DIE GRUFT DES POSEIDON (Joe Hawke 1) - Rob Jones - E-Book

DIE GRUFT DES POSEIDON (Joe Hawke 1) E-Book

Rob Jones

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Beschreibung

Die Entdeckung eines geheimnisvollen griechischen Textes führt den ehemaligen Special-Forces-Soldaten Joe Hawke auf die Spur eines mysteriösen Rätsels – älter als die Zeit selbst, und so gefährlich, dass die Götter es vor den Augen der Menschheit verbargen. Um zu verhindern, dass diese ungeheure Macht in die Hände eines wahnsinnigen Feindes fällt, begibt sich Hawke in ein gefährliches Abenteuer, welches ihn von London nach New York und bis Griechenland führt. Denn nicht weniger als die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel …  Atemlose Action, verknüpft mit mythologischen Themen, und ein gehöriger Schuss Humor machen Rob Jones' Schatzjägerreihe zu einem absoluten Geheimtipp für Fans von James Rollins, Andy McDermott oder Clive Cussler. 

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Die Gruft des Poseidon

Joe Hawke Abenteuer – Band 1

Rob Jones

This Translation is published by arrangement with Rob Jones.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE VAULT OF POSEIDON Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-568-2

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Die Gruft des Poseidon
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Anmerkungen des Autors

Prolog

Ionisches Meer, Griechenland, 1943

Gottardo Ricci hastete durch den zerfallenden Schacht der größten Marmor-Mine der Insel. Die helle Mittelmeersonne strömte zum Eingang herein und blendete die Augen des betagten italienischen Archäologen, während er sich durch schmutzigen Kies und Sand vorwärts kämpfte. Er vergewisserte sich, dass der Rucksack noch über seiner Schulter hing, und unternahm eine letzte Anstrengung, dem Schrecken hinter sich zu entkommen.

Dann wurde seine schlimmste Angst wahr – durch die Höhle donnerte ein zweiter Schuss, der ihn beinahe taub werden ließ und ihm einen quälenden, stechenden Schmerz durchs Bein jagte. Er war ein zweites Mal angeschossen worden und jetzt waren beide Beine verwundet und bluteten stark.

Er hörte wieder einmal die Stimme des Mannes.

»Sie haben etwas, das dem Reich gehört, Dr. Ricci.«

Die Stimme war kalt, emotionslos.

Ricci drehte sich unter Qualen um und sah, wie sich der Mann von hinten näherte. Er hatte gedacht, sich bereits weiter von ihm entfernt zu haben, doch er hatte sich getäuscht.

Jetzt, nur wenige Meter entfernt, ging der SS-Sturmbannführer der Vierten Panzergrenadier-Division Otto Zaugg seelenruhig durch den spärlich beleuchteten Minenschacht. Er war groß und von kräftiger Statur, mit blondem Haar und aschfahler Haut.

Der Nazi-Offizier richtete seine Pistole auf Riccis Kopf und lächelte grimmig. »Geben Sie mir das Dokument auf der Stelle, dann lasse ich Sie vielleicht am Leben. Ich habe Sie viele Monate lang beobachtet, Herr Doktor, und ich weiß, dass Sie eine wunderschöne Frau und zwei Söhne haben. Sie wollen nicht sterben und dennoch haben Sie mittlerweile zwei verwundete Beine. Sie werden nie wieder laufen können, aber wenn die Blutung gestoppt wird, weiß man nie … vielleicht werden Sie überleben und Ihre Kinder wiedersehen.«

»Sie sind nur ein Nazi«, schrie Ricci, dem der Schweiß über die Stirn in die Augen rann. »Sie kennen nichts als Morden!«

Der Archäologe warf einen Blick nach vorn – das Ende des Tunnels war so nah. Er erwog, nach Hilfe zu rufen, aber der Mineneingang lag an einem abgeschiedenen Küstenstreifen. Da draußen gab es niemanden, der seine Schreie hören würde.

»Geben Sie mir, was ich haben will, Herr Doktor!«

»Niemals. Sie können es zu Himmler bringen und ihm ausrichten, ich hoffe, dass es ihn umbringen wird!«

Zaugg lachte. »Wer sagt, dass ich Himmler irgendwas gebe? Vielleicht will ich es ja ganz für mich allein behalten.«

»Sie sind verrückt.«

»Und Sie sind am Verbluten. Bringen Sie mich nicht dazu, Sie wegen dieser Sache zu töten – geben Sie es mir einfach, und Sie werden überleben. Ich kann dafür sorgen, dass binnen zehn Minuten Armeesanitäter hier ankommen.«

»Sie können mir dieses Dokument wegnehmen, Zaugg, aber Sie werden nie bekommen, was hier drin ist.« Ricci tippte sich seitlich an den Kopf.

»Und das ist wirklich wert, dafür zu sterben?«, entgegnete Zaugg.

»Müssen Sie tatsächlich fragen, ob die Nazis davon abzuhalten, den gesamten Planeten auszulöschen, das Leben eines einzelnen vergänglichen Archäologen wert ist? Natürlich ist es das, Sie Narr! Sie sind ein Nazi. Sie werden immer dumm bleiben, mit oder ohne meine Entdeckung! Ohne mein Wissen wird sich die Hinweisspur in den Tiefen der Geschichte verlieren.«

»Sie trauen uns weniger zu, als wir verdient haben, Herr Ricci. Jetzt, nachdem Sie die Existenz der Ionischen Texte bewiesen haben, müssen wir nur noch die Suche nach dem größten Schatz der Geschichte einleiten.«

»Sie haben keine Ahnung, womit Sie es zu tun haben«, erwiderte Ricci, auf dessen schmalem Gesicht sich jetzt ein besorgter Blick zeigte. »Wir sprechen von der größten Entdeckung der Menschheitsgeschichte. Älter als die Zeit selbst.«

»Wir sprechen von Gold«, antwortete Otto Zaugg lachend. »Wir sprechen von Reichtum und Macht.«

Ricci versuchte zu lachen, doch der Schmerz hielt ihn davon ab. »Gold? Wollen Sie mir erzählen, die vom Ahnenerbe haben Ihnen nichts davon gesagt? Vielleicht haben sie geglaubt, dass ein Panzeroffizier nicht in der Lage wäre, es zu verstehen. Es geht um mehr als nur um simples Gold, Major. Es geht um das größte Geheimnis der Welt, und ohne mein Wissen und meine Forschung werden Sie und Ihre Armee von dummen, rassistischen Affen die Wahrheit nie ans Licht bringen. Ihr Ahnenerbe wird niemals finden, was es so verzweifelt sucht.«

»Sie lügen!«, schrie Zaugg. Er zielte erneut mit der Waffe auf Riccis Körper. Seine Hand zitterte vor aufflammender Wut. »Sie spielen doch nur auf Zeit. Versuchen, Ihre eigene elende Haut zu retten.«

Diesmal schaffte es Ricci, trotz des stechenden Schmerzes in seinen verletzten Beinen zu lachen, doch wieder einmal ernüchterte ihn der Anblick des schwarzen Bluts, das aus seinen Oberschenkeln in den Schmutz der Mine floss. Es bildete langsam grausige Lachen um ihn herum.

»Ich bin zu alt für Spielchen, Major.«

»In all den Monaten, in denen wir Sie überwacht haben, Dr. Ricci, habe ich Sie nie für einen Narren gehalten, aber jetzt beginne ich langsam, mich zu wundern.«

»Sie sind der Narr, wenn Sie glauben, diese Macht kontrollieren zu können.«

Die Pistole donnerte in der Stille des Schachts und Ricci spürte, wie sich die dritte Kugel in seinen Bauch fraß. Er krümmte sich vor Qualen. Der Schmerz schwoll an wie ein brennender Strom aus Feuer, der ihn umhüllte, bis sein Leben aus nichts anderem mehr bestand.

Er schloss kurz die Augen und bemühte sich, seine Schreie zu unterdrücken. Er sah seine Kinder am Strand spielen, seine Frau eine Weinflasche öffnen. Erinnerungen längst vergangener Zeiten blitzten vor seinen Augen auf.

Dann überschlug sich der Verlauf der grausigen Ereignisse der Gegenwart in seinem Verstand. Nach all den Jahren der Forschung war nun alles umsonst. All die Jahre, in denen er dem Beweis nachgejagt hatte, den er so verzweifelt hatte haben wollen, und nachdem er ihn tief unten in den Minen vergraben gefunden hatte, genau wie er es immer gewusst hatte. Doch jetzt würde es auf diese Weise enden – mit seinem Tod und den Nazis im Besitz solch ungezügelter Macht.

Doch am schlimmsten war das Wissen, dass er die Schuld an allem trug. Es waren seine jahrelange gewissenhafte Forschung, das Durchkämmen der Artefakte, das Brüten über den Texten, der Glaube an die Legenden, während alle ringsum ihn verspotteten und verhöhnten, die zu dieser Entdeckung geführt hatten. Und es war seine eigene Torheit, die es den Nazis erlaubt hatte, ihm zu folgen und die Entdeckung zu stehlen.

Allein der Gedanke daran schmerzte ihn.

Der SS-Offizier ging zu Ricci und stellte einen Stiefel auf die Schulter des sterbenden Mannes, um seinen Körper festzuhalten, während er ihm den Rucksack entriss. Er zerrte daran, zog mit solcher Kraft, dass er den Riemen durchtrennte.

Ricci sah wieder zu dem Nazi auf, vielleicht zum letzten Mal. Draußen hörte er jetzt den vertrauten Ruf des Turmfalken, den er noch an diesem Morgen dabei beobachtet hatte, wie er in der Thermik über den Klippen durch den Sonnenaufgang glitt. Er dachte daran, was passieren würde, wenn die Nazis fänden, wonach sie suchten – was zu finden sie Major Zaugg benutzt hatten.

Zaugg öffnete den Rucksack und betrachtete das Stück antiken, zerfallenden Textes darin. Sein Lächeln schwand. Ricci beobachtete, wie das Gesicht des Nazis augenblicklich einen anderen Ausdruck annahm.

Der Archäologe sprach mit trockenen, aufgesprungenen Lippen. »Jetzt dämmert Ihnen die Wahrheit! Das Ahnenerbe hat Sie belogen. Was Sie sehen, ist der Beweis für etwas, das tausendmal mächtiger ist als bloßes Gold. Was Sie sehen, würde Ihnen die ultimative Macht über die Menschheit bescheren – aber nur ich kann es finden!«

Zaugg sah auf Ricci hinunter und ein gieriges Lächeln überzog sein hageres, unrasiertes Gesicht.

»Das glaube ich nicht, Dr. Ricci. Sie überschätzen sich selbst, und Sie unterschätzen das Reich. Wenn das hier ist, was Sie behaupten, dann sind Sie jetzt überflüssig. Wozu das hier auch führt; wir brauchen Sie nicht.«

Ricci merkte, dass sein Blutdruck sank. Plötzlich war ihm kalt und klamm in der heißen, trockenen Luft der Mine. Benommenheit überkam ihn.

Jetzt richtete Zaugg plötzlich seine Mauser direkt auf den Kopf des betagten Archäologen und zeigte ein letztes, selbstverliebtes Grinsen.

»Bevor Sie sterben«, sagte Zaugg kalt, »will ich, dass Sie wissen, dass ich das hier finden werde, und dann wird das Reich die Welt regieren – alles dank Ihrer brillanten Entdeckung. Doch jetzt muss ich Ihnen Lebewohl sagen.«

Er drückte den Abzug.

Ein dröhnender Schuss.

Riccis Welt wurde schwarz.

Kapitel 1

London, Gegenwart

Joe Hawke sprintete mit aller Kraft zur Kante des Hochhauses und sprang mit höchstmöglicher Geschwindigkeit vom Gebäude. Er segelte in die Luft und begann sich zu fragen, ob er die Kluft tatsächlich überwinden und auf dem Dach des benachbarten Hauses ein paar Meter weiter landen konnte. Unter ihm lag ein neunzig Meter tiefer steiler Abfall zu einer Betontreppe, aber Hawke sah nicht hinunter.

Er landete geschmeidig mithilfe des klassischen Landefalls der Fallschirmspringer, der ihm bei den Special Forces antrainiert worden war, und Sekunden später war er aufgestanden und rannte über das Dach des zweiten Gebäudes.

Es war Nacht und die Luft war kalt. Unten in den Straßen hörte er die Geräusche des Verkehrs und bemerkte das schwache Leuchten der Ampeln. Über seinem Kopf hörte er das Brummen einer Boeing 747, irgendwo über den dichten Wolken Londons, während sie auf den Flughafen Heathrow zu dröhnte.

Hawke hatte mit Parkour angefangen, um sich fit zu halten, nachdem er das Militär verlassen hatte, und das funktionierte gut, außer dass er auf die harte Tour gelernt hatte, dem nachts nachzugehen, wenn man ihn nicht sehen konnte. Aus irgendeinem Grund mochten die Behörden Menschen nicht besonders, die von öffentlichen Gebäuden sprangen und Handstand auf den Kanten von Hochhäusern machten, aber das hielt ihn nicht vom Freerunning ab.

Er hätte es vorgezogen, sich beim Laufen an einem Strand fit zu halten, aber für den Moment lebte er in der Stadt und das war seine einzige Option. Er hatte nicht die Absicht, auf einem Laufband im Fitnessstudio zu rennen wie ein Hamster im Rad.

Während er auf eine niedrige Kieselrauputzmauer zu spurtete, die an der Seite des zweiten Gebäudes verlief, streckte sich Hawke, packte die Kante mit den Händen und führte einen zweihändigen Vault aus, schwang seine Beine über die Mauer und landete wie eine Katze auf der anderen Seite.

Jetzt befand er sich auf einem schmalen Pfad, der zum Aufzugsschacht am Ende des Parkhauses führte. Er machte einen schnellen Speed-Vault über eine niedrige Mauer direkt vor den Aufzügen, wobei er die Hüfte gerade hielt und darüber flog, als wäre sie gar nicht da. Er landete ohne Verlust von Kraft oder Geschwindigkeit in der überdachten Aufzugseinhausung und sprintete zu den Türen.

Hawke trat hinein und sah auf seine Uhr. Fast Mitternacht. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und er befand sich auf der Straßenebene. Er rannte durch eine schmutzige Unterführung, in der sein Atem im flackernden Gelb einer defekten Neonröhre sichtbar wurde, und tauchte auf einem Vorhof am Fuß des Hochhauses auf.

Er sah ein paar Teenager, die sich in der Dunkelheit eines weiter weg gelegenen Treppenhauses drängten. Vermutlich ein Drogendeal, dachte er, oder vielleicht Waffen. Sie betrachteten ihn kurz und wägten die Bedrohung ab. Nicht sein Problem, zu ihrem Glück. Nicht heute Nacht. Nachdem er vom Hof gelaufen war, befand er sich auf einer Hauptverkehrsstraße. Ein Nachtbus rollte einsam in einen aufziehenden Nebel, während Hawke nach Hause joggte. Mit einem einfachen Wall-Run beförderte er sich über das obere Ende einer Drei-Meter-Mauer und verkürzte seinen Weg um zehn Minuten.

Jetzt fast zu Hause, joggte er durch die Dunkelheit weiter. Ein leichter Nieselregen fegte durch die Straßen und sein Verstand wandte sich den Gedanken an eine heiße Dusche und einem kalten Bier zu.

Morgen fing sein neues Leben an.

***

Die Türen des British Museum flogen auf.

»Da kommen sie.« Hawke stand in der standardmäßigen Security-Haltung – die Hände vor dem Körper verschränkt, eine Sonnenbrille im Gesicht und einen geheimen Ohrhörer im rechten Ohr verborgen – an der Rückwand. Sein erster Arbeitstag im zivilen Leben war endlich gekommen. Zeit, sich niederzulassen, dachte er.

»Behalten Sie einfach jeden im Blick«, sagte er. Er sprach mit Farrell, einem seiner Mitarbeiter, den er erst vor zwei Tagen als Teil seines wachsenden neuen Unternehmens eingestellt hatte.

Kurz darauf füllte sich der Raum mit den Besten der Londoner High Society, oder zumindest hielten sie sich für die Besten. Genau wie ein Diener war auch eine Sicherheitskraft dazu da, gesehen, aber nicht gehört zu werden, und Hawke verstand besser als jeder andere, was das bedeutete. So viele Jahre beim Royal Marine Commando im notorisch strapaziösen Mountain-and-Arctic-Warfare-Kader und anschließend beim elitären Special Boat Service gedient zu haben, bedeutete, dass er wusste, wie man Befehle entgegennahm und mit dem Hintergrund verschmolz.

Jetzt sah er dabei zu, wie sich der Raum langsam mit den Ehrengästen füllte. Er war bei einer Sonderausstellung und sicherte das Museum wegen eines Besuchs des enigmatischen Sir Richard Eden, MP, ab, der in seiner Funktion als Vorsitzender eines neuen Fundraising-Komitees für den Council of British Archaeology hier war.

Die Archäologie war Edens erste und einzige Liebe, aber seinen Lebensunterhalt verdiente er als Parlamentarier, der sich insbesondere mit nationaler Sicherheit befasste. Es gab Gerüchte, dass er bald eine Ankündigung bezüglich einer Entdeckung auf einer griechischen Insel machen würde, die die Welt verändern könnte. Infolgedessen stand das öffentliche Interesse an Eden auf Höchstkurs und daher hatte das Museum zusätzliche Sicherheit in Form von Joe Hawke eingesetzt.

Hawke hatte noch nicht entschieden, inwiefern dieses neue zivile Leben als Sicherheitskraft an seine frühere Existenz heranreichte, aber er machte das Beste daraus. Für ehemalige Special-Forces-Soldaten war das keine schlechte Arbeit – besonders nicht, wenn man, wie Hawke, die Firma besaß. Viele der Jungs schoben am Ende Türdienst vor Pubs. Verglichen mit ihnen hatte Joe Hawke es leicht, auch wenn es bedeutete, dass er in seiner alten Heimatstadt London bleiben und seine Träume vom Abhauen auf Eis legen musste.

»Sie sind alle heute hier, Boss!«, sagte Farrells Stimme in Hawkes Ohrhörer.

Hawke sah zu, wie die prominenten Gäste langsam im vornehmen Ausstellungsraum des Museums eintrudelten. Diese Welt war völlig anders als alles, was er kannte. Seine jungen Jahre waren hart gewesen und das Militär härter. Hawke wusste nicht viel über Champagner-Cocktails und antike Artefakte, aber er war bereit, zu lernen.

Im Innersten war er ein Soldat, der seine Arbeit geliebt hatte. Nachdem er den SBS verlassen hatte, war ihm alles wie eine Enttäuschung erschienen, außer wenn seine Schwester seinen Freundinnen erzählte, dass sie sich mit einer Kreuzung aus James Bond und Indiana Jones trafen. Hawke zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie das sagte, aber es tat keinem weh.

»Ist das Prinzessin Eugenie?«, fragte Farrell.

»Lassen Sie das, Farrell«, entgegnete Hawke. »Konzentrieren Sie sich auf den Job.«

»Ja, Boss.«

Hawke kontrollierte den großen Raum auf Anomalien. Sein Job bestand darin, das Museum und dessen Gäste zu beschützen. Sir Richard Eden hatte seinen eigenen Personenschutz dabei, angeführt von einer Frau, der Hawke nicht richtig vorgestellt worden war und die jetzt einige Meter hinter dem Parlamentarier stand und stumm den Raum beobachtete.

Sie war erschreckend attraktiv und er schätzte sie auf Mitte zwanzig. Aus irgendeinem Grund überraschte es ihn, dass sie so jung aussah, aber für Hawke sah neuerdings jeder irgendwie jung aus.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menschenansammlung. Völlig anders als in den schlammigen Gräben seines Lebens im Kommando, war er jetzt von Herzögen, Herzoginnen und einer Prinzessin umgeben, sowie von verschiedenen Vorsitzenden von Wohlfahrtsorganisationen, dem König von Tonga, den Beckhams und Sir Alan Sugar, der mit Sir Richards ältester Tochter Harriet lachte. Hawke beobachtete die Hochmächtigen, während die sich unter die Leute mischten, Insider-Witze teilten, Investment-Tipps tauschten und an Kristallsektgläsern nippten, die im Kronleuchterlicht funkelten.

Er verdrehte die gut hinter seiner Sonnenbrille versteckten Augen. Und andere Menschen müssen doch tatsächlich für ihren Lebensunterhalt arbeiten … Er dachte an seine Kumpel, die noch immer in den Kommandos und beim SBS im aktiven Dienst standen. Das war eine andere Welt, doch jetzt musste er sich an diese hier anpassen. Vielleicht wäre seine Firma eines Tages groß genug, um sie zu Geld zu machen, und dann könnte er sich an irgendeinem exotischen Ort zur Ruhe setzen, genau wie er es sich immer erträumt hatte, aber bis dahin blieb ihm das hier. Es gab schlimmere Schicksale.

»Sehen Sie sich die Frau da drüben an«, sagte Farrell.

»Ich hab Ihnen gesagt, dass Sie sich konzentrieren sollen, Farrell.«

»Nein, ich meine, achten Sie darauf, was sie tut. Sie sieht aus, als wäre sie high oder so.«

»Kann sie noch nicht sehen – wo ist sie?« Hawkes Blick durchkämmte den Raum. Er bemerkte, dass Edens Leibwächterin die Frau ebenfalls entdeckt hatte. Sie trat vor und flüsterte etwas in Sir Richards Ohr. Er drehte sich um und sah die Frau an.

Dann sagte Farrell: »Ich hab sie, Boss. Ich glaube, Victoria Beckham blockiert Ihre Sicht.«

»Nein, hab sie jetzt auch. Groß, blass, mit blonden Haaren.«

»Sie sehen sie von rechts, ja?«

»Korrekt.«

»Tja, ich seh ihre linke Seite, Boss. Ihre Schokoladenseite, möchte ich meinen.«

»Farrell …«

»Sie führt Selbstgespräche, Boss, und sie nähert sich Sir Richard.«

Hawke konzentrierte sich auf die Frau auf der anderen Seite des Saals. Sie war schön, aber etwas stimmte nicht mit ihr – sie murmelte vor sich hin. Der Raum war jetzt voller Würdenträger und Menschen, die ihnen Drinks servierten. Hawke sah zu, wie sich die Frau durch die Menge schlängelte und immer wieder fast hinfiel. Wer immer sie war, sie hatte hier nichts zu suchen. Er trat vor, um sie aufzugreifen.

Plötzlich veränderte sich alles.

Hawke sah die Angst im Gesicht der Frau, zwei Sekunden, bevor er das Blut an ihren Handgelenken entdeckte. Sir Richards Leibwächterin trat vor, um ihren Arbeitgeber zu schützen.

»Nein!«, sagte Sir Richard. »Ich kenne diese Frau. Lasst sie durch.«

Die Frau war eindeutig desorientiert und taumelte näher zu Sir Richard, bevor sie auf die Knie fiel. Sie kroch auf ihn zu, von etwas Ungesehenem über ihrer Schulter in Angst und Schrecken versetzt. Sie sah Sir Richard mit verwirrtem, wahnsinnigem Blick ins Gesicht. Hawke wusste sofort, dass sie unter Drogen gesetzt worden war – er erkannte die Symptome. Die Menge drehte sich, um herauszufinden, was vor sich ging, und verstummte.

»Richard, bitte! Helfen Sie mir!« Ihre Worte waren undeutlich.

»Woher kennen Sie diese Frau?«, fragte Hawke, während er den Raum auf weitere Bedrohungen überprüfte.

Eden sagte: »Sie ist …«

Dann erklang der erste Schuss und alle sprangen in Deckung. Die Kugel des Attentäters pflügte sich durch die Schulter der Frau und riss sie brutal zu Boden. Hawke suchte nach einer Spur des Schützen auf der Galerie, entdeckte aber niemanden. Edens Leibwächterin verwandelte sich in einen menschlichen Schild, um den Spitzenpolitiker abzuschirmen.

Trotz ihrer schweren Wunde zog sich die Frau wieder auf die Knie und drehte sich Sir Richard zu, der die Szene jetzt mit unbändigem Unglauben anstarrte. Die Menge verfiel in Chaos und begann sich zu zerstreuen.

»Ich habe die Übers… die Übersetzung fertig, Sir Richard.« Sie hustete Blut und rang nach Luft. »Wer Nach Seiner Macht Sucht, Wird Sie In Seinem Königreich Verborgen Finden.« Mehr Husten.

Eden hockte sich hin und versuchte der Frau zu helfen. »Lucy, was ist passiert? Wer hat Ihnen das angetan?«

»Keine Zeit … er hat sie in die Amphoren getan! All die Jahre war es direkt vor unseren Augen … Poseidon und die Nereiden, Richard – sie sind die Hüter der Legende …«

»Jemand muss einen Krankenwagen rufen!«, rief Eden, dessen Hände vom Adrenalinschub zitterten.

»Sie müssen sie … aufhalten, Richard. Sie haben es aus mir herausgeprügelt und gehen jetzt nach New York. Sie müssen sie aufhalten, bevor …«

Der letzte Schuss war tödlich, jagte ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss direkt durch das Herz der Frau und spritzte einen Blutstrahl über Edens Gesicht und Körper. Sie brach zu einem leblosen Bündel auf dem polierten Parkettboden des Ausstellungssaals zusammen.

Wieder Schüsse von der Galerie, und diesmal sah Hawke den Schützen. Edens persönliche Sicherheitskraft und Farrell entdeckten ihn zur selben Zeit, aber das war eine Sekunde zu spät für Farrell, der mit dem nächsten Schuss getötet wurde.

Hawke blieb keine Zeit, über den Verlust nachzudenken. Jegliche Ungewissheit, ob die Frau das einzige Ziel war, wurde ausgeräumt, als der Schütze eine weitere Reihe Schüsse auf Sir Richard, seine Leibwächterin und schließlich Hawke selbst abfeuerte. Es herrschte Chaos.

Ein entsetzter Sir Richard zeigte auf den Attentäter, der jetzt auf dem Balkon oberhalb der Treppe zu sehen war, und rief seiner Leibwächterin zu, ihm nachzusetzen.

Und das tat sie.

Und Hawke auch.

Kapitel 2

Hawke und die Leibwächterin sprinteten die Stufen des Südeingangs zum Museum hinunter und sahen den Scharfschützen auf einen schwarzen BMW X5 zu rennen, der auf dem Bürgersteig jenseits der schmiedeeisernen Tore vor dem Eingang zum Museum geparkt stand.

Der Fahrer wartete mit offener Hintertür und einem auf Hochtouren laufenden Motor auf den Schützen. Der Mann sprang auf den Rücksitz, und mit dem Kreischen von verbranntem Gummi raste der X5 die Great Russel Street entlang.

Bis sie die Tore erreicht hatten, war der X5 schon mehrere hundert Meter weit weg und Hawke blieb keine Zeit zum Überlegen. Ein paar Meter rechts von ihm stand ein Rundfahrtbus im Leerlauf in einer Parkbucht und wartete darauf, eine Touristengruppe einzusammeln, die aus dem Museum geschlendert kam.

Manche von ihnen saßen schon wieder auf dem offenen Oberdeck des Busses, aßen Eis und machten von ihrer erhöhten Position aus Bilder von der beeindruckenden Fassade des Museums. Hawke wusste, was er zu tun hatte.

»Aussteigen«, sagte er zum Fahrer.

»Wer verdammt sind Sie?«

Hawke antwortete nicht. Er packte den Mann im Genick, zog ihn vom Fahrersitz und stieß ihn vom Bus weg. »Keine Sorge«, rief Hawke. »In einer Minute kommt ein anderer.«

»Sie sind ja ein echter Charmeur«, sagte die Leibwächterin. Irisch. Er ordnete ihren Akzent dem Süden zu – vielleicht Dublin.

»Nett, Sie kennenzulernen«, antwortete er und bot ihr seine Hand an. »Joe Hawke. Ich hatte bis vor ungefähr drei Minuten einen Vertrag als Security für das British Museum.«

»Ich bin Lea Donovan«, sagte sie kühl, verweigerte ihm den Händedruck und nutzte stattdessen den Moment, um beiläufig eine Glock 17 aus einer Innentasche zu ziehen.

Hawke warf einen Blick auf die Pistole. »Sie sind bewaffnet! Das ist nicht gerade legal.«

»Klappe. Ich bin die Leibwächterin von Sir Richard Eden und er hat sie mir gegeben.«

»Na, wenn das so ist.« Hawke zuckte mit den Schultern. »Wissen Sie, wie die funktioniert? Das Ende mit dem kleinen Loch drin ist der gefährliche Teil.«

Er beschrieb mit dem Bus einen heftigen Schlenker um eine Reihe geparkter Autos herum und brachte ihn mit kreischenden Bremsen hinter einem schwarzen Taxi zum Stehen.

»Und wenn Sie wüssten, wie man richtig fährt, könnte ich wahrscheinlich ein paar Schuss abfeuern und die Hinterreifen dieses Mistkerls zerstören, aber wie es aussieht, müssen wir warten, bis Sie anhalten, um Kaffee zu holen.«

Hawke ignorierte das und trat fest aufs Gaspedal, während er hinter dem Taxi ausscherte. Der Bus ruckte zuerst schwerfällig vorwärts, nahm dann aber Geschwindigkeit auf, während Hawke die Gänge hochschaltete. »Finden wir raus, was dieses Schätzchen drauf hat.«

Weiter vorn war der X5 bereits in einem anderen Londoner Stau gefangen und versuchte, sich einen Weg hinauszubahnen, indem er auf den Gehweg fuhr. Ein Höllenlärm wütender Autohupen erhob sich zur Antwort, und ebenso jede Menge geschüttelte Fäuste von Fußgängern. Einige Menschen traten dem Auto des Attentäters sogar gegen die Seite. Sie zerstreuten sich rasch, als das Fenster heruntergelassen und mehrere Warnschüsse in die Luft gefeuert wurden.

»Diese Typen sind wahnsinnig!«, sagte Hawke zu sich selbst, während sie sich dem Stau näherten.

Jetzt schlängelte sich der X5 durch den Verkehr und bog nach rechts in eine andere Straße ein. Hawke trat das Gaspedal durch und lenkte den Bus zur Straßenmitte, wobei er heftig auf die dröhnende Hupe einschlug, um die Autos dazu zu bringen, an die Straßenränder auszuweichen.

Sie kamen langsam vorwärts, aber glücklicherweise galt das Gleiche für den X5, der wieder einmal in einem noch dichteren Verkehrsinfarkt hinter einer Kurve festsaß. Nicht ungewöhnlich für diesen Teil der Stadt, dachte Hawke.

Er lenkte den Bus so schnell in die nächste Straße, dass er sich beinahe auf zwei Räder hob. Mit den in der haarsträubend engen Kurve kreischenden Reifen konnte es nur der Lärm der entsetzten Passagiere aufnehmen, die auf dem Oberdeck um ihr Leben schrien.

»Festhalten!«, rief Hawke, als er aufs Gaspedal trat und auf die nächste Verkehrsblockade zuraste.

Sekunden später erfüllte das Geräusch von Sirenen die Luft irgendwo hinter ihm – die Polizei. Die unausweichliche Konsequenz, überlegte Hawke, wenn man einen Bus voller ausländischer Touristen stahl und damit wie ein Irrer dicht auf den Fersen eines Attentäters durch die Gegend raste. Auf jeden Fall, dachte er, würde das der Polizei bestimmt den Morgen versüßen, wenn auch sonst nichts.

Jetzt war der X5 durch den Stau und raste gegen die Verkehrsrichtung vor dem Archiv des Museums die Bloomsbury Square Gardens entlang. Die Art und Weise, wie er um die nächste Kurve bog und sich geschickt zwischen einigen Routemaster-Bussen einfädelte, ließ Hawke begreifen, dass das keine hastige Flucht, sondern vielmehr ein geplanter Fluchtweg war.

Während er zusah, wie er ihm entwischte, reflektierte grelles Sonnenlicht von den Rückfenstern der Autos vor ihm und zwang ihn, ein paar Sekunden lang die Augen zusammenzukneifen, wodurch er den X5 fast aus dem Blick verlor.

Dieser überfuhr die nächste Ampel und bog rechts ab. Rauch bauschte unter den hinteren Radläufen hervor, als der belastbare deutsche SUV vom Bus wegraste.

Kurz darauf hatte eine weitere Verkehrswelle dafür gesorgt, dass Hawke ihn einholte, als sie Kingsway erreichten. Mittlerweile befanden sich mindestens drei Streifenwagen hinter dem Bus und irgendwo über ihnen hörte Hawke etwas, das er für einen Polizeihubschrauber hielt.

Lea griff nach ihrem Handy und machte einen Anruf.

»Richard, ich bin es, Lea. Kleines Problem – es scheint, die Polizei hat ein wachsendes Interesse an unseren Aktivitäten.«

Hawke fädelte den Bus ordentlich zwischen einer Vespa und einem Eiswagen ein.

Eine Pause entstand, während der Lea Eden zuhörte, bevor sie ihm antwortete. »Mindestens drei Autos und ein Helikopter. Ich wäre dir dankbar, wenn du sie wissen lassen könntest, dass sie die Kerle vor uns jagen müssen und nicht uns.«

Sie näherten sich jetzt dem Ende von Kingsway, wo die Straße ein Hufeisen formte, dessen Seiten nach Osten und Westen führten, bevor beide auf die Strand stießen. Dem X5 gingen die Optionen aus.

Lea steckte das Handy in ihre Tasche und drehte sich Hawke zu.

»Er sagt, er wird einen Anruf machen.«

Der X5 fuhr auf den Gehsteig, bevor er nach links schwenkte und am Australischen Hochkommissariat vorbeiheizte. Hawke folgte ihm, so gut er mit dem Bus konnte, nur um zu sehen, wie die Männer den X5 in Temple Place stehen ließen und über das Stahlgeländer nahe der Underground-Station sprangen.

Hawke stellte den Bus ab und rannte ihnen nach, wobei er sein Parkour-Training von der Nacht zuvor wieder durchlebte. Hinter ihm erfüllte der Klang von näherrückenden Sirenen die Luft, auch der Helikopter kreiste jetzt vor ihm und schwebte über der Themse.

»Ihr Arschlöcher entkommt mir nicht!«, rief er.

Lea rannte hinter ihm her und hielt beinahe Schritt. Beeindruckend, dachte er.

Hawke sah die beiden Männer in ein rotes, am Nordufer der Themse vertäutes Motorboot springen. Eine Sekunde später raste es über den Fluss davon.

Er rannte zu einem Boot, das hinter dem, welches die Männer gerade bestiegen hatten, vertäut lag. Drinnen pfiff ein Mann vor sich hin und polierte die Frontscheibe. Er trug eine kecke Segelmütze und Segelturnschuhe.

Hawke trat neben ihn. »Raus.«

Lea verdrehte die Augen. »Oh Gott, nicht schon wieder.«

»Wie bitte?«, fragte der Mann.

»Ich mein’s ernst. Entweder Sie verlassen das Boot oder Sie gehen baden.« Hawke zeigte auf das kalte, braune Wasser, welches nicht mal der helle Sonnenschein ein wenig einladend erscheinen lassen konnte.

»Na hören Sie mal, ich bin Mitglied im Rotary Club!«

Hawke hob die Faust und der Mann überlegte es sich anders und trat rückwärts vom Boot.

»Guter Mann«, sagte Hawke. »Wir bringen es unversehrt zurück. Wahrscheinlich.«

Hawke ließ den Motor aufheulen und das Boot schoss vorwärts in den Fluss hinein, schneller, als er erwartet hatte. Hinten am Flussufer hatte der entrüstete Besitzer sein Handy gezückt.

»Was macht er da?«, fragte Hawke Lea, während er das Boot in den geschäftigen Fluss steuerte.

»Sieht aus, als riefe er blindwütig jeden Notdienst an, der ihm einfällt.«

Hawke lachte. »Und vielleicht sogar den Rotary Club.«

Sie blickten nach vorn und sahen, dass das Motorboot mit einem Affenzahn davonkam.

»Geben Sie Gas!«, rief Lea, während sie auf das andere Boot zielte. Sie feuerte zwei Schüsse ab und deren Schall erzeugte ein hässliches Knattern beidseits der Themse am ansonsten ganz normalen Morgen. Beide Schüsse lagen leicht über dem Ziel.

»Ausgezeichnete Arbeit, Lea, aber wenn ich Sie wäre, würde ich mein Geld von den Pfadfinderinnen zurückverlangen.«

»Klappe, Mr. Hawke, und versuchen Sie, dieses verdammte Ding ruhig zu halten, während ich schieße.«

»Das ist ein Motorboot. Das kann kein gerade. Nächstes Mal, wenn wir jemanden verfolgen, achte ich darauf, uns ein Tretboot zu klauen.«

»Oh, Sie sind so was von nicht so witzig, wie Sie glauben.«

Hawke blickte nach vorn und sah, wie sich das Motorboot mit Leichtigkeit zwischen verschiedenen Touristenbooten und einigen größeren Schiffen hindurchschlängelte. Sie kamen unter der London Bridge vorbei und schossen an der HMS Belfast entlang, kaltes, braunes Kielwasser an deren Seiten hoch spritzend.

»Können Sie uns nicht näher ranbringen?«, fragte Lea genervt.

Eine kurze Maschinengewehrsalve knatterte vom Heck des roten Motorboots und ihre Frontscheibe zeigte augenblicklich ein Dutzend dazu passende spinnennetzartige Risse. »Scheiße!«, rief Hawke und duckte sich so tief er konnte, ohne dabei den Fluss aus den Augen zu verlieren.

»Unfair!« Lea schüttelte den Kopf. »Die haben Uzis.«

Jetzt passierten sie die Tower Bridge und Hawke sah etwas, das ihm das Herz in die Hose rutschen ließ. »Schauen Sie!«

Einer der Männer schulterte eine Panzerfaust.

Lea sah ihn an. »Das ist überhaupt nicht gut.«

Sekunden später schoss der Kerl. Hawke und Lea duckten sich instinktiv und Hawke riss das Boot hart nach links. Er beobachtete, wie das Geschoss über ihren Köpfen in die Höhe stieg.

»Sie haben es auf den Polizeihubschrauber abgesehen!«, rief er.

Das Geschoss traf den Helikopter genau in der Mitte und er explodierte in einem gigantischen Feuerball, übergoss die Themse mit verbogenen Trümmerteilen und brennendem Kerosin. Was von der zerstörten Kabine noch übrig war, stürzte wie ein Stein ins trübe Wasser.

»Lea, bitte erschießen Sie den Kerl mit der Panzerfaust, und zwar schnell.«

Der Mann lud nach und zielte jetzt auf ihr Boot.

Lea hob ihre Glock und zielte sorgfältig.

Peng. Eine Rauchwolke drang aus der Kammer.

Hawke beobachtete, wie der Mann rückwärts fiel, die Panzerfaust noch in Händen, und tot in die Themse stürzte.

»Gar nicht so schlecht«, sagte er lächelnd. »Und jetzt holen wir uns den anderen Kerl!«

Ihr Boot durchpflügte das eisige Wasser. Das kehlige Brüllen des Motors hallte von den Gebäuden zu beiden Seiten des Flusses wider. Menschen spähten über die Mauern und Brücken, um nachzusehen, was vor sich ging.

Dem roten Schnellboot dicht auf den Fersen steuerten sie hart nach rechts, um dem Fluss zu folgen, der sich jetzt nach Süden ins Hafenviertel wand. Die glänzenden Wolkenkratzer von Canary Wharf erhoben sich links von ihnen.

»Wo zum Teufel glauben diese Schwachköpfe eigentlich, dass sie hinfahren?«, fragte Lea kopfschüttelnd.

»In dieser Stadt ist es schneller, über den Fluss zu entkommen.«

Sie rasten vorwärts und holten langsam zum Boot vor ihnen auf, das jetzt nach Norden drehte, um die Isle of Dogs herum und am O2-Center vorbei. Eine weitere Maschinengewehrsalve riss große Stücke aus dem Fiberglasbug ihres Boots und überschüttete sie mit winzigen Bruchstücken.

Hawke ließ die nächste Flussbiegung hinter sich und stieß die beiden Gashebel fest vorwärts, was das Boot fast über die Wasseroberfläche aufsteigen ließ. Dichtes, weißes Kielwasser ergoss sich noch hunderte Meter hinter ihnen.

Lea wurde ins Heck des Boots geworfen und landete in einer Pfütze aus Themsewasser, die sich dort während der letzten scharfen Kurve im Fluss gesammelt hatte. »Oh, das ist einfach widerlich.«

»Sorry! Aber wenigstens brauchen Sie heute kein Bad zu nehmen – sehen Sie es doch so.«

Lea zeigte ihm den Vogel, während sie wieder aufstand und sich diesmal am vorderen Geländer festhielt.

»Welchen Rang hatten Sie?«, fragte Hawke beiläufig.

»Lieutenant. Nachrichtendienst.«

»Och nö, kein verdammter Offizier.«

»Fürchte schon. Was ist mit Ihnen?«

»Sergeant.«

»Ich denke, in diesem Fall sollten Sie mich Ma’am nennen«, sagte sie mit einem Grinsen.

»Ich glaube eher nicht. Sie sollten wissen, dass ich Offiziere nicht ausstehen kann.«

»Das ist nicht besonders nett. Nicht alle sind schlecht.«

Hawke schnaubte. »Das ist ein Haufen inkompetenter Idioten. Und ich sag Ihnen noch was, ich … oh-oh.«

»Was?«

»Das verheißt nichts Gutes«, wechselte Hawke das Thema.

»Sie verheißen nichts Gutes, Joe Hawke.«

»Im Ernst – schauen Sie.«

Hawke zeigte auf das Boot vor ihnen, das zum Nordufer davonzog. Die Männer darin kletterten heraus, und nachdem sie ihre Magazine in Hawkes Motorboot leer geschossen hatten, rannten sie durch die Royal Wharf.

»Wo wollen die hin?«, fragte Lea.

Hawke runzelte die Stirn. »Ich habe da so eine Ahnung.«

Sie hielten das Boot direkt vor der Thames Barrier an und folgten dem Weg, den die Männer eingeschlagen hatten, nur um zu sehen, wie sie den London City Airport betraten.

»Kommen Sie – vielleicht können wir sie noch erwischen.«

Drinnen sahen sie die Männer eine private Abfluglounge betreten. Durch das getönte Glas beobachteten sie, wie diese ihre Pässe vorzeigten und dann direkt zu einem kleinen blauen Eurocopter gebracht wurden.

Die Flughafensicherheit hielt Hawke und Lea auf.

»Niemand betritt den Sicherheitsbereich ohne Pass und Sicherheitscheck.«

Sie sahen hilflos dabei zu, wie sich ein Helikopter Augenblicke später in die Luft erhob und ostwärts übers Wasser steuerte.

Kapitel 3

Sitten, Schweiz

Der Wintersturm erreichte die Schweiz früh in diesem Jahr und brauste unten durchs Tal. Hugo Zaugg ging nachdenklich auf dem dicken weißen Teppich seines Arbeitszimmers auf und ab. Sein Verstand hatte sich mit nichts anderem beschäftigt, seitdem man ihn auf diese neuste Entdeckung aufmerksam gemacht hatte. Es war erstaunlich, was das Tracken von Schlüsselwörtern in gewissen E-Mail-Accounts zutage bringen konnte.

Was ihn am meisten beunruhigte, war die Frage, wie man so etwas vor der Welt geheim hielt. Sein Vater hatte es vierzig Jahre lang geschafft und er war gewissenhaft in seine Fußstapfen getreten. Das war nun mal seine Aufgabe.

Sein Vater hatte sich ihr während des Krieges in Griechenland angenommen, und dank Major Otto Zauggs archäologischer Arbeit am Ionischen Meer hatte sein Sohn Hugo gewusst, dass die Legende wahr war. Jetzt sah es so aus, als stünde er kurz davor, das zu beenden, was sein Vater begonnen hatte, und das alles dank Richard Edens harter Arbeit.

Tief unten im Tal gingen die Lichter der Stadt an, eins nach dem anderen, während die Dunkelheit hereinbrach und der Sturm an Kraft gewann. Da Weihnachten kurz bevorstand, waren die Straßen mit farbigen Lichterketten und Wimpeln geschmückt.

In Sitten zu leben war teuer – einer der teuersten Orte in der Schweiz –, doch der Reiz der Stadt war für den älteren Millionär minimal, während er seinem Lebenswerk nachging. Näher als bei den Gelegenheiten, wenn sein privater Hubschrauber zum Landeplatz seiner Villa darüber flog, war er den Straßen da unten nie gekommen.

Er schwenkte sein Teleskop und beobachtete, wie ein junges Paar gegen den Wind kämpfte, um von einem Auto, das an der verschneiten Straße geparkt stand, zu seinem Apartment zu gelangen. Zaugg studierte den Fortschritt der beiden wie er eine über einen Gartenweg marschierende Ameisenreihe betrachten mochte. Manchmal langweilte ihn das Leben.

Aber nicht heute Abend.

Zaugg drehte sich zu seinem Team um. Er war ein kleiner Mann in einem teuren grauen Anzug mit marineblauer Krawatte und einem getupften Seideneinstecktuch, das extravagant aus seiner Brusttasche ragte. Er hatte einen glattrasierten Schädel und einen graumelierten Spitzbart, der zu Perfektion gestutzt war. Er lächelte sie kalt an.

Sein Team aus persönlichen Assistenten und Geschäftspartnern betrachtete ihn lange stumm, bevor einer von ihnen – voller Angst vor Zauggs Antwort – das Wort ergriff.

»Es war ein Fehler, die Frau davonkommen zu lassen«, sagte der Mann auf Französisch. »Wer weiß, wie viel sie Eden erzählt hat, bevor sie zum Schweigen gebracht werden konnte? Wenn das je rauskommt, wird die Welt, wie wir sie kennen, aufhören, zu existieren. Trotzdem weiß Eden vielleicht nicht, was er da hat.«

»Sie glauben, Sir Richard Eden begreift nicht, was er fast in Händen hielt?«, entgegnete Zaugg, der wieder aus dem Fenster sah. Auch er sprach Französisch. »Eden hat zwei Jahre und fünf Millionen Dollar zur Finanzierung dieser Ausgrabung aufgewendet. Er weiß, was er hat.«

»Aber wir besitzen die einzige Übersetzung«, sagte ein anderer Mann aufgeregt auf Deutsch. Das war Dietmar Grobel, Zauggs rechte Hand. »Welches Wissen sie uns verschaffen wird! Sie ist so kostbar.«

»In der Tat«, sagte Zaugg zufrieden, diesmal auf Deutsch. Ja, die originalen Ionischen Texte und deren Übersetzung waren kostbar, aber nicht annähernd so kostbar wie das, wozu sie ihn führen würden.

Er dachte über Professor Fleetwoods vollständige Übersetzung im Zusammenhang mit den Dokumenten nach, die ihm sein Vater gegeben hatte. Sie flüsterten ihm aus tiefster Vergangenheit zu: Wer Nach Seiner Macht Sucht, Wird Sie In Seinem Königreich Verborgen Finden. Er lächelte und ließ sich die Worte seinen Geist durchwandern: Nur Dann Wird Göttliche Erleuchtung Gewährt …

Zaugg schloss die Augen. Poseidon und Amphitrite würden ihn zu ihrer ultimativen Macht führen, und Sir Richard und seine bunte Armee von Niemanden konnten ihn nicht aufhalten.

»Ihre Macht wird mir gehören«, sagte er. »Es kommt lediglich darauf an, die fragliche Vase zu finden, dann werden wir den nächsten Schritt unserer langen Suche erfahren.«

»Ein ruhmreicher Moment in der Geschichte, Herr Zaugg«, sagte Grobel.

»Aber wir müssen die Eden Group unschädlich machen«, sagte eine Frau.

»Überlassen Sie das mir«, flüsterte Zaugg.

»Aber wir müssen es gleich …«

»Ich sagte, überlassen Sie das mir«, wiederholte Zaugg. Sein Tonfall ließ erkennen, dass das Thema erledigt war.

»Sind Sie sicher, dass Sie etwas von diesem Ausmaß geheim halten können?«, fragte ein dünner Mann, der am Ende seines Satzes nervös schluckte. »Bestimmt kann nicht einmal ein so mächtiger Mann wie Sie so etwas verschweigen. Was, wenn Eden es durchsickern lässt? Wenn wir alles an die Vereinten Nationen übergeben, dann …«

»Sie reden ja wirres Zeug!«, sagte die Frau.

Zaugg blieb stehen und begann das Muster des Schneefalls zu studieren, der an seiner riesigen Fensterwand vorbeisauste. Mehr Schneeflocken als Sterne im Universum, dachte er. »Die Welt ist nicht bereit dafür, und Eden auch nicht. Nur ich habe das Zeug dazu, eine solche Macht zu kontrollieren.«

»Dem stimme ich zu«, sagte Grobel. »Und wir haben zu viel investiert, als dass es publik werden darf. Wir würden alles verlieren. Eden wird der Öffentlichkeit nichts verraten. Er begreift die Tragweite.«

»Herr Grobel hat recht«, fuhr die Frau fort. »Wenn das öffentlich bekannt wird, wird alles, wonach wir streben, in ernste Gefahr geraten.«

Zaugg ging zum ledernen Drehstuhl hinter seinem wuchtigen Mahagonischreibtisch und setzte sich bedächtig hin. Er drehte sich wieder langsam zu seinem Team um.

Es war eine gute Aufstellung – die beste, die man für Geld kaufen konnte – aus Archäologen, Geologen, Historikern und Experten in Folklore und Mythologie. Sie wussten, wovon sie sprachen, und sie begriffen auch, was es wert war, ihn bei Laune zu halten. Zufällig stimmte Zaugg mit der Mehrheitsmeinung im Zimmer überein – die Welt war nicht bereit für einen solchen Fund, dessen Tragweite wahrhaftig welterschütternd wäre, falls er seinen Willen durchsetzte.

Aber beispiellos war er nicht.

Es stimmte, dass er bereits ein Teil des Puzzles besaß – das sein Vater während des Krieges in Griechenland entdeckt und anschließend unter falscher Identität in die Schweiz geschmuggelt hatte, als die Alliierten Deutschland besetzten.

Ohne diesen Beweis hätte er der Legende niemals Glauben geschenkt. Aber ohne die Ionischen Texte gab er nichts preis. Die Texte, die vor Kurzem von Sir Richard Eden, seinem großen Rivalen, gefunden worden waren, hatten ohne Zweifel bewiesen, dass die Legende wahr und die Gruft real war und lokalisiert werden konnte.

Zaugg hatte nie daran gezweifelt. Und auch andere waren darauf aus, die Wahrheit herauszufinden. Neben ihm gab es noch weitere Menschen auf der Welt, die ihr Leben der Suche nach der Wahrheit gewidmet hatten. Es hatte sogar Versuche gegeben, das Dokument, das ihm von seinem Vater überlassen worden war, zu stehlen, doch die Strafe, die er den Dieben zuteilwerden ließ, richtete sich nicht gerade nach dem Schweizer Strafgesetzbuch.

Aber jetzt, nachdem die Ionischen Texte gefunden und übersetzt worden waren, wäre es ihm möglich, die Gruft des Poseidon zu lokalisieren und die Kontrolle über die ultimative Macht auf Erden zu übernehmen.

»Was sollen wir also tun, Herr Zaugg?«, fragte die Frau. »Sind Sie bereit, die Verantwortung für das, was diese Entdeckung mit der Welt anstellen wird, zu übernehmen, oder werden Sie sie für aufgeklärtere Generationen verwahren?«

»Ich bin überzeugt, dass Sir Richard Eden der Presse keine Einzelheiten über seine Entdeckung mitteilen und dass man nicht mehr von der Angelegenheit sprechen wird. Ich hoffe, Sie kennen mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, wie leichtsinnig es wäre, sich mir zu widersetzen. Die Welt wird früh genug davon erfahren. Zu einem Zeitpunkt, den ich bestimme.«

Ein besorgtes Murmeln wogte durch das warme Zimmer, doch ein weiterer vernichtender Blick von Zaugg verursache einen abrupten Sinneswandel.

»Das ist die richtige Entscheidung«, sagte der Historiker.

»Ich stimme zu«, meinte der Geologe.

»Ich denke trotzdem, dass die Welt es jetzt erfahren sollte«, sagte der Archäologe. »Das verändert alles! Falls sich die Legenden als wahr herausstellen – und angesichts der Entdeckung sehe ich keinen weiteren Grund, sie anzuzweifeln –, dann sprechen wir hier wirklich von etwas sehr gefährlichem. Die gesamte Menschheitsgeschichte wird neu geschrieben werden. Wir spielen mit dem Feuer.«

»Sie denken also, ich habe mich falsch entschieden?«, entgegnete Zaugg, plötzlich drohend ernst.

Der Archäologe verstummte kurz. Er sah zum Teppich und sprach dann lauter. »Natürlich nicht, Herr Zaugg. Es ist nur so, dass …«

»Ausgezeichnet«, knurrte Zaugg. »Dann sind wir alle einer Meinung. Eine solche Entdeckung ist zu brisant für den durchschnittlichen Mann oder die durchschnittliche Frau auf der Straße. Sie sind mit dem Banalen beschäftigt, dem Alltäglichen. Wir dürfen ihnen keine so schwere Last aufbürden. Deswegen wird Sir Richard Eden damit nicht zu seinen Vorgesetzten gehen – das wäre tatsächlich Suizid – oder sollte ich sagen, Genozid?«

Ein leises Grollen düsteren, gezwungenen Lachens entsprang der kleinen Gruppe.

Zaugg stand aus seinem Sessel auf und ging stumm zur Fensterwand. Es war jetzt fast vollständig dunkel, und als er durch das Glas starrte, sah er die kleine Stadt unterhalb seines Berganwesens nicht mehr, sondern nur noch sein eigenes Spiegelbild – alt, stolz, verängstigt.

»Der Legende nach wurden sie zusammen begraben …«, sagte er leise. Seine Stimme war jetzt fast ein Flüstern, als schweife sein Verstand an einen anderen Ort, an dem er lieber wäre. »Falls uns die Ionischen Texte liefern, was ich erwarte, dann werden wir bald über die Gruft des Poseidon und ihre erschreckenden Geheimnisse verfügen.« Er seufzte und schloss die Augen. Dann hob er seine faltigen Hände und legte sie sachte an das Glas vor sich. »Wir werden den Lauf der gesamten Welt verändern … und mein Schicksal.«

Er atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder heraus. Er war nun gelassen, glücklich, erwartungsvoll. Nein, die Welt war nicht bereit für so etwas, er aber schon.

Kapitel 4

»Hallo noch mal«, sagte Sir Richard Eden. Der englische Politiker saß hinter einem alten, abgenutzten Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Stadthauses nur wenige Straßen vom British Museum entfernt. Sein gestärktes weißes Hemd war noch blutbesudelt von der Attacke zuvor und sein Gesicht schien in der kurzen Zeit, seit Hawke ihn zum letzten Mal gesehen hatte, um mehrere Jahre gealtert zu sein.

Durch das Fenster konnten sie immer noch die Geräusche der Sirenen hören, während die Notdienste sich um die Nachwirkungen drüben im Museum kümmerten. Eden rieb sich die Schulter und zuckte zusammen, bevor er das Wort ergriff. »Offensichtlich haben Sie einander bereits kennengelernt, aber erlauben Sie mir bitte, Ihnen Lea Donovan offiziell vorzustellen – sie ist meine Sicherheitschefin.«

Er deutete auf Lea, die jetzt neben seinem Schreibtisch stand. Sie hatte sich umgezogen, trug nun einen schwarzen Pullover und enge Bluejeans und ihre blonden Haare waren weniger förmlich zurückgebunden. Hawke und sie schüttelten einander die Hände.

»Ich will ja nicht respektlos erscheinen, aber vielleicht sollten Sie Ihre Sicherheitschefin wechseln?«, meinte Hawke.

»Was soll das bedeuten?«, entgegnete Lea scharf.

»Sir Richard wurde heute beinahe getötet, das soll es bedeuten.«

»Sie waren doch derjenige, der sich um die Sicherheit im Museum kümmern sollte. Wenn Sie Ihren Job richtig gemacht hätten, wäre der Schütze nicht mal im Gebäude gewesen.«

»Und wenn Sie mich über Sir Richards psychotische Feinde informiert hätten, hätte ich vielleicht sogar höhere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen.«

»Wenn Sie es unbedingt wissen müssen«, sagte Eden. »Lea hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren könnte.«

»Und was ist passiert?«, fragte Hawke.

Eden schien zwischen dem Widerwillen, zu reden, und dem Drang, um ihre Hilfe zu bitten, hin- und hergerissen. Lange Zeit blieb er still und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. »Ich bin nicht sicher, wie viel ich Ihnen mitteilen kann«, sagte er und wandte sich Lea zu. »Nicht mal dir.«

Hawke und Lea tauschten einen beunruhigten Blick. »Du wirst uns schon mehr verraten müssen, als das, Richard«, erwiderte Lea.