mit belegter Stimme. »Hast du deine Meinung geändert?«

Der Vampir setzte ein gefährliches Lächeln auf, während er die Hand ausstreckte, um den Rand des tiefen Ausschnitts ihres Oberteils mit dem Finger nachzuzeichnen. Seine Berührung hinterließ eine Spur reiner Wonne.

»Sagen wir, ich bin bereit, unsere Reise aufzuschieben, wenn sich mir ein geeigneter Anreiz bietet.«

»Anreiz?«

»Soll ich es dir wirklich demonstrieren?«, murmelte er und streifte mit seinen Lippen sanft über ihren Mund.

»Nein …«, stieß sie hervor und versuchte das unbezwingbare Verlangen zu unterdrücken, das sich ihrer bemächtigte.

Gott. Sie war so lange allein gewesen.

So furchtbar lange.

»Verrate mir deinen Namen«, flüsterte er an ihren Lippen. »Sag ihn mir.«

»Laylah.«

»Laylah.« Der Vampir sprach ihren Namen langsam aus, als prüfe er, wie er sich auf seiner Zunge anfühlte. Er wich ein Stück zurück und forschte in ihrem blassen Gesicht. Seine Hände glitten an ihren Flanken entlang nach unten, um ihre Hüften zu umfassen und sie kühn gegen seine harte Erregung zu pressen. »Exquisit.«

Laylah biss die Zähne zusammen und ignorierte die prickelnde Erregung, die sie durchfuhr.

»Ich nehme an, du hast auch einen Namen?«

Eine kurze Pause folgte. Das war nicht weiter überraschend. Ein Name in der Gewalt einer Person, die Zauber zu wirken vermochte, konnte dieser Person die Macht über den Besitzer des Namens verleihen. Dann zuckte er die Achseln.

»Tane.«

Das passte zu ihm. Erbarmungslos. Machtvoll. Umwerfend männlich.

»Großartig.« Sie presste ihre Hände gegen die stählerne Härte seiner Brust und beugte den Oberkörper nach hinten, um ihm in seine feurigen Honigaugen zu blicken. »Lass mich eine Sache klarstellen, Tane. Ich benutze Sex nicht als Einsatz in Verhandlungen. Niemals.«

Laylah, die erwartet hatte, dass er über ihre unverblümte Ablehnung verärgert sein würde, wurde nervös, als er seine Lippen zu einem Lächeln reiner Vorfreude kräuselte. Er zog sie eng an sich und sprach ihr direkt ins Ohr.

»Lass mich eine Sache klarstellen, Laylah«, flüsterte er. »Wenn wir Sex haben, dann erst, nachdem du mich angefleht hast, dich zu nehmen.«

Es war nicht nur die Erregung, die in ihrem Unterleib explodierte, auch seine Arroganz ließ sie ungeheuer wütend werden. Schließlich waren Vampire ungemein narzisstisch veranlagt. Es entsprach seiner Natur, anzunehmen, dass sie ganz wild darauf war, ihn zu vernaschen.

Nein, es war die Tatsache, dass er recht hatte, die in ihr den Wunsch weckte, ihn zu schlagen.

»Das wird nie und nimmer passieren, Blutsauger.«

Er lächelte so schelmisch wie verheißungsvoll. »Wollen wir wetten, Mischling?«

Sie stieß ihn weg und umschlang sich selbst schützend mit den Armen.

»Wenn du keinen Sex von mir willst, was dann?«

»Die Wahrheit.«

Verdammt. Waren sie schon wieder an diesem Punkt angelangt? Er sollte doch eigentlich abgelenkt sein.

Nun ja, das konnte sie mit Leichtigkeit korrigieren.

Ganz egal, was sie dafür opfern musste.

»Könntest du es vielleicht noch etwas ungenauer ausdrücken?«, stichelte sie.

»Die meisten niederen Dämonen besitzen genügend Verstand, Respekt zu zeigen, wenn sie sich in der Gegenwart eines Vampirs befinden.«

»Du wolltest mich doch vor die Kommission zerren, damit ich getötet werde wie ein tollwütiger Hund. Was für eine Rolle spielt das also noch?« Sie zuckte mit den Achseln. »Dann kann ich genauso gut auch noch ein bisschen Spaß haben, bevor ich abtrete.«

Seine schlanken Finger strichen über den Griff seines Messers. Es war groß genug, um ihr den Kopf abzutrennen.

»Ich kann dir versprechen, dass der Versuch, mich zu provozieren, dir nicht die Art von Spaß bringt, die du haben willst.«

Laylah kräuselte die Lippen zu etwas, von dem sie hoffte, dass es ein spöttisches Lächeln war, vielleicht war es aber auch nur eine Grimasse des Entsetzens.

»Das ist wahr. Die Art von Spaß, die ich haben will, beinhaltet ein Stück Holz mit einem sehr spitzen Ende, das mitten in deiner Brust steckt, aber im Augenblick nehme ich, was ich kriegen kann.«

Laylah machte sich auf Tanes Bestrafung gefasst und fluchte, als er genau das tat, was sie nicht wollte.

Statt sie wütend anzugreifen, wurde er still, und sein Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. Wie ein Raubtier, das kurz davor war, sich auf sein Opfer zu stürzen.

»Faszinierend«, murmelte er.

»Was?«

»Dass du mich so verzweifelt davon abzuhalten versuchst, dein Geheimnis zu lüften.« Er ließ einen Finger über ihr Kinn gleiten. »Ich sollte dich darauf hinweisen, dass deine Spielchen meine Entschlossenheit herauszufinden, was du verbirgst, nur noch verstärken.«

Laylah wich seinem durchdringenden Blick aus. Was zum Teufel musste sie tun, damit dieser Vampir sie endlich in Ruhe ließ?

Eine Eiseskälte lag in der Luft, als er sich direkt hinter sie stellte.

»Lass uns einmal ganz von vorne beginnen. Weshalb tötetest du Duncan?«

»Ich …« Laylah leckte sich über die Lippen, die Hände gegen ihren Bauch gepresst, als sie wieder die vertraute Übelkeit in sich aufsteigen spürte. Sie wollte sich nicht daran erinnern, wie Caine sie durch den Geheimgang geführt hatte, in die kleine Blockhütte am Mississippi. Eigentlich hatten sie erwartet, Duncan vorzufinden, der sich hier versteckte. Schließlich hatte die Wolfstöle geplant, ihre eigene Haut zu retten, indem sie Caine an den Werwolfkönig verriet. Aber keiner von beiden hatte erwartet, dass die rangniedrigere Wolfstöle versuchen würde, sie anzugreifen. Oder dass Laylahs Kräfte mit einer solchen Gewalt zuschlagen würden. Es war wieder etwas Neues in einer sehr langen Reihe von Vorfällen, die Laylah bereute, mit denen sie aber leben musste. »Das war ein Unfall.«

»Du brietest eine Wolfstöle«, hob Tane trocken hervor, »was mein Herz nicht gerade zum Bluten bringt, doch genau diese kleinen Unfälle haben dazu geführt, dass Dschinnmischlinge auf den Index gesetzt wurden.«

Sie erschauerte. Dachte er etwa, sie habe nicht versucht, ihre Kräfte zu kontrollieren? Dass sie nicht alles dafür gäbe, um zu verhindern, dass weitere sinnlose Tode auf ihrem Gewissen lasteten?

»Halt die Klappe.«

»Was ist geschehen?«

Sie sog die kühle, feuchte Höhlenluft in ihre Lungen. Die vergangenen Tage war sie blindlings durch die Gänge gerannt, war wieder zurückgelaufen und hatte Seitengänge genommen, bis sie keine Ahnung mehr gehabt hatte, wo sie eigentlich waren, aber der Geruch eines nahe gelegenen Flusses war unverkennbar. Das bedeutete, dass sie sich immer noch in der Nähe des Mississippi befinden mussten.

»Caine hat erfahren, wo Duncan sich mit Salvatore treffen wollte. Als wir die Wolfstöle aufgeschreckt haben, drehte sie durch und griff an.« Laylah spannte den Kiefer an. Sie hatte ihr Bestes getan, um sich aus Caines irrem Plan herauszuhalten, Wolfstölen in Rassewölfe zu verwandeln. Warum sollte man sich eigentlich nicht dazu entschließen, sich Flügel wachsen zu lassen und sich in eine Tauelfe zu verwandeln? Aber Caine hatte darauf bestanden, dass ihm eine Vision beschert worden sei, die ihm verraten habe, dass er sich in einen unsterblichen Werwolf verwandeln würde. Laylah selbst hatte gedacht, dass die Vision eher einer Überdosis Arzneimittel entstammte, die er in Massenproduktion herstellte. »Ich habe mich nur selbst geschützt. Oder sollen Mischlinge es zulassen, dass sie misshandelt werden, bis sie sterben? Würde das alle glücklich machen, wenn der ekelhafte Mischling in Fetzen gerissen würde?«

»Höre ich da eine Spur von Bitterkeit?«, fragte Tane sarkastisch, während seine Hände mit einer seltsamen Zärtlichkeit über ihre Schultern und ihre Arme strichen.

Trotz dieser Zärtlichkeit gelang es ihm, heiße Flammen der Erregung auf ihrer nackten Haut zu entzünden.

»Fahr zur Hölle!«

»Ich habe ihr bereits einen Besuch abgestattet, süße Laylah, und hege nicht die Absicht, in nächster Zeit dorthin zurückzukehren.« Er beugte sich zu ihr, um seine Lippen in ihre Halsbeuge zu pressen. »Ich glaube dir, dass der Tod der Wolfstöle ein Unfall war.«

Wenn Laylah nicht kurz davor gewesen wäre zusammenzubrechen, wäre sie vielleicht völlig übergeschnappt und hätte sich auf den so schönen wie grausamen Kerl gestürzt. Ihr Körper fühlte sich an, als stehe er in Flammen.

Diese verdammten Vampirpheromone.

Stattdessen versuchte sie sich seiner magischen Berührung zu entziehen und drehte sich um, um wütend sein allzu schönes Gesicht anzufunkeln.

»Arrogantes Arschloch!«

»Weshalb kehrtest du nicht in Caines Versteck zurück, statt allein zu verschwinden?«

Sie rieb sich unbewusst die Arme, die immer noch von seiner Berührung prickelten.

»Ich wusste, dass wir verfolgt wurden, und habe angenommen, dass du Caine folgen würdest. Ich bin verschwunden, um meine eigene Haut zu retten.«

»Nein, du bist verschwunden, um den Versuch zu unternehmen, uns von Caines Anwesen fortzuführen.« Er legte absichtlich eine Pause ein. »Und von dem Kind, das du beschützt.«

»Wenn du das alles schon herausgefunden hast, warum nervst du mich dann noch mit deinen Fragen?«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Weil ich wissen will, weshalb du willens bist, dein Leben für ein Kind zu opfern, das nicht dein eigenes ist.«

Tane bobachtete, wie sich die Emotionen auf dem ausdrucksstarken Gesicht der Dschinn offenbarten. Er war verärgert über die ungewohnte Faszination, die sie auf ihn ausübte.

Zugegeben, Laylah war ein wunderschönes Geschöpf.

Atemberaubend schön.

Und sie brachte seine Lust auf eine Art zum Kochen, wie er sie seit Jahrhunderten nicht mehr empfunden hatte.

Aber er verfolgte diese Frau nur aus einem einzigen Grund.

Als er die Tunnel ursprünglich betreten hatte, war er Salvatore, dem König der Werwölfe, und dem nervtötenden Gargylen Levet gefolgt. Sie waren aus einer Blockhütte in Hannibal verschwunden, und obgleich er sich freuen würde wie ein Schneekönig, wenn sie beide einen grässlichen Tod starben, hatte Styx sehr deutlich gemacht, dass er Wert auf eine bessere Beziehung zwischen Werwölfen und Vampiren legte. Und was der Anasso, der Anführer aller Vampire, haben wollte, das bekam er auch.

Also hatte Tane Salvatores Bedienstete bei der Verfolgung Caines und der mysteriösen Dämonin angeführt, die sie entführt hatten, und war nicht überrascht gewesen, als die Wolfstöle ihre Geiseln im Stich gelassen hatte und geflohen war, in der vergeblichen Hoffnung, dem drohenden Tod zu entgehen. Ungewöhnlich erschien ihm jedoch das Beharren des Gargylen darauf, dass die Dämonin, die er gespürt hatte, ein Dschinnmischling sei.

Mit einem Mal hatte sich die einfache Rettungsmission in eine Jagd auf die abtrünnige Dämonin verwandelt. Die Kommission hatte einen strengen Grundsatz. Dschinnmischlinge mussten umgehend gefangen genommen und ausgeliefert werden.

Tane war damit beauftragt worden, sich die Abscheulichkeit zu schnappen.

Unglücklicherweise war die Angelegenheit von dem Augenblick an, in dem er sich an ihre Fersen geheftet hatte, den Bach hinuntergegangen.

Zwei Tage lang war er ihr gefolgt, und verdrängte dabei das Wissen, dass er der Jagd ein Ende setzen konnte, wann auch immer es ihm beliebte. Er redete sich ein, dass der Grund hierfür nur Neugierde war. Weshalb war die Frau so entschlossen, ihn von Caines Anwesen fortzuführen? Es musste etwas sein, das es wert war, ihr Leben dafür aufs Spiel zu setzen.

Aber Neugierde allein vermochte nicht zu erklären, dass ihn die Vorstellung plagte, die Frau in seinem Versteck einzusperren, wo sie auf seinem Bett ausgestreckt dalag, die dunklen Augen vor Lust leuchtend. Oder weshalb selbst jetzt der Gedanke daran, sie vor die mächtigen Orakel zu schleppen, aus denen die Kommission bestand, eine Sünde wider die Natur zu sein schien.

Sein nachdenklicher Blick glitt über ihre zarten Gesichtszüge. Sie erschienen ihm erschreckend vertraut. Als hätten sie sich in seinen Geist gebrannt.

Dadurch bemerkte er schnell, dass ihre makellose Haut zunehmend blass wurde und sich dunkle Ringe unter ihren mitternachtsschwarzen Augen gebildet hatten.

»Ich muss dir gar nichts erzählen«, murmelte sie, trotz ihrer wachsenden Schwäche so störrisch wie eh und je.

»Was stimmt nicht mit dir?«, verlangte er plötzlich zu wissen.

»Nichts.«

»Sei keine Närrin«, fuhr er sie an und nahm sie rasch auf die Arme, da ihre Knie nachgaben. Er unterdrückte ein Stöhnen, als ihn die köstliche Wärme ihres Körpers und der Duft von Frühlingsregen mit aller Macht trafen. Verdammt. Diese Frau würde ihn noch ins Grab bringen. »Es ist doch offensichtlich, dass du dich unwohl fühlst.«

Sie erzitterte, und eine kleine Schweißperle rann über ihre Stirn. »Ich habe seit Tagen nichts gegessen.«

Sich kaum der Tatsache bewusst, dass er sich überhaupt bewegte, trug er sie in den hinteren Bereich der Höhle und legte sie auf den Lehmboden, bevor er neben ihr niederkniete.

Er war ein kaltherziger Charon. Ein Vampir, der so erbarmungslos war, dass er von seinen eigenen Brüdern gefürchtet wurde.

»Ich dachte, Dschinnen absorbierten ihre Energie aus ihrer Umgebung?«

Ihre Augenlider senkten sich zitternd, und sie atmete flach.

»Wie du ja immer wieder betonst, bin ich ein Mischling«, stieß sie aufgebracht hervor. »Ich brauche Essen und muss mich ausruhen.«

Gegen seinen Willen strich Tane mit den Fingern über ihre Wange, die so glatt war wie Porzellan, und genoss es, ihre seidige Haut zu spüren.

»Erzähle mir von deinen Eltern.«

»Nein.«

»Laylah.«

Sie seufzte, als sie den warnenden Unterton in seiner sanften Stimme hörte. »Ich kann dir nichts erzählen, was ich selbst nicht weiß. Meine Pflegemutter hat mich gefunden. Man hatte mich in der Londoner Kanalisation ausgesetzt.«

»Also weißt du überhaupt nichts über sie?«

»Ganz offensichtlich war einer meiner Elternteile ein Dschinn. Der andere …« Angestrengt öffnete sie die Augen und tat so, als machten ihr seine bohrenden Fragen nichts aus. »Ich habe keine Ahnung.«

»Verfügst du über Kräfte, die über die einer Dschinn hinausgehen?«

»Das werde ich gerade dir erzählen.« Die Augen fielen ihr erneut zu, ihr Gesicht hatte einen verärgerten Ausdruck angenommen. »Bitte geh einfach weg und lass mich in Frieden.«

Er blickte auf ihre zarte Schönheit hinunter und zog finster die Augenbrauen zusammen.

Weshalb zögerte er?

Alles, was er tun musste, war, sie sich über die Schultern zu werfen und sich auf den Weg zu den Höhlen südlich von Chicago zu machen, die von der Kommission übernommen worden waren. Er würde nur wenige Stunden benötigen, um diese Aufgabe zu erledigen.

Und das Beste war, dass er auf dem Weg einen Halt in Santiagos Club einlegen und sich mithilfe der Gesellschaft einer willigen Koboldin entspannen konnte. Oder vielleicht auch zehn.

Je mehr, desto vergnüglicher.

Darüber hinaus hatte er bereits seine grausame Lektion gelernt, was das Beschützen einer gefährlichen Frau anging.

Eine Lektion, die dazu geführt hatte, dass sein gesamter Clan niedergemetzelt worden war wie hilfloses Vieh.

Als er zwischen den verstümmelten Leichnamen umhergewandert war, hatte er sich geschworen, dass er niemals wieder seine Gefühle vor seine Pflicht stellen würde.

Der Druck seiner Finger auf Laylahs Wange wurde fester. Dann murmelte er einen Fluch und erhob sich wieder.

»Nimmst du menschliche Nahrung zu dir?«, erkundigte er sich.

»Ja.«

»Bleib hier.«

Tane glitt durch die finsteren Tunnel. Schnell fand er eine Öffnung, die in die Landschaft über ihm hinausführte.

Als er sich rasch umsah, erblickte er die kürzlich bepflanzten Felder und die Farmhäuser, die im silbernen Mondlicht schlummerten. In der Ferne erhaschte er einen flüchtigen Blick auf den Mississippi, und noch weiter entfernt sah er die winzigen Lichtpunkte von Straßenlaternen, die eine kleine Stadt erkennen ließen.

Es war die typische, verschlafene Landschaft des Mittelwestens.

Sie war etwas zu verschlafen für die meisten Vampire, aber Tane wusste Ruhe und Frieden zu schätzen. Ein bitteres Lächeln kräuselte seine Lippen. Und die meisten Vampire zogen es vor, wenn er in seiner selbst auferlegten Isolation blieb.

Nur wenige fühlten sich in der Gegenwart eines Charons wohl.

Nicht, dass Tane zugelassen hätte, dass ihre Voreingenommenheit ihm zu schaffen machte. Er war aus einem bestimmten Grund zu einem Henker aggressiver, einzelgängerischer Vampire geworden. Und dieser Grund hatte sich nicht geändert.

Er würde sich niemals ändern.

Beinahe, wie um seine Gewissheit zu verhöhnen, dass er allein in der Dunkelheit sei, versteifte sich Tane und witterte in der Spätfrühlingsluft. Was zum Teufel … Vampire hielten sich in der Gegend auf.

Zwar hatte er keine Angst. Er verfügte über mehr Macht als die meisten Clanchefs, obgleich er sich weigerte, sich den Proben zu stellen, die notwendig waren, um Anspruch auf diesen Titel zu erheben. Und nur wenige seiner Brüder waren dumm genug, ihren Anasso zu verärgern. Styx würde ernsthaft zornig sein, wenn er entdeckte, dass einer seiner kostbaren Charons getötet worden war.

Aber er hatte Laylah allein und hilflos in den Tunneln zurückgelassen.

Er wollte verdammt sein, wenn irgendein anderer Vampir die Gelegenheit erhielt, seine Fangzähne oder irgendetwas anderes in sie hineinzubohren.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit lief er zu dem Grundstück des nächstgelegenen Bauernhauses, eines zweistöckigen weißen Hauses mit einer umlaufenden Veranda und Ginghamvorhängen.

Er hielt lange genug inne, um sich zu vergewissern, dass es hier nichts Schrecklicheres als die Menschen gab, die im oberen Stockwerk schliefen, und einen alternden Hund, der den Abfalleimer umgeworfen hatte und fröhlich an einem Knochen kaute. Dann trat er ins Haus und plünderte den Kühlschrank. Einen Teil der Reste warf er in eine Tüte, die er unter dem Spülbecken gefunden hatte. Er nahm sich auch Milch und mehrere Flaschen Wasser, bevor er umkehrte und das Haus so lautlos wieder verließ, wie er es betreten hatte.

Wie der Grinch.

Nur mit Fangzähnen.

Ebenso schnell kehrte er in die Tunnel und in die Höhle zurück, in der er Laylah zurückgelassen hatte.

Sie war leer.

Natürlich.

Er ließ die Tüte fallen und folgte ihrer Spur, um sie sogleich mühelos in der angrenzenden Höhle zu finden. Einen Augenblick lang sah er ungläubig zu, wie sie auf Händen und Knien zum Tunneleingang kroch. Ihr ganzer Körper war mit Schweiß bedeckt.

»Verdammt.« Tane trat auf sie zu, beugte sich zu ihr herunter und nahm sie auf die Arme. Er drückte sie gegen seine Brust und ging den Weg wieder zurück, den er gekommen war. »Was tust du da?«

Es gelang ihr, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, aber es war offensichtlich, dass sie immer schwächer wurde.

»Ich suche nach einem Portal nach Narnia.« Sie versuchte vergeblich, sich aus seinen Armen zu winden. »Wo sind diese Dinger, wenn man mal eins braucht?«

»Hör auf damit!«, fuhr er sie an und kniff die Augen zusammen, als sein Blick auf die langsam verheilende Wunde auf ihrer Stirn fiel. Offenbar war sie bei dem albernen Versuch, in die Freiheit zu gelangen, auf dem Boden aufgeschlagen. »Du hast dich verletzt.«

»Das ist deine Schuld«, murmelte sie.

»Typisch weibliche Logik.«

Ihre Augen verengten sich, als er sie sanft wieder auf dem Boden absetzte und sich auf den Weg machte, um die Tüte zu holen. Tane sog tief die muffige Luft der Höhle ein, in der Hoffnung, den überwältigenden Geruch ihres frischen Blutes abzuschwächen.

Sein gesamter Körper war angespannt vor Verlangen. Als sei es Jahrhunderte und nicht nur wenige Tage her, seit er zuletzt Sex gehabt hatte.

Was war nur so besonders an dieser Frau?

Alles an ihr erregte ihn. Von dem lächerlich stacheligen Haar bis hin zu den Spitzen ihrer mit Staub bedeckten Zehen. Und all diese appetitlichen Stellen dazwischen.

»Ich nehme an, du weißt alles über Frauen.«

Er kehrte zu ihr zurück und kniete mit einem Lächeln neben ihr nieder, sodass seine ausgefahrenen Fangzähne sichtbar wurden.

»Ich weiß genügend über sie, um sie dazu zu bringen, nach mehr zu schreien.«

»Töte mich einfach«, murmelte sie, aber sie konnte nicht das schnelle Flattern ihres Pulses verbergen. Die mächtige Erregung hatte nicht nur ihn erfasst. Das war verdammt gut, da er beabsichtigte, dass sie bald nackt unter ihm liegen sollte. »Eine schnelle Enthauptung wäre besser, als deiner Angeberei zuhören zu müssen.«

Seine Lippen zuckten. Gefangen, erschöpft und ganz offensichtlich verängstigt, fauchte sie noch immer wie ein in die Ecke getriebenes Kätzchen.

Er nahm eine der Dosen aus der Tüte, öffnete sie und entdeckte etwas, das nach Hühnchen, Reis und einer Handvoll anderer menschlicher Zutaten roch.

»Iss«, befahl er.

Sie riss ihm die Dose aus der Hand und benutzte ihre Finger, um sich den Eintopf in den Mund zu schaufeln. Tane schwieg, während er die Tüte neben ihr ausräumte, sodass deren Inhalt leicht für sie zu erreichen war. Schließlich sollte sie so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommen.

Sie trank die Milch und dann das Wasser aus und leerte noch zwei weitere Dosen mit Essen, bevor sie schließlich den Kopf hob und ihn misstrauisch ansah. »Wo hast du das eigentlich her?«

Er unterdrückte ein Stöhnen, als sie unbewusst ihre Finger sauberleckte.

»Spielt das etwa eine Rolle?«

Ihr Atem stockte, als sie mühelos sein heftiges Verlangen spürte, das urplötzlich in ihm aufflammte. »Hör auf, mich so anzusehen.«

Seine Fangzähne pochten im gleichen Tempo wie ihr Herzschlag. »Wie denn?«

»Als ob du dich fragst, ob ich Blutgruppe B positiv oder A negativ habe.«

»Ich habe keine Mühen gescheut, um dir ein Abendessen zu besorgen«, erwiderte er mit heiserer Stimme und ließ seinen Blick auf ihrer zarten Halsbeuge ruhen. »Es wäre nur gerecht.«

Sie stand mit einem Ruck auf, und etwas Gefährliches funkelte in ihren herrlichen Augen.

»Wenn du mein Blut willst, musst du mit mir kämpfen.«

Tane hob eine Braue. Sie erholte sich schnell. Er konnte bereits erkennen, dass Farbe in ihre Wangen zurückkehrte und sie aufgehört hatte zu zittern.

Dennoch wusste er, dass es ihn wenig Mühe kosten würde, sie flach auf den Rücken zu bugsieren. Diese Position wünschte er sich mit einer solchen Verzweiflung, dass sie ihn hart und sehnsüchtig werden ließ, aber er wollte dem keine Taten folgen lassen, bevor sie sich wieder vollständig erholt hatte.

»Setz dich hin und beende dein Mahl.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe Nahrung zu mir genommen, bevor ich Hannibal verließ.«

Widerwillig setzte sie sich wieder hin und griff nach dem Schokoladenkuchen.

»Ich hoffe, du hast davon eine Magenverstimmung bekommen.«

»Tatsächlich war sie ein schmackhafter Leckerbissen.« Er beugte sich vor und ließ sich vom Duft des Frühlingsregens einhüllen. »Zu schade, dass ich nicht länger bei ihr verweilen konnte. Sie war ganz darauf erpicht, mir mehr anzubieten als eine Mahlzeit.«

»Du kannst gerne zurückeilen, um deine Mahlzeit zu beenden und alles, was du sonst noch machen willst. Lass dir Zeit.« Sie nahm einen großen Bissen von dem Kuchen, und etwas Glasur blieb an ihrer Unterlippe hängen. »Also, lass dir ruhig eine Ewigkeit lang Zeit.«

Nicht imstande, der Versuchung zu widerstehen, schnellte Tane vor und leckte die Glasur von ihrer Lippe. Dann raubte er ihr einen Kuss reiner, ungehemmter Begierde.

Tane fluchte, als das Verlangen ihn mit unbändiger Macht übermannte. Es war nicht gelogen, als er sagte, dass er Nahrung zu sich genommen hatte, bevor er die Blockhütte in Hannibal betreten hatte, aber allein die Tatsache, dass diese Frau ihm so nahe war, reichte aus, um eine gefährliche Sehnsucht in ihm zu wecken.

Nach Blut und so vielem mehr.

»Ich könnte dich freilassen, Laylah«, flüsterte er an ihren Lippen.

Mit so viel Wucht, dass sie ihm eine Rippe hätte brechen können, stieß sie ihn von sich und stand auf. In ihrem Gesicht stand ein Ausdruck reiner Panik.

Tane konnte ihr keinen Vorwurf machen.

Er war sich nicht sicher, ob er nicht ebenfalls in Panik ausbrechen sollte.

Niemals hatte er es zugelassen, dass sein Penis die Herrschaft über seinen Kopf übernahm. Nicht mehr.

Doch nun begann er zu argwöhnen, dass diese Frau ihn mit dem richtigen Anreiz dazu bringen konnte, seine eigene geistige Gesundheit zu opfern, um das zu vollenden, was er soeben begonnen hatte.

»Schön, dann mache ich mich mal auf den Weg. Du brauchst mir nicht zu schreiben …«

Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich und schlang die Arme um ihren schlanken Körper, um sie von ihrer Flucht abzuhalten.

»Und wohin willst du gehen?«

»Ganz egal, Hauptsache, fort von hier.«

Er umfasste ihr Kinn mit der Hand und zwang sie, den Kopf zu heben, um ihn anzusehen. »Caines Versteck befindet sich inzwischen in Salvatores Gewalt.«

Sie biss sich auf die Lippe und versuchte, sich ihre Erschütterung nicht anmerken zu lassen.

»Das weißt du nicht sicher.«

Natürlich wusste er es nicht mit Sicherheit. Doch als er Salvatore mit seinen Wolfstölen und dem nervtötenden Gargylen im Tunnel zurückgelassen hatte, hatte der König der Werwölfe vor Wut geschäumt und seine Klauen in Caine graben wollen, um ihm das Herz herauszureißen.

Und wenn ein zorniger Werwolf entschlossen war, jemandem das Herz herauszureißen, gab es kaum etwas, was ihn aufhalten konnte.

»Eine Wolfstöle kann es nicht mit einem reinblütigen Rassewolf aufnehmen. Insbesondere, wenn es sich bei diesem Rassewolf zufällig um den König handelt. Mittlerweile ist Caine tot, und die restlichen Wolfstölen werden für ihren Verrat bestraft.« Impulsiv glitten seine Hände über Laylahs Rücken und blieben auf der verlockenden Wölbung ihrer Hüften liegen. »Sobald du den Versuch unternimmst, in die Nähe des Verstecks zu gelangen, wirst du gefangen genommen werden.«

Abgelenkt durch den intensiven Genuss, den es ihm bereitete, sie so nahe an seinem Körper zu spüren, war Tane nicht darauf vorbereitet, dass sie plötzlich scharf die Luft einsog und ihre Augen sich vor Entsetzen verdunkelten.

Sie wand sich aus seinen Armen und fiel auf die Knie, die Hände flehentlich bittend zusammengepresst.

»Bitte, ich bitte dich«, flüsterte sie, »lass mich gehen.«

KAPITEL 2

Es war nicht das erste Mal, dass Laylah auf die Knie fiel. Während ihrer Zeit unter Sergei Krakovs brutaler Aufsicht hatte sie das Flehen zu einer Kunstform erhoben.

Was zum Teufel scherte sie ihr Stolz, wenn die Sicherheit eines hilflosen Kindes auf dem Spiel stand?

»Tane …«

Er unterbrach ihr Flehen, indem er sie an den Armen packte und sie auf die Füße zog. Er presste sie dicht an seinen Körper und flüsterte ihr direkt ins Ohr: »Pst, meine Süße. Wir sind nicht mehr allein.«

Laylah versteifte sich. Sie war durch Tane so abgelenkt gewesen, dass ihr der unverkennbare Geruch, der in der Luft lag, gar nicht aufgefallen war.

»Vampire.« Ihre Augen verengten sich. »Freunde von dir?«

Sein unglaublich schönes Gesicht spannte sich an, und ein grausames Lächeln legte sich auf seine Lippen.

»Ich habe keine Freunde.«

»O Gott«, murmelte sie, als empfinde sie nicht urplötzlich Mitgefühl. Ihr war schmerzhaft bewusst, wie es sich anfühlte, ohne eine einzige Menschenseele durchs Leben zu gehen, die es kümmerte, ob sie lebte oder tot war. Wie um ihre Anteilnahme zu bezwingen, stieß sie ironisch hervor: »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, warum.«

»Bleib hier.« Tane ließ sie los und trat einen Schritt zurück, um ihr einen warnenden Blick zuzuwerfen. »Und, Laylah, wenn ich sage, du sollst hierbleiben, dann meine ich das auch so. Die meisten meiner Brüder hegen kein Interesse an deinem Stammbaum oder daran, dich an die Kommission auszuliefern.« Sein Honigblick glitt über ihren schlanken Körper, der durch ihre Shorts und das so ungeheuer winzige Oberteil mehr entblößt als verhüllt wurde. »Sie werden in dir nicht mehr als eine wunderschöne Frau sehen, die mehr als eine ihrer Begierden zu befriedigen in der Lage ist.«

Mit einer fließenden, anmutigen Bewegung zog er seinen Dolch und eilte lautlos in den Tunnel.

Als sie allein war, fuhr sich Laylah mit der Hand durchs Haar und versuchte sich zu konzentrieren.

Das Essen half ihr dabei, einen Teil ihrer Kraft zurückzugewinnen, aber sie war immer noch erschöpft. Das bedeutete, auf ihre Kräfte konnte sie sich jetzt nicht verlassen – und das, wo sie selbst unter den besten Bedingungen schon alles andere als stabil waren.

Sollte sie wirklich schattenwandern?

Das Talent, sich zwischen den Dimensionen hin- und herzubewegen, hatte sie von ihren Dschinnvorfahren geerbt. Allerdings war sie eher durch Zufall auf diese Fähigkeit gestoßen. Nie würde sie vergessen, wie entsetzt sie gewesen war, als sie plötzlich von dem Schleier eingehüllt wurde, der zwischen den Welten schwebte. Und ihr Entsetzen war noch gewachsen, als es ihr gelungen war, sich von den seltsamen Nebeln zu befreien, und sie dann entdeckt hatte, dass sie um die halbe Welt gereist war.

Im Lauf der Jahre hatte sie sich selbst beigebracht, ihre seltene Fähigkeit zu nutzen, aber sie hatte es vermieden, wenn es nicht absolut notwendig gewesen war.

Denn dabei bestand nicht nur die Gefahr, versehentlich in andere Dimensionen zu geraten, von denen viele die schlimmsten Höllen waren, die man sich nur vorstellen konnte. Außerdem plagte sie der Albtraum, in den Nebeldurchgängen eingeschlossen zu werden.

Noch in ihre Überlegungen vertieft, ob sie es tun sollte oder nicht, schoss Laylah unvermittelt hinter einen Stalagmiten, als plötzlich der Geruch eines Vampirs in der Luft lag.

»Komm her, Miez, Miez, Miez!«, rief jemand mit gedämpfter Stimme.

Laylah veränderte ihre Position, um einen Blick auf den Vampir zu erhaschen, der sich ihr näherte. Sie rümpfte die Nase, als sie seine verdreckte Jeans und seine nackte Brust zu Gesicht bekam. Sein langes blondes Haar hing verfilzt auf die Schultern herab, und sein hageres Gesicht war verzerrt. Sie erkannte darauf einen Ausdruck bösartiger Vorfreude.

Die meisten Vampire nutzten ihre überirdische Schönheit, um ihre Opfer anzulocken. Aber dieser hier … Er hatte sich offensichtlich ziemlich gehen lassen.

Also wirklich. Konnte ein gelegentliches heißes Bad tatsächlich so schlimm sein?

Laylah fluchte, als er immer weiter auf sie zukam. Offensichtlich wusste er, dass sie sich hinter den Stalagmiten duckte.

Sie wollte niemandem etwas tun. Verdammt, sie würde alles dafür geben, einen Ort zu finden, an dem sie sich in Ruhe und Frieden mit ihrem Kind verstecken konnte.

Na klar, als ob so ein Ort wirklich irgendwo existierte …

Grimmig trat sie in die Mitte der Höhle, die Hände warnend vor sich ausgestreckt.

»Bleib zurück, sonst tue ich dir weh!«

Der Vampir ließ seine Fangzähne aufblitzen, während er sie lange und gründlich musterte.

»Versprichst du mir das?«

Widerstrebend sammelte Laylah ihre bereits so schmerzlich erschöpften Kräfte. Sie wünschte sich, stattdessen die Energie ihrer Umgebung aufnehmen zu können. Als Dschinn war sie ein Geschöpf der Natur. Eigentlich sollte sie in der Lage sein, mit den Kräften der Erde umzugehen. Leider war sie noch nie imstande gewesen, irgendetwas anderes als ihre eigenen inneren Kräfte anzuzapfen.

Trotzdem waren es machtvolle Kräfte.

Sie erschauerte. Ihr Blut erhitzte sich und begann zu kochen, als die geistige Essenz sie durchströmte.

O Götter. Es war so ungeheuer schön. Schön und erschreckend – und es machte auf eine so verführerische Weise süchtig.

Wie schade, dass sie nie wusste, was zum Teufel passieren würde, wenn ihre Selbstbeherrschung nachließ.

»Ich meine das ernst!«, stieß sie hervor.

Der Vampir beachtete ihre Warnung nicht weiter, sondern umkreiste langsam ihren zitternden Körper, wobei er eine Hand in seinen Schritt legte.

»Was bist du? Du riechst appetitlich.«

»Ich warne dich nicht noch einmal.«

Der Vampir sprang mit entblößten Fangzähnen auf sie zu. Laylah zögerte nicht, sondern hob die Hand und ließ explosionsartig einen Teil ihrer Macht wirken. Sie kniff die Augen zusammen, als ein greller Blitz durch die Höhle zuckte, dicht an dem schockierten Vampir vorbei.

»Du Miststück!«, fauchte der Dämon und griff hinter sich, um eine Handfeuerwaffe aus dem Bund seiner Jeans zu ziehen. »Dafür wirst du bezahlen!«

Laylah bereitete sich darauf vor, ihn erneut anzugreifen, hielt aber inne, als Tane abrupt in die Höhle zurückkehrte. Er bewegte sich in einem erschreckend hohen Tempo und trat zwischen Laylah und den wütenden Vampir.

»Weshalb spielt Ihr nicht mit jemandem von Eurer eigenen Größe?«

»Charon.« Der unbekannte Vampir lächelte und vergaß Laylah, als er Tane einen merkwürdig triumphierenden Blick zuwarf, als habe er im Lotto gewonnen.

Konnten Vampire verrückt werden?

Was für ein erschreckender Gedanke.

»Kennen wir uns?«, fragte Tane gedehnt.

»Ihr habt meinen Clanbruder getötet.«

Ein beleidigendes Lächeln zeigte sich auf Tanes Lippen. »Und Ihr habt Euch entschieden, mich aufzuspüren, damit ich Euch ebenfalls töte? Wie aufmerksam.«

Der andere Dämon knurrte und richtete die Waffe auf Tanes Kopf. »Ich bin auf Eure Fährte gestoßen, als ich zu meiner abendlichen Jagd aufbrach. Es ist beinahe hundert Jahre her, aber Euren Gestank werde ich nie vergessen.« Er erschauerte, und in seinen hellen Augen glühte ein fanatisches Feuer. »Er hat mich verfolgt.«

»Ich befürchte, ich kann diese abschreckende Besessenheit nicht erwidern.« Mit langsamen Schritten bewegte sich Tane zur Seite, wobei er den anderen Vampir absichtlich von Laylah wegführte. »Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und es ist mir auch gleichgültig.«

Laylah runzelte die Stirn. Warum riskierte Tane Kopf und Kragen, um einen Dschinnmischling zu beschützen, von dem er wollte, dass er eliminiert wurde? Und warum hatte der andere Vampir ihn »Charon« genannt?

»Ich nehme an, für Styx die Söldnermarionette zu spielen, bedeutet, dass es für Euch keine Rolle spielt, wen Ihr tötet?«, stieß der andere Vampir hervor.

»Es gibt einige Fälle, auf die ich mehr hoffe als auf andere.« Tane drohte auffordernd mit seinem Dolch. »Sollen wir nun kämpfen, oder ist es Eure Absicht, mich zu Tode zu langweilen?«

»Oh, wir werden durchaus kämpfen«, krächzte der andere Vampir und drückte ab.

Laylah unterdrückte einen Schrei, als mindestens eine Kugel in Tanes Arm stecken blieb, bevor dieser sich auf den kleineren Vampir stürzte und ihm die Waffe entwand. Die Pistole segelte in den hinteren Teil der Höhle, und Tane stieß den Dolch tief in den Brustkorb des anderen Vampirs.

Blut floss in Strömen, als die Dämonen mit Zähnen und Klauen darum kämpften, einander auszulöschen.

Laylah drückte sich am Rande des Gemetzels herum, fasziniert von dem Kampf zwischen den beiden tödlichen Raubtieren.

Tane war offensichtlich der überlegene Kämpfer. Er hatte nicht nur einen Größenvorteil, sondern seine eisige Macht erfüllte die Luft so gewaltsam, dass Laylah vor Schmerz die Zähne zusammenbiss.

Sie konnte sich kaum vorstellen, wie groß die Qualen wohl sein mochten, wenn er sie auf sie richtete.

Aber für den kleineren Vampir sprach sein vollkommener Mangel an Zurechnungsfähigkeit.

Mit einer erschreckenden Gleichgültigkeit gegenüber den brutalen Verletzungen, die Tane ihm zufügte, schlug der Eindringling seine Fangzähne in diesen, dabei zerriss er Fleisch und Muskeln wie ein tollwütiger Hund. Im Gegenzug zerschnitt Tane seinen Rücken mit seinem Dolch, sodass Blut durch die ganze Höhle spritzte.

Instinktiv wich Laylah zurück und presste eine Hand auf ihren revoltierenden Magen. Es war Zeit zu verschwinden. Tane war gut genug abgelenkt, und das Essen, das sie zu sich genommen hatte, milderte ihre Erschöpfung.

Zumindest so sehr, dass sie noch ein paar Stunden länger laufen konnte.

Eine bessere Gelegenheit zur Flucht würde sie nicht bekommen.

Also warum ging sie nicht einfach?

Sicher nicht, weil sie zögerte, Tane alleinzulassen, der den irren Vampir oder seine Bande von Verrückten, die spürbar auf sie zusteuerte, ohne Hilfe bekämpfen musste. Oder auch wegen des sich nähernden …

Sie war irritiert über den muffigen Granitgeruch. Woher nur kannte sie ihn?

»Tane«, sagte sie.

Ächzend entriss Tane seinen Arm den Fangzähnen seines Gegners. »Das ist nicht gerade der beste Zeitpunkt, Laylah.«

»Da ist noch jemand in den Gängen unterwegs.«

Mit einer wilden Bewegung schlang Tane seine Arme um den anderen Vampir und warf ihn gegen die gegenüberliegende Wand. Der Vampir fiel schlaff zu Boden. Er war für den Moment bewusstlos.

Tane stand mitten in der Höhle. So mit Blut bedeckt, wie er war, wirkte er wie ein wunderschöner Eroberer. Nur einen Augenblick lang hatte Laylah die Gelegenheit, sein edles Profil, die fein gemeißelte Perfektion seines muskulösen Körpers und seine bronzefarbene seidige Haut zu bewundern.

Dann fuhr er sich mit der Hand durch seinen Irokesenschnitt und drehte sich um. In seinen Augen glühte ein honigfarbenes Feuer und seine Fangzähne waren vor Wut ausgefahren.

Laylah erzitterte. Heilige Scheiße. Sie war schon gefährlichen Raubtieren begegnet, doch keines davon ähnelte Tane auch nur im Entferntesten.

»Ich spüre die anderen Vampire«, sagte er heiser.

»Ich meine nicht die Vampire.«

Er runzelte die Stirn. »Was denn?«

Die Erkenntnis kam ihr, sobald der unterentwickelte Gargyle in die Höhle gewatschelt kam.

Laylah schnitt eine Grimasse, als sie den winzigen Dämon sogleich erkannte.

Natürlich. Wer könnte auch einen Gargylen vergessen, der kaum einen Meter groß war und große, leuchtend rote und blaue hauchdünne Flügel besaß, die von goldenen Adern durchzogen waren und besser zu einer Elfe passten als zu einer Furcht einflößenden Bestie? Es war nicht so, als wäre er vollkommen ungargylisch. Er verfügte über die grotesken Gesichtszüge seiner Vorfahren, ebenso wie über den langen Schwanz, der liebevoll poliert war, und die Hörner auf seinem Kopf.

Er war ein Begleiter von Salvatore gewesen, als sie und Caine den Werwolf entführt hatten, und sie hatte die Pflicht gehabt, ihn zurück in Caines Versteck zu tragen.

Es war nicht ihre Schuld gewesen, dass Tane und seine Wolfstölenbande ihnen so schnell auf den Fersen gewesen waren, dass sie gezwungen gewesen war, den Gargylen buchstäblich auf den Kopf fallen zu lassen, und dann hatte sie schattenwandern müssen, um ihnen zu entkommen.

Oder dass sie in ihrer Hast einen kleinen Teil ihrer Macht hatte entweichen lassen.

»Oh«, flüsterte sie, den Blick auf den Gargylen gerichtet, der auf sie zukam, gerade, als zwei weitere Vampire in die Höhle stürmten und auf Tane losgingen.

»Verdammt«, murmelte Tane und rammte den Dolch in die Brust des dunkelhaarigen Vampirs, der aussah wie ein Statist aus einem Film von Tim Burton. »Als hätte ich nicht schon genug Schwierigkeiten.«

Laylah legte die Stirn in Falten. »Ich dachte, er wäre auf deiner Seite.«

»Können wir diese Diskussion auf später verschieben?«, ächzte Tane, als der zweite Vampir sich von hinten auf ihn stürzte. »Ich könnte hier etwas Hilfe gebrauchen.«

Laylah ballte die Hände zu Fäusten und ignorierte ihr lächerliches Bedürfnis, sich in den Kampf zu stürzen.

»Warum sollte ich dem Mann helfen, der mich an die Orakel ausliefern will? Es ist mir egal, wenn du umgebracht wirst.« Sie schob das Kinn vor. Es war ihr egal. Wirklich. Verdammt. »Tatsächlich bleibt es mir dann erspart, das selbst zu tun.«

Der winzige Gargyle wich einem Schlag Tanes aus und blieb neben Laylah stehen. In seinen grauen Augen funkelte Belustigung.

»Ah, eine belle femme genau nach meinem Geschmack«, murmelte er mit einem ausgeprägten französischen Akzent und vollführte eine leichte Verbeugung. »Gestatten Sie mir, mich vorzustellen. Levet, Beschützer hilfloser junger Damen, Märchenprinz, Ritter in schimmernder Rüstung, zu Ihren Diensten.«

Laylah sah ihn verwirrt an. Sie hatte den Gargylen während ihrer ersten Begegnung mit einem Blitzschlag außer Gefecht gesetzt. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass er so … hmmm, was war? Eine schillernde Persönlichkeit?

»Großer Gott«, keuchte sie.

Er wedelte herablassend mit der Hand. »Non, non. Das ist ein verbreiteter Fehler, aber ich bin keine Gottheit. Nun, nur wenn man damit auch einen Sexgott meint …« Abrupt verengten sich seine Augen, und er legte den Kopf in den Nacken, um zu wittern. »Sacrebleu. Sie sind die Dschinn!«

Tane fluchte. Er drückte den einen Vampir mit dem Knie zu Boden, während er den anderen, der sich an seinen Rücken klammerte, abzuschütteln versuchte.

»Levet, entweder du machst dich nützlich, oder du verschwindest.«

Der Gargyle ignorierte Tanes Befehl. Er drehte sich um, um Laylah den Abdruck ihrer Hand zu zeigen, den sie in seinen Hintern eingebrannt hatte, kurz bevor sie ihn in den Tunneln fallen gelassen hatte.

»Sehen Sie nur, was Sie getan haben!«

»Es war ein Unfall.«

»Ein Unfall?« Levet drehte sich wieder um, seine Flügel zuckten. »Sie haben Perfektion verunstaltet! Das ist so, als schändete man die Mona Lisa.«

Laylah musste feststellen, dass ihre Lippen unwillkürlich zu zucken begannen. Levet hatte keine Ähnlichkeit mit irgendeinem anderen Wesen, dem sie je begegnet war.

»Ich wollte Ihnen wirklich keinen Schaden zufügen«, sagte sie mit echter Aufrichtigkeit. »Bitte verzeihen Sie mir.«

Er schürzte die Lippen. »Nun, ich vermute, ich könnte eine gewisse Vergebung in Erwägung ziehen. Schließlich bin ich berühmt für den Großmut meines Herzens.« Er prustete verächtlich in Tanes Richtung, als der Vampir seiner Meinung über wertlose Gargylen Ausdruck verlieh. »Und wir lernten uns nicht unter den besten Bedingungen kennen.«

»Nein.« Sie räusperte sich. »Ich nehme an, dass Caine gefangen genommen wurde und dass es in seinem Versteck nur so von Werwölfen wimmelt?«

Der winzige Dämon schnaubte. »Das Letzte, was ich von Salvatore mitbekam, war, dass er Harley rettete und dass die beiden vor Caine flohen, während seine räudigen Speichellecker ihnen auf den Fersen waren.«

Laylah sog scharf Luft ein, ihr Herz pochte heftig gegen ihre Rippen. Also war Caine weit von seinem Versteck entfernt und ganz offensichtlich abgelenkt.

Eine bessere Gelegenheit würde sich ihr nicht mehr bieten.

»Können wir das Schwelgen in Erinnerungen vielleicht verschieben?«, unterbrach Tane abrupt das Gespräch der beiden. »Levet, komm hierher.«

Beide drehten sich um, um zuzusehen, wie Tane einen der beiden Vampire enthauptete, gerade als der erste, den er vorher außer Gefecht gesetzt hatte, aus seiner Ohnmacht erwachte und aufstand, um durch die Höhle zu stürmen.

»Sicherlich benötigt der mächtige Charon keinerlei Hilfe, um drei dürre Vampire zu erledigen?«, erkundigte sich Levet.

Es gelang Tane, den Vampir, der sich an seinen Rücken klammerte, über seinen Kopf zu schleudern, bevor er seinen Dolch tief in die Brust des Angreifers stieß.

»Nicht, wenn sie damit beschäftigt sind, einen großmäuligen Gargylen auszusaugen«, murmelte er.

»Als ob ich dermaßen widerlichen Kreaturen erlauben würde, mich zu berühren.« Levet rümpfte seine Schnauze. »Mon Dieu, sie riechen, als seien sie gerade erst aus ihren Gräbern gekrochen.«

Tane bleckte bedrohlich die Fangzähne. »Dann tu etwas, um dabei zu helfen, sie wieder dorthin zu verfrachten.«

»Nun, ich verfüge über einen großartigen Feuerballzauber«, bot Levet an. »Obwohl es zu einem klitzekleinen Zwischenfall kam, als ich ihn das letzte Mal angewandt habe.«

»Was für ein Zwischenfall?«

»Es gab da vielleicht einen geringfügigen Einsturz.«

Tane zog den Dolch aus der Brust des anderen Vampirs und zeigte damit auf Levet.

»Keine Feuerbälle.«

»Es ist nicht nötig zu brüllen.« Levet rümpfte gekränkt die Nase. »Willst du nun meine Hilfe oder nicht? Entscheide dich bitte.«

Laylah zwang sich, ihre Aufmerksamkeit von Tane abzuwenden, der das Herz des nächsten Vampirs herausschnitt. Obwohl er aus Dutzenden von Wunden blutete, war es klar, dass er seine Angreifer bald erledigt haben würde.

»Vielen Dank, Levet.« Sie tätschelte ihn zwischen den Hörnern. »Das mit Ihrer … Verletzung tut mir sehr leid. Jetzt muss ich aber wirklich los.«

Tane knurrte leise, packte den übrigen Vampir am Hals und hob ihn vom Boden hoch, während er Laylah seine Aufmerksamkeit zuwandte.

»Was glaubst du, was du da tust?«

»Verschwinden.«

»Jetzt?«

»Ja.«

»Du beabsichtigst, mich mitten in einem Kampf alleinzulassen?«

Sie warf einen Blick auf die beiden Vampire, die auf dem Boden lagen und sich auflösten, und auf den dritten, der so gut wie tot war, sich aber trotzdem alle Mühe gab, Tanes eisernem Griff zu entkommen.

»Denkst du, ich bin dumm genug, darauf zu warten, dass du mich vor die Kommission schleifst?«

Etwas, das Amüsement gefährlich nahekam, schimmerte in den Honigaugen.

»Ich habe dir Schokoladenkuchen mitgebracht.« Seine schwarzen Augenbrauen hoben sich. »Einen selbst gebackenen.«

Der Kuchen war wirklich lecker gewesen. Schokoladenkuchen mit frischer Kokosnuss und Pecannüssen …

Sie schüttelte den Kopf und ging auf den Tunneleingang zu. »Ist mir egal, ob der Kuchen mir einen Geschmacksorgasmus beschert hat – er ist es nicht wert, mich dafür eliminieren zu lassen.«

Ein verführerisches Lächeln umspielte Tanes Lippen. »Wenn du einen Orgasmus willst, meine Süße …«

»Tschüss, Tane.« Sie winkte ihm mit den Fingern zu und ignorierte dabei die Erregung, die in ihrem Blut kochte. Diese dummen Vampire konnten aber auch lächeln … »Ich kann nicht gerade sagen, dass es mir ein Vergnügen war.«

»Laylah!«

Laylah ignorierte Tanes Gebrüll und Levets wortreichen französischen Protest und schoss durch die Dunkelheit. Sie wusste, dass sie ihre Energie verschwendete, wenn ihr kein Fluchtplan einfiel.

Sie musste raus aus diesem Tunnel.

Und zwar, bevor Tane den letzten der Schwachköpfe erledigt hatte, die dumm genug gewesen waren, ihn anzugreifen.

Sie bog um eine Kurve und kam abrupt zum Stehen. Was war das? Eine Brise? Sie streckte die Hand in die Luft. Ja, definitiv eine Brise. Und die Luft war frisch. Das bedeutete, es musste in der Nähe eine Öffnung geben.

Ihr Herz schlug so laut, dass sie nicht imstande gewesen wäre, einen herannahenden Zug zu hören, als sie an der Tunnelwand nach oben kletterte. Sie benutzte ihre Stärke, um die kleinen Risse in der Decke aufzubrechen.

Es wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn sie einfach hätte schattenwandern können, aber solange sie sich nicht ausgeruht hatte, war es schwierig genug, den Stein aus dem Gang aufzusprengen, ganz zu schweigen davon, ein Loch im Weltraum zu öffnen.

Für einen derartigen Versuch wollte sie wirklich in Bestform sein.

Sie erstickte fast an den Staubwolken, die den Gang erfüllten, und ihre Augen tränten, als ein Steinhagel auf ihren Kopf niederprasselte.

Allerdings hatte der Minieinsturz das gewünschte Ergebnis zur Folge. Sie hoffte, dass der leckere Schokoladenkuchen ihren Hintern nicht breiter gemacht hatte, als sie durch die schmale Öffnung hindurchkroch.

Plötzlich blieb sie mit ihren Jeansshorts an einem schartigen Felsbrocken hängen, konnte jedoch ein Grasbüschel ergreifen und zog sich aus dem Tunnel.

Keuchend und mit Staub bedeckt entfernte sich Laylah kriechend von dem Loch und wischte sich ungeduldig das Blut aus dem Gesicht, das ihr aus einer Wunde auf der Stirn tropfte. Zu gern hätte sie sich auf das feuchte Gras fallen lassen, um zu verschnaufen, zwang sich aber aufzustehen und lief über das sanft ansteigende Feld.

Sie mochte diese Nervensäge Tane ja vorerst überlistet haben, denn kein Vampir, und sei er auch noch so arrogant, forderte die Sonne heraus, die jede Minute aufgehen würde. Aber er war nicht dumm und hatte erkannt, dass sie ihn absichtlich von Caines Versteck weggeführt hatte.

Er würde die Tunnel nutzen, um dorthin zurückzukehren.

Glücklicherweise konnte sie Caines Versteck auf direktem Weg erreichen, während die zahlreichen Kurven und Biegungen der unterirdischen Gänge Tane zwingen würden, fast die doppelte Strecke zurückzulegen.

Wenn sie nur ein bisschen Glück hatte, konnte sie ihr Baby holen und verschwinden, bevor ihr jemand folgen konnte.

Sie presste die Lippen fest aufeinander, als sie schließlich eine unbefestigte Straße erreichte, die sich durch eine unbewohnte Gegend wand, und erhöhte ihr Tempo. Die vergangenen fünfzig Jahre hatte sie nur Pech gehabt.

Warum sollte sich das jetzt ändern?

KAPITEL 3

Als Laylah Caines Versteck erreichte, ging die Sonne gerade unter, aber wie Levet versprochen hatte, war Caine schon lange verschwunden, ebenso wie die meisten seiner Wachtposten.

Den Göttern sei Dank!

Sie verlor keine Zeit, sondern schlich lautlos in das private Nebengebäude, das von einem ausgeprägten Trugbild umhüllt war, welches ihre Existenz vor der Welt geheim hielt. Wenigstens war es so gewesen, bis Caine darauf bestanden hatte, dass sie mit ihm nach Hannibal reiste.

Das Innere des Gebäudes bot wenig Komfort. Die Wohnzimmereinrichtung bestand lediglich aus einer heruntergekommenen Couch und einem klapprigen Stuhl, beides Fundstücke aus einem verlassenen Haus. Im angrenzenden Raum befanden sich ein schmales Klappbett und ein Gitterbett. Sie häufte keine Besitztümer an.

Seit dem Tod ihrer Pflegemutter hatte sie gelernt, sich an nichts zu binden, weder an Personen noch an Orte.

Beides konnte ihr genommen werden.

Nun ja … sie band sich selten an etwas, dachte sie, als sie den schlafenden Säugling aus dem Gitterbettchen hob und das Versteck verließ.

In dem Moment, als sie das goldhaarige Kind erblickt hatte, das nicht mehr als ein paar Monate alt zu sein schien, hatte sie sich Hals über Kopf verliebt. Es war ein kleiner, reiner Engel. Nicht, dass sie wusste, ob das Kind ein Anrecht auf den Himmel hatte oder nicht. Eigentlich wusste sie überhaupt nichts über das Baby.

Nichts außer der Tatsache, dass sie es aus den Nebeln mitgenommen hatte.

Und dass es durch einen Stillstandszauber festgehalten wurde, sodass es in einem schützenden Netz eingeschlossen blieb, unempfindlich gegenüber der Außenwelt.

Seit fast fünfzig Jahren versteckte sie den Jungen nun. Das war keine sonderlich schwierige Aufgabe, da es nicht nötig war, ihm die Pflege angedeihen zu lassen, die ein Kind normalerweise brauchte.

Dieses Kind war … unbelebt. Zumindest war das die einzige Beschreibung, die ihr in den Sinn kam. So, als ob es eine schöne Puppe sei, die darauf wartete, dass ihr der Funke des Lebens eingehaucht wurde.

Und soweit sie wusste, war sie das einzige Lebewesen auf der Welt, das den Zauber berühren konnte, der es umgab.

Dadurch war es noch wichtiger, das Kind in Sicherheit zu bringen.

Laylah legte auf ihrer Flucht aus Caines Versteck einen kurzen Zwischenstopp bei den örtlichen Baumgeistern ein. Trotz ihrer flatterhaften Natur schuldete die Sippe ihr einen Gefallen, nachdem sie ihrer Königin das Leben gerettet hatte. Es war an der Zeit, ihre Schuld einzufordern.

Und dann, nach einem kurzen Stoßgebet, dass ihr Glück anhalten möge, lief sie über die kürzlich bepflanzten Felder und von Kühen bevölkerten Wiesen in Richtung Nordwesten.

Sie wusste nicht, wohin sie lief.

Einfach nur … weg.

Weit, weit weg.

Gegen Mittag brach die Erschöpfung mit überwältigender Macht über sie herein.

Entweder fand sie irgendeinen Ort, an dem sie sich ausruhen konnte, oder sie würde mitten in einem Maisfeld zusammenbrechen.

Sie machte das nächstgelegene Haus ausfindig, schnappte sich ein paar Lebensmittel und machte es sich dann auf dem Heuboden der nahe gelegenen Scheune so gemütlich wie möglich. Es war nicht ganz das Waldorf Astoria, aber es würde sie vor dem beginnenden Nieselregen schützen. Und das Beste von allem war, dass es vampirfrei war.

Sie biss in einen Apfel und starrte auf die Scheune hinunter, die mit den üblichen technischen Geräten gefüllt war, die für eine kleine Farm benötigt wurden, sowie einem Haufen alter Fahrräder und vergessener Spielsachen. Ein rostiges Museum, gewidmet der Vergangenheit einer typischen Menschenfamilie.

Sie ignorierte den verräterischen Anflug von Neid in ihrem Herzen.

Sie war doch überglücklich, oder etwa nicht?

Immerhin hatte sie es geschafft, dem sicheren Tod zu entkommen.

Und wenn sie allein in einer dämlichen Scheune saß, mit matschigen Äpfeln statt mit einem dekadenten Schokoladenkuchen und verführerischen Vampirküssen, dann war das wahrlich kein hoher Preis, den sie dafür bezahlen musste.

Laylah grummelte leise vor sich hin, kuschelte sich unter die Heuhaufen und schloss die Augen.

Die vergangenen Tage hatten aus einer Katastrophe nach der anderen bestanden.