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Richard Rohr, Franziskanerpater und Weisheitslehrer, umkreist in seinem neuen Buch das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes - Gott Vater, Jesus Christus und der Heilige Geist. Er entdeckt: Die christlichen Wüstenväter verwendeten dafür das griechische Wort perichoresis, das sich am besten mit "tanzen" übersetzen lässt. Bei allen tiefgreifenden Gedanken, die die Mönche sich damals machten, war das beste Bild, das sie für das Wesen Gottes finden konnten, das eines Tanzes, der niemals enden wird, der wie ein Strom dahinfließt. Aber Gott ist kein Tänzer. Er ist der Tanz selbst. Und lädt alle ein, ein Teil davon zu werden, wenn wir mit ihm im Einklang leben. Wer sich auf dieses Bild einlässt, wird durch das neue Buch von Richard Rohr viele Impulse für ein intensives, erfüllendes Leben mit Gott entdecken.
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Seitenzahl: 335
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Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag Whitaker House, New Kensington, unter dem Titel „The Divine Dance“.
© 2016 by Richard RohrDie Bibelzitate wurden den folgenden Bibelübersetzungen entnommen:
Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GN)
Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica Inc.® Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel. Alle weiteren Rechte weltweit vorbehalten. (HFA)
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ)
Neue Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft (NGÜ)
Neues Leben. Die Bibel, © 2002 und 2006 SCM R. Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten (NL)
Einheitsübersetzung, © 1980 Kath. Bibelanstalt GmbH, Stuttgart (EÜ)
Elberfelder Bibel, © 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten (ELB)Copyright der deutschen Ausgabe © 2017 adeo Verlag
in der Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar1. Auflage September 2017ISBN 978-3-86334-787-1Umschlaggestaltung: Die guten BotschafterSatz: Uhl + Massopust, Aalenwww.adeo-verlag.de
RICHARD ROHR
Für alle Ahnungslosen, die nicht wissen, dass sie schon mitten im Fluss sind.
MIKE MORRELL
Für meine Töchter Jubilee Grace und Nova Rain. Ihr verkörpert die unerwarteten Bewegungen des Heiligen Geistes in meinem Leben.
INHALT
„Sechs unmögliche Dinge vor dem Frühstück“
Dreieinigkeit – der Tanz
Ein Platz am Tisch Gottes
Eine Lücke im Ganzen
TEIL 1 – DIE REVOLUTION DER DREIEINIGKEIT
Ein geistlicher Paradigmenwechsel
Staub aufwirbeln erwünscht
Mathematische Probleme
Die Beziehung ist der Motor
Mögen die Metaphern mit dir sein!
Ein gespiegeltes Universum
Verletzlichkeit
Die Weisheit der Schwäche
Die Freuden der Diversität
Die Welt in einem Wort
Unser Bild neu formen
Atomare Verbindungen
Schöpfer und Zerstörer
Aristoteles und Boethius: der Preis des Substantivs
Scotus und Merton: Zurück zum Verb
Vollkommene Freiheit
Fortsetzung der Schöpfung
Verlorene Paradigmen
Deutliche Vereinigung
Waschmittelpakete im Supermarkt
Die falschen Leute lieben
Nur die Leere kann die Fülle empfangen
Zwischenraum
Wie das Gesetz der Drei alles verändert
Ist es ein Junge oder ein Mädchen?
Die Kraft konzentrischer Kreise
Richard von St. Victor und die höchste Freude
Das Paradox der rastlosen Zufriedenheit
Körperwissen
Die Vielen gehören zum Einen
Zutritt zum göttlichen Kraftfeld
Andersartigkeit erschaffen
Und nun?
TEIL 2 – WARUM DIE DREIEINIGKEIT? UND WARUM JETZT?
Drei Gründe, um gesund zu werden
Was hindert uns an echter geistlicher Erfahrung?
Zwei Wege zum Durchbruch
Die überraschende Kraft des Leids
Sühne oder Einssein?
Und was ist mit dem Zorn Gottes?
Unseren Horizont erweitern
Stille: der Vater
Die lebendige Manifestation: der Christus
Die Dynamik im Inneren und in den Zwischenräumen: der Heilige Geist
TDS – Trinitäts-Defizit-Syndrom
Der abwesende Vater
Der Sohn: Hast du mich gesehen?
Der unnachgiebige Antrieb des Geistes
Gebet von innen nach außen
Das ursprünglichste Gebet
Transzendenz-Defizit-Syndrom
Interreligiöse Freundschaft
Müssen wir über die Sünde reden?
Zugang durch eine andere Tür
Da sein
Eine erstaunliche Kette des Seins
Die Dreieinigkeit in vergangener Ewigkeit
Die wildeste Welle
Reale Präsenz
Sein und werden
Essenzielle Ekstase
Zu gut, um wahr zu sein?
Die Menschwerdung ist das Evangelium
Blut und Vergebung
Die große Anziehung
TEIL 3 – DER HEILIGE GEIST
Vollständige Versöhnung
Die göttliche Energie
Alles ist heilig
ANHANG
Die Dreieinigkeit erleben – sieben Übungen
1. Bewegung – das Zeichen des Kreuzes
2. Schritte – eine Meditation im Gehen
3. Beobachten
4. Atmen
5. Sehen – im Dunkeln
6. Lobpreis – eine Litanei zur Anrufung des Heiligen Geistes
7. Funken der Weisheit
DANK
ÜBER DIE AUTOREN
ANMERKUNGEN
EINER allein
kann nicht Liebe sein
oder Lachen
oder Singen.
EINER allein
kann in Bewegung bringen
unkennbar
untrennbar
Alles.
Und wenn Alles in Allem ist und alles Einer ist
dann ist Einer allein
auf sich selbst bezogen
keine Liebe
kein Lachen
kein Singen.
ZWEI
Ying und Yang
Dunkel und Licht
Männlich und weiblich
Widerstreitende Pole
bestärken Böse und Gut
und streben nach Gleichgewicht
Im besten Fall Gegenüber
Aber niemals Gemeinschaft
DREI
Von Angesicht zu Angesicht zu Angesicht
Gemeinschaft
Mehrdeutigkeit
Geheimnis
Liebe füreinander
Und Liebe für die Liebe der anderen
Ineinander
Auf die anderen bezogen
Sich hingebend
Liebend
Singend
Lachend
Etwas Viertes wird erschaffen
immer geliebt und voller Liebe.
Beziehungen waren schon immer der unberechenbare Faktor, der Überraschungsgast, der mitten in unseren Plänen auftaucht, in unseren Seifenblasenideen von Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit. Und sie offenbaren immer wieder, dass der Kaiser nackt ist. Wenn Sie auch nur am Rand einer Beziehung herumschlittern, geben Sie sich dem Geheimnisvollen hin und verlieren die Kontrolle. Eine Ehe wäre so viel einfacher, wenn keine zweite Person dabei wäre. Aber dann hätte sie auch keine Bedeutung mehr. Beziehungen sind kompliziert, vergänglich, chaotisch, stärkend, bezaubernd und zornerregend. Sie sind berauschend und frustrierend, riskant und entlarvend und zu schön, um es in Worte zu fassen. Es gibt Augenblicke, da glauben wir, jetzt hätten wir unsere Welt zumindest ansatzweise im Griff. Und – zack – kommt jemand und wirft alles komplett wieder über den Haufen.
Und doch sind es Beziehungen, die dem Kunstwerk unseres Lebens den Hintergrund und Rahmen geben. Ohne sie würden unsere Farben sich in einer formlosen Dunkelheit und Leere auflösen, würden auf den Heiligen Geist warten, um sie einzusammeln und mit allen Schattierungen und Abstufungen in uns hineinzuatmen.
Schlechte Theologie ist wie Pornografie: die Vorspiegelung einer Beziehung ohne das Risiko einer solchen. Sie beruht auf Transaktionen und Lehrsätzen statt auf Beziehung und Geheimnis. Man muss niemandem vertrauen und niemanden mögen. Sie wird zu einer Übung in Selbstbelohnung und entmenschlicht schließlich das Ich und die Gemeinschaft, um die schmerzhaften Prozesse der Demut und des Vertrauens zu umgehen. Schlechte Theologie ist kein opferloses Verbrechen. Sie entfernt Gott von den Menschen und verwandelt das Wunder und das geheimnisvolle Chaos inniger Beziehung in ein billiges Poster, das man benutzen und wegwerfen kann.
Aber wir hören da etwas kommen; es klingt wie ein Nachtzug, der sich durch die Wüste nähert. Wir hören ihn nicht nur aus der Ferne, sondern wir spüren ihn, wenn wir die Hand auf den Boden legen, ebenso wie im Wasser, im zerrissenen Brot und im eingegossenen Wein. Das Gerücht tief in unserer Seele sagt uns, dass eine Feier stattfindet, und wir können kaum glauben, dass wir eingeladen sind. Kann es sein, dass man sogar einen Trinkspruch auf uns ausbringt? Kann es sein, dass sich eine Hand zu uns ausstreckt und uns zum göttlichen Tanz auffordert; dass uns jemand ins Ohr flüstert, wir seien seit jeher dafür gemacht? Und so warten wir auf den Kuss, auf den Atemzug – ein, aus –, der unser schlafendes Herz zum Leben erweckt. Denn ja, wir sind dafür gemacht, vollkommen gefunden von unwiderstehlicher Zuneigung.
Es gibt eine Gemeinschaft intelligenter Mystiker, die voller Mitgefühl und Authentizität über diese Dinge sprechen und uns daran erinnern, dass auch wir eingeladen sind. Richard Rohr und Mike Morrell gehören zu ihnen. Sie rufen uns heraus und laden uns dazu ein, aktiv zu verändern, was wir in unser Herz lassen. Wir dürfen an dem göttlichen Tanz teilnehmen, sollen lieben und uns lieben lassen.
Wir haben beobachtet, wie das Wasser in den letzten paar Hundert Jahren zurückgegangen ist und wie mit ihm auch die Hoffnung abebbte. Aber wenn wir neu entscheiden, was wir in unser Herz lassen, dann erkennen wir: Wir sind nicht verlassen oder aufgegeben worden, und was wir zu verlieren glaubten, war in Wirklichkeit ein Sammeln. Eine Flut aus vielen Stimmen erhebt sich zu einer Fontäne des Lebens, die auch die Träume mitnimmt – Träume voller Erwartung und chronischem Staunen und sehnsüchtiger Liebe – zu einem Scheitelpunkt einer neuen Reformation, einer „Renaissance“ (Wiedergeburt).
So wundervoll jede Erweckung gewesen sein mag, es war nie genug. Wir haben erlebt, wie die alten Schläuche zerrissen sind und der blutrote Wein in die Erde sickerte. Wer Augen hat zu sehen, erkennt die Springflut lebendigen Wassers, die auf diesen Planeten hinunterregnen wird. Und diejenigen, deren Augen noch nicht geheilt sind, die blind geboren sind … wir können es zwar nicht sehen, aber spüren.
Die Kinder dieser kommenden Re-Formation unseres gesamten Denkens und Sehens werden schnell und leicht darauf reagieren. Die Herrscher und Lenker werden mehr Arbeit machen. Aber wir dürfen sie nicht aufgeben, denn die Liebe lehnt kein Stück Brot und keinen Tropfen Wein ab.
Dieses Buch stimmt in die vielen anderen Rufe ein, die Machtstrukturen anfechten und Beziehungen feiern. Wer einmal die tiefen Geheimnisse erkannt hat, die hier liebevoll enthüllt werden, kann sie nicht ungesehen machen. Wer sie einmal gehört hat, kann nicht mehr zurück. Nicht einmal großes Leid kann das Lächeln des Herzens auslöschen.
Gott, du hast nie eine niedrige Meinung von der Menschheit gehabt.
Mögen unsere Augen geheilt werden, vor allem dann, wenn wir blind geboren wurden. Damit wir sehen, was du tust.
Mögen unsere Ohren geöffnet werden für die heilende Musik, sodass wir die herrliche Kompliziertheit der Unterschiede feiern können und selbst in der Dissonanz hören, dass wir als Melodie in die dreistimmige Harmonie eingebettet sind.
Möge unser Mut wachsen, Vertrauen zu wagen und in der Gnade jedes einzelnen Tages zu leben. Die Grenzen der Strukturen von Macht und Kontrolle zu überwinden und die Mauern niederzureißen, die unsere Gesichter verstecken.
Mögen wir in uns das ewige Leben Jesu spüren, das durch unsere Hände fließt, damit wir heilen, halten und umarmen. Und mögen wir das Brot unserer Menschlichkeit feiern, die Heiligkeit des Gewöhnlichen und die Teilhabe an der Dreieinigkeit.
William Paul Young
Autor von Die Hütte, Der Weg und Eva
Am Sonntag Trinitatis 2016
„Sechs unmögliche Dinge vor dem Frühstück“
Die heilige Dreieinigkeit gilt als wichtige, wenn nicht als die wichtigste Grundannahme des gesamten christlichen Glaubenssystems. Und gleichzeitig sagt man uns – jedenfalls sagte man mir das, als ich ein kleiner Junge war –, wir sollten gar nicht versuchen, sie zu verstehen.
„Glaubt einfach daran!“, wurden wir ermahnt, und damit hatte es sich. Unsere irischstämmige Lehrerin Schwester Ephrem zeigte ihrer vertrauensvollen dritten Klasse ein Kleeblatt als Illustration. Und wir glaubten. Wenn auch vielleicht nicht an die Dreieinigkeit, dann doch auf jeden Fall an den ernsthaften irischen Glauben der Schwester. Obwohl – vielleicht kommt gerade so der göttliche Fluss in Gang: indem man ein bisschen ernsthafte Güte teilt.
Trotzdem, es war ein Geheimnis. Eine Art mathematisches Rätsel, mit dem unsere Fähigkeit getestet werden sollte, unmögliche Dinge für wahr zu halten. Insgesamt hätte man den Eindruck bekommen können, meine vorkonziliare katholische Erziehung hätte unter der Überschrift „Glaube noch vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge“ gestanden. Später stellte ich allerdings fest, dass meine protestantischen Freunde eine ähnliche Herangehensweise an den Glauben gelernt hatten. Bei ihnen ging es nur um andere Unmöglichkeiten, in der Regel gewisse Dinge, die in der Bibel standen. Innere Erfahrungen des Einzelnen schienen bei ihnen auch nicht mehr geschätzt zu werden als bei uns.
Und jetzt sitze ich hier, etwa sechzig Jahre später, und versuche, dieses undurchdringliche Geheimnis anzupacken. Wollen wir es gemeinsam wagen?
Ich glaube nämlich, dass dies der einzige Weg ist, um mitzutanzen …
Dreieinigkeit – der Tanz
Beginnen wir mit einer schockierenden und oft zitierten Idee von Karl Rahner, dem deutschen Jesuiten, der so großen Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil hatte. In seinem Klassiker „The Trinity“1 schreibt er:
„Christen sind im praktischen Leben fast reine Monotheisten. Wir müssen zugeben: Sollte die Lehre von der Dreieinigkeit aus irgendeinem Grund als falsch fallen gelassen werden, könnte der größte Teil der religiösen Literatur gut und gern unverändert bleiben.“
So sah es tatsächlich aus, bis William Paul Young vor zehn Jahren seinen Roman Die Hütte schrieb, der ein Weltbestseller wurde.2 Zum ersten Mal seit dem 4. Jahrhundert wurde die Dreieinigkeit tatsächlich zu einem inspirierenden Gesprächsthema, das an heimischen Küchentischen und in Restaurants aufs Angeregteste diskutiert wurde und interessante Fragen aufwarf. Und es geht immer weiter!
Aber wie kann es sein, dass die Dreieinigkeit 17 Jahrhunderte lang quasi verschollen war? Könnte ihre Abwesenheit ein Hinweis darauf sein, dass wir mit unserem Verständnis des Christentums noch in den Kinderschuhen stecken? Könnte es uns helfen, die Unwirksamkeit und den Mangel an echter Veränderung zu verstehen, die wir in großen Teilen der christlichen Welt beobachten? Wenn man den Mittelpunkt eines Gebäudes verschiebt, wird das gesamte Konstrukt in sich instabil.
Die Dreieinigkeit beschreibt das Herz des Wesens Gottes, und dennoch hat sie so gut wie keine praktischen oder seelsorglichen Auswirkungen in unserem Leben … wenn wir sie morgen einfach aus den Büchern streichen könnten und sie wäre nur eine unwesentliche, unwirksame Lehrmeinung, die man vergessen kann … dann ist sie entweder nicht wahr, oder wir verstehen sie nicht.
Da Sie dieses Buch lesen, vermute ich, dass Sie irgendwie glauben, dass die Dreieinigkeit der Wahrheit entspricht. Im Folgenden werde ich diese paradoxe Vorstellung vom Wesen Gottes umkreisen. Denn „umkreisen“ ist tatsächlich ein passender Begriff für den Versuch, dieses Geheimnis zu verstehen. Eine andere Art, mit einem Geheimnis wertschätzend umzugehen, gibt es nicht.
Ein Geheimnis ist nicht etwas, was wir nicht verstehen können, sondern etwas, was wir endlos begreifen. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem wir sagen können: „Jetzt hab ich’s!“ Das Geheimnis hat uns, immer wieder und in alle Ewigkeit.
Wir können es tatsächlich nur umkreisen. Unser Reden von Gott ist eine einzige Suche nach Vergleichbarkeiten, Analogien und Metaphern. Alle theologischen Begriffserklärungen sind immer Annäherungen, die wir in heiliger Ehrfurcht vorsichtig tastend anbieten. Mehr kann menschliche Sprache nicht leisten. Wir können sagen: „Es ist wie …, Es ist so ähnlich wie …“, aber wir können nie sagen: „Es ist …“. Denn wir bewegen uns im Bereich des Jenseitigen, der Transzendenz, des Mysteriums. Und wir müssen uns – absolut! – eine grundsätzliche Demut vor dem großen Geheimnis bewahren. Wenn wir das nicht tun, betet Religion nur sich selbst und ihre eigenen Formulierungen an, aber nicht Gott.
Die sehr mystisch veranlagten kappadozischen Wüstenväter, die im 4. Jahrhundert im Osten der heutigen Türkei lebten, entwickelten eine höchst ausgefeilte Vorstellung von dem, was bald darauf als „Dreieinigkeit“ oder „Dreifaltigkeit“ bezeichnet wurde. Es brauchte drei Jahrhunderte des Nachdenkens über die Evangelien, bis jemand den Mut fand, es auszusprechen, aber sie – und das gilt auch für ihren Vorgänger Paulus von Tarsus und später für Mevlânâ Rumi von Konya – näherten sich in konzentrischen Kreisen der besten Metapher, die sie finden konnten:
Was immer in Gott geschieht, ist ein Durchströmen, ein Ineinanderfließen, eine radikale Verbindung, eine vollkommene Gemeinschaft dreier Wesen – ein Kreistanz der Liebe.
Aber Gott ist nicht nur der Tänzer, er ist der Tanz selbst. Stellen Sie sich das vor! Das ist keine neue, trendige Theologie aus Amerika, sondern eine uralte Überlieferung. Traditioneller geht es kaum. Bruder Elias Marechal formuliert es folgendermaßen:
Die Wüstenväter beschreiben die Dreieinigkeit als Rundtanz, ein Geschehen, das seit sechstausend und sechs Mal sechstausend Jahren immer weitergeht und über die Zeit hinausreicht, als die Menschen die Zeit entdeckten. Eine endlose Strömung der Liebe bewegt sich unablässig, hin und her, vor und zurück, herum und hindurch. Ein Gleiten vom Vater zum Sohn und zurück zum Vater, in einer einzigen zeitlosen Bewegung. Dieser zirkulierende Strom der trinitarischen Liebe setzt sich Tag und Nacht fort. Der geordnete, rhythmische Prozess, in dem subatomare Teilchen sich in einer unglaublichen Geschwindigkeit drehen, ist ein Echo dieser Dynamik.3
Das ist es: Der „Kreistanz“ der Dreieinigkeit ist eine sehr traditionelle Beschreibung. Wenn man heute den Mut hätte, einen so riskanten Begriff zu verwenden, würde man vermutlich als Esoteriker – oder Häretiker – bezeichnet.
Und doch ist Gott der Tanz selbst, sagten die Wüstenväter.
Ein Platz am Tisch Gottes
Lassen Sie uns diesen göttlichen Tanz in einer rätselhaften Geschichte aus dem allerersten Buch jener Sammlung heiliger Texte ansehen, die wir die Bibel nennen.
Abraham wohnte bei den Eichen von Mamre, da erschien ihm der Herr wieder. Es war um die heißeste Zeit des Tages, und Abraham saß gerade am Eingang seines Zeltes. Als er aufblickte, bemerkte er plötzlich drei Männer, die ganz in der Nähe standen. Sofort sprang er auf, lief zu ihnen hinüber, verneigte sich bis zur Erde und bat: „Herr, bitte schenk mir deine Aufmerksamkeit und geh nicht einfach weiter! Ich lasse Wasser holen für eure Füße, ruht euch solange unter dem Baum aus; ich sorge für das Essen, damit ihr gestärkt weitergehen könnt! Ihr sollt nicht umsonst bei mir vorbeigekommen sein!“
„Einverstanden“, sagten die drei, „tu, was du dir vorgenommen hast!“
Abraham lief ins Zelt zurück und rief Sarah zu: „Schnell! Nimm 15 Kilo vom besten Mehl, das wir haben, rühr einen Teig an und backe Fladenbrote!“
Er lief weiter zu seiner Rinderherde, wählte ein zartes, gesundes Kalb aus und befahl seinem Knecht, es so schnell wie möglich zuzubereiten. Den fertigen Braten bot er dann seinen Gästen mit Sauerrahm und Milch an. Sie saßen im Schatten des Baums, und während sie aßen, stand Abraham daneben und bediente sie.4
Dieser Bericht gibt uns eine Menge zu kauen. Die Szene beginnt damit, dass „der Herr“ Abraham erscheint. Aber im Bereich sichtbarer Gestalten erscheint er ihm als „drei Männer“. In den Jahrhunderten des Nachdenkens, der Theologie und des Geschichtenerzählens, die auf die ursprüngliche Geschichte folgten, wurden die drei oft als Engel betrachtet, und vielleicht auch noch mehr. Abraham, der sich vor ihnen verneigt, scheint dieses „noch mehr“ intuitiv zu begreifen und lädt sie ein, etwas zu essen und sich auszuruhen. Er selbst nimmt nicht an der Mahlzeit teil, sondern beobachtet sie aus einiger Entfernung, „unter dem Baum“. Ein Platz am Tisch Gottes ist noch nicht vorstellbar.
Es scheint, als würden Abraham und Sarah den Höchsten in der physischen Anwesenheit der Drei sehen, und ihre erste instinktive Reaktion ist eine Einladung und Gastfreundschaft. Sie schaffen einen Ort, an dem die Drei essen und trinken können. Hier haben wir immer noch die Menschheit, die Gott nährt – es wird noch einige Zeit dauern, bis sich das Verhältnis in der Vorstellung der Menschen umkehrt. „Wir selbst sind sicher nicht an diesen göttlichen Tisch geladen“, nehmen sie an.
Diese einzigartige und facettenreiche Geschichte hat ein ebenso einzigartiges und facettenreiches Beispiel religiöser Kunst hervorgebracht. Es heißt „Die Gastfreundschaft des Abraham“ oder einfach (aus Gründen, auf die wir noch eingehen werden) „Die Dreifaltigkeit“.
Ich glaube, dass alle echte Kunst heilig ist. Bewusst „religiöse“ Kunst ist oft zu bemüht und rutscht dann in billige Gefühlsduselei ab. Aber die spezielle Form künstlerischen Ausdrucks, die uns in dem Bild „Die Dreifaltigkeit“ begegnet, die Ikonenmalerei, versucht über sich selbst hinauszuweisen und in den Betrachtern ein Gefühl für das „Darüber hinaus“ und gleichzeitig für die Gemeinschaft hervorzurufen, die in unserer Mitte existiert.
Das Bild des russischen Ikonenmalers Andrei Rubljow aus dem 15. Jahrhundert ist für viele die Ikone schlechthin. Und wie ich Jahre nach der ersten Entdeckung feststellen konnte, ist sie noch einladender als viele andere. Für mich ist sie das vollkommenste religiöse Kunstwerk aller Zeiten. In meinem Zimmer hängt schon seit langer Zeit ein Druck davon. Das Original ist in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt.
Es heißt, ein Künstler sei nur durch die Betrachtung dieser Ikone zu einem Nachfolger von Jesus geworden. Er soll ausgerufen haben: „Wenn dies das Wesen Gottes ist, dann bin ich ein Glaubender.“ Und ich kann ihn gut verstehen.
In Rubljows Ikone gibt es drei Grundfarben, die die Facetten des Heiligen illustrieren, die alle in den drei Gestalten enthalten sind.
Rubljow wählte Gold für den Vater – es symbolisiert Vollkommenheit, Fülle, Ganzheitlichkeit, die ultimative Quelle.
Blau – die Farbe von Meer und Himmel, die einander spiegeln –, nahm er für den Menschensohn: Gott, der in Jesus Christus die Welt und die Menschlichkeit annimmt. Deshalb sieht Rubljow Jesus blau. Mit seinen ausgestreckten zwei Fingern sagt er uns, dass er Geist und Materie, Göttlichkeit und Menschlichkeit in sich vereint – für uns.
Und dann gibt es das Grün, das den Geist repräsentiert. Hildegard von Bingen, die Benediktineräbtissin, Komponistin, Autorin, Philosophin, Mystikerin und Visionärin, die drei Jahrhunderte vor Rubljow lebte, nannte die endlose Fruchtbarkeit des Geistes „viriditas“, die Grünkraft, und meinte damit die göttliche Lebendigkeit, die alles erblühen und in immer neuen Schattierungen ergrünen lässt.
Hildegard war vermutlich inspiriert durch die üppige Vegetation der Umgebung ihres Klosters im Rheinland, das ich schon besucht habe. Rubljow wählte, in ebenso tiefer Ehrerbietung für die Natur, Grün als Farbe der „göttlichen Photosynthese“, die alles von innen her wachsen lässt, indem sie Licht in sich selbst verwandelt. Und genau das tut der Heilige Geist.
Das ist einfach großartig, oder?
Der eine Gott in dreifacher Gestalt isst und trinkt in unendlicher Gastfreundschaft und reiner Freude mit- und aneinander. Wenn wir die Darstellung Gottes in der Ikone „Die Dreifaltigkeit“ ernst nehmen, müssen wir sagen: „Im Anfang war Beziehung.“
Und diese Ikone lässt immer mehr Früchte wachsen, je länger man sie betrachtet. Jeder Teil ist sorgfältig komponiert und offensichtlich aus langer Reflektion entstanden: die Blicke, die zwischen den Dreien hin und her gehen, der tiefe Respekt, mit dem sie aus einer gemeinsamen Schüssel essen. Und achten Sie auf die Hand des Heiligen Geistes, die auf den freien, vierten Platz am Tisch deutet. Es scheint, als würde der Heilige Geist jemanden einladen, einen Platz anbieten und Raum schaffen. Wenn es tatsächlich so ist – für wen?
Eine Lücke im Ganzen
So großartig diese Ikone – und die in ihr dargestellte Gemeinschaft – auch ist, etwas fehlt doch. Die Drei sitzen um einen Tisch, und wenn man von vorn auf den Tisch schaut, scheint da ein kleines rechteckiges Loch zu sein. Die meisten Betrachter übergehen es, aber Kunsthistoriker sagen, dass es an dieser Stelle Klebstoffreste gibt, die darauf hindeuten, dass dort vielleicht einmal ein Spiegel war.
Wenn Sie nicht aus einem orthodoxen, katholischen oder anglikanischen Umfeld stammen, finden Sie daran vielleicht nichts Besonderes, aber Sie sollten wissen, dass dies ein sehr ungewöhnliches Element in einer Ikone wäre. Normalerweise würde man eine heilige Ikone nicht mit einem echten Spiegel versehen. Wenn es so wäre, dann wäre das wirklich einzigartig und sehr mutig.
Vielleicht hatte Rubljow einen kühnen Moment, als er die Ikone fertigstellte. Oder der Spiegel wurde später hinzugefügt – wir wissen es nicht.
Aber können Sie sich vorstellen, was dieser Spiegel bedeutet? Es ist schon erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt: An diesem Tisch war Platz für eine vierte Person.
Für den Betrachter.
Für Sie!
Es ist eine der wichtigsten Entdeckungen des Christentums, dass Gott nicht als ferner, statischer Weltenherrscher gesehen wird, sondern – wie wir gemeinsam erkunden werden – als lebendiger Beziehungstanz, wie die Wüstenväter so kühn erkannten. Im Griechischen heißt dies „perichoresis“, und darin steckt unser heutiges Wort Choreografie. Gott ist der Heilige, der im dynamischen, liebevollen Wechselspiel der Drei verkörpert wird.
Aber selbst diese erfüllte Dreierschaft speist nicht gern allein. Die Einladung an den Tisch Gottes ist vielleicht der erste biblische Hinweis auf das, was wir später „Erlösung“ nennen werden.
Jesus kommt aus dieser ewigen Fülle und ermöglicht es uns, uns selbst gespiegelt zu sehen, als Teil dieser Tischgemeinschaft. Als Teilnehmer bei seinem Festmahl und Partner in Gottes ewigem Tanz der Liebe und der Gemeinschaft.
Der Spiegel scheint irgendwann im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen zu sein, sowohl in der Ikone als auch in unserer nüchternen Vorstellung davon, wer Gott ist und wer wir sind, die wir „nach seinem Bild“ erschaffen sind.5
Meine größte Hoffnung wäre, dass dieses Buch Sie wieder in den Spiegel der göttlichen Gemeinschaft blicken lässt, mit einem Platz am Tisch.
Ich möchte, dass Sie dieses Bild beim Lesen in sich aufnehmen. Ich lade Sie ein, den Gedanken zuzulassen, dass der Tisch nicht nur für die Drei reserviert ist und dass der Kreis der Tanzenden nicht geschlossen ist. Wir alle sind dazu eingeladen. Die gesamte Schöpfung ist dazu eingeladen, und dies ist die Befreiung, die Gott von Anfang an beabsichtigt hat.
Diese göttliche Absicht, diese gewagte Einladung, ist eingebettet in die Schöpfung selbst.6 Später wird sie in Jesus konkret, persönlich und fassbar.7 Mit anderen Worten: Die Aufnahme des Menschen in Gott – also das, was wir ganz richtig Erlösung nennen –, war Plan A und nicht Plan B!
Unser Ziel des Einswerdens mit Gott ist schon in der Schöpfung begründet, auch in unserer individuellen Erschaffung.8 Dieser Glaube war in meiner Ausbildung als Franziskanermönch ganz zentral.9 Unser Ausgangspunkt ist immer die „Urgüte“, nicht die Ursünde.10 Und damit ist der Endpunkt, wie auch alles zwischen den beiden Punkten, unsere angeborene Fähigkeit zum Guten, zur Wahrheit und zur Schönheit.
Die Erlösung ist nicht nebenbei als Notfallplan hinterhergeschoben worden, sondern war Gottes Absicht von Anfang an. Sie ist „in unsere Herzen geschrieben“.11
Sind Sie bereit, Ihren Platz an diesem wundervollen Tisch einzunehmen? Können Sie sich vorstellen, dass Sie bereits ein Teil des Tanzes sind?
Dann lassen Sie uns zusammen herausfinden, wie und warum das möglich ist!
TEIL 1
DIE REVOLUTION DER DREIEINIGKEIT
Ein geistlicher Paradigmenwechsel
Gott hat nämlich seinen Sohn nicht zu den Menschen gesandt, um über sie Gericht zu halten, sondern um sie zu retten.12
Jesus aber entgegnete ihnen: Mein Vater ist noch immer am Werk und auch ich bin am Werk.13
Der Heilige Geist, den euch der Vater an meiner Stelle als Helfer senden wird, er wird euch alles erklären und euch an das erinnern, was ich gesagt habe.14
Bevor Sie versuchen herauszufinden, warum ich diesen Abschnitt mit genau diesen Zitaten über einen sehr aktiven und beteiligten Gott begonnen habe, möchte ich versuchen, es zu erklären. Ich kann es immer nur versuchen.
In seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen15 hat Thomas Kuhn den Begriff „Paradigmenwechsel“ bekanntgemacht. Er erklärte, im Bereich der Naturwissenschaft sei ein Paradigmenwechsel etwa dem entsprechend, was man in der Religion eine Bekehrung nennt. Und beides ist sehr selten! Jede echte Veränderung eines ganzen Weltbildes setzt eine so radikale Abwendung von unseren eingefahrenen Schienen voraus, dass oft die Hüter des alten Paradigmas tatsächlich erst sterben müssen, bevor etwas Neues Fuß fassen und breite Akzeptanz gewinnen kann. Noch schockierender ist Kuhns Schluss, dass ein Paradigmenwechsel weniger aufgrund von Logik oder Beweisen erfolgt, sondern vor allem als Folge einer umwälzenden Erkenntnis, einem Durchbruch. Der deutsche Mystiker Meister Eckhart nennt dieses Phänomen „Überkochen“16.
Auf die Gefahr hin, dass das, was ich sage, nach einer groben Übertreibung klingt: Ich denke, dass das herkömmliche christliche Gottesbild – trotz Jesus! – in weiten Teilen noch immer heidnisch geprägt und unerlöst ist. Was meine ich damit? Die Menschheitsgeschichte hat so lange mit einem statischen und monarchischen Gottesbild gearbeitet – ein erhabener, übrigens immer männlicher Weltenherrscher, der die meiste Zeit in glanzvoller Isolation von dem lebt, was er erschaffen hat. Dieser Gott ist ein kritischer Beobachter (und seine Nachfolger tun ihr Möglichstes, um ihm in dieser Hinsicht nachzueifern).
Wir werden immer zu dem, was wir wahrnehmen; die äußerlichen Formen, die wir leben, spielen eine große Rolle. Deshalb haben wir einen weltweiten Paradigmenwechsel im christlichen Bewusstsein unserer Gottesbeziehung so dringend nötig. Und dieser Wechsel ist seit einiger Zeit auf subtile, aber tiefgreifende Weise im Gange, offensichtlich und doch versteckt: die Offenbarung Gottes, die wir immer als „Trinität“ oder „Dreieinigkeit“ bezeichnet, aber nie richtig verstanden haben. Im Anfang war die Beziehung.
Diese langsam aufkeimende Offenbarung hätte unser Gottesbild radikal verändern sollen, aber das hat sie weithin nicht getan. Die alten Schaltkreise waren noch zu vorherrschend. 2000 Jahre haben wir gebraucht, um diesen Wechsel herbeizuführen, aber jetzt ist es soweit. Die Geschichte, unsere geistige Gesundheit, so viele verzweifelte, negative und zornige Christen, die Kosmologie und die Quantenphysik – sie alle verlangen unaufhaltsam, dass wir ihn endlich vollziehen.
Kuhn sagte, dass Paradigmenwechsel dann nötig werden, wenn die Plausibilitätsstruktur der alten Paradigmen so durchlöchert und mit Flicken übersät ist, dass die dringend nötige Generalüberholung, die so lange so bedrohlich wirkte, auf einmal als einzige Rettung erscheint.
Ich glaube, wir sind jetzt in genau dieser Lage, was unsere Vorstellung von Gott angeht. Die Dreieinigkeit, einst eher als etwas abstruses Konstrukt betrachtet, könnte am Ende die Antwort auf das Grundproblem der westlichen Religion sein.
Statt eines Gottes, der als ewig Drohender erscheint, haben wir Gott als den ultimativen Teilhaber, der in allem ist, was wir erleben – dem Guten wie dem Schmerzhaften.
Ich möchte die beiden Paradigmen einander gegenüberstellen. Statt des allmächtigen Herrschers wollen wir betrachten, was Gott als Dreieinigkeit zeigt: die tatsächliche und wunderbare Gestalt der göttlichen Wirklichkeit, die sich in uns17 und der gesamten Schöpfung „mit allem, was dazugehört“18 wiederholt.
Statt eines Gottes, der von Weitem zusieht, wie das Leben sich ereignet, und es beurteilt.
Wie wäre es mit einem Gott, der im Leben selbst lebt? Mit einem Gott, der die Lebenskraft von allem ist? Der die Lebensenergie von und zwischen jedem und allem ist – das, was wir Liebe oder Geist nennen?
So kann Gott viel größer werden, zumindest annähernd so, wie es das sich ständig ausdehnende Universum erahnen lässt, das wir gerade entdecken. Und absolut alles einschließend, was ist. Wie sonst könnte ein Gott sein, der diesen Namen zu Recht trägt?
An Stelle des kleinen Gottes, mit dem wir in unserem aktuellen, sterbenden Paradigma feststecken und der ständig damit beschäftigt ist, Dinge und Menschen auszuschließen, enthüllt uns die Revolution der Dreieinigkeit einen Gott, der mit uns in allem ist, was Leben bedeutet. Er steht nicht an der Seitenlinie und beurteilt kritisch, wer oder was mitspielen darf und wer nicht.
Die Revolution der Dreieinigkeit zeigt uns einen Gott, der ständig an allem beteiligt ist, keine distanzierte Du-bist-drin-und-du-draußen-Gottheit, die den größten Teil der Menschheit die meiste Zeit „verwaist“ zurücklässt.19
Theologisch gesehen stellt diese Revolution die Gnade wieder an ihren rechtmäßigen Platz: an den Anbeginn der gesamten Schöpfung. Gnade ist damit nicht mehr nur eine zeitweise Beimengung, die sich der eine oder andere hier und da verdient.
Wenn all das die ganze Zeit still präsent gewesen ist, wie die Hefe im Teig unserer wachsenden Spiritualität, kann es uns helfen, die hoffnungsvollen und positiven Bilder der Adoption und des Erbes zu verstehen, die Paulus benutzte20. Auch die Wüstenväter verstanden diesen Zugang, anders als die späteren Bilder von einem strafenden Gott, die die westliche Kirche seit langer Zeit dominieren.
Dieser Gott ist genau der, den wir als Dreieinigkeit bezeichnen. Ein Strom, der durch alles hindurchfließt, ohne Ausnahme und von Anfang an.
Damit ist alles heilig … für diejenigen, die gelernt haben zu sehen.
Die Auswirkungen dieses spirituellen Paradigmenwechsels, dieser Revolution der Dreieinigkeit, sind umwerfend: Jeder lebendige Impuls, jede zukunftsweisende Kraft, jeder kreative Drang, jede liebevolle Empfindung, jede Bemühung um Schönheit, jede Bewegung hin zur Wahrheit, jede Ekstase vor schlichter Güte, jeder freudige Luftsprung, jeder Einsatz für die Menschlichkeit und die Erde, für Ganzheitlichkeit und Heiligkeit, ist das ewig fließende Leben des dreieinigen Gottes.
Ob wir es wissen oder nicht! Wir sprechen hier nicht von einer Einladung, mit der man einverstanden sein kann oder auch nicht. Wir sprechen von dem, was bereits geschieht, in Gott und in allem, was „nach seinem Bild“ erschaffen ist.
Der dreieinige Gott gestattet uns, ja drängt uns sogar dazu, jederzeit und überall mit ihm zu leben. In der Knospe einer Pflanze, im Lächeln des Gärtners, in der Begeisterung eines Teenagers über seinen ersten Kuss, in der unermüdlichen Entschlossenheit eines Forschers, im Stolz des Mechanikers auf seine verborgene Arbeit unter der Motorhaube, im liebevollen Nasereiben zweier Pferde, in der Zärtlichkeit, mit der ein Adler seine Jungen füttert, im glucksenden Plätschern jedes Bergbachs.
Dieser Gott findet sich auch im Leiden und Sterben all dieser Dinge. Wie könnte dies nicht auch die göttliche Lebenskraft sein? Wie könnte es irgendetwas anderes sein? Eine so weite Definition von Leben muss den Tod in ihre große Umarmung mit einschließen, damit unsere Mühen nicht umsonst sind21.
Im begeisterten Zwitschern jedes Vogels am frühen Morgen, in der kargen Schönheit jeder Sandsteinklippe, in der tiefen Befriedigung über einen gut gemachten Job, in der Leidenschaft körperlicher Vereinigung, im freundlichen Lächeln einer Verkäuferin und sogar in der passiven Machtlosigkeit eines Krankenhausbetts sind Welt, Leben und Tod, Gegenwart und Zukunft vereint. „Euch gehört die ganze Welt, das Leben und der Tod, die Gegenwart und die Zukunft. Alles gehört euch, ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott.“22 Es ist derselbe dreieinige Strom seit Anbeginn der Schöpfung.
Ehe die Sehenden den Paradigmenwechsel vollziehen, gibt es keinen Weg, wie Gott die Welt retten kann. Szenen aus Gerichtssälen und Strafvollzugssysteme inspirieren niemanden und verändern auch nichts. Sie sind völlig ungeeignet, um über das göttliche Festmahl und die Einladung dazu an uns alle zu sprechen. Tatsächlich verhindern sie, dass wir es uns auch nur vorstellen können. Es geht nicht um offensichtliche Religiosität. Seit Jahrhunderten versuchen wir das, mit mageren Ergebnissen. Es geht um stille Freude und ein Zusammenwirken23 mit der göttlichen Großzügigkeit, die alles mit allem verbindet.
Ja, Gott rettet die Welt, und er arbeitet ständig daran, auch wenn wir es nicht bemerken, wenn wir uns nicht daran freuen, es nicht weitersagen und unser eines, einzigartiges Leben nicht in Fülle leben. Wir werden wie der kleine Gott, den wir viel zu oft angebetet haben – Zuschauer bei unserer eigenen Beerdigung.
Wie wäre es stattdessen hiermit: Es gibt nur Jesus Christus. Er ist alles, und er ist in allem.24 Und wenn Christus ganz und gar offenbar wird – der ja unser Leben ist –, dann werden auch wir in all unserer Herrlichkeit mit ihm offenbar.25
Die Revolution ist bereits im Gange, die alten Gottesbilder wanken, ein großer Teil der Religion befindet sich in einer Art Totenstarre. Sind wir bereit loszulassen, was nicht mehr funktioniert, und das Paradigma anzunehmen, das seit langer Zeit heranwächst und immer zu groß für uns ist? Wie Augustinus es formulierte: Gott ist ewig alt und ewig neu.
Wenn meine Instinkte mich nicht trügen, dann kommt die Wiederentdeckung der Dreieinigkeit keinen Augenblick zu früh. Ich bin nämlich überzeugt, dass hinter all den hässlichen Manifestationen unserer gegenwärtigen Übel – Korruption, Umweltzerstörung, Krieg, Hass gegen andere wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder sexuellen Orientierung – eine einzige große Krankheit steht: unser tiefgreifendes, schmerzhaftes Gefühl der Trennung.
Trennung von Gott natürlich, aber auch von uns selbst, von unserem Körper, voneinander und von unserer Welt.
Dieses Gefühl einer vierfachen Isolation stößt unsere Kultur, unsere gesamte Spezies, in ein immer destruktiveres Verhalten. Zwar ist unsere Welt nicht so düster, wie man denken könnte, wenn man sich ständig von schlechten Nachrichten im Fernsehen und in den sogenannten sozialen Netzwerken berieseln lässt. Aber das Ausmaß und die Komplexität unseres Abgetrenntseins sind schon erstaunlich.
Ich stelle fest, dass das große Geschenk der Dreieinigkeit – und unsere praktische, gefühlte Erfahrung beim Empfang dieses Geschenks – eine gut geerdete neue Verbindung mit Gott, uns selbst, anderen Menschen und der Welt mit sich bringt. Genau das, was von allen Religionen und Glaubensrichtungen – und möglicherweise sogar von der Politik – angestrebt, aber in ihren konventionellen Erscheinungsformen nie erreicht wird.
Religiöse oder politische Spielchen um Wert und Zugehörigkeit, um Leistung und Belohnung können nichts heilen. Tatsächlich sind sie Teil der Krankheit. Aber wenn Gott als die freudige Dreieinigkeit enthüllt wird, kann das selbst die am stärksten verhärteten Begrenzungen wegschmelzen und uns den Weg zu einer vierfachen Wiedervereinigung von Geist, Selbst, Gesellschaft und Raum erhellen.
Sind Sie bereit zu erkunden, wie ein solcher Wandel unseres Gottesbildes von dem entfernten Gott zu dem „bewegtesten Beweger“26, der innig an unserer immer weitergehenden gemeinsamen Schöpfung teilnimmt, eine solche freudige Wiedervereinigung möglich macht?
Wenn ja, heiße ich Sie herzlich willkommen. Auf den nächsten Seiten werden wir die Dreieinigkeit und die Verwandlung aller Dinge gründlich kennenlernen – Sie selbst eingeschlossen.
Staub aufwirbeln erwünscht
Ich möchte Ihnen ein wenig davon erzählen, wie ich dazu kam, bewusster an dem Tanz der Dreieinigkeit teilzunehmen. Vor einigen Jahren verbrachte ich eine sehr fruchtbare Fastenzeit in einer Einsiedelei in Arizona. Im Wesentlichen übte ich mich dort in Achtsamkeit und Hinhören, und ich führte ein Tagebuch. Gegen Ende meines Aufenthalts beschloss ich, das Tagebuch noch einmal durchzulesen, um zu sehen, ob Gott mich etwas gelehrt hatte. Ich wollte herausfinden, ob ich rückblickend in diesen wunderbaren einsamen Tagen ein Muster entdecken könnte.
Ich ging in die Bibliothek, die ein Stück von der Einsiedelei entfernt war. Dort lag ein Buch von Catherine Mowry LaCugna mit dem Titel God for Us: The Trinity and Christian Life.27auf einem Tisch. Ein beeindruckendes Buch mit vielen Fußnoten. Ich spürte eine gewisse Anziehungskraft, obwohl ich eigentlich während der Fastenzeit nichts anderes hatte lesen wollen als die Bibel.
Während meiner letzten Tage in der Einsiedelei las und verdaute ich in aller Langsamkeit dieses hochgelehrte Buch. Und während ich las, auch wenn ich bei Weitem nicht alles verstand, rief ich innerlich ständig: „Ja! Ja!“ So viele neue Worte und kaum durchschaute Ideen! Ich spürte die Gegenwart einer großen Tradition, der die Autorin da nachspürte. Sie sprach von derselben Dynamik, die in den letzten Wochen in mir angelaufen war. Nicht mehr als abstrakte Idee, als Lehrmeinung oder gelochter und abgehefteter „Glaube“, sondern als eine Art Phänomenologie der eigenen und fremden inneren Gotteserfahrungen.
Auf einmal war die Dreieinigkeit kein vager Glaube mehr, sondern eine objektive Art, meine eigenen tiefsten Erfahrungen mit Gott zu beschreiben – und mit dem, was ich hier als Strom bezeichne. Die Überzeugung kam von tief innen, sie hatte nicht mehr den Zweck, irgendwelche mir von außen aufgedrückten Lehrmeinungen zu rechtfertigen. Führte ich mich selbst an der Nase herum? Wie konnten scheinbare Objektivität und persönliche Subjektivität gleichzeitig und friedlich in mir koexistieren?
Das ist es, war mein Gefühl. Es bestätigte alles, was ich während meiner Zeit als Einsiedler erlebt hatte, vielleicht sogar meine ganze Lebenserfahrung. Obwohl das Buch schwer zu lesen und manchmal sogar langweilig war (ich empfehle die Lektüre nur Leuten mit theologischer Ausbildung), fand es in mir einen Widerhall. Ich konnte es nicht aus der Hand legen, bis meine Eremitenzeit zu Ende ging.
So leicht hatte ich also meine Absicht aufgegeben, nicht zu lesen. Aber es fühlte sich auch nicht an wie Lesen, sondern eher, wie wenn man von einem großartigen Geheimnis erfährt. Einem Geheimnis in mir selbst.
Als ich Arizona verließ und noch ein letztes Mal die frische, saubere Wüstenluft einatmete, tat ich es mit einem dankbaren Lächeln. Jetzt konnte ich den Strom viel mehr genießen, den ich überall fließen sah.
Ich bin sicher, dass es anmaßend klingen muss (und auch ist): dass ich etwas vom Leben der Dreieinigkeit verstehen oder erklären könnte. Und doch habe ich das Gefühl, wir müssen die Sprache und Erfahrungswelt nutzen, die uns zur Verfügung stehen, so ungenügend sie auch sein mögen. Wir dürfen nicht schweigen.
Ich würde Sie gern bitten, sich in all das hineinsinken zu lassen. Vielleicht ist dieses Buch eher eine Meditation als eine gelehrte Abhandlung. Und noch mehr würde ich mir wünschen und darum beten, dass Sie auf diesen Seiten etwas finden, was mit Ihren eigenen Erfahrungen übereinstimmt, was Ihnen vertraut und gleichzeitig aufregend neu erscheint und Sie weiter auf dem Weg bringt, den Sie schon eingeschlagen haben.
Denn genau das ist der eine große Moment der Offenbarung: Wenn schöne Ideen vom Kopf ins Herz fallen, von der Ebene der Lehre zur Ebene der Erfahrung. Wenn es nicht mehr etwas ist, was wir einfach glauben, sondern wenn wir es wirklich wissen.
Darum bete ich: Dass der göttliche Tanz etwas sein möge, was Sie wissen. Und dass meine Worte dem nicht im Wege stehen.
Mathematische Probleme
Der Gott, den man in der westlichen Zivilisation einmal für absolut selbstverständlich hielt, wird heute mehr als alles andere angezweifelt. Es gibt Debatten, Streits und Kriege seinetwegen, und viele gebrochene Herzen sind das Ergebnis der Versuche, dieses göttliche Wesen zu begreifen, zu definieren oder Kontakt zu ihm aufzunehmen. Oder mit seiner (Nicht-)Existenz fertig zu werden.
Vielleicht könnten die folgenden Fragen einen Ausweg aus der kulturellen Sackgasse auftun: „Was geht in Gott vor? Wie drückt sich sein Leben aus, wie manifestiert es sich im Tanz der Schöpfung?“
Nachfolger Jesu ringen seit Langem mit diesen Fragen, vor allem im Kontext Gottes als Einheit in der Verschiedenheit.
Eine Dreieinigkeit …
Aber Gott ist einer!28
Dies ist die große Überzeugung der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Nachdem Jesus auf der Erde war, wurden die meisten Christen aus praktischen Gründen freilich abtrünnig: „Nun, Gott offenbart sich als drei Personen, aber in Wirklichkeit ist er eine.“ Kein Wunder, dass unsere jüdischen Vorfahren verwirrt waren und fanden, das klinge nach hochgradigem Unsinn. Für sie war es eine Bedrohung des Monotheismus, und dies auch noch durch einen der ihren! War das nun ein mathematisches Verwirrspiel oder pure Häresie einer esoterisch angehauchten Gruppe?