Familie Flickenteppich 4. Wir freuen uns auf Weihnachten - Stefanie Taschinski - E-Book

Familie Flickenteppich 4. Wir freuen uns auf Weihnachten E-Book

Stefanie Taschinski

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Beschreibung

Weihnachten steht vor der Türe und auch bei den Flickenteppichs wird gebacken und gesungen. Emma und Aylin bereiten eine ganz besondere Überraschung vor und auch Ben ist schon ganz aufgeregt: Ob er wohl die megacoole Spielekonsole bekommt, die auch sein neuer Schulfreund Lasse hat? Doch dafür fehlt Papa und Selda das Geld, denn natürlich sollen alle Kinder tolle Geschenke bekommen – auch das neue Baby, das Doris und Stella erwarten. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja tatsächlich der Weihnachtsengel in der Nummer 11 vorbei?

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Über dieses Buch

 

 

Unsere Lehrerin lächelt und sieht sich neugierig unsere Krippenfiguren an. »Sehr schön! Eine Maria, nicht wahr?« Aylin nickt. »Und so ein hübscher Engel«, sagt Frau Weiß zu mir. Aylin und ich zwinkern uns zu. Wir wissen ja, dass es kein Engel ist. Aber das ist unser Geheimnis!

 

Weihnachten steht vor der Tür! Emma und Aylin bereiten für Familie Flickenteppich eine besondere Überraschung vor! Auch Ben ist schon ganz aufgeregt: Ob er wohl die megacoole Spielekonsole bekommt? Doch dafür fehlt Papa und Selda das Geld, denn natürlich sollen alle Kinder tolle Geschenke bekommen – auch das neue Baby, das Doris und Stella erwarten. Aber wer weiß, vielleicht taucht ja doch noch ein Weihnachtsengel in der Nummer 11 auf?

 

Mit vielen farbigen Bildern von Anne-Kathrin Behl

 

 

 

Für meinen Freund, den Wintergeist

Kapitel 1 Wie wir es Oma Becker schön machen

Weihnachten ist das Fest, das ich von allen Festen am liebsten habe. Und das liegt bestimmt nicht daran, dass ich Geschenke bekomme, höchstens ein ganz kleines bisschen. In diesem Jahr ist Weihnachten so besonders, weil Papa, mein großer Bruder Ben, meine kleine Schwester Jojo und ich zum allerersten Mal mit unserer Flickenteppich-Familie feiern: mit Selda, unserer neuen Flickenteppich-Mama, Aylin und Tarek, die nicht nur unsere besten Freunde sind, sondern jetzt sogar unsere neuen Geschwister – außerdem gehört zur Flickenteppich-Familie noch die komplette Nachbarschaft aus der Nummer 11 dazu. Da sollen es natürlich alle richtig schön haben!

Deshalb flitzen Aylin und ich, Ben und Tarek nach den Hausaufgaben sofort runter ins Erdgeschoss, um Freddy und seine Oma abzuholen. Es war schließlich Frau Neumanns Idee, für Oma Becker auf dem Markt einen Adventskranz zu besorgen.

Oma Becker war in den letzten Wochen nämlich so schlimm vergrippt, dass sie noch viel zu schlapp ist, um allein ihre Einkäufe zu machen. Darum besuchen wir sie heute und bringen ihr alles, was sie für den ersten Advent braucht.

 

Als wir vor fast einem Jahr in die Nummer 11 gezogen sind, hätte ich niemals gedacht, dass ich die Neumanns einmal gernhaben würde. Für uns Kinder waren sie einfach die pingeligen Erbsenzähler. Aber inzwischen weiß ich, dass unter ihrer stacheligen Schale tatsächlich eine liebe Oma und ein lieber Opa stecken.

Unten im Erdgeschoss würde ich am liebsten ganz fix beim Grafen klingeln, um zu fragen, wie es ihm geht. Herr von Freudenhain, also der Graf, hat die Wohnung direkt gegenüber von den Neumanns, und wir haben ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen.

»Ich würde mich nicht wundern, wenn er Winterschlaf hält«, wispert Aylin mir zu, während wir mit den Jungs darauf warten, dass Frau Neumann uns die Sachen gibt, die wir zu Oma Becker hochbringen wollen.

»Oder er heckt eine neue Erfindung aus!«, sage ich.

Aylins dunkle Augen werden rund, und sie will gerade etwas antworten, da scheucht Frau Neumann uns hoch. »Nicht trödeln, Kinder!« Sie klatscht in die Hände und nimmt ihren Korb auf. »Wir haben heute Nachmittag noch sehr viel vor!«

Wie die Heiligen drei Könige tragen wir unsere feinen Gaben für Oma Becker vor uns her. Nur dass wir Könige und Königinnen sind: Freddy trägt den Streuselkuchen, den seine Oma gebacken hat. Ben hat die Tasche mit den Einkäufen und Tarek die dicke Zeitung, die Oma Becker immer liest. Aylin bringt den Topf Suppe hoch, den Papa gekocht hat. Papa sagt nämlich, dass nichts so schnell gesund macht wie eine richtig gute Suppe. Und ich darf den Adventskranz tragen. Die grünen Tannennadeln glänzen und duften winterweihnachtlich, wenn ich mit den Fingern darüberstreiche. Das finde ich so herrlich, dass ich mit meiner Nase ganz dicht rangehe, auch wenn es pikst! Unsere Karawane zieht durch die Mitteletage. Links wohnen wir, und rechts liegt die hellblaue Sternchenfußmatte von Selda, Aylin und Tarek.

Dann kommen wir in der Oberetage an. Ra!, macht es, als Frau Neumann die Tür aufschließt. Für alle Fälle hat sie einen Haustürschlüssel, damit Oma Becker nicht aufstehen muss. Ra! Darling, Oma Beckers grüner Halsbandsittich, kommt im Tiefflug durch den Flur gerauscht und flattert über unsere Köpfe hinweg ins Wohnzimmer.

»Hallo, Frau Becker!«, ruft Freddys Oma und sieht zu den Jungs. »Der Kuchen kommt in die Küche. Den könnt ihr sofort aufschneiden«, fährt sie im Kommandoton fort. »Aber nicht zu große Stücke. Hört ihr? Und vergesst nicht, die Einkäufe in den Kühlschrank zu räumen!«

»Alles klar, Oma«, sagt Freddy.

»Machen wir, Frau Neumann«, sagen Tarek und Ben.

Aylin flitzt mit den Jungs in die Küche. »Ich bring die Suppe schnell weg.«

»Huhu, ich bin hier«, hören wir Oma Beckers Stimme. »Im Wohnzimmer.«

Frau Neumann zieht die Augenbrauen hoch. »Im Wohnzimmer?«

Oma Becker liegt auf dem Sofa. Sie ist in eine flauschige Wolldecke eingewickelt. Rechts auf ihrer Schulter hockt Rosi, die Sittichdame, und zwirbelt mit dem Schnabel an Oma Beckers silbernen Haaren.

»Ist alles gut bei dir, Oma Becker?«, frage ich und lege den Adventskranz auf dem Tisch ab.

»Guten Tag, ihr Lieben!«, krächzt Oma Becker. »Das hört sich ja an, als würde mich die ganze Nummer 11 besuchen?«

»Also, wenn es Ihnen zu viel wird …«, setzt Frau Neumann an.

Da kommt Aylin ins Wohnzimmer gelaufen. »Wir sind alle da, um es dir schön weihnachtlich zu machen!«

»Wie wunderbar.« Oma Becker lächelt.

»Und Sie dürfen wirklich aufstehen?«, erkundigt sich Frau Neumann besorgt, während sie ein Zierdeckchen auf dem Tisch ausbreitet und den Adventskranz daraufstellt.

»Ich muss doch langsam wieder auf die Beine kommen«, sagt Oma Becker und sieht zum Tisch. »Und was ist das da Schönes?«

»Na, dein Adventskranz«, sage ich.

»Frisch vom Markt.« Frau Neumann zupft eine Ecke des Deckchens glatt.

»Morgen ist doch erster Advent«, sagt Aylin fröhlich.

»Hängen Sie Ihren Kranz auf, oder mögen Sie ihn so auf dem Tisch?«, fragt Frau Neumann.

Während Oma Becker und Oma Neumann darüber sprechen, was festlicher ist, beginnen wir mit den Jungs, es schön zu machen: Aylin und ich schütteln die Sofakissen auf, und Ben gießt Oma Beckers Pflanzen. Freddy und Tarek bringen das Tablett mit dem Kuchen und Teegeschirr herein. Oma Becker möchte den Kranz noch mit roten Schleifen und Strohsternen verzieren. »Die sind links unten im Schrank«, sagt sie.

Aylin findet die Schachtel und holt noch etwas heraus. Es ist ein großer, roter Nussknacker.

»Willst du den aufstellen?«, fragt sie.

Oma Becker nickt. »Mein Nussknacker aus dem Erzgebirge! Der gehört auf die Fensterbank.«

Wir finden auch noch einen weißen Stern mit Silberglitzer, der ins Fenster gehört und den man wie eine Lampe einschalten kann. Als wir fertig sind, sieht das Zimmer ganz verwandelt aus. Im Kranz stecken goldene Strohsterne, und zwischen den Kerzen glänzen vier samtige, rote Schleifen.

Das Einzige, was Oma Becker noch fehlt, sind ein oder zwei richtig schöne Weihnachtsbilder, finde ich. Aber darum können Aylin und ich uns später kümmern.

Frau Neumann kocht Tee und wischt Staub. Sogar den riesigen Käfig von Darling und Rosi will sie blitzeblank putzen. Das passt den Jungs gar nicht, weil sie gerade dabei sind, unten auf den Käfigboden frisches Zeitungspapier zu legen und Sand auszustreuen.

»Nu macht mal Platz«, sagt Frau Neumann und wedelt mit ihrem Lappen vor Tareks Gesicht. »In zwei Sekunden bin ich hier fertig.«

Sie zieht sich einen Hocker heran, um den großen Käfig auch oben abzuwischen.

»Seien Sie bitte vorsichtig!«, sagt Oma Becker und schaut besorgt zu, wie Frau Neumann auf den Hocker steigt. In Zeitlupe richtet Frau Neumann sich auf und putzt die oberen Stäbe ab. Der Käfig schaukelt, der Hocker knackt. Und da geschieht es: Darling, der oben in einer der Zimmerpflanzen hockt, setzt zum Sturzflug an. Ra!, kreischt er, und seine Krallen greifen nach Frau Neumanns roten Stachelhaaren.

»Hilfe!«, quiekt sie und wirft den Lappen weg.

Oma Becker richtet sich auf dem Sofa auf. »Darling, hör sofort mit den Fisimatenten auf!«

Da flattert Rosi auf und kommt zu Darlings Verstärkung. Mit einem durchdringenden Pfiff stürzt sich Rosi auf Frau Neumann.

Die verliert das Gleichgewicht und stolpert mit einem lauten Wumms zu Boden. Freddy und Tarek können sie gerade noch auffangen.

»Na, da hört’s doch auf!«, schimpft Frau Neumann. »Das sind ja Kampfvögel! Die dürften gar nicht frei rumfliegen!« Ihr schrumpeliges Doppelkinn wackelt heftig.

»Es tut mir so leid!«, ruft Oma Becker.

»Oma!«, ruft Freddy. »Darling und Rosi dachten bestimmt, du willst ihr Zuhause klauen!«

»Papperlapapp«, schimpft Frau Neumann weiter und starrt böse zu den Sittichen, die nun ganz friedlich nebeneinander oben auf dem Käfig hocken, als könnten sie kein Wässerchen trüben.

»Ich habe euch durchschaut«, sagt sie.

Oma Becker geht mit wackeligen Schritten zu Frau Neumann und legt ihr die Hand auf den Arm. »Seien Sie nicht böse. Meine Vögel sind einfach ein bisschen dumm. Aber Sie haben sich wirklich nichts getan?«

»Nein, zum Glück nicht.« Frau Neumann reibt sich den Rücken, und über ihr Erbsenzählergesicht huscht ein kleines Lächeln. »Sie wissen doch, Unkraut vergeht nicht. Aber eine Tasse Tee zur Beruhigung wäre jetzt nicht übel.«

Fünf Minuten später sitzen wir alle um Oma Beckers Tisch. Wir reden, und Frau Neumann, die eine kleine Brille auf der Nase hat, strickt in einem Affenzahn eine Reihe nach der anderen. Oma Becker will alles wissen, was in den letzten Wochen passiert ist, weil sie wegen ihrer Grippe nicht rauskonnte.

»Wie gefällt es euch auf der neuen Schule?«, fragt sie Ben und Freddy, die nach den Sommerferien in die fünfte Klasse gekommen sind. Ihre Schule ist gar nicht weit von der Paula-Schule entfernt. Deswegen können wir den Schulweg zum Glück immer noch gemeinsam gehen.

Ben erzählt, dass er die Fußball-AG super findet. »Da dürfen nur die richtig guten Spieler rein. Der Coach hat mich gleich ausgesucht, und ich habe jetzt zweimal die Woche Training«, berichtet er stolz.

Freddy, der ihm gegenübersitzt, sackt ein Stück in sich zusammen. Er ist nämlich nicht in die Fußball-AG gekommen. Aylin und ich wechseln einen Blick. Mein großer Bruder kann so ein Blödmann sein!

»Und wie gefällt dir die neue Schule?«, wendet Oma Becker sich an Freddy. »Habt ihr denn gute Lehrkräfte?«

»Hm, ja, schon«, brummt Freddy und stochert in seinem Kuchen rum.

Frau Neumann sieht von ihren Stricksachen auf. »Freddy ist im Schulorchester«, erzählt sie stolz. »Mit seiner Trompete.«

»Herrlich.« Oma Becker sieht zu Tarek, Aylin und mir. »Und ihr drei? Wie fühlt es sich an, in der vierten Klasse zu sein?«

»Schon okay«, meint Tarek.

Aylin nimmt sich noch ein Stück Kuchen. »Wir sind jetzt die Patinnen für die Erstis.«

»Und Streitschlichterinnen«, sage ich. »Wenn es auf dem Schulhof Zoff gibt, können wir das allein klären.«

Oma Becker und sogar Frau Neumann nicken beeindruckt.

Ich nehme mir noch Apfelschorle. »Ich finde es nur blöd, dass Jojo erst eingeschult wird, wenn wir alle schon weg sind.«

»Aber wir können sie ja noch zur Schule hinbringen«, sagt Aylin.

»Dann sind wir auch in der Fünften«, sage ich.

»Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht!« Oma Becker schlurft zum Fenster und schaltet ihren Leuchtstern ein. »Aber jetzt kommt erst einmal die Weihnachtszeit.«

Frau Neumann breitet auf ihrem Schoß die kleine Wolldecke aus, an der sie strickt. »Und dann kommt das Baby!«

Die beiden klimpern mit den Augen und seufzen ausgiebig.

Doris und Stella, die gegenüber in der anderen Wohnung in der Oberetage wohnen, werden nämlich Mamas!

»Und bekommen Sie die Babydecke noch rechtzeitig fertig?«, fragt Oma und streicht vorsichtig über die Wolle.

»Aber selbstverständlich«, sagt Frau Neumann. »Der Stichtag ist ja erst Mitte Dezember. Bis dahin ist die Decke fertig, mit Muschelkante!«

Oma Becker nickt. »Richtig, Mitte Dezember ist es so weit.«

Ich finde es so aufregend, dass wir bald ein Baby in der Nummer 11 haben. Stellas Bauch ist riesig, und Doris hüpft den ganzen Tag wie ein aufgescheuchtes Huhn um sie herum, weil sie will, dass Stella sich schont. Deshalb stehen jetzt im Erdgeschoss, in der Mitteletage und in der Oberetage jeweils ein Stuhl, auf den Stella sich setzen kann, um sich auszuruhen.

Aylin knotet die zwei Enden ihrer Zöpfe ineinander. »Ich fänd’s schön, wenn das Baby direkt zu Weihnachten kommt«, sagt sie. »Dann können wir es in die Krippe legen.«

Ben stöhnt. »Wenn das Baby direkt an Weihnachten kommt, ist Stella doch im Krankenhaus.«

»Wieso?«, frage ich. »Stella kann das Baby doch zu Hause bekommen wie Maria.«

»So richtig zu Hause hat sie Jesus aber nicht bekommen«, widerspricht Tarek, »sondern in einem Stall.«

Frau Neumann stellt ihre Teetasse ab und schaut zu Freddy. »Wenn ein Stall gebraucht wird, das bekommt Opa auch noch hin.«

Oma Becker kichert. »Eine Hausgeburt in der Nummer 11. Das wäre was!«

Frau Neumann hebt abwehrend die Hände. »Ohne mich! Zu Weihnachten gibt es bei uns Gans, da komme ich nicht vom Backofen weg. Und für irgendwelche Notfälle«, sie schaut in die Runde, »habe ich keine Zeit!«

»Aber für die Bescherung schon, oder Oma?«, fragt Freddy besorgt.

»Bescherung!«, flüstere ich Aylin zu. »Das ist eins meiner Lieblingswörter.«

»Meins auch«, sagt sie.

Kapitel 2 Die erste Kerze

Es ist mucksmäuschenstill, als ich aufwache. Nur Jojos gleichmäßige Atemzüge sind zu hören. Ich wälze mich auf die Seite, um weiterzuschlafen, und kneife die Augen fest zu. Bis wir frühstücken, dauert es bestimmt noch eine Stunde. Heute ist Sonntag, und da will Papa ausschlafen. Ich muss eigentlich ganz dringend Pipi, aber im Bett ist es so herrlich kuschelig. Also wühle ich mich tiefer in mein Kissen und versuche, mich kein bisschen zu rühren, bis ich wieder einschlafe. Heute ist der erste Advent, denke ich. Heute zünden wir die erste Kerze an. Irgendwo in der Dunkelheit hinter meinen geschlossenen Lidern taucht plötzlich das Bild von unserem letzten Adventskranz auf. Der hatte rosa Kerzen. Ich sehe, wie Mama mich anlächelt und die erste Kerze anzündet. Etwas Schweres drückt auf meine Brust. Letztes Jahr um die Adventszeit haben Mama und Papa sich getrennt, so richtig. Und obwohl wir mit Mama zusammen Weihnachten gefeiert haben, war es bestimmt das mieseste Weihnachten aller Zeiten. Ben, Jojo und ich wussten ja, dass Mama und ihr neuer Freund sofort nach Silvester nach Australien fliegen würden, um dort auf Tournee zu gehen. Mieser geht es nicht. Ich habe mich gefragt, was ich falsch gemacht habe, dass Mama so weit weg von uns sein will. Aber Papa hat mir hoch und heilig geschworen, dass ich überhaupt nichts falsch gemacht habe. »Und Ben und Jojo auch nicht«, hat Papa gesagt.

Dann sind wir in die Nummer 11 gezogen! Ich weiß noch haargenau, wie wir an unserem Einzugstag von Tür zu Tür gegangen sind, um uns Eier und ein bisschen Öl für die Pfannkuchen zu borgen, weil mir das Eierschlamassel passiert war. Als Aylins Mama Selda mir Eier geschenkt hat und Aylin mit ihrem wunderschönen Zopf vor mir die Treppe in die Oberetage hinaufgelaufen ist, hat es in mir geruckelt, und ein kleines Fenster ist weit aufgesprungen, durch das helle Glücksstrahlen bis auf meinen Grund gefallen sind.

 

Ich drehe mich auf den Rücken. Hier in der Nummer 11 ist unser neues Zuhause, und seit Papa und Selda sich im Sommer geküsst haben, sind die beiden richtig verliebt. Aylin und ich sind nicht nur beste Freundinnen und Blutsschwestern, sondern jetzt sogar richtige Schwestern! Und heute früh werden wir gemeinsam die erste Kerze auf unserem Adventskranz anzünden. Aber jetzt, das merke ich, kann ich wirklich nicht länger anhalten.

 

Als ich aus dem Bad komme, geht neben mir die Wohnungstür auf. »Papa?«

»Guten Morgen, meine Süße.« Papa zieht die Tür leise zu. Er ist noch im Bademantel und total verstrubbelt. Am Wochenende übernachtet Papa jetzt häufiger drüben bei Selda, weil sie ein richtig schönes Bett hat, wo mindestens zwei reinpassen, und nicht nur ein altes Schlafsofa, wie Papa eins hat. Damit wir aber trotzdem schnell zu Papa kommen können oder Aylin und Tarek zu uns, wenn Selda hier ist, haben Papa und Selda die Schlösser in unseren Wohnungstüren ausgewechselt. Deshalb passt mein Haustürschlüssel jetzt auch für die Wohnung mit der himmelblauen Sternchenfußmatte. Das ist so praktisch.

»Machen wir beide Frühstück?«, fragt Papa.

Jojo und Ben schlafen nämlich noch. »Klar!«, flüstere ich und mache einen Freudenhüpfer. »Heute ist erster Advent!«

»Oh nein!« Papa schaltet das kleine Küchenlicht über dem Herd an.

Da sehe ich es! Vor unserem Küchenfenster hängt nichts. Obwohl wir dort extra einen Haken in die Decke geschraubt haben.

»Wo ist unser Kranz?«

Papa wischt sich über die Augen. »In Engls Küche. Den hab ich gestern Abend vergessen. So ein Mist!«

»Vergessen?« Ich kann es gar nicht glauben. »Aber heute zünden wir doch die erste Kerze an! Kannst du nicht schnell rüberlaufen und ihn holen, Papa?«

Papa füllt Wasser in die Kaffeemaschine. »Jetzt?« Er schüttelt den Kopf und stellt die Kanne auf den Herd. »Erst einmal brauche ich einen Kaffee, Emma. Und vielleicht haben wir ja noch ein paar Teelichter in der Schublade. Sieh doch mal nach. Dann zünden wir heute das erste Teelicht an.«

In der Schublade sind noch drei Teelichter und ein paar knitterige, sonnengelbe Papierservietten, die vom Geburtstag übrig geblieben sind. Das soll ein Adventskranz sein? Doch als Papa den Teller mit der Serviette und den drei Lichtern sieht, schmunzelt er. »Der ist doch ganz okay.«

»Na ja.« Ich schlucke ein Knurren runter. Aber nur weil Papa mir verspricht, unseren echten Kranz gleich nach dem Frühstück zu holen.

 

Zehn Minuten später sind Jojo und Ben wach und helfen mir, den Tisch zu decken, während Papa den Brötchenteig knetet.

»Wo ist unser Kranz, Papi?«, fragt Jojo.

»Auf dem Tisch, Kleines«, sagt Papa und klopft sich das Mehl von den Händen.

»Das ist doch kein Kranz.«

»Besser ging es nicht«, sage ich. »Papa hat unseren in Engls Küche vergessen.«

Jojo stemmt die Hände in die Seiten. Das hat sie sich von Frau Neumann abgeschaut. »Aber Emma, es sind nicht mal vier Lichter! Und die Kerzen sind nicht rot! Kennst du denn das Lied nicht? Dicke rote Kerzen, Tannenzweigenduft«, beginnt sie zu singen, »und ein Hauch von Heimlichkeiten liegt jetzt in der Luft.«

Ben verzieht den Mund zu einem Grinsen. »Zumindest hatte Mamas Adventskranz immer vier Kerzen.«

Papa stößt einen tiefen Seufzer aus. »Okay, okay, okay! Ich gebe auf. Dann schiebt ihr die Brötchen in den Ofen, und ich hole unseren Kranz.«

Doch in diesem Moment wird unsere Haustür aufgeschlossen, und Selda, Aylin und Tarek kommen herein.

»Guten Morgen!« Selda umarmt Jojo und mich. Ihr Bademantel ist dunkelrot und kuschelweich. Sie gibt Papa einen Kuss. »Wo willst du denn hin?«

»Unseren Adventskranz holen.«

Selda schüttelt den Kopf. »Wozu? Wir haben doch auch einen Kranz drüben.« Sie sieht zu Tarek. »Holst du ihn bitte?«

Tarek zupft an Bens Ärmel. »Kommst du mir? Dann blättern wir schnell durch den Katalog.«

Mein großer Bruder springt auf. »Cool.«

»Ihr kommt bitte sofort zurück, und der Computerspiele-Katalog bleibt, wo er ist!«, ruft Selda ihnen hinterher.

 

Endlich sitzen wir alle ungekämmt und in Schlafsachen um den Küchentisch wie eine richtige Familie. In der Mitte steht Seldas Kranz, den sie mit ganz viel Liebe aufgebaut hat. Es ist ein rechteckiges Tablett mit vier langen, weißen Kerzen, Glitzer und goldenen Kugeln. Tannenzweige sind zwar nicht dabei, aber er sieht trotzdem wunderschön aus. Jojo darf die erste Kerze anzünden, weil sie die Kleinste ist. Ich bin am zweiten Advent dran, und Aylin und Tarek kommen nach mir, weil sie zwei Monate älter sind. Ben ist von uns Kindern der Älteste. Nächstes Jahr im Februar wird er schon elf. Aber vorher kommt erst einmal Weihnachten.

»Weißt du schon, was du Selda schenkst?«, flüstere ich Aylin zu.

Aylin hält beide Hände an ihren Mund und beugt sich ganz dicht zu mir. »Noch nicht richtig«, wispert sie. »Aber vielleicht will ich ihr ein Weihnachtsgedicht schreiben.«

»Ich will Papa etwas basteln«, flüstere ich. »Ich weiß nur noch nicht, was.«

Jojo rutscht näher an uns ran. »Darf ich mitmachen?«

»In unserer Weihnachtswerkstatt?«, frage ich.

Papa blickt auf. »Habe ich da etwas von Weihnachten gehört?«

»Wie sieht es überhaupt mit euren Wunschzetteln aus?« Selda schaut von den Jungs zu uns.

»Die schreiben wir gleich«, sagt Aylin.

»Für den Weihnachtsmann!« Jojo strahlt. »Ich hab so viele Wünsche.«

Ben und Tarek kleben mit ihren Nasen in dem Katalog, den sie natürlich doch mitgebracht haben. »Kann ich nicht einfach ankreuzen, was ich mir wünsche, Papa?«, fragt Ben.

»Chasing Foxes 6 können wir uns doch zusammen wünschen«, schlägt Tarek vor.

Papa schüttelt den Kopf. »Der Weihnachtsmann und seine Wichtel nehmen nur richtige Wunschzettel an und keine Kataloge.«

Ben nickt. »Haha, der Weihnachtsmann.«

Er und Tarek zwinkern sich richtig blöd zu und stecken die Nasen wieder tief in den Katalog.

»Ich weiß sogar, wo der Weihnachtsmann wohnt«, verkündet Jojo und stößt Ben in die Rippen.

»Direkt neben dem Osterhasen?«, murmelt Ben.

Papa wirft ihm einen warnenden Blick zu.

»Wo wohnt der Weihnachtsmann denn?«, fragt Selda Jojo ganz lieb.

»Am Korvatuntiru!«, ruft Jojo triumphierend. »Das ist in Finnland.« Sie hüpft von ihrem Stuhl. »Ich hol das Buch!«, ruft sie und ist schon losgeflitzt.

Drei Sekunden später ist sie mit dem Bilderbuch zurück in der Küche. »Liest du mir vor?« Jojo krabbelt auf Seldas Schoß.

Aylin und ich rücken mit den Stühlen ganz nah an Selda heran, damit wir mit ins Buch schauen können. Ich glaube, es gibt nichts Gemütlicheres als Vorlesen am Frühstückstisch.