DAS GEHEIMNIS VON ATLANTIS (Joe Hawke 7) - Rob Jones - E-Book

DAS GEHEIMNIS VON ATLANTIS (Joe Hawke 7) E-Book

Rob Jones

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Beschreibung

Den Ereignissen aus Band 6 folgend muss das Team um Joe Hawke ein gestohlenes Artefakt sicherstellen, welches zur Entdeckung des größten archäologischen Schatzes aller Zeiten führen könnte – dem sagenumwobenen Atlantis. Doch schnell müssen sie feststellen, dass sie dafür ihre härtesten Kämpfe ausfechten und schneller denn je sein müssen, um zu gewinnen. Ihre Suche führt sie von den Tunneln unter Wien über das Münchner Oktoberfest bis in die Berge und Schluchten von Marokko und lässt sie auf grausame Gegner, alte Freunde und überraschende Verräter treffen …  Atemlose Action, verknüpft mit mythologischen Themen, und ein gehöriger Schuss Humor machen Rob Jones' Schatzjägerreihe zu einem absoluten Geheimtipp für Fans von James Rollins, Andy McDermott oder Clive Cussler. 

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DAS GEHEIMNIS VON ATLANTIS

Joe Hawke Abenteuer – Band 7

Rob Jones

This Translation is published by arrangement with Rob Jones.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: THE SECRET OF ATLANTIS Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Madeleine Seither

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-859-1

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

DAS GEHEIMNIS VON ATLANTIS
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Anmerkungen des Autors
Über den Autor

Kapitel 1

Silvio Mendoza spürte eine Woge der Macht durch seine Adern fließen, während er sich einen Weg durch den Wiener Regen bahnte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er den größten Schatz von allen in die Finger bekäme.

Nur in Gesellschaft von Aurora Soto und seinen eigenen verblendeten Gedanken huschte der frühere mexikanische Drogenbaron durch die Nebenstraßen der österreichischen Hauptstadt. Er mochte die Stadt nicht. Sein Herz schlug nicht für Barockgärten, Sachertorte und Opernhäuser. Mendoza war ein Gesetzloser, ein Mann aus dem Dschungel, der nur die brutalste Lebensrealität kannte, nicht diese alberne Märchenversion mit Riesenrädern und Lipizzanerpferden. Was diese Menschen über die echte Welt wussten, konnte man auf einen Stecknadelkopf schreiben.

Er bewegte sich geschickt durch eine Menschenmenge, die einem Mann beim Feuerschlucken zu einem bizarren Strauss-Medley zusah. Er schlug den Kragen hoch und verfluchte die nördliche Hemisphäre, als der Herbstwind von der Donau kam und durch die Kopfsteinpflasterstraßen von Leopoldstadt fegte. Wie irgendjemand hier leben konnte, war ihm unbegreiflich. Je schneller er von hier wegkam, desto besser, doch zuerst musste er jemanden ausfindig machen.

Er grinste, während er die Menschen um sich herum musterte. Schirme, Schals, nach Hause eilend, um der Kälte zu entkommen. Zwischen ihm und diesen Menschen gab es viele Unterschiede, nicht zuletzt die Tatsache, dass er im Begriff war, zu einem der reichsten lebenden Männer zu werden, etwas, das jeder Einzelne von ihnen begehren mochte, aber nie erreichen würde.

Er sah ein letztes Mal auf sein Handy, während die Stufen eines Mietshauses in einer teuren Prachtstraße hinauf schlüpfte, Aurora einen Schritt hinter ihm. Eine alte Gewohnheit ließ ihn vor seiner nächsten Bewegung über die Schulter sehen, und dann, als die Luft rein war, drückte er auf die Türklingel. Kurz darauf öffnete ein Mann in den Siebzigern die Tür, nur einen Spalt weit. Er erinnerte ihn an Albert Einstein.

»Wir haben telefoniert«, sagte Mendoza in Englisch mit schwerem Akzent. »Sie sind Huber?«

Der alte Mann nickte und beäugte ihn argwöhnisch durch den Spalt in der Tür, deren Kette noch vorlag. »Haben Sie den Gegenstand, den Sie beschrieben haben?«

»Lassen Sie mich rein, alter Mann. Das besprechen wir nicht auf der Straße.«

Der alte Mann war zögerlich, aber er nickte mit zurückhaltender Zustimmung und schloss die Tür kurz, während er die Kette löste. Als sich die Tür wieder öffnete, traten die beiden mexikanischen Gangster rasch ein. Mendoza drängte den alten Mann beiseite und schob die Tür mit der Ferse zu. Er konnte nicht sicher sein, mit wie vielen Drogenbaronen es dieser Wiener Professor zeitlebens zu tun gehabt hatte, aber er war überzeugt, die Zahl lag ungefähr bei null, und deswegen würde er nervös und unsicher sein.

Huber führte Mendoza eine gewendelte Treppe hinauf. Seine papierweiße Hand stützte sich haltsuchend auf das schmiedeeiserne Geländer. Die beiden Männer unterhielten sich nicht, während sie zur Wohnung hinaufgingen, und Soto war ebenso still. Nachdem sie eingetreten waren, zog Mendoza umgehend ein kleines goldenes Götzenbild aus der Innentasche seiner Jacke und hielt es dem alten Professor vors Gesicht.

Huber blieb der Mund offen stehen, als er das antike Artefakt sah.

»Also, was ist das?«, sagte Mendoza ausdruckslos.

»Das … das kann nicht sein real … darf ich?«

Mendoza musterte ihn kurz, dann reichte er ihm das Idol.

»Es ist echt genug, alter Mann. Können Sie das nicht in den Händen spüren?«

Huber sah aus, als hätte er einen Geist gesehen, und einen Moment lang war er nicht in der Lage, zu sprechen. »Ich kann es nicht glauben«, sagte er schließlich. Seine Hände begannen zu zittern. »Wo haben Sie das gefunden?«

»Im Eingang zur aztekischen Unterwelt. Mictlan.«

Huber sah ihn stechend an. »Mictlan ist real?«

Mendoza nickte heftig. »Mehr wollen Sie nicht wissen.« Mit Mictlan hielt er sich nicht gerne auf. Manchmal, wenn er die Augen schloss, konnte er immer noch die russische Frau am Altar festgebunden sehen, und wie Wades Vulkandolch in ihr Fleisch drang. »Sagen Sie, es ist doch was wert, oder?«

Huber antwortete nicht, ließ sich aber auf seinen Drehstuhl fallen und zog ein rotes Buch mit dem Titel Religiöse Ikonen der punisch-iberischen Periode von einem Regal.

Als er den staubigen Folianten in schwachen Händen des Professors sah, verzog Mendoza die Lippen. »Was soll der Scheiß? Ich bin nicht für eine Vorlesung hier, alter Mann.«

Huber ignorierte ihn. Stattdessen blätterte er durch die Seiten, bis er erreichte, wonach er gesucht hatte, und dann drehte er das alte Buch um, damit der ungeduldige Mexikaner es sehen konnte.

Mendoza keuchte und trat einen Schritt zurück. Auroras Augen wurden riesengroß. Sie hatten eine Replik des Götzenbildes vor sich. Identisch mit demjenigen, welches er dem ECHO-Team im Mictlan-Tempel in der Selva Lacandona unter der Nase weggeschnappt hatte. »Was ist das?«

»Das, mein Freund, ist la Dama de Elche, oder die Dame von Elche.«

»Ich verstehe nicht … was ist das?«

»Es ist eine Kalksteinbüste, die in einer archäologischen Ausgrabungsstätte bei Elche entdeckt wurde, in Valencia, nah an der spanischen Küste … in der Nähe von Alicante.«

Aurora beäugte die Seite skeptisch. »Aber das Götzenbild wurde auf der anderen Seite der Welt entdeckt. Wie können die sicher sein, dass die Büste aus Spanien stammt?«

»Kalkstein ist ein organisches Sedimentgestein, weil es die fossilisierten Überreste verstorbener Organismen im Inneren hat, und das hilft uns, seine Herkunft zu ermitteln.«

»Vielleicht ist es ein Fake«, steuerte Mendoza bei.

»Viele hielten sie für eine Fälschung, aber das wurde eindeutig verworfen, nachdem die Büste einer Reihe dispersiver Röntgenspektrokopieanalysen per Elektronenmikroskop unterzogen worden war. Diese bewiesen, dass sie so alt wie die ursprünglichen archäologischen Behauptungen war und aus der punischen Ära stammte.«

»La Dama … wer ist sie … oder was ist sie?«

»Das weiß niemand, aber die meisten akademischen Meinungen halten sie für stark mit der phönizischen Göttin Tanit verbunden, der Hauptgöttin Karthagos.«

»Aber … sie ist identisch …«

»Sie ist fast identisch«, korrigierte Huber ihn. »Es gibt ein Nahuatl-Wort, welches das beschreibt: ixiptla, oder Abbild.« Seine Hände begannen wieder zu zittern.

Langsam glaubte Mendoza, die Sache könnte größer sein, als er zunächst angenommen hatte, und er beobachtete, wie ein irritierter Ausdruck das Gesicht des Professors trübte. »Sie sehen verwirrt aus, alter Mann.«

»Manche haben spekuliert, dass die Dame von Elche eine atlantische Göttin ist, die in der versunkenen, mythischen Stadt Tartessos – eine atlantische Kolonie – verehrt wurde, aber das habe ich natürlich immer als Blödsinn abgetan. Doch jetzt …« Er schüttelte den Kopf und sein Blick überflog den Text aufgebracht nach nur einem Hinweis. »Nichts davon ergibt Sinn!«

Er stand auf, das Götzenbild noch fest in einer Hand, und mit der anderen rieb er sich rasch die Augen. »Es ist, als würde ich den Verstand verlieren! Wie kann irgendwas davon real sein? 146 vor unserer Zeitrechnung wurde das karthagische Reich quasi ausgelöscht. Was ich also wissen will, ist, wie eine Statue von Tanit in einem Tempel im mexikanischen Dschungel gelandet ist, der seit tausenden Jahren nicht mehr geöffnet wurde?«

Mendoza beobachtete den alten Mann mit Verachtung, als er sich eine Träne aus dem Auge wischte. Er wollte ihn für seine Schwäche verspotten, doch dann fiel ihm etwas auf, das er vor diesem Moment nicht realisiert hatte. Seine eigenen Hände zitterten fast unkontrollierbar. Er trat näher an Huber und das Götzenbild heran. Dabei schob er die Hand in die Tasche und packte sein Springmesser. »Was bedeutet die Inschrift?«

»Schwer zu sagen. Es ist eine sehr merkwürdige Mischung aus Aztekisch und Phönizisch der punischen Epoche … sie ist so seltsam … beinahe berauschend. Als wollte sie nach mir greifen und mir die uralte Wahrheit zuflüstern, die sie schon so lange verbirgt …«

»Dann ist sie also viel Geld wert, richtig?«

Huber sah ungläubig zu ihm auf. Seine alten Augen tränten von der Anstrengung, die merkwürdigen, in das Götzenbild eingemeißelten Symbole anzustarren. »Wie bitte? Etwas wie das ist unverkäuflich. Es ist unbezahlbar.«

»Das werden wir sehen. Was bedeutet die Inschrift? Führt sie zu noch mehr Gold?«

Huber schüttelte den Kopf, während er auf das merkwürdige Bild einer Sonne im Fuß des Götzenbildes starrte. Es sah wie eine Sonneneruption aus. Er wirkte irritiert, während er die kompliziert gemeißelte Form musterte. Wie ein siebenzackiger Stern, aber mit eigenartigen Terrassen hineingearbeitet, die wellenförmig zurückwichen, wie eine umgedrehte Zikkurat. »Ich muss das falsch verstehen, denn wenn nicht, dann gnade uns Gott.«

Aurora seufzte und trat auf Huber zu. »Lassen Sie die Katze aus dem Sack, alter Mann.«

»Zunächst gibt es zwei Inschriften. Die erste ist ein sehr simples Symbol, das sich auf die Sonne bezieht, und ist so alt wie das Götzenbild. Aber es scheint zu zeigen, wie die Sonne explodiert. Die zweite, in den Hintergrund gemeißelte Symbolreihe ist neuer, ohne Zweifel. Sie wurde von jemand anderem hinzugefügt … Vielleicht von einer späteren Kultur.«

»Und was bedeuten die späteren Symbole?«

»Ich kann sie nicht interpretieren, nicht mit Gewissheit, tut mir leid. Vielleicht ist es eine Art antiker Code. Womöglich ein Hinweis auf eine überflutete Stadt. Und dann die Sache mit der Sonne … Sie brauchen jemand anderen.«

»Ich dachte, Sie wären der Beste?«

Huber sah zu ihnen auf, gekränkt und beschämt. »Ich bin die beste öffentliche Person, aber es gibt andere, mit größerem Wissen, die es vorziehen, ihre Aktivitäten verschleiert zu halten. Einer sticht besonders hervor.«

»Reden Sie weiter.«

»Sein Name ist Kruger. Dirk Kruger. Er ist Archäologe, gewissermaßen.«

»Wo kann ich den Mann finden?«

»Er stammt aus Südafrika, aber im Moment ist er beruflich in München. Ich sprach vor wenigen Tagen mit ihm. Er wohnt im Hotel Sendling.«

»Beruflich?«

»Er verkauft … Relikte.«

Mendoza dachte kurz darüber nach, wie der alte Mann »Relikte« gesagt hatte, und war sich nicht sicher, ob er die ganze Geschichte erzählt hatte. Es klang, als verbarg sich womöglich so einiges hinter diesen Relikten. »Und er wird in der Lage sein, mir zu sagen, was auf dem Götzenbild steht?«

Huber nickte. »Ja, ich denke schon. Wenn es jemand kann, dann Dirk Kruger.« Wieder nahm er das Götzenbild von Tanit in die Hände. Der spätnachmittagliche Wiener Sonnenschein leuchtete auf ihr goldenes Gesicht und ihren seltsamen Kopfschmuck. Der alte Mann klemmte sich erneut seine Juwelierlupe vors Auge. »Sie ist das Schönste, was ich je gesehen habe.«

Mendoza nahm ihm das Götzenbild aus den Händen. Er bemerkte zwei Streifenwagen, die vor dem Mietshaus anhielten, gefolgt von einem dritten, großen Polizeifahrzeug, und fluchte innerlich, als er Aurora Soto anwies, aus dem Fenster zu sehen. Ja, dachte er, das Idol musste von großem Wert sein, wenn ihn die Behörden jetzt schon durch Europa verfolgen.

Er drehte sich zu Huber um. »Ich muss Ihnen vielmals für Ihre Hilfe danken, Herr Huber. Sie waren mir eine enorme Unterstützung. Es stimmt, was man über Sie sagt: Sie sind ein sehr kluger Mann.«

»Nun ja … ich studiere fleißig und … was tun Sie da?«

Im Handumdrehen trat Aurora Soto beiseite, als Mendoza sein Messer aus der Tasche zog und die Klinge blitzschnell gegen die faltige Haut an Hubers Hals hielt. »Sie kommen mit, alter Mann.«

»Was reden Sie denn da? Legen Sie das Messer weg!«

Kapitel 2

Mendoza zog Franz Huber grob durch die Foyertür und die Steinstufen des Gebäudes hinunter. Er drückte die Spitze des Springmessers gegen die Halsschlagader des Professors und flüsterte ihm hektisch ins Ohr. »Sagen Sie ihnen, sie sollen zurückgehen, sonst sterben Sie!«

Huber zögerte, hatte nicht den Wunsch, in Sachen seiner eigenen Entführung zu konspirieren, aber ein grober Stoß mit der Klinge gegen seinen Hals trieb ihn zur Eile an. »Gehen Sie zurück!«, sagte Huber auf Deutsch. »Er sagt, Sie sollen zurückgehen, sonst wird er mich töten!«

»Und jetzt sagen Sie dem da, dass er mir seine Knarre zuwerfen soll, sonst sterben Sie gleich hier.«

»Er will eine Waffe!«, kreischte Huber der Polizei zu. »Oder er wird mich töten!«

Nervösen Blicken zwischen den Einsatzführern folgte ein schneller deutscher Satz.

Huber reckte den Hals zu Mendoza. »Er sagt auf keinen Fall.«

Mendoza antwortete nicht, sondern ließ das Messer in der Luft herumschnellen, sodass er es jetzt an der Klinge festhielt. Er warf es mit hoher Geschwindigkeit, und das nächste Mal, dass jemand es sah, steckte es im Hals eines Polizeibeamten. Der junge Mann fiel zu Boden, die Hand am Hals und panisch schreiend, während Blut aus seiner Schlagader pulsierte.

Mendoza holte ein zweites Messer aus einem Holster an seinem Bein.

»Die Waffe oder weitere Tote.«

Huber wiederholte den Befehl, und diesmal wurde die Anweisung gegeben. Ein anderer junger Beamter schob seine Waffe widerstrebend mit dem Fuß über das Kopfsteinpflaster. Aurora hob sie auf, und sie gingen rückwärts los, während sie den verängstigten Professor weiterhin als menschlichen Schutzschild benutzten.

Aurora nahm die Polizei-Glock-17 in Anschlag und feuerte einen, zwei, drei schnelle Schüsse auf einen VW Touran der Polizei ab. Der kurze Rückstoßlader erfüllte alle Erwartungen, als die 9-mm-Parabellumgeschosse den Tank durchlöcherten und ein Funkenregen das Benzin entzündete. Die Explosion war heftig, kam aus dem detonierten Tank geschossen und trieb eine tödliche Salve zerfetzten Stahls über die Straße.

Die Wucht riss die Männer der Landespolizei und der Anti-Terror-Einheiten in die Luft wie ein Sturm, der totes Laub durch einen Park peitscht. Sie überschlugen sich und landeten hart auf den alten Pflastersteinen. Die meisten überlebten, aber mehrere Beamte waren tot, ihre gebrochenen Körper als grausiger Beleg der skrupellosen Brutalität der Gangster auf der Straße verstreut.

Was noch vor wenigen Momenten ein heiteres Bild von Wiener Charme und Ruhe gewesen war, war jetzt ein Kriegsgebiet. Giftiger schwarzer Rauch quoll aus dem verformten Leichnam des Tourans, und schrille Sirenen hallten von der barocken Architektur zurück und hingen hoch über dem Chaos.

Huber war vor Verwirrung und Angst von Sinnen, aber mit etwas, das Hoffnung ähnelte, sah er zu, wie sich die überlebenden Gesetzeshüter neu formierten und in einer taktischen Angriffsformation ausschwärmten. Sie rückten näher an ihn und seine Entführer heran, waren jetzt aber vorsichtiger und bewegten sich langsamer. Beamte mit Schutzhelmen und -westen sprachen in Funkhandmikrofone und warteten auf Befehle über ihre Ohrhörer.

Mit Auroras Glock weiter auf die Männer gerichtet, hielt Mendoza das Schnappmesser immer noch an Hubers Hals. »Wo geht’s hier raus?«

Mit der Angst, die in seinem Herzen hämmerte, wusste Huber, dass er die Flucht des Wahnsinnigen hinauszögern musste, doch er konnte es nicht riskieren, ihn weiter aufzubringen. »Ich weiß nicht, was Sie meinen …«, plapperte er.

Auroras Antwort war ein fester Schlag mit der Pistole. »Spielen Sie keine Spielchen, Professor. Wenn Sie weiterleben wollen, dann bringen Sie uns hier raus.«

Hubers Gedanken überschlugen sich. Er wollte weiterleben, ja; er hatte drei Enkelkinder, und er wollte sie aufwachsen sehen. Etwas sagte ihm, dass die Mexikaner nicht blufften, also entschied er sich, sie nicht mit Lügen und Verzögerungen zu verärgern. »In der Michaelerkirche um die Ecke … Da kann man ein Tunnelnetzwerk betreten, das sich über die ganze Stadt erstreckt.«

»Kennen Sie die Tunnel?«

Huber schüttelte den Kopf. »Zur Sicherheit aller ist der Zutritt stark eingeschränkt.«

»Bringen Sie uns hin!«

Während die Polizei einen Sicherheitsabstand einhielt, sie jedoch nie aus den Augen verlor, führte Huber die Mexikaner an den Caféterrassen der Herrengasse vorbei, bis eine prachtvolle romanische Kirche ins Blickfeld kam.

»Die Michaelerkirche«, sagte Huber, und nicht einmal der Schrecken, der ihn umgab, schmälerte den Stolz, den er lebenslang für die achthundert Jahre alte Kirche empfunden hatte. »Betritt man hier die Gruft, kann man für immer verschwinden.«

Sie überquerten den ausgedehnten Michaelerplatz und näherten sich der Kirche. Normalerweise geschäftig, mit Touristen, die Bilder von der neoklassischen Architektur machten oder anstanden, um mit den berühmten Pferdekutschen zu fahren, hatten die Explosion des Tourans und die Anwesenheit eines in der Luft schwebenden Polizeihubschraubers den Bereich von Zivilisten befreit.

Huber führte Mendoza und Aurora ins Innere der Michaelerkirche und durchs imposante Mittelschiff auf die berühmte, riesige Michaelergruft zu, die unter dem uralten Gebäude lag.

Es war jetzt merklich kälter, als sie an den zahlreichen Marmorgräbern vorbeieilten, von denen jedes die Gebeine einer anderen aristokratischen Dynastie enthielten. Abgesehen von den viertausend Leichen waren sie nun alleine in der Kirche, aber der Klang der Polizei über ihnen gab Huber einen Funken Hoffnung, dass er diesen Tag überleben würde.

»Wohin?«

»Diese Tür.«

Aurora hob die Pistole und schoss das Schloss auf.

»Machen Sie die Tür zur Gruft auf«, rief Mendoza.

Huber gehorchte. Er wuchtete die alte Tür auf, und erst in diesem Moment erkannte er seinen Fehler, Mendoza gesagt zu haben, dass er nichts über die Tunnel wusste. Dann, als könnte er seine Gedanken lesen, rückte ihm der mexikanische Drogenboss nahe.

»Warten Sie!«, rief Huber verzweifelt und hob im kläglichen Versuch, den Horror aufzuhalten, der sich entfaltete, die Hände.

Doch der konnte nicht aufgehalten werden. Mendoza rammte das Schnappmesser bis zum Anschlag in Hubers Brustkorb. Der alte Mann keuchte und fiel nach vorne, näher zu Mendoza. Einen kranken Moment lang sahen sie fast wie zwei alte Freunde in einer Umarmung aus, doch dann sprudelte Blut aus Hubers Mund, und Mendoza schob ihn zu Boden. »Es darf hier keine Zeugen geben, Herr Huber. Bitte nehmen Sie meine innigste Entschuldigung und meinen tiefsten Dank an.«

Mendoza nahm die Waffe von Aurora und schob sie in seine Jackentasche, zog den Schal um seinen Hals enger, und dann stiegen sie in die Gruft hinunter. Er beleuchtete ihren Weg mit der Taschenlampe seines Handys und hoffte, der Akku würde lange genug halten, um sie in die Sicherheit der Welt über ihnen zu führen. Er hatte Geschichten darüber gelesen, wie sich Menschen in den berühmten Pariser Katakomben verirrt hatten und dort gestorben waren, aber bestimmt waren die nicht labyrinthischer und widerwärtiger als die Tunnel unter Wien.

Hier unten in den Kanälen und Krypten gab es kein Netz, aber Mendoza hatte die Karte Wiens gespeichert, und von seiner Kindheit in den Dschungeln Mexikos wusste er, wie man Abbiegungen zählte und sich merkte, wo Norden war. Sie stapften durch den Schlamm des Tunnelnetzwerks. Links abbiegen bedeutete nach Süden, also lag die Nächste rechts im Westen … eine leichte Biegung im Tunnel bedeutete, dass er jetzt nach Südwesten ging … gut.

Was war das für ein Geräusch? Es klang, als käme es von direkt hinter ihm. Nein, das bildete er sich nur ein. Eine Kanalratte vielleicht … die ihm für den Fall, dass er hinfallen und sich dabei k.o. schlagen würde, folgte … Ihm blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen und unterwegs nach Ausgängen Ausschau zu halten. Einige hundert Meter würden sie hinter den Bereich bringen, den die Polizei mittlerweile sicher abgesperrt hätte. Wenn sie den Bahnhof erreichen könnten, müssten sie nur in einen Zug nach München einsteigen und dann Dirk Kruger kontaktieren, den Mann, der Relikte verkaufte.

Er starrte sein Telefon an. »Zwei Stunden bis zum nächsten Zug nach München.«

»Zwei Stunden in diesen Tunneln?«, fragte Aurora, blickte in die Schwärze und schauderte.

Mendoza sah über die Schulter und beleuchtete eine Kanalratte, die in die Dunkelheit davonhuschte.

»Gehen wir«, sagte er bestimmt.

***

Eine Stunde später tauchten sie aus dem Tunnelsystem auf und schlugen weitere Zeit damit tot, sich hinter Zeitungen zu verstecken, bevor sie den Zug nach München bestiegen. Jetzt, während der Zug tröstlich auf seiner Reise westwärts hin und her schaukelte, folgte Silvio Mendoza Auroras Hand, die über seinen Oberschenkel zu seinem Hosenbund strich. Er packte sie am Handgelenk, zog sie aus seiner Hose und schob Aurora von sich. »Findest du, jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür?«

Sie schmollte, und ein Ausdruck der Verachtung blitzte in ihren tiefschwarzen Augen auf. »Ein Mann wie du sollte nehmen, was er kriegen kann, mi cielo.«

Mendoza handelte blitzschnell, zog sein Springmesser aus der Jackentasche und wirbelte auf dem Zugsitz herum. Weniger als eine halbe Sekunde nach ihrer Bemerkung drückte er die Spitze des Messers an ihre Schlagader. »Was soll das heißen?«

Sie zuckte zusammen, als er die Klinge drehte und sie fester an ihre Haut drückte, die Oberfläche durchstach, bis Blut kam. »Nichts … lo siento, Silvio.«

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er zusah, wie sie sich unter seiner Macht wand. Er nickte selbstzufrieden und fuhr die Klinge ein. »Gut. Wir wissen nicht, wo sie sind. Vergiss das nie. Erinner dich daran, mit welcher Leichtigkeit sie Wades Imperium auseinandergenommen und meinen Bruder Jorge getötet haben.«

Aurora beobachtete, wie das schwarze Licht der Rache in seinen Augen spielte. Sie war dabei gewesen, auf Alcatraz, hatte sich in der Zwischendecke versteckt, als Juana Diaz seinen Bruder ermordet hatte. Es war besser, wenn er glaubte, das ECHO-Team hätte das getan, deswegen hielt sie Wahrheit in ihrem Herzen hinter Schloss und Riegel.

Bei Salzburg überquerten sie die Grenze und beobachteten, wie die bayrische Landschaft vorbeizog. Nicht lange danach hielt der Zug eine kurze Weile am Bahnhof von Rosenheim, dann fuhr er wieder an, auf den letzten Abschnitt nordwärts nach München, ihre Endstation.

Mendoza sah die winzigen Städtchen und Dörfer am Fenster vorbeihuschen, bis sie allmählich in die südlichen Vororte Münchens übergingen: Zorneding, Vaterstetten, Haar. Hoch über ihnen am Himmel braute sich ein böser Sturm am Horizont zusammen, und er beobachtete, wie ein gespaltener Blitz die untere Wolkengrenze zerriss und in irgendeinem Wald im Osten einschlug.

Der Blitz war sein ältester Feind.

Er war noch ein junger Mann gewesen, als er ihn getroffen hatte, durch den beißenden Ozon der stürmischen Luft geschossen war und seinen Körper niedergerissen hatte. Ihn als Leiter, um die Erde zu erreichen, benutzt und ihn fast getötet hatte. Er hatte ihn kommen sehen: Er war mit explosiver Wut in die Zuckerrohrfelder gefahren. Er und Jorge waren draußen spazieren, als der Sturm aufkam. Beide rannten in den Schutz einer Scheune, aber all das Glück war an jenem Tag mit Jorge, denn die Götter hatten beschlossen, Silvio zu bestrafen.

Es hatte sich angefühlt, als hätte ihm jemand mit einem Baseballschläger eine übergebraten, und als er aufwachte, war sein Körper taub. Erst als Jorge zu ihm gerannt kam und entsetzt aufkeuchte, wusste er, dass sich etwas verändert hatte. Jorge trug ihn nach Hause, und da sah er die Narbe in seinem Gesicht, die Lichtenberg-Figur, eine Fülle von Narben wie elektrische Funken, die sich ganz über Gesicht und Hals erstreckten.

Ein weiterer Blitz zuckte über den Horizont, und wenige Sekunden später erklang ein gewaltiger Donnerschlag.

»Der Sturm kommt näher«, sagte Aurora und holte ihn damit aus den Zuckerrohrfeldern seines Verstandes zurück.

»Auf mehr als nur eine Weise«, sagte er geistesabwesend.

Kapitel 3

Joe Hawke hasste es, Alex Reeve zuzusehen, wie sie sich in ihrem Stuhl in den Raum schob. Ihr Zusammenbruch auf Alcatraz hatte sie durch Aurora Sotos Hand fast das Leben gekostet, und nun war sie wieder an den Rollstuhl gefesselt. Aurora war in der Alcatraz-Nacht verschwunden, und jetzt wussten jetzt, dass es stimmte, dass die stärkende Eigenschaft des Elixiers nur vorübergehend anhielt. Das bedeutete außerdem, dass sie eine weitere Quelle brauchten, eine, die sie dieses Mal permanent sichern konnten.

Sie saßen im weitläufigen Besprechungsraum mit den Glaswänden, der die Klippen im westlichen Teil ihrer geheimen Inselbasis überblickte. Jenseits der getönten Scheiben schien die tropische Karibiksonne hell, und selbst nach so langer Zeit hier war der frühere SBS-Agent noch immer von der Schönheit und Abgelegenheit überwältigt.

Als er Lea kennengelernt und zur Insel gekommen war, war es ihm beinahe wie ein Traum erschienen, aber mittlerweile war er lang genug mit diesen Menschen hier, dass es sein früheres Leben war, das traumgleich wirkte. Nun war das die Realität … türkises Wasser, weißer Sand, tropische Palmen und die beste Kameraderie, die er je erlebt hatte.

Seine Würdigung des Paradieses wurde vom Geräusch erhobener Stimmen zerschlagen, als Scarlet Sloane und Ryan Bale über die jeweiligen Vorzüge von Wodka und kaltem Bier stritten, aber Hawkes Verstand wandte sich bald wieder Alex zu, während er geistesabwesend beobachtete, wie die Brandung gegen den Strand unter ihnen krachte.

»Wie geht‘s dir?«, fragte er, als sie sich neben ihn bewegte.

»Mir geht‘s gut«, sagte sie, einen Hauch von Entschlossenheit in der Stimme.

Hawke richtete seinen Blick auf sie. »Wir finden mehr, Alex. Ich verspreche es.«

»Wir haben uns um andere Dinge zu kümmern, Joe.«

Er wusste, dass das stimmte, aber es spielte keine Rolle. Er sah die anderen im Zimmer an. Das gesamte Team war nun da, mit der üblichen Ausnahme von Vincent Reno, der nach den Ereignissen in der Selva Lacandona nach Südfrankreich zurückgekehrt war.

Lexi saß mit geschlossenen Augen und den Stiefeln auf dem Schreibtisch da und tat, als schliefe sie, aber er wusste, dass sie allem zuhörte. Maria argumentierte am Telefon mit jemandem auf seiner Annahme nach nicht sehr höflichem Russisch, und Lea kehrte gerade von der Veranda ins Zimmer zurück.

»Oh, gut«, sagte Eden, der den Raum betrat und sich an den Tisch setzte. »Ihr seid schon alle da.«

»Also, was ist das Problem?«, sagte Scarlet, nahm am anderen Ende des Tisches Platz und stellte nicht nur einen, sondern zwei eiskalte Wodka-Tonic vor sich hin. »Muss einer mal wieder Superman die Hosen hochziehen?«

Ryan machte ein großes Tamtam daraus, seine Hose zu überprüfen. »Nein.« Er schmuggelte etwas aus seiner Tasche in den Mund und begann, zu kauen.

Scarlet grinste. »Was hast du denn da?«

»Nichts.«

»Schon klar.« Gleich darauf hielt sie ihm die Arme fest und steckte die Hand in seine Tasche.

»Hau ab!«

»Sag nicht, dir gefällt das nicht, Junge. Es kommt wohl kaum jeden Tag vor, dass eine gutaussehende Frau wissen will, was in deiner Hose ist.«

»Hey!«, sagte Maria. »Ich sehe nicht schlecht aus!«

Scarlet antwortete nicht. Stattdessen zog sie siegreich die kleine Papiertüte aus Ryans Tasche und hob sie in die Luft.

»Gib das zurück!«

»Was haben wir denn da?«, sagte sie und spähte in die Tüte. »Gummibärchen?«

»Ich meins erst, Scarlet.«

»Hör auf zu jammern«, sagte sie. »Das steht dir nicht.«

»Jammern ist gut«, sagte Ryan. »Schließlich werden quietschende Rädchen geschmiert.«

»Wenn du meinst. Ich nehme mir ein paar davon, vielen Dank«, sagte sie, neigte dann die Tüte und leerte sich die Hälfte der Gummibärchen in den Mund. »Lecker!«, sagte sie mit dicken Backen.

»Die hab ich in Acapulco gekauft«, sagte Ryan, nachdem er abgewartet hatte, bis sie geschluckt hatte. »Die sind schon seit Tagen in meiner Hose. Immer noch lecker?«

Ehe sie antworten konnte, schloss Lea die Tür nach draußen mit einem Klicken und kam zu ihnen, und dann räusperte sich Eden und begann, zu sprechen.

»Ich weiß, wie es auch allen damit geht, was in Mexiko passiert ist, aber wir müssen damit abschließen. Befreundete Kontakte in den amerikanischen und mexikanischen Regierungen haben mir ihre Dankbarkeit ausgerichtet, und die gebe ich an euch weiter. Mir ist klar, dass wir das Götzenbild verloren haben, aber wir haben Morton Wade ausgeschaltet, und das ist etwas, worauf wir alle stolz sein sollten. Vielleicht möchtet ihr gerne wissen, dass das FBI eine Razzia auf seinem Grundbesitz in Texas durchgeführt und einen weiteren Raum gefunden hat, der der Obsidiankammer ähnelt, die wir in Mexiko gesehen haben, und …« Er hielt kurz inne, während er ein langes Seufzen ausstieß. »Außerdem haben sie weitere Hinweise auf Menschenopfer gefunden. Es sieht also so aus, als hätte er ein paar Übungsläufe gemacht, bevor er nach Mexiko kam. Ihr habt dem ein Ende gesetzt, also gut gemacht.«

»Aber wie du erwähnt hast«, sagte Lea. »Wir haben das Götzenbild verloren.«

»Und darum sind wir heute hier. Hawke. Ich gebe an dich ab.«

Hawke nickte und begann, zu reden. »Wie ihr alle wisst, habe ich, nachdem sich die Aufregung im mexikanischen Tempel gelegt hatte, gesagt, dass ich glaube, das Idol schon mal irgendwo gesehen zu haben. Und das habe ich auch.«

»Was meinst du?«, sagte Lexi.

»Auf dem Heimweg hab ich viel darüber nachgedacht«, fuhr er fort. »Und nach der Rückkehr nach Elysium hat es mich in den Wahnsinn getrieben. Ich hab mir den Kopf darüber zerbrochen, weil ich sicher war, dass ich es im Fernsehen gesehen oder darüber gelesen hatte.«

»Fernsehen ist in deinem Fall sicher wahrscheinlicher«, sagte Ryan mit einem Grinsen.

»Danke.Wie auch immer, nach einer Weile hab ich realisiert, wo ich das verdammte Ding gesehen habe. Es war genau hier.«

Alle drehten sich zu ihm im, außer Lea. Ihr hatte er es schon erzählt.

»Vor weniger als einer Stunde ist es mir dann endlich klar geworden, also ging ich nachsehen, und ich hatte recht.« Während er sprach, zog er das Götzenbild aus einer Tasche auf dem Boden und stellte es behutsam auf die Rauchglastischplatte. Es war in Design und Stil beinahe identisch mit dem Idol von Tanit, stellte aber stattdessen einen bärtigen Mann dar. Der Fuß war von dem des Tanit-Idols nicht zu unterscheiden, zu komplizierten, siebenzackigen Stern mit einer sich zurückziehenden, umgedrehten Zikkurat im Inneren geformt.

Ryan schnappte nach Luft. »Oh mein Gott!«

»Woher hast du das?«, fragte Scarlet.

Hawke grinste. »Wie gesagt: Von hier, direkt von der Insel.«

»Aber wo ist es ursprünglich hergekommen?«, sagte Maria.

»Ich weiß, wo er es herhat«, sagte Ryan. Er sah Hawke an und die beiden Männer tauschten einen kurzen Blick. »Vom Polarkreis … über die Schatzkammer von Elysium.«

»Ryan hat recht«, sagte Hawke und lenkte die Aufmerksamkeit aller auf das goldene Götzenbild zurück, das feierlich auf dem Tisch des Besprechungsraums stand. »Ich hab lange gebraucht, um das rauszufinden, aber dann ist der Groschen gefallen. Ich hab es gesehen, als der Schatz, den wir aus Walhalla mitgebracht hatten, katalogisiert wurde, aber wir kamen nicht dazu, es zu registrieren. Wir waren nämlich nicht mal zur Hälfte damit fertig, als Ben ermordet wurde und Mexiko losging.«

Eine Welle der Erkenntnis ging durch das Team, als es begriff, was geschehen war.

Hawke sah seine Freunde an. »Dieses Idol war in Walhalla. Klein genug, dass wir es übersehen konnten, wie ein Großteil des Schatzes, und es wartete geduldig in unserem Tresor darauf, erfasst zu werden.«

»Und es ändert alles«, sagte Eden.

»Darauf könnt ihr euren Hintern verwetten!«, sagte Ryan. Er stand von seinem Stuhl auf und ging um den Tisch herum. Nachdem er das antike Idol aufgehoben hatte, wog er es in den Händen und betrachtete sein Spiegelbild in dessen glänzenden, goldenen Konturen.

»Wissen wir, wer das ist?«, fragte Maria.

»Du meine Güte!«, sagte Scarlet. »Ist es der Weihnachtsmann?«

Ryan seufzte und verdrehte die Augen. »Es ist nicht der Weihnachtsmann.«

»Er sieht aber ein bisschen wie Santa aus«, fügte Alex an, um Ryan absichtlich zu sticheln.

»Es ist nicht der verdammte Santa.«

»Wer denn dann?«, fragte Lexi.

Ryan antworte ohne Zögern. »Es ist Buri, kein Zweifel.«

»Und wer zur verfluchten Hölle soll das sein?«, sagte Scarlet.

»Ein nordischer Gott, der Vater von Borr.«

»Borr?«, sagte Scarlet mit einem Grinsen. »Ist der mit dir verwandt, Junge?«

»Borr!«, sagte Ryan und rollte des Effekts wegen dabei die R. »Nicht boah.«

»Ah.«

»Er ist Odins Großvater, wenn es dir das leichter macht, und das ist von großer Wichtigkeit.«

»Warum denn?«, sagte Lexi.

»Weil das Götzenbild, das ich in Mictlan gesehen habe, eine Darstellung von Tanit war, und sie war die höchste weibliche Gottheit der punischen und phönizischen Kulturen.«

»Ich kann da keinen Zusammenhang herstellen«, sagte Lea.

Alex lächelte und nickte; sie war einen Schritt voraus. »Ich weiß, worauf das hinausläuft.«

»Dann sei so lieb und klär den Rest von uns auf«, sagte Scarlet, zog eine Zigarette aus ihrer Packung und warf sie von einer Hand in die andere.

»Es sind beide hochgestellte göttliche Figuren ihrer religiösen Kulturen«, sagte die Amerikanerin.

Ryan nickte, schnippte mit den Fingern und zeigte auf Alex. »Gebt dieser Frau den Hauptpreis! Buri war der erste nordische Gott und Tanit war die Hauptgottheit Karthagos, und jetzt wissen wir, dass es von beiden Idole nach ihrem Abbild gibt.«

»Und doch waren diese Kulturen komplett verschieden«, sagte Hawke.

»Und das verdammte Karthagische wurde in Mexiko gefunden«, sagte Scarlet.

»Also müssen die gleichen Menschen diese Idole gemacht haben?«, sagte Lexi.

»Ich sehe, wohin das führt«, sagte Lea.

»Richtig«, fügte Eden nachdrücklich an. »Das führt an einen Ort, der auf eine Art Elternkultur hinzuweisen scheint.«

»So langsam flippe ich aus«, sagte Lea.

»Oder im Klartext«, setzte Scarlet nach, »die Sache wird ernst, Baby.«

Eden runzelte die Stirn, aber alle wussten, dass sie recht hatte. »Ja, ich schätze, die Sache wird ernst«, sagte er. Die Kursivbuchstaben in seinen Worten waren hörbar. »Außerdem, und mit herzlichem Dank an die mexikanischen Behörden, haben wir jetzt Fotos aller Symbole und Piktogramme aus dem Inneren des Tempels von Huitzilopochtli und des unterirdischen Komplexes, den wir Mictlan nennen.«

Während er sprach, schaltete er den Plasmabildschirm ein und begann, durch einige Bilder von dekorativen Piktogrammen und Wandbildern aus dem Inneren des zerstörten Komplexes zu blättern. »Wie ihr sehen könnt, haben wir mehr Anhaltspunkte, als man annehmen mag. Wir haben nicht nur das Buri-Idol aus Walhalla, sondern nun auch Bilder dieser Steinschnitzereien und Piktogramme aus Mictlan.«

»Und was ist unser nächster Spielzug?«, sagte Maria.

»Unser nächster Spielzug«, sagte Eden nachdrücklich, »ist, das Idol zurückzuholen, das wir in Mictlan verloren haben.«

»Also wie gehabt«, sagte Scarlet.

»Diesmal nicht, fürchte ich«, sagte Eden. »Dieses Mal ist es ganz anders.«

Kapitel 4

»Anders?«, fragte Lea. »Inwiefern?«

»Dieses Mal wurden wir von der mexikanischen Regierung angeheuert. Sie wollen, dass wir das Idol für sie aufspüren.«

»Na gut«, sagte Lea. »Ich schätze, es gehörte ihr von Anfang an. Wenn die es für eines ihrer Museen haben wollen, können wir nicht viel dagegen tun.«

»Kein schlechtes Argument«, sagte Eden. »Aber sie wollen es nicht für eines ihrer Museen. Sie haben zugestimmt, das Götzenbild für eine große Geldsumme an einen privaten Sammler zu verkaufen, und haben uns dazu verpflichtet, es zurückzuholen.«

»Weil wir so genial sind?«, sagte Scarlet.

Eden runzelte die Stirn. »Zum einen Teil wegen unserer vorherigen Erfahrung mit dem fraglichen Artefakt und zum anderen Teil, um ihnen die Schwierigkeit und potenzielle Peinlichkeit zu ersparen, mexikanische Spezialeinheiten nach Übersee zu entsenden.«

»Und wer ist dieser private Sammler?«, fragte Hawke.

»Sein Name ist Otmar Wolff, und er ist Rüstungsunternehmer.«

Hawke lachte. »Ein Waffenhändler.«

»Ja, aber wenn du ihn triffst, wirst du Rüstungsunternehmer sagen. Erstens ist er einer der weltgrößten Lieferanten von Landminen. Er hat einen äußerst umfangreichen Vertrag mit der mexikanischen Regierung, und er hat ihr ein Angebot gemacht, das sie nicht ausschlagen kann. Er ist bereit, im Gegenzug für den Besitz des Idols die Kosten einer Lieferung von selbstfahrenden Haubitzen um fünfzig Millionen Dollar zu senken. Er lebt in Liechtenstein.«

»Und was springt für uns dabei raus?«, fragte Lea unverblümt.

»Zehn Millionen Dollar. Fünf jetzt, fünf bei Erhalt des Idols.«

»Wow!«, sagte Ryan, nicht in der Lage, seine Aufregung zu verbergen. »Wie hoch ist mein Anteil?«

Eden sah ihn eisig an. »Ganz so funktioniert das nicht, Ryan. Wie du sehr gut weißt. Diese Insel läuft nicht mit Feenstaub, und diese Jets auch nicht.«

»Verstanden, Großer.«

Eden zog eine Augenbraue hoch, ließ es aber auf sich beruhen. »Um zur Sache zurückzukommen: Wolff hat enge Verbindungen zu den meisten Königsfamilien in Europa, und er ist keiner, den man behindern oder verärgern sollte. Er hat große Sorge geäußert, dass Mendoza das Idol an den Meistbietenden verkaufen wird, wenn es nicht wiederbeschafft wird, und er beharrt darauf, dass das nicht passieren darf.«

»Zehn Millionen Mäuse?«, wiederholte Ryan.

Eden ignorierte ihn. »Bei dieser Operation werdet ihr mit Jack Camacho zusammenarbeiten. Die USA wollen einen amerikanischen Agenten bei der Mission dabeihaben, und er hat Erfahrung mit euren Methoden«, sagte er und warf Scarlet einen Blick zu.

»Jack Camacho?«, sagte Lea.

»Ganz genau.«

»Moment«, sagte Scarlet. »Wieso wollen die verdammten Amerikaner auf einmal mitmischen? Das ist unsere Aufgabe.«

»Hey!«, sagte Alex. »Ich bin Amerikanerin!«

»Sorry …«

Eden fuhr fort. »Nicht mehr, seit sich Mexiko-Stadt und Otmar Wolff eingeschaltet haben. Die CIA will einen Insider, und dieser Insider ist Camacho. Ich möchte, dass ihr alle vor einer halben Stunde im Flieger nach Zürich sitzt.«

»Zürich?«, fragte Lexi. »Ich dachte, wir fliegen nach Liechtenstein?«

»In Liechtenstein gibt es keine Landebahnen«, sagte Eden. »Einen meiner Jets dort zu landen, könnte also ein wenig problematisch sein. Ich habe arrangiert, dass ihr Vincent Reno und Jack Camacho in der Schweiz trefft, und die werden euch über die Grenze fahren.«

»Mir gefällt der Gedanke, für einen Dritten zu arbeiten, trotzdem nicht«, sagte Lea.

Eden runzelte die Stirn. »Das Konsortium hat das Thema besprochen und der Konsens lautet, dass wir ebenso gut das Geld einstreichen können, wenn man bedenkt, dass Mexiko City bereits entschieden hat, dass das Idol an Wolff geht. Schließlich ist das hier keine Fantasie-Insel. Man braucht bares Geld, um einen Ort wie diesen und unsere Missionen zu betreiben. Wir lehnen keine zehn Millionen Dollar ab, also findet ihr einen Weg, mit Wolff zusammenzuarbeiten, und zwar mit einem Lächeln im Gesicht.«

Maria seufzte. »Aber wenn Ryan recht hat, dann könnte das Idol die einzige Möglichkeit sein, Atlantis zu finden.«

»Das ist mir bewusst, aber die Statue gehört nicht uns, wenn die Mexikaner Anspruch darauf erheben, was sie auch tun.«

Hawke ergriff das Wort. »Wenn Ryan recht hat und die Statue irgendwie damit zusammenhängt, brauchen wir nur einen Blick darauf zu werfen, richtig?«

Ryan zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Soweit wir wissen, könnte dieser Wolff auch auf der Suche nach Atlantis sein.«

Eden schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Soweit ich über den Kerl Bescheid weiß, interessiert er sich für Weltkulturen, aber nichts deutet darauf hin, dass er auf Schatzsuche steht, und schon gar nicht, dass er jemals Interesse an Mythologien und Legenden bekundet hat.«

»Mit anderen Worten: Er weiß nicht, was er kauft«, sagte Scarlet.

»Kann sein«, antwortete Eden. »Auf jeden Fall wurden wir beauftragt, das Götzenbild für ihn zu beschaffen, und er will euch das Geld bar geben, also nehmen wir den Auftrag an. Wenn wir das Idol unterwegs für unsere anderen Missionen verwenden können, umso besser, aber was immer geschieht, ich befehle euch, zuerst das Idol zu beschaffen und dann Atlantis zu finden.«

Tiefes Schweigen senkte sich über den Raum. Hawke wusste, dass Eden noch nie eine so große und wichtige Mission befohlen hatte, und er wusste auch, dass das ECHO-Team fast keine Anhaltspunkte hatte. Außer dem goldenen Götzen. Sie hatten das rätselhafte Idol zum ersten Mal im Altarraum des Tempels von Mictlantecuhtli gesehen, aber nicht sehr lange. Die Hitze des Gefechts hatte ihnen nur einen kurzen Blick darauf erlaubt, bevor Silvio Mendoza es sich geschnappt hatte und aus dem Chaos geflohen war.

Ryan hatte mehr Zeit damit verbracht, während er darauf gewartet hatte, dem Gott der Toten geopfert zu werden, und sein fotografisches Gedächtnis hatte ein dauerhaftes Bild des Idols in seinen Kopf eingebrannt. Außerdem hatten sie jetzt das Walhalla-Götzenbild und die Mictlan-Piktogramme, aber das waren nur Bruchstücke, keine eindeutigen Hinweise auf die am schwersten fassbare und allbekannteste verlorene Zivilisation der Geschichte. Er wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte.

Die plötzliche Rede von »Elternkulturen« hatte ihn genauso durcheinandergebracht wie die anderen. Sie wussten einfach nicht, womit sie es zu tun hatten, und dank seiner früheren militärischen Erfahrung war ihm klar, dass die Kenntnis des Feindes eine wichtige Regel der Kriegsführung war, die nur Narren ignorierten.

»Stellen wir eine Verbindung zwischen den Athanatoi und Atlantis her?«, fragte er schließlich.

Weiteres Schweigen.

»Es ist zu früh, um das zu sagen«, antwortete Eden und sah Ryan an. »Meinst du nicht auch?«

»Doch«, sagte Ryan selbstsicher. »Wir wissen so gut wie nichts über die Athanatoi, abgesehen von der Tatsache, dass sie sich selbst als die Unsterblichen bezeichnen und wahrscheinlich in den Mord an Leas Vater verwickelt sind.«

Hawke bemerkte den Blickwechsel zwischen Ryan und Lea. Einst verheiratet, teilten sie so viele Erinnerungen, und ihre Vergangenheiten waren miteinander verwoben wie geflochtene Haare. Er räusperte sich mit einem Husten. »Es gibt noch mehr, was ich euch nicht erzählt habe.«

Alle drehten sich zu ihm um, einschließlich des stirnrunzelnden Gesichts von Sir Richard Eden. Auch das hatte ihn genauso gequält wie das geheimnisvolle Idol, und jetzt war es an der Zeit, die Last von sich abzuwerfen.

»Und das wäre?«, fragte Lea mit schmalen Augen.

»Ihr wisst alle, dass ich die Matheson-Sache beendet habe.«

»Das ist der Euphemismus des Jahrhunderts«, sagte Scarlet.

Er warf ihr einen Blick zu, antwortete aber nicht auf ihre Bemerkung. »Als ich Matheson getötet habe, hat er mir etwas über sich erzählt.«

Scarlet schnippte mit den Fingern. »Dass er der Del-Monte-Mann ist?«

»Nein«, sagte Hawke, zu nervös, um darauf einzugehen. »Er hat mir erzählt, dass er unter der Kontrolle eines Mannes namens Orakel stand.« Er suchte die Gesichter seiner Freunde nach einer Reaktion ab, fand aber nur aufmerksame Erwartung.

Lea berührte seine Hand. »Red weiter, Joe.«

»Er hat mir gesagt, dass dieses Orakel die Operation Swallowtail gegen meine Frau befohlen hat und dass es vergebliche Liebesmüh wäre, ihm nachzujagen.«

»Klingt nach einem Job für dich«, sagte Scarlet.

»In seinen eigenen Worten«, fuhr Hawke fort, senkte die Stimme und sah Scarlet nicht einmal an, »hat er außerdem gesagt, dass die Jagd auf diesen Mann eine Einbahnstraße wäre, und er hat stark angedeutet, dass er extrem mächtig ist. Dass er über den Regierungen steht.«

Eden fixierte den Blick auf Hawke und veränderte seine Sitzposition. »Denkst du, dass dieses Orakel mit den Athanatoi in Verbindung steht?«

Hawke nickte. »Fast ohne Zweifel. Wenn nicht, wäre das alles ein zu großer Zufall, und ich glaube nicht an Zufälle, wie ihr alle wisst.«

»Ich finde, wir sollten das als Fortschritt betrachten«, sagte Alex. »Wir wissen von den Athanatoi und vielleicht wissen wir jetzt auch, wer ihr Anführer ist. Damit können wir arbeiten.«

Eden nickte. »Ja, können wir.«

»Da ist noch mehr«, sagte Hawke. Seine Stimme war beinahe ein Flüstern. Er drehte sich zu Lea um. »Als Ryan vorhin gesagt hat, dass die Athanatoi wahrscheinlich in den Tod deines Vaters verwickelt sind … Das ist mehr als nur wahrscheinlich. Matheson hat angedeutet, dass dieser Orakel-Kerl in irgendeiner Weise mit deinem Vater in Verbindung stand. Er hat gesagt, dein Vater war die Katze, deren Neugier ihr Tod war.« Er streckte die Hände aus und hielt Lea an den Armen. »Es tut mir leid.«

Lea nickte und presste die Lippen zusammen, fest entschlossen, nicht zu weinen. »Wie Alex gesagt hat«, antwortete sie schließlich. »Das ist ein Fortschritt.«

»Und wenn es jemanden gibt, der genial genug ist, das alles zu entschlüsseln, dann bin ich das«, sagte Ryan ohne den Anflug eines Lächelns.

»Verrückt genug, meinst du wohl«, warf Scarlet ein. »Aber ja … okay.«

Eden seufzte. »Gut, dann macht euch auf den Weg.«

»Nicht noch mehr Rumgerenne«, sagte Ryan seufzend.

»Was ist los, Kumpel?«, sagte Hawke und stieß sich vom Tisch ab. »Kannst du nicht mithalten?«

»Ich kann jederzeit mit dir mithalten«, sagte Ryan, aber nicht sehr überzeugend.

»Mit dir mithalten, Schätzchen?«, spottete Scarlet und rieb Hawkes Bauch. »Noch ein bisschen mehr da unten und wir müssen dich Joe Speck nennen.«

Alle lachten, und sogar Eden lächelte leicht, als er den Fernseher ausschaltete.

»Ja … danke, Cairo«, sagte Hawke und gab seinem Bauch einen beruhigenden Klaps.

Kapitel 5

Die kleine Gruppe aus Männern und Frauen saß in angespanntem Schweigen an dem großen Konferenztisch, während sie auf die Ankunft ihres Anführers warteten. Als er kam, sprangen sie aus Respekt vor ihm auf, bis er mit der Hand winkte und andeutete, dass sie sich wieder setzen durften. Das Orakel betrachtete sie mit beinahe so etwas wie Verachtung. Hier, in diesem Raum, in dem er bei so vielen Gelegenheiten von verschiedenen Königen, Königinnen, Präsidenten, Premierministern, Staatssekretären und führenden Männern des Militärs und der Kirchen der Welt besucht worden war, sah er sich nun den aschfahlen Gesichtern seiner engsten Berater gegenüber. Sie alle hatten ihm Loyalität geschworen, aber für das Orakel waren sie nur so viel wert wie ihr letzter Akt der Hingabe an die heilige Sache.

»Update«, sagte er.

»Keine Spur von den Mexikanern.«

»Habe ich das richtig gehört?«, fragte er leise. »Haben Sie mir gerade gesagt, dass all unsere Ressourcen nicht ausgereicht haben, um den Dieb von Mictlan und seinen Komplizen zu finden?«

Die synchron nickenden Köpfe gaben ihm die gewünschte Antwort, aber er war ihre entsetzten, kriecherischen Gesichter leid und drehte sich auf seinem Platz um, um stattdessen aus dem Fenster zu sehen. Dort draußen, auf der anderen Seite des tosenden Meeres, das er so gut kannte, lagen viele der Antworten, nach denen seine Feinde suchten, und sogar einige, von denen sie nicht einmal wussten, dass sie existierten. Aber … 

Nicht einmal er kannte alle Antworten. Auch er war auf der Suche nach etwas. Etwas, das viel älter und umfassender war, als es die Mitglieder des ECHO-Teams auch nur im Ansatz begreifen konnten, und seine größte Angst war, dass diese Narren darüber stolpern würden wie ein Betrunkener über einen Bordstein … wie ein Kind, das eine geladene Schrotflinte entdeckt … 

Und was dann?

Was wäre, wenn solche kleinen Menschen die Wahrheit erführen? Sie wären erschüttert und verängstigt, aber das bedeutete ihm nichts. Seine Sorgen traten seinen Verstand mit Füßen, wilden Pferden gleich, besonders nachts. Dort gab es eine Macht, das wusste er … Sie hatten eine große Macht vor ihm und seiner Art verborgen, aber jetzt musste er sie einfach finden. Niemals dürfte sie in die Hände von jemandem wie Richard Eden fallen, noch weniger in die von Joe Hawke oder Lea Donovan. Allein die Vorstellung war absurd. ECHO … 

»Und ECHO?«, fragte er. Die Worte waren kaum ein Flüstern.

»Die meisten Mitglieder sind auf der Insel, soweit wir das beurteilen können. Alle außer dem Franzosen.«

Er ballte die Fäuste und fluchte leise. Er hatte zu viele Kriege mit Mächten zu führen, die ECHO wie einen Korb voller Kätzchen aussehen ließen, und dennoch trieb ihn ihre Hartnäckigkeit in den Wahnsinn. Er atmete langsam und tief ein, um die Anspannung in seinen Schultern zu lösen, und reckte dann den Kopf zur Seite, um seinen steifen Nacken zu entspannen.

Er erhob sich vom Stuhl und schlenderte über den Teppich zum getönten Fenster, ohne den Blick von den Wellen zu nehmen, die sich zu weißen Pferden formten und dann in das dunkle Grau des Meeres stürzten. Ohne das Dokument, das er im Tresor des Geheimbundes gefunden hatte, hätte er sich niemals dazu durchringen können, es zu glauben, aber dort stand es schwarz auf weiß. Unbestreitbar, erheiternd und doch … erschreckend.

Es war an der Zeit, seinen Kampf mit ihnen auf die nächste Stufe zu heben, und das bedeutete, ihre kostbare Insel auszuradieren. Er hatte Gefallen an der Aussicht darauf und hielt die Aufgabe für nichts anderes, als kochendes Wasser in ein Ameisennest zu gießen. Ja. Er stimmte seinen eigenen Gedanken mit einem Nicken zu. Es war an der Zeit, Elysium zu zerstören, und er kannte genau den richtigen Mann für diese Aufgabe.

***

Da Zürich nur noch wenige Minuten entfernt war, brachte Lea ihren Sitz in die aufrechte Position zurück und ging zur Galley, um sich ein Glas Wasser zu holen. Im vorderen Teil des Flugzeugs spielten Lexi und Scarlet Poker. Hawke war kurz nach dem Start eingeschlafen und wurde gerade erst wach. Auch Ryan war eingeschlafen und lag nun ausgestreckt in seinem Sitz, seinen Laptop neben sich. Maria saß neben ihm, ebenfalls schlafend, mit dem Kopf auf seiner Schulter. Sie musste zugeben, dass sie trotz ihrer Zweifel an ihrer Beziehung alle eines Besseren belehrt hatten und länger zusammengeblieben waren, als alle erwartet hatten.

Sie trank das Wasser aus, und nachdem sie den Pappbecher in den Mülleimer geworfen hatte, machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Sitz. Unterwegs blieb sie stehen, um Ryan und Maria zu wecken. Als sie aus dem Fenster sah, schätzte sie, dass sie nicht höher als fünftausend Fuß waren und die Landung unmittelbar bevorstand, also schnallte sie sich an und sah zu, wie Zürich auf sie zu sauste, um sie zu begrüßen.

Während ihr Jet durch den kalten Himmel über der Schweiz hinabstieg, dachte sie noch einmal darüber nach, was Eden in seinem Briefing gesagt hatte. Sie alle wollten das Idol von Mictlan; schließlich hatten sie das von Walhalla, und sie hatten angenommen, dass sie es bekommen würden. Aber das war falsch. Sie waren keine Diebe. Sie waren die Guten. Und wenn die mexikanischen Behörden Wolff den Verkauf des Götzenbildes bereits zugesagt hatten, konnten sie nichts dagegen tun. Ihnen blieb nur übrig, das Idol für ihn zu beschaffen, aber dafür zu sorgen, dass sie genug Zeit hatten, es zu studieren, bevor sie es ihm überreichten.

Draußen quietschten die Reifen auf der Rollbahn, und das Dröhnen der Umkehrschubdüsen brachte sie in die Realität zurück. Wenige Augenblicke später stiegen sie aus, und nachdem sie den Zoll passiert hatten, entdeckten sie Jack Camacho, der in der Ankunftshalle auf sie wartete. Er war mit einem Flugzeug der amerikanischen Regierung aus Washington D.C. eingeflogen und eine Stunde vor ihnen angekommen. Er gab allen einen ernsten Händedruck, außer Scarlet, die, wie Lea bemerkte, eine Umarmung und einen Kuss auf die Wange bekam.

Auf dem Parkplatz folgten sie dem Amerikaner zu einem ramponierten Land Rover Discovery mit französischen Nummernschildern. Lea beugte sich hinein und sah Vincent Reno am Steuer. »Bonsoir«, sagte er mit einem breiten Grinsen und einem freundlichen Kopfnicken.

»Monsieur Reaper ist von seinem Haus in der Provence hergefahren«, sagte Camacho.

»Nur sechs Stunden für normale Menschen«, sagte der Franzose. »Oder fünf, wenn man fährt, wie ich.« Er tätschelte das Lenkrad liebevoll. »Ich nehme sie hart ran.«

»Ich sag dazu gar nichts«, sagte Scarlet.

»Mal was ganz Neues.«

»Wenigstens sehe ich nicht wie Hulk Hogan aus!«, sagte sie.

»Wer zum Teufel ist Ulk Ogan?«, sagte Reaper.