Der Freiheitshandel - Mathias Döpfner - E-Book

Der Freiheitshandel E-Book

Mathias Döpfner

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Beschreibung

Politisch und wirtschaftlich ist die demokratische Welt so schwach wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das Konzept "Wandel durch Handel" ist gescheitert. Vielmehr hat es Diktaturen gestärkt und Demokratien untergraben.  Freie und offene Gesellschaften sind existenziell gefährdet. Der russische Einmarsch in der Ukraine, der brutale Angriff auf Israel, der wieder salonfähig gewordene Antisemitismus und die wirtschaftliche Abhängigkeit von China müssen ein Weckruf für offene Gesellschaften sein. Es braucht jetzt grundlegende Veränderungen.  Der einzige wirklich transatlantische Medienunternehmer Europas plädiert für einen Kurswechsel in der demokratischen Handelspolitik. Die Gründung eines neuen wertebasierten Bündnisses der Demokratien: Die Freiheitshandelsallianz.

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Der Freiheitshandel

Mathias Döpfner

MATHIAS DÖPFNER

DER FREIHEITSHANDEL

Warum Geschäfte mit Diktatoren unsere Demokratie gefährden

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

The Trade Trap: How To Stop Doing Business with Dictators

ISBN 978-1-6680-1625-1

Copyright der Originalausgabe 2023:

Copyright © 2023 by Mathias Döpfner. All rights reserved.

Published by Simon & Schuster.

Copyright der deutschen Ausgabe 2024:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Börsenmedien AG

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Foto: Max Threlfall

Vorlektorat: Sebastian Grebe

Korrektorat: Claus Rosenkranz

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-953-1

eISBN 978-3-86470-954-8

Teile des Buches beruhen auf früher publizierten Artikeln des Autors.

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

www.instagram.com/plassen_buchverlage

FÜR MEINE KINDER

INHALT

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Liebeserklärung an die Demokratie

30 Minuten mit Wladimir Putin

I. Der Status quo: Alte und neue Feinde

Die Demokratie in der Defensive

Antisemitismus als neuer Welt-Zeitgeist?

Endstation der Zivilisation – die Gaskammer in Majdanek

Was „Tolerantismus“ und Deutsche Schäferhunde gemeinsam haben

Krieg, Frieden und mein Vater

Neue alte Kriege

Inszenierungen der Macht – von Bush und Blair bis Erdoğan

II. Das Problem: Freiheit ist zerbrechlich

Der Schwächere gibt nach – Autokratien und Diktaturen im Aufschwung

Für die Pressefreiheit im Gefängnis

Demokratie von innen geschwächt – Donald Trump und Angela Merkel

„Ein guter Tag für Russland“

III. Die Eskalation: Herausforderung China

Im Flugzeug mit Helmut Kohl – meine erste Begegnung mit „Wandel durch Handel“

Abhängigkeit von China

Jack Ma schweigt – zu Besuch bei Alibaba

IV. Die Antwort: Die Freiheitshandelsallianz

Freihandel und die WTO

Abendessen beim Botschafter und warum das chinesische Volk sehr verletzt ist

Der Vertrag – eine neue Welthandelsordnung

Danksagung

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Prognosen haben nichts mit Hokuspokus zu tun. Bei mir sind sie das Ergebnis eines rational-intuitiven Vorgangs: Ich setze Datenpunkte zusammen und unterlege sie mit einem – meinem – Gefühl. Daraus wird eine Prognose oder ein Trend. Dabei lasse ich mich von Einwänden der Vernunft kaum beirren. Denn die Wirklichkeit verläuft zu oft unvernünftig.

Und deshalb sage ich mit einiger Überzeugung: Wenn wir – die demokratischen Länder dieser Welt – unseren Umgang mit Diktaturen nicht ändern, wenn wir das Entstehen ökonomischer Abhängigkeiten weiter zulassen, ist die Demokratie ein Auslaufmodell.

Es ist Zeit für eine Umkehr. Es ist höchste Zeit.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich mir Sorgen mache. Ich habe dieses Buch als engagierter Europäer zuerst in Amerika veröffentlicht – im Herbst 2023, weil ich eine Lösungsidee zur Diskussion stellen möchte, die nur funktioniert, wenn im ersten Schritt Europa und Amerika zusammenarbeiten und zusammenhalten.

Als ich dieses Buch konzipierte, gab es noch keinen Ukraine-Krieg. Keinen Krieg in Israel. Und in Businesszirkeln keinen Gedanken daran, dass China für unsere Wirtschaft und unser System eine Bedrohung werden könnte.

Als das Buch in den USA veröffentlicht wurde, war das schon anders. Seither – so, als wolle die Realität mit quietschenden Reifen meine Befürchtungen überholen – ist die Lage immer schneller immer schlechter geworden. Die Verteidigung der Demokratie in der Ukraine sah im September 2023 noch deutlich besser aus als heute. Den Krieg in Israel gab es damals noch nicht. Die neue Welle eines globalen Antisemitismus sah man damals noch nicht. Und der Aufstieg extremer Parteien wie der AfD und der sozialistischen Wagenknecht-Bewegung war damals noch nicht so eruptiv.

Nun erscheint dieses Buch – mit kleinen Aktualisierungen und ein paar Ergänzungen – in Deutschland. Als Appell eines Bürgers.

Wenn wir die Demokratie retten wollen, wird es höchste Zeit.

Nach Redaktionsschluss dieses Buches:

Der Präsident eines europäischen Landes redet seit zehn Minuten über die Zukunft der Demokratie. Es ist Freitag, der 16. Februar 2024, kurz nach zwölf Uhr mittags. Ich sitze zusammen mit circa 50 Wirtschaftsführern im Dachgeschoss des Hotels Bayerischer Hof, in einer Stunde wird die Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet. Auf meinem Handy blinkt eine Nachricht: „Nawalny wohl tot“.

Zu Beginn der wichtigsten Konferenz der führenden Außen- und Sicherheitspolitiker der demokratischen Welt steht eine Botschaft im Raum: Ich halte euch für schwach. Und wenn ihr so weitermacht, mache ich SO weiter.

LIEBESERKLÄRUNG AN DIE DEMOKRATIE

Ich liebe die Demokratie. Demokratie ist Freiheit. Demokratie ist Humor. Demokratie ist Rücksicht. Demokratie ist Kompromiss. Demokratie ist Leichtsinn. Demokratie ist Wettbewerb und Kreativität. Demokratie ist Widerspruch. Demokratie ist voller Fehler – wie wir Menschen.

Ich liebe die Demokratie, weil sie das Gegenteil von Auschwitz ist. Auschwitz war das größte Massenvernichtungslager des Holocausts. Es steht weltweit für Zivilisationsbruch und Unmenschlichkeit, für Unfreiheit und Tod und Hass und Willkür und alles, was möglich ist, wenn es keine Demokratie gibt.

Ich liebe die Demokratie, weil sie, wenn sie intakt und vital ist, uns vor so etwas wie Auschwitz schützt. Weil sie uns überhaupt beschützt. Demokratie ist eine Schutzmacht vor Willkür.

Ich habe Angst vor Willkür. Ich erinnere mich an eine Nacht 1988 in Moskau. Noch zu Sowjetzeiten. Ich besuchte einen russischen Pianisten, den ich in einer Künstlermanagement-Agentur vertrat, für die ich arbeitete. Ich fuhr alleine in einem Taxi durch die eisig verschneiten dunklen Straßen zu einem Restaurant, das mir jemand empfohlen hatte. In einem Keller gab es Krimsekt und Kaviar. Aber es schmeckte nicht. Weil ich Angst hatte, dass gleich jemand kommen könnte und mich abführt. Warum? Egal! Unschuldsvermutung? Von wegen! Einen Rechtsanwalt und ein faires Verfahren? Nein!

Es gab gar keinen konkreten Grund für diese Sorge. Weder war ich bedroht noch hatte ich irgendwas angestellt. Aber ich wusste, dass es in der Sowjetunion die Möglichkeit dieser Willkür gab. Und alleine die Tatsache, dass ich diese Angst vor Willkür empfand, hat mich geprägt. Ich will diese Angst nie haben. Auch deshalb möchte ich nie in einem nicht demokratischen Land leben.

Demokratien sind nicht perfekt. Sie machen viele Fehler. Manchmal ähnliche oder sogar die gleichen wie Nicht-Demokratien. Aber der große Unterschied ist: In Demokratien darf man diese Fehler kritisieren. Und es gibt fast immer Menschen, die das tun. Und wenn sie es zu Recht tun, hat das fast immer Konsequenzen.

Demokratie ist nicht zuletzt das Versprechen, dass ich etwas falsch machen darf – und dennoch eine faire Chance bekomme. Vor einem Gericht mit einem eigenen Anwalt und einem unabhängigen Richter. Es ist eben nicht die Willkür irgendeiner Autorität, sondern es ist die Würde des Souveräns. Des Bürgers. Es ist der Rechtsstaat. Der Rechtsstaat ist der Sauerstoff der Demokratie. Ohne ihn erstickt sie. Und deshalb gibt es glücklicherweise so etwas wie das Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Oder den Idaho Supreme Court. In großen und kleinen Gerichten überall in der demokratischen Welt sitzen unabhängige Staatsanwälte und Rechtsanwälte und Richter und versuchen eine gerechte und richtige Entscheidung zu treffen. Sie schützen den Schwächeren vor dem Stärkeren. Sie sorgen dafür, dass möglichst alle gleiche Rechte haben. Früher dachte ich, die Rechtsstaatlichkeit sei eine Formsache, weniger wichtig als Freiheit und Demokratie. Heute bin ich überzeugt, dass sie deren Grundlage ist. Das Recht ist die wichtigste Errungenschaft der Zivilisation. Das Recht ist besser als das Naturrecht. In der Natur siegt stets der Stärkere. Der Schnellere. Der Mächtigere. In einer menschlichen Zivilisation des Rechtsstaats hat auch der Schwächere eine Chance.

Das ist das zentrale Versprechen der Demokratie.

Deshalb liebe ich die Demokratie.

Deshalb müssen wir die Demokratie schützen.

Deshalb brauchen wir ein wertebasiertes Handelsbündnis der Demokratien.

Und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Die Idee für dieses Buch entstand kurz nach Russlands Annexion der Krim im Jahr 2014. Es war eine Zeit, in der die CEOs der meisten globalen Unternehmen von den Chancen auf dem chinesischen Markt schwärmten. Jeder, der die Verlässlichkeit dieser Art von Geschäftsbeziehungen infrage stellte, wurde als Spielverderber abgestempelt.

Im Jahr 2015 begann ich, über eine wertebasierte Handelspolitik nachzudenken. Ich war überzeugt, dass wir eine bessere Lösung brauchen als eine einseitige Entkopplung. So entstand die Idee eines neuen demokratischen und transatlantischen Handelsbündnisses. Eines, das Demokratien stärken würde, damit sie unabhängig von Diktatoren werden. Viele, denen ich davon erzählte, waren skeptisch: Die Vision sei unrealistisch, unbezahlbar, naiv und gefährlich. Gute Freunde warnten mich: Mein Ruf würde darunter leiden. Alle, die von Geschäften mit nicht demokratischen Ländern profitieren, würden versuchen, dieses Buch zu diskreditieren. Es wäre besser, die Idee zu verwerfen, sagten sie. Und das tat ich auch.

Ein paar Jahre später schrieb ich trotzdem ein Exposé für das Buch und schickte es sowohl an den Literaturagenten Andrew Wylie als auch an einen großen deutschen Verlag. Die Antwort des Verlegers war nicht gerade euphorisch: Es sei eine absurde Idee. Wie ich darauf kommen würde, dass ich qualifiziert sei, über dieses Thema zu schreiben? Ich solle lieber Reden halten. Und dann, als im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine begann und so ziemlich alles genau so kam, wie ich es vorausgesagt hatte, rief mich Andrew Wylie an und sagte: „Mathias, Du musst dieses Buch schreiben.“

In diesem Buch geht es nicht vorrangig um Wirtschaft, auch wenn es ziemlich viele Zahlen enthält. Es ist ein Buch über die Zukunft. Es geht hauptsächlich um uns, die Bürger. Unser Verhalten. Unsere Werte. Und um die Folgen unseres Handelns. Es geht um die Zukunft unserer Freiheit.

Das Buch verbindet meine Erfahrungen als CEO eines internationalen Medienunternehmens – meine Rolle hat meine Überzeugungen durch viele konkrete Erlebnisse reifen lassen – mit objektiven Analysen, nüchternen Fakten und zugespitzten Meinungen.

Das Buch hat keine parteipolitische Agenda. Es geht um die Stärkung der Demokratie. Ich propagiere weder die Renaissance der „neokonservativen“ Politik noch die Verwirklichung „linker“ Träume. Es ist ein überparteiliches Anliegen. Das Buch ist so unparteiisch und ideologisch unberechenbar wie ich selbst. Für die Linken stehe ich zu weit rechts. Und für die Rechten bin ich zu weit links. Zwischen den Stühlen, was für einen Verleger der richtige Ort ist, denke ich.

Die Idee, die ich in diesem Buch skizziere, mag auf den ersten Blick unmöglich erscheinen. Und ja, sie ist nicht sofort realisierbar. Aber es gibt ein wunderbares Sprichwort, das Otto von Bismarck zugeschrieben wird: „Politik ist die Kunst des Möglichen“. Dieser Satz wird oft missverstanden – vor allem von Politikern – in dem Sinne, dass Politik nur das tun könne, was in einem bestimmten Moment ohnehin möglich sei. Das ist mehr oder weniger das Gegenteil von dem, was Bismarck vermutlich meinte. Denn sonst wäre Politik keine Kunst. Und es gäbe keinen Bedarf für begabte und durchsetzungsfähige Politiker. Die „Kunst des Möglichen“ hat vielmehr damit zu tun, das scheinbar Unmögliche in einem bestimmten Moment möglich zu machen. Das ist die Kunst – und auch das Handwerk – der Politik.

So gesehen ist viel mehr möglich, als wir denken. Manchmal sogar das Unmögliche.

30 MINUTEN MIT WLADIMIR PUTIN

Ich habe Wladimir Putin einmal persönlich getroffen. Das kurze Gespräch fand 2005 im Kreml statt, wenige Monate nachdem Paul Klebnikov, der Chefredakteur von Forbes Russia, aus unklaren Gründendirekt vor dem Büro der Zeitschrift in Moskau erschossen worden war. Forbes Russia war die Lizenzausgabe eines Magazins, das in Russland vom Axel Springer Verlag publiziert wurde, dessen Vorstandsvorsitzender ich seit zwei Jahren war.

Am 9. Juli 2004 wurde Paul Klebnikov beim Verlassen des Forbes-Büros spätabends unweit des Redaktionsgebäudes von Unbekannten angegriffen, die aus einem langsam fahrenden Auto heraus neunmal auf ihn schossen. Klebnikov, Vater von drei kleinen Kindern, wurde viermal getroffen. Er überlebte den Angriff zunächst, starb aber im Krankenhaus, nachdem er in einem Krankenwagen ohne Sauerstoffflasche transportiert worden war und der Krankenhausaufzug, der ihn in den Operationssaal bringen sollte, zwischen zwei Stockwerken stecken blieb. Beobachter bezeichneten den Angriff als Auftragsmord. Verschiedene Kommentatoren hatten spekuliert, dass eine Geschichte des Magazins über Steuerpraktiken der 100 reichsten Menschen Russlands den Angriff motiviert haben könnte; manche vermuteten Oligarchen hinter dem Mord, andere die Regierung selbst.

Das Treffen wurde von der deutschen Regierung auf Vermittlung des damaligen Leiters des Kanzleramtes, Frank-Walter Steinmeier, organisiert. Es ging darum, unseren Verlag zu ermutigen, weiterhin Geschäfte in Russland zu tätigen.

In den sehr frühen Morgenstunden des 20. Januar 2005 fliege ich von Berlin nach Moskau und schlängle mich mit einem Fahrer fast drei Stunden durch den Stau auf der monumentalen Zubringerstraße in die Innenstadt zum Roten Platz. Im Kreml angekommen, wird mir zunächst das Handy abgenommen (noch Wochen später höre ich von da an beim Telefonieren und auf der Mailbox russische Stimmen, bis ich Gerät und Nummer wechsle). Durch labyrinthisch verschlungene Korridore werde ich in einen Warteraum gebracht, wo sich ein Übersetzer befindet, der mich bei dem Gespräch begleiten soll. Es gibt einen Kaffee und Sprudelwasser. Zum vereinbarten Zeitpunkt des Termins geschieht: nichts. Auch eine halbe Stunde später keine Regung, keine Erklärung, wie lange die Verspätung wohl dauern wird.

Nach ungefähr einer Stunde frage ich mit dem Übersetzer bei einer Sekretärin nach. Das sei üblich, der Präsident habe Wichtiges zu tun. Zeitangaben könne man gar keine machen, ich solle noch einen Kaffee trinken. Ich denke an die berühmte Moskau-Reise unseres Unternehmensgründers Axel Springer 1958. Damals musste er zwei Wochen auf Nikita Chruschtschow warten, bis dieser ihn empfing. Ob Putin das kopieren will? Nach zweieinhalb Stunden – ich habe etwa fünfmal nachgefragt – bin ich nicht nur genervt von dem offenkundigen Demütigungsritual, sondern auch ernsthaft besorgt. Am nächsten Vormittag findet eine Aufsichtsratssitzung in Berlin statt, die ich unter keinen Umständen verpassen darf. Wegen der Schließzeiten des Flughafens habe ich angesichts der etwa dreistündigen Rückfahrt zum Flughafen nicht mehr viel Zeit, um noch rechtzeitig zurück nach Deutschland zu kommen. Ich erkläre der verdutzten Sekretärin sehr freundlich mein Dilemma und kündige an, den Termin leider verschieben zu müssen, falls er nicht innerhalb der nächsten Stunde zustande kommt. Offenkundig ist man darauf nicht vorbereitet. Eine große Unruhe entsteht, mehrere Männer wuseln plötzlich in dem Büro herum, Türen schlagen. Nach einer halben Stunde ist es so weit. Der Präsident ist bereit.

Zusammen mit dem Übersetzer und einem Begleiter stehe ich vor einer überdimensionierten Flügeltür. Plötzlich öffnet sich das Portal zu einem endlosen, an der stuckverzierten Decke prunkvoll vergoldeten Saal. Ein Sicherheitsmann hält mich zurück. Erst in dem Moment, als Wladimir Putin den Raum durch die gegenüberliegende Tür betritt, darf ich loslaufen. Das Protokoll diktiert, dass wir uns genau in der Mitte des Saals treffen müssen. Jede Bewegung scheint präzise wie ein höfisches Ritual orchestriert. Wir nehmen an einem langen, großen Tisch Platz. Der Dolmetscher sitzt dabei, ohne ein einziges Wort zu übersetzen. Putin spricht mit extrem leiser Stimme, schwer zu verstehen, aber in ausgezeichnetem, fast akzentfreiem, leicht sächselndem Deutsch.

Zu Beginn erklärt der Präsident, wie sehr er den Vorfall bedauere. Dass unser Verlag sich durch diesen schrecklichen Fall keinesfallsdavon abhalten lassen dürfe, weiterhin in Russland aktiv zu bleiben. Man werde das Verbrechen mit höchster Priorität aufklären. Wir werden die Täter finden, sagt er fast flüsternd, sodass ich mich vorbeugen muss, um seine Worte zu verstehen, wir werden sie finden, seien Sie sicher.

Es geht dann bald um Grundsätzlicheres. Wobei mir eine Sequenz besonders in Erinnerung bleiben wird. Der tschetschenische Terrorismus sei eine große Herausforderung für das Land, sagt Wladimir Putin. Ob die Bekämpfung des Islamismus nicht potenziell eine gemeinsame Herausforderung und also ein gemeinsames Interesse von USA, EU und Russland darstelle, frage ich. Ja, sagt Wladimir Putin, wir haben viele kollektive Interessen und Gemeinsamkeiten. Und dann sagt er die entscheidenden Sätze: Wenn die USA nur aufhören würden, uns wie eine Kolonie zu behandeln. Unsere russische Kultur ist wesentlich älter, unsere Gefühle sind tiefer als die der Amerikaner. Wir haben unsere eigenen Traditionen, wir haben unseren eigenen Stolz. Wir sind keine amerikanische Kolonie.

Da blitzt er auf, der verletzte Stolz des Führers einer ehemaligen Supermacht, die sich nur noch als Mittelmacht wahrgenommen fühlt. Da spürt man sie, die sich in den kommenden Jahren immer mehr radikalisierende Ambition, genau das zu ändern. Es fühlt sich schon damals, in einer aus heutiger Sicht harmloseren Frühphase, irgendwie beunruhigend, ja gefährlich an.

Nach ein paar unverbindlicheren Gesprächsschleifen und präzise nach einer halben Stunde beendet Wladimir Putin das Gespräch: Ich habe gehört, Sie haben es eilig, aber machen Sie sich keine Sorgen, sie bekommen eine Eskorte zum Flughafen, dann geht es schneller.

Mit in Formation fahrenden Motorrädern vor und hinter meinem Wagen, Blaulichtgewitter und Megafon-Stimmen, mit denen die sich stauenden Autos vertrieben werden, rasen wir zum Flughafen. Eine Einschüchterung aller Beteiligten. Eine Machtgeste. Ich schäme mich hinter der Fensterscheibe. Und komme viel zu früh am Flughafen an.

Nach der Ermordung unseres Chefredakteurs bleibt die Berichterstattung der russischen Medien von Axel Springer genauso kritischwie vorher. Wir ändern nichts. Auch nicht, als ein anderer Chefredakteur Jahre später vom Moskauer Bürgermeister bedroht wird, um die Veröffentlichung eines Porträts seiner Frau zu verhindern. Nicht, nachdem die Tochter unserer Geschäftsführerin unter unklaren Umständen für ein paar Tage entführt wird. Und schon gar nicht während der Annexion der Krim 2014, bei der unsere Publikationen eine sehr regierungskritische Haltung einnehmen.

Das Problem wird schließlich anders gelöst. Im Jahr 2014 beschließt die russische Regierung ein Gesetz (es tritt 2017 in Kraft), das den Besitz ausländischer Medien auf 20 Prozent begrenzt – ein Gesetz, das rückwirkende Gültigkeit besitzt. Es kommt mit wenig Vorwarnung und trotz der Vorhersage von Experten, dass ein solches Gesetz niemals in Kraft treten werde. Die Konsequenz ist, dass wir 80 Prozent unseres Geschäfts an einen russischen Staatsbürger verkaufen müssen. Wir werden diskret über die Erwartung informiert, dafür einen regierungsfreundlichen Unternehmer zu finden. Auf diese Weise können wir in Russland weiterhin Geld verdienen, aber die redaktionelle Kontrolle wäre in „sichereren“ Händen. Das Unternehmen Axel Springer weigert sich und „verkauft“ 100 Prozent des Geschäfts für einen symbolischen Preis an einen Regimekritiker russischer Nationalität.

Unser Fazit: Wir hätten besser nie in Russland Geschäfte gemacht.

TEIL 1

DER STATUS QUO: ALTE UND NEUE FEINDE

DIE DEMOKRATIE IN DER DEFENSIVE

Es gibt Sätze, die Geschichte schreiben. Es gibt Sätze, die Geschichte beschreiben. Und es gibt Sätze, die Geschichte beschwören.

Geschichte geschrieben hat ein Satz, der sich ausgerechnet mit dem Ende der Geschichte beschäftigt. 1992 verfasste der Historiker Francis Fukuyama sein berühmt gewordenes Buch „The End of History and the Last Man“. Schon 1989 – unter dem Eindruck des Mauerfalls – formulierte er in einem Artikel für The National Interest seine zentrale These: „Was wir möglicherweise erleben, ist nicht nur das Ende des Kalten Krieges oder das Ende einer bestimmten Periode der Nachkriegsgeschichte, sondern das Ende der Geschichte als solcher: Das heißt, der Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit und die Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als die endgültige Form der menschlichen Regierung.“ Und weiter: „Der Triumph der demokratischen Welt, der westlichen Idee, zeigt sich vor allem in der völligen Erschöpfung lebensfähiger systematischer Alternativen zum westlichen Liberalismus.“

Geschichte beschrieben hat ein Satz des Historikers Yuval Noah Harari aus seinem 2015 erschienenen Buch „Homo Deus“, das eine neue gottähnliche Ära der Menschheit vorhersagt, weil alte Probleme und Beschränkungen überwunden seien: „Doch am Morgen des dritten Jahrtausends wacht die Menschheit auf und macht eine erstaunliche Feststellung. Die meisten Menschen denken selten daran, doch in den letzten Jahrzehnten ist es uns gelungen, Hunger, Krankheit und Krieg im Zaum zu halten. Natürlich sind diese Probleme nicht vollständig gelöst, aber was einmal unbegreifliche und unkontrollierbare Kräfte der Natur waren, sind jetzt Herausforderungen, die sich bewältigen lassen. Wir müssen zu keinem Gott oder Heiligen mehr beten, um davor bewahrt zu werden. Wir wissen ziemlich genau, was zu tun ist, um Hunger, Krankheit und Krieg zu verhindern – und in der Regel gelingt uns das auch.“

Geschichte beschworen hat schließlich die weltberühmt gewordene Sentenz „Wandel durch Handel“. Sie geht zurück auf ein Zitat des SPD-Politikers Egon Bahr, der in den 1960er-Jahren die Ostpolitik des späteren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt unter das Motto „Wandel durch Annäherung“ stellte. Später wurde daraus „Wandel durch Handel“, eine Hoffnung, ein Versprechen und eine Beschwörung, die in keiner Rede der deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und später Gerhard Schröder fehlte, wenn es darum ging, bei Staatsbesuchen in China oder Russland zu noch intensiveren Wirtschaftsbeziehungen zu ermutigen. Und auch Vertreter der Wall Street benutzen die Phrase gern, wenn sie nicht demokratischen Ländern die Aufwartung machten.

Alle drei berühmt gewordenen Sätze haben eines gemeinsam: Zur Zeit ihrer Entstehung galten sie als visionär. Heute, im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends, haben sie sich als falsch oder sogar gefährlich erwiesen. Im Grunde sind es drei optimistische Behauptungen: Die Demokratie hat gesiegt. Mit Hungersnöten, Seuchen und Kriegen müssen wir uns nicht mehr beschäftigen, die sind überwunden. Und mit Unrechtsstaaten und Diktaturen müssen wir nur möglichst viel Geschäfte machen, dann wird sich auch dort alles zum Freiheitlichen wenden. Drei falsche Versprechen. Drei an der Wirklichkeit zerschellte Utopien.

Demokratie und Freiheit haben sich global als Systeme eben nicht durchgesetzt. Vielmehr ist die Demokratie weltweit auf dem Rückzug, freie und offene Gesellschaften sind existenziell gefährdet. Die Nichtregierungsorganisation Freedom House sieht im siebzehnten Jahr in Folge einen Rückgang der Demokratie und spricht von einer „langen demokratischen Rezession“. Immer mehr Länder werden von „frei“ zu „teilweise frei“ und von „teilweise frei“ zu „unfrei“ herabgestuft. Im Jahr 2021 haben sich 60 Länder verschlechtert und nur 25 verbessert. Etwa 38 Prozent der Weltbevölkerung leben in unfreien Ländern. Das ist der höchste Stand seit 1997. Die Freiheit ist objektiv weltweit in der Defensive.

Der Anteil der „freien“ oder „größtenteils freien“ Volkswirtschaften an der globalen Produktion wird voraussichtlich von 57 Prozent im Jahr 2000 auf 33 Prozent im Jahr 2050 sinken, basierend auf den BIP-Prognosen von Bloomberg Economics. Der Anteil derer, die als „größtenteils unfrei“ eingestuft werden – das heißt Volkswirtschaften mit einem hohen Maß an staatlichem Eigentum und Kontrolle –, wird voraussichtlich von zwölf Prozent auf 43 Prozent steigen. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Sie wird gerade wieder richtig gefährlich.

Hunger, Krankheit und Krieg sind nicht beherrscht und verschwunden, sie sind zurück und beherrschen uns. In der Ukraine und in Israel herrscht Krieg, das aus China global exportierte Corona-Virus kann seit seiner internationalen Verbreitung 2020 auch durch modernste Medizin nicht gebannt werden. Und in Afrika und anderswo verhungern wieder Menschen.

Vor allem aber: „Wandel durch Handel“ hat zwar stattgefunden, aber nicht so wie von den Erfindern des Slogans gedacht. Die Sentenz ist in ihr makabres Gegenteil verkehrt worden. Autokratien und Diktaturen wie Russland und China oder islamistische Theokratien sind durch immer intensivere Geschäftsbeziehungen mit der demokratischen Welt nicht liberaler, toleranter und weltoffener geworden, sondern vielmehr noch radikaler und unfreier. „Wandel durch Handel“ war also kein Projekt zur Stärkung von Demokratie, sondern ein Feldzug zu ihrer Schwächung.

Im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends erscheint die Weltordnung fragil. Politisch und wirtschaftlich ist die demokratische Welt so schwach wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und wenn sich nichts Grundlegendes ändert, stehen wir am Anfang vom Ende der Demokratie. Unfreiheit besiegt dann Freiheit.

Die großen multilateralen Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend auf amerikanische Initiative geschaffen wurden, sind geschwächt oder dysfunktional oder korrupt oder all das zusammen. Am offenkundigsten hat sich die UNO in das Gegenteil ihrer Grundidee verkehrt: Anstatt den Weltfrieden zu sichern und die Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte zu gewährleisten, haben sich die Vereinten Nationen zu einem Bürokratie-Monster entwickelt, in dem Schurkenstaaten Mehrheitsbündnisse schmieden, um Demokratien zu verhöhnen und Diktaturen vor unangenehmen Interventionen zu schützen. Deutschland hat nicht viel zu sagen oder hält sich gern raus, Amerika kann sich oft nicht durchsetzen, eine Ernennung von Richtern in Island wird als Menschenrechtsverletzung skandalisiert, damit man über Uiguren-Lager in China schweigen kann. Und mit Waffenstillstands-Abstimmungen soll Israel an der Selbstverteidigung und Sicherung seines Existenzrechts gehindert werden. Nur die Nicht-Demokratien halten meist fest zusammen. Eine Farce.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich vor allem während der Corona-Pandemie diskreditiert. Die jahrelange Entwicklung von einer medizinisch motivierten Organisation hin zu einer politisch geprägten Institution wurde durch die Pandemie offenbar. Ein von der WHO eingesetztes unabhängiges Expertengremium ist inzwischen zu dem Ergebnis gekommen, dass die WHO nicht schnell genug gehandelt hat und schon deutlich vor dem 30. Januar 2020 den Notstand hätte ausrufen müssen. Schon Anfang Januar hatte der chinesische Augenarzt Li Wenliang auf das Virus hingewiesen. Er wurde von der Polizei verhört und zum Schweigen gebracht. Als der Ausbruch nicht mehr zu vertuschen war, griff die kommunistische Führung zu drastischen Maßnahmen, die in keinster Weise mit der Einhaltung der Menschenrechte vereinbar waren. Und trotzdem wurde das Krisenmanagement der Chinesen lange Zeit von der WHO gelobt. Dieses blinde Vertrauen in China bescherte der Welt eine Pandemie mit mehr als sechs Millionen Toten.

Auch die EU ist 70 Jahre nach der Gründung ihrer Vorgängerorganisation in einer tiefen Identitätskrise. Besonders während der Flüchtlingskrise seit 2015 bewiesen der europäische Staatenbund und seine Bürokratien in Brüssel und Straßburg, dass sie nicht Teil der Lösung, sondern eher Symbol des Problems sind. Selbst die einfachste logistische Herausforderung, eine geordnete europäische Verteilung von Flüchtlingen, wurde nicht bewältigt und mündete in Chaos und Streit. Großbritannien zog 2016 mit dem Brexit die Konsequenz und verließ den europäischen Club.

Ein besonders trauriger Fall sich ins Gegenteil verkehrender guter Absichten ist die Welthandelsorganisation WTO. Das Schlüsseldatum ihres strategischen Scheiterns war der 11. Dezember 2001, als China nach 15 Jahren Verhandlungen als Vollmitglied aufgenommen wurde. Eine großartige Entscheidung für China, aber der vielleicht größte Fehler der demokratischen Volkswirtschaften in jüngster Zeit. Wenn man die BIP-Daten der Weltbank in eine einfache Berechnung einbezieht, wird die Absurdität des Problems auf den Punkt gebracht: Seitdem ist der Anteil der USA am Welt-Bruttoinlandsprodukt von 31,47 Prozent im Jahr 2001 auf 24,15 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Der Anteil Europas fiel von 21,99 Prozent auf 17,79 Prozent. China hingegen hat seinen Anteil im selben Zeitraum von 3,98 Prozent auf über 18,32 Prozent gesteigert: fast eine Verfünffachung binnen weniger als zwei Jahrzehnten.

Chinas Anteil an den weltweiten CO₂-Emissionen ist in ähnlicher Weise in die Höhe geschnellt – seit dem Beitritt zur WTO hat er sich verdreifacht. Im Jahr 2021 war China für 32,87 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Das ist mehr als die folgenden fünf größten Verschmutzerländer (die USA, Indien, Russland, Japan und Iran) zusammen. Eine Klimapolitik ohne China bleibt ein naiver Traum. Demokratische Volkswirtschaften werden dadurch geschwächt, China gestärkt – und die Erde erwärmt sich weiter. Doch ein gemeinsamer Weg ist nicht in Sicht. Wie konnte es dazu kommen?

Der große Fehler bestand darin, demokratische Marktwirtschaften einer Form des nicht demokratischen, staatlich gelenkten Kapitalismus auszusetzen, der eigene Regeln schafft und geltende Handels- und Wettbewerbsbedingungen missbraucht. Asymmetrie statt Symmetrie, angeheizt durch Chinas anhaltenden Status als Entwicklungsland – ein Status, der es China erlaubt, von lockereren Sonderregeln innerhalb der WTO zu profitieren. Ein Status, der für eine wirtschaftliche Supermacht wie China absurd ist. Mit Freihandel hat das nichts zu tun. Eher mit Demokratie-Masochismus.

Das Centre for Economics and Business Research prognostiziert, dass China bis 2036 die USA überholt haben wird, um die größte Volkswirtschaft der Welt und vielleicht auch der mächtigste politische Akteur zu werden. Eine Fortsetzung der aktuellen Handelspolitik gegenüber China kann nur eine Konsequenz haben – den Niedergang demokratischer Volkswirtschaften und Gesellschaften. Wirtschaftlicher Dominanz folgt politischer Einfluss. Am Ende steht wirtschaftliche und politische Abhängigkeit. Und Schritt für Schritt der Systemwechsel.

Bis vor Kurzem wurden solche Szenarien als Panikmache abgetan. Seit Putins Angriffskrieg in der Ukraine – verschärft durch den Terror-Krieg der Hamas in Israel – ist alles anders. Russlands Invasion und ihre fatalen Folgen für Europa und die Welt waren der brutalst denkbare Weckruf. Eine Zeitenwende, wie Bundeskanzler Olaf Scholz es formulierte. Eine große Ernüchterung. Und der Beweis, dass Appeasement sowohl sicherheitspolitisch als auch wirtschaftspolitisch im 21. Jahrhundert genauso wenig funktioniert wie im 20. Jahrhundert. Wladimir Putin hätte allerspätestens nach der Annexion der Krim nur durch militärische Allianz und Härte, nicht aber durch lukrative Gas-Verträge und Projekte wie Nord Stream 2 an weiteren Eroberungsfeldzügen gehindert werden können. Dass er einen konventionellen Krieg führen würde, schien für die meisten an sich schon unvorstellbar. Ein Cyberkrieg vielleicht, ein Wettrüsten mit künstlicher Intelligenz und Daten eventuell, aber mitten in Europa doch kein Krieg mit Soldaten, Panzern und Bombenangriffen, um Territorium zu gewinnen und andere Nationen zu erobern – undenkbar!