DAS GOLD VON WALHALLA (Joe Hawke 5) - Rob Jones - E-Book

DAS GOLD VON WALHALLA (Joe Hawke 5) E-Book

Rob Jones

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Beschreibung

Joe Hawke und das ECHO-Team sind zurück und sehen sich einem mysteriösen Feind gegenüber, der einen noch finsteren und uralten Krieg führt, als sie ihn sich vorstellen können. Nach einem Mordfall in Kanada jagen Hawke und sein Team einer alten nordischen Legende nach, die sie von Island in ein spanisches Schloss und bis zu den Museen und Gassen Stockholms führt, und die sich als eines der bestgehüteten Geheimnisse unserer Welt herausstellen könnte.  Atemlose Action, verknüpft mit mythologischen Themen, und ein gehöriger Schuss Humor machen Rob Jones' Schatzjägerreihe zu einem absoluten Geheimtipp für Fans von James Rollins, Andy McDermott oder Clive Cussler. 

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Das Gold von Walhalla

Joe Hawke Abenteuer – Band 5

Rob Jones

This Translation is published by arrangement with Rob Jones.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: VALHALLA GOLD Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-792-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Das Gold von Walhalla
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Anmerkung des Autors
Über den Autor

WIDMUNG

Wieder einmal für T – gib niemals nach und gib niemals auf.

Prolog

Neufundland, Kanada

Das Mi’kmaq-Kulturmuseum war ein winziges Schindelgebäude, das auf den zerklüfteten Granitklippen im Osten Neufundlands thronte. Die Mi’kmaq waren ein stolzer Stamm der First Nations und lebten seit tausenden Jahren in den maritimen Provinzen im Osten Kanadas. Zusammen mit anderen in den Seeprovinzen verteilten Museen, beherbergte dieses bescheidene Gebäude die wenigen übrig gebliebenen archäologischen Schätze des Stammes.

Weit unten schlug der wilde Wellengang des Atlantiks gegen die Felsen und sprühte die Gischt mehrere Meter in die kalte Luft hinauf. Der Wind kam von den Grand Banks, einem der ergiebigsten Fischgründe der Welt, und es sah aus, als würde ein weiterer kurzer Sommer zu Ende gehen.

Bill Smith drehte der Aussicht den Rücken zu, schloss den Haupteingang auf und schlurfte hinein. Er war seit der Eröffnung vor fünfzehn Jahren hier Kurator und selten überarbeitet, aber er war stolz auf sein teilweises Mi’kmaq-Erbe und verbrachte seine Tage damit, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren und die Sprache seiner Vorfahren zu studieren.

Er beobachtete, wie sich die Sonne durch einen Spalt in der dichten Wolkendecke am Horizont kämpfte, und kehrte zu seiner Arbeit im Museum zurück. Er war mitten beim Umnummerieren einer Sammlung von Pfeilspitzen, die Archäologen kürzlich im Gros Morne National Park gefunden hatten.

Genervt, weil einige falsch benannt waren, schüttelte er den Kopf und seufzte, als er plötzlich das Geräusch von Hubschrauberrotoren irgendwo über dem Museum hörte. Er runzelte die Stirn und legte die Pfeilspitzen hin, bevor er zum Fenster ging. Der einzige Hubschrauber, der hier in der Gegend vorbeikam, war die Bell 412 Griffin, eine zweimotorige Maschine der kanadischen Küstenwache, doch die war rot lackiert und hatte einen weißen Streifen an der Seite. Dieser Hubschrauber war mattgrau und viel größer. Er sah beinahe militärisch aus.

Er öffnete die Eingangstür, stellte sich oben auf die Treppe und steckte die Hände in die Taschen, um sie vor der Kälte zu schützen. Warum jemand einen Hubschrauber dieser Größe direkt vor seinem kleinen Museum landen sollte, war ihm ein Rätsel. Schon jetzt hatte er ein ungutes Gefühl und überlegte, ob er die örtliche Polizei anrufen sollte, als die dicken Stahlkufen des Hubschraubers mit einem leisen Knirschen auf dem Kies vor dem Museum aufsetzten. Er zog an seinem Asthma-Inhalator und wurde zunehmend unruhiger.

Die Seitentür schwang auf und ein Mann in einem billigen Anzug stieg aus. Hinter ihm sprangen ein weiterer Mann und eine Frau heraus, beide in paramilitärischer Kampfkleidung. Beide Militärs trugen Maschinenpistolen über den Schultern. Bill machte einen Schritt zurück zur Tür, unterbrach den Blickkontakt mit den beiden aber nicht. Als sie näher kamen, erkannte er, dass der Bewaffnete eine Tätowierung von einer brennenden Granate am Hals hatte. Genau wie die Frau trug er ein schmutziggrünes Barett.

Der Mann im Anzug wies die anderen an, zu warten, und joggte die Holzstufen zum Eingang hinauf. »Mr, Smith, nehme ich an?« Er steckte ihm die Hand entgegen.

Bill Smith nickte, lehnte ein Händeschütteln jedoch ab.

»Ich bin Dr. Nate Derby. Wir haben telefoniert.«

Bill sah Derby an, dann warf er einen misstrauischen Blick über dessen Schulter auf die Bewaffneten hinter ihm. Er hatte vor einigen Tagen mit Dr. Derby telefoniert und sie hatten ein Treffen vereinbart, um etwas zu besprechen, dass dem alten Kurator schon sein ganzes Leben lang keine Ruhe gelassen hatte. Der Akademiker hatte vertrauenswürdig gewirkt und versprochen, die Sache für sich zu behalten, aber jetzt erkannte Bill, dass es falsch gewesen war, ihm zu vertrauen. Er hatte Mühe, zu begreifen, warum dieser Mann für den Besuch einen Militärhubschrauber brauchte. Er reckte das Kinn in Richtung der beiden Bewaffneten weiter hinten. »Ich dachte, wir waren uns einig, dass das unter uns bleibt?«

Dr. Derby zuckte hilflos mit den Schultern. »Tut mir leid, Sir. Aber nach unserer Unterhaltung sprach ich mit einigen Kollegen.«

»Wozu brauchen Sie eine Armee?«

Der Soldat trat vor. »Wir sind im Auftrag der kanadischen Regierung hier.«

Derby mochte normal genug erscheinen, aber Bill fand, dass mit diesem anderen Mann etwas nicht stimmte. Den französischen Akzent konnte er zwar dem Umstand zuschreiben, dass er aus Quebec war, aber der nicht gekennzeichnete Hubschrauber und das Granaten-Tattoo ließen ihn daran zweifeln, dass diese Paramilitärs die kanadische Regierung vertraten. Die Frage, warum sie Dr. Derby hierher begleitet hatten, beunruhigte ihn sehr.

»Können Sie sich ausweisen?«, fragte er und versuchte dabei, seine Nervosität zu verbergen.

»Wir tragen keine Ausweise bei uns, Sir. Wir gehören einer Spezialeinheit an.«

Bill runzelte die Stirn. »Was ist mit Ihnen, Dr. Derby?«

Derby lächelte. »Klar.« Er zog einen Ausweis der Memorial University of Newfoundland hervor und hielt ihn ihm vors Gesicht. »Abteilung für Archäologie«.

Smith betrachtete den laminierten Ausweis. Er sah echt genug aus. »Sie können reinkommen, wie vereinbart, aber die da nicht.«

Einen Moment lang sah Derby aufs Meer hinaus, dann richtete er seinen Blick wieder auf Bill. »Ich fürchte, da kann ich nicht zustimmen, Mr. Smith. Wir glauben, dass Sie etwas in diesem Gebäude haben, das für die nationale Sicherheitspolitik unverzichtbar ist.«

»Sie machen Witze, oder?« Er lachte zwar, erkannte aber, dass die Sache langsam außer Kontrolle geriet.

»Bitte, Mr. Smith, öffnen Sie die Tür.«

»Und was, wenn nicht? Was, wenn ich die Polizei rufe?«

Der Mann mit dem Granaten-Tattoo grinste böse und nahm die Maschinenpistole von seiner Schulter. »Denken Sie, dass Sie bis zum Telefon kommen, bevor ich es schaffe, den Abzug zu drücken?«

Wer sie auch waren, Bill hielt sie nicht für von der Regierung, und Derby hatte ihn am Telefon offensichtlich darüber angelogen, dass die Sache zwischen ihnen bleiben würde. Er überlegte, rückwärts durch die Tür zu gehen und sie ihnen vor der Nase zuzuschlagen, aber seine fünf Jahre im Royal Newfoundland Regiment sagten ihm, was diese Waffen mit der Holz- und Vinylschindelverkleidung des Museums anstellen würden. In weniger als zwanzig Sekunden wäre es ein Sieb. Und er ebenfalls.

Granaten-Tattoo trat näher. »Gut, zeigen Sie uns, wo sie sind, oui?«

Die beiläufige Erwähnung von sie verriet Bill alles Nötige. Sie wussten alle, warum sie hier waren, und es hatte keinen Sinn, Spielchen zu spielen. Derby hatte sein Vertrauen missbraucht.

Mit einem Blick auf die bedrohliche Mündung der Maschinenpistole in den behandschuhten Händen des Mannes nickte Bill zögernd und öffnete die Tür. Als sie die Stufen hinaufstapften und Schmutz und Kies in das kleine Museum trugen, füllte sich sein Verstand mit Schrecken, weil er endgültig realisierte, dass er das nicht überleben würde. Er hatte ihre Gesichter gesehen. Er wusste, was sie von ihm wollten.

Sie wollten den Beweis für den Unsichtbaren.

Oder was davon übrig war. Er, der in Urzeiten am See gewohnt hatte und nicht gesehen werden konnte. Der große Krieger, der wie ein Geist unter den feindlichen Stämmen umherging. Jetzt wollten sie seine Macht, und alles war seine Schuld. Er hatte der Welt ein uraltes Geheimnis offenbart, um seine eigene Neugier zu befriedigen. Bis zu seinem Anruf bei Derby hatte nur er von den kostbaren Gegenständen gewusst. Dieses Geheimnis hatte ihm sein Vater auf dem Sterbebett weitergegeben. Er hatte es nur einer anderen lebenden Seele erzählt, und er wusste, dass sie ihn niemals hintergehen würde. Nein, was gleich geschähe, hätte nur er allein auf dem Gewissen.

»Ich nehme an, es lohnt sich nicht, zu leugnen, dass sie hier sind?«, fragte er und gab sich Mühe, dabei ruhig zu klingen.

Ein humorloses Kopfschütteln war die Antwort. »Nein, und versuchen Sie nicht, auf Zeit zu spielen. Bringen Sie uns sofort zu ihnen, oder …« Granaten-Tattoo entsicherte seine Waffe und richtete sie auf seine Brust.

Derby sah fast so nervös aus, wie Bill sich fühlte, und er fragte sich, ob der Akademiker ebenfalls gezwungen wurde. So oder so, der alte Kurator begriff, was er zu tun hatte. Langsam schlurfte er durch das Museum, bis er das Hinterzimmer erreichte, ein unscheinbarer Raum mit drei Kisten voller antiker Fischereigeräte. Er blieb stehen und schob eine der Kisten von der Wand weg. Darunter befand sich eine lose Bodendiele, die der alte Mann mit seinen ledrigen Fingerspitzen bearbeitete.

Die Eindringlinge kamen näher und bildeten einen kleinen Kreis um ihn, während er sich über das Loch beugte.

»Keine Sorge«, sagte er. »Da unten ist keine Waffe.«

Keine Antwort.

Bill holte eine Blechdose heraus und pustete eine dicke Staubschicht vom Deckel. »Was Sie wollen, ist hier drin, und Gott möge mir vergeben, was ich heute getan habe.« Der angewiderte Blick, den er Nate Derby zuwarf, sagte mehr als tausend Worte.

Im Nu hatte er die Dose geöffnet und eine alte Smith & Wesson herausgeholt. Er richtete sie auf den Mann mit der Tätowierung und schoss.

Nichts geschah.

Mit einem Ausdruck des Entsetzens sah Bill auf die gehemmte Waffe herab.

Alle lachten, und Granaten-Tattoo schlug ihm die Waffe aus der Hand. Sie landete mit einem lauten Knall auf den Dielen.

»Jetzt machen wir das auf meine Art«, sagte Granaten-Tattoo und stieß Bill den Kolben seiner Maschinenpistole ins Gesicht.

Der alte Mann taumelte rückwärts, warf dabei eine der Kisten um und verteilte alte Angelhaken über den Boden.

»Nein, warten Sie!«, rief Derby. »Wir waren uns einig, dass niemand verletzt wird.«

»Klappe halten!«, rief die Frau. Sie machte eine große, lilafarbene Kaugummiblase, die auf ihren Lippen zerplatzte.

Bill spuckte einen Schwall Blut aus, während er schwankend wieder aufstand. »In Ordnung … in Ordnung. Was Sie suchen, ist da drin.« Er zeigte mit einer zitternden Hand auf ein Gitter an der Wand, das dazu diente, die warme Abluft aus dem kleinen Raum abzusaugen und zum Ofen unten zurückzuleiten. Seine von langer Hand geplante Finte hatte es nicht retten können, was er für den größten Teil seines Lebens beschützt hatte.

Granaten-Tattoo beorderte die Frau vorwärts. Sie warf Smith einen finsteren Blick zu, als sie an ihm vorbeiging, hob ihre Maschinenpistole und beschoss das Gitter und ein gutes Stück der Gipsplatte darum herum.

»Holen Sie es, alter Mann«, befahl Granaten-Tattoo. »Noch so ein Trick und Sie sind tot.«

Bill Smith steckte seine Hand in das Loch und zog einen kleinen Lederbeutel heraus, den er der Frau reichte. Sie riss ihn ihm aus der zitternden Hand und reichte ihn an Granaten-Tattoo weiter.

Er öffnete ihn sogleich und pfiff voll Ehrfurcht. Eine lange Zeit verging, in der der Mann mit dem Granaten-Tattoo auf die winzigen Perlen starrte, die jetzt in seiner Hand lagen. Er konnte kaum glauben, was er sah. Oder genauer gesagt, was er nicht sah. Statt auf seine Handfläche blickte er auf die Dielen des Museums direkt darunter. Es sah aus, als hätte er ein Loch in der Hand. Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf, staunend, während er versuchte, zu verstehen, was seine Augen ihm zeigten.

Smith keuchte. Sein Asthma wurde schlimmer. »Wenn Sie auf der Spur des Unsichtbaren wandeln, wird das nur in Ihren schmerzhaften Tod führen.«

Granaten-Tattoo ignorierte ihn und starrte weiter wie gebannt auf die seltsamen Perlen. Ohne Bill Smith anzusehen, hob er seine Maschinenpistole und feuerte eine Salve auf ihn ab, die seinen Brustkorb zerfetzte und ihn rückwärts in die zerschossene Gipsplatte hinter ihm krachen ließ. Er sackte langsam zu Boden, mausetot, und hinterließ eine verschmierte Blutspur an der Wand.

Derby taumelte entsetzt zurück, unfähig, zu glauben, was seine Augen gerade bezeugt hatten. »Warum zum Teufel haben Sie das getan?«

»Aus dem gleichen Grund, aus dem ich auch das tue.« Er hob die Pistole und richtete sie auf Derbys Herz.

»Was machen Sie da? Warten Sie, bitte … nicht schießen! Wir waren uns einig …«

Granaten-Tattoo feuerte zweimal und Derby sackte neben Bill Smith zu Boden.

»Gut, verschwinden wir«, sagte er.

Die Frau stellte ihren Stiefel auf Bills blutgetränkte Brust, um einen der Riemenstraffzuziehen, dann hob sie ihre Waffe auf. Sie machte eine weitere Blase mit Kirschgeschmack und kicherte. »Zurück zum Hubschrauber!«, rief sie.

Sie verließen das Museum. Unterwegs knirschten ihre Stiefel über zerbrochenes Glas und zerstörte Mi’kmaq-Artefakte. Draußen begannen die Rotoren, schneller zu surren, als der abflugbereite Pilot die Maschine startete.

Als sie in den Hubschrauber stiegen, wehte ein Sturm vom Atlantik heran, und heftiger Regen setzte ein, als sie vom Boden abhoben und die Maschine in der Luft wendeten. Sekunden später machte der mächtige Hubschrauber das alte Schindelmuseum unter großzügigem Einsatz der M230 Chain Gun an seinem Kinnturm zu Kleinholz.

Augenblicke später stand das Gebäude in Flammen, und der Hubschrauber verschwand für immer in den dichten, grauen Wolken.

Kapitel 1

Elysium

»Angst, zu verlieren?«, fragte Joe Hawke, ließ den Yamaha Waverunner aufheulen und schenkte Lea Donovan das selbstgefälligste aller möglichen Lächeln. Er schirmte seine Augen mit der Hand gegen die tropische Karibiksonne ab und beobachtete, wie sich ein Ausdruck amüsierter Gleichgültigkeit über das schlanke, gebräunte Gesicht der Irin legte.

Lea ignorierte die Bemerkung und studierte den Bogen der Bucht. »Also, wer zuerst um die Insel herum ist, gewinnt, ja?«

Hawke schob seine Sonnenbrille hinunter und nickte selbstsicher. »So war es abgemacht. Wenn du einen Rückzieher machen willst, sag es einfach.«

Lea antwortete, indem sie ihren Kawasaki-Jetski aufheulen ließ. »Du machst wohl Witze, Josiah. Die Zeit zum Spielen ist abgelaufen, Baby.«

Sein voller Name wurde von Ryan Bale und Maria Kurikova mit schallendem Gelächter quittiert. Sie saßen auf dem Pier einige Meter hinter den Jetskis. Hawke grinste sie an und freute sich, dass sein Name der Gruppe ein solches Amüsement bescherte. Es störte ihn nicht im Geringsten. Während der letzten Tage hatte er sich problemlos an die spielerische Lebensweise auf Elysium gewöhnt – wandern, schwimmen, tauchen und, seine Lieblingsbeschäftigung, auf Jetskis herumspielen.

»Also, machen wir es oder nicht?«, fragte Lea.

Ohne ein weiteres Wort raste Hawke davon, darauf bedacht, Ryan und Maria mit einem großen Schwall Meerwasser aus der Austrittsdüse am Heck des Waverunners zu überziehen.

»Hey! Nicht fair, du Betrüger!«, rief Lea und raste augenblicklich hinter ihm her. Binnen Sekunden war sie parallel zu ihm.

»Hast du Angst, dass ich gewinne?«, rief er ihr über die Schulter zu.

»Kein bisschen«, rief sie zurück. Ihre Stimme war über das Brüllen des 1,8-Liter-Motors kaum zu hören. Sie drehte den Gashebel, und der 4-Takt-Benzineinspritzer reagierte sofort und bewegte sie mühelos durch den warmen Ozean.

»Wir werden sehen«, sagte Hawke grinsend und brauste mit einem weiteren Schwall Meerwasser davon.

Er raste durch die Bucht im Nordosten der Insel, schlug einen diagonalen Weg durch das seichte Wasser ein und steuerte auf eine niedrige Klippe weiter draußen zu, die ins Meer ragte. Tausend Jahre Erosion hatten einen wunderschönen Bogen in diesen Teil der Klippe gegraben, der, wie Hawke mit Begeisterung feststellte, als er auf ihn zufuhr, etwa so groß wie ein Jetski war. In weiteren tausend Jahren würde er einstürzen und einen von der Landzunge losgelösten Pfeiler hinterlassen, der aus dem Meer ragen würde, aber heute schuf er den perfekten Tunnel, um hindurch zu sausen. Er raste darauf zu.

Es war jetzt kurz nach Mittag und die Luft war heiß und feucht. Zu seiner Rechten nahm er die heraufziehende Präsenz der Insel wahr: die tropischen Baumkronen, die sich über die Zwillingsberge erstreckten, und die glitzernde Glas- und Stahlkonstruktion, die das ECHO-Hauptquartier bildete. Hinter sich hörte er das Dröhnen von Leas Kawasaki, während sie zu ihm aufholte, fest entschlossen, die Insel vor ihm zu umrunden und das Rennen zu gewinnen.

Er zog den Kopf ein, als er den Waverunner durch die Lücke in der Klippe steuerte und hart nach rechts lenkte. Der heiße Wind schlug ihm entgegen, als er nach Süden abbog und die Maschine auf ihre Höchstgeschwindigkeit von gut hundertzehn Stundenkilometern beschleunigte.

Als er hinter sich blickte, erkannte er beeindruckt, dass Lea die gleiche Abkürzung durch das Erosionsloch genommen hatte. Er beobachtete, wie sie den Jetski nach rechts lenkte und sich vorbeugte, um ihn im warmen Wasser schneller zu drehen. Er wusste, wie sehr sie gewinnen und ihm klarmachen wollte, dass er nicht einfach hier auf der Insel antanzen und allen zeigen konnte, wie der Hase läuft. Ihm war klar, dass sie Gewinnen als ernste Angelegenheit betrachtete. Fast so ernst wie das Verlieren, dachte er.

Er erreichte jetzt das Ende der südwestlichen Spitze der Insel und bog für den letzten Teil des Rennens nach Norden ab. Vor ihm lag die Zielgerade, wo ein leicht angetrunkener Ryan Bale versprochen hatte, den Sieger des Rennens einzuwinken.

Er näherte sich der Ziellinie und bemerkte, dass Ryan und Maria nicht mehr auf dem Pier waren, um seinen Sieg zu bezeugen.

Er raste über die Linie, schaltete den Waverunner aus und hatte sogar noch Zeit, ihn am Ende des Stegs zu vertäuen, bevor Lea ankam und den Motor abstellte.

»Das zählt nicht als Sieg«, sagte sie.

»Klar doch.«

»Du hast geschummelt.«

»Lass uns bei einem schönen kalten Bier darüber reden.«

***

Hawke stieß die Doppeltüren zum Eingang des Hauptquartiers auf und schlenderte lässig in den kühlen, klimatisierten Komplex. Hinter ihm behauptete Lea immer noch, dass er das Rennen verloren hatte, weil er gestartet war, bevor Ryan das Signal gegeben hatte. Er wusste, dass sie recht hatte, aber es war ihm egal. In der Liebe und bei Jetski-Rennen war alles erlaubt.

Nachdem er zwei kalte Biere aus dem Kühlschrank geholt und Lea eines zugeworfen hatten, betraten sie den tiefer gelegenen Wohnbereich und entspannten sich. Hawke stellte mit Entsetzen fest, dass Ryan eine Art Transformation durchgemacht hatte, während sie sich ihr Rennen geliefert hatten. Er trug jetzt Bermudashorts und das schreiendste Hawaiihemd, das er je gesehen hatte.

»Es stimmt, was man sagt«, sagte Hawke, klopfte Ryan auf den Rücken und betrachtete seine Kleidung. »Manche Dinge kann man wirklich nicht ungesehen machen.«

Alex Reeve lachte und stimmte mit einem Kopfnicken zu, aber Maria sah den neuen, bunten Ryan liebevoll von ihrer Arbeit in der Küche aus an.

»Hey!«, rief sie über die Anrichte hinweg. »Er sieht toll aus!«

»Ja«, sagte Ryan lächelnd. »Mach es nicht schlecht, bevor du es ausprobiert hast.«

Sie ließen sich auf das Sofa vor dem riesigen Plasmafernseher fallen und Hawke nahm einen tiefen, langsamen Schluck vom Bier. Neben ihm saß Scarlet Sloane, mit einer Zigarette in der einen Hand und etwas, das wie ein Bananen-Daiquiri aussah, in der anderen, während Maria noch in der Küche war und versuchte, Nudeln mit Hühnchen zu machen. Es roch nicht so, als ob das besonders gut klappen würde.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich tatsächlich hier bin, im ECHO-Hauptquartier«, sagte Hawke. Er hielt inne, um den großen Raum erneut zu betrachten, sah zu den wirbelnden Ventilatoren an der Decke hinauf und richtete seinen Blick dann auf die riesige Fensterwand, die einen Ausblick auf das glitzernde, türkisfarbene Meer dahinter bot. »Wofür steht ECHO noch mal?«

»Es steht für Eden Counter-Hostile Organization«, sagte Scarlet selbstsicher.

Lea machte ein verwirrtes Gesicht. »Ich dachte, wir hätten uns auf Eden Covert History Organization geeinigt – oder vielleicht sogar auf Eden Covert Heritage Organization?«

»Nein, darauf hast du dich geeinigt«, sagte Scarlet. »Alle anderen fanden das bescheuert und haben sich für Counter-Hostile entschieden. Lässt uns viel härter klingen.«

»Aber wir verbringen unsere Zeit in der Welt der geheimen Geschichte«, jammerte Lea.

Scarlet lachte spöttisch. »Covert History oder Covert Heritage lässt uns wie diese Idioten klingen, die mit Tony Robinson alte Münzen ausgraben.«

»Hey!«, sagte Ryan. »Ich mag diese Programme. Und für dich heißt das Sir Tony Robinson.«

Maria betrat den Raum mit einigen Tüten Chips.

»Was ist mit den Nudeln passiert?«, fragte Scarlet?

»Die sind schwarz geworden«, sagte Maria. »Und sehr hart … wie kleine Splitter aus explodiertem Holz.«

»Lecker!«, sagte Scarlet.

»Hey, wartet mal«, sagte Ryan.

»Was ist?«, fragte Lea.

Ryan reckte den Hals übers Sofa und versuchte, die runde Treppe zu sehen, die zu Edens Arbeitszimmer hinauf führte. »Eden ist am Bat-Fon.«

Scarlet lehnte sich auf ihrem Platz zurück und nahm langsam die Zigarette aus dem Mund. »Wenn du damit einen Anruf annimmst, Ryan, ist es dann das Depp-Fon?«

Allgemeines Lachen ging durch den Raum.

Ryan warf Scarlet einen vernichtenden Blick zu und streckte ihr zur Antwort langsam den Mittelfinger entgegen. »Nur damit ich das richtig verstehe«, sagte er todernst. »Hast du nicht auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten geschossen?«

Maria lachte und reichte Ryan eine Chipstüte.

Scarlet seufzte und verdrehte die Augen. »Nicht das schon wieder.«

»Aber hast du doch, oder?«

»Na ja … gewissermaßen, aber es war nur zu seinem Besten.«

Hawke erinnerte sich an den Moment, als er beobachtet hatte, wie Agent Doyle Präsident Charles Grant aus dem Hudson River gezogen hatte. Beide hatten wie ertrunkene Ratten ausgesehen. Und dann erinnerte er sich an den Moment, als der Präsident ihm für die Rettung der Nation gedankt hatte.

»Aber eigentlich«, fuhr Ryan verschmitzt fort, »war es ein versuchtes Attentat. Hab ich recht?«

»Ach, halt die Klappe, Junge. Du nervst langsam. Das war nichts dergleichen, und das weißt du. Ich hab die Entscheidung getroffen, den Präsidenten ins Wasser zu bringen, weil ich durch den ersten Angriff auf die Perseus wusste, dass Doyle ein guter Schwimmer ist, und weil Kiefel ihn sonst erschossen hätte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch drei Kugeln in seiner Waffe. Mir ist keine andere Möglichkeit eingefallen, um Charlie in Sicherheit zu bringen.«

»Charlie?«

Scarlet zeigte ein selbstgefälliges Lächeln. »Klar, er hat mich gebeten, ihn so zu nennen, als wir telefoniert haben.«

»Bitte sag mir, dass du keine deiner schmutzigen Affären mit dem amerikanischen Präsidenten hast«, sagte Ryan. »Anders als die meisten deiner Opfer ist dieser Mann nicht austauschbar. Das ist dir klar, oder?«

Hawke hörte amüsiert zu, behielt aber Eden im Auge, der gerade die Treppe hinunterkam, um im Hauptbereich zu ihnen zu stoßen.

Scarlet seufzte, stand auf und nahm ein Kissen in die Hand. »Ich habe keine Affäre mit Charlie, also mach dir nicht ins Höschen.« Sie schlug Ryan das Kissen ins Gesicht und tat so, als wollte sie ihn ersticken. Er wehrte sich wenig überzeugend, und sobald er sich von dem Kissen befreit hatte, sah er, dass auch sie Eden beobachtete, während er sich näherte.

»Was ist los, Rich?«, sagte Lea.

»Ich glaube, wir haben ein Problem.«

Scarlet machte ein ernstes Gesicht. »Was ist passiert?«

»Ich habe gerade einen Anruf bekommen.«

»Wissen wir«, sagte Scarlet. »Wir haben dich am De… Bat-Fon gesehen.«

Sir Richard Eden registrierte ihren Kommentar nicht. »Es war Lady Victoria Hamilton-Talbot.«

Lea nickte. »Du hast sie mal erwähnt. Wer ist das noch gleich?«

»Ihr Vater, der Viscount, ist ein alter Freund von mir.«

»Und was wollte sie?«

Eden machte ein besorgtes Gesicht. »Sie hat mir erzählt, dass ein gemeinsamer Freund von uns ermordet wurde und dass sie glaubt, es könnte etwas mit Thor zu tun haben.«

Schweigen folgte, als Eden die Stirn runzelte und sich langsam in seinem Ledersessel niederließ. Draußen vor dem Fenster hörten sie das leise Zwitschern eines Mangrovenkuckucks, der sich irgendwo in den Baumkronen einer Reihe naher Kokospalmen versteckte.

Hawke, dem bei der Erwähnung Thors ein unbehaglicher Ausdruck auf Leas Gesicht aufgefallen war, brach als Erster das Schweigen. »Thor? Ist das dein Ernst?«

Eden richtete seinen Blick auf das ehemalige SBS-Mitglied. »Wann hast du je erlebt, dass ich spaße?«

Hawke nahm die Rüge hin. Das ist allerdings wahr, dachte er. »Hat sie sonst noch was gesagt?«

Wieder folgte eine lange Stille.

Eden senkte die Stimme. »Sie ist sich nicht sicher, was genau passiert ist, aber die Polizei hat seine Leiche in einem ausgebrannten Museum in Ostkanada gefunden. Es heißt, man habe ihm zweimal ins Herz geschossen.« Eden rieb sich unwillkürlich die Stirn, während ihm ein tiefer Seufzer über die Lippen kam.

»Es tut mir leid, Rich«, sagte Alex leise.

»Das sind furchtbare Neuigkeiten, Rich«, sagte Lea. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du stehst sicher unter Schock.«

»Ja, und es wird noch schlimmer … sie erhielt eine Telefonnachricht, in der ihr geraten wurde, keine weiteren Fragen über seinen Tod zu stellen, sonst wäre sie die Nächste.«

»Weiß sie, worum es geht?«, fragte Ryan.

Eden machte ein finsteres Gesicht. »Nate – ihr Freund und ehemaliger Vorgesetzter – hat sein Leben damit verbracht, die einheimischen Stämme der kanadischen Seeprovinzen zu erforschen. Ich habe ihn mehr als ein Mal getroffen, und er war ein verdammt anständiger Kerl. Amerikaner, aus Connecticut. Sie hat gesagt, dass er aus irgendeinem Grund vor kurzem angefangen hat, mit ihr über Thor zu reden, den nordischen Gott, und sie ist sich sicher, dass das etwas mit seinem Tod zu tun haben muss.«

»Aber warum haben wir ein Interesse an der Sache?«, fragte Scarlet. »Abgesehen vom Gold natürlich?«

»Wir haben ein Interesse, wie du es nennst, daran«, sagte Eden, »weil Victorias Vater ein sehr alter Freund von mir ist. Wenn sie meine Hilfe braucht, dann wird sie sie bekommen.«

»Ich hab nichts dagegen einzuwenden«, sagte Ryan mit einem Blick zu Scarlet. »Außerdem war ich der Meinung, dass sich jeder für Thor interessiert?«

Scarlet schnaubte und hob ihre Zigarettenschachtel vom Tisch auf, während sie sich auf den Weg zur Tür machte. »Ich bin an allem interessiert, was mir eine Belohnung verspricht, Junge … und Gold ist das beste Versprechen von allen.«

»Wir interessieren uns nicht nur für das verdammte Gold, Scarlet«, sagte Eden scharf. »Bei ECHO geht es um mehr. Wir sind nicht einfach nur Schatzsucher.«

Scarlet verstand seinen Standpunkt und machte ein entschuldigendes Gesicht, während sie sich die Zigarette in den Mund steckte.

»Wie dem auch sei«, sagte Eden mit Unheil verkündender Miene. »Wir werden uns einmischen, denn wenn es etwas mit Thor und den nordischen Sagen zu tun hat, dann ist es genau das, womit wir uns beschäftigen. Und wenn die Chance besteht, dass es uns zu etwas archäologisch Bedeutsamem führt, dann will ich, dass es hier bei uns ist und nicht in irgendeinem Regierungsarchiv verschwindet.«

»Sieht aus, als müsste ich mein Batman-T-Shirt anziehen«, sagte Ryan ernst.

»Und wo gehen wir hin?«, fragte Hawke.

»Ins Buccaneer Palm Resort«, sagte Eden leise. Das Telefonat beschäftigte ihn offenbar noch immer. »Sie hat dort ein Haus. Es gehörte früher ihrem Vater.«

»Du meinst auf den Florida Keys?«, fragte Lea.

»Ja, Little Torch Key«, antwortete Eden. »Ich will binnen einer Stunde einen vollgetankten Jet in der Luft haben, und euch alle an Bord.«

Und Hawke fand das den besten Vorschlag, den er in dieser Woche gehört hatte.

Kapitel 2

Florida Keys

Die Gulfstream landete weniger als zwei Stunden nach Victoria Hamilton-Talbots Anruf bei Sir Richard Eden auf dem Florida Keys Marathon Airport. Hawke, Lea, Scarlet und Ryan bildeten das Team, und Eden hatte Alex auf der Insel behalten, um die Computer zu bedienen, sowie Maria der Sicherheit wegen.

Der Flug verlief ohne Probleme, aber aus der Luft hatten sie Hurrikan Jasmine während des Landens weit entfernt am östlichen Horizont gesehen. Jetzt, von ihrem neuen Aussichtspunkt am Boden aus, war er genauso beeindruckend, aber zu weit weg, um eine Gefahr für sie darzustellen. So war das Leben in den Tropen.

Am Flughafen mieteten sie einen selbstfahrenden Geländewagen und Hawke setzte sich hinters Steuer, während Lea Eden anrief und ihn über ihre Ankunft informierte. Sie fuhren auf der Rick Turner in Richtung Südwesten, ehe sie rechts auf die U.S. Route 1 nach Süden abbogen. Die Fahrt über den Overseas Highway war öde und größtenteils eintönig.

Nachdem sie an Bahia Honda Key und dem State Park vorbei waren, erreichten sie Big Pine Key und überquerten dann den Pine Channel. Während sie die sonnendurchflutete Landschaft am Autofenster vorbeiziehen sah, dachte Lea über ihre jüngste Reise nach Irland nach und darüber, wie alles dazu passte, warum sie jetzt in Florida war. Es konnte kein Zufall sein, dass sich die Forschungsnotizen ihres Vaters auf die nordischen Heilgöttinnen konzentriert hatten und jetzt ein Mann, der mit dem Studium Thors in Verbindung stand, ermordet worden war.

Sie fühlte sich schuldig, dass sie den Inhalt der Forschungsakte ihres Vaters für sich behalten hatte, nachdem sie aus Irland zurückgekehrt war. Nach ihrer Landung hatte sie die Akte mit in ihr Zimmer genommen, den Inhalt auf eine Festplatte übertragen und auf einen USB-Stick kopiert, und die Notizen anschließend in ihren Aktenschrank gelegt – aber sie hatte niemandem davon erzählt. Sie hatte keine Ahnung, warum ihr Vater die nordischen Sagen erforscht hatte, und sie wollte es für sich behalten, bis sie sich näher damit befasst hatte, aber das wirkte jetzt wie ein schlechter Plan. Es musste einen Zusammenhang zwischen all dem geben.

»Wir sind da«, sagte Hawke mit einem Blick auf das Navi. »Little Torch Key«.

Er blinkte nach links und lenkte den Geländewagen von der Straße. Sie fuhren über einen kleinen Schotterparkplatz und hielten vor dem exklusiven Resort an. Es lag auf einem mehrere Hektar großen, teuren Strandgrundstück, und während einige hier ihre Grundstücke besaßen, mieteten die meisten. Direkt hinter dem Eingang stand ein langes, niedriges Gebäude, das den Hauptempfang darstellte, und einige Menschen mit breiten Sonnenhüten schlenderten über die verschlungenen Pfade innerhalb des Komplexes. Der Ort bot die Art von Frieden und Ruhe, die es nur für mehrere tausend Dollar pro Nacht zu kaufen gab.

Victorias Haus befand sich am südlichen Ende des Resorts, und der mehrere Minuten lange Fußweg führte sie durch das Zentrum des Geländes bis zur Luxusresidenz. Sie lag inmitten Unmengen tropischer Pflanzen versteckt und wurde von mehreren, hoch aufragenden Palmen beschattet, die sich sanft in der warmen Brise wiegten, die jetzt von der Floridastraße kam.

Die junge Frau winkte ihnen von der Veranda aus zu und sie gingen langsam die Treppe zu ihr hinauf.

»Sie müssen Lea Donovan sein?«, fragte sie. »Dickie hat mir viel von Ihnen erzählt.«

Hawke sah Scarlet fragend an und formte das Wort Dickie, aber Scarlet zuckte mit den Schultern und sagte nichts.

Victoria bemerkte den Blick zwischen den beiden und wandte sich an Scarlet. »Und Sie sind die Frau, die versucht hat, Präsident Grant umzubringen, richtig?«

Scarlet öffnete den Mund, um zu antworten, aber Hawke legte ihr den Finger auf die Lippen. »Sie macht nur Spaß, Cairo.«

Victoria lächelte matt und wandte sich an alle. »Bitte, kommen Sie herein. Sie sind herzlich willkommen.«

***

Das Innere stellte sich als noch prächtiger als das Äußere heraus, und Ryan starrte mit unverhohlenem Neid auf den exklusiven Barschrank und die mit Moskitonetzen bedeckten Betten am Ende des Flurs. Durch das offene Fenster schien die strahlend helle Sonne Floridas auf das türkisfarbene Wasser jenseits eines gepflegten Sandstreifens, hinab.

»Wow«, sagte er schließlich.

Scarlet rümpfte die Nase. »Ich hab noch nie einen so wortgewandten Ausruf der Begeisterung gehört.«

Sie setzten sich in den Salon, der Teil eines offenen Untergeschosses mit polierten Hartholzdielen, holzvertäfelten Wänden und Lamellenfenstern war. Victoria schenkte allen Eistee ein, was Scarlet Sloane einen empörten Blick entlockte.

»Haben Sie nichts Stärkeres, Victoria? Während ich die Welt rette, tanke ich normalerweise einen gehaltvolleren Treibstoff.«

»Natürlich«, sagte Victoria. Ihr langes braunes Haar wehte sanft im Durchzug der Lamellenfenster. Sie öffnete die Flügeltüren des walnussfurnierten Barschranks und machte eine dramatisch ausladende Geste. »Die Bar ist geöffnet … Und bitte, nennen Sie mich Vikki.«

»Ein Wodka reicht mir, Vikki«, sagte Scarlet unverblümt.

Obwohl sie Eden schon mehrmals von Victoria Hamilton-Talbot hatte sprechen hören, war Lea ihr noch nie begegnet, und sie wusste sehr wenig über sie. Sie war Akademikerin, spezialisiert auf maritime Archäologie, und ihr ehemaliger Vorgesetzter, mit dem sie Gerüchten zufolge eine Affäre hatte, war Dr. Nate Derby. Von Richard wusste sie außerdem, dass sie die Tochter von Lord Peter Hamilton-Talbot war, dem Viscount von Weston, was ihr den Titel Lady Victoria Hamilton-Talbot verlieh, den sie aber nie benutzte.

Victoria beendete den Smalltalk und lenkte das Gespräch geschickt auf das Wesentliche. »Eines Tages wird mir jemand verraten müssen, wo das kleine Versteck des alten Dickie ist«, sagte sie im Versuch, die Gruppe aufzulockern.

Niemand antwortete.

»Warum sind wir hier, Vikki?«, sagte Hawke rundheraus.

Lea beobachtete die Frau aufmerksam, während diese die Gruppe musterte und sich dann langsam in einen Korbsessel neben dem offenen Fenster sinken ließ. »Wie Dickie Ihnen sicher mitgeteilt hat, wurde mein früherer Chef Nate vor ein paar Tagen tot in einem ausgebrannten Gebäude in Kanada aufgefunden. Ich glaube, er wurde ermordet.«

»Ja, Rich hat uns darüber informiert«, sagte Lea und übernahm damit die Führung. »Ihr Verlust tut uns sehr leid. Standen Sie einander nahe?«

»Unsere akademische Partnerschaft war sehr eng, ja, aber unsere Beziehung ging nicht darüber hinaus.«

»Warum glauben Sie, dass er ermordet wurde?«, fragte Hawke.

Victoria zögerte und Lea fand, dass sie aussah, als ob sie etwas abwöge, ehe sie antwortete. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es hat etwas mit dem zu tun, was er erforscht hat … nebenbei.«

»Was war sein Spezialgebiet?«, fragte Ryan.

»Prähistorische Archäologie in den Seeprovinzen, aber er hatte angefangen, über Thor zu forschen.«

»Und Sie glauben, dass er in diesem Zusammenhang getötet wurde?«, fragte Hawke.

Victoria seufzte. »Vielleicht, ja, aber es erscheint mir alles zu merkwürdig.«

»Wie kommen Sie darauf?«, sagte Lea.

»Nate hat sich in letzter Zeit recht seltsam verhalten. Er hat wichtige Vorlesungen und andere berufliche Termine verpasst, sein Handy ignoriert, wann immer ich versucht habe, ihn anzurufen, und außerdem hat er angefangen, zu trinken … das sah ihm nicht ähnlich.«

»Dann war er gar nicht so verkehrt«, sagte Scarlet im Flüsterton.

»Aber diese Sache mit Thor …«, sagte Victoria. Das Zögern in ihrer Stimme war beinahe spürbar.

»Was ist damit?«, sagte Lea.

»Er hat immer öfter mit mir darüber gesprochen. Er war von Thor besessen.«

Schon wieder dieser Name. Lea spürte Unruhe in sich aufsteigen, als sie darüber nachdachte, ob das alles Zufall sein könnte. Hingen der Angriff auf sie in Irland wegen einer Akte, die Forschungen über nordische Sagen enthielt, und jetzt der Mord an einem Mann, der von Thor besessen war, wirklich irgendwie zusammen?

Ihre Gedanken wurden von Hawkes Stimme unterbrochen. »Wir müssen mehr erfahren, wenn wir helfen sollen, Vikki.«

Victoria nickte schwach und wandte einen Moment lang den Blick ab. Lea fand, dass sie verängstigt aussah. »Genauer gesagt hat Nate mit mir über Thors Hammer gesprochen. Sie haben alle von Thors Hammer gehört, nehme ich an?«

»Natürlich«, sagte Ryan. »Hinz und Kunz haben schon von Thors Hammer gehört. Aber natürlich könnte das nicht für Joe gelten.«

»Ich weiß, was Thors Hammer ist, Rupert.«

»Hey! Ich dachte, ich hätte das Rupert-Revier sicher hinter mir gelassen? Was ist aus Kumpel geworden?«

»Wenn du dich wie ein Rupert verhältst, dann wirst du Rupert genannt. Simpel.«

»Was soll das alles, Victoria?«, unterbrach Lea das Geplänkel. »Was hat ein Professor für atlantisch-kanadische Archäologie mit Thors Hammer zu tun?«

Ryan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Ich hätte das für offensichtlich gehalten.«

Hawke seufzte und schüttelte den Kopf. »Was hab ich gerade darüber gesagt, sich wie ein Rupert zu verhalten, Rupert?«

Lea verdrehte die Augen. »Jungs, bitte.«

»Für manche mag es offensichtlich sein«, sagte Victoria lapidar mit einem raschen Blick zu Ryan. »Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, haben die Wikinger eine lange Geschichte mit Atlantik-Kanada, insbesondere mit L’Anse aux Meadows an der Nordküste Neufundlands. Archäologen entdeckten die Stätte 1960, und unsere Forschungen datieren sie mindestens auf das Jahr 1000 nach Christus, was die Besiedlung Nordamerikas durch die Wikinger weit über tausend Jahre alt macht.«

»Das nennt man präkolumbischen transozeanischen Kontakt«, sagte Ryan vergnügt.

»Ich bin beeindruckt«, sagte Victoria.

»Danke, Babe«, sagte Ryan mit einem Zwinkern.

Victoria sah den Mann im Batman-T-Shirt entsetzt an.

Hawke verdrehte die Augen. »Ignorieren Sie das, Vikki … und fahren Sie bitte fort.«

»Wie gesagt, Nate hat vor Kurzem angefangen, mit mir über Thor zu sprechen, also habe ich nebenbei auch angefangen, über ihn nachzuforschen. Insbesondere Walhalla hat mein Interesse geweckt, aber dann habe ich gemerkt, dass andere Organisationen involviert waren.«

Hawke runzelte die Stirn. »Was meinen Sie mit anderen Organisationen?«

»Ich weiß es nicht, aber Nate hat nicht allein gearbeitet. Ich glaube, er hat sich auf andere eingelassen.«

Victoria sprach weiter, aber Lea ging langsam zu den Flügeltüren und trat auf die Veranda hinaus. Hier draußen hing ein Deckenventilator an einem der Dachbalken, aber er war nicht eingeschaltet, und ohne das sanfte Surren der Blätter spürte sie sofort, wie ihr die Hitze des Tages den Hals hinauf und übers Gesicht zog.

Während Victoria sich zaghaft durch ihre Geschichte arbeitete, nahm sich Lea einen Augenblick Zeit, um die Gegend nach Ärger abzusuchen. Das Einzige, was sie störte, war eine einzelne Jacht einige hundert Meter draußen auf dem Meer. Sie sah groß aus, mindestens ein paar Millionen wert, aber das war in dieser Gegend keine große Überraschung, wie sie fand.

Weiter südlich an der Küste entdeckte sie, zum Teil von einer schmalen Mangrovenreihe verdeckt, etwas, das wie eine Seabreacher X aussah. Sie war an einem privaten Steg am Ende eines Grundstücks im Süden des Resorts vertäut, was ebenfalls Sinn ergab. Sie und Hawke hatten vor kurzem eine Fernsehsendung über diese Boote gesehen, und sie lagen preislich irgendwo um die Fünfzigtausend. Falls die Reportage recht hatte, schossen sie wie ein Torpedo durchs Meer und konnten sogar für kurze Zeit untertauchen, sodass man dank des Kabinendachs aus Acryl unter Wasser sehen konnte. Jungs und ihr Spielzeug, dachte sie und kehrte in den klimatisierten Raum hinter sich zurück.

»Im Westen was Neues?«, fragte Hawke.

»Glaub nicht … da draußen liegt eine hübsche Seabreacher, die du dir bestimmt ansehen willst.«

»Eine Seabreacher?«, fragte Hawke interessiert.

»Die gehört einem der Nachbarn«, sagte Victoria abschätzig. »Die Hälfte der Zeit macht er einen verdammten Lärm damit, wenn er vor meinem Haus auf und ab fährt. Jedenfalls«, fuhr sie fort, »konnten wir vor kurzem die neuesten Satellitenbilder der Provinz studieren, und die haben einen wahren Schatz weiter südlich am Point Rosee enthüllt.«

Scarlet trank ihren Wodka aus und beugte sich auf ihrem Platz vor. »Ein Schatz, sagen Sie?«

Victoria nickte energisch. »Oh ja, absolut. Point Rosee ist eine Halbinsel an der Südküste der Provinz, und diese neuen Satellitenbilder deuten stark auf menschliche Sozialaktivitäten in der Region hin. Das ist unheimlich aufregend.«

Scarlet seufzte und schenkte sich noch einen Wodka ein. »Aber kein Gold?«

Victoria machte ein verwirrtes Gesicht. »Gold?«

»Und ignorieren Sie das auch«, sagte Lea und nahm Platz. »Was hat das alles mit Nates Tod und Thor zu tun?«

Victoria seufzte und band ihr Haar mit einem kleinen Haarband zurück. Sie wirkte ratlos. »Ich weiß es wirklich nicht … vermutlich frage ich mich nur, ob Nate oben in Neufundland etwas entdeckt hat, das irgendwie mit Thors Hammer zusammenhängt. Er hat irgendwas über eine Teslaspule erwähnt. Sagt das jemandem etwas?«

Ryan starrte sie an, das Gesicht leichenblass. Er hatte Sophie Durand im Kampf gegen Menschen verloren, die Tokio mit einem Tesla-Transformator zerstören wollten.

Lea bemerkte die Veränderung in seiner Miene. »Ry … alles in Ordnung?«

»Alles okay … viele Menschen haben spekuliert, dass Thors Hammer eine uralte Weltuntergangswaffe gewesen sein könnte, die ungefähr wie eine moderne Teslaspule funktionierte, aber nichts wurde je bewiesen. Ich für meinen Teil bin da skeptisch.«

Victoria machte ein bedrücktes Gesicht. »Ich kann mir weder denken noch sicher wissen, was Nate erforscht hat – aber es ist gewiss das, worüber er immer öfter gesprochen hat. Ich bin keine Naturwissenschaftlerin, aber wie gesagt, er hat mir gegenüber etwas von einer Teslaspule erwähnt.«

Ryan beugte sich vor. »Hat er was Genaueres gesagt?«

»Nur, dass Thors Hammer sich eigentlich gar nicht auf einen Hammer bezog, jedenfalls nicht so, wie wir ihn sehen. Er hat behauptet, er sei eher etwas, das wir heute als Teslaspule bezeichnen würden. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, was das ist.«

»Das ist eine Art Induktionsspule, die hochfrequente Wechselspannung erzeugt.« Sich dessen bewusst, dass alle im Raum ihn jetzt in der Hoffnung auf eine bessere Erklärung anstarrten, runzelte Ryan die Stirn. »Das ist sehr gefährlich.«

»Klingt so«, sagte Victoria.

»Aber das war Thors Hammer auch«, sagte Ryan. »Mjölnir, um das altnordische Wort für den Hammer zu benutzen, war eine der furchterregendsten Waffen der nordischen Mythologie. Ich würde sagen, er stand wahrscheinlich auf einer Stufe mit Poseidons Dreizack.«

»Das hört sich wirklich alles sehr gefährlich an«, sagte Scarlet und nippte an ihrem Wodka. »Was ganz toll ist.«

Victoria seufzte erneut. Sie sah verzweifelt aus. »Aber was hat das alles mit dem Grund zu tun, warum Nate in Neufundland getötet wurde?«

Ryans Augen weiteten sich. »Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Thor vor Tausenden von Jahren das Meer überquert hat und in Kanada gelandet ist, genau wie die Wikinger?«

»Das kann nicht sein …«, sagte Victoria beinahe flüsternd. »Thor war eine mythologische Figur! Er kann nicht existiert haben …«

»Natürlich nicht«, sagte Scarlet leise. Das an ihre Lippen gehobene Wodkaglas verbarg ihr Augenrollen vor Victoria.

»Aber andererseits«, fuhr Victoria mit beginnendem Schluchzen fort, »war Nate ein extrem erfolgreicher und hoch angesehener Archäologe. Wenn er die ganze Zeit über Thor und diesen Hammer gesprochen hat, dann ist da vielleicht, nur vielleicht, doch was dran.«

»Das ist eine gute Theorie«, sagte Lea und lenkte Victoria von diesem Thema ab. »Ich bin kein Experte in Sachen Archäologie, aber wenn Sie sagen, dass Nate da etwas auf der Spur war, dann reicht mir das.«

Victoria sah zu Lea und den anderen auf, trocknete die Augen und schmierte dabei Wimperntusche über ihre Wangen. »Ist das Ihr Ernst?«

Lea nickte und drückte ihre die Schulter. »Natürlich.«

»Dann halten Sie mich nicht für verrückt?«

»Wir haben schon viel Schlimmeres gehört«, sagte Hawke. »Glauben Sie mir.«

Lea warf ihm einen raschen, verstohlenen Sei-Still-Blick zu und reichte Victoria ein Taschentuch.

»Gott sei Dank«, sagte sie und fand die Fassung wieder. Sie drehte sich in ihrem Stuhl um und drückte die Wiedergabetaste auf ihrem Anrufbeantworter. »Ich habe nämlich gestern einen Anruf erhalten, und ich weiß, dass ich mir das nicht einbilde.«

Sobald die Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgespielt wurde, erfüllte die tiefe, kehlige Stimme eines Mannes den Raum. »Lady Victoria … wenn Sie mit jemandem über Dr. Derby sprechen, werden Sie die gleiche Behandlung erfahren, wie er. Halten Sie den Mund.«

Victoria zuckte auf ihrem Stuhl zusammen, als die Verbindung abrupt beendet wurde. »Diese verdammte Nachricht erwischt mich jedes Mal!«, sagte sie fast wimmernd. »Seit ich sie gestern bekommen habe, habe ich sie mir bestimmt hundertmal angehört, nur um sicherzugehen, dass ich nicht verrückt werde und mir das Ganze einbilde.«

Hawke runzelte die Stirn. »Das bilden Sie sich nicht ein, Vikki.« Er wandte sich an die anderen. »Irgendeine Idee?«

»Eindeutig französisch«, sagte Scarlet.

Ryan schnaubte. »Wohl kaum. Das ist ein belgischer Akzent.«

Lea überlief es kalt. Jetzt wusste sie, dass es kein Zufall sein konnte und dass sie den anderen von den Einzelheiten dessen, was sie in Irland gefunden hatte, erzählen musste.

»Lea?«, fragte Hawke. »Was ist los?«

»Diese Stimme … Sie klingt genau wie die Stimmen der Männer, die in Irland versucht haben, mich zu entführen.«

Victoria seufzte. »Nun, wer sie auch sind, mir ist klar, dass sie Nate getötet haben müssen, und ich weiß, dass es etwas mit dieser Thor-Geschichte zu tun hat.«

»Was immer da vor sich geht«, sagte Hawke, »wir müssen nach Neufundland und versuchen, herauszufinden, was mit Nate passiert ist. Hoffentlich finden wir dort eine Spur, und dann können wir vielleicht aufklären, was ihm zugestoßen ist, und dieser Thor-Sache auf den Grund gehen. Falls es sich um eine antike Weltuntergangswaffe handelt, dürfen wir keine Zeit verlieren.«

Victoria nickte. »Gut, wenn das so ist, brauchen wir wohl …«

Sie verstummte und ihr Gesicht erstarrte zu einer Grimasse der Furcht. Sie zeigte auf die offenen Türen und schrie.

Binnen einer Sekunde war die Ruhe des Strandhauses dahin, als das Boot, das Lea zuvor gesehen hatte, das Ufer am Ende des Gartens passierte. Dann feuerten mehrere schwer bewaffnete Männer auf dem Deck mit Maschinenpistolen auf das Anwesen.

»In Deckung!«, schrie Hawke.

»Die Dreckskerle machen ein Drive-by-Shooting von einer verdammten Motorjacht aus!«, rief Ryan.

Um sie herum bohrten sich Kugeln in den luxuriösen Raum und rissen ihn in Stücke.

Kapitel 3

Hawke war im Handumdrehen auf dem Boden und sah sich sofort nach den anderen um. Lea war bereits hinter der Deckung des Sofas verschwunden und erwiderte unmissverständlich das Feuer, aber Victoria sah aus wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht, also warf sich Hawke auf sie und drückte sie mit festem Griff um die Taille zu Boden. Lea bemerkte die Bewegung aus dem Augenwinkel, sagte aber nichts. Alle anderen zogen mit, während die erste Kugelwelle über ihre Köpfe hinweg rollte und die rückwärtige Wand zerstörte.