DER FLUCH DER MEDUSA (Joe Hawke 4) - Rob Jones - E-Book

DER FLUCH DER MEDUSA (Joe Hawke 4) E-Book

Rob Jones

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Beschreibung

Joe Hawke ist in Amerika und wird dort Zeuge der Entführung des amerikanischen Präsidenten und einem der schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte der USA auf die Hauptstadt Washington. Von den Bergen Idahos über Washington, D.C. und bis nach New York City heftet sich Joe Hawke an die Fersen der Entführer, um den Präsidenten vor einem furchtbaren Schicksal zu retten, und sieht sich mit einem Gegner konfrontiert, der bereit ist, in einem Racheakt ganz Amerika zu vernichten.  Atemlose Action, verknüpft mit mythologischen Themen, und ein gehöriger Schuss Humor machen Rob Jones' Schatzjägerreihe zu einem absoluten Geheimtipp für Fans von James Rollins, Andy McDermott oder Clive Cussler. 

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Der Fluch der Medusa

Joe Hawke Abenteuer – Band 4

Rob Jones

This Translation is published by arrangement with Rob Jones.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

WIDMUNG

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE CURSE OF MEDUSA Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-686-3

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Der Fluch der Medusa
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Epilog
Anmerkungen des Autors
Über den Autor

Prolog

Finnmark, Nordnorwegen, Oktober 1968

Max Henriksen zog die Kapuze seines Parkas enger und stampfte mit den Füßen auf den harten Arktisschnee. Es war ein aussichtsloser Versuch, sich aufzuwärmen, aber er tat es trotzdem.

Er seufzte und betrachtete den trüben Horizont. Das war ein beschissener Ort, um eine Abhörstation zu errichten, aber was die National Security Agency wollte, bekam die National Security Agency normalerweise auch.

Er sah mit wachsender Ungeduld zu, wie Frank Laurie den Hohlkernbohrkopf in das Loch im Eis zu senken begann. Er war einige hundert Meter unter der Oberfläche stecken geblieben und nun versuchte der junge Wissenschaftler aus New Jersey, den Prozess mit einer Bohrspülung zu schmieren. Er leistete keine gute Arbeit.

»Er rührt sich nicht, Max«, sagte er.

Max kratzte sich am Bart. »Wie tief sind wir?«

»Zweitausend Meter.«

»Lassen Sie mich mal einen Blick darauf werfen, Junge«, sagte Martinez, schob Laurie beiseite und drängte sich zum Bohrer. Wie Henriksen, war auch Martinez kein Wissenschaftler, sondern gehörte zum NSA-Team, das mit der Aufgabe betraut war, das Gebiet auf seine Tauglichkeit für eine Abhörstation zu erkunden. »Sie haben keine Kraft. Lassen Sie einen echten Mann ran.«

Er lachte laut, während er versuchte, die Bohrmesser wieder ins Eis zu treiben, indem er das Gestänge drehte, doch sein Lachen verklang, als er begriff, dass der Bohrer kein Stück tiefer ging.

»Da stimmt was nicht, Max«, sagte er. »Hier unten sollte es nichts als Eis und Wasser geben. Hab ich recht, Laurie?«

Laurie nickte, ebenso perplex. »Nichts als Eis und Wasser.«

Henriksen runzelte die Stirn. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir drumherum bohren können.«

Sie brauchten den größten Teil des Tages, um herauszufinden, wo der Bohrkopf in dieser Tiefe durchdringen konnte und wo nicht. Sie stellten fest, dass das, was ihren Weg blockierte, keinen Quadratmeter groß war.

»Ich für meinen Teil will einfach nur wissen, was verflucht da unten ist«, sagte Henriksen.

Die anderen sahen das genauso, und drei Stunden später zogen sie das mysteriöse Objekt durch den kleinen Schacht herauf, der durch die verschiedenen Versuche mit dem Kernbohrer entstanden war.

Henriksen sah es zuerst – ein geschwärztes Objekt, etwa von der Größe eines kleinen Fernsehers.

»Was zum Teufel …?«, sagte Martinez. »Sieht das Ding für Sie menschengemacht aus, Max?«

Henriksen nickte düster. Für ihn sah es menschengemacht aus.

Als sie es an die Oberfläche brachten, war es eisverkrustet und schwer zu erkennen, aber eindeutig eine Art Truhe.

»Das gefällt mir nicht, Max«, sagte Martinez.

»Mir auch nicht«, sagte Laurie und trat einige Schritte zurück.

Max hakte die Truhe aus der Winde und stellte sie in den Schnee. Ein Sturm begann aufzuziehen und die eisige Luft wurde wieder einmal schneeerfüllt.

Henriksen starrte sie verwundert an. »Na, ich will verdammt sein …«

»Sieht griechisch aus«, sagte Martinez.

»Was zum Teufel hat eine mit griechischen Zeichen bedeckte Metalltruhe in dieser Tiefe im arktischen Eis zu suchen?«, sagte Laurie und kratzte sich am Kopf. »Das Eis da unten ist tausende Jahre alt.«

Henriksen runzelte die Stirn, während er die verschlungenen Darstellungen auf dem Truhendeckel studierte. Sie sahen älter aus als die Zeit selbst, und jemand hatte sie mit größter Sorgfalt eingraviert. »Thule«, sagte er voll Staunen, kaum mehr als ein Flüstern.

Martinez sah zum Kommandanten der Station hinüber. »Was?«

»Thule«, wiederholte Henriksen. »Das ist alles, was mir dazu einfällt.«

Unbehagen schlich sich in Lauries Stimme. »Ja, ich hab Sie schon beim ersten Mal verstanden, Max. Aber was bedeutet das?«

Henriksen rieb die behandschuhten Hände aneinander. »Thule? Das sag ich Ihnen, sobald wir im Warmen sind – kommen Sie.«

Sie sammelten ihre Eisbohrkernausrüstung ein und stapften durch den hohen Schnee zurück zu ihrer Forschungsstation. Die schwere Truhe zogen sie mithilfe der Leinen eines Hundeschlittengeschirrs hinter sich her.

Drinnen jaulte das elektrische Feuer beinahe so laut, wie der Wind über die Kommunikationsantennen auf dem Gebäude heulte. Laurie hängte seine Handschuhe zum Trocknen auf, während Martinez Kaffee kochte.

Henriksen konnte seinen Blick einfach nicht von der Truhe nehmen. Nachdem sie jetzt im Warmen und dem Wind entkommen waren, konnte er sie sich zum ersten Mal vernünftig ansehen. Bei näherer Inspektion stellte sie sich als hauptsächlich aus Holz gearbeitet heraus – ein schweres Hartholz, womöglich Walnuss –, aber die Winkel und Griffe bestanden aus etwas, das Eisen ähnelte. Er konnte erkennen, dass es früher einmal Lederriemen gegeben hatte, doch die hatten sich beinahe vollständig zersetzt und zerfielen in seinen Händen, als er sie berührte.

Laurie reichte ihm einen Becher mit heißem Kaffee. »Also, erzählen Sie mir von diesem Thule.«

Max sah auf. Die Störung hatte ihn erschreckt. »Über Thule wurde zum ersten Mal vom altgriechischen Geografen Pythias berichtet. Er beschrieb es als einen Ort im äußersten Norden Europas, aber die meisten Gelehrten sind sich im Allgemeinen einig, dass das nur ein Mythos war.«

»Bis jetzt«, sagte Martinez, der die Kiste anstarrte.

»Vielleicht …« Henriksen rieb sich die Augen und fuhr dann wieder mit den Händen über die Truhe. Vorsichtig zog er an einer der Schließen, doch etwas hielt sie zu. Er sah genauer hin und erkannte, dass sie zugenagelt worden war.

»Jemand wollte wirklich nicht, dass dieses Ding geöffnet wird«, murmelte er.

»Hey – fummeln Sie nicht daran herum, Max«, sagte Laurie leise. »Wir wissen nicht, was drin ist und … und ich bin ziemlich sicher, dass es uns nicht zusteht, es rauszufinden.«

Henriksen sah das anders. Er gehörte zur Regierung, und mehr noch, er war bei der NSA. Soweit es ihn betraf, könnte, was immer in dieser Truhe lag, eine wie auch immer geartete Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen.

»Martinez – holen Sie mir Hammer und Meißel.«

»Geht klar, Boss.«

Der hochgewachsene New Yorker kehrte kurz darauf mit dem Werkzeug zurück und reichte es Henriksen.

Der Stationskommandant konzentrierte sich genau auf die Kiste, während er die Schneidkante des Meißels ausrichtete, sie behutsam oben an einer der Schließen anlegte und den Griff leicht mit dem Hammerkopf anstieß.

Er hatte einen Widerstand erwartet, aber in all der Zeit hatte das Eis das Metall geschwächt und es fiel augenblicklich auseinander, zerbröselte zu schwarzem Staub vor der Truhe auf dem Tisch.

»Eine offen, eine übrig«, sagte Henriksen.

Laurie sah die anderen beiden Männer an und machte einen Schritt vom Tisch weg.

»Ich weiß nicht recht …«, sagte er. Seine Stimme driftete in die kalte Luft der Hütte.

»Beruhigen Sie sich mal, Junge«, sagte Martinez. »Das ist nur eine Truhe.«

Henriksens Konzentration blieb ungebrochen, als er den Meißel an den zweiten Verschluss hob und die Übung wiederholte, ihn öffnete und einen weiteren kleinen Haufen zerfallenen Metalls auf der Tischplatte hinterließ.

»Tja … das sollte reichen«, sagte er und legte die Werkzeuge neben die antike schwarze Kiste.

Er hob die Hände und begann, den Deckel zu öffnen.

»Hören Sie, Max …«, sagte Laurie mit schwankender Stimme. »Wer auch immer das Ding da unten hingestellt hat, hat das aus einem bestimmten Grund getan, und ich wette, es war noch dazu ein sehr guter. Vielleicht sollten wir die Regierung anrufen oder so?«

Martinez überging die zunehmende Unruhe in der Stimme des jüngeren Mannes mit einem Lachen.

»Wir sind die Regierung, Junge«, sagte Henriksen, ohne den Blick von der Truhe zu heben. Dann öffnete er den Deckel und starrte hinein. Ein Ausdruck der Verwirrung legte sich auf sein Gesicht.

»Was zum Teufel …?«

Martinez kam zu ihm und sah hinein. »Entschuldigen Sie meine Highschool-Ausdrucksweise, aber was für eine verdammte Scheiße ist das?«

»Ich habe keine Ahnung.«

Henriksen streckte die Arme in die Truhe und zog eine merkwürdige schwarze, mit weiteren Schriftzeichen versehene und mit einem Lederriemen gesicherte Kiste heraus. Er zog an dem Riemen und der zerriss in seinen Händen – ein weiteres Exempel für den Verfall, der über einen derart langen Zeitraum durch die extreme Kälte verursacht worden war.

»Max, bitte …«

Henriksen öffnete die Kiste und ein Ausdruck des Entsetzens breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Oh mein Gott …«

Martinez‘ Augen wurden schmal und er legte sich die Hand auf den Mund, um sich nicht zu übergeben. »Gott verdammt, Max!«

Laurie sah zu, wie Henriksen die Kiste zuschlug und die Truhe schloss. Dann traten er und Martinez einige Schritte davon zurück.

»Was verflucht haben Sie gesehen, Max?«

»Ich … ich weiß nicht … ich … kann nicht …«

Laurie bemerkte, wie sich etwas in Henriksens Gesicht veränderte, während er ihn ansah. Seine Augen wurden trübe und seine Stimme heiser.

»Laurie … es war … in der Kiste …«

Martinez fing an, wie sein Chef auszusehen, nur dass die Haut in ihren Gesichtern jetzt scheinbar eine Graufärbung annahm und härter wurde.

»Was zur Hölle geht hier vor sich, Max?«, fragte Laurie, während er sich zur Tür zurückbewegte und den Griff packte. Draußen hatte der Wind zugenommen und heulte wie ein Rudel hungriger Wölfe.

Henriksen musste sich anstrengen, um zu sprechen. »Verschwinden Sie, Laurie! Bringen Sie sich in Sicherheit …«

Laurie sah entsetzt zu, wie Max Henriksen direkt vor seinen Augen beinahe zu erstarren schien, während er sprach. Seine Haut nahm einen silbernen Teint an und bekam eine seltsam matte Textur, bevor sie vollkommen steinhart wurde. Im nächsten Moment geschah das Gleiche mit Martinez, der versucht hatte, zur Tür zu fliehen, nun aber mit kalten, toten Augen an Ort und Stelle erstarrt war.

Laurie verfiel in Panik und öffnete die Tür. Er rannte in die Nacht hinaus und schnappte im eisigen Wind nach frischer Luft. Der Sturm hatte sich inzwischen gelegt, und der Mond stand voll und tief am Himmel. Während er ihn anstarrte, fiel ihm auf, dass er dunkler und verschwommener wurde. Dann spürte er, wie seine Brust bleiern wurde und ihm das Atmen schwerer fiel.

Er drehte sich um, um nach drinnen zum Funkgerät zu laufen, stellte jedoch fest, dass seine Beine am Boden festgefroren waren. Er spürte, wie das Gefühl seinen Körper hinaufkroch, wie Eis, nur viel kälter, und als er auf seine Hände hinabsah, erkannte er, dass sie eine seltsam silberne Farbe angenommen hatten. Dann war er steinhart, unfähig, sich zu bewegen, zu blinzeln, zu atmen. Langsam verdunkelte sich der Mond vollständig, und dann, im nächsten Moment, war er tot, und der arktische Nachtwind heulte um ihn herum, als sei er nichts weiter als ein Stück Granit.

Kapitel 1

Heute

Der Engländer sprintete mit aller Kraft auf den Rand der Klippe zu und sprang ins Leere, ohne darüber nachzudenken. Sofort spürte er, wie die Luft aufwärts und über ihn strömte. In dieser Höhe war es etwas kälter. Joe Hawke mochte kalte Luft. Sie weckte Erinnerungen an zu Hause. Manchmal, dachte er, sind Erinnerungen der beste Teil des Lebens.

Er blickte nach unten und sah weit unten im Sonnenlicht einen Fluss aufblitzen, während er auf den felsigen Boden zustürzte. Ihm fiel auf, dass er etwas langsamer flog als sonst, und dass sein Weg durch die Luft ungleichmäßiger war als normalerweise. Alles in allem war es keiner seiner besten Wingsuitsprünge, aber er war gut genug, und er konnte es morgen wieder versuchen. Er hatte ja sonst nichts zu tun.

Sein Anzug hatte früher als normal zu fliegen begonnen, und bereits wenige Sekunden, nachdem er die Klippe verlassen hatte, glitt er durch die Sommerluft wie ein Adler. Während er vorwärts schoss, die Arme hinter sich ausgestreckt, blickte er zurück und bemerkte, dass er einen sogenannten Tail Flutter hatte: Der Teil des Anzugs zwischen seinen Beinen hatte sich nicht aufgebläht. Das Ergebnis ließ den Stoff wild flattern, während er durch die Luft glitt. Er fluchte – das war es, was ihn verlangsamte.

Das machte nichts. Die Talsohle lag noch immer hunderte Meter unter ihm, als er weiter in den heißen Tag von Idaho hinaussegelte und sich nach rechts drehte, um Richtung und Geschwindigkeit seines Abstiegs zur Erde zu korrigieren. Er fühlte sich lebendig. Er fühlte sich frei.

Während er mit fast dreihundertzwanzig Stundenkilometern durch den Himmel schoss, schaute er wieder nach unten und suchte nach seinem Landeplatz. Sie waren jetzt schon seit einigen Wochen in der Hütte. Das war seine Art, sich zu entspannen und sich von der Presse fernzuhalten. Es hatte sich herausgestellt, dass die Rettung der Welt im äthiopischen Hochland das Interesse der Weltmedien erregt hatte. Dass sie Maxim Vetrov in den Katakomben der Wiege der Ewigkeit in einen entsetzlichen Tod geschickt hatten, hatte allem noch mehr Schwung verliehen, trotz Edens Bemühen, die Geschichte zurückzuhalten. Wenigstens war es Eden gelungen, Hawkes Namen aus den Zeitungen herauszuhalten – er würde lieber von der SpezNas durch Sibirien gehetzt werden, als einem Pressepool gegenüberzutreten.

Er schüttelte den Gedanken ab und kehrte ins Heute zurück.

Der Horizont war dunstig, aber der Tag war heiß, und der Boden raste so schnell auf ihn zu wie immer. Er wählte seinen üblichen Landeplatz, während seine Gedanken wieder nach Afrika wanderten, und zu dem Streit, den er mit dem Team in Luxor gehabt hatte. Wie sie gesagt hatten, dass sie ihn alle von Anfang an belogen hatten, dass sie sich größtenteils von vornherein gekannt und ihn nur getestet hatten, um zu sehen, ob er geeignet war, ihrem Team beizutreten. Er war wütend gewesen und hatte sie stehen lassen – hatte sogar Lea Donovan zurückgelassen, nur wenige Stunden, nachdem sie beinahe gestorben wäre. Er hatte sich wie ein dummer Idiot aufgeführt, das war ihm klar.

Jetzt pulsierte das Adrenalin durch seine Adern, als der Boden auf ihn zuschoss. Doch dann entfernte er sich wieder, sobald sich Hawke aufwärts drehte und eine Bewegung ausführte, die Wingsuiterflieger die Kobra nannten – er nutzte den Vorwärtsschwung, um sich hochzuziehen und die Geschwindigkeit drastisch zu verringern. Dann zog er die Reißleine und sein Fallschirm öffnete sich hinter ihm. Er spürte den Ruck, als der Schirm seinen Fall rapide verlangsamte, und manövrierte sich behutsam mithilfe der Steuerleinen in die ausgesuchte Landezone. Kurz darauf lief er langsam vor der Hütte aus und sein Fallschirm fiel sanft auf den staubigen Boden hinter ihm.

Er stieg aus dem Gurtzeug und öffnete den Reißverschluss seiner Wingsuit auf dem Weg über die Stufen zur Hütte hinauf, wo er kurz stehenblieb, um gegen das kleine Barometer zu klopfen, das sie auf der Veranda platziert hatte. Steigender Luftdruck.

Von drinnen kamen Kochgerüche und er hörte sie ein Lied aus dem Radio mitsingen. Er betrat die Küche und öffnete den Kühlschrank auf der Suche nach einem kalten Getränk.

»Hey«, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie war damit beschäftigt, Frühstück zu machen. »Guter Sprung?«

»Ja, nicht schlecht«, sagte Hawke, holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging zu Alex Reeve hinüber. Er beugte sich über sie, um an den bratenden Eiern zu riechen. »Sieht toll aus.«

»Dir ist klar …«

Hawke seufzte. »Ich weiß, was du sagen willst.«

»Ach ja? Was will ich denn sagen, Nostradamus?«

»Du willst mir sagen, dass ich Lea anrufen soll. Das hab ich an deinem Tonfall erkannt … allerdings sagst du jeden Morgen das Gleiche zu mir, da muss man nicht unbedingt Nostradamus sein.«

»Falsch. Ich wollte dir sagen, dass du dich frisch machen sollst, weil ich das hier gleich auf den Tisch stelle.« Sie hob die Pfanne hoch, um ihre Aussage zu unterstreichen.

Hawke zögerte, um sich etwas Speck aus der Pfanne zu nehmen. »Ja, schon klar. Du hast mir tausendmal gesagt, dass ich sie anrufen soll. Langsam glaube ich, dass das alles ist, was du sagen kannst – außerdem werde ich mein Frühstück von einem Teller essen, nicht vom Tisch, danke.«

Sie verdrehte die Augen. »Wie hält sie es mit dir aus?«

»Hielt … wie hielt sie es mit mir aus. Wahrscheinlich hat sie mittlerweile mit mir abgeschlossen.«

»Das liegt ganz an dir, du starrsinniger Idiot.«

»Hey! Nicht so frech, Fräulein.«

Alex belud drei Teller mit Speck und Eiern und ging damit zum Tisch hinüber. Hawke wusste, dass es für Alex merkwürdig gewesen war, nach so langer Zeit ihre Beine wieder zu benutzen, aber sie schien sich mittlerweile daran gewöhnt zu haben. Sie hatte ihm einmal erzählt, dass sie manchmal das Gefühl hatte, nie angeschossen worden zu sein, als sei die ganze Sache nur ein schrecklicher Albtraum gewesen.

Sie setzten sich gemeinsam hin und er sah zu, wie die Sonne den von den Tellern aufsteigenden Dampf beleuchtete.

Sie sah ihn an. »Ich weiß, ich hab es schon mal gesagt, Joe … aber danke.«

Hawke streute etwas Pfeffer auf seine Eier.

»Danke wofür?«

»Dass du mir in Moskau das Leben gerettet hast, natürlich. Vetrov wollte mich bei lebendigem Leib an die Krokodile verfüttern.«

»Nicht der Rede wert.«

Sie machte eine kurze Pause. »Dir ist klar …«

Er warf ihr einen Blick zu, während er sich das Essen in den Mund gabelte. »Was jetzt?«

»Du hast mir nie wirklich dafür gedankt, dass ich dir in Serbien das Leben gerettet habe.«

Hawke legte Messer und Gabel hin. »Klar hab ich das.«

»Nein, nicht, seit wir uns von Angesicht zu Angesicht begegnet sind.«

Hawke dachte darüber nach und lächelte. Sie hatte recht. »Aber ich hab dir an jenem Tag, als du mich aus diesem Höllenloch rausgeholt hast, am Telefon gedankt.«

»Ja, ich erinnere mich. Ich meine ja nur …«

Hawke beschloss, sich dumm zu stellen. »Was meinst du?«

»Nichts.«

Er aß von seinen Eiern und nahm einen Schluck aus seinem Kaffeebecher. »Nein, red weiter. Was willst du sagen?«

Alex seufzte und schüttelte den Kopf. »Manchmal kannst du ein echtes Schwein sein.«

»Warum denn?«

»Du weißt, warum.«

»In Ordnung, da wir uns gerade dafür bedanken, einander das Leben gerettet zu haben …« Er sah ihr in die Augen und sein Ausdruck wurde ernst. Keine Scherze mehr. »Danke, Alex.«

Sie blieb einen Moment lang still. »Ist das alles?«

Hawke sah sie wieder an, unsicher, ob sie ein Spielchen spielte oder nicht. Er kannte Agent Nightingale seit vielen Jahren, aber Alex Reeve war neu in sein Leben getreten. »Was soll ich tun? Es dir in Morsezeichen vorsteppen?«

Sie lachte. »Klar. Das solltest du tun. Das würde ich gern sehen.«

»Das wird nicht passieren.« Er aß noch einen Bissen Ei und ein wenig Speck.

Sie legte demonstrativ die Gabel hin und lehnte sich vom Tisch zurück, um ihn besser ansehen zu können. »Im Ernst, ich glaube, du könntest einen Stepptanz zustande bringen.«

»Zu blöd – ich hab meine Tanzschuhe in London gelassen.«

»Das nennt man Steppschuhe.«

Er zwinkerte. »Aber bist du nicht froh, dass ich das nicht wusste?«

»Das sagst du …«

»In Ordnung, Game Over. Ich habe mich bedankt. Es tut mir leid, okay?«

»Weißt du, wo du gerade in der Stimmung bist, zu Kreuze zu kriechen, fällt mir noch jemand anderes ein, dem du eine Entschuldigung schuldest.«

Hawke hörte zu essen auf und lehnte sich vom Tisch zurück. »Nicht das schon wieder. Lass das.«

»Ich mein ja nur …«

Er betrachtete sie, während die Sonne durch das Küchenfenster schien und über ihr Haar tanzte. Sie war wunderschön, und es machte ihm zu schaffen, dass sie sich nach dem Vorfall in Kolumbien in eine Einsiedlerin verwandelt hatte.

»Sie hätte mir die Wahrheit erzählen sollen«, sagte er tonlos.

»Sie stand unter dem Befehl, dir nichts zu verraten, Joe. Du verhältst dich unvernünftig.«

Er schüttelte den Kopf, um seine gegensätzliche Meinung auszudrücken, doch im Herzen wusste er, dass sie recht hatte. Lea Donovan hatte dem Befehl unterstanden, ihm nichts über das mysteriöse ECHO-Team und dessen geheimes Inselhauptquartier in der Karibik zu erzählen. Dieser Befehl war ihr von Sir Richard Eden selbst gegeben worden, einer gesetzten Persönlichkeit, die man Hawkes Meinung nach nicht verärgern sollte. Hawke respektierte Eden und er liebte Lea … einzig sein Stolz hatte ihn davon abgehalten, ihre Einladung anzunehmen und sich ihnen auf Elysium anzuschließen.

Also war er, dank seines hitzigen Temperaments an einem noch heißeren Tag, damals in Ägypten vor ihnen weggerannt. Jetzt wusste er nicht einmal, wo Elysium, oder Lea, war.

»Du kannst den Kopf schütteln, Cowboy, aber da drinnen …« Sie beugte sich vor und berührte seine Brust mit ihrem Finger. »… Weißt du, dass du auf traurige und erbärmliche Weise die Augen vor der Wahrheit verschließt, ganz zu schweigen davon, dass du komplett im Unrecht bist.«

Er nickte kaum merklich, sagte aber nichts, während er das Essen auf dem dritten Teller betrachtete, das unberührt war und langsam kalt wurde.

Eine Weile aßen sie in Stille, bis Alex schließlich beschloss, ein Friedensangebot zu machen.

»Hör mal … Ich hätte meine Nase nicht in etwas stecken sollen, in das sie nicht gehört.«

»Nein, es war richtig, es anzusprechen. Meistens behalte ich meine Gefühle für mich, aber ich schätze, dieses Mal muss ich mich öffnen und sollte sie vielleicht anrufen oder so. Es ist nur so, dass ich wirklich nicht gut darin bin, Kontakt zu halten. In meinem Leben kommen und gehen die Menschen einfach … Ich hab schon lange nicht mehr mit meiner Familie gesprochen.«

Alex sah zu ihm auf und trank von ihrem Kaffee. »Du hast mir noch immer nichts über deine Familie in England erzählt.«

»Nein.«

»Du hast doch definitiv Familie in England, richtig?«

»Ja.«

Alex verdrehte die Augen. »Schön, erzähl es mir nicht.«

Hawke aß etwas Ei und nippte an seinem Kaffee. »Hör zu …« Er legte Messer und Gabel hin und seufzte.

Alex versuchte es wieder. »Einfach nur das Wesentliche wäre nett – Namen, Jobs, wie du zu ihnen stehst …«

»Na schön, also, es ist kompliziert, aber es sieht so aus …«

Jack Brooke erschien mit einem Handy am Ohr in der Tür. Er wirkte besorgt, und so sah Alex ihren Vater selten. Etwas stimmte nicht.

Der Chef des Pentagons beendete das Gespräch und starrte in die Ferne.

»Was ist los, Dad?«, sagte Alex.

»Was ist passiert, Jack?«, fragte Hawke.

Einige Sekunden lang wusste Brooke nicht, wie er antworten sollte. Als er sprach, wünschten sich sowohl Hawke als auch Alex, er hätte es nicht getan.

»Das war Deakin von der NSA. Er sagt, sie fangen Gespräche über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf die Vereinigten Staaten ab. Ernst zu nehmende Gespräche über einen ernst zu nehmenden Angriff.«

Hawke sah von Brooke zu Alex. Etwas verriet ihm, dass das Frühstück vorbei war.

Kapitel 2

Das frühere Mitglied des Special Boat Service sah ein kurzes Aufblitzen von Angst und Verwirrung auf dem Gesicht des amerikanischen Verteidigungsministers, bevor dieser beides aus den Gedanken verbannte und sich wieder unter Kontrolle brachte. Jetzt breitete sich in seinen Augen ein Blick stählerner Entschlossenheit aus.

Hawke erhob sich vom Tisch. »Was macht diese Gespräche so überzeugend, Jack?«

Brooke seufzte und fuhr sich abwesend mit einer Hand durch sein silbernes Haar. »Sie wurden von einem angesehenen deutschen Agenten gemeldet und korrelieren mit anderen Metadaten, die wir schon seit einiger Zeit sammeln.«

Brooke rückte seine Krawatte gerade und zog seine Jacke an. Der frühere Delta-Offizier würde eindeutig nicht noch mehr Zeit damit verschwenden, sich Sorgen zu machen. »Ich muss zurück nach Washington«, sagte er. »Das Wetter ist klar und in Friedman wartet ein Regierungsflugzeug auf mich. Ich kann in etwa vier Stunden dort sein.«

Alex legte ihre Gabel hin und stand vom Tisch auf. »Ich komme mit.«

»Nein«, sagte Brooke. »Tust du nicht.«

»Komm schon, Dad! Ich bin bereit, wieder in den Sattel zu steigen.« Unbewusst warf sie einen Blick auf ihre Beine hinunter, während sie sprach.

Brooke runzelte die Stirn. »Mir ist klar, dass du wieder laufen kannst, Schatz«, sagte er, drehte sich zu Hawke um und nickte ihm kurz anerkennend zu. »Das haben wir Joe zu verdanken, und ich werde bis zum Tag meines Todes in seiner Schuld stehen. Aber du bist noch nicht wieder einsatzbereit, Alex. Wir wissen nicht, mit welcher verdammten Sache wir es zu tun haben, also bleibst du hier. Deine Mutter würde mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustößt.«

»Ja«, stimmte Hawke zu. »Dein Vater hat recht.«

Alex bedachte ihn mit einem bösen Blick. »Vielen Dank, Joe. Ich hätte eben etwas Unterstützung brauchen können.«

»Dein Dad hat recht, Alex, und das weißt du.«

Alex sah zu, wie ihr Vater einige Dinge zusammensuchte und Coleman in den Raum rief. Nate Coleman war der Leiter seines Teams des Bureaus of Diplomatic Security. Er befahl ihm, das Auto bereitzumachen und die beiden anderen Agenten darüber zu informieren, dass sie in der Hütte bleiben und auf seine Tochter aufpassen würden. Am Gesichtsausdruck ihres Vaters konnte sie erkennen, dass er seine Meinung nicht ändern würde. »Ich schätze, ich kann nichts dagegen tun, wenn ihr beide darauf besteht.«

»Braves Mädchen«, sagte Brooke. »Hier, mitten im Nirgendwo, ist es sicher, Schatz. Wir wissen nicht, was bedroht wird, aber ich bezweifle, dass es das Gebirge von Idaho ist.«

»Vermutlich nicht.«

»Und wir werden dich anrufen, sobald wir D.C. erreichen«, sagte Hawke.

Alex lächelte. »Klar … warte mal!«

»Was?« Während Hawke sprach, steckte er sich etwas Toastbrot in den Mund und schlüpfte in seine Jacke.

»Wenn ich nicht gehen darf, darfst du auch nicht gehen!«

»Warum nicht?«, sagte der Engländer nüchtern.

»Für so was haben wir keine Zeit«, sagte Brooke. »Alex, du bleibst unter dem Schutz meiner zwei besten Männer – Regan und Walsh – hier. Joe und ich gehen nach D.C. Keine Diskussion mehr.«

»Aber Dad, wenn …«

Die Einheit, die geschickt worden war, um sie zu töten, tauchte blitzschnell auf. Sie waren ganz in Schwarz gekleidet, trugen Sturmhauben und identische Heckler & Koch-MP7-Maschinenpistolen mit Schalldämpfern.

Alex sah sie zuerst, über die Schulter ihres Vaters hinweg, als Special Agent Regan der Schädel weggeblasen wurde und er mit einem furchtbaren Getöse rückwärts auf die Teller mit dem Essen auf dem Tisch fiel. Eine Sekunde später erklangen Schüsse im gesamten vorderen Teil der Hütte, dann hörten sie eine Maschinenpistolensalve und sahen Agent Walsh auf der Veranda zu Boden fallen. Eine Blutlache breitete sich um seine stumme Leiche aus.

Hawke wirbelte herum, griff nach der Beretta M9 auf der Frühstückstheke und rief Jack Brooke und dessen Tochter zu, in Deckung zu gehen. Er duckte sich hinter die Holztheke, als erneutes automatisches Feuer die Wand von Brookes Küche überzog und sich über die gesamte Seite des Wohnzimmers verteilte. Bruchstücke zersplitterter Eichenholzverkleidung sprangen quer durch den Raum, als die Kugeln Möbel und Wände durchschlugen. Eine große Hirschgeweihtrophäe wurde von der Wand über dem Kamin gerissen und zersprang in der Feuerstelle.

Einer der Männer warf eine Granate ins Zimmer und schrie ihnen zu: »Auf Wiedersehen, Mr. Secretary!«

Hawke sah sie als Erster. Er hob sie auf und schleuderte sie durch die offenen Flügeltüren des Wohnzimmers, wo sie auf der Veranda explodierte und das Glas der Fenster und Türen als tödlichen Schwall zurück in den Raum katapultierte.

Special Agent Coleman kam hereingerannt und schoss mit seiner Handfeuerwaffe auf die Angreifer, während er sich Brooke näherte. »Der Wagen steht bereit, Mr. Secretary. Wir müssen Sie hier rausbringen, Sir!«

»Einen Teufel müssen Sie!«, rief Brooke. »Bringen Sie zuerst mein Mädchen in Sicherheit.« Während er sprach, zog er eine Smith & Wesson .45 aus seiner Innentasche und erwiderte das Feuer auf die Männer in der Küche. Einen von ihnen traf er. Die drei Kugeln explodierten in seiner Brust und ließen ihn rückwärts durch die Tür taumeln, wo er auf den Verandastufen zusammenbrach.

»Aufpassen!« Hawke wollte Coleman in Sicherheit stoßen, doch es war zu spät. Ein weiterer Schütze im Garten hatte den Special Agent ins Visier genommen, und Hawke beobachtete entsetzt, wie ein kleiner roter Laserzielpunkt über Colemans Rücken hinauf wanderte und an seinem Hinterkopf stoppte. Coleman war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug, und immer noch kamen weitere Kugeln geflogen.

Ein anderer Schütze erreichte die Doppeltüren, bevor Hawke ihn mittels eines tödlichen Schusses in den Hals aus der M9 ausknipste. Seine Gedanken kreisten unablässig um die verschiedenen Optionen, die sich ihnen boten. Sie standen eindeutig unter einem massiven Angriff, und genau so eindeutig war es, dass das Ziel ausnahmsweise nicht er selbst war, sondern der Verteidigungsminister. Er hatte keine Ahnung, ob auch andere hochrangige Mitglieder der US-Regierung angegriffen wurden, und konzentrierte sich lieber darauf, Jack Brooke und seine Tochter zu verteidigen. Über alles andere konnten sie nachdenken, sobald sie in Sicherheit waren.

Für Hawke war die Situation nichts Neues – er hatte bereits Personenschutz auf höchster Ebene geleistet. Sein bedeutendster Auftrag war der gewesen, eine Delegation britischer Regierungsbeamter auf einer Handelsmission in Sambia zu beschützen. Bis zum Schluss war alles gut gegangen, und dann hätte es wesentlich besser laufen können. In letzter Minute war für die britische Delegation alles schiefgegangen, aber warum, war immer ein Rätsel geblieben.

Während jener Zeit in Lusaka hatte er Zhang Xiaoli, auch bekannt als Lexi Zhang, kennengelernt. Agent Dragonfly war im Land gewesen, um einem Problem nachzugehen, das den Staatsrat der Volksrepublik China betraf. Oder wenigstens hatte sie es ihm gegenüber so ausgedrückt. Er hatte ihre Gesellschaft genossen. Sie brachten einander zum Lachen, aber sie spürten beide den unterschwelligen Reiz des Verbotenen, die Tricksereien, die immer dazu gehörten, wenn man es mit einem Agenten zu tun hatte, der für eine ausländische Macht arbeitete.

Damals war damals und jetzt war jetzt. Jetzt verteidigte er kein Team mittelwichtiger britischer Regierungsbeamter, sondern den Mann, der dem Pentagon alle operativen Befehle gab – den amerikanischen Verteidigungsminister, einen der mächtigsten Männer des Planeten. Und der wurde gerade von einem Team gut ausgebildeter, professioneller Attentäter mit dem Tod bedroht.

Doch Hawke blieb jetzt keine Zeit, um über das Gesamtbild nachzudenken. In diesem Moment war seine Priorität, Brooke und Alex in Sicherheit zu bringen, und er musste schnell denken.

»Jack, kommen wir von hier aus zur Garage?«

Brooke nickte. »Sicher, aber wenn Sie ein Auto im Sinn haben, vergessen Sie es. Ich bewahre meine Autos nicht in der Garage auf. Ich benutze sie als Werkstatt, und alle Autos sind im Nebengebäude geparkt, hinter den Bäumen auf der anderen Seite des Hofs.«

»Wie praktisch«, sagte Hawke.

»Allerdings kommen wir durch die Garage dort hin«, sagte Brooke. »Aber es wird schwer werden.«

Hawke nickte. »Klingt, als hätten wir keine andere Wahl. Wir müssen tun, was wir können, um Sie hier rauszubringen – euch beide.«

Während die Kugeln über ihren Köpfen vorbeipfiffen, hielt Alex Hawke am Arm fest. »Wenn das jemand schafft, dann du.«

»Ich weiß das Vertrauensvotum zu schätzen«, sagte Hawke und duckte sich, um einer weiteren Kugel auszuweichen. »Aber normalerweise hab ich dich am anderen Ende eines Headsets, um mir zu sagen, was ich tun soll.«

»In Ordnung«, sagte Brooke und überprüfte seine Waffe. »Packen wir es an. Wir haben ein Land zu retten.«

Kapitel 3

Alan Pauling schob seine Hand in die Cheetos und zog ein halbes Dutzend der knallorangen Snacks heraus. Er stopfte sie sich in den Mund, dann wischte er den salzigen Käse seitlich an seinem Hawaiihemd ab. Es war heiß und schwül in New Orleans – genau seine Art Wetter – und er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte die Arme in der wohligen Wärme aus. Es erinnerte ihn an seine Heimat Queensland. Nicht, dass er je dorthin zurückkehren würde. Wenn das alles vorbei war und seine besonderen Fähigkeiten nicht länger benötigt wurden, würde er sich ein großes Haus auf einer kleinen Insel kaufen, irgendwo weit abgeschieden.

Während Pauling die Menschenmenge beobachtete, die sich unten auf der Straße bildete, hoffte er nicht zum ersten Mal, dass Novak seinen Teil der Aufgabe ordnungsgemäß erledigt und ans Beast herangekommen war. Ihnen allen war klar, dass dies der schwierigste Teil der gesamten Operation war, und Fehler würden sie erst im großen Moment selbst bemerken. Er zuckte mit den Schultern und aß noch mehr Cheetos. Sie würden es früh genug erfahren.

Wie viele dieser Menschen würden die nächsten Stunden überleben? Pauling hatte keine Ahnung. Er hatte kein spezielles Interesse an irgendeinem von ihnen. Die winzige Handvoll Menschen, an denen ihm etwas lag, war Tausende von Meilen entfernt in Australien. Der Boss hatte ihm gesagt, dass jenes Land kein Ziel sei, zumindest noch nicht. Der Boss hatte seine Gründe, Amerika anzugreifen, aber er erzählte nie jemandem davon, und Pauling wusste, dass es besser war, nicht zu fragen.

Noch ein Mundvoll Cheetos und er öffnete eine Pepsi Max. Alan Pauling hatte ein Verständnis fürs Technische, war aber kein komplizierter Mann. Soweit es ihn betraf, zählte allein die goldene Regel, und die lautete: Wer das Geld hat, bestimmt die Regeln. Nach diesem Auftrag für den Boss wäre er reich genug, um wegzufliegen und sich seinen eigenen persönlichen Herrschaftsbereich aufzubauen, irgendwo in den Tropen, wenn es nach ihm ging.

Und nirgendwo direkt windabwärts der Ostküste. Nach dem heutigen Tag wäre das ein großer Fehler.

Er schaltete seinen Laptop ein und trank einen Schluck warme Pepsi aus der Dose. Während er darauf wartete, dass die Software lud, spähte er noch einmal durchs Fenster auf den Trubel sieben Stockwerke unter ihm. Genießt es, solange ihr könnt, dachte er. Bald wird da unten nichts als Chaos herrschen.

Das Prinzip war denkbar einfach: ein schlichter Zero-Day-Exploit, um den Lauf der Geschichte zu verändern. Pauling mochte seine Arbeit, und seine Analyse der Netzwerkarchitektur des Zielfahrzeugs war besonders interessant für ihn gewesen. Je ausgeklügelter das System war, desto mehr Schwachstellen gab es, die man angreifen und ausnutzen konnte, und das machte diesen Job so spannend: Ausgeklügelter ging es kaum.

Sofern das Fahrzeug mit dem Internet verbunden war, was der Fall war, kam es nur darauf an, seine IP-Adresse zu ermitteln. An der Stelle kam Novak ins Spiel. Mit dieser Information war Pauling in der Lage, die Firmware in einem Chip im Navigationssystem des Fahrzeugs umzuschreiben und seinen eigenen Code zu importieren. Damit wäre es ihm möglich, den Wagen über den ausgenutzten CAN-Bus zu steuern. Ein einfacher Hack der Nachtsichtkamera an der Front des Autos würde ihm die Sicht ermöglichen, während er es kontrollierte, und danach war Alan Pauling für die Insassen des Zielfahrzeugs Gott.

Er zerknüllte die leere Cheetos-Tüte und warf sie über seine Schulter, bevor er aus dem Fenster spähte. Er sah auf seine Uhr. Eine ordentliche Menschenmenge hatte sich versammelt, und bald träfe das Auto ein.

Und dann wäre Showtime in The Big Easy.

***

Mehr als alles andere auf der Welt liebte Speaker Todd Tobin es, sein Team zu unterstützen, und heute war keine Ausnahme. Das Paul Brown Stadium in Cincinnati, Ohio, schwirrte vor Begeisterung, während sich sein Team, die Cincinnati Bengals, bereitmachte, den Seattle Seahawks die Hosen runterzulassen. Tage wie dieser waren ein seltenes Vergnügen für Speaker Tobin, der den Großteil seiner Zeit damit verbrachte, in Washington Hände zu schütteln und sich bei Menschen einzuschmeicheln, die er kaum kannte und die ihm noch weniger bedeuteten.

Heute nahm er sich eine Auszeit: Hotdogs, Fritten, French’s Senf, Sonnenschein und zu guter Letzt ein tolles Spiel. Er konnte seine Aufregung kaum im Zaum halten.

Laura sah ihn an und verdrehte die Augen.

Er lächelte. »Was ist?«

Stumm reichte ihm seine Frau ein Papiertuch.

»Senf?«

Sie nickte.

Ihm war klar, was sie dachte: Warum kann er nicht etwas essen, das weniger Sauerei macht, wenigstens in der Öffentlichkeit? Er wusste, dass sie ihn trotzdem liebte, und er liebte sie auch – nicht zuletzt, weil sie immer ein Papiertuch zur Hand zu haben schien, wenn er eins brauchte.

Er beugte sich vor, nah zu ihr, und flüsterte, sodass ihr Personenschutz auf den Plätzen direkt hinter ihnen nicht hören könnte, was er sagen wollte. Fünf kurze Worte später sah er das Lächeln, das sich auf dem Gesicht seiner Frau ausbreitete. Es funktionierte jedes Mal …

»Wow!«, sagte er und zeigte aufs Spielfeld. »Das wird er ihm heimzahlen. Sie liegen 24 zu 7 im Rückstand!«

Laura verdrehte wieder die Augen und lächelte. So zu tun, als interessiere sie sich für Football, gehörte zu ihrem Job. Für ihren Mann war es einfach, weil er es liebte, aber ihrerseits war alles vorgetäuscht, und das machte es zu harter Arbeit. Manchmal kam es ihr so vor, als würde ihr das Lächeln jeden Moment aus dem Gesicht fallen.

Tobin stöhnte, als sich die Seahawks dank eines klassischen Misdirection Plays tief in den Bereich der Bengals bewegten. »Das ist kein fairer Catch … kommt schon!«

»Das wolle ich gerade sagen«, bemerkte seine Frau mit einem Grinsen.

Er ignorierte sie und beobachtete aufmerksam, wie sich das Gedränge entwickelte und der Quarterback den Ball nach dem Snap spikte.

»Was bedeutet das?« Laura klang beinahe interessiert.

Tobin drehte sich seiner Frau zu und lächelte über ihre Unwissenheit. »Technisch gesehen ist es ein unvollständiger Pass, also wird die Uhr angehalten und der Down ist beendet.« Er wandte sich so schnell wieder dem Spiel zu, dass er das nächste Augenrollen übersah.

»Ach, danke für die Erklärung, Schatz«, sagte sie. »Jetzt verstehe ich es so viel besser. Alles ergibt Sinn.«

Dann verstummte sie und starrte ihren Ehemann mit verwirrt gerunzelter Stirn an.

Ein kleines rotes Licht wanderte vom Ärmel ihres Mannes zu seiner Brust. Es setzte seinen Weg am Hals hinauf und über sein Gesicht fort, wo es auf seiner Stirn anhielt, direkt unter dem Schirm seiner treuen, alten Bengals–Baseballmütze.

»Schatz, was zum Teufel ist …«

Sie beendete ihren Satz nicht. Eine halbe Sekunde später wurde ihr Mann brutal über die Rückenlehne seines Sitzes und in den Schoß des hinter ihm sitzenden Secret-Service-Agenten geschleudert. Ein Einschussloch hatte sich in die Mitte seines Kopfes gebohrt.

Erst dann hörte sie den vertrauten Klang des Gewehrschusses, eine Sekunde nachdem die Kugel gekommen war.

Laura Tobin schrie auf, als sie ein Secret-Service-Agent hart zu Boden drückte, sie mit dem eigenen Körper abschirmte und den Angriff über seinen Ohrhörer meldete. Die anderen Agenten reagierten in Sekundenschnelle, zogen ihre Waffen und suchten das Stadion ab. Wer auch geschossen hatte, die Verzögerung zwischen dem Treffer auf Speaker Tobin und dem Geräusch des Schusses bedeutete, dass derjenige ein gutes Stück entfernt war.

Die Menge brüllte Beifall, weil sie den Terroranschlag für eine Art Publicity Stunt hielt, doch nur Augenblicke später brach das totale Chaos im Stadion aus, als tausenden Footballfans die Wahrheit dämmerte und ein Andrang auf die Ausgänge ansetzte.

Amerika wurde tatsächlich angegriffen.

Kapitel 4

Präsident Charles Grant winkte der Menschenmenge, die den Weg der Wagenkolonne säumte, fröhlich zu, während die Fahrzeuge der Allee folgten und vor der Universität anhielten. Heute würde er eine Rede an der Xavier University of Louisiana halten, um der Stadt im Rahmen des laufenden Plans zum Wiederaufbau nach Hurricane Katrina weitere Bundesmittel zuzusichern.

Er warf einen Blick auf seine Uhr und stellte fest, dass die Wagenkolonne bereits sechs Minuten Verspätung hatte. Draußen sah er jene Menschen, die der Meinung waren, seine Verwaltung tue nicht genug, um zu helfen. Sie stellten sich mit ihren Plakaten vor dem Eingang der Universität auf und skandierten Parolen. Das gehört alles zu meinem Job, dachte er.

Grant stieg aus dem Auto und winkte noch einmal, während ihn sein Team vom Secret Service den Zugangsweg entlang geleitete. Unterwegs klickten ihm tausende Kamerablenden der Pressemeute ins Gesicht, und dann war er drinnen. Der Präsident der Universität begrüßte ihn und schüttelte ihm die Hand. Wenige Augenblicke später bewegten sie sich auf den Hauptsaal zu – der Secret Service war darauf bedacht, den Zeitplan des Präsidenten wieder ins Lot zu bringen.