Der dunkle Herzog - Jennifer Ashley - E-Book
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Jennifer Ashley

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Beschreibung

Lady Eleanor Ramsay ist die Einzige, die die Wahrheit über den berüchtigten Hart MacKenzie kennt. Einst waren die beiden verlobt, doch Eleanor löste die Verbindung. Nun taucht sie überraschend wieder auf, im Gepäck skandalöse Fotos von Hart aus seiner Jugendzeit, die ihn gehörig in Schwierigkeiten bringen könnten.

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JENNIFER ASHLEY

Der dunkle Herzog

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Susanne Kregeloh

Zu diesem Buch

Einst waren Eleanor Ramsay und Hart MacKenzie ein glücklich verlobtes Paar. Doch dann kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden, und Eleanor löste die Verbindung. Seitdem ist Hart zu einem der mächtigsten Herzöge des Reiches aufgestiegen, von Frauen umschwärmt, von vielen gefürchtet – ein harter, unnahbarer Mann, der viel erlitten und verloren hat und stets alles daran setzt, seine Familie zu beschützen. Als Eleanor nach Jahren plötzlich wieder vor seiner Tür steht, ist es ein Schock für Hart, der sonst seine Gefühle mit eisernem Willen unter Kontrolle hält. Eleanor ist gekommen, um ihn zu warnen – im Gepäck hat sie skandalöse Fotografien aus Harts Jugendzeit, die ihr ein Unbekannter zugespielt hat. Hart ist überwältigt von der tiefen Leidenschaft, die seine einstige Verlobte noch immer in ihm auslöst. Doch er merkt schon bald, dass er die furchtlose Eleanor nicht mit den Methoden für sich gewinnen kann, mit denen er für gewöhnlich die Welt um sich herum nach seinem Willen formt. Nur wenn er die Mauern einreißt, die er um sein Herz errichtet hat, und ihr seine Seele schutzlos offenlegt, kann er darauf hoffen, sie endlich zu seiner Frau zu machen.

Dieses Buch ist meinen Eltern gewidmet: meinem Vater, den ich letztes Jahr verloren habe, und meiner Mutter, die stärker ist, als sie weiß. Danke für Eure Ermutigung, Geduld und Liebe.

1

Hart MacKenzie.

Es hieß, dass er jede Spielart der Lust kannte, die eine Frau sich wünschte, und dass er genau wusste, wie er sie ihr schenken konnte. Hart fragte nicht, was eine Lady wollte, denn vielleicht wusste sie selbst es nicht einmal, aber sie wusste es ganz gewiss, wenn er die Sache erst zu Ende gebracht hatte. Und sie würde es wieder wollen.

Er hatte Macht und Geld, besaß Intelligenz und Gewandtheit und nutzte geschickt seine Fähigkeit, mit seinem Partner – oder seiner Partnerin – zu spielen. Es gelang ihm stets, dass sie alles taten, was er wollte, und sie glauben zu machen, es sei ihre eigene Entscheidung gewesen.

Eleanor Ramsay wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr das zutraf.

An einem unerwartet milden Februarmorgen stand sie auf der St. James Street eingekeilt inmitten einer Schar von Journalisten, die darauf warteten, dass der berühmte Hart MacKenzie, Duke of Kilmorgan, seinen Club verließ. In ihrem schlichten, seit Langem aus der Mode gekommenen Kleid und mit ihrem alten Hut sah Lady Eleanor Ramsay wie jede andere gewöhnliche Zeitungsschreiberin aus, die ebenso hungrig nach einer Story war wie die übrigen Wartenden. Doch während diese sich danach drängten, eine exklusive Story über den bekannten schottischen Herzog zu bekommen, war Eleanor hier, um sein Leben zu verändern.

Die Journalisten reckten die Hälse, als sie den hochgewachsenen Duke den Club verlassen sahen. Eine schwarze Jacke betonte seine breiten Schultern, und er trug wie stets einen Kilt in den Farben der MacKenzies, um jedermann daran zu erinnern, dass er zuallererst Schotte war und es immer bleiben würde.

»Euer Gnaden!«, riefen die Reporter. »Euer Gnaden!«

Das Meer männlicher Rücken wogte an Eleanor vorbei und versperrte ihr den Weg. Sie bahnte ihn sich, indem sie ohne Rücksicht auf Verluste ihren geschlossenen Regenschirm einsetzte, damit die Meute ihr Platz machte. »Oh, ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie, als sie mit ihrer Tournüre einen Mann zur Seite schob, der versucht hatte, ihr seinen Ellbogen in die Rippen zu rammen.

Hart schaute weder nach links noch nach rechts, während er seinen Hut tiefer in die Stirn zog und die drei Schritte von der Tür des Clubs zu seinem wartenden Landauer zurücklegte. Er war ein Meister darin, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was er nicht zur Kenntnis nehmen wollte.

»Euer Gnaden!«, rief Eleanor. Wie einen Trichter legte sie die Hände um den Mund. »Hart!«

Er stutzte und wandte sich um. Ihre Blicke begegneten sich, und das Starren aus seinen goldfarbenen Augen durchbohrte sie selbst über die gut zwanzig Schritte Entfernung hinweg, die zwischen ihnen lagen.

Eleanor spürte ihre Knie weich werden. Ihre letzte Begegnung mit Hart lag fast ein Jahr zurück. Er war ihr in ihr Zugabteil gefolgt, hatte seine Hand auf ihren Arm gelegt und sie quasi genötigt, ein Geldgeschenk von ihm anzunehmen. Er hatte Mitleid mit ihr gehabt, was ihr sehr zu schaffen gemacht hatte. Überdies hatte er ihr seine Visitenkarte in den Kragen ihres Kleides gesteckt. Sie erinnerte sich daran, wie heiß seine Finger sich auf ihrer Haut angefühlt hatten, und an das Kratzen der Karte mit seinem Namen darauf auf ihrer Haut.

Hart sagte etwas zu einem seiner wie Preisboxer aussehenden Leibwächter, die neben der Kutsche warteten. Der Mann nickte, wandte sich um und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge der hektischen Reporter. Vor Eleanor blieb er stehen.

»Hier entlang, Eure Ladyschaft.«

Eleanor packte ihren Schirm fester, während sie dem Mann folgte, und war sich durchaus der wütenden Blicke bewusst, die man ihr zuwarf. Harts Miene verriet keine Regung, während er ihr entgegensah. Einst war es ein berauschendes Gefühl gewesen, der Mittelpunkt dieser ausschließlichen Aufmerksamkeit zu sein.

Als sie den Landauer erreicht hatte, legte Hart die Hand an ihren Ellbogen und half ihr beim Einsteigen.

Eleanor stockte der Atem, als er sie berührte. Sie setzte sich und versuchte, ihr heftig pochendes Herz zu beruhigen, während Hart in die Kutsche stieg und ihr gegenüber Platz nahm, Gott sei Dank nicht neben ihr. Sie wäre niemals fähig gewesen, ihren Vorschlag zu unterbreiten, würde er nah bei ihr sitzen. Die Hitze seines Körpers hätte sie zu sehr abgelenkt.

Der Bedienstete schlug die Tür zu, und Eleanor hielt sich daran fest, als der Landauer mit einem Ruck anfuhr. Die Herren der Presse riefen ihnen laut hinterher und fluchten, weil ihnen ihre Beute entkommen war, während der Landauer in Richtung Mayfair die St. James Street hinauffuhr.

Eleanor schaute über die Schulter zurück. »Du meine Güte, heute hast du aber die Fleet Street unglücklich gemacht«, sagte sie.

»Zur Hölle mit der Fleet Street«, knurrte er.

Eleanor wandte sich um und bemerkte, dass Hart sie unverwandt ansah. »Was denn – mit der ganzen?«

So nah bei ihm konnte sie die goldenen Sprenkel in seinen haselnussbraunen Augen erkennen, die ihm dieses adlerhafte Aussehen gaben. Sein dunkles Haar schimmerte rötlich, ein Erbe seiner schottischen Ahnen. Er trug es kürzer geschnitten als bei ihrer letzten Begegnung, was seine Gesichtszüge noch schärfer und abweisender als sonst wirken ließ. Eleanor war die Einzige unter den Zeitungsleuten gewesen, die je gesehen hatte, dass dieses Gesicht während des Schlafens weicher wurde.

Hart legte einen Arm auf die Rückenlehne des Sitzes neben ihm und streckte die muskulösen Beine aus. Sein Kilt schob sich leicht hoch, was Eleanor einen Blick auf seine Oberschenkel erhaschen ließ, die vom Reiten und Fischen und vom Herumspazieren auf seinem schottischen Landsitz, und was er dort sonst noch tat, gebräunt waren.

Eleanor öffnete ihren Schirm und gab vor, entspannt und glücklich zu sein – in derselben Kutsche wie der Mann, mit dem sie einst verlobt gewesen war. »Ich entschuldige mich dafür, dich auf der Straße angesprochen zu haben«, sagte sie. »Ich war bei dir zu Hause, aber du hast einen neuen Majordomus. Er kannte mich nicht, und auch meine Karte, die ich ihm gegeben habe, konnte ihn nicht beeindrucken. Offensichtlich machen es sich die Damen zur Gewohnheit zu versuchen, sich unter einem Vorwand Zutritt zu deinem Haus zu verschaffen, und er hielt mich für eine von ihnen. Ich kann es ihm wirklich nicht übel nehmen. Ich hätte die Karte ja gestohlen haben können, und du warst bei den Damen schon immer sehr beliebt.«

Harts Blick wurde nicht weicher unter der Flut ihrer Worte, wie es damals oft der Fall gewesen war. »Ich werde mit ihm reden.«

»Nein, nein, kanzle den armen Mann nicht zu sehr ab. Er konnte es nicht wissen. Vermutlich gibst du ihm nur sehr wenige Information, wie es eben deiner Art entspricht. Übrigens eine Angewohnheit, die einen verrückt machen kann. Nun, ich bin den weiten Weg von Aberdeen hierhergekommen, um mit dir zu reden. Es ist wirklich recht wichtig. Ich habe bei Isabella vorbeigeschaut, aber sie war nicht zu Hause, und diese Angelegenheit kann nicht warten. Mir ist es gelungen, deinem Diener die Auskunft zu entlocken, dass du in deinem Club bist – der liebe Franklin, wie erwachsen er doch geworden ist! Aber er hatte zu große Angst vor dem Majordomus, um mich ins Haus zu lassen, damit ich dort auf dich warten kann. Deshalb habe ich beschlossen, dir aufzulauern und dich abzufangen, sobald du auftauchst. Es war ein großer Spaß, vorzugeben, eine Journalistin zu sein. Und hier bin ich nun.«

Sie hob die Hände in jener hilflos anmutenden Geste, an die Hart sich gut erinnerte, aber wehe dem Mann, der diese Frau für hilflos hielt.

Lady Eleanor Ramsay.

Die Frau, die ich heiraten werde.

Ihr Kleid aus dunkelblauer Baumwolle war seit Jahren aus der Mode, eine Stange ihres Schirms war zerbrochen, und der Hut mit den verblassten Blumen und dem kurzen Schleier thronte leicht schief auf ihrem Kopf. Der Schleier verbarg nichts von ihren Augen, die so blau wie Rittersporn waren, oder den reizenden Sommersprossen, die sich zusammendrängten, wenn sie die Nase rümpfte und fortwährend ihr kleines Lächeln lächelte. Sie war groß für eine Frau und zudem mit üppigen Kurven ausgestattet. Mit zwanzig war sie atemberaubend schön gewesen. Er hatte sie zum ersten Mal gesehen, als sie den Ballsaal betreten hatte und herumgeschlendert war, ihre Stimme und ihr Lachen hatten wie Musik geklungen. Sie war auch jetzt schön. Sogar noch schöner. Harts hungriger Blick ergötzte sich an ihr, er sog ihren Anblick ein wie ein Mann, der lange Zeit ohne Nahrung gewesen war.

Er zwang seine Stimme dazu, ruhig, fast gleichmütig zu klingen. »Was ist so wichtig, dass du mit mir darüber reden musst?« Bei Eleanor konnte alles bedeutungsvoll sein, von einem verlorenen Knopf bis hin zu einer Bedrohung des britischen Empire.

Sie beugte sich leicht vor, der oberste Haken ihres Kragens löste sich aus dem ausgefransten Stoffrand. »Nun, hier kann ich es dir nicht sagen, in einer offenen Kutsche, die durch Mayfair fährt. Warte, bis wir im Haus sind.«

Der Gedanke an Eleanor, die ihm in sein Haus folgte und die gleiche Luft wie er atmete, ließ ihm die Brust eng werden. Er wollte es, er sehnte sich danach. »Eleanor …«

»Herrgott, du kannst doch wohl ein paar Minuten für mich erübrigen, oder nicht? Betrachte es als meine Belohnung dafür, dass ich diese fanatischen Journalisten von dir abgelenkt habe. Was ich entdeckt habe, könnte sich katastrophal auswirken. Ich habe entschieden, dass es das Beste ist, wenn ich herkomme und es dir persönlich sage, statt es dir zu schreiben.«

Es musste um etwas Ernstes gehen, wenn es Eleanor veranlasst hatte, ihr marodes Haus in Aberdeen zu verlassen, in dem sie mit ihrem Vater in vornehmer Armut lebte. Sie reiste jetzt nur noch wenig. Andererseits wäre es aber auch denkbar, dass sie irgendein verdecktes Motiv im Sinn hatte. Eleanor konnte nichts unkompliziert tun.

»Wenn es so wichtig ist, El, dann sag es mir um Himmels willen.«

»Meine Güte, dein Gesicht sieht aus wie aus Granit, wenn du die Stirn runzelst. Kein Wunder, dass jeder im Oberhaus Angst vor dir hat.« Sie legte den Schirm aus der Hand und lächelte Hart an.

Ihr weicher Körper unter seinem, ihre blauen Augen halb geschlossen in sinnlicher Lust, die schottische Sonne auf ihrer nackten Haut. Das Gefühl, sich in ihr zu bewegen, ihr Lächeln, als sie sagte »Ich liebe dich, Hart«.

Alte Gefühle erwachten schnell. Er erinnerte sich an ihr letztes Zusammentreffen, als er sich nicht davon hatte abhalten können, ihr Gesicht zu berühren und zu sagen: »Eleanor, was soll ich nur mit dir machen?«

Dass sie nach London gekommen war, bevor er seine Vorbereitungen hatte abschließen können, würde ihn zwingen, seinen Zeitplan zu ändern. Aber Hart besaß die Fähigkeit, Vorhaben mit blitzartiger Geschwindigkeit zu verwerfen und neu zu fassen. Das war es, was ihn so gefährlich machte.

»Ich werde es dir zu gegebener Zeit sagen«, sprach Eleanor weiter. »Und dir zudem ein Geschäft vorschlagen.«

»Ein Geschäft vorschlagen?« Ein Geschäft mit Eleanor Ramsay. Himmel hilf. »Um was für ein Geschäft geht es?«

Eleanor ignorierte seine Frage auf ihre aufreizende Art und betrachtete die hohen Häuser, die die Grosvenor Street säumten. »Es ist so lange her, seit ich in London gewesen bin, ganz zu schweigen bei einer Saison. Ich freue mich darauf, alle wiederzusehen. Grundgütiger, ist das Lady Mountgrove? Sie ist es tatsächlich. Hallo, Margaret!« Eleanor winkte fröhlich einer dicklichen Frau zu, die vor einer der hübsch gestrichenen Haustüren aus einer Kutsche stieg.

Lady Mountgrove, eine der klatschsüchtigsten Frauen Englands, formte ihren Mund zu einem kreisrunden O. Ihr Blick nahm jedes Detail Lady Eleanor Ramsays in sich auf, die ihr aus der Kutsche des Dukes of Kilmorgan zuwinkte, der ihr gegenübersaß. Sie starrte lange mit offenem Mund hinüber, bevor sie die Hand hob und zurückwinkte.

»Du meine Güte, ich habe sie ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen«, sagte Eleanor und lehnte sich zurück, während die Kutsche weiterrollte. »Ihre Töchter müssen inzwischen junge Damen sein. Sind sie schon in die Gesellschaft eingeführt worden?«

Ihr Mund verlockte noch immer zum Küssen, einschließlich der kleinen Falte, die sich um ihn bildete, während sie auf seine Antwort wartete.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, entgegnete Hart.

»Wirklich, Hart, du musst die Gesellschaftsnachrichten zumindest überfliegen. Du bist der begehrteste Junggeselle Englands. Wahrscheinlich des gesamten Empire. Mütter in Indien hegen und pflegen ihre Töchter, um sie zu dir auf die Reise zu schicken, und sie sagen ihnen, Man kann nie wissen. Noch ist er nicht verheiratet.«

»Ich bin Witwer.« Hart sagte dieses Wort nie, ohne einen Stich zu empfinden. »Kein Junggeselle.«

»Du bist ein Duke, unverheiratet und noch dazu auf dem Sprung, der mächtigste Mann des Landes zu werden. Der Welt, genauer gesagt. Du solltest daran denken, wieder zu heiraten.«

Ihre Zunge, ihre Lippen bewegten sich auf sinnliche Weise. Der Mann, der von ihr fortgegangen war, musste verrückt gewesen sein. Hart erinnerte sich an den Tag, an dem er diesen Schritt getan hatte. Er spürte noch immer den feinen Aufprall des Ringes, den Eleanor gegen seine Brust geschleudert hatte, Zorn und Herzschmerz in ihren Augen.

Er hätte sich weigern sollen, sie gehen zu lassen; an jenem Nachmittag hätte er mit ihr davonlaufen, sie für immer an sich binden sollen. Er hatte bei ihr alles falsch gemacht. Aber er war jung gewesen, wütend und stolz und … beschämt. Der erhabene Hart MacKenzie, der sich so sicher war, tun zu können, was immer ihm gefiel, war von Eleanor eines Besseren belehrt worden.

Er ließ seine Stimme weicher klingen. »Sag mir, wie es dir geht, El.«

»Oh, alles ist wie immer. Du weißt schon. Vater schreibt unentwegt Bücher, die brillant sind, aber er kann dir nicht sagen, was ein Farthing heutzutage wert ist. Ich habe ihn im Britischen Museum gelassen, damit er sich dort vergnügt und über die ägyptische Sammlung sinnieren kann. Ich hoffe inständig, dass er nicht anfängt, die Mumien auszuwickeln.«

Das war nicht undenkbar. Alec Ramsay war eine wissbegierige Forscherseele, und weder Gott noch die Museumsautoritäten des Landes konnten ihn aufhalten.

»Ah, wir sind da.« Eleanor reckte den Hals, um die Fassade von Harts Haus am Grosvenor Square zu betrachten, als der Landauer hielt. »Ich sehe deinen Majordomus aus dem Fenster spähen. Er sieht ein wenig bestürzt aus. Sei nicht allzu zornig auf den armen Mann, hörst du?« Sie legte die Hand leicht auf die des Bediensteten, der von der Tür herbeigeeilt war, um ihr behilflich zu sein. »Nochmals guten Tag, Franklin. Ich habe Seine Gnaden gefunden, wie Sie sehen. Ich habe ihm gegenüber erwähnt, wie stattlich Sie geworden sind. Und Sie sind verheiratet, wie ich höre. Und haben einen Sohn?«

Franklin, der sich seiner erfolgreich abweisenden Haltung rühmte, wenn er die Tür des bekanntesten Herzogs in London hütete, zerschmolz zu einem Lächeln. »Ja, Eure Ladyschaft. Er ist jetzt drei, und was er so alles anstellt!« Er schüttelte den Kopf.

»Das bedeutet, er ist robust und gesund.« Eleanor tätschelte ihm den Arm. »Meinen Glückwunsch.« Sie klappte ihren Schirm zusammen und marschierte ins Haus, während Hart hinter ihr aus dem Landauer stieg. »Mrs Mayhew, wie wunderbar, Sie zu sehen«, hörte er sie sagen. Er betrat sein Haus und sah, wie Eleanor der Haushälterin die Hände entgegenstreckte.

Die beiden Frauen begrüßten sich und begannen sich sofort zu unterhalten, ausgerechnet über Rezepte. Eleanors Haushälterin, jetzt im Ruhestand, hatte sie offensichtlich instruiert, Mrs Mayhew nach ihrem Rezept für einen bestimmten Zitronenkuchen zu fragen.

Eleanor begann die Treppe hinaufzusteigen, und Hart warf seinen Hut und seine Jacke Franklin zu, während er ihr folgte. Er wollte Eleanor soeben in den großen vorderen Salon bitten, als ein hochgewachsener Schotte in einem abgetragenen Kilt, lässigem Hemd und farbbeklecksten Stiefeln aus dem oberen Stockwerk heruntergestürmt kam.

»Du hast hoffentlich nichts dagegen, Hart«, sagte Mac MacKenzie. »Ich habe die Teufelsbraten mitgebracht und mich in einem deiner unbenutzten Schlafzimmer einquartiert, um zu malen. Isabella hat die Dekorateure im Haus, und du machst dir keine Vorstellung von dem Durcheinander –« Mac verstummte, ein Ausdruck der Freude breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Eleanor Ramsay, bei allem, was heilig ist! Was zum Teufel führt dich hierher?« Er sprang beinahe die letzten Stufen bis zum Treppenabsatz hinunter und riss Eleanor in eine solch herzliche Umarmung, dass sie den Boden unter den Füßen verlor.

Eleanor küsste Mac, den Zweitjüngsten der MacKenzies, herzhaft auf die Wange. »Hallo, Mac. Ich bin gekommen, um deinen großen Bruder zu ärgern.«

»Gut. Er braucht ein bisschen Ärger.« Mac stellte Eleanor wieder auf die Beine, er grinste und seine Augen funkelten. »Komm und schau dir die Babys an, wenn du mit ihm fertig bist, El. Ich male nicht sie, weil sie nicht still sitzen werden; ich lege letzte Hand an ein Pferdebild für Cam. Night-Blooming Jasmine, seine neue Champion-Stute.«

»Ja, ich hörte, dass sie ihre Sache gut gemacht hat.« Eleanor stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Mac noch einmal auf die Wange. »Der ist für Isabella. Und Aimee, Eileen und Robert.« Kuss, Kuss, Kuss. Mac empfing sie alle mit einem glücklichen Lächeln.

Hart beugte sich über das Geländer. »Kommen wir heute noch irgendwann zu deinem Angebot?«

»Ein Angebot?«, fragte Mac mit leuchtenden Augen. »Nun, das klingt interessant.«

»Halt den Mund, Mac«, sagte Hart.

Schreien ertönte oben im Haus – ein schrilles, verzweifeltes Weltuntergangsgebrüll. Mac grinste und lief die Treppe hinauf.

»Euer Vater kommt schon, ihr Teufelsbrut«, rief er. »Wenn ihr brav seid, kommt Tante Eleanor nachher zum Teetrinken zu euch.«

Das Gebrüll setzte sich unvermindert fort, bis Mac die oberste Etage erreicht hatte, in das Zimmer gestürmt war, aus dem es kam, und die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Augenblicklich verstummte der Radau, auch wenn sie noch immer Macs rumpelnde Stimme hören konnten.

Eleanor seufzte. »Ich habe schon immer gewusst, dass Mac ein guter Vater sein würde. Wollen wir?«

Sie wandte sich um und ging zum nächsten Stockwerk hinauf und in das Arbeitszimmer, ohne auf Hart zu warten. Es hatte einst eine Zeit gegeben, da hatte sie sich mit allen Zimmern in seinem Haus gut ausgekannt, und ihre Ortskenntnis hatte sie offensichtlich nicht verlassen.

Das Arbeitszimmer hatte sich um kein Jota verändert, stellte Eleanor fest, als sie eintrat. Dieselbe dunkle Holzverkleidung an den Wänden und Regale, gefüllt mit Büchern, die genauso aussahen wie jene damals, reckten sich hinauf bis unter die hohe Decke. Der riesige Schreibtisch, der einst Harts Vater gehört hatte, thronte wie stets in der Mitte des Raums.

Derselbe Teppich bedeckte den Boden, aber ein anderer Jagdhund als damals döste heute vor dem Kamin. Er hieß Ben, wenn sie sich richtig erinnerte, und war ein Sohn von Harts alter Hündin Beatrix, die einige Monate nach der Auflösung der Verlobung gestorben war. Die Nachricht vom Tod der Hündin hatte Eleanor fast das Herz gebrochen.

Ben schlief weiter, als sie eintraten, und sein leises Schnarchen verschmolz mit dem Knistern des Kaminfeuers.

Hart fasste Eleanor am Ellbogen, um sie durch das Zimmer zu führen. Sie wünschte, er würde das nicht tun, weil die stählerne Kraft seiner Finger in ihr den Wunsch weckte, dahinzuschmelzen, und sie musste ihre Entschlossenheit um jeden Preis bewahren.

Wenn heute alles gut ging, würde sie ihm nicht noch einmal begegnen müssen, aber die erste Annäherung musste in vertraulichem Rahmen stattfinden. Ein Brief konnte zu leicht in die falschen Hände gelangen oder von einem unachtsamen Sekretär verlegt oder ungeöffnet von Hart verbrannt werden.

Hart zog einen Lehnsessel an seinen Schreibtisch, so mühelos, als wöge er gar nichts. Eleanor wusste es jedoch besser, als sie darin Platz nahm. Der schwere Stuhl war so massiv wie ein Fels.

Hart setzte sich auf den Schreibtischstuhl, sein Kilt rutschte dabei hoch und enthüllte seine sehnigen Oberschenkel. Jeder, der einen Kilt für unmännlich hielt, hatte noch nie Hart MacKenzie darin gesehen.

Eleanor berührte die polierte Oberfläche des Schreibtisches. »Hart, dir ist doch bewusst, dass du dir Gedanken über diese Möbel machen musst, wenn du beabsichtigst, Premierminister dieses Landes zu werden. Die jetzigen wirken ein wenig aus der Mode gekommen.«

»Zum Teufel mit den Möbeln. Was ist das für ein Problem, das dich und deinen Vater aus dem wilden Schottland hergetrieben hat?«

»Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast so hart auf dein Ziel hingearbeitet, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, was es in dir anrichten würde, solltest du alles verlieren. Ich habe eine ganze Woche jede Nacht wachgelegen und gegrübelt, was ich tun soll. Ich weiß, wir haben uns in Unfrieden getrennt, aber das war vor langer Zeit, und vieles hat sich seitdem geändert, besonders für dich. Du bedeutest mir noch immer etwas, Hart, was immer du auch glauben magst, und mich hat der Gedanke gequält, du würdest dich aus der Öffentlichkeit zurückziehen müssen, wenn es herauskäme.«

»Mich zurückziehen?« Er starrte sie an. »Wovon sprichst du? Meine Vergangenheit ist für niemanden ein Geheimnis. Ich bin ein Schuft und ein Sünder, jeder weiß das. Heutzutage gilt das fast als ein Pluspunkt, wenn man Politiker ist.«

»Möglich, aber dies könnte vielleicht eine große Schmach für dich bedeuten. Du würdest zur Witzfigur werden, und das würde zweifellos eine Niederlage für dich bedeuten.«

Sein Blick wurde bohrend. Grundgütiger, aber wenn er diesen Blick aufsetzte, sah er aus wie sein Vater. Der alte Duke war ein gut aussehender Mann gewesen, aber auch ein Monster mit scheußlich kalten Augen, die einem klargemacht hatten, dass man nichts als eine Kröte unter seiner Stiefelsohle war. Hart besaß jedoch trotz allem eine Wärme, die seinem Vater gefehlt hatte.

»Eleanor, hör auf zu schwafeln und sag mir, um was es geht.«

»Nun ja. Ich denke, es ist Zeit, dass du es siehst.« Sie griff in eine Tasche in der Innenseite ihres Mantels und zog ein gefaltetes Stück Karton hervor. Sie legte es vor Hart auf den Schreibtisch und schlug es auf.

Hart erstarrte.

Vor ihm lag eine Fotografie. Es war eine Aufnahme, die einen sehr viel jüngeren Hart zeigte, aufgenommen im Profil. Sein Körper war damals ein wenig schlanker gewesen, aber muskulös. Die Fotografie zeigte ihn, wie er mit dem Po gegen die Kante eines Tisches gelehnt stand und sich mit einer Hand auf dessen Oberfläche abstützte. Er hielt den Kopf gebeugt, als schaute er auf etwas zu seinen Füßen, das für den Betrachter der Aufnahme nicht zu sehen war.

Die Pose, wenn auch ein wenig ungewöhnlich für ein Porträt, war jedoch nicht das Auffallende an dieser Fotografie. Das Interessanteste an ihr war, dass sie Hart MacKenzie nackt zeigte.

2

»Von wem hast du das Foto?« Die Frage klang scharf, barsch und fordernd. Jetzt besaß Eleanor Harts ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Von einem, der es gut mit mir meint«, sagte sie. »Zumindest war der Brief so unterzeichnet. Von einen wo es gut mit ihnen meint. Die falsche Grammatik lässt vermuten, dass der Schreiber nicht sehr gebildet ist – wenn auch gebildet genug, einen Brief zu schreiben, aber die Person hat die Schule offensichtlich nicht bis zum Ende besucht. Ich vermute, es ist die Handschrift einer Frau –«

»Jemand hat es dir geschickt?«, schnitt Hart ihr das Wort ab. »Bist du hergekommen, um mir das zu sagen?«

»Richtig. Du kannst von Glück sagen, dass ich allein am Frühstückstisch saß, als ich den Brief geöffnet habe. Mein Vater war unterwegs, um Pilze zu bestimmen. Zusammen mit der Köchin, der es allerdings nicht so sehr um das Bestimmen ebenjener Gewächse ging, sondern eher darum, die genießbaren zum Abendessen zu sammeln.«

»Wo ist der Umschlag?«

Offensichtlich erwartete Hart, dass sie diese Angelegenheit ohne Zögern in seine Hände legte. Aber das würde ihre Pläne durchkreuzen.

»Der Umschlag hat nicht viel verraten«, erklärte Eleanor. »Der Brief wurde nicht mit der Post befördert, sondern mir persönlich übergeben. Er wurde von der Bahnstation zu mir nach Glenarden gebracht. Der Stationsvorsteher hat ihn vom Zugschaffner bekommen, und der wiederum sagte, dass er ihm von einem Boten in Edinburgh übergeben wurde. Auf dem Umschlag stand nur eine Zeile – An Lady Eleanor Ramsay, Glenarden, bei Aberdeen, Schottland. Jeder kennt mich und weiß, wo ich wohne. Selbst wenn der Absender den Brief irgendwo zwischen Edinburgh und Aberdeen hätte fallenlassen, hätte er mich vermutlich erreicht – letztendlich.«

Harts Augenbrauen senkten sich, während er zuhörte, was Eleanor wiederum an seinen Vater erinnerte. Ein Porträt des Mannes hatte früher in diesem Zimmer gehangen, auf dem Ehrenplatz über dem Kaminsims, aber jetzt hing es dort nicht mehr, Gott sei Dank. Hart musste es auf den Dachboden verbannt oder es vielleicht sogar verbrannt haben. Sie an seiner Stelle hätte es verbrannt.

»Was ist mit dem Botenjungen in Edinburgh?«, fragte Hart.

»Ich hatte weder die Zeit noch die Mittel, solch eine Nachforschung anzustellen«, erwiderte Eleanor und wandte den Blick von besagter Stelle über dem Kamin ab. Ein Gemälde, das die schottischen Highlands und einen Mann im Kilt zeigte, der in einem Fluss angelte, hing jetzt dort. Mac hatte es gemalt. »Ich habe unser letztes Geld für die Fahrkarten nach London ausgegeben, um herzukommen und dir zu sagen, dass es mich freuen würde, wenn ich der Sache für dich nachgehen könnte. Falls du die finanziellen Mittel und ein kleines Salär zur Verfügung stellst.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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