Der Gefährte des Wolfes: Tristan - Rhianne Aile - E-Book

Der Gefährte des Wolfes: Tristan E-Book

Rhianne Aile

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Beschreibung

Ein Fluch. Zwei Männer. Ein Schicksal. "Sie wissen wahrscheinlich, dass Anne für eine Hexe gehalten wurde, die Ihren Vorfahren verflucht hat, bevor sie gestorben ist. Ich weiß, dass Ihre Familie die Auswirkungen dieses Fluchs bis zum heutigen Tag spürt… genauso wie meine." Auf der Suche nach einem Weg, die Schuld der Vergangenheit zu begleichen, begibt sich Tristan zu ihrem Ursprung – und findet dort seine Zukunft. Fortsetzung: "Der Gefährte des Wolfes: William"

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Dezember 2012

Für die Originalausgabe:

© 2009 by Rhianne Aile

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Cursed«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2012 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der elektronischen

oder anderweitigen Vervielfältigung, der Einspeicherung und

Verarbeitung in elektronischen Systemen, der Übersetzung, des

öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung durch Rundfunk

und Fernsehen, auch einzelner Teile, Nachdruck, auch auszugs-

weise, nur mit Genehmigung des Verlages.

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte Umschlagillustration: konstantynov

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz & Layout: Cursed Side (GbR)

ISBN ePub: 978-3-95823-514-4

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Ein Fluch. Zwei Männer. Ein Schicksal.

»Sie wissen wahrscheinlich, dass Anne für eine Hexe gehalten wurde, die Ihren Vorfahren verflucht hat, bevor sie gestorben ist. Ich weiß, dass Ihre Familie die Auswirkungen dieses Fluchs bis zum heutigen Tag spürt… genauso wie meine.«

Auf der Suche nach einem Weg, die Schuld der Vergangenheit zu begleichen, begibt sich Tristan zu ihrem Ursprung – und findet dort seine Zukunft.Fortsetzung: »Der Gefährte des Wolfes: William«

Aus dem Englischen von Julie Biedermann

Für Cat.

Kapitel 1

London ~ Heute

Tristan Northland lief in seinem Zimmer hin und her und hob alle möglichen Dinge auf, um sie in den Koffer zu packen, der offen auf dem Bett lag. Er hielt inne und überflog noch einmal den ganzen Inhalt: Kleider, Schuhe, Großmutters Buch der Schatten, sein eigenes, in Leder gebundenes Tagebuch und eine kleine, mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Holzkiste, die diverse Steine, Kristalle und einige wertvolle Gerätschaften enthielt, die sorgfältig in Seide eingeschlagen waren.

Er hatte einen ganzen Schrank voller magischer Utensilien und Nachschlagewerke in seinem Arbeitszimmer, aber er konnte nicht alles, was er möglicherweise gebrauchen könnte, übers Meer transportieren. Alles, was absolut unverzichtbar war, hatte er eingepackt. Den Rest würde er – da war er sich ziemlich sicher – auch in New York bekommen.

William betrat das Zimmer und betrachtete seinen Bruder, der gedankenverloren auf seinen Koffer starrte.

»Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mindestens sechs von der Sorte brauchen.«

Tristan schreckte aus seinen Gedanken hoch, grinste seinem Zwilling entgegen und zog ihn in eine enge Umarmung, sodass seine Stirn Williams berührte. Dabei fielen ihnen die dunklen Locken wie ein Vorhang ins Gesicht und schirmten den privaten Moment vor der Außenwelt ab.

»Ich glaube, deine Haare sind noch länger geworden als meine«, bemerkte Will. »Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst?«

Tristan zog den Reißverschluss des Koffers zu und ließ sich daneben auf dem Bett nieder. »Ich glaube nicht, dass ich eine Wahl habe. Unsere Vorfahrin ist dafür verantwortlich, dass die Sterling-Familie jetzt schon seit fast einem halben Jahrtausend unter einem entsetzlichen Fluch leiden muss. Wenn es auch nur die geringste Chance gibt, dass ich ihn brechen kann, muss ich es versuchen.«

»Aber vielleicht solltest du ihm zuerst schreiben. Herausfinden, ob er überhaupt möchte, dass du kommst.«

Tristan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will ihm nicht die Gelegenheit geben, schon vorher abzublocken. Er hat allen Grund dazu, der Northland-Familie nicht zu trauen. Ich hoffe einfach darauf, dass es für ihn schwieriger sein wird, mich wieder wegzuschicken, wenn ich erstmal da bin, als einen Brief zu zerreißen.«

William zog seinen Zwillingsbruder auf die Füße und in eine weitere, feste Umarmung. »Sei vorsichtig. Ich habe Angst davor, die zweite Hälfte meiner Seele zu verlieren.«

Ernst blickte Tristan seinem Bruder in die Augen. Sie hatten sich schon immer näher gestanden als normale Geschwister, sogar näher als normale Zwillinge. Sie waren in der Lage, die Gedanken und Gefühle des jeweils anderen zu lesen und teilten die übersinnlichen Fähigkeiten ihrer Großmutter.

William hatte das zweite Gesicht geerbt, das ihm Vorahnungen bescherte und Tristan die Gabe, die Kraft der natürlichen Elemente zu bündeln. Seit dem Geschwisterpaar, das die Sterlings verflucht hatte, waren sie seit langem wieder die ersten Zwillinge, die in der Familie Northland zur Welt gekommen waren.

Es schien auf eine schicksalhafte Weise gerecht, dass einer von ihnen den Fluch brechen würde, da eine des ersten Zwillingspaares ihn gewirkt hatte.

***

Kolonie New York ~ 1668

Edward Northland rannte durch den Wald, zitternd und schwitzend vor Angst. Die Aura schwarzer Magie lag bedrohlich in der Luft. Er konnte die Wut seiner Zwillingsschwester spüren, ihr gebrochenes Herz, das sich durch den Verrat ihres Liebsten verhärtet hatte. Er betete, dass er es noch rechtzeitig schaffen würde, und folgte der geradezu magnetischen Anziehungskraft gewaltiger Energien.

»Bitte, bitte tu es nicht!«, flehte er seine Schwester durch ihre geistige Verbindung an und schickte seine Gebete an eine eindrucksvolle Anzahl von Gottheiten in der Hoffnung, sie würden eingreifen, bevor es zu spät war.

Anne hatte sich immer über seine Liebe zu Büchern und Nachforschungen lustig gemacht, da sie einen sehr viel natürlicheren und ursprünglicheren Zugang zu ihrer Gabe besaß.

Die Bäume standen inzwischen weniger dicht beieinander, als er sich der Lichtung näherte, wo der silberne Schein des Mittsommer-Vollmondes ungehindert bis auf den Waldboden hinab fiel. Jetzt konnte er die Stimme seiner Schwester hören, hart und kalt, ganz anders als ihr sonst so fröhlicher Tonfall.

Der Rauch, der von der Lichtung aufstieg, war erfüllt vom Geruch verschiedener Kräuter. Schwarze Magie lag hier so drückend in der Luft, dass seine Augen brannten. Erschrocken keuchte er auf, als Annes Gesang, der ihre Macht beschwor, sich plötzlich zu einem kompliziert geschmiedeten Fluch wandelte.

»Anne, nicht!«, rief er, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie stand im Zentrum der Lichtung, umgeben von zwei Kreisen, einem aus Steinen und einem aus Bäumen. Edward brach in die Knie, nicht willens, ihren Schutzkreis zu durchbrechen. Bei den finsteren Kräften, die sie anrief, würde das Aufheben der Schutzkreise mit ziemlicher Sicherheit ihren Tod bedeuten. Sein Blick fiel auf ihren Leib, der durch die Schwangerschaft bereits gerundet war. Was würde das heraufbeschworene Böse diesem unschuldigen, ungeborenen Leben antun?

»Du wirst uns alle ins Unglück stürzen!«, schrie er in seiner Verzweiflung.

»Er verdient die ewige Verdammnis. Ein einziges Leben voller Schmerz reicht nicht aus. Ich verfluche ihn, so wie er uns verflucht hat«, gab Anne zur Antwort.

Sie stellte sich das Gesicht ihres Liebsten in den Flammen vor, die aus dem Kessel vor ihr schlugen. Dann warf sie ein Tuch, befleckt mit seinem Samen ins Feuer, gefolgt von einer Handvoll sorgfältig ausgewählter Kräuter. Mit einer schnellen, aber präzisen Bewegung, schnitt sie sich in die Handfläche und fügte dem bösen Zauber zuletzt auch noch ihr Blut hinzu.

»Zorn für Zorn, Schmerz für Schmerz, Leben für Leben, Blut für Blut«, sprach sie, wiegte sich dabei hin und her und strich über ihren Bauch.

»Anne, bitte! Tu das nicht!«

»So wie unser Sohn einsam wandeln wird, beschmutzt von einem Fluch, den er schuldlos trägt, so soll es auch deinem beschieden sein«, fuhr Anne fort und ignorierte das Flehen ihres Bruders.

Edward war ein Mann und es war auch ein Mann gewesen, der ihr Herz eingefangen und dann gedankenlos gebrochen hatte. Mit einem Fußtritt hatte er ihr Herz zerschmettert und einer anderen die Ehe versprochen.

»So, wie er von den Menschen gemieden wird, so soll es auch deinem geschehen.«

Edward durchsuchte seine Taschen. Er war dankbar für seine Angewohnheit, immer sein Tagebuch und etwas Kohle mit sich zu führen, ehe er begann, hastig mitzuschreiben. Vielleicht würde er in seinen Büchern etwas finden, um diesen schrecklichen Fluch wieder zu lösen.

»Dein Erstgeborener wird die Verlockung der Nacht und die Lust des Mondes erleben«, intonierte Anne und blickte zu der silbernen, kreisrunden Scheibe auf, die am nachtschwarzen Himmel hing, während Tränen über ihr Gesicht strömten. »So wie sein Sohn und der Sohn seines Sohnes, solange der Samen der Sterlings Früchte trägt.«

Während ihrer Sprechpausen suchte Edward fieberhaft den Boden der Lichtung ab, sammelte Zweige von Eberesche, Pappel und Weide und streute sie um Annes Kreis herum. Dabei flüsterte er Worte des Schutzes in der Hoffnung, sie würden wenigstens einen Teil der magischen Kraft abwehren, um den Fluch zu mildern.

»Vom Sonnenuntergang des ersten Vollmondes an, nachdem ein Sterling zum Manne gereift ist, wird das Biest von ihm Besitz ergreifen. Blut wird zu seinem Wein werden, der Hunger seine Seele erfüllen und er wird sich in eine Kreatur wie aus einem Alptraum verwandeln. Er wird die Lust einer Frau erfahren, aber niemals ihre Liebe und er wird nimmermehr Frieden finden, während er sucht, wonach sein Herz sich sehnt. So wird es beginnen, so wird es bleiben, bis die eine, die wahre Liebe, die hätte sein sollen, endlich erblüht. So möge es sein.«

Edward legte sein Tagebuch beiseite und starrte Anne an, die die beschworenen Kräfte wieder erdete und den Schutzkreis löste. Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie so unerbittlich gehandelt hatte.

Sie wusste um die Gefahr, einen Zauber zu wirken, der anderen Schaden zufügte, ganz besonders dann, wenn er im Zorn gesprochen worden war. Der Fluch würde dreifach auf Anne zurückfallen. Aber durch ihren Schmerz hatte sie all die gewissenhaften Lehren ihrer Großmutter ignoriert.

Da sie die gesamte Linie der Sterlings verflucht hatte, würde ihre Tat auch auf die gesamte Familie der Northlands zurückfallen. Er konnte sie beinahe hören, die herzzerreißenden Schreie der unschuldigen, ungeborenen Kinder.

Anne trat auf ihn zu, ihre Augen erfüllt von Hass und Triumph.

»Damit hast du nichts gewonnen, Schwester«, sagte Edward, stand auf und klopfte sich die Blätter von der Kleidung. »Stattdessen hast du uns alle verdammt. Wie konntest du das nur tun?«

»Wie ich das tun konnte? Frag‘ doch denjenigen, der mein Herz und meine Unschuld gestohlen hat.«

Kopfschüttelnd schloss Edward sein Tagebuch und schob es zurück in seine Tasche. »Was hast du da?«, fragte Anne misstrauisch und ihre Augen blitzten.

»Ich habe deine Worte aufgeschrieben. Ich werde hoffentlich einen Weg finden, um diesen Fluch zu brechen.«

»Du musst es zerstören!«, befahl Anne. »Es ist ein Beweis schwarzer Magie. Wir werden beide verbrannt werden.«

»Nein, Schwester. Ich werde es gut verbergen und im Geheimen studieren, und was immer die Konsequenzen dieser Nacht sein werden, wir werden sie beide akzeptieren. Die einzige Hoffnung, das Böse zu beenden, das du beschworen hast, steht auf diesem Papier. Sollte ich scheitern, so wird in der Zukunft vielleicht jemand Klügeres als ich Erfolg haben.«

***

New York ~ Heute

Unruhig ging Benjamin Sterling in seinem Büro auf und ab und hielt schließlich vor dem Fenster inne. Der Mond war schon jetzt deutlich am späten Nachmittagshimmel zu erkennen. Noch war der Vollmond eine ganze Woche entfernt, doch er spürte bereits seinen mächtigen Einfluss.

Er musste seine Arbeit in der Stadt schnell abschließen und auf seinen Landsitz zurückkehren, wo er die Nacht über jagen konnte, ohne eine Entdeckung fürchten zu müssen.

Penelope Marsden, seine Assistentin, schlüpfte unauffällig ins Zimmer und wartete schweigend darauf, von ihm bemerkt zu werden.

»Ja, Penny?«, fragte Benjamin, während er an seinen Schreibtisch zurückging und halbherzig versuchte, seine Gedanken zu ordnen, indem er durch die Akten blätterte, die auf der Platte lagen.

»Draußen steht ein junger Mann, der zu Ihnen möchte, Sir. Er sagt, er sei aus London angereist und wird nicht wieder gehen, bis er persönlich mit Ihnen gesprochen hat.«

»Ich empfange niemanden, der keinen Termin hat«, fauchte Benjamin.

»Das habe ich ihm auch gesagt, Sir. Er antwortete, ich solle Ihnen ausrichten, sein Name sei Tristan Northland.«

Allein bei der Erwähnung dieses Namens sträubten sich ihm die Nackenhaare. Er hatte noch nie jemanden aus der Familie Northland getroffen, aber wenn man die Umstände ihrer Familiengeschichte bedachte, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass es sich um einen Zufall handelte.

Als er noch jünger gewesen war, hatte er jeden noch so kleinen, möglicherweise relevanten Papierschnipsel gesammelt in dem sinnlosen Versuch, eine Heilung für den Fluch zu finden, der auf ihm lag. Zahllose Briefe, Tagebücher und ausführliche Beschreibungen darüber, wie seine Vorfahren versucht hatten, sich von der Krankheit, die sie befallen hatte, zu befreien, hatten ihn zu der Überzeugung gebracht, dass es keine Heilung gab.

Von diesem Zeitpunkt an hatte er seine Anstrengungen darauf konzentriert, sein Leben so normal wie möglich zu gestalten. Er häufte ein Vermögen an, das es ihm erlaubte, nach Belieben zu reisen und mehrere Häuser umgeben von hunderten Hektar Land zu besitzen.

Während seiner Recherche hatte er auch die Archive der Stadt und der Kirche ausführlich durchsucht, aber nachdem die Hexe Anne Northland bei der Geburt ihres Kindes gestorben war, war ihr Zwilling offenbar von der Erdoberfläche verschwunden.

Und heute, sinnierte Benjamin, tauchte plötzlich vollkommen unerwartet sein Nachfahre auf.

Als ihm bewusst wurde, dass Penny immer noch geduldig auf Anweisungen wartete, lehnte er sich in seinem Sessel zurück.

»Schicken Sie ihn rein.«

Penny wurde gut dafür bezahlt, alles mit geschäftsmäßiger Professionalität hinzunehmen. Ihre persönliche Meinung über das seltsame Verhalten ihres Chefs behielt sie wohlweislich für sich. Sie huschte durch die polierte Mahagonitür hinaus, nur um wenige Augenblicke später mit einem schlanken, jungen Mann im Schlepptau zurückzukehren.

»Mr. Tristan Northland, Sir«, kündigte sie ihn an, bevor sie sich zurückzog und die Tür hinter sich schloss.

Benjamins erster Gedanke war, dass der Name wie kein zweiter zu seinem Besucher passte; einzigartig, altmodisch und auch ein wenig romantisch. Der Geruch des jungen Mannes stieg ihm in die Nase und ließ seinen Körper auf überraschende Weise reagieren.

Tristan roch nach Bäumen, Moos, dem Blätterdach eines dichten Waldes und Benjamin wollte seine Nase an seinem Hals reiben und den Duft tiefer einatmen. Der Fremde war groß und schlank mit sehnigen Muskeln.

Aber die Details, die am meisten ins Auge stachen, waren die kastanienbraune Farbe seiner Augen und das gleichfarbige Haar, das ihm bis über die Schultern fiel und sich in weichen Locken aus dem Band gelöst hatte, das es zu bändigen versuchte.

Nervös trat Tristan von einem Bein aufs andere, während er immer noch in der Tür stand und offensichtlich nicht wusste, was er als nächstes tun sollte.

»Ah... danke, dass Sie mich empfangen. Mir wird gerade bewusst, dass einfach in ein Flugzeug zu springen, ohne vorher anzurufen, vielleicht nicht unbedingt die beste Entscheidung war, die ich je getroffen habe. Aber ich wollte unbedingt mit Ihnen reden, also...«

Benjamin roch die Furcht, die von dem jungen Mann ausging, und konnte sehen, wie sein Puls in der Halsgrube flatterte. Auch wenn er es hasste, hatte er immer schon wie ein Raubtier instinktiv auf Angst reagiert. Sein ganzer Körper schrie nach Angriff und es gab nichts, das er sich in diesem Moment mehr wünschte, als seine Zähne in diese heftig pulsierende Ader zu schlagen.

»Reden Sie immer so dummes Zeug, wenn Sie nervös sind?«, fragte er in äußerst sachlichem Tonfall und versuchte dabei, die Signale zu ignorieren, die sein Besucher unbewusst aussandte. Wenn es ihm gelang, den jungen Mann dazu zu bringen, sich zu entspannen, würden seine Angriffsinstinkte und der dazugehörige Blutdurst ebenfalls schwinden.

Tristan unterbrach sein Stammeln und ein entwaffnendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ein Lächeln, das eben dieses Gesicht fast unerträglich schön machte.

»Ja, um ehrlich zu sein, mache ich das oft. Will – mein Bruder – sagt, ich bin nicht gut darin, meine Gefühle zu verstecken. Jeder kann sie mir vom Gesicht ablesen.«

»Das muss nicht zwingend etwas Schlechtes sein«, murmelte Benjamin und ging um seinen Schreibtisch herum zu einem Beistelltischchen, auf dem eine Sammlung von Kristallkaraffen und Gläsern bereitstand. »Aber spielen Sie lieber kein Poker. Setzen Sie sich doch, Mr. Northland«, sagte er dann und deutete auf eine Gruppe tabakfarbener Ledersessel. »Möchten Sie einen Drink?«

»Ähm... nein, danke. Alkohol verträgt sich nicht sehr gut mit mir, im Gegenteil, ich fürchte, er verschlimmert nur das Plappern.« Tristan grinste erneut und zuckte mit den Schultern, als er seinen geschmeidigen Körper in einen der Sessel gleiten ließ.

Sich selbst schenkte Benjamin eine großzügige Portion Scotch ein und wählte dann den Platz, der Tristan gegenüber lag. Einer der Nebeneffekte seiner magischen Krankheit war ein erhöhter Stoffwechsel.

Er konnte so ziemlich jeden unter den Tisch trinken, während die Wirkung an ihm nahezu spurlos vorüberging. Ein Umstand, der ihm schon bei vielen abendlichen Geschäftsessen Vorteile eingebracht hatte. Es war eher das Gefühl des schweren Glases in der Hand, der etwas rauchige Duft des Scotch und das seidige Gefühl auf der Zunge, das er beruhigend fand.

»Also, Mr. Northland, Sie sind eine weite Strecke geflogen und haben es geschafft, mit mir zusammen in meinem Büro zu sitzen. Erfahre ich jetzt, warum Sie hier sind?«

»Oh, ja, natürlich. Aber könnten wir vielleicht auf das Mr. Northland verzichten? Mr. Northland war mein Vater und immer, wenn ich seinen Namen höre, erwarte ich, dass er hinter mir steht. Wenn man bedenkt, dass er seit fünfundzwanzig Jahren tot ist, ist das eine ziemlich gruselige Angelegenheit. Einfach Tristan, bitte.«

Zustimmend nickte Benjamin. Obwohl er sich vorgenommen hatte, seine Gefühle nicht zu zeigen, so konnte er doch nicht verhindern, dass sein Mundwinkel im Anflug eines Lächelns nach oben zuckte.

»Tristan«, gab er nach und der Name rollte mit derselben Befriedigung über seine Zunge wie der Scotch.

»Danke. Also… inwieweit sind Sie mit den Begebenheiten zwischen unseren Familien vertraut?«, begann Tristan und unterdrückte den Wunsch, aufzustehen und im Zimmer auf und ab zu wandern. Stattdessen verschränkte er die Hände unter einem seiner Knie und zog es bis zur Brust hoch, wobei er den Fuß auf der Sitzfläche des Sessels abstellte.

Nachdem er über Jahre hinweg seine Geheimnisse sorgfältig verborgen hatte, war Benjamin verständlicherweise übervorsichtig mit seiner Familiengeschichte geworden. Er wollte keinesfalls zu viel davon preisgeben.

»Ich weiß, dass mein Vorfahre Lucas Sterling ein Mädchen aus der Umgebung unehelich geschwängert hat. Das Mädchen hieß Anne Northland. Das war irgendwann im späten siebzehnten Jahrhundert. Kurz danach verließ Lucas Anne, um eine junge Frau aus gutem Haus zu heiraten, die aus Boston stammte. Sowohl Anne als auch das Kind sind angeblich bei der Geburt gestorben.«

Tristan nickte immer wieder, während Benjamin erzählte. Er zweifelte nicht daran, dass Benjamin noch sehr viel mehr wusste, darüber aber offensichtlich jetzt noch nicht sprechen wollte. Tristan konnte es ihm nicht verübeln. Falls es ihm gelingen würde, das Vertrauen dieses Mannes zu gewinnen, war er sich sicher, dass sie den Fluch brechen konnten.

Und die einzige Möglichkeit, dieses Vertrauen zu gewinnen, war, ihm ebenfalls zu vertrauen – und das zuerst. Aufgrund des Fluchs hatte sehr viel Unglück die Familie Northland befallen, aber darunter war nichts, das ihm oder William schaden würde, wenn es ans Tageslicht kam.

»Sie wissen wahrscheinlich, dass Anne für eine Hexe gehalten wurde, die Ihren Vorfahren verflucht hat, bevor sie gestorben ist. Ich weiß, dass Ihre Familie die Auswirkungen dieses Fluchs bis zum heutigen Tag spürt… genauso wie meine.«

Die letzte Aussage ließ Benjamin hellhörig werden. Meinte Tristan damit etwa, dass seine eigene Familie ebenfalls unter dem abscheulichen Fluch der Sterlings leiden musste?

»Wollen Sie damit sagen, auf uns lastet derselbe Fluch?«

»Oh, nein, auch wenn ich finde, dass das eigentlich gerecht wäre.« Ein reuevoller Ausdruck huschte über Tristans Gesicht. »Wie viel wissen Sie über Magie, Benjamin? Kann ich Sie Benjamin nennen oder ist Ihnen Mr. Sterling lieber?«

»Benjamin ist in Ordnung, ich spreche Sie ja auch mit Ihrem Vornamen an. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich weiß mehr darüber, als mir lieb ist.«

Der bittere Tonfall in Benjamins Stimme ließ Tristan erneut grinsen. »Das kann ich mir vorstellen. Magie folgt den karmischen Gesetzen des Universums. Was immer man aussendet, kehrt dreifach wieder zu einem zurück. Anne mag Ihre Familie ganz gezielt verflucht haben, aber die Absichten ihres Zaubers sind auf ihre eigene Familie zurückgefallen. Ihr Plan war es, Lucas Sterling und all seinen Nachkommen die Liebe zu verweigern. Aber auch jedes Mitglied der Northlands, das die wahre Liebe gefunden hat, hat seinen oder ihren Partner durch einen sehr frühen Tod verloren. Obwohl wir zugegebenermaßen auch schon ein paar Familienmitglieder hatten, die mit Partnern, die sie nicht ausstehen konnten, steinalt geworden sind.«

Als Benjamin sein Glas auf dem Tisch neben sich abstellte, bemerkte er, dass seine Hände leicht zitterten. Er legte die Fingerspitzen zusammen und betrachtete den Mann, der ihm gegenüber saß. Verhandlungen waren oftmals wie ein Schachspiel. Um sich in eine bessere Position zu manövrieren, musste man einige Figuren opfern.

»Sie sagen also, Sie verstehen den Kern meines Fluchs?«

Tristan nickte ernst. »Ich glaube schon, ja. Ich denke, dass Sie – wie jeder erstgeborene männliche Sterling – an einer bestimmten Form von Lykanthropie leiden. Basierend auf den Tieren, die Sie auf ihrem Anwesen züchten, würde ich auf Werwolf tippen.«

Kapitel 2

Nach Tristans überraschendem Besuch hatte sich Benjamin unmöglich weiter auf seine Arbeit konzentrieren können und deshalb Penny die Anweisung gegeben, seinen Wagen vorfahren zu lassen. Er hatte Tristan angeboten, ihn zu seinem Hotel mitzunehmen, nur um zu erfahren, dass der noch gar keins gebucht hatte. Offensichtlich hatte er es hier mit einem besonders spontanen Exemplar zu tun.

Daraufhin hatte Benjamin den jungen Briten dazu eingeladen, bei sich zu wohnen. Sich selbst redete er ein, dass er dieses Angebot nur aus reiner Höflichkeit machte, wusste jedoch gleichzeitig, dass er sich damit etwas vormachte. In Wirklichkeit wollte er Tristan, der so unerwartet sein Interesse erregt hatte, so lange in seiner Nähe behalten, bis er herausgefunden hatte, wie vertrauenswürdig er war.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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