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Die neue lustige Buchreihe für Kinder ab 8 von Erfolgsautorin Stefanie Taschinski bringt magisches Chaos in die Schule! Als Herr Kreideweiß auf seinem Rennrad zur Schule fliegt, ist Matti und Emil sofort klar: Mit ihrem neuen Klassenlehrer stimmt was nicht! Im Unterricht sausen Bücher durch die Luft, und das zottelige Stoffschaf Rüdiger zwinkert ihnen quicklebendig zu. Es verrät ihnen: Lukas Kreideweiß hat Magie geerbt, und eigentlich soll Rüdiger ihm dabei helfen, seine neuen Kräfte zu bändigen. Doch das neunmalkluge Schaf denkt nicht daran! Als in der Sportstunde plötzlich sogar Emil zum rasanten Flug abhebt, ist klar: Ein Plan muss her, damit Herr Kreideweiß und Rüdiger endlich zusammenarbeiten! Aber da nimmt das Chaos erst so richtig Fahrt auf ... Die lustigste Geschichte, seit es Zauberei und freche Schafe gibt! Hinreißend erzählt und voller lustiger Einfälle von Stefanie Taschinski, der preisgekrönten Erfolgsautorin von "Familie Flickenteppich", "Funklerwald" und "Die kleine Dame". Für Kinder ab 8 Jahren und für die ganze Familie. Die Geschichte handelt vom turbulenten Schul-Alltag rund um einen unfreiwillig magischen Lehrer und seine Schüler*innen - liebevoll und witzig farbig illustriert von Nikolai Renger.
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Seitenzahl: 169
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Auch als Hörbucher bei Arena Audio.
Für meine Lehrerin, Jutta Kastens,die mir Flügel schenkte
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2022© 2022 Arena Verlag GmbHRottendorfer Straße 16, 97074 WürzburgAlle Rechte vorbehalten
Text: Stefanie TaschinskiCover und Innenillustrationen: Nikolai RengerLektorat: Antonia Thiel
E-Book ISBN 978-3-401-81010-2
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Die Geschichte des genialen Herrn Kreideweiß begann mit einem sonderbaren Brief. Andere hätten den krötengrünen Umschlag vermutlich in den nächsten Papierkorb geworfen. Lukas Kreideweiß tat etwas anderes.
Er las den Brief.
Meinem Großneffen,Lukas Kreideweiß,
vererbe ich
das wuulige Glücksschaf zuzüglichdem kichernden Koffer, wohlgepackt,samt des legendären Levitatus QX100,vom Lenker bis zur Speichegänzlich intakt.Dass ich dich Worte und Bräuchenicht mehr lehren kann,mein Junge, tut mir sehr leid.Doch nach einhundertsieben Jahrenverstreicht meine Zeit.Bald schon wirst du beherrschendeine neuen Kräfteund fortführen Schloss Krötenfels’Geschick und Geschäfte.
Grüß mir die Sonne,Dein Onkel Ludwig L. Kreideweiß
PS: Falls du es nicht wusstest – als dein Großonkel bin ich der Bruder deiner Oma Auguste. Aber das hat sie dir ja sicherlich gehustet.
Die dicke Waldhummel landete auf dem Schild, das unter einem der Zugfenster befestigt war. Sie schnaufte erleichtert und tippelte über die schwarzen Buchstaben. Auf dem kleinen Ö von »Krötenexpress« blieb sie sitzen. Um ein Haar hätte sie den Zug verpasst! Die schnellste und vor allem bequemste Verbindung in den Krötenwald.
Nirgends auf der ganzen Welt wuchsen die Waldröschen und Glockenblumen so dicht, dass man sich von Blüte zu Blüte fallen lassen konnte. Die Hummel summte zufrieden, ordnete ihre Flügel und machte es sich bequem für die Reise. Mit einem Ruck setzte sich die Lokomotive in Bewegung.
Im letzten Waggon saß ein weiterer Fahrgast, der allerdings nicht ganz so zufrieden war. Im Gegenteil, er strich über seine blonden Bartstoppeln und fluchte leise. Er ahnte, dass es sich bei diesem sonderbaren Brief nur um eine dumme Verwechslung handeln konnte. Zwar waren sein Name, Lukas Kreideweiß, und auch seine Adresse, Krötengasse 13 a, absolut korrekt geschrieben, aber dennoch konnte er keinesfalls gemeint sein! Schließlich hatte ihm in seinem ganzen Leben kein Mensch – auch nicht seine Oma Auguste – von einem Onkel Ludwig erzählt, der ein Schloss besaß! Hinzu kam, dass diese unerwartete Reise gar nicht in Lukas Kreideweiß’ Zeitplan passte. Am kommenden Montag startete das neue Schuljahr, und bis dahin hatte er noch SO VIEL vorzubereiten!
Durch das geöffnete Fenster hörte Lukas die Lokomotive schnaufen. Er blickte hinaus und mit wachsendem Unbehagen registrierte er, wie steil die Schienen zwischen den Felswänden hinaufführten. Lukas konzentrierte sich lieber auf die dicke Hummel, die draußen über die Scheibe krabbelte. Der Zug ächzte, wurde eine Spur langsamer – und plötzlich rollte er ein Stück zurück! Die Hummel versetzte ihre Flügel in Schwingung und hob brummend ab.
Im nächsten Moment stieß die Lokomotive einen markerschütternden Pfiff aus, dass sich Lukas’ Nackenhaare aufstellten. Er konnte ja nicht wissen, dass der Krötenexpress an dieser Stelle immer kurz zurückfederte, bevor er mit Volldampf die letzten Meter in Angriff nahm. Gerade als Lukas fürchtete, dass sie ins Tal rollen würden, fuhr der Zug mit einem Ächzen an und kämpfte sich den Berg hinauf.
Worauf hatte er sich bei dieser Reise nur eingelassen? Lukas fielen die Worte ein, mit denen der Fahrkartenverkäufer seine Frage nach Schloss Krötenfels am Großkrötensee quittiert hatte: »Da gibt es nur viele fette Kröten. Und wenn Sie ein Schloss besichtigen wollen, dann müssen Sie das erst noch bauen.«
Lukas seufzte. Hätte er den Brief bloß ins Altpapier geworfen! Während er noch darüber nachgrübelte, rollte die Lokomotive oben in die Bahnstation ein und kam mit einem triumphierenden Pfiff zum Halten.
Endstation. Er war im Krötenwald angekommen. Hier gab es nichts außer Bäumen und Felsen. Von einem Schloss Krötenfels war wirklich nichts zu sehen. Kein Wunder, denn diesen Onkel Ludwig gab es vermutlich sowieso nicht.
Es schien Lukas also das Klügste zu sein, überhaupt nicht auszusteigen, sondern einfach im Waggon zu warten, bis es wieder zurück ins Tal ging.
Rund um den Zug verstummten die Geräusche. Kein Zweig knackte. Kein Eichhörnchen keckerte. Keine Eidechse huschte durchs Gras. Es war, als habe jemand mit einem Fingerschnippen die Klänge des Waldes stumm geschaltet. Lukas schlug die langen Beine übereinander. Die Minuten krochen im Schneckentempo dahin, und die Stille dehnte sich aus. Wann fuhr der Zug endlich wieder ins Tal zurück? Lukas begann, auf seinem Sitz hin und her zu zappeln, und da knisterte es leise. Das war der Brief in seiner Hosentasche! Widerwillig zog er ihn hervor. Zugegeben, er sah ziemlich echt aus. Und wieder stach Lukas das eine Wort ins Auge, das seine Fantasie beflügelt und ihn in diesen Zug gelockt hatte.
Levitatus QX100
Es half alles nichts! Lukas musste wissen, was dieses Levitatus-Dings war. Die Lok gab abermals ein Pfeifen von sich. Lukas packte seinen Rucksack, und als er mit einem gekonnten Sprung hinaushechtete, rollte der Zug bereits an. Und genau in der Sekunde, in der Lukas Kreideweiß den Boden berührte, atmete der Krötenwald mit all seinen sichtbaren und unsichtbaren Bewohnern tief durch. Während er sich auf den Weg in Richtung des Sees aufmachte, schlemmte eine kleine, dicke Hummel genüsslich Glockenblumenhonig.
Der Großkrötensee lag tief im Wald. Er war größer, als Lukas erwartet hatte. Die Sonne blendete ihn, sodass er außer einer schimmernden Scheibe kaum etwas erkennen konnte. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und ließ den Blick über den See gleiten. Tja, da war Wasser, sehr viel Wasser, und schmale Tannen, die sich im See spiegelten.
Lukas spürte einen Stich der Enttäuschung. »Bald schon wirst du beherrschen deine neuen Kräfte und fortführen Schloss Krötenfels’ Geschick und Geschäfte«, murmelte er. Das Flimmern und Glitzern auf dem Wasser schien sich zu verstärken. »Meinem Großneffen, Lukas Kreideweiß, vererbe ich …« Und da – wie aus dem Nichts zeichnete sich ein Umriss in der Mitte des Sees ab. War da doch etwas? Eine Insel? Jetzt konnte Lukas es deutlich sehen: Auf der Insel stand ein Schloss – ein ziemlich hässliches Schloss. Es hatte einen schiefen Turm und bucklige graugrüne Steine.
»Schloss Krötenfels«, raunte er. Die Frage war nur, wie er zum Schloss gelangen sollte. Natürlich war niemand gekommen, um ihn abzuholen, und eine Telefonnummer hatte er nicht. Aber easy-peasy – er würde einfach hinüberschwimmen.
Lukas lief auf eine sandige Bucht zu, wo das Ufer sanft abfiel. Die Luft war warm, und nach dem langen Stillsitzen im Zug war er mehr als bereit für ein bisschen Bewegung. Voller Vorfreude zog er Schuhe und Socken aus. Ihm war zwar nicht ganz klar, wie er seine Erbstücke schwimmend transportieren sollte. Aber dafür würde ihm, wenn es so weit war, noch eine Lösung einfallen. Er hatte sich das T-Shirt eben über den Kopf gezogen, als er ein Boot im Schilf entdeckte.
»So ein Pech!«, rief er. »Wer will schon Boot fahren?« Maulig hob er seine Sachen auf, warf sie ins Boot und stieg ein. Er ließ den Motor an und überlegte kurz, ob er etwa doch erwartet wurde. Aber als er das Motorboot an die Anlegestelle der Insel steuerte, blieb der Platz vor Schloss Krötenfels leer.
Drei Stufen führten aus dem Wasser nach oben. Lukas schaute zu den steinernen Tieren, die den Zugang zur Insel bewachten. Links hockte ein großer Hase, der einen Ball in den Pfoten hielt. Rechts saß eine ebenso große Kröte mit einem Buch. Lukas’ Blick wanderte schnell weiter, denn nur wenige Meter entfernt entdeckte er es: An einem großen Koffer lehnte das coolste Rennrad, das Lukas jemals gesehen hatte. Ohne zu zögern, sprang er aus dem Boot und rannte die Stufen hoch. Das war das Levitatus QX100! Bewundernd strich er über das blauschwarz lackierte Metall. Wow! Wow! Megawow! Allein für dieses Rennrad hatte sich die ganze Reise gelohnt.
Als Lukas den Koffer und das ultraleichte Rennrad zum Boot tragen wollte, hätte er das zottelige Stoffschaf, das ein paar Meter weiter im Staub lag, um ein Haar übersehen. Er hob es auf und klemmte es sich unter den Arm.
Nachdem er alles im Boot verstaut hatte, drehte er sich zum Schloss um. Aus der Nähe, stellte er überrascht fest, wirkte es gar nicht so grottenhässlich. Auf dem Vorplatz befand sich ein steinerner Brunnen, in den Fenstern flatterten helle Vorhänge, und rund um den schiefen Turm kreiste ein Schwarm bunter Papageien.
»Hallo!«, rief Lukas. »Hallo, ich nehme die Sachen mit! Also die Sachen, die mir mein Großonkel Ludwig vermacht hat.« Er zog den Brief aus der Hosentasche und hielt ihn hoch, damit ihn wer auch immer sehen konnte.
Niemand antwortete.
Niemand kam aus dem Schloss, um ihn aufzuhalten.
Doch gerade als Lukas den Brief wieder einstecken wollte, zischte ein kanariengelber Papagei dicht über seinen Kopf. Und ehe Lukas reagieren konnte, schnappte der Papagei sich den Brief mit seinem Schnabel und flatterte auf und davon.
Kopfschüttelnd stieg Lukas wieder ins Boot und machte sich auf den Rückweg. Ein leichter Nebel war aufgekommen, und Lukas musste aufpassen, dass er am anderen Ufer die richtige Stelle wiederfand. Deshalb bemerkte er nicht, wie sich das Schaf neben dem Koffer den Staub aus dem Fell schüttelte. Er sah nicht, wie es winkte, und der Hase und die Kröte auf der Insel winkten zurück.
Erst spätabends war Lukas von seinem Ausflug zum Großkrötensee zurückgekommen. Und nachdem er sämtliche Erbstücke in seiner Wohnung sicher verstaut hatte, war er zum Kühlschrank gegangen, um sich ein Käsebrot zu schmieren und ein großes Glas Milch einzuschenken. Er hatte die Fenster weit geöffnet, die Füße auf das Fensterbrett gelegt und in den sternenübersäten Nachthimmel hinaufgeschaut. Was er heute alles erlebt hatte!
Im Hinterhof der Krötengasse zirpten die Grillen, und irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund. Lukas linste wieder zu seinem funkelnden Rennrad hinüber und stürzte den letzten Schluck Milch hinunter. Dann sprang er auf. Auch wenn es schon spät war, er konnte keine Sekunde länger warten, sein neues Rad auszuprobieren!
Nur ein paar Straßen weiter überquerten unterdessen ein Hund, ein Mädchen und eine Frau den Parkplatz vor dem Supermarkt. Wie ein blasser Mond thronte die große Uhr in der Mitte des Platzes auf der Säule und tauchte alles in ein fahles Licht. Es war schon spät, bereits nach elf Uhr.
»Zora!«, rief das Mädchen. »Zora, zu mir!«
Ein Schnuppern, eine nasse Schnauze. »Nicht so drängeln!« Das Mädchen lachte und steckte der Hündin ein Leckerli zu. Zora schlappte sich zufrieden die Schnauze und lief wieder vor.
Matti liebte diese späten Abendrunden mit ihrer Mutter und Zora, der klugen, schwarz-grauen Mischlingshündin. Die letzte Gassirunde des Tages ging einmal um den zwölfgeschossigen Wohnklotz, in dem sie in der achten Etage wohnten, durch den Minipark vor dem Supermarkt und wieder zurück. An der Hand ihrer Mutter fühlte Matti sich sicher, und gleichzeitig war da stets dieses pritzelige Gefühl, als könnte genau an diesem Abend etwas Besonderes geschehen.
Matti, die mit vollem Namen Matilda hieß, seufzte wehmütig. Nur noch drei Abende, dachte sie, dann fing die Schule wieder an. Und sie hatte immer noch keine neuen Hefte, Stifte oder einen brauchbaren Tintenkiller bekommen.
Birthe, ihre Mama, zwirbelte an ihren Haaren. »Für ein paar Tage tut’s der alte doch noch?«
Zora hob den Kopf und kläffte.
»Klar, kein Problem!« Matti schob ihre Mütze ein Stückchen höher und lächelte. Wegen eines blöden Tintenkillers sollte ihre Mutter sich keine Sorgen machen. Dass sie das Ding nachmittags total zerkaut in Zoras Körbchen gefunden hatte, musste sie ihr ja nicht erzählen. Und in ein paar Tagen, wenn Mama erst ihr Geld für den Hundesitterjob bekommen hatte, würden sie sofort alles einkaufen, was Matti für das neue Schuljahr brauchte – oder zumindest alles, was sie bezahlen konnten. Und bis dahin durfte sie sich bestimmt Hellas Tintenkiller ausleihen. Seit der ersten Klasse war Hella ihre beste Freundin. Sie kam aus Schweden, mochte Tiere genauso gern wie Matti und konnte pfeifen wie eine Piratin.
Matti lag die Frage auf den Lippen, ob sie sich am Samstag mit Hella treffen durfte, als eine kräftige Windböe ihr von hinten den langen Pferdeschwanz über die Schulter pustete.
Die nächste Windböe wirbelte eine Zeitung in die Luft, und die übernächste ließ die Straßenlaternen wackeln.
»Hallo! Wo kommt das denn plötzlich her?«, fragte Birthe überrascht. »Lass uns einen Gang zulegen, Süße. Ich glaube, das gibt ein Unwetter.«
Ihre Mutter hatte den Satz noch nicht beendet, als Matti die rabenfederschwarzen Wolken bemerkte, die sich rasend schnell über ihren Köpfen zusammenzogen. Zora winselte und drückte sich gegen Mattis Bein.
Eine Böe jagte die nächste. Der Wind heulte durch die tiefen grauen Häuserschluchten, und im selben Moment begann es zu blitzen und Hagelkörner spritzten vom Asphalt hoch. Matti riss die Augen auf. »Mama!«
Rund um sie herum klatschten tennisballgroße Hagelkörner auf den Boden. Tennisballgroß! Zu dritt flüchteten sie sich in den nächsten überdachten Hauseingang. Zora kroch ängstlich in die hinterste Ecke, und Birthe hockte sich zu ihr, um sie zu beruhigen.
Matti starrte aus ihrem Unterschlupf nach draußen. Blitze jagten wie Raketen über den Himmel. Ein grüner, roter, ein regenbogenfarbener Blitz zuckten durch die schwarzen Wolken! Matti rieb sich die Augen. Feuerte da jemand Raketen vom letzten Silvester ab?
Ein ohrenbetäubendes Scheppern ließ sie zusammenfahren. Etwas flog über den Parkplatz durch die Luft, wurde um die eigene Achse gewirbelt und fiel dann krachend zu Boden.
»Mama, da ist was abgestürzt!«, rief Matti.
»Oh mein Gott!«, keuchte Birthe, und schon rannten sie zu dem Radfahrer, der in der Mitte des Parkplatzes lag. Zora war als Erste bei ihm. Mit ihrer Hundezunge schlabberte sie dem Mann quer über das Gesicht.
Birthe griff seine Hand. »Hey, hörst du mich? Ist bei dir alles okay?«
Der Mann stöhnte. »Kann … mal jemand den Waschlappen aus meinem Gesicht nehmen?«
Birthe seufzte erleichtert und zog Zora ein Stück zurück. »Er ist bei Bewusstsein.«
Der Mann blinzelte.
»Du hattest einen Unfall«, sagte Matti. »Der Sturm hat dich in die Luft gewirbelt.«
»Am besten ist, wir bringen dich in die stabile Seitenlage.« Birthe legte dem Radfahrer vorsichtig die Hand auf die Schulter und suchte mit der anderen die Taschen nach ihrem Handy ab. »Ich rufe einen Krankenwagen. Du bist richtig durch die Luft geflogen.«
Der Mann setzte sich langsam auf. Da, wo der Helm verrutscht war, hatte er eine blutige Schramme. »Durch die Luft?«
»Und mit Karacho runtergekracht!«, fügte Matti hinzu.
Der Mann sah zu seinem Rennrad. »Geflogen? Das kann nicht sein«, murmelte er. »Sicher nur eine Sturmböe, die mich hochgerissen hat.«
»Zum Glück hattest du einen Helm auf«, meinte Matti.
Der Mann tastete sich vorsichtig Kopf, Arme und Beine ab. »Es scheint alles heil geblieben zu sein.« Er sah zu Birthe. »Einen Krankenwagen brauche ich nicht.«
»Nicht dein Ernst! Dich muss jemand durchchecken. Du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung oder Prellungen. Und deine Platzwunde muss versorgt werden.«
Der Mann rappelte sich auf und nahm sein Rennrad. »Ach was, ich hab mich ganz gut abgerollt. Und für die Schramme reicht ein Pflaster! Ich hab’s nicht weit, ich wohne um die Ecke in der Krötengasse. Ich schieb nach Hause.«
Birthe ließ das Handy sinken. »Bist du sicher? Ist denn jemand da, der nach dir sehen kann?«
Auf dem Gesicht des Mannes tauchte ein schiefes Lächeln auf. »Easy-peasy, ist wirklich alles halb so wild. Vielen Dank für eure Hilfe!«
Zora, Matti und ihre Mutter sahen dem Mann noch eine Weile hinterher, wie er mit seinem Rad in der Dunkelheit verschwand. Und erst da fiel Matti auf, dass der Sturm sich gelegt hatte. Von einer Sekunde auf die andere – wie weggezaubert.
Aua! Emils Füße schmerzten wie Hölle. Über zwei Stunden rannten sie jetzt schon durch dieses behämmerte Einkaufszentrum!
»Wir haben es gleich geschafft, Jungs«, verkündete sein Vater und stellte die riesigen Einkaufstüten ab.
»Ich will ein Eis!«, quengelte Max, Emils fünfjähriger Bruder.
»Ich muss Kaka!«, rief Moritz, sein Zwilling.
»Okay, okay, okay.« Emils Vater nahm die Tüten wieder auf und je einen Zwilling an die Hand. »Dann gehen wir jetzt schnell zur Toilette.« Er sah zu Emil. »Und danach besorgen wir dir eine neue Schere.«
Emil stöhnte. »Ach, Papa, die können wir echt ein anderes Mal kaufen. Die brauch ich doch nicht sofort.«
»Papi, die Kakiwurst will jetzt raus.«
Emils Vater schloss kurz die Augen. »Moritz, das schaffst du noch eine Sekunde.« Wieder drehte er sich zu Emil. »Wenn du allein ins Bastelgeschäft gehst, dann könnte ich mit den Kleinen zum Klo.«
Emil horchte auf. »Ich allein?«
»Natürlich nur, wenn du dich traust, Emil.«
Emil nickte heftig. »Das krieg ich hin, Papa. Klaro. Gar kein Problem.«
Im Weggehen rief sein Vater ihm noch zu. »Hast du Handyempfang?«
»Drei Balken.«
»Und deine Tracking-Uhr?«
»Aufgeladen, Papa.«
Emil sprang vor Freude in die Luft. Er durfte allein einkaufen gehen! Das Bastelgeschäft lag im Untergeschoss. Emil flitzte die Treppe hinunter, übersprang die letzten Stufen mit einem gewagten Satz und rannte schnurstracks in den Laden. Normalerweise durfte er gar nichts allein machen, denn seine Eltern witterten überall Gefahren: Unfälle, Geiselnahmen und Meteoriteneinschläge!
Emil war so in Gedanken, dass er den schlaksigen jungen Typen, der seitlich aus dem Gang kam, nicht bemerkte und direkt in ihn hineinrannte.
»Hoppla! Augen auf!« Der Mann stolperte einen Schritt zurück und lachte.
Emil fiel das große Pflaster an der Stirn des Mannes auf. »Entschuldigung«, sagte er und ließ den Mann und die Verkäuferin vorbei.
»Die Scheren sind gleich im übernächsten Gang«, hörte Emil sie zu dem Mann mit dem Pflaster sagen.
Das passt doch gut, dachte Emil und folgte den beiden.
Während Emil vor dem Regal mit den Scheren stand und eine Linkshänderschere suchte, holte der Mann neben ihm ein Stofftier aus dem Rucksack. »Welche Schere würden Sie mir empfehlen, um hier ein paar Fusseln abzuschneiden?«
Die Verkäuferin reichte dem Kunden eine mittelgroße silberne Schere.
»Und Klebestifte, buntes Papier und schöne Sticker brauche ich auch noch«, sagte der junge Mann und fügte mit einem stolzen Lächeln hinzu. »Am Montag übernehme ich nämlich meine erste eigene Schulklasse!«
Die Verkäuferin zog den Mann ein paar Gänge weiter.
Endlich fand Emil seine Linkshänderschere. Er war schon fast aus dem Gang heraus, als er das Stofftier bemerkte, das im Regal lag. Der Mann hatte sein zotteliges Schaf vergessen! Emil wollte es hochnehmen, doch plötzlich blinkte das Schaf in einem Lichtschimmer auf und hob den Kopf!
Emil klappte die Kinnlade runter. Das Schaf zwinkerte ihm vergnügt zu, sprang zu Boden und war um die nächste Ecke verschwunden. War das gerade wirklich passiert? Hatte sich dieses Stofftier gerade wirklich in ein echtes Schaf verwandelt, oder träumte er mit offenen Augen? Emil startete durch. Der Sache würde er sofort auf den Grund gehen!
Piep!, quäkte da der Alarm an seinem Handgelenk. Piep! Im Display der Tracking-Uhr leuchtete eine Nachricht seines Vaters auf: »EMIL, WO BIST DU? Wir warten vorn an der Kasse auf dich.«
Schei…benkleister! Emil sackte in sich zusammen. »Ich komme«, tippte er als Antwort und machte sich auf den Weg zu den Kassen. Vom Schaf war keine Spur mehr zu sehen. Eins war mal sicher: Ohne diese bescheuerte Tracking-Uhr hätte er es nicht aus den Augen verloren!
Dieser Sonntagabend war ein Traum! Über den Dächern erklang das Sommerlied der Amseln und der warme Fahrtwind pfiff Lukas Kreideweiß um die Ohren, als er sich ein Stückchen tiefer über den Lenker beugte. Mit einem lässigen Schlenker überholte er den Opa auf dem Elektrorad vor sich und schoss hoch konzentriert in die nächste Kurve.
Nach seinem krachenden Absturz vorgestern hatte Lukas schnell herausgefunden, dass sein neues Fahrrad, das Levitatus QX100, nur mit äußerster Vorsicht zu genießen war. Behutsam drückte er die Handbremsen und rollte die letzten Meter locker die Straße entlang. Vor der Nummer 13 stieg er ab. Hier im Hinterhof der Krötengasse wohnte Lukas Kreideweiß. Er schob sein Rad über den gepflasterten Weg, der zwischen halbhohen Hecken zur Eingangstür führte. Und obwohl es rechts vor dem Haus einen Fahrradständer gab, schulterte Lukas das Levitatus und trug es in seine Wohnung im Hochparterre hinauf. Sicher war sicher.