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Die St. Albanikirche in Göttingen besitzt ein Geläut mit vier Glocken, die anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 angeschafft und schließlich im Juni 2019 eingeweiht worden sind. Mit den vier Glocken – ihren Bezeichnungen, ihren Inschriften und ihrer Zier – sollte zum Ausdruck gebracht werden, wie sich (evangelischer) christlicher Glaube in dieser Zeit, aber auch über die Zeiten hinweg versteht. Dabei sollte das eigentümlich Evangelische ebenso deutlich werden wie das verbindend Christliche und der Anschluss an ein allgemein Humanes gewahrt bleiben. Darum sind den Glocken jeweils drei Begriffe zugeordnet worden. Was evangelisches Christsein ausmacht, wird traditionell mit vier 'Allein' ausgedrückt: allein aus Gnade (sola gratia), allein Christus (solus Christus), allein die Schrift (sola scriptura), allein durch Glauben (sola fide). Das gemeinsam Christliche, das dies von anderen Religionen und Weltanschauungen unterscheidet, findet seinen kon-zentrierten Ausdruck im Glauben an einen dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist (Trinität), dem der Mensch gegenübersteht. In Entsprechung zu den vier 'Allein' wurden Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung und Vertrauen als Themen ausfindig gemacht, die für die Gesellschaft unserer Zeit zentrale Bedeutung haben und die Grundlage für Frieden und Gerechtigkeit bilden.
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Seitenzahl: 78
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Laudo deum verum – plebem voco – congrego clerum – defunctos plore – hostem fugo – festa decoro
Ich lobe den wahren Gott – rufe das Volk – versammle die Geistlichen – beklage die Toten – vertreibe den Feind – schmücke die Feste
Älteste überlieferte Inschrift einer Glocke von St. Albani von 1447 Inschrift der größten Glocke von 2017/19
Von Ostern bis Sommer 2024 fand in der St. Albanigemeinde, Göttingen, eine zwölfteilige Gesprächsreihe über den ‚Glockenkatechismus‘ von St. Albani statt. Damit ist das theologische Konzept gemeint, das den vier zum Reformationsjubiläum 2017 gegossenen Glocken zugrunde gelegt worden ist. Dabei stand jeweils eines der den Glocken zugeordneten Themen im Mittelpunkt. Die Impulsbeiträge für die Gesprächsabende bilden die Grundlage für dieses Büchlein.
Die Gesprächsreihe wich allerdings von der Ordnung der Glocken ab und behandelte die Themen in folgender Abfolge: Mensch – Menschenwürde – Gott Vater – Gnade – Schrift – Jesus von Nazareth – Jesus Christus – Freiheit – Verantwortung – Heiliger Geist – Vertrauen – Glaube. Das Gespräch über ‚Gott Vater‘ wurde mit Auszügen aus dem Kapitel „Wie Abraham Gott entdeckte“ aus Thomas Mann, Joseph und seine Brüder. Der junge Joseph (1934) eingeleitet.
Den einzelnen Abschnitten sind Hinweise für die weiterführende Lektüre beigegeben. Dabei wurden handliche Formate wie Aufsätze und Taschenbücher bevorzugt. Diese verweisen auf weitere umfangreiche Literatur. Unter den Hinweisen finden sich auch einige Texte, die in der Theologiegeschichte bedeutend geworden sind und als ‚Klassiker‘ bezeichnet werden können.
Reformationstag 2024
Hendrik Munsonius
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Trinität
Vier ‚Allein‘
Zeitgenossenschaft
Die erste Glocke
I.1| Gott Vater
I.2| Gnade
I.3| Menschenwürde
Die zweite Glocke
II.1| Jesus von Nazareth
II.2| Jesus Christus
II.3| Freiheit
Die dritte Glocke
III.1| Heiliger Geist
III.2| Schrift
III.3| Verantwortung
Die vierte Glocke
IV.1| Mensch
IV.2| Glaube
IV.3| Vertrauen
Glaube im Gespräch
Die St. Albanikirche in Göttingen besitzt ein Geläut mit vier Glocken, die anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 angeschafft und schließlich im Juni 2019 eingeweiht worden sind. Mit den vier Glocken – ihren Bezeichnungen, ihren Inschriften und ihrer Zier – sollte zum Ausdruck gebracht werden, wie sich (evangelischer) christlicher Glaube in dieser Zeit, aber auch über die Zeiten hinweg versteht. Dabei sollte das eigentümlich Evangelische ebenso deutlich werden wie das verbindend Christliche und der Anschluss an ein allgemein Humanes gewahrt bleiben. Darum sind den Glocken jeweils drei Begriffe zugeordnet worden.
– Was evangelisches Christsein ausmacht, wird traditionell mit vier ‚Allein‘ ausgedrückt: allein aus Gnade (sola gratia), allein Christus (solus Christus), allein die Schrift (sola scriptura), allein durch Glauben (sola fide). Diese Formeln sind als Inschriften auf den vier Glocken zu finden.
– Das gemeinsam Christliche, das dies von anderen Religionen und Weltanschauungen unterscheidet, findet seinen konzentrierten Ausdruck im Glauben an einen dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist (Trinität), dem der Mensch gegenübersteht.
– In Entsprechung zu den vier ‚Allein‘ wurden Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung und Vertrauen als Themen ausfindig gemacht, die für die Gesellschaft unserer Zeit zentrale Bedeutung haben und die Grundlage für Frieden und Gerechtigkeit bilden. Sie stehen nicht im Widerspruch zum christlichen Glauben, sondern erfahren durch ihn eine eigenständige und tiefgründige Deutung.
Auf diese Weise ergeben sich zwölf Themenfelder, die den vier Glocken zugeordnet sind und in diesem ‚Glockenkatechismus‘ dargestellt werden:
I.
Gott Vater
GRATIA
Menschenwürde
II.
Gott Sohn
CHRISTUS
Freiheit
III.
Gott Hl. Geist
SCRIPTURA
Verantwortung
IV.
Mensch
FIDE
Vertrauen
Die Kapitel können je für sich und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Dabei ergeben sich allerhand Querbezüge, die sich leicht erschließen lassen. Der Stoff kann und soll nicht vollständig dargestellt werden, gleichwohl meine ich, dass das Wesentliche christlichen Glaubens zeitgemäß anhand dieser zwölf Themen zur Sprache gebracht werden kann.
Literatur: Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Albani, Göttingen (Hrsg.): Gemeinsam Großes bewegen. Neue Glocken für St. Albani, Festschrift zur Glockenweihe, 2019; Hendrik Munsonius (Hrsg.): Reformation und Gegenwart. Evangelisches Profil durch ein vierfaches „Allein“?, 2016.
Für alle Religionen ist die Überschreitung der Immanenz weltlicher Verhältnisse durch einen Transzendenzbezug wesentlich. Im Christentum findet dieser seinen Ausdruck durch den Glauben an den dreieinigen Gott und ruht damit auf dem jüdischen Monotheismus auf. Im Alten Testament ist zu erkennen, wie sich die Gottesvorstellung von dem Volksgott JHWH zu einem konsequenten und umfassenden Monotheismus entwickelt. Wenn Gott wirklich Gott ist, dann muss er der Gott von allen und allem sein. Gott bleibt der Welt damit unbedingt transzendent.
Wie in jeder Religion stellt sich die Frage, wie diese Transzendenz mit der Immanenz vermittelt und so Menschen zugänglich werden kann. Für das Christentum wird dies vor allem in der Gestalt Jesu Christi verwirklicht. Hier finden wir die Integration von Transzendenz und Immanenz, also die Präsenz des Außer- und Überweltlichen mitten in der Welt, im Leben eines Menschen vor etwa 2000 Jahren in einer Randprovinz des Römischen Reiches, der nach einem etwas eigenwilligen Leben auf grausamste Weise hingerichtet worden ist.
Dass dies eine Geschehen ist, das alle Menschen, das auch uns betrifft, erschließt sich nicht allein durch eine historische Betrachtung. Die Vergegenwärtigung der göttlichen Präsenz in der Welt wird wiederum als göttliches Wirken verstanden, nämlich durch den Heiligen Geist. Im Trinitätsglauben können so die diametralen Gegensätze von Gott und Welt, Transzendenz und Immanenz, Zeitlichkeit und Ewigkeit, Universalität und Individualität integriert werden.
Die Rede vom dreieinigen Gott ist der christliche Weg, dem Gottesgeheimnis nahe zu kommen. Doch darf man die Lehre nicht mit dem verwechseln, wovon sie handelt. Die Trinitätslehre ist die Form, die der Gottesgedanke für unseren Verstand gefunden hat – doch Gott zu denken übersteigt unseren Verstand. Gott ist größer als alles, was wir von ihm zu wissen meinen. Die Trinitätslehre weist damit über sich selbst hinaus. Sie kündet vom Ganzen, ist aber nicht das Ganze. Dann ist es aber nicht nur möglich, sondern geradezu zu erwarten, dass sich Gott auch auf andere Weise offenbart, dass auch in anderen Religionen etwas von der Wahrheit Gottes zu finden ist.
Literatur:Volker Henning Drecoll (Hrsg.): Trinität (Themen der Theologie, 2), 2011; Gisbert Greshake: An den drei-einen Gott glauben. Ein Schlüssel zum Verstehen, 3. Auflage, 2000.
Die konzentrierte Zusammenfassung reformatorischer Theologie durch die vier ‚Allein‘ kann an Bekenntnisformulierungen des 16. Jahrhunderts anknüpfen, ist aber wahrscheinlich erst im 19. Jahrhundert in die heute geläufige Form gebracht worden. Sie bezeichnen zentrale Punkte und bringen zugleich eine Abgrenzung – namentlich gegenüber der römisch-katholischen Kirche – zum Ausdruck.
Der Mensch wird allein aus Gnade vor Gott gerechtfertigt und nicht durch seine guten Werke. Die Gnade kann darum auch nur im Glauben angenommen werden. Die göttliche Gnade ist allein in Jesus Christus offenbar und wirksam und wird nicht durch Priester oder Heilige vermittelt. Und es ist allein die Heilige Schrift, aus der Kunde davon zu gewinnen ist. Sie ist die maßgebliche Norm und Richtschnur und steht über aller kirchlichen Tradition.
Gegen ein vierfaches ‚Allein‘ ließe sich der Einwand erheben, dass dies in sich widersprüchlich sei. Doch ist zu bedenken, dass diese ‚Allein‘-Aussagen in jeweils unterschiedlicher Hinsicht getroffen werden und aufeinander bezogen werden können. In ihrem Zusammenhang vermögen sie durch ihre zunächst paradox anmutende Gestalt zur Interpretation anzuregen, um den Zusammenhang immer genauer zu verstehen.
So charakteristisch der Vierklang dieser ‚Allein‘ für die evangelische Kirche ist, so scheidet er die Konfessionen nicht mehr in der gleichen Weise wie in früheren Zeiten. Die evangelische Theologie weiß, dass es sich bei diesen ‚Allein‘ um Zuspitzungen handelt, die nicht ohne weiteres in dieser Weise beibehalten werden können. Andererseits vermag auch die römisch-katholische Kirche die Berechtigung der reformatorischen Impulse in mancher Hinsicht anzuerkennen. Beide Kirchen haben seit der Reformationszeit manche Entwicklung durchgemacht, die sie auch wieder angenähert hat, wenn auch markante Unterschiede – vor allem im Kirchen- und Amtsverständnis – bestehen bleiben.
Literatur: Ev. Kirche in Deutschland: Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017, 2014; Wilfried Härle: Das vierfache Allein als Zentrum der reformatorischen Theologie, in: Hendrik Munsonius (Hrsg.), Reformation und Gegenwart, 2016, S. 11–30; Lutherischer Weltbund/Römisch-katholische Kirche: Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 1999.
Unausweichlich sieht sich der Mensch vor die ärgerliche Tatsache der Gesellschaft (Ralf Dahrendorf) gestellt. Haben frühere Gesellschaftsordnungen dem Einzelnen seinen festen Platz und eine bestimmte Rolle zugewiesen, so sind moderne Gesellschaften durch ein hohes Maß an Individualität, Pluralität und Fluidität geprägt. Der Einzelne sieht sich einer übergroßen Menge an Möglichkeiten und ebenso vielen Erwartungen ausgesetzt, zwischen denen er seinen Lebensweg finden muss. Den verbindlichen Rahmen bildet nicht mehr ein als christlich verstandenes Gemeinwesen, sondern der moderne demokratische und säkulare Staat.
Die Pluralität der Gesellschaft und die Säkularität des Staates mögen für das christliche Gemüt eine Herausforderung darstellen. Sie können aber auch als christliches Erbe und insbesondere als eine späte Folge der Reformation begriffen und angenommen werden. Beides ruht auf Unterscheidungen auf, die für ein christliches Weltverständnis wesentlich sind. Dazu gehören die Unterscheidung von geistlichem und weltlichem ‚Regiment‘ sowie von innerer und äußerer Freiheit.
Das Zusammenleben in einem pluralen und säkularen Gemeinwesen ist zum einen auf eine funktionierende Rechtsordnung, zum anderen auf gelingende gesellschaftliche Kommunikation angewiesen. Dabei können divergierende Vorstellungen und Weltbilder in einen Austausch und Ausgleich gebracht werden. Die Christen können als Einzelne oder als Kirche an diesem Diskurs teilnehmen und dabei ihre Sicht ins Gespräch bringen.
Literatur:Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, 2006; Ingolf U. Dalferth (Hrsg.): Reformation und Säkularisierung. Zur Kontroverse um die Genese der Moderne aus dem Geist der Reformation, 2017; Horst Dreier: Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, 2018; Hendrik Munsonius, Öffentliche Religion im säkularen Staat, 2016.
SOLA GRATIA
Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen.(Martin Luther: