8,99 €
Tuuli ist ein lebhaftes, neugieriges und warmherziges Wichtelmädchen, dem der Schalk im Nacken sitzt. Sie sammelt gern Tannenzapfen und denkt sich von früh bis spät die schönsten Streiche aus. Tuuli ist aber auch sehr hilfsbereit und liebt Ausflüge mit ihren Eltern hoch in die Skulleberge. Nach dem Winter machen Tuuli und ihre Eltern sich gemeinsam mit der alten Ziegenoma Gudrun auf den Weg zum Sommerhaus. Dabei finden sie eine geheimnisvolle Flaschenpost. Jemand braucht ihre Hilfe! Tuuli und ihr Freund Snorri, ein Grauwicht und wandernder Geschichtenerzähler, stürzen sich gleich ins Abenteuer ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Fröhlich reist Tuuli mit ihrer Wichtelfamilie und der Oma-Ziege Gudrun durch den großen Skullewald und sammelt Schätze: einen Tannenzapfen, ein Schneeglöckchen, einen Edelstein. Den allergrößten Schatz – eine Flaschenpost – findet das Wichtelmädchen jedoch unten am Fluss. Gemeinsam mit Snorri, dem weitgereisten Postboten, entschlüsselt sie die Botschaft darin: Es handelt sich um einen Hilferuf!
Wichtelflink packt Tuuli ihren Rucksack, und das Abenteuer beginnt.
Ich danke Inga-Marie, Katharina und Franziska von ganzem Herzen für ihre klugen Fragen, Gedanken und schnirkeligen Ideen, die ich in Tuulis Rucksack packen durfte. Danke, dass wir diese tolle Gruppe haben!
Es tröpfelt am Höhlenausgang. Über den Eiszapfen, der wie ein mächtiger Wolfszahn aus dem Felsen wächst, rinnt ein Wassertropfen und fällt, plitsch, zu Boden.
Ein erster Vogelruf klingt ins Innere der Wichtelhöhle. Piü-piü!, ruft es. Noch träumt Tuuli, das Wichtelmädchen, in seiner warmen Schlafmulde. Die ist mit drei Lagen Moos ausgelegt. Nur Tuulis Nasenspitze lugt unter der Wolldecke hervor. Den ganzen Januar und Februar bis in die ersten Märztage hat Tuuli geschlafen. So wie es die Wichtel in den Skullebergen eben tun. Den Bauch randvoll mit Hagebuttenmus, das ihr Wichtelvater eingekocht hat. Denn nichts lässt so gut träumen wie süße Hagebutten.
Vorn fällt, plitsch, der nächste Tropfen auf den Felsboden. Ich träume vom Regen, denkt Tuuli. Zu dem Tropfen gesellt sich ein Klopfen. Ich träume von Steintrollen, denkt Tuuli und kriecht tiefer unter ihre Decke. Denn wie jeder weiß, sind Steintrolle hinterlistig und stinken nach altem Käse. Tuulis Nase bewegt sich. Sie riecht etwas. Aber das ist kein Käse, sondern der Duft von Feuer, Tee und frisch gebackenem Brot.
Tuulis Herz beginnt schneller zu pochen, und sie öffnet die Augen einen Spalt.
»Ist es schon Frühling?«, wispert sie.
»Noch nicht ganz«, sagt Wichtelvater.
Tuuli gähnt und rutscht ein Stückchen unter der Decke hervor. An dem Zwicken in ihrem Bauch merkt sie, dass sie noch gar nicht zu Ende geträumt hat. Verschlafen schaut sie sich in der Wichtelhöhle um. Neben ihr liegt Gudrun, die Oma-Ziege. Wichtelmutter hat sie mit zwei Decken zugedeckt, weil Gudrun so schnell friert. Die Ziege schnarcht, und das Licht des kleinen Feuers lässt Gudruns Hörner glänzen, als wären sie aus purem Gold. Ein Stückchen weiter hocken die Hühner in ihrem Reisehaus auf der Stange und gackern leise im Schlaf.
Nur Wichtelvater ist wach. Er steht am Feuer und wendet das Brot in der Pfanne. »Hast du Hunger, Tuuli?«
»Ja!«, murmelt sie.
Wichtelvater legt eines der Brote auf den Teller und füllt einen Becher mit warmem Blaubeersaft.
Verwundert sieht Tuuli zu der zusammengelegten Wolldecke in Wichtelmutters Schlafmulde. »Wieso ist Mama schon auf?«, fragt sie. Denn eigentlich ist Mama die Langschläferin der Familie und kommt immer als Letzte aus dem Moos.
Wichtelvater legt ein Scheit Holz ins Feuer. »Mama ist nur kurz draußen vor der Höhle.«
»Weshalb?« Tuuli runzelt die Stirn und bemerkt, wie Wichtelvater sich müde die Augen reibt. Richtig ausgeschlafen sieht er auch nicht aus. »Weil sie draußen nach dem Rechten schaut.«
Tuuli wundert sich. »Ist unsere Winterschlafzeit schon vorbei?«
Wichtelvater setzt sich zu Tuuli. »Das ist eine sehr gute Frage. Mama und ich haben beobachtet, dass die Sonne noch wintertief steht und wir deshalb eigentlich weiterschlafen könnten.« Er zeigt zum Höhleneingang, wo sich unter dem großen Eiszapfen inzwischen eine Pfütze gebildet hat. »Doch sieh nur, Tuuli, das Eis des Wolfszahns beginnt zu tauen.«
»Warum taut das Eis?«, will Tuuli wissen.
»Es ist ausgesprochen rätselhaft …«, sagt Wichtelvater. »Und deshalb ist Mama hoch auf den Fichtenwipfel geklettert und schaut, ob wir uns wieder zum Schlafen hinlegen oder ob es Zeit für den Aufbruch ist.«
Der Ausguck oben im Fichtenwipfel ist der höchste Punkt der Skulleberge. Einhundert Stufen führen rund um den Stamm hinauf zum Ausguck. Der Fichtenwipfel überragt alle anderen Bäume. Er liegt so hoch, dass die Wichtel von dort aus weit über die Berge und Wälder sehen können. Wie die Wildgänse, wenn sie nach dem dunklen Winter den Frühling in das Glockenblumental zurückbringen.
Tuuli nippt an ihrem Blaubeersaft und knabbert an dem Brot. Wichtelvater hat Nüsse und getrocknete Beeren in das Brot gebacken. »Nach einem langen Winterschlaf braucht mein Wichteltöchterchen doch ein ordentliches Frühstück«, sagt er und geht zu dem Regal, das an der Felswand lehnt. Dort bewahrt er die Wintervorräte auf. Aus einem Sack nimmt er eine Handvoll Körner und streut sie vor den Hühnerstall. Aus einem anderen Sack zieht er ein Büschel Heu und legt es neben Gudruns Schlafplatz. So ist für die ganze Familie gesorgt.
Tuuli rekelt sich noch einmal kräftig, dann wirft sie die Decke zur Seite und springt auf. Sie nimmt ihre blaue Mütze, ihre Jacke und ihre Winterschuhe und zieht sich an. So läuft sie zum Höhlenausgang. Am großen Wolfszahn dreht sie sich noch einmal um. »Ich geh den Frühling suchen«, ruft sie ihm zu.
Vor der Höhle liegt der Schnee hoch. Die Tannenzweige tragen elegante weiße Handschuhe, und der Himmel ist silbergrau. Was für ein komischer Frühling, denkt Tuuli. Sie läuft zu der großen Fichte. Es ist nicht weit, und Tuuli kennt den Weg. Rechts von der Höhle den Felsen hinauf, durch das Tannengestrüpp. Im Schnee sind viele Spuren: von Mäusen und Hasen, von Rehen, Wildschweinen und Elchen. Nur keine einzige Wichtelspur. Das liegt daran, dass Wichtel keine Spuren hinterlassen. Niemals-nie. Auch Tuuli nicht.
Es sei denn, es hängt ein Brombeerblatt an ihrer Jacke, dann können sogar Menschen das Wichtelmädchen sehen; ganz gleich, wie winzig das Blatt ist. Da ist es ein Glück, dass die Brombeerranken so früh im Jahr noch tief in der Erde schlummern.
Tuuli erreicht die Wendeltreppe, die den Fichtenstamm hinaufführt. Als sie klein war, hat Wichtelmutter sie auf ihrem Rücken nach oben getragen. Aber jetzt ist Tuuli ja groß. Die Stufen sind rutschig. Manchmal glitscht sie aus. Dann muss sie sich an dem Geländer festhalten, sonst schliddert sie die Stufen womöglich wieder hinunter. Tuuli erinnert sich an das Schlittenfahren im letzten Winter. Wie sie ganz allein den Hang hinuntergesaust ist. Mama und Papa hatten keine Zeit. Gudrun, ihre Ziege, fürchtet sich vor dem Schlittenfahren. Sie hat weißes Fell, ist schon alt und halb blind. Deshalb trägt Gudrun auch eine kleine Brille, und die beschlägt, wenn man richtig schnell Schlitten fahren will. Und dann kann Gudrun gar nichts mehr sehen und kreischt um ihr Leben! Tuuli stapft die Stufen weiter hoch. Wenn doch nur jemand da wäre, der lustige Abenteuer genauso liebt wie Tuuli. Ein Wichtelkind, mit dem sie gemeinsam durch den Skullewald laufen und neue Streiche aushecken könnte. Sie bleibt stehen und kneift die Augen zu. Dann malt sie sich aus, dass sie einen Wichtelfreund hat. Er ist gleich hinter ihr auf der Treppe! Tuuli dreht sich um und ruft: »Fang mich doch, du Wichtelloch!« Sie läuft los. Die Stufen knarzen unter ihren Füßen. Oh, er darf mich nicht erwischen! Tuuli ist ganz außer Atem. Oben auf der Plattform ist Klippo. Da kann sie sich freischlagen. »Hej, hej, hej«, ruft sie ausgelassen. »Ich bin schneller als du!«
Es ist fast so wie echtes Fangenspielen.
Wichtelmutter dreht sich zu ihr und lächelt. »Wichteltochter, mit wem redest du?«
Tuuli japst und schmiegt sich in Mamas Arme. »Ach, da saß nur eine kleine Tannenmeise in den Zweigen«, wispert sie. Denn Tuuli weiß nicht, wie sie Wichtelmutter erklären soll, dass sie schon ein wenig geübt hat, wie es ist, einen Freund zu haben. Wichtelmutter nimmt Tuulis Hand und zieht sie mit ans Geländer des Ausgucks. »Sieh nur, es ist Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.«
Tuuli blickt über die stillen, verschneiten Wälder. »Aber das ist doch noch der Winterwald«, sagt sie.
Wichtelmutter schüttelt den Kopf und zeigt zu einem hellen Streifen, der weit in der Ferne liegt. So weit, dass Tuuli nicht sicher ist, ob es noch Baumwipfel oder schon die Wolken sind, die dort leuchten.
»In diesem Jahr streicht der Südwind besonders früh über die Wälder«, sagt Wichtelmutter. »Und wenn der Schnee zu tauen beginnt, machen wir Wichtel uns auf den Weg.«