DER GOTT DES DONNERS (Joe Hawke 2) - Rob Jones - E-Book

DER GOTT DES DONNERS (Joe Hawke 2) E-Book

Rob Jones

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Beschreibung

Der zweite Band der Abenteuerreihe stellt den Ex-Special-Forces-Soldaten Joe Hawke vor noch größere Herausforderungen, die Zukunft der Menschheit zu retten, denn ein Menschenhändler verfolgt den wahnsinnigen Plan, in den Besitz der größten Macht dieses Planeten zu gelangen, um damit die Geschichte für immer zu verändern. Joe Hawke und sein Team müssen sich daraufhin durch die Unterwelt Schanghais und zum Grab von Dschinghis Khan kämpfen, aber auch eine gestohlene und streng geheime Tesla-Technologie zurückerobern, mit deren Hilfe an einem unbekannten Ort ein verheerendes Erdbeben ausgelöst werden soll.  Atemlose Action, verknüpft mit mythologischen Themen, und ein gehöriger Schuss Humor machen Rob Jones' Schatzjägerreihe zu einem absoluten Geheimtipp für Fans von James Rollins, Andy McDermott oder Clive Cussler. 

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Der Gott des Donners

Joe Hawke Abenteuer – Band 2

Rob Jones

This Translation is published by arrangement with Rob Jones.

WIDMUNG

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THUNDER GOD Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-604-7

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Der Gott des Donners
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Anmerkungen des Autors
Über den Autor

Kapitel 1

London

Joe Hawke schreckte aus dem Schlaf hoch. In der Dunkelheit seiner Londoner Wohnung klingelte das Telefon, und er beeilte sich, das Gespräch anzunehmen, bevor aufgelegt wurde.

»Hawke«, sagte er schlicht. Er schielte auf die kleine Uhr neben seinem Bett: 01:17.

»Hier spricht Eden.« Seine Stimme war ruhig und undurchschaubar.

Hawke spürte, wie eine Woge der Unsicherheit durch seine Adern rauschte. Er hatte keine Ahnung, warum Sir Richard Eden ihn mitten in der Nacht anrufen sollte, aber er wusste, dass es nicht darum ging, ihn zu einer Geburtstagsparty einzuladen.

»Was ist passiert?«

»Es geht um Lea«, sagte Eden nachdrücklich. »Sie wird vermisst.«

Hawke hielt einen Moment lang inne, um die Worte sacken zu lassen. Er schlief noch halb und ein Teil von ihm fragte sich, ob das alles nicht nur ein furchtbarer Traum war. Eden sprach von Lea Donovan, seiner persönlichen Sicherheitschefin und der Frau, in die Hawke sich zu verlieben begonnen hatte. Er schwang seine Beine aus dem Bett und schaltete das Licht ein. Die letzten paar Wochen hatten sein Leben komplett verändert – er hatte einen schweizerischen Größenwahnsinnigen zur Strecke gebracht und dessen irrsinnige Träume der Weltherrschaft beendet, und Lea getroffen, die erste Frau, für die er seit dem kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau starke Gefühle hegte. Und jetzt sagte Eden ihm, dass sie verschwunden war.

»Was bedeutet vermisst, Richard?«

»Wir wissen es nicht. Sie war für mich auf einem Einsatz in Fernost und sie ist von der Bildfläche verschwunden. Vor einigen Tagen schickte ich sie nach Hongkong, um etwas zu untersuchen, das möglicherweise ein Problem für mich darstellen könnte – für uns alle. Sie hält sich immer ans Protokoll, das besagt, mich alle sechs Stunden zu kontaktieren, aber vor etwa zehn Stunden wurde der Kontakt unterbrochen.«

»Ich höre.«

Eden fuhr fort, ruhig und bedächtig, aber eindeutig besorgt, und diesen Umstand versuchte er, vor dem ehemaligen SBS-Mitglied zu verbergen. »Ich habe das Gefühl, dass etwas ziemlich Großes im Anmarsch ist, Hawke, und ich vertraue darauf, dass Sie das für mich regeln. Ich weiß, dass es einige Dinge über mich gibt, denen Sie nicht trauen, und ich weiß, dass Sie wissen, dass ich Ihnen nicht alles sage, aber ich bitte Sie um Ihre Hilfe, und im Gegenzug werden Sie das Wissen erhalten, nach dem Sie gesucht haben.«

Hawke lauschte Edens Worten aufmerksam. Von Anfang an hatte er gewusst, dass etwas Wichtiges vor ihm geheim gehalten wurde, und dass Sir Richard der Punkt war, an dem das Rätsel begann und endete. Er wusste auch, dass die Täuschung nicht nur mit Scarlet Sloane und Sophie Durand zu tun hatte, sondern auch mit Lea Donovan selbst – der Frau, die den Kontakt zu ihrem Boss unterbrochen hatte und jetzt in Hongkong vermisst wurde.

Nun bestätigte Eden, dass seine Intuition die ganze Zeit richtig gewesen war und dass mehr an der ganzen Sache dran war, als er wusste. Der alte englische Politiker erzählte ihm auch, dass er näher als je zuvor dran war, die Wahrheit über alles herauszufinden, doch Hawke brauchte nichts davon als Anreiz – die Tatsache, dass Lea während eines Auftrags verschwunden war, war genug, um ihn zu motivieren.

»Kann ich Ihr Flugzeug nehmen?«, fragte Hawke.

»Nein. Ich habe das Flugzeug nach Dubai geschickt, um Scarlet Sloane abzuholen. Ich weiß, wie gut Sie beide zusammengearbeitet haben, und bat sie darum, Ihnen zu helfen. Sie werden mit einer zivilen Airline fliegen müssen, und das bedeutet, bis zum Morgen zu warten.«

»Ich bin schon dran.«

Eine Sekunde nachdem Eden aufgelegt hatte, war Hawke auf den Beinen.

Er stand auf und ging zügig ins Bad, wo er seine vorgepackte Reisetasche holte und sich die Zähne putzte. Licht aus und zurück im Schlafzimmer warf er die Tasche aufs Bett und zog ein paar Kleider von der Lehne eines alten Stuhls daneben.

Der quälende Schmerz, den er nach dem Mord an Liz verspürt hatte, hatte ihn jahrelang in ein Wrack verwandelt und ihn als gebrochenen Mann zurückgelassen. Er hatte schon vor langer Zeit nicht mehr zählen können, wie viele schnapsgetränkte Nächte es gebraucht hatte, um über Liz hinwegzukommen – Nächte voller Tränen und Schlaflosigkeit, die er so sorgsam vor dem Rest der Welt geheim gehalten hatte – und doch wusste er, dass man nie über so etwas hinweg kam, nicht vollständig.

Das Schlimmste daran war das Wissen, dass ihr Mörder mittlerweile selbst tot war, während einer Razzia der Special Forces in Thailand ausgeschaltet. Anstatt seinen Tod zu feiern, fand Hawke, dass er ihm das ursprünglichste aller Bedürfnisse geraubt hatte – Rache. Und das bedeutete einen nie endenden Kreislauf aus Hass und Kummer ohne irgendeinen Abschluss.

All das hatte ihn gezeichnet zurückgelassen und mit einer größeren Angst davor, diejenigen, die er liebte, zu verlieren, als er vor Hanoi je verspürt hatte. Jetzt, mit der Möglichkeit konfrontiert, dass Lea etwas Ähnliches zustieß, ballten sich seine Fäuste und er spannte den Kiefer an, verwarf selbst den winzigsten Gedanken an einen so schrecklichen Albtraum.

Was immer er über Eden und seine Geheimniskrämerei dachte, er wusste, dass er ein extrem professioneller Mann mit ernst zu nehmenden Kontakten in Geheimdienstkreisen war, und ebenso ein höchst angesehener Archäologe und Entdecker antiker Schätze. Nichts davon ließ ihn dazu tendieren, seine Worte anders als mit größtem Ernst aufzufassen.

Was immer Lea zugestoßen war, er würde es ungeschehen machen.

Wer immer verantwortlich war, den würde er bestrafen.

Er knallte auf dem Weg zum Taxi die Tür zu und wies den Fahrer an, so schnell wie möglich zum Flughafen London Heathrow zu fahren.

Es fing alles von vorne an.

Kapitel 2

Paris

Kunsthistoriker Felix Hoffmann rannte durch die Unterführung der Metro-Station Kléber. Die kalte Luft brannte in seinem Rachen, während er verzweifelt nach einem Weg suchte, seinem Verfolger zu entkommen. Er hatte gewusst, dass sie eines Tages hinter ihm her sein würden, aber nicht so. Nicht mit solcher Grausamkeit. Nicht mitten in der Nacht.

Vor einem Moment hatte er noch einen einfachen Aperitif mit Freunden im Club Kléber genossen, doch dann hatte sich seine Welt für immer verändert, als der Fremde ihm ins Ohr geflüstert hatte: Der Gott des Donners ist zurückgekehrt. Er wusste, was das bedeutete. Er wusste, was sie wollten.

Jetzt stolperte er die gefliesten Stufen hinunter und rannte tiefer in die verlassene Station. Er bemühte jeden Funken Kraft, den er in seinem verzweifelten Versuch, vor dem viel jüngeren und stärkeren Angreifer, der ihn durch die Pariser Nacht jagte, davonzulaufen, aufbringen konnte.

Unten in der Dunkelheit hörte er das Geräusch eines Zuges auf der Strecke. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte er, er würde überleben, seine Familie wiedersehen. Doch als er die Plattform erreichte, erkannte er, dass es kein ankommender, sondern ein abfahrender Zug war, der den Bahnhof verließ.

Verzweifelt und verängstigt musterte er die Plattform auf der Suche nach jemandem, der ihm helfen konnte, aber es war niemand da – nur das umherschweifende Auge einer an der Wand befestigten Überwachungskamera, kalt, unnahbar und machtlos, sein schreckliches Schicksal an dessen Entfaltung zu hindern. Hinter sich hörte er wieder die Schritte, das Atmen. Der Angreifer kam näher.

Ihm blieb nur noch eine Handlungsoption, und er ergriff sie.

Er kletterte in den Tunnel hinunter und bewegte sich durch die Dunkelheit. Er war jetzt nicht nur voller Furcht vor der tödlichen Bedrohung hinter sich, sondern auch vor den möglicherweise fatalen Konsequenzen, die dritte Schiene zu berühren. Er stolperte an den Führungsschienen der Gleise entlang, so schnell er konnte; ab und zu streiften seine Füße die Gummireifengleise.

Hoffmann war ein Spezialist für chinesische Kunst in allem, was von Bronzearbeiten der Shang-Dynastie bis zu Kunst der Zhou-Dynastie reichte, und er war stolz auf seine Unwissenheit über die technische Welt. Aber er hatte die Schilder, die überall in der Pariser Metro davor warnten, auf das dritte Gleis zu urinieren, oft genug gelesen, und er brauchte keine weitere Erklärung, warum so etwas zu tun eine schlechte Idee war.

Doch jetzt war er tatsächlich auf den Gleisen, um sein Leben rennend und außer Atem vor Panik bei dem Gedanken, was ihm zustoßen würde, falls er erwischt würde. Vielleicht wäre der Tod durch Stromschlag in diesem dunklen, kalten Tunnel dem sogar vorzuziehen.

Jetzt hörte er das vertraute Poltern eines sich nähernden Zugs. Er strengte seine Augen im Restlicht des Tunnels an und erblickte etwas, das ihn mit Grauen erfüllte. Vor ihm wurde eine Seite des Tunnels vom geisterhaften, gelben Licht eines sich nähernden Metro-Zugs beleuchtet. Seine einzige Chance, nicht von ihm zu Tode gequetscht zu werden, bestand darin, umzudrehen und zurück in die Arme seines Verfolgers zu laufen. Während er seine Optionen durchdachte, beobachtete er, wie die Ratten sich vor Furcht vor der drohenden Gefahr zerstreuten.

Dann hörte er die Stimme. »Sie können nicht entkommen, Felix!« Sie war kalt und emotionslos und schallte eisig von den gefliesten Wänden des schmutzigen Tunnels wider.

»Warum könnt ihr Typen mich nicht in Ruhe lassen?«, rief er. Seine Stimme war von der Anstrengung des Rennens und der nackten Angst, die er jetzt durch seine Adern pulsieren spürte, heiser. »Habt ihr mir nicht schon genug genommen?«

»Sie haben uns sehr viel gegeben, ja«, sagte die Stimme. »Aber wir sind mehr an dem interessiert, was Sie uns vorenthalten. Wo sind die Papiere?«

Hoffmanns Verstand raste vor Unentschlossenheit. In der einen Richtung lag der sichere Tod, herbeigeführt von den schrecklich schweren Doppelstahlfahrwerken des Metro-Zugs, der jetzt mit furchteinflößender Geschwindigkeit auf ihn zu rumpelte. In der anderen Richtung lag ebenfalls der sichere Tod, herbeigeführt von den Menschen, die er mehr fürchtete als alles andere.

Der Lokführer drückte auf das Signalhorn. Es war schrill und ohrenbetäubend im geschlossenen Tunnel.

»Geben Sie uns diese letzte Sache, Felix«, sagte die Stimme, ruhig selbst angesichts des nahenden Zugs. »Schließen Sie sich uns an!«

»Niemals! Ich werde mich niemals an einem solchen Frevel beteiligen!«

»Sie wissen nicht, was Sie sagen, Felix. Das haben Sie immer gewollt. Hier ist Ihre Chance. Helfen Sie uns, und Sie werden vom ewigen Leben kosten.«

Hoffmann starrte die Silhouette seines Verfolgers an. Er sah zum Zug – tausende Tonnen von Metall, die auf ihn zurasten. Er wusste, was es bedeuten würde, ihnen nachzugeben. Es berauschte ihn, aber mehr noch jagte es ihm Angst ein.

»Letzte Chance, Felix! Geben Sie uns, was wir brauchen, und schließen Sie sich uns an. Schließen Sie sich den Göttern an!«

Ein letzter Blick zum Zug und Felix Hoffmann gehorchte seinem innersten Instinkt und floh vor ihm, rannte mit jedem Schritt näher zu seinem Verfolger. Vielleicht hätte er auf der Plattform eine Chance, aber wenn er hier auf den Schienen blieb, würde sein Leben gewiss in wenigen Sekunden enden.

»Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Felix.«

»Irgendwie bezweifle ich das …«, sagte er. Heute würde er am Leben bleiben, dachte er, damit er morgen fliehen konnte.

Doch ihm blieb nicht viel Zeit, über morgen nachzudenken, weil seine Zukunft dann eine drastische Wendung zum Schlechten nahm.

Als er auf den Rand der Plattform hinaufkletterte, spürte er, wie sich sein Angreifer rasch hinter ihn bewegte, und dann passierte es ganz plötzlich.

Der Strick schnellte um seinen Hals und zog sich enger, grub eine schmerzende Kerbe ins weiche Fleisch und schnitt seine Luftzufuhr ab. Vergeblich zerrte er am Strick, doch er lag zu eng um seinen Hals, als dass er auch nur die Fingerspitzen darunterschieben konnte.

Hinter ihm sauste der Zug mit einem pfeifenden Schwall aus Sand und Schmutz vorbei.

»Wo sind die Reichardt-Papiere, Felix?«, fragte die Stimme. Gelassen, autoritär. In kompletter Kontrolle.

»Bitte!«, krächzte er heiser.

»Wo sind sie?«

Hoffmann schlug im vergeblichen Versuch, sich zu befreien, um sich, aber er wurde mit jedem verpassten Atemzug schwächer. Seine Augen traten so weit hervor, dass er glaubte, sie könnten ihm aus dem Kopf springen, aber irgendwie schaffte er es, die Worte herauszubringen: »Sie sagten, ich könnte mich Ihnen anschließen …«

»Ich hab gelogen. Sagen Sie mir, wo sie sind, oder Ihre Familie wird genau auf die gleiche Art sterben.«

»Sie sind … sie sind … hier! Ich habe sie jetzt bei mir. Bitte tun Sie meiner Familie nichts!« Als Hoffmann spürte, wie sein Verfolger in seine Jacke griff und die Papiere aus seiner Tasche zog, wusste er, dass er nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Welt verraten hatte. »Ich hab es Ihnen jetzt gesagt. Bitte … bitte lassen Sie mich einfach atmen und lassen Sie meine Familie am Leben!«

Doch der Angreifer ließ ihn nicht atmen. Hoffmann kämpfte, aber es gab kein Entrinnen. Das Letzte, was er mit seinen schmerzenden, hervortretenden Augen sah, waren die leuchtenden Neonröhren der Metro-Station, und dann spürte er, wie er davonglitt. Sie hatten schlussendlich gewonnen, und die Welt würde einen furchtbaren Preis für sein Versagen bezahlen.

Kapitel 3

Hongkong

Hawke wusste, wann er verfolgt wurde, und jetzt war das der Fall. Er und Scarlet Sloane waren seit weniger als einer Stunde in Hongkong und schon beschattete sie jemand. Er könnte sich denken, dass sie ihn im Flugzeug von London aus beobachtet hatten – der erste Flug, der nach Hongkong abgehoben hatte, nachdem Sir Richard ihn aufgeweckt hatte, um ihm von Leas Verschwinden zu erzählen.

Sie durchquerten eine Gasse und betraten den Nachtmarkt in der Temple Street mit der Absicht, ihren Verfolger abzuschütteln. Vor Jahren war Hawke als Kommandosoldat der britischen Überseestreitkräfte Hongkong in der Stadt postiert gewesen. Die Royal Marines waren seit den allerersten Tagen der britischen Kolonialisierung in der Stadt stationiert gewesen, und es war ein toller Posten, den die meisten Militärs, die hingingen, liebten.

Doch während Hawke nach einer Möglichkeit suchte, ihren Schatten abzuschütteln, erkannte er, dass sich die Dinge verändert hatten. Zum einen war der Nachtmarkt anders. Früher hatte er exzellentes Essen geboten, eine tolle Atmosphäre, Sänger auf den Bürgersteigen – aber jetzt nicht mehr. Er wirkte geschmacklos und langweilig, die Sänger waren in die kühle, subtropische Nacht verschwunden und das Essen war billig und salzig. Und der Mann war noch immer hinter ihnen.

Die Touristen auf dem Markt wurden mehr, während die Nacht abkühlte und der vertraute Geruch von gebratenem Fleisch und Pflaumensoße die Luft erfüllte. Überall um sie herum lachten die Menschen und machten Selfies von ihrer Nacht in der exotischen Stadt.

Sie passierten einige Prostituierte vor einem Nudelhaus und bewegten sich tiefer in die Menge hinein, um ihre Situation zu überdenken. Nur ein Mensch hatte Kenntnis davon, dass sie in Hongkong waren – Sir Richard Eden. Hawke wusste, dass er sie niemals verraten würde.

Sie überquerten die Saigon Street. Rote Wimpel flatterten im Wind und ein Mann stritt mit einem Wahrsager, hob die Stimme, um über den Lärm einer nahegelegenen Karaokebar hinweg gehört zu finden.

Die Nachricht von Hugo Zauggs Tod vor weniger als zwei Wochen war der Welt als tragischer Selbstmord präsentiert worden, doch wie viele Menschen außerhalb Edens offiziellem Kreis und gewissen Elementen der amerikanischen Regierung die Wahrheit wussten, war unbekannt.

Als er in Hongkong gelandet war, war alles sogar noch schlimmer geworden. Eden hatte ihn kontaktiert, um ihn über einen weiteren Mord zu informieren. Ein privater Forscher in Paris, der irgendwie mit Leas Verschwinden zu tun hatte, war kurz nach Edens erstem Anruf bei Hawke getötet worden, und ernste Sorgen bereitete Eden die schlichte Tatsache, dass Lea damit beauftragt gewesen war, diesen Mann zu überwachen, während er sich kürzlich in Hongkong aufgehalten hatte.

Hawke fragte sich, ob der Tod von Felix Hoffmann und jetzt sein neuer Freund ein paar hundert Meter hinter ihm mit der Zaugg-Affäre in Verbindung standen, schlug sich das allerdings sofort wieder aus dem Kopf. Er war in Hongkong, um Lea zu finden, und jetzt auch, um die Verbindung zu Hoffmann aufzudecken, und er wusste, wo er anfangen musste.

»Schau dir den Typen im schwarzen T-Shirt an.« Hawke zeigte mit dem Daumen über die Schulter.

»Wir werden verfolgt?«

»Ziemlich sicher, ja. Er hat sich ein paar hundert Meter hinter uns gehalten, seit wir auf den Markt eingebogen sind.«

Scarlet drehte sich langsam um und gab vor, eine vorbeiziehende 747 bei ihrem Aufstieg in die orangefarbenen Wolken über die Stadt zu betrachten – es sah aus, als könne es jeden Moment zu regnen anfangen – und während sie dem Weg des Flugzeugs folgte, inspizierte sie verstohlen die Straße.

»Schwarze Jeans und Sonnenbrille auf dem Kopf?«, fragte sie.

»Das ist der Kerl.«

»Wenn das eine Beschattung ist, ist er nicht besonders gut«, sagte sie herablassend. »Könnte irgendwer sein.«

»Könnte auch jemand Bestimmtes sein«, sagte Hawke.

»Dann lass ihn mal was für sein Geld tun, Schätzchen.«

Sie blieben stehen und taten so, als läsen sie die Speisekarte im Fenster eines nepalesischen Restaurants.

»Definitiv ein Schatten«, sagte Hawke und beobachtete das Spiegelbild des Mannes in der Fensterscheibe. »Er ist vor diesem Juwelier auf der anderen Seite der Straße stehen geblieben. Wenn er nur halb so clever ist, wie er sein sollte, betrachtet er uns genau so in der Spiegelung des Fensters, wie wir das hier benutzen.«

Ein Moped tuckerte die Straße entlang, schlängelte sich zwischen Einkäufern und Touristen hindurch, während es eine Wolke aus schmutzigem blauem Rauch in die Luft hinter sich spuckte. Menschen gingen am frühen Abend ihren Geschäften nach wie an jedem anderen Abend in der Stadt auch.

Scarlet seufzte. »Und was jetzt?«

»Reden wir ein Wörtchen mit ihm«, sagte Hawke cool.

»Er ist wahrscheinlich bewaffnet.«

Er drehte sich mit einem sarkastischen Grinsen auf den Lippen zu ihr um. »Ja, aber ich hab dich.«

Sie wandten sich vom Restaurant ab und peilten den Mann an, doch bevor sie überhaupt auf die Straße treten konnten, begriff ihr Verfolger, dass er durchschaut war, und zog sofort eine Waffe aus seiner Tasche. Er feuerte sie zweimal in einer Manier auf sie ab, die für Hawke wie ein gefährliches Improvisationsstück wirkte.

Sie duckten sich beide und sprangen hinter einem Imbissstand in Deckung, während die Kugeln das Restaurantfenster einschlugen und einen Regen aus Glassplittern über die Gäste darin explodieren ließen. Überall auf dem Markt schrien Menschen und rannten in jede Deckung, die sie finden konnten. Ein Mann in einem anspruchslosen Friseurladen ergriff sein Telefon und machte einen Anruf, vermutlich zur Polizei. Dann rannte ein junger Wachmann aus einem nahegelegenen Juwelier auf die Straße. Er zog eine Glock 19 aus seinem Hüftholster und richtete sie auf Hawke und Scarlet.

»Hände hoch und nicht bewegen«, rief er in gestelztem Englisch.

Scarlet zog eine Augenbraue hoch. »Tja, welchen soll ich übernehmen, Schätzchen?«

Hawke sah machtlos zu, wie sich der Mann im schwarzen T-Shirt umdrehte und in die Menschenmenge des Markts flüchtete.

»Dafür haben wir keine Zeit  …«, sagte er.

»Ihr nehmt die Hände hoch, sofort!«, rief der Wachmann. »Ihr versucht, Laden zu überfallen!« Bevor der Wachmann wusste, wie ihm geschah, schlug ihm Scarlet die Glock mit einem heftigen Krav Maga Slap-Kick aus der Hand und ließ sie mit einem metallischen Schlag auf die Straße fliegen. Hawke holte sie und der Wachmann zog sofort die Augenbrauen hoch und hob dann, eine Sekunde später, die Hände. »Bitte nicht schießen!«

»Sehen Sie es so – Sie atmen noch«, sagte Hawke zum Wachmann. »Das bedeutet, dass sie Sie mag.«

Dann, ohne noch eine weitere Sekunde zu verschwenden, verfolgten sie den fliehenden Mann.

Sie rannten in die Menge, sausten durch den geschäftigen Nachtmarkt, so schnell sie konnten, doch nur Sekunden später stolperte Hawke über eine Kiste voller billiger Armbänder neben einem Stand und ließ sie durcheinanderfliegen. Der Standbesitzer schrie und wedelte mit dem Finger, aber Hawke und Scarlet ließen ihn hinter sich und jagten weiter dem Mann nach.

Plötzlich hatte sich Hawkes Plan, Lea und nun auch Hoffmanns Killer für Eden aufzuspüren, dazu verwandelt, einen unbekannten Angreifer durch die Nacht von Hongkong zu verfolgen. Soweit er wusste, standen diese drei Dinge miteinander in Verbindung, und jetzt musste er herausfinden, wie.

»Komm schon, Joe«, rief Scarlet. »Wir werden ihn nie erwischen, wenn du wie ein besoffener Idiot durch die Gegend stolperst. Wenn Lea dich jetzt nur sehen könnte …«

Lea. In den zwei Wochen, seit Zaugg vor seinen Schöpfer getreten war, hatten sich Lea und Hawke nicht oft gesehen, doch jetzt, da sie vermisst wurde, wünschte er, sie hätten. Nachdem sie von Genf nach London zurückgekehrt waren, hatten sie ein paar Tage miteinander verbracht, bevor Lea alleine nach Irland gegangen war, um ihre Familie zu besuchen.

Sie hatte sich nur ein Mal gemeldet, um Hawke eine Nachricht zu schicken und zu fragen, wann sie sich wieder treffen sollten. Sie sagte ihm, sie sei daheim, und er nahm an, an der Westküste, weil sie ihm in jener Nacht in Zermatt von einem Cottage erzählt hatte, das sie dort besaß. Doch dann war Edens Anruf mitten in der Nacht, um zu berichten, dass sie verschwunden war, wie ein Vorschlaghammer gekommen.

Aber Hawke war auch beschäftigt gewesen. Die Affäre im British Museum hatte seinem Ruf in der Welt der privaten Security nicht gerade geholfen, und während seine Lösung dieses Problems ihm endlose Verträge eingebracht hätte, blieb ihm keine andere Wahl, als die ganze Sache für sich zu behalten. Und so hatte er seine Zeit zwischen der Suche nach Arbeit und dem Verbessern seiner Parkour-Fähigkeiten über die Londoner Skyline aufgeteilt.

Das hieß, bis der neueste Albtraum auf seiner Türschwelle aufgetaucht war. Zuerst Leas Verschwinden und dann, als er landete, die Nachricht vom Mord an Hoffmann. Das kürzeste aller Briefings hatte ein grobes Bild von einem privaten deutschen Forscher gezeichnet, der sein Leben der Entdeckung von etwas gewidmet hatte, das Eden nur als Reichardt-Papiere beschrieb. Er war ein freier Kollege Edens gewesen, bis man ihn zu Tode erdrosselt in der Pariser U-Bahn gefunden hatte.

Jetzt hatte ihr Mann den Markt verlassen und rannte um sein Leben eine kleinere Seitenstraße hinunter. Hawke war sicher, dass der Mann die Stadt wahrscheinlich wie seine Westentasche kannte, und wenn sie ihn aus den Augen ließen, würde er für immer in der Nacht verschwinden. Doch sein Parkour-Training bedeutete, dass die Chance, dass der Mann in einer städtischen Umgebung davonkam, gering war.

Von der Hauptstraße entfernt, feuerte Scarlet einen Schuss mit ihrer Beretta Storm, einer eleganten kleinen Subcompact-Pistole, die sie einpackte, wenn sie fortging, um sich zu amüsieren, auf den Mann ab. Das Geräusch des Schusses verlor sich rasch in der geschäftigen Nacht. Der gejagte Mann duckte sich instinktiv, um nicht getroffen zu werden, also feuerte sie noch fünfmal absichtlich hoch. Diese Schüsse waren lauter und ihnen folgte das Geräusch von schreienden Menschen hinter ihnen auf dem Markt.

»Das ist einfach fantastisch«, sagte Hawke seufzend. »Jeder Cop in der Stadt wird innerhalb von fünf Minuten hier sein.«

»Dann machen wir lieber schnell.«

Hawke fing an, es zu bereuen, Scarlet Sloane gebeten zu haben, ihm zu helfen, doch wieder einmal war ihre Unterstützung von Sir Richard selbst nachdrücklich empfohlen worden. Die beiden hatten ganz eindeutig eine komplexe Beziehung – keiner von ihnen hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, ihm zu sagen, was vor sich ging, aber da Lea vermisst wurde, würde er jede Hilfe annehmen, die er in die Finger bekommen konnte.

Jetzt verzog sich der Mann zum Ende der Seitenstraße und rannte um die Ecke, aber Hawke und Scarlet holten zu ihm auf. In der nächsten Straße, ein paar Sekunden später, kniff Hawke die Augen in der Helligkeit der Neonladenschilder zusammen – niemand rannte mehr.

Scarlet holte ihn im nächsten Moment ein. »Und?«

»Er hat auf Schritttempo verlangsamt, um mit der Menge zu verschmelzen.«

Dann das Geräusch von Polizeisirenen. Hawke blickte über die Schulter und sah einen Mercedes-Sprinter mit Polizeikennzeichnung ins Straßenende hinter ihnen rasen. Auch sie waren heute Nacht auf der Jagd.

»Sieht aus, als würden die Bullen uns den Spaß verderben«, sagte Scarlet.

»Und wir müssen unseren kleinen Freund erwischen, bevor die es tun«, sagte Hawke, der die Menschenmassen musterte. »Da! Er geht wieder durch die Menge – ich sehe, wie er versucht, in einer Gasse zu verschwinden.«

Sie jagten ihm wieder nach, drängelten sich brachial durch die Menge aus Einkäufern und Touristen, während die Polizeisirenen sich ihnen von allen Seiten näherten.

»Er entkommt, Joe!«

»Nicht, wenn ich es verhindern kann.«

»Er ist wieder verschwunden!«

»Verdammt!«, murmelte Hawke und kletterte halb an einem Verkehrsschild hoch, um besser sehen zu können. Sekunden später entdeckte er den Mann, der sich langsam durch eine Menschengruppe schlängelte, die einem Straßenkünstler dabei zusah, wie er durch eine billige Tonanlage Gitarre spielte und sang.

»Da ist er!«

Der Mann warf einen Blick zurück und entdeckte Hawke oben auf dem Stoppschild. Sofort huschte er in die nächste Gasse und war wieder einmal aus ihrem Blickfeld verschwunden.

»Jetzt oder nie«, sagte Hawke. »Ich glaube, der Typ verschwindet in der Nacht, wenn wir nicht aufpassen.«

»Und soweit wir wissen, ist er unsere einzige Spur zu Lea oder vielleicht Hoffmanns Mörder.«

Hawke und Scarlet rasten in die Gasse und gönnten ihren Augen einen Moment, um sich an die dunklere Atmosphäre abseits des Neonscheins der Hauptstraße zu gewöhnen. Dann entdeckten sie ihren Mann, doch jetzt war er nicht mehr alleine, und er rannte nicht länger vor ihnen weg, sondern auf sie zu.

»Der Scheißkerl muss Unterstützung gerufen haben«, sagte Scarlet. »Jetzt sind sie eine ganze Truppe – müssen mindestens acht von ihnen sein.«

»Ich mag unsere Aussichten nicht«, sagte Hawke. »Nicht mit so vielen Zivilisten überall.«

Die Männer näherten sich und Hawke sah das Aufblitzen einer Klinge in einer ihrer Hände. Scarlet sah die Beretta an. »Nur drei hier drin übrig, Joe.«

»Aber das wissen die nicht.«

Sie seufzte. »So gerne ich ihnen auch die Eier eintreten will, ich denke, acht gegen zwei, und die anderen haben auch noch den Heimvorteil, bedeutet vielleicht, dass es Zeit für einen taktischen Rückzug ist, oder?«

Hawke gab ihr recht.

Widerwillig.

Kapitel 4

Die Gang jagte ihnen nach, durch ihre Überzahl ermutigt. Sie bewegten sich mit ihren versteckten Messern flink durch die nichts ahnende Menge aus Einkäufern und Touristen wie Haie durch eine Schule von Guppys pflügen.

Vor ihnen waren Hawke und Scarlet Sloane innerhalb weniger kurzer Momente von Jägern zu Gejagten geworden und rannten jetzt im Versuch, einen Ort zu finden, an dem sie sich vor den bewaffneten Männern verstecken konnten, durch die Straßen der Stadt. Es waren solche Momente, in denen Hawke es bereute, sich mit dem enigmatischen Richard Eden eingelassen zu haben, doch seiner Ansicht nach war es besser, durch fremde Städte gejagt zu werden, als Däumchen zu drehen, und er würde bis ans Ende der Welt gehen, wenn es bedeutete, Lea zu retten.

Er warf einen Blick über die Schulter, als sie das Ende der Straße erreichten, und erkannte, dass die Gang zu ihnen aufholte. Ganz eindeutig wollten sie ein stilles und schnelles Ende für Joe Hawke und Scarlet Sloane, bevorzugt in einer ruhigen Gasse in den dunkleren Winkeln der Stadt.

»Was jetzt?«, fragte Scarlet.

Hawkes Gedanken überschlugen sich. Vor ihnen lagen nur weitere Geschäfte und schäbige Marktstände; Touristen schlenderten umher und betrachteten zwanglos den billigen Schmuck.

»Wir brauchen Speed«, sagte Hawke.

»Ich hab nie gewusst, dass du auf so was stehst.«

Hawke verdrehte die Augen. »Du weißt, was ich meine, Cairo.«

Dann öffnete der Himmel seine Schleusen.

»Ganz toll.«

Die Sturmwolken entfesselten einen schweren subtropischen Monsun auf sie, und Sekunden später war der Himmel voller Blitze und Regen. Ein tiefer Donnerschlag dröhnte über der Stadt, als Hawke ihre Gelegenheit entdeckte. Ein junger Mann glitt vom Sattel einer alten Vespa und suchte Schutz in einem Schnellimbiss.

Hawke zeigte auf den heruntergekommenen Roller. »Das ist unsere Mitfahrgelegenheit!«

»Dieses Ding?«, entgegnete Scarlet mit Verachtung. »Ich wäre lieber tot, als darauf gesehen zu werden.«

»Was ziemlich gelegen kommt, weil das im Moment genau die Wahl ist, die du hast.«

Hinter ihnen holte die Gang auf. Scarlet machte einen Schmollmund, während sie so tat, als dächte sie über die Situation nach.

»Hör auf zu lamentieren und steig auf den Roller, Cairo!«

Scarlet packte Hawke um die Taille, als er die Vespa aufheulen ließ und die Bremse löste. Der Roller machte einen Satz nach vorne und schlitterte auf die Straße hinaus, während Hawke verzweifelt versuchte, die Kontrolle zu behalten, weil die schmalen Reifen auf der glitschigen Straße ins Rutschen kamen.

Er beobachtete die Männer in dem kleinen, gesprungenen Rückspiegel und sah, wie zwei von ihnen einen Taxifahrer aus seinem Fahrzeug zogen und auf ihn einstachen. Er fiel zusammengekrümmt zu Boden, während sie in sein Auto sprangen und die Verfolgung aufnahmen. Sekunden später waren die Scheinwerfer des Taxis nur wenige Meter hinter ihnen, beleuchteten den Regen mit ihrem gelben Schein, während der Motor im Hintergrund brummte und aufheulte. Der Kühlergrill war wie ein zähnefletschendes Maul.

»Verdammte Scheiße, Joe – kannst du nicht schneller fahren? Die hängen mir fast am Arsch.«

»Also …«

»Denk nicht mal dran, diesen Satz zu beenden, oder ich schwöre, ich werd dich unter die Räder von diesem Taxi werfen.«

»Kapiert.«

Hawke bog scharf nach rechts ab, wobei er sein Bein ausstreckte, um den Roller davon abzuhalten, umzukippen. Die neue Straße war schmaler als die letzte, aber das hielt das Taxi nicht auf. Die Männer schlossen die Lücke und begannen, auf sie zu schießen. Eine Sekunde später prallte eine Kugel vom rückwärtigen Blechnummernschild der Vespa ab. Sie machte ein komisches, schwirrendes Geräusch, bevor sie in den Regen davonflog.

Scarlet zog die Beretta aus ihrer Tasche, und mit einem Arm fest um Hawkes Taille geschlungen, feuerte sie lässig einen Schuss in die Windschutzscheibe des sie verfolgenden Taxis. Durch den Starkregen hindurch erkannte sie das verräterische Zeichen eines Einschusslochs im Glas.

Das Auto rutschte und schlingerte über die schmale Straße. Sein rechter Kotflügel erwischte eine niedrige Backsteinmauer und jagte einen Schauer goldener Funken in die klamme Luft, doch die Männer waren kurz darauf wieder auf ihren Fersen.

Mit neu gewonnener Motivation fuhr das Taxi jetzt nah genug heran, um den Hinterreifen der Vespa zu treffen, und Sekunden später kämpfte Hawke darum, den leichtgewichtigen Roller unter Kontrolle zu halten, als dieser sich über die rutschige Straße drehte und ganz knapp eine Reihe von Mülltonnen an der Rückseite eines Restaurants verfehlte.

»Noch ein Schuss, bitte, Cairo!«, rief er. »Und der muss sitzen.«

Scarlet drehte sich wieder auf dem Roller um und feuerte einen zweiten Schuss ab, doch gerade, als sie den Abzug drückte, erwischte der Roller ein Schlagloch und die Kugel ging hoch los, segelte über das Taxi und verschwand in der Nacht von Kowloon. »Verdammt, Hawke! Kannst du nicht fahren?«

»Hä?«

»Du willst, dass ich einen Schuss abfeuere, der sitzt, und dann fährst du direkt durch ein beschissenes Schlagloch.«

»Dir ist vielleicht aufgefallen, dass wir mitten in einem verdammten Monsun sind, Cairo, und meine Sicht ist auf einen Zentimeter reduziert. Schieß noch mal.«

»Hab nur eine Kugel übrig, Joe. Keine Schlaglöcher mehr, okay, Schätzchen?«

Hawke fuhr langsamer, was es dem Taxi erneut ermöglichte, zu ihnen aufzuholen. Scarlet hielt sich wieder an Hawke fest, während sie sich umdrehte und mit der kompakten Storm ein letztes Mal auf das sie verfolgende Taxi zielte.

Und schoss.

Dieses Mal ging die Kugel wieder durch die Windschutzscheibe, aber tiefer, und traf das beabsichtigte Ziel. Der Fahrer sackte nach vorne und der Motor heulte wild auf, als der Fuß des toten Mannes das Gaspedal durchdrückte.

Hawke zwang die Vespa in der Absicht, das leistungsstärkere Auto abzuhängen, zum Äußersten, doch gerade in dem Moment, in dem es wieder ihren Hinterreifen gerammt hätte, endete die schmale Straße und Hawke brach nach rechts aus. Hinter ihnen raste das Auto in einer geraden Linie weiter und schlug mit der Schnauze voran in eine riesige Plakatwand, die für ein luxuriöses Geschenkartikelgeschäft warb.

»Und damit wären die abgewickelt«, sagte Hawke.

Scarlet seufzte. »Verdammt noch mal.«

»Was?«

»Es reicht mit deinen schlechten Sprüchen, okay?«

»Klar, wenn du das sagst, aber …«

»Was ist? Warum wirst du langsamer?«

Hawke hielt an und schaltete den Motor ab. »Wir haben Gesellschaft.«

Er zeigte auf ein langes, schwarzes Auto, das vor ihnen geparkt stand. An die Motorhaube gelehnt, stand ein Mann, der eine glänzende, schwarze Pistole so beiläufig hielt, als wäre sie eine Banane.

»Ins Auto, bitte«, sagte der Mann und richtete die Pistole auf sie.

***

Das Auto war eine Mercedes-Stretchlimousine, und im nächsten Moment öffnete sich die Fondtür.

»Rein da!«

Hawke erkannte die Stimme nicht, doch dann hielt der Fahrer eine winzige Papierlibelle aus dem Fenster, damit er sie sehen konnte. »Entweder das oder der Tod, Mr. Hawke.«

»Woher kennt er deinen Namen? Wer sind diese Typen, Joe?«

Hawke seufzte. Von allen Menschen, von denen man gerettet werden konnte, musste es ausgerechnet sie sein.

»Komm«, sagte er. »Dieses Auto wird uns dort hinbringen, wo wir hinmüssen.«

Sie stiegen ein und sperrten den Regen mit der schweren Tür aus. Der Mann mit der Waffe setzte sich ihnen gegenüber, die Pistole auf ihre Brust gerichtet. Ohne dass noch ein weiteres Wort gesprochen wurde, fuhr der Fahrer los. Sie fuhren eine Stunde lang durch die Stadt und hielten schließlich vor einem schäbig aussehenden Stripklub an. Drinnen wurden sie eine Treppe hinaufgeführt und betraten einen spärlich beleuchteten Raum.

Die Stimme der Frau war gelassen und ein wenig rauchig.

»Es ist lang her, Joe.«

Hawke spähte in die Schatten, von wo die Figur einer schlanken, jungen Frau im Zimmer auftauchte. Er erkannte ihr Parfüm – Orchideen und Vanille.

»Dragonfly«, sagte Hawke und steckte seine Waffe weg.

»Für immer und ewig«, sagte die Frau. Sie warf ihm eine Kusshand zu.

Zhang Xialou trat vor und schenkte dem Engländer ein zweideutiges Lächeln.

Sie trug hauptsächlich Schwarz und ihre Lippen wirkten im Halbdunkel unmöglich rot. Sie hielt eine Typ 84 locker in der Hand, schob sie aber kunstvoll in ein Schulterholster, als sie in den warmen Schein der Lampe trat.

»Du siehst gut aus, Joe«, sagte sie.

Im Westen als Lexi Zhang bekannt, war die Frau eine eingetragene Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit, dem Nachrichtendienst der Volksrepublik China. Hawke ließ sie nicht aus den Augen, und nicht nur, weil er ihr nicht traute. Die gute Nachricht war, dass der Ausdruck rattenscharf für Lexi Zhang erfunden worden war, die schlechte Nachricht war, dass sie das wusste. »Zu schade, dass ich damals in Genf nicht auch in dein Bett, sondern nur in dein Hotelzimmer eingebrochen bin. Du sahst so friedlich aus, als du geschlafen hast. Ich hatte das Verlangen … dir die Haare zu zerzausen.«

Hawke lächelte. »Aber wir alle wissen, was man mit Verlangen macht, nicht wahr, Lexi?«

»Ja«, sagte Scarlet und trat vor. »Und ich bin übrigens gerade mit euch beiden im Raum, ist euch das klar?«

Ihre Worte erschreckten Hawke, der anscheinend vergessen hatte, dass sie tatsächlich mit ihm und der schönen chinesischen Agentin im Zimmer war.

»Sorry«, murmelte er ungerührt. »Lexi, das ist Cairo Sloane, Cairo – ich darf dir Lexi Zhang vorstellen, auch bekannt als Dragonfly. Sie ist unlängst in mein Hotelzimmer eingebrochen, auf der Suche nach Informationen bezüglich Poseidon …«

»Es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Lexi.

»Gleichfalls, und ich heiße Scarlet«, sagte sie mit einem Stirnrunzeln in Hawkes Richtung. »Niemand nennt mich noch Cairo. Jetzt, da wir das hinter uns haben, können wir uns vielleicht der Arbeit widmen?«

»Arbeit?«, fragte Lexi und wandte sich an Hawke. »Und ich hab gedacht, du wärst zum Vergnügen nach Hongkong geflogen.« Sie fuhr ihm sanft mit einem Finger über den Arm bis zur Schulter hinauf.

Hawke runzelte die Stirn. »Sorry, Lexi, aber diesmal geht es wirklich um die Arbeit.«

»Diesmal?«, erwiderte Scarlet und zog eine Augenbraue hoch.

Lexi lächelte. »Joe und ich kennen uns schon sehr lange. Wir trafen uns in Sambia, wo … ach, sagen wir einfach, unsere Interessen miteinander kollidierten.«

»Oh Gott«, sagte Scarlet. »Gibt es hier einen Drink?«

Lexi funkelte Scarlet kurz an und drehte sich dann zu einem Barschrank um. Sie schenkte drei Gläser geeisten Wodka mit Minze ein und reichte den anderen zwei davon. Sie setzten sich, und Hawke versuchte angestrengt, dem Aufblitzen ihrer Oberschenkel im Lampenlicht, als sie ihre Beine überschlug, keine Beachtung zu schenken.

»Warum hast du Felix Hoffmann getötet, Lexi?« Hawke war unverblümt und direkt auf den Punkt.

Scarlet warf ihm einen Blick zu. »Wovon redest du da, Joe?«

»Lass sie antworten.«

Lexi blieb unbeeindruckt. Sie nippte an ihrem Drink und nahm sich einen Moment Zeit, um das sanfte Schwirren des Deckenventilators zu beobachten, der sie stumm von oben kühlte.

»Was lässt dich glauben, dass ich ihn getötet habe?«, fragte sie.

»Lass das, Lexi. Ein Freund von mir hat mir die Überwachungsbänder der Pariser Metro zugeschickt – darauf ist zu sehen, wie er von jemandem, der offensichtlich eine Frau von deiner Größe und Statur ist, von einer Plattform in einen Tunnel gejagt wird. Nicht nur das: Ein Polizist fand eine winzige Origami-Libelle, die über die Schienen geweht wurde.«

»Es sieht schlimm aus, ich weiß«, sagte Lexi. »Aber du kennst mich, Joe. Wenn ich ihn getötet und gewollt hätte, dass diese Tatsache unbekannt blieb, hätte ich diese Dinge nicht getan.«

»Vielleicht, oder vielleicht kannst du einfach nicht anders. Der Nervenkitzel der Jagd und all das.«

Lexi lächelte. »Du bist so ein Zyniker, Joe! Aber ich meine es ernst – ich hab Hoffmann nicht angerührt, ich schwöre es. Ich würde es problemlos zugeben, wenn ich es getan hätte. Du kennst mich, Joe.«

»Du meinst, du bist nicht gerade zurückhaltend, wenn es darum geht, dich bemerkbar zu machen?«

Lexi zuckte mit den Schultern und leerte ihr Getränk. »Ich schwöre es dir, Joe. Ich habe Hoffmann nicht getötet.«

Hawke musterte sie kurz, wobei er sein NLP-Training dazu benutzte, nach dem kleinsten Anzeichen dafür zu suchen, dass sie log.

Als Nächstes sagte Lexi: »Dieser Freund von dir ist Sir Richard Eden, richtig?«

Hawke nickte. »Das weißt du.«

»Und er hat dich auf mich angesetzt, richtig?«

»Nein. Er hat mich hergeschickt, um eine verschwundene Freundin zu finden. Nachdem ich angekommen war, erzählte er mir, dass Hoffmann direkt nach unserem Gespräch ermordet wurde, und ich musste an dich denken. Er wurde mitten in der Nacht aus einem Nachtklub in Paris gejagt und versuchte, in die Metro zu fliehen.«

»Und ich war die ganze Zeit über hier in Hongkong. Wie hätte ich ihn töten sollen?«

»Leicht genug, wenn man einen Privatjet zur Verfügung hat.«

Lexi sagte nichts.

»Also?«

»Offensichtlich hat mir das jemand angehängt – vermutlich dieselben Typen, die euch heute in der Stadt beschattet haben. Als Lao mir von Hoffmanns Tod berichtete, sagte er zu mir, dass er genauso wie du und dein Boss wissen will, wer hinter all dem steckt. Sag mir, wie geht es dem enigmatischen Sir Richard dieser Tage?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Hawke. »Er ist nicht mein Boss.«

Scarlet beugte sich vor und mischte sich in die Unterhaltung ein. »Man könnte sagen, Hawke ist auf Bewährung, Schätzchen.«

Diesmal war es Hawke, der Scarlet einen Blick zuwarf.

Scarlet ignorierte es. »Und jetzt erzählen Sie uns, was Sie über den armen Burschen Hoffmann wissen, und warum ich mitten in der Nacht aus meinem Bett in Dubai gezerrt wurde, um nach Hongkong zu fliegen.«

»Oh, ich glaube nicht, dass ich Sie leiden kann«, sagte Lexi und wandte sich an Hawke. »Wir beobachteten Hoffmann seit geraumer Zeit.«

Scarlet zog die Augenbraue hoch und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

»Und mit wir meinst du das chinesische Ministerium für Staatssicherheit?«, fragte Hawke.

»Viele Behörden haben Hoffmann aufgrund der Natur seiner Forschung beobachtet. Er hinterließ eine Spur geflaggter Keywords wie eine Spur aus Brotkrumen – ihm war die Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, vermutlich gar nicht bewusst.«

»Und welche Keywords waren das, meine Liebe?«, säuselte Scarlet.

Lexi sprach weiterhin nur mit Hawke, wandte nie auch nur für eine Sekunde den Blick von ihm ab, und nahm Scarlet kein einziges Mal zur Kenntnis. »Mr. Hoffmann war ein privater Forscher, und es war offensichtlich, dass jemand anderes mit beträchtlichen Mitteln seine Forschung finanzierte, Joe. Er benutzte diese Finanzierung, um eine lebenslange Obsession mit antiker chinesischer Mythologie zu befeuern.«

»Und was ist daran verkehrt?«, fragte Hawke ausdruckslos.

»Nichts … und alles.«

»Erklär das.«

»Weißt du, Felix Hoffmann fing an, zu tief in etwas herumzuwühlen, das gewisse – wie soll ich sagen – mächtige Behörden hier in China seit langer Zeit beunruhigt.«

»Wen zum Beispiel?« Hawke hatte endlich das Gefühl, als erreiche er zum ersten Mal etwas, seit er in der Stadt gelandet war.

»Mein Boss wird morgen früh mehr erklären.«

»Und was ist mit Lea Donovan?«, fragte er nachdrücklich. »Hast du etwas über sie gehört?«

»Nein, tut mir leid. Ich wusste nicht mal, dass sie in Hongkong war.«

Hawke runzelte die Stirn und kratzte sich abwesend im Nacken. Er fand das schwer zu glauben, aber so oder so war das im Moment eine Sackgasse.

»Wie ich gesagt habe, du musst mit meinem Boss sprechen.« Lexi reichte ihm eine Visitenkarte. »Sei pünktlich.«

Draußen zündete sich Scarlet eine Zigarette an und atmete eine Wolke in die warme Luft aus. »Interessante Frau. Wenn ich sie fragen könnte, was würde deine kleine Freundin Nightingale mir über die Libelle erzählen?«

»Sie würde dir erzählen, dass Lexi Zhang eine skrupellose Mörderin ist, die hauptsächlich für das chinesische Ministerium für Staatssicherheit arbeitet, die sich aber nicht zu gut für Privatverträge ist. Oxford-Ausbildung am Christ Church College, spricht fließend mehrere chinesische Dialekte, Japanisch und Englisch. Familiengeschichte unbekannt, zumindest den westlichen Nachrichtendiensten. Vermutlich verantwortlich für den Tod von mindestens drei Präsidenten in den letzten fünf Jahren.«

Scarlet nickte anerkennend mit dem Kopf. »Und du glaubst, sie ist diejenige, die diesen Hoffmann getötet hat?«

»Vielleicht. Ich weiß, dass sie ihre Unschuld beteuert hat, aber Lexi Zhang könnte sich aus Treibsand rauslügen.«

»Ich hab kein Problem damit, das zu glauben. Hör mal, Joe …«

Hawke beobachtete, wie sich eine Woge von Zweifel über Scarlets Gesicht ausbreitete – keine Gefühlsregung, die viel Zeit damit verbrachte, Cairo Sloane zu plagen. »Was ist los?«

»Da gibt es etwas, das du wissen musst.«

»Sag’s nicht … etwas über Sir Richard Eden?«

Scarlet sah ihn einen Moment lang scharf an. »Warum sagst du das?«

»Nur so eine verrückte Ahnung …«