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Die Macht des Wahnsinns
Endlich haben die Menschen und die vogelähnlichen Zor eine Möglichkeit gefunden, die insektoiden Vuhl-Gestaltwandler wirksam zu bekämpfen. Die Zor nennen es „Die Kraft des Wahnsinns“, es handelt sich dabei um Hass in seiner konzentriertesten Form. Owen Garret, der diese Mentalwaffe entdeckt hat, gibt sein Wissen an den geheimnisvollen John Smith weiter. Der erkennt seine Chance und ruft die Bewegung „Flammender Stern“ ins Leben, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Vuhl vollständig auszurotten. Doch Smith hat noch weitaus ehrgeizigere Pläne. Seine Gefolgsleute unterwandern den Geheimdienst und die Flotte, um die Macht im Sol-Imperium an sich zu reißen und auch die Zor auszulöschen. Nur eine Handvoll Menschen und Zor versucht, den Holocaust und eine neue Diktatur zu verhindern. Doch auch sie ahnen nicht, dass sie von einer Macht manipuliert werden, die weit jenseits ihres Horizonts agiert …
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Seitenzahl: 808
Das Buch
Nach langen kriegerischen Auseinandersetzungen haben die Menschen und die vogelähnlichen Zor eine Möglichkeit gefunden, die insektoiden Vuhl-Gestaltwandler wirksam zu bekämpfen. Die Zor nennen es »Die Kraft des Wahnsinns«, und es handelt sich dabei um Hass in seiner konzentriertesten Form.
Owen Garret, der diese Mentalwaffe entdeckt hat, gibt sein Wissen an den geheimnisvollen John Smith weiter. Der erkennt seine Chance, ernennt sich selbst zum »Propheten« und ruft die Bewegung »Flammender Stern« ins Leben, eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Vuhl vollständig auszurotten. Doch Smith hat noch weitaus ehrgeizigere Pläne. Seine Gefolgsleute unterwandern den Geheimdienst und die Flotte, um die Macht im Sol-Imperium an sich zu reißen und nach Abschluss des Vuhl-Feldzugs auch die Zor auszulöschen.
Nur eine Handvoll Menschen und Zor versucht, den Holocaust und eine neue Diktatur zu verhindern. Doch auch sie ahnen nicht, dass sämtliche Ereignisse von einer Macht manipuliert werden, die weit jenseits ihres Horizonts agiert …
Der Autor
Walter H. Hunt, 1959 in Massachusetts geboren, arbeitete lange Jahre als Programmierer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Mit seinem ersten Roman »Die dunkle Schwinge«, dem Auftakt zu einer großen SF-Abenteuer-Serie, landete er auf Anhieb einen großen Publikumserfolg.
Mehr zu Walter H. Hunt unter: www.walterhunt.com
www.diezukunft.de
Jeden Band dieser Serie habe ich vier Menschen gewidmet. Immerhin ist das eine Zahl, die esLi liebt.
Dieses Buch widme ich:
Lisa, der Liebe meines Lebens, ohne die das alles gar nicht möglich wäre,
Barbara, meiner langjährigen Freundin – sieh mal, du bist jetzt endlich Admiral,
Tee, meinem neuen Freund und Autorenkollegen – danke für all deine Hilfe,
und
Brad, der nicht mehr unter uns weilt – du fehlst uns immer noch, Captain.
Die Hochsprache der Zor umfasst Wörter, die als Anrede unter Individuen verwendet werden. Diese Wörter bestehen aus zwei oder drei Buchstaben, wenn man sie in die Standardsprache übersetzt, und werden »Pränomen« genannt. Sie bezeichnen nicht nur den Status der Person, die angesprochen wird (oder auf die man Bezug nimmt), sondern auch das Verhältnis zwischen dem Sprecher und dieser Person.
Pränomen gibt es in zwei Formen. Eine davon wird benutzt, wenn der Angesprochene oder das Subjekt lebt, die andere, wenn diese Person tot ist. Die verwendeten Pränomen werden nachfolgend beschrieben:
se, si Dies ist die Standardanrede zwischen Individuen, wenn sie den gleichen Status haben oder sich nicht kennen. si wird verwendet, wenn man einen Verstorbenen anredet oder sich auf ihn bezieht. se und si werden ebenfalls benutzt, um eine Person von niedrigerem Status anzusprechen.
ge, gi Mit diesem Pränomen wird ein Geliebter bezeichnet, üblicherweise in einer neutralen oder herabsetzenden Weise. Es wird auch umgangssprachlich benutzt, um eine Person von deutlich niedrigerem Status anzusprechen, zum Beispiel einen Diener (oder einen Nicht-Zor), auch wenn diese Form altertümlich ist. Dieser Begriff wird auch oftmals bei der Herausforderung zum Duell benutzt.
ha, ha’i Dieses Pränomen kommt zum Einsatz, wenn eine Person von höherem Status (andere als der Hohe Lord oder Personen von vergleichbarem Status, beispielsweise der Imperator des Sol-Imperiums) angesprochen wird. Der so Angesprochene verwendet im Gegenzug normalerweise die se-Form.
le, li le wird zwischen Personen benutzt, die in einem intimen Verhältnis zueinander stehen, und drückt ehrliche Zuneigung aus. Die Verwendung ist nur dann erlaubt, wenn eine Beziehung von beiden Seiten akzeptiert wird. Wenn nicht, kann das ein Grund für eine Herausforderung zum Duell sein. li wird nur verwendet, wenn man sich auf einen toten Partner bezieht.
hi, hi’i Diese Form kommt zur Anwendung, um den Hohen Lord des Volks anzusprechen. Mittlerweile wird sie auch gegenüber dem Imperator des Sol-Imperiums benutzt, selbst wenn die Anrede in diesem Fall regelmäßig mit Pränomen und Titel erfolgt – »hi Imperator« –, nicht mit Pränomen und dem eigentlichen Namen. hi’i wird verwendet, wenn von einem verstorbenen Hohen Lord die Rede ist. Dabei ist es üblich, die Flügelhaltung der Ehre gegenüber esLi einzunehmen.
na, ni Diese Form bezieht sich auf einen Diener von esGa’u. Sie wird nur selten verwendet und taucht vorwiegend in der Literatur auf. ni sagt aus, dass die Person verstorben ist.
ra, ri Diese Form, die dem na ähnlich ist, kommt zur Anwendung, um wichtige Diener von esGa’u anzureden, üblicherweise Shrnu’u HeGa’u. Sie ist der ha-Form ähnlich. Die Variante ri wird so gut wie nie benutzt, da der Gedanke nur schwer zu fassen ist, ein solcher Diener könnte tot sein.
Mai 2404Station Port Saud
»Djiwara.«
Der Händler schien etwas älter, dicker und grauer, als Owen ihn in Erinnerung hatte. Allerdings waren inzwischen auch sieben Jahre vergangen, seit er ihm begegnet war – kurz nach seiner Flucht von Center an Bord der Negri Sembilan. Damals war es noch ein anderes Universum gewesen. Heute war es ein anderes Universum.
Djiwara wandte sich von der Plattform ab, von der aus man das große Holodisplay überschauen konnte, das alle in Port Saud eintreffenden und von dort abreisenden Schiffe anzeigte. Diese Fläche war ursprünglich eine große leere Wand mit unverblendeten Stahlträgern gewesen; inzwischen hatte etwas Hochmodernes diese Wand ersetzt – jedenfalls für die Verhältnisse auf einem abgelegenen Raumhafen wie Port Saud. Nur die Miene des Händlers war noch immer so finster wie damals.
»Sie kenne ich doch«, sagte er ruhig.
»Ich wette, Sie vergessen nie ein Gesicht«, erwiderte Owen. »Vor allem, wenn Sie eine Waffe auf dieses Gesicht richten.«
»Wo ist Ihr großer Freund?«
»Sie meinen Rafe? Er befehligt jetzt die Wallenstein.«
»Eine große Nummer«, meinte Djiwara. Er ging auf Owen zu, dann aber an ihm vorbei, sodass der sich beeilen musste, damit ihm der Kaufmann nicht entwischte. »Und?«, fragte Djiwara. »Was verschafft mir die Ehre, dass Sie mich besuchen? Niemand schaut einfach so auf Port Saud vorbei.«
»Ich schaue nicht mal vorbei, weil mir Ihr hübsches Gesicht so gefällt.«
»Fein.« Djiwara kratzte sich den Bart, der ebenfalls ein wenig angegraut war. »Tja, das sollte mich wohl nicht überraschen.«
»Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen.«
»Fein«, wiederholte Djiwara. Sie gingen die Promenade entlang, auf der genauso viel Betriebsamkeit herrschte wie früher. »Jeder will mir etwas vorschlagen. Sogar Sie, Garrett.«
»Dann erinnern Sie sich also auch an meinen Namen.«
»Ich vergesse nie die Namen derjenigen, auf die ich eine Waffe richte.«
Trotz seines ernsten Gesichts musste Garrett innerlich grinsen.
Sie erreichten Djiwaras Büro, das sich noch immer als dasselbe Kuriositätenkabinett darstellte, das er in Erinnerung hatte. Djiwara nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, Owen setzte sich auf den Stuhl davor.
»Ist dieser Raum sicher?«
»Kein Raum ist sicher.« Djiwara nahm einen Computer von der Schreibtischecke hoch und berührte ihn an der Seite, dann ertönte ein tiefes Summen. »Sie haben ungefähr fünf Minuten, bevor irgend… irgendjemand es bemerkt.«
»So lange benötige ich nicht.« Owen sah Djiwara in die Augen. »Sie wussten, was hier ablief, als ich das letzte Mal bei Ihnen war. Diesmal möchte ich etwas dagegen unternehmen.«
Djiwara lächelte. »Sie wollen, dass ich Ihnen helfe.«
»Richtig.«
»Sie müssen verrückt sein.«
Owen sah kurz zur Seite, dann kehrte sein Blick zu Djiwara zurück und war eindringlicher als zuvor.
»Mag sein, aber ich will trotzdem, dass Sie mir helfen. Wir werden die Station von dieser Infektion befreien.«
»Einfach so? Und wie sollen wir die Feinde ausfindig machen? Oder werden Sie schlichtweg jeden erschießen, dessen Aussehen Ihnen nicht gefällt?«
Owens Miene konnte man durchaus so deuten, als habe er genau das vor, doch dann antwortete er: »Ich kann ihre Tarnung durchschauen. Ich kann Ihnen sagen, wer die Käfer sind, Djiwara.« Er legte die Hände gefaltet in den Schoß. »Das muss Ihnen doch irgendetwas wert sein.«
»Oh, ganz gewiss. Eine ganze Menge sogar. Aber natürlich muss ich zumindest so sehr an Ihre Geschichte glauben, dass ich bereit bin, mein Leben dafür aufs Spiel zu setzen.«
»Die Geschichte, die wir Ihnen vor sieben Jahren erzählten, hatten Sie uns auch geglaubt.«
»Stimmt, nicht wahr?« Djiwara lehnte sich in seinem Sessel nach hinten. »Und wie sich herausstellte, sagten Sie damals die Wahrheit. Also gut, Garrett, beantworten Sie mir eine Frage: Warum jetzt, und warum hier?«
»Das sind zwei Fragen.«
»Dann beantworten Sie eben beide, verdammt noch mal.«
»Schon gut. Das ›Warum hier‹ ist einfach: Als ich das letzte Mal hier war, gab es ein paar Käfer, die mich wirklich sehr aufgeregt haben. Ich habe da noch eine Rechnung zu begleichen. Das ›Warum jetzt‹ ist fast genauso einfach: Ich konnte endlich hierher zurückkehren – zuvor hatte ich andere Verpflichtungen.«
»Lassen Sie mich raten … die Imperiale Regierung.« Djiwara beugte sich vor. »Warten Sie mal. Der Imperator verfügt über Wachen, die Käfer aufspüren können. Mit denen haben Sie zusammengearbeitet.«
»Ich habe sie geschult. Fast die gesamten letzten sieben Jahre war ich am Imperialen Hof und habe den Hütern gezeigt, wie sie die Käfer erkennen können.«
»Die Hüter. Ein unheimliches Völkchen, diese Truppe.«
»Nett, dass Sie das so sagen. Jedenfalls hatte ich davon genug. Ich übergab alles an St. Giles und verließ den Hof.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Antonio St. Giles. In den letzten Jahren mein Stellvertreter. Er betrachtet das Ganze ziemlich mystisch.«
»Also kamen Sie hierher. Sie sind ziemlich verzweifelt, oder, Garrett?«
»Nein.« Owen legte die Hände auf die Armlehnen. »Nein, verzweifelt bin ich nicht. Ich bin verrückt, schon vergessen? Und ich bin sehr, sehr wütend. Ich bin wütend, weil ich sehen muss, wie vor meinen Augen Freunde sterben. Und ich bin wütend über die Art, wie wir diesen Krieg führen. Ich will die Käfer tot sehen. Jeden Einzelnen von ihnen.«
»Und damit fangen Sie auf Port Saud an, weil das hier für eine Weile niemandem auffallen wird.«
»Sehr scharfsinnig.« Owen beugte sich vor. Der Zorn in seinen Augen war nun so groß, dass er Djiwara sogar ein wenig Angst machte. »Aber da ist noch etwas. Sie waren mit Damien Abbas befreundet. Und ich glaube, Sie und ich, wir könnten auch Freunde sein – und Partner. Sie sind der perfekte Mann, um mich verschwinden zu lassen.«
»›Verschwinden‹?«
»Urlaub auf Lebenszeit«, antwortete Owen. »Kein ›Befehlshaber der Hüter‹ mehr. Darum kann sich Tonio kümmern.«
Djiwara erwiderte nichts darauf, zog nur eine Augenbraue hoch und beugte sich abermals in seinem Sessel ein Stück weit vor.
»Ich werde Ihnen nichts über das Schicksal oder die Zukunft erzählen«, fuhr Owen fort. »Das ist Sache der Zor. Die wollen jedem einreden, dass sie das alles schon vor Jahren vorhergesehen haben. Meine frühere Vorgesetzte Admiral Laperriere ließ sich dazu überreden, irgendeine Zor-Legende nachzuspielen. Ich weiß nicht, was sie sich von ihr erhofft haben, auf jeden Fall macht sie es auf ihre Art. Sie haben versucht, das Gleiche mit mir zu machen, aber das entpuppte sich als eine fette Lüge. Trotzdem weiß ich, dass ich diese Begabung besitze und sie auch einsetzen will. Und ich weiß, ich will Ihre Hilfe. Ich brauche Ihre Hilfe.«
Djiwara sah sich in seinem Kabinett um, als sei er mit einer Bestandsaufnahme beschäftigt.
»Ihnen ist doch klar, dass die Käfer früher oder später merken werden, was auf dieser gottverlassenen Station abläuft. Und dann werden sie herkommen und nachforschen.«
»Ich weiß.«
»Sie können sich nicht gegen eine ganze Armee von diesen grässlichen Dingern stellen. Die Imperialen Streitkräfte führen seit sieben Jahren gegen die Krieg, und die haben schon genug Probleme mit ihnen.«
»Das weiß ich auch. Ich habe auch nicht vor, auf sie zu warten. Wenn sie herkommen, sind wir längst weit weg.«
»Und was ist mit den anderen Leuten hier? Werden dann nicht viele Unschuldige getötet werden?«
»Die können bis dahin auch weit weg sein. Oder sie bleiben und werden getötet. Oder versklavt. Sie werden ihre Warnung bekommen, und dann können sie selbst entscheiden.«
»Noch eine Frage: Wieso ich?«
»Allein schaffe ich das nicht. Und wie ich schon sagte, Sie waren der Freund von Captain Abbas. Er starb völlig sinnlos auf einem Planeten fernab des Imperiums. Er wurde benutzt und weggeworfen.«
»Von den Käfern?«
»Nein.« Owen sah Djiwara in die Augen. »Von den Leuten, von denen die Käfer manipuliert werden – einem Feind, den wir nicht richtig wahrnehmen können. Früher oder später werden wir auch mit ihm abrechnen müssen. Bis dahin müssen wir uns aber erst einmal des Feinds erledigen, den wir sehen können. Machen Sie mit oder nicht?«
Djiwara sah auf den Computer an der Tischecke. »Ihre fünf Minuten sind um, Garrett.«
»Machen Sie mit oder nicht?«, wiederholte Owen.
Der Händler zog eine Schublade auf, nahm eine Pistole heraus und legte sie auf den Schreibtisch.
»Ich mache mit«, sagte er.
Das Sol-Imperium hatte eine Position bezogen, die es ihm erlaubte, einen Krieg fortzuführen, der von Menschen ausgetragen wurde, die nie etwas anderes gekannt hatten. Nach einer Generation war sogar ein Zustand erreicht, dass diejenigen, denen noch der Frieden vertraut gewesen war, fast schon vergessen hatten, wie er sich anfühlte.
Autor unbekannt Der Dunkle Kreuzzug und seine GeschichteFrühes Fragment, erschienen ca. 2430
Februar 2422 Tamarind-System
Im befremdlichen Halblicht, das im Korridor des Alien-Schiffs herrschte, wandte sich Sergeant Sam Navarro zu seinem Trupp Imperialer Marines um. Da sich im Visier seines Helms ein Farbenwirbel spiegelte, der gut einen Meter entfernt war, ließ sich sein Gesicht kaum erkennen.
»Das ist es«, sagte er. »Alle bereit?«
Rückmeldungen kamen über sein Anzug-Kom. Die Männer und Frauen sahen müde und abgekämpft aus, und das aus gutem Grund: Seit fast vier Stunden hielten sie sich bereits auf dem nur halb fertigen Schwarmschiff auf und bahnten sich langsam ihren Weg hindurch von der Stelle aus, an der ihr Landefahrzeug die Hülle durchdrungen hatte.
Alan Howe, Fühlenden-Spezialist Nr. 9, machte von allen den erschöpftesten Eindruck. Er stand so ruhig da, wie er nur konnte, und Navarro vermutete, dass er alle Mühe hatte, die Stimmen auszublenden, die zweifellos die ganze Zeit über auf ihn eindrangen, während sie weiter vorrückten.
»Colonel Howe?«
»Bin noch hier, Sam.« Die Stimme kam nur leise über das Kom. »Es will zwar, dass ich ganz allein die Tür einrenne, aber … es geht mir gut.«
»Wir machen das genau nach Plan, Sir«, entgegnete Navarro. »Sie erledigen Ihren Teil, wir kümmern uns um unseren.«
»Hört sich gut an.«
»Becker und Czernowski sind in Position.« Navarro hielt einen Handschuh an sein rechtes Ohr, als wolle er damit andeuten, dass er mit ihnen in Kom-Kontakt stand. »Wir sind alle in Position. Auf mein Zeichen, Ladies and Gentlemen.«
Es folgte ein Moment unnatürlicher Stille. Howe straffte die Schultern, als sammele er Kraft.
»Jetzt«, sagte Navarro und eröffnete das Feuer auf die Wand vor ihnen. Die anderen folgten seinem Beispiel und richteten den Beschuss auf die gleiche Stelle, bis sich die Wand zu spalten begann. Navarro und seine beiden besten Schützen sprangen als Erste durch die Öffnung, rollten sich nach vorn ab und feuerten gleichzeitig um sich, dann folgten ihnen die anderen. Im gleichen Augenblick brach auch Beckers Trupp in einem Winkel von neunzig Grad zu Navarros Leuten durch und feuerte in den kreisrunden Raum.
Unmittelbar nachdem Navarros Vorhut in den Kontrollraum des Schwarmschiffs vorgedrungen war, folgte ihnen Alan Howe mit gezogener Pistole. Die war jedoch nicht seine vorrangige Waffe; vielmehr kämpfte er mit seinem Verstand, um die mentalen Attacken der Vuhl abzuwehren. Von dem Moment an, da sie an Bord des Schiffs gelangt waren, hatte er ihre beharrlichen Stimmen in seinem Kopf vernommen. Besonders eine von ihnen war so hartnäckig, dass sie schließlich alle anderen verdrängt hatte und in schmachtendem Tonfall auf ihn einredete. Unmittelbar bevor sie in den Kontrollraum eindrangen, war sie plötzlich verstummt.
Die Brücke war in aktinisches blaues Licht getaucht. Für das menschliche Auge wirkten die Kurven und befremdlichen flachen Winkel äußerst merkwürdig. Wände und Decke wurden abwechselnd von farbigen Lichtwirbeln beleuchtet, die sich mal bewegten, mal kurz anhielten und sich dann weiterbewegten. Es gab weder Monitore noch Tische oder gar Stühle, stattdessen kreisrunde Projektionen und unregelmäßig geformte feste Objekte, die mitten in der Luft schwebten. Der Boden war eine klebrige Masse, die träge gegen die Stiefelsohlen schwappte und über die man besser nicht nachdachte.
Mittendrin stand eine Vuhl-Drohne, in einen eng anliegenden, transparenten Druckanzug gehüllt. Alan hatte noch nicht allzu viele lebende Exemplare gesehen, und erst recht keines aus so geringem Abstand. Nur ein Vuhl war je lebend gefasst worden, im ersten Jahr des Krieges. Er war in der Gefangenschaft an einer Art Schlaganfall gestorben.
Der längliche mattschwarze Insektenleib wurde von vier kräftigen Beinen getragen, die wie beim Menschen jedes ein Kniegelenk aufwiesen. Die vordere Hälfte des Rumpfs war vertikal aufgerichtet, zwei Arme wuchsen daraus hervor, die in Hände mit mehreren Fingern ausliefen. In diesen Händen hielt der Vuhl eine transparente Kugel – eine Art Kontrollgerät, wie Alan vermutete. Der Kopf war wie ein abgerundeter Kegel geformt, zwei Augenstiele ragten daraus hervor, die innerhalb der den Schädel umgebenden Blase des Druckanzugs ständig in Bewegung waren. Das Gesicht war vor allem von einem großen Maul mit Reißzähnen sowie gefährlich aussehenden Beißzangen geprägt.
Alan, hörte er in seinem Kopf. Willkommen.
Die Stimme hallte aus allen Winkeln seines Verstands wider. Es war, als würde alles in diesem Raum gleichzeitig zu ihm sprechen, als würden die Worte seine Stiefelsohlen und die klebrige Masse auf dem Boden darunter durchdringen, als würde die Stimme durch das Energiefeld seines Schutzanzugs zucken.
Aus einer Entfernung von nur wenigen Metern war die Macht der Drohne fast unglaublich intensiv; sie hatte die gut fünfzehn Marines im Raum längst in ihren Bann geschlagen. Navarros und Beckers Trupps waren stehen geblieben, die Waffen hielten sie im Anschlag, doch sie waren mitten in ihrer Bewegung erstarrt.
Bis auf Alan Howe regte sich niemand mehr.
Das ist nicht gut, dachte er.
Kommen Sie näher, sagte die Drohne.
Nein, danke, erwiderte er. Ich bleibe, wo ich bin. Es kam ihm vor, als würde er gegen einen Sturm anbrüllen.
Einen Moment lang nahm Alan den Fetzen eines visuellen Eindrucks wahr: ein transparenter Würfel, gefüllt mit vielfarbigem Nebel, in dem weit oben eine silberne Sphäre trieb. Aus dem Inneren drang ein raues, kratzendes Geräusch, es klang wie … wie Gelächter?
Der Ór will Sie genauer untersuchen, sagte die Drohne. Er ist bereit zu …
Bereit zu was? Eigentlich wollte Alan auf diese Frage gar keine Antwort hören. Was der Ór sein sollte, war ihm zwar nicht klar, aber so bald musste er das auch nicht erfahren.
Er hoffte, General Agropoulous an Bord der Kenyatta II beobachtete aufmerksam, was sich hier abspielte, und schickte Verstärkung auf den Weg.
Der tosende Wind in seinem Geist flaute plötzlich ab. Die gedankliche Form von Belustigung wich einer anderen, die Zurückhaltung, Vorsicht, ja, sogar Angst vermittelte.
Das sonderbare Bild des Würfels verschwand.
Nein, sagte die Drohne in Alans Kopf. Nein …
Er war in der Lage, zur Seite zu schauen. Sam Navarros erstarrte Gestalt zuckte ein wenig, als würde sich der Griff der Drohne allmählich lockern.
Ein Licht blitzte auf, ein grelles Licht, das einen Moment lang blendete und aus allen Farben des Regenbogens bestand. Und dann brach die Hölle los: Waffen wurden abgefeuert, die zuvor unter dem Einfluss der Drohne auf die Marines blockiert gewesen waren, und trafen die Kreatur aus allen Richtungen mindestens zwei Dutzend Mal.
In Howes Verstand wurden die Schreie der Drohne durch die Projektionstechnik um ein Vielfaches verstärkt. Doch ihre letzten Worte brannten sich in sein Bewusstsein ein: Es ist besser zu sterben, als den Zerstörer zu wecken.
Dann verlor er zum Glück das Bewusstsein.
»General.«
Jim Agropoulous drehte sich um und sah Gyes’ru HeKa’ans gezogenes chya, das dieser nur wenige Zentimeter über der Brust des Patienten im Krankenbett hielt. Der Patient hatte die Augen geöffnet, doch von einem gelegentlichen Blinzeln abgesehen zeigte er keinerlei Regung. Es war offensichtlich, dass er wusste, welche Gefahr von der Klinge des Zor für ihn ausging.
»Name«, forderte Jim und stellte sich ans Fußende des Betts.
»Alan Cleon Howe«, antwortete der Mann im Bett und sah von dem ihm drohenden Zor zum General, der ihn soeben angesprochen hatte.
»Dienstgrad.«
»Hören Sie, Jim, Sie wissen …«
»Dienstgrad«, wiederholte der General.
»Fühlenden-Spezialist Nr. 9. Colonel, Imperiale Armee.«
»Dienstnummer und Posten.«
»392AH2397–04 143 – 209. Sonderattaché der Gruppe 127 der Imperialen Marines.«
»Zitieren Sie Abschnitt 124 des Militärgesetzbuchs. Beginnen Sie mit Absatz zwei.«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich verstanden. Also lassen Sie hören.«
»Ich habe keine Ahnung, was in Abschnitt 124 steht, Jim, und das wissen Sie. Könnten Sie dann se Gyes’ru bitten, sein chya zurück in die Scheide zu stecken, bevor er irgendjemanden verletzt – insbesondere mich?«
»Also gut.« Jim Agropoulous seufzte und nickte dem Zor zu. »Stecken Sie die Klinge weg, se Gyes’ru. Er ist es wirklich.«
Der Zor-Krieger kam der Aufforderung nach, schob das chya in die Scheide und nahm eine entspanntere Haltung ein, während er einen Schritt nach hinten ging. »Ich bitte achttausendmal um Entschuldigung, se Alan. Sie verstehen die Notwendigkeit.«
»Ja, natürlich.«
Jim setzte sich auf die Bettkante. »Ich schwöre, wenn Sie angefangen hätten, aus dem Gesetzbuch zu zitieren, dann hätte ich Sie persönlich erschossen. Gyes’ru sagte zwar, er nehme Sie nicht als einen Vuhl wahr, aber man kann nie vorsichtig genug sein.«
»Na, dann kann ich wohl von Glück reden, dass ich nicht das nervöse Zucken habe. Und einen Hüter würden Sie nicht einfach nehmen, weil …«
»Sie kennen den Grund.« Agropoulous runzelte die Stirn. »Zumindest sollten Sie ihn kennen.«
»Weil Sie diesen schleimigen Bastarden nicht über den Weg trauen.«
»Nicht mal denen, die uns sympathisch sind. Und wie fühlen Sie sich?«
»Ich habe unvorstellbare Kopfschmerzen, würde aber sagen, ich bin insgesamt in einer weit besseren Verfassung als die meisten anderen Opfer. Wie lange war ich …?«
»Sechzehn Stunden.«
»Wie ist unser Status?«
»Das Gefecht ist vorüber. Nachdem Sie die Drohne auf der Brücke erledigt hatten, war nicht mehr viel Kampfgeist in ihnen verblieben.«
»Nachdem ich …« Alan Howe sah auf seine Hände. »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich sie ›erledigt‹ habe. Ich … na ja, die Drohne … sie gab auf.«
»Erklären Sie mir das.«
»Sie müssen längst einen Bericht erhalten haben. Die Vuhl-Drohne wurde vom hochenergetischen Feuer aus zahlreichen automatischen Gewehren getötet, während ich sie bekämpfte. Aber … ich war im Begriff, den Kampf zu verlieren. Verdammt, sie hätte mich fast erledigt.«
»Was? Und wieso war sie dann genügend abgelenkt, dass die Männer sie töten konnten?«
»Das werden Sie mir bestimmt nicht glauben.«
»Nach all den Jahren glaube ich mittlerweile so ziemlich alles. Sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Sie gab auf. Sie sagte etwas zu mir, Jim, unmittelbar bevor sie … bevor sie zuließ, sich töten zu lassen.«
»Raus mit der Sprache.«
»›Es ist besser zu sterben‹, sagte sie zu mir. ›Es ist besser zu sterben, als den Zerstörer zu wecken.‹«
»Was soll denn das bedeuten?«
»Sie meinen den Zerstörer? Nun, Sie wissen, die fürchten sich vor dem …«
»Alan, ich kenne die Legende vom Zerstörer. Ich meine, was dieser Spruch bedeuten soll. ›Es ist besser zu sterben, als den Zerstörer zu wecken.‹«
»Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass die Drohne Angst hatte. Irgendetwas war für sie fürchterlicher als der Gedanke, getötet zu werden – etwas, das die Vuhl als Ganzes betreffen könnte. Uns ist bekannt, dass sie sich nicht als Individuen betrachten, daher nehme ich an, dass eine einzelne Drohne lieber ihr Leben opfert, anstatt …«
»… anstatt den Zerstörer zu wecken? Hören Sie, Alan, wir kennen alle die Legende, aber wer weiß schon, was sie wirklich zu bedeuten hat? Wovor hatte die Drohne Angst? Was wollte sie uns damit sagen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir müssen es herausfinden, Alan. Wir müssen es wissen.«
»Ich weiß es aber nicht.«
»Vielleicht sollten wir besser ganz am Anfang beginnen. Alle Details.«
»Hören Sie, ich bin eben erst aufgewacht …«
»Ich lasse Ihnen Kaffee bringen. Ich brauche Ihren Bericht, und Sie müssen jetzt anfangen ihn zu schreiben.« Er zog einen Handcomputer aus der Tasche und legte ihn auf die Bettkante. »Fangen Sie mit dem Moment an, als Sie an Bord gingen.«
Alan sah von Jim zu Gyes’ru, wie er ein Fühlender. Die Flügel des Zor änderten nicht ihre Position, dennoch schien es so, als würde er mit den Schultern zucken. Mit einem schweren Seufzer erwiderte Alan schließlich: »Also gut. Wir waren hergekommen, um ein Schwarmschiff zu kapern …«
Tamarind lag am Rand dessen, was zu Beginn des Kriegs zum Gebiet des Imperiums gehört hatte. Im System hatten sich zuvor drei Schlachten ereignet: die erste, als die Vuhl zu Beginn des Kriegs das System einnahmen; die zweite ein paar Jahre später, als die Flotte von Admiral Erich Anderson eine dort gelegene Basis ausschaltete, dann aber zum Rückzug gezwungen wurde; die dritte fand vor zwei Jahren statt – eine blutige, verlustreiche Auseinandersetzung, nach der die Vuhl noch immer die Kontrolle über das System hatten.
Im Gegensatz zum letzten Anlauf gab es diesmal ein klares Ziel. Der Geheimdienst hatte berichtet, die Vuhl würden bei Tamarind in einem Dock auf einem Asteroiden ein Schwarmschiff bauen. Der Erste Lord der Admiralität, Seine Exzellenz, der Duke von Burlington, befahl sofort die Zerstörung dieses Schiffs, noch bevor es fertiggestellt werden konnte. Wäre dieser Plan so umgesetzt worden, hätte es keinen Grund gegeben, Imperiale Marines ins Spiel zu bringen.
Doch dann kam es zu einer Änderung. Nach fünfundzwanzig Jahren Krieg war es der Imperialen Navy nicht ein einziges Mal gelungen, ein Schwarmschiff von innen zu sehen. Die gigantischen Konstruktionen, von denen manche über drei Kilometer lang waren, stellten das Größte dar, was die Flotte der Vuhl zu bieten hatte. Zu Beginn des Kriegs waren sie nicht nur wegen ihrer massiven Feuerkraft gefürchtet, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit, die Domination der Vuhl-Fühlenden zu unterstützen. Sie waren mit einer Technik ausgestattet, die es diesen Fühlenden gestattete, ihre Macht über hunderte Millionen von Kilometern zu projizieren – eine Technik, die Commodore Jacqueline Laperriere zunächst in die Hände gefallen war, als bei Cicero der Krieg begann, die aber von den Vuhl zurückerobert und vernichtet wurde, als die ein paar Monate später Adrianople einnahmen und wieder verloren. Die ›Geister‹ hatten keine Ahnung, wie es funktionierte, doch wenn man es den Vuhl abnehmen und im Sinne des Imperiums nutzen konnte, dann würde das für diesen anscheinend endlosen Krieg von grundlegender Bedeutung sein. Der Trick bestand darin, das Schwarmschiff unbeschädigt und unmittelbar vor seiner Fertigstellung zu kapern.
Und damit wurde es zu einem Job für die Imperialen Marines.
»Ich kenne den Einsatzbefehl, verdammt noch mal«, fauchte Agropoulous. »Ich habe ihn ja zum Teil selbst ausgestellt.«
Howe fuhr sich durchs Haar. »Soll ich nun am Anfang beginnen oder nicht?«
»Ich sehe keinen Grund dafür, dass wir dafür bis …«
»ha General«, mischte sich Gyes’ru ein. »Sir, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte. Es ist ratsam, Colonel Howe zu gestatten, dass er den Pfad fliegt. Es ist möglich, dass irgendetwas übersehen wurde.«
»Meinetwegen.« Agropoulous zog einen Stuhl ans Bett heran, drehte ihn um und setzte sich so darauf, dass er die Arme auf die Rückenlehne legen konnte. »Ich habe verstanden, se Gyes’ru.« Der Zor nickte und veränderte ein wenig seine Flügelhaltung. »Also gut, Alan. Dann erzählen Sie mal weiter.«
Den Vuhl war die strategische Bedeutung des Schwarmschiffs sehr wohl bewusst, weshalb sie es auch voller Eifer verteidigten. Die Admiralität ihrerseits gab für den Plan unverzüglich grünes Licht und stellte zusätzliche Mittel zur Verfügung – in einem Krieg, der schon seit einer ganzen Generation geführt wurde, gab es nicht vieles, das auf eine grundlegende Verschiebung der Machtverhältnisse Hoffnungen wecken konnte. Admiral Erich Anderson war der Befehl erteilt worden, eine Eingreiftruppe aus neunzehn Schiffen zusammenzustellen, darunter sein eigenes Flaggschiff, die Emperor Ian, um das System einzunehmen und jegliche Gegenwehr vonseiten der Vuhl zu neutralisieren. Dennoch dauerte es fast sechzehn Stunden, ehe die Landefahrzeuge Richtung Asteroidenbasis starten konnten, auf der das Schwarmschiff seiner Fertigstellung entgegenstrebte.
»Ich möchte wetten, er saß während der ganzen Schlacht am Steuer«, unterbrach Howe sich selbst. »So wie sein Ururgroßvater.«
»Würde ich auch so sehen. Aber ich war zu der Zeit auf der Kenyatta II. Könnten wir jetzt auf …« Agropoulous hielt inne und sah zu Gyes’ru. »Also gut, erzählen Sie es so, wie Sie wollen.«
Die Kenyatta II, ein Flottentransporter der sechsten Generation, hatte sich dem Asteroiden genähert, um dort im Schutz einer Jägerstaffel ein Dutzend Landefahrzeuge der Marines abzusetzen. Diese Landefahrzeuge waren groß und unhandlich, dementsprechend schwer zu manövrieren, und einem Angriff hatten sie nur wenig entgegenzusetzen. Für sie gab es nur eine Aufgabe: das Ziel zu erreichen, durchzubrechen und den Marines zu ermöglichen, dass sie an Land gelangen konnten. Dieses Ziel war der so gut wie fertiggestellte Rumpf des Schwarmschiffs, wo jedes der Fahrzeuge für sich selbst einen Weg in das Innere finden musste, damit die Marines angreifen konnten. Der Auftrag für die Jäger war simpler; sie sollten die Fahrzeuge abschirmen und vor Attacken schützen.
Zwölf dieser Landefahrzeuge verließen das sekundäre Hangardeck der Kenyatta II, zehn von ihnen erreichten unbeschadet den Asteroiden. Die anderen beiden bekamen Treffer ab, eines von ihnen blieb jedoch manövrierfähig genug, um den Weg fortzusetzen, während das andere umkehren musste. Die taktische Station auf der Brücke der Ken kam zu dem Schluss, dass eine Reduzierung der Kampfkraft um acht Prozent nicht allzu sehr ins Gewicht fiel. Immerhin rechtfertigte dieser Verlust nicht den Abbruch der Mission. Wenig später erreichten die verbliebenen elf Fahrzeuge das Schwarmschiff und durchbrachen dessen Außenhülle. Wenige Minuten später stürmten über viertausend Marines das Schiff der Vuhl, während auf dem Holo im Kommandozentrum der Marines an Bord des Transporters ihre Positionen angezeigt wurden, die ihre Schutzanzüge übermittelten.
Feldmodulatoren an ihren Anzügen – vergleichbar mit denen, über die jedes Gefechtsfahrzeug verfügte – schützten die Marines wenigstens zum Teil vor den feindlichen Fühlenden. Sie boten aber keinen hundertprozentigen Schutz vor den Dominationsversuchen der Vuhl-Fühlenden. Aus diesem Grund wurden die Trupps von menschlichen und Zor-Fühlenden begleitet. Einer von ihnen war Alan Howe.
Seit neunzehn Jahren begleitete er Marines auf ihren Einsätzen, ob bei Absprüngen aus der Atmosphäre oder in Landefahrzeugen von dem Typ, der für diesen Angriff verwendet wurde. Er war kein Infanterist, aber er und die anderen Fühlenden spielten eine wichtige Rolle in einem Krieg gegen Aliens, die den Geist des Gegners kontrollieren konnten.
Das Ziel, dachte Alan Howe, als er sich auf die Kollision des Landefahrzeugs mit dem Schwarmschiff gefasst machte. Das große, fette Ziel.
Er hatte bis acht gezählt, dann die Schleuse durchquert und seine Waffe feuerbereit in der Hand gehalten. Die meisten anderen waren ihm zwei bis drei Sekunden voraus, doch es war eine deutliche Steigerung gegenüber seinem ersten Atmosphärenabsprung von der Masaryk nach Mashore Reach. Eine halbe Minute hatte es gedauert, ehe es ihm gelang, sich aus der Sprungkapsel zu befreien, und die nächsten eineinhalb Minuten verbrachte er damit, sich zu übergeben – und das alles bei feindlichem Beschuss. Zumindest stellte er inzwischen keine Gefahr mehr für die Truppe dar.
»Nach Nummern melden«, kam der Befehl über das Helm-Kom, als er in Position ging. Die Männer und Frauen nannten ihre ID-Nummer.
»24 okay«, gab er durch, als er an der Reihe war. Ein paar Meldungen später wusste er, dass seine Fühlenden-Kollegen sicher ins Schwarmschiff gelangt waren. Schon jetzt konnte er das beharrliche Summen der Aliens spüren, die ihn mental sondierten – nicht, dass ihn erst irgendetwas daran hätte erinnern müssen, wieso er hier war.
Schon klar, dafür bin ich hier, ging es ihm durch den Kopf.
»Das hört sich bislang alles völlig normal an. Wir haben das Vorrücken mitverfolgt und sahen, wie alle mit minimalen Verlusten das Innere des Schiffs erreichten.«
»Wir verloren ein halbes Dutzend Leute, nur um ins Innere vorzudringen – Sam Navarro verlor zwei aus seinem Team –, aber insgesamt lief es recht gut. Ich muss Ihnen ja nicht noch beschreiben, wie beängstigend es im Inneren war. Sie haben das Video gesehen, das wir Ihnen sendeten.« Howe starrte die leere Wand an, als erwarte er, dass sie auf einmal zum Leben erwachte. »Zunächst war es flach und eng. Unser Trupp drang mittschiffs ein, was bei einem unserer Raumschiffe der Geschützsektion an steuerbord entsprechen würde. Aber das Innere hat überhaupt nichts von einem Raumschiff. Es besteht aus hunderten kleinen Kammern, und es gab nicht eine einzige gerade Linie. Wohin wir auch schauten, überall nur Wellen und Kurven, und dazu diese Flächen aus schimmerndem Licht … als wäre die Videoausrüstung verkehrt eingestellt.«
Er sah wieder zu Agropoulous. »Ich konnte sie hören, Jim. In meinem Kopf flüsterten sie. Die Dekompression tötete gut ein halbes Dutzend von ihnen, als wir die Hülle durchbrachen, aber die anderen waren im Raum daneben, in den Korridoren, jenseits der Wände. Es war so, als würde ich tausend Kom-Kanäle gleichzeitig hören.«
»Machte es den Marines etwas aus?«
»Nein, ich glaube nicht. Die Vuhl konzentrierten sich nicht auf sie, nicht so wie ein Team aus Fühlenden. Kaum Drohnen, allenfalls ein paar. Das waren Techniker und Ingenieure, Arbeiter. Sie hatten kein Problem damit, ihren Hass zu tarnen, aber sie konnten uns nicht dominieren.«
»Was geschah dann?«
»Als wir an den Flanken abgesichert waren, rückten wir vor. Jeder, der es aufs Schiff geschafft hatte, begab sich zu seinem Ziel. Nachdem ein Fahrzeug zurückgekehrt war, gaben wir die Ziele im hintersten Teil des Schiffs auf, sodass eine Gruppe keinen Flankenschutz hatte. Aber es schien so, als sei dort alles unter Kontrolle. Doch wir kamen nur langsam voran, da wir mehrere Anläufe brauchten, um zu verstehen, wie ihre Türen funktionieren. Es gab keine erkennbaren Bedienelemente, um sie zu öffnen. Stattdessen glitten die Wände einfach auseinander, und unsere Leute stürmten hindurch. Nach einer Weile stießen wir auf einen Mechanismus, der die jeweilige Wand für uns öffnete, wenn wir das Feuer auf diese Stelle konzentrierten. Allerdings blieb diese Tür anschließend offen stehen, sodass wir zur Bewachung des Durchgangs einen Mann zurücklassen mussten …«
Nach fast drei Stunden durchschritten sie eine weitere Wand, die sie in einen riesigen leeren Raum führte, in dem weder Druck noch Schwerkraft herrschte. Dutzende Metallträger waren zu sehen, von denen einige zum Teil mit der gleichen grauen, gipsartigen Schicht überzogen waren wie die Wände. Die Dimensionen dieser Szene waren nur schwer zu bestimmen. Auf jeden Fall erstreckte sich der Raum in alle Richtungen hunderte Meter, und er wirkte wie ein riesiger Saal. Er stand im völligen Gegensatz zu den erdrückenden Kammern, durch die sie sich kämpfen mussten, seit sie an Bord gekommen waren. Wie es schien, behagte dieser Raum den Vuhl ebenfalls nicht, denn die meisten von ihnen krochen an den Wänden entlang und hielten sich von der weitläufigen Leere des Raums fern, der sich mitten in dem unvollendeten Schwarmschiff befand.
Am entlegenen Ende der freien Fläche entdeckte Alan weit oberhalb – oder unterhalb – seiner Position Gruppen von Arbeitern, die trotz der Kämpfe an Bord weiter mit der Fertigstellung des Raums beschäftigt waren. Er aktivierte die Vergrößerungsfunktion an seinem Schutzhelm, um sich das Treiben genauer anzusehen. Es handelte sich um sechs Vuhl, die sich langsam an einem der noch unverkleideten Träger entlangbewegten. Hinter ihnen blieb eine Spur aus grauer Gipsmasse zurück, doch zunächst konnte Alan nicht erkennen, wie sie das bewerkstelligten. Sie schienen weder Werkzeuge noch Baustoffe bei sich zu tragen. Da waren nur sechs Vuhl, die Seite an Seite über den Träger krochen.
Dann auf einmal begriff er.
»Ich habe es nicht geglaubt, als Sie es mir das erste Mal sagten, und ich glaube es immer noch nicht. Das Zeug, aus dem die Wände sind, das kommt aus ihrem …«
»Ich glaube, sie verfügen im eigentlichen Sinne nicht über etwas Derartiges«, unterbrach Howe ihn. »Aber es dient dem gleichen Zweck. Vermutlich gibt es einen speziellen Arbeitertyp, der für diese Aufgabe gezüchtet wird, damit er das Zeug produzieren kann. Weiß der Himmel, was sie essen müssen, damit es sich in diese Masse umwandelt.«
»Und es bedeckt die Innenwände genauso wie die Hülle. Ist es luftdicht?«
»Wenn es trocknet, dann wird es so hart wie Granit. Es ist … Hören Sie, ich möchte über diesen Aspekt im Moment eigentlich nicht länger reden, okay?«
»Meinetwegen.« Agropoulous konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. So eklig der Gedanke für ihn auch war, löste sich damit doch ein Rätsel, das den Geheimdienst und die Navy seit Beginn des Kriegs in Staunen versetzt hatte. Jetzt, dachte er, können wir ihnen ganz genau sagen, was das für ein Mist ist.
Die Vuhl konnten den weiten Raum des noch nicht fertiggestellten Teils des Schwarmschiffs nur schwer ertragen. Der Geheimdienst wusste, dass diese Kreaturen extrem agoraphobisch veranlagt waren. Sie entwarfen ihre Schiffe so, dass die aus einer Vielzahl kleiner Abteile bestanden. Stellenweise waren die sogar so eng, dass zwei Vuhl nicht aneinander vorbeigehen konnten, ohne sich zu berühren. Eine Generation zuvor berichtete Admiral César Hsien – einer der Ersten, die von den Vuhl dominiert wurden und es überlebten –, die Spezies empfinde schreckliche Angst in den weitläufigen Räumen auf einem Schiff der Menschen.
Die Imperialen Marines dagegen waren daran gewöhnt, in völlig leerem Raum und bei Schwerelosigkeit ihren Job zu erledigen. Ihr Auftrag lautete, nach eigenem Ermessen das Feuer zu eröffnen und jeden Feind zu eliminieren, dem sie begegneten.
Für Alan Howe und die anderen Fühlenden lautete der Befehl dagegen anders: Sie sollten die Marines vor einer Domination durch die Vuhl schützen. Im hinteren Teil des Schiffs hatten sie es vor allem mit Technikern und Kriegern zu tun gehabt, doch je weiter sie vorrückten, umso deutlicher wurde das hartnäckige Summen, als die Vuhl-Fühlenden sie mental sondierten. Sie befanden sich ein Stück oberhalb des weitläufigen Raums, und sie wappneten sich für den entscheidenden Schlag.
Von Bord der Kenyatta II aus schien es so, als verlaufe der Kampf ganz nach dem Plan der Menschen, aber Alan Howe wusste es besser.
»Vielleicht hätten wir den vorderen Teil des Schiffs einfach absprengen sollen, wie der Admiral es vorschlug.«
»Das hätten Sie von vornherein machen und auf den Angriff ganz verzichten können. In den hinteren Sektionen gab es nichts Neues. Wir sollten eigentlich die Technik erbeuten, wissen Sie noch?«
»Ja, ich weiß noch. Aber es war ein reines Zielschießen in diesem leeren Raum. Die waren in der Schwerelosigkeit völlig hilflos, und für die Marines war es ein Spaziergang.«
»Aber das war bedeutungslos. Die waren nicht der eigentliche Gegner, Jim. Die Fühlenden in der vorderen Sektion waren unsere Gegner, vor allem die Drohne, die alle anderen anführte. Sollten sie die Kontrolle über uns bekommen und genügend Marines töten, dann hätte sich ihr eigener Tod bereits gelohnt. Wir wollten sie so oder so töten. Wir wussten es, sie wussten es. Wichtig war, was sich dabei abspielte. Wir konnten sie hören. Es war eine Falle, so wie ein Spinnennetz.«
Die Geräusche der Fühlenden in Alan Howes Kopf wurden lauter und eindringlicher, während sich sein Trupp langsam durch die Korridore der Kommandosektion des Schiffs bewegte. Bislang waren sie schon nicht schnell vorangekommen, doch nun schien es, als müssten sie sich durch eine zähflüssige Masse kämpfen. Alan schwitzte in seinem Anzug, da er gegen die Aliens ankämpfen musste, die versuchten, ihn von seiner Aufgabe abzubringen und ihn etwas Verrücktes tun zu lassen.
Eine Stimme war dabei beharrlicher und eindringlicher als die anderen. Es handelte sich nicht bloß um eine Furcht einflößende Stimme, die nach einer Lücke in seiner Abwehr suchte, sondern sie klang verschlagen und tückisch, so als würde sie ihn sehr gut kennen. Sie schien Erinnerungen an seine früheren Begegnungen mit den Aliens zu wecken, vor allem an den allerersten Kontakt bei Josephson an Bord der Duc d’Enghien, was mehr als eine Ewigkeit her war. Dort war er ohnmächtig geworden, als das Bild eines früheren Gyaryu’har plötzlich verschwunden war, was ihn schutzlos dem Angriff durch Vuhl-Fühlende ausgesetzt hatte. Hundert-, ja fünfhundertmal hatte er sich seitdem dieser Situation gestellt. Es hätte diesmal nicht anders sein sollen, und doch war genau das der Fall. Fühlende kämpfen ständig gegen Panik an; sie nagt am Verstand, sie zerstört Schutzwälle und unterhöhlt das Selbstbewusstsein.
Hinter diesem Angriff steckte jemand mit besonderer Macht. Glücklicherweise war er diesem Maß an Kraft oder Geschick noch nicht oft begegnet. Es gestaltete sich schwierig, sie von den Marines ringsum fernzuhalten, und es war fast unmöglich, die anderen Fühlenden abzuschirmen. Sie alle spürten sie.
»Es rief mich auf die Hauptbrücke. Es wartete auf mich«, sagte er zu Jim Agropoulous. Das Krankenzimmer kam ihm sonderbar ruhig vor, als er sich die letzten Minuten an Bord des fast fertigen Schwarmschiffs ins Gedächtnis rief. Gyes’ru und der General beobachteten ihn aufmerksam und hörten genau auf das, was er zu sagen hatte.
»Sie haben dagegen angekämpft.«
»Aus der Ferne, ja. Schritt für Schritt. Ich konnte es nur langsam angehen, während Sam Navarro seinen Leuten Befehle erteilte. Fast wäre ich wie ein Verrückter zur Brücke gerannt. Ich war der Einzige, der überhaupt irgendwelchen Widerstand aufbringen konnte. Wir wurden regelrecht in die Mitte des Spinnennetzes gezogen. Hunderte von Marines in der vorderen Sektion des Schiffs, dazu ein Dutzend Fühlende.«
»Das muss an der Verstärkertechnik gelegen haben.«
»Natürlich muss es das gewesen sein. Sonst hätten sie keine Chance gehabt. Zu viele Lasergewehre, zu viele Menschen, um sie alle zu kontrollieren, und zudem nicht alle in Sichtweite. Ohne diese Technik hätten wir sie überwältigt.«
»Und dann erreichten Sie die Brücke …«, erwiderte Agropoulous.
»Richtig.« Alan Howe schauderte bei der Erinnerung daran. »Es wartete auf uns. Und es kannte meinen Namen.«
Die Brücke war in aktinisches blaues Licht getaucht. Für das menschliche Auge wirkten die Kurven und befremdlichen flachen Winkel äußerst merkwürdig. Wände und Decke wurden abwechselnd von farbigen Lichtwirbeln beleuchtet, die sich mal bewegten, mal kurz anhielten und sich dann weiterbewegten. Es gab weder Monitore noch Tische oder gar Stühle, stattdessen kreisrunde Projektionen und unregelmäßig geformte feste Objekte, die mitten in der Luft schwebten. Der Boden war eine klebrige Masse, die träge gegen die Stiefelsohlen schwappte und über die man besser nicht nachdachte.
In der Mitte des Raums stand ein Mann in einer Uniform, die fast wie ein imperiales Modell aussah, aber seit mindestens hundert Jahren so nicht mehr getragen wurde. Eine leuchtende, vielfarbige Aura umgab ihn, die ihm ein unirdisches Erscheinungsbild verlieh. Es musste sich um eine Art Schutzanzug handeln, der ihn vor den Effekten des Vakuums bewahrte. Dennoch hatte Alan Howe etwas Derartiges noch nicht gesehen. Es erinnerte sogar mehr an ein Energiefeld rund um ein Raumschiff.
»Hallo, Alan«, sagte der Mann. »Es freut mich, dass Sie es geschafft haben.«
»Sie kennen mich«, erwiderte Alan.
»Oh, ja. Ich habe sogar auf Sie gewartet. Auf Sie alle.« Er breitete die Arme aus, als eine weitere Gruppe Marines durch eine andere Schleuse auf die Brücke gestürmt kam. Sofort erstarrten die Männer und Frauen mitten in ihren Bewegungen.
Auch die Marines um Alan herum rührten sich nicht mehr. Das Ganze wirkte wie ein Videostandbild.
»Sie können uns nicht alle kontrollieren.«
»Das muss ich gar nicht. Dafür bin ich nicht hier.« Er lehnte sich gegen eine gekrümmte Wand und legte den Kopf ein wenig schräg, als würde er auf etwas horchen. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. »Der Vuhl, dessen Körper ich mir geborgt habe, wird sehr überrascht sein, wenn er ihn zurückerhält.«
»›Geborgt‹«, wiederholte Alan, kam aber nicht weiter, da der Mann ihm das Wort abschnitt.
»Das Beste von allem …« – er musste lächeln, als er kurz innehielt – »… das absolut Beste von allem ist, mein Freund, dass Sie sich für lange Zeit an diese Unterhaltung nicht werden erinnern können. Sie werden wissen, wie Sie hergekommen sind, und Sie werden ebenso wissen, was geschieht, nachdem ich aufgebrochen bin. Aber unsere Unterhaltung …« Er lachte laut, was sich über Kom nach zerberstendem Glas anhörte. »Nichts. Nicht ein einziges Wort. Jedenfalls für eine Weile. Die Dinge werden sich bald ändern. Sie haben lange genug darauf gewartet, dass sich etwas ändert – eigentlich sogar seit dem Beginn des Kriegs. Die Vuhl haben längst die Kontrolle über ihren Krieg verloren, und sehr bald wird es den ›Fleischkreaturen‹ nicht anders ergehen. In wenigen Minuten wird diese Drohne einen selbstlosen Akt begehen, von dem sie glaubt, sie könnte damit etwas vereiteln. Aber es ist schlicht unvermeidbar.«
»Was ist unvermeidbar?«
»Der Zerstörer.« Der Mann lächelte höhnisch. »Der Zerstörer ist schon hier.«
Alan hielt inne, die Augen weit aufgerissen. Agropoulous hatte sich nicht gerührt, auf seinem Gesicht zeichnete sich ein überraschter Ausdruck ab. Der Zor wirkte teilnahmslos, doch seine Flügelhaltung hatte sich verändert.
»Daran konnte ich mich bis gerade eben nicht erinnern.«
»Auf jeden Fall stand das nicht in Ihrem Bericht.« Agropoulous tippte auf den Computer. »Aber jetzt ist es drin.«
»Sie glauben es?«
»Bleibt mir irgendeine andere Wahl?«
»Natürlich. Nichts davon ist in der Videoaufzeichnung zu sehen. Sie können mich in die Irrenanstalt schicken.«
»Erzählen Sie mir, was danach geschah«, sagte Agropoulous, ohne erkennen zu lassen, ob er es für eine gute Idee hielt, ihn in eine Irrenanstalt zu schicken.
»Der … Mann … verschwand. Es entstand ein helles Licht, oder besser gesagt ein Fülle verschiedenfarbiger Lichter, und dann verschwand er. An seiner Stelle blieb eine Vuhl-Drohne zurück. Sie sah sich in dem Sekundenbruchteil um, bevor die Marines wieder zum Leben erwachten, und sagte das, was ich gehört hatte: ›Es ist besser zu sterben, als den Zerstörer zu wecken.‹«
»Und dann starb sie im Kreuzfeuer.«
»Richtig.«
»Dieser Mann. Könnten Sie ihn identifizieren, falls Sie ihm noch einmal begegnen?«
»Ich glaube ja. Er war klein und dünn – eigentlich sogar hager. Und er war gekleidet wie jemand aus einem alten 3-V. Aus der Zeit, als wir gegen die Zor Krieg führten, würde ich sagen, auch wenn ich das ohne Recherche nicht mit Sicherheit sagen kann.«
»Na gut.« Agropoulous nahm den Computer an sich und steckte ihn in seine Tasche. »Ruhen Sie sich etwas aus, Alan. Wir haben bereits neue Befehle, und das hier«, er tippte auf seine Tasche, »bestätigt das. Wir werden mit der Expertin schlechthin reden, was die Legende vom Zerstörer angeht. Admiral Anderson schickt uns nach Zor’a.«
»Jackie.«
»Ja, richtig, alter Kamerad. Ihre alte Freundin und meine einstige Vorgesetzte – die Gyaryu’har des Hohen Nests, Jackie Laperriere.«
… Der Krieg zwischen Menschheit und Zor hatte beide Seiten zwei Generationen lang beschäftigt. Geführt wurde er aus philosophischen Motiven, ausgetragen wurde er jedoch mit brutalen Mitteln und Methoden: mit Raumschiffen, Bomben und Minen, Marines, Biowaffen und Spionage. Ganz gleich, wie die Geschehnisse zu der Zeit oder auch danach analysiert wurden – um zu erklären, zu entschuldigen, zu stigmatisieren oder zu rechtfertigen –, es war eindeutig ein Krieg gewesen, der alles begleitete, was sich in jenen fast auf den Monat genau sechzig Jahren zwischen der Dunklen Morgenröte von Alya und dem Vertrag von E’rene’e abspielte.
Als die zweite Generation der Menschen und der Zor herangewachsen war, für die dieser Krieg ein ständiger Begleiter war, hatte der Konflikt beinahe etwas Beruhigendes, denn es gab einen klar definierten Feind, und die Auseinandersetzungen folgten einem festen Muster. Erst Admiral Marais änderte das in den letzten acht Monaten jener sechzig Jahre. Der Krieg besaß zudem einen weiteren beruhigenden Faktor: Er wurde weit entfernt ausgetragen, der grösste Teil der Kämpfe spielte sich in jener Region ab, aus der später die »Neuen Territorien« wurden, zwischen dem Rand des Imperiums und der Antares-Verwerfung.
Der Konflikt zwischen dem Sol-Imperium und den Vuhl gestaltete sich dagegen völlig anders. Er drängte sich ins Bewusstsein der Menschen, ohne dass ihm ein markantes Ereignis wie die Dunkle Morgenröte vorausgegangen wäre. Stattdessen wurde der Verlust der Flottenbasis bei Cicero nach Monaten überhaupt einmal in den Nachrichten erwähnt. Erst die Einnahme des Adrianople-Systems, die so plötzlich und schnell vonstatten ging, dass sie Menschen und Zor gleichermaßen erschreckte, zwang die Admiralität zum Handeln.
Noch sch werer wog dabei die Tatsache, dass sich die Angriffe der Aliens nicht länger auf Ziele konzentrierten, die in einem weit entfernten »Kriegsgebiet« lagen. Innerhalb von nur zwei Jahren nach den Angriffen auf Cicero und Adrianople hatten die Aliens auch bei Dominica, New Georgetown und Josephson zugeschlagen – alle nicht mehr als fünfzig Parsec vom Sol-System entfernt. Einen besonderen militärischen Nutzen stellte keines dieser Ziele dar, lediglich der Angriff auf Josephson war nachvollziehbar, denn in den ersten Kriegsjahren hatten sie dort fünf Schwarmschiffe verloren, und die
Feuerstürme, die sie während der zweiten Schlacht in diesem System auf der Hauptwelt – einem erdähnlichen Planeten – entfesselten, waren womöglich ein Vergeltungsschlag gewesen.
Die anderen Systeme sowie die vielen Attacken in den nachfolgenden Jahren schienen keiner Taktik zu folgen, jedenfalls keiner, die für Menschen oder Zor erkennbar gewesen wäre. Ganze Geschwader von Vuhl-Schiffen, manchmal von Schwarmschiffen angeführt, tauchten aus dem Sprung auf und griffen ihr Ziel an. Wenn das Glück mit den Angegriffenen war, dann verfügten die über genügend Feuerkraft, um sich erfolgreich zur Wehr zu setzen. Doch das Glück war nicht immer auf ihrer Seite. Die Attacken folgten keiner erkennbaren Logik oder Strategie, wurden aber immer mit äußerster Härte durchgeführt. Nach einer Weile schien es so, als würden die Vuhl das Tempo erhöhen, um irgendeinen Termin einzuhalten, weil etwas näherrückte – etwas Unausweichliches und Unaufhaltsames.
Autor unbekannt Der Dunkle Kreuzzug und seine GeschichteFrühes Fragment, erschienen ca. 2430
März 2422 esYen, Zor’a-System
Jackie schlug die Augen auf und sah das gyaryu neben sich. Sergei Torrijos trat aus der Dunkelheit hervor. Sie wusste, sie waren nicht allein. Vierundsechzig andere Bewohner waren irgendwo da draußen in der Finsternis für den Fall, dass sie sich mit ihnen beratschlagen musste.
»Hi«, sagte sie.
»se Jackie«, erwiderte Sergei und neigte den Kopf.
»Admiral Erich Anderson erstattet heute Nachmittag dem Hohen Nest Bericht«, erklärte sie. »Die Emperor Ian ist gestern ins System geflogen – mit einem Sprung direkt aus dem Kampfgebiet. Irgendetwas ist vorgefallen.«
»Aber das ist nicht der Grund für Ihre Sorge.«
»Richtig.«
Sergei lächelte. Zu seiner Zeit muss er ein richtiger Charmeur gewesen sein, dachte sie. »Ich glaube, ich kann den Grund erraten.«
»hi Sa’a hat die Kralle von esLi eingeladen, an der Besprechung teilzunehmen. Ich weiß nicht, warum. Sie gibt einerseits den Acht Winden die Schuld, andererseits besteht sie darauf, dass se Ch’en’ya und ihre … Kollegen … anwesend sein müssen. ›Wichtige Gespräche‹, sagt sie. ›Die Acht Winde.‹«
»Daran sollten Sie mittlerweile gewöhnt sein.«
»Wie lange hat es bei Ihnen gedauert?«
»Sie meinen, bis ich mich daran gewöhnt hatte, wie undurchschaubar das Hohe Nest ist? Ich habe mich nie daran gewöhnt, se Jackie. In fünfundachtzig Standardjahren ist es mir nie gelungen.« Wieder lächelte er sie an. »Ich habe es lediglich akzeptiert.«
»Na, bitte … aber meine Sorge ist nicht, dass hi Sa’a diese Entscheidung getroffen hat: Ich weiß, dass ich ihre Instinkte nicht infrage stellen muss. Ich fürchte mich nur vor dem, was se Ch’en’ya sagen oder tun wird. Admiral Anderson ist nicht gerade dafür bekannt, dass er ein geduldiger Mensch ist.«
»Das gilt nach allem, was ich gesehen habe, auch für se Ch’en’ya. Aber sie ist eine mächtige Fühlende, se Jackie. Sicherlich glaubt hi Sa’a das.«
»Ich glaube es auch, aber … ich bin mir nicht so sicher. Ich vertraue auch auf meine Instinkte, si Sergei, und ich habe ein ungutes Gefühl.«
»Was die Besprechung angeht?«
»Nein, es geht dabei um mehr. In letzter Zeit redet se Ch’en’ya häufig über den Zerstörer. Als sie erstmals nach Zor’a kam, da konnte ich für einen Moment etwas sehen, was ich für den Zerstörer hielt. Und sie stand gleich neben ihm. In dieser Szene war sie etwa so alt, wie sie heute ist. Ich habe so ein Gefühl, dass der Zerstörer in Kürze seinen Auftritt haben wird – und dass se Ch’en’ya etwas darüber weiß.«
»Glauben Sie, sie ist ihm bereits begegnet?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Wieso?«
»Ganz einfach«, erklärte Jackie. »Sie ist immer noch hier. Sie ist nicht dort … wo immer das auch sein wird … und wo sie neben einem ganzen Berg toter Vuhl liegt.«
»Ich nehme an, Sie haben ihr nie von dieser Vision – diesem sSurch’a – erzählt, oder, se Jackie?«
»Es schien mir kein Nutzen damit verbunden zu sein. Nein, ich habe ihr nie gesagt, sie könnte vielleicht eines Tages die linke Schwinge des Zerstörers sein. Ich sprach mit hi Sa’a und se Byar darüber, aber nicht mit ihr.«
»Welche Meinung hat Admiral Anderson von se Ch’en’ya?«
Jackie überlegte einen Moment lang. »Ich glaube, er hat sich darüber nicht viele Gedanken gemacht. Aber ich vermute, es wird ihm nicht gefallen, dass sie anwesend ist. Vermutlich betrachtet er die Kralle von esLi als eine Art radikale Sekte innerhalb des Volks, falls er überhaupt darüber nachdenkt.«
»Aber nicht als die linke Schwinge des Zerstörers. Und als dessen Freundin.«
»Ich bezweifle, dass er diesen Zusammenhang hergestellt hat. Wollen Sie sagen, ich soll ihn auf diese Idee bringen? Admiral Anderson muss andere Dinge im Sinn haben als den Zerstörer. Er hat einen Krieg zu führen.«
»Ich wüsste nicht, welchen Unterschied es zwischen beidem gibt, se Jackie.«
»se Alan«, sagte eine vertraute Stimme.
Alan Howe wandte sich von einem Nachrichtenvideo ab und sah eine Zor, die das Stationsdeck in seine Richtung überquerte. Vermutlich aus Höflichkeit ging sie zu Fuß anstatt zu fliegen. Das machte es ihm leichter, ihre Flügelhaltung zu lesen, während sie sich ihm näherte. Es war eine Haltung, die Freude ausdrückte.
Freude? Ch’en’ya kennt diese Flügelhaltung doch so gut wie gar nicht, überlegte er, als sie nahe genug kam, um seine Unterarme zu umfassen. Er zeigte eine neutrale Miene, während er die Geste erwiderte.
»Im Namen von esLi grüße ich dich, se Alan«, sagte Ch’en’ya HeYen zu ihm, ließ seine Unterarme los und brachte ihre Flügel in die Haltung der Kameradschaft. »Es ist zu lange her, seit du das letzte Mal die Heimatwelt des Volks besucht hast.«
Alan und Ch’en’ya waren ein Vierteljahrhundert zuvor gemeinsam im Sanktuarium ausgebildet worden, und zeitweise hatten sie eng zusammengearbeitet, doch in den letzten Jahren waren sie auseinandergedriftet, da sie sich sehr für die Kralle von esLi engagierte – eine Gruppe junger und ähnlich zorniger Zor-Fühlender wie sie selbst.
Es war wohl alles eine Frage der Philosophie, vermutete er.
»Admiral Anderson hält mich sehr auf Trab, se Ch’en’ya«, antwortete er. »Wir sind hier weit vom Kriegsgebiet entfernt.«
»Das ist wahr.« Sie zuckte mit den Schultern, eine Geste, die sie sich bei den Menschen abgeguckt hatte. »Jedenfalls der Krieg, der von Raumschiffen geführt wird. Aber mancher würde sagen, dass wir hier ebenfalls gegen die esGa’uYal kämpfen.«
»Ich … ich denke schon. Trotzdem bin ich nur hier, um Informationen zu bekommen.«
»Wirst du das Sanktuarium besuchen?«
»Ähm … eigentlich nicht. Ich bin gekommen, um mit ha Jackie zu reden.«
»Ich verstehe.« Plötzlich nahmen ihre Flügel eine unterschwellig feindselige Haltung an. »Ich bin mir sicher, diese Unterhaltung wird für dich sehr hilfreich sein.«
»Eigentlich glaubst du das nicht.«
»Ich bitte achttausendmal um Entschuldigung, se Alan«, sagte sie und bewegte erneut ihre Flügel. »Ich will nichts unterstellen. Der Gyaryu’har wird sehr erhellend sein, dessen bin ich mir sicher.«
»Sag mir, was du wirklich denkst.«
Ch’en’ya wich seinem Blick aus und betrachtete sekundenlang das Video. »Freund Alan, es hilft esLi nicht, wenn ich ha Jackie kritisiere. Sie dient so wie ich dem Hohen Nest. Aber mir scheint es so, dass sie … dass sie nicht in ganzem Umfang die Natur dieses Krieges erfasst.«
»Sie hat den Krieg früher als jeder von uns verstanden, se Ch’en’ya. Sie kämpfte gegen die Diener von esGa’u, und sie durchbrach die Eiswand.«
»Pah.«
Immer noch dein Lieblingswort, dachte Alan. »Wenn ich dich richtig verstehe, dann begreifst du Dinge auf eine Art, die sie nicht beherrscht.«
»se Alan, ich bin mir sicher, dass die Imperiale Navy Ehrbares leistet, dass dort wahre Krieger handeln. Aber letztlich kann nur einer die esHara’y und die esGa’uYal vernichten, denen sie dienen: der Zerstörer.«
»Ach ja? Und was weißt du sonst noch über den Zerstörer, se Ch’en’ya?«
Ihre Flügel nahmen eine ihm unbekannte Position ein. Sie schaute zu Boden und dann erst wieder in Alans Augen. »Nur, dass wir alle auf die Ankunft des Zerstörers warten.«
Die offizielle Residenz des Gyaryu’har war einst das Zuhause eines Fremden gewesen, doch mit der Zeit hatte sich Jackie dort ein eigenes Heim geschaffen: ein kleines Modell des Denkmals von First Landing Hill auf Dieron; Fotos von ihrem Vater, ihrer Cousine Kristen und deren Ehemann Dan; ein Schnappschuss, der sie und Barbara MacEwan lächelnd zeigte, aufgenommen bei Adrianople kurz nach der Rückeroberung im Jahr 2397; eines von Th’an’ya, der Mutter von Ch’en’ya und Partnerin von Ch’k’te, die sie nie zu Lebzeiten kennengelernt hatte und die sie doch so gut kannte, als sie sich vor fünfundzwanzig Jahren auf den Weg gemacht hatte, um das gyaryu zurückzuholen.
Jackie Laperriere empfing ihren alten Freund Alan Howe im Wohnzimmer. Ein alHyu führte ihn herein, dessen Flügelhaltung ein Gefühl von großem Respekt vermittelte. Hätte Alan Flügel gehabt, wäre seine Geste identisch gewesen. Jackie umfasste zuerst in Zor-Manier seine Unterarme und nahm dann seine Hand, um ihn zu einem Sessel zu führen.
»Sie sind weit weg von der Front, Alan. Etwas Bedeutsames muss Sie hergeführt haben.«
»Ich bin mit Admiral Anderson hier … aber ein bisschen Einfluss habe ich immer noch, ha Jackie. Ich dachte mir, ich bin als Besucher jederzeit willkommen.«
»Natürlich sind Sie das.« Sie lächelte ihn an. »Doch Erich lässt Ihnen nicht viel Spielraum. Irgendetwas ist geschehen, also raus mit der Sprache. Was führt Sie nach Zor’a?«
»Eine beunruhigende Erfahrung, etwas, wobei Sie mir vielleicht helfen können. Sie wissen sicher, dass wir bei Tamarind ein fast fertiggestelltes Schwarmschiff in unsere Gewalt bringen konnten.«
»Ja, davon habe ich gehört. Gute Arbeit.«
»Leider kann ich dieses Lob nicht für mich in Anspruch nehmen. Fast wären wir da nicht mehr lebend rausgekommen. Die Drohne, die das Kommando hatte, war mir überlegen – aber weit überlegen. Wir bekamen Hilfe.«
»Welche Art von Hilfe?«
Alan umfasste die Armlehnen seines Sessels und sah zur Seite. »Ich glaube, wir erhielten Besuch von einem esGa’uYe.«
»Tatsächlich?«
»In der letzten Phase begegneten wir einem Menschen. Jedenfalls sah er nach einem solchen aus. Ein hagerer Typ in einer Flottenuniform aus dem letzten Jahrhundert. Lächelte spöttisch, als er mit mir redete. In der Videoaufzeichnung taucht er nicht auf, aber ich bin ihm wirklich begegnet. Ich weiß es.«
»Stone.« Jackies Hand bewegte sich wie aus eigenem Antrieb zum Heft des gyaryu, das auf einem Schwertständer gleich neben ihr lag. »Stone. Was hat er gesagt?«
»Sie kennen ihn?«
»Ihr Instinkt sagt Ihnen genau das Richtige«, erwiderte Jackie und wiederholte: »Was hat er gesagt?«
»Er sagte, der Zerstörer sei angekommen … nein, Moment, es lautete anders.« Er fasste sich an den Nasenrücken und kniff die Augen zu. »Er sagte mir, die Dinge würden sich bald ändern … und der Zerstörer sei ›schon hier‹.«
»›Hier‹? Wo ›hier‹? Auf dem Schwarmschiff?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht war es metaphorisch gemeint, dass sich der Zerstörer also gar nicht mit uns in einem Raum oder an Bord des Schiffs befand.«
Jackie ließ das Heft los und legte die Hände gefaltet in den Schoß.
»Alan, wir kennen uns schon lange. Den ganzen Krieg über.«
Alan Howe lächelte. »Die meiste Zeit davon. Anfangs hatten Sie keine besonders gute Meinung von mir, wenn ich mich recht entsinne.«
»Das haben wir hinter uns gelassen«, erwiderte Jackie freundlich. »Ich zumindest. Als ich Ihnen damals zum ersten Mal begegnete, war ich praktisch die Einzige, die zwischen den Vuhl und dem Imperium stand, und das nur, weil ich das da hatte.« Sie zeigte auf das gyaryu.
»Ich kenne die Geschichte.«
»Tatsächlich? Die meisten Leute kennen die Geschichte eigentlich nicht so richtig.« Sie stand auf und ging zum Sideboard, wo sie das Holo von Th’an’ya hochnahm. »Ich wurde auserwählt, Alan. Ich wurde auf eine Mission entsandt, um das Schwert zu finden und es den esGa’uYal zu entreißen. Das Problem daran war nur, dass ich nicht von den Zor auserwählt wurde, sondern von den esGa’uYal. Sie schickten mich auf einen ganz bestimmten Weg, dessen Ziel es war, das Schwert zurückzuholen. Stone half mir, aber er versuchte auch, mich aufzuhalten. Bei Josephson, wo Sie und ich uns begegneten, wollte Stone mir das gyaryu abnehmen. Und als er damit scheiterte, gab er mir den Schlüssel, um Ch’en’ya zu retten. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.«
»Das war vor fünfundzwanzig Jahren.«
»Stimmt.« Sie stellte das Holo zurück und wandte sich wieder Alan zu. »Er ist seitdem verschwunden. Mir kommt es fast so vor, als warte er auf irgendetwas.«
»Auf den Zerstörer.«
»Sicher. Auf den Zerstörer. Aber was zum Teufel bedeutet das? Ist er so etwas wie esHu’ur, eine mystische Kraft, die irgendwie Gestalt annimmt?«