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Gustav »Gogo« Goggerwenig hat das Zeug zum Weltklasse-Stürmer. Er ist der erste Fußballer, dem der Sprung aus der Provinz-Mannschaft Austria Klagenfurt ins Nationalteam gelingt. Doch sein Debüt im Nationaltrikot wird zum Fiasko: Im Match gegen die Türkei wird er schwer verletzt und muss ausgewechselt werden. Von dieser Verletzung wird er sich nie mehr wirklich erholen und zu seiner alten Form zurückfinden. Er versucht zwar alles und gibt nie auf, doch ein Comeback will ihm nicht gelingen. Zu allem Übel muss er noch miterleben, wie die Karriere des jungen, hoffnungsfrohen Spielers der Wiener Austria, Toni Polster, der in demselben Spiel debütierte wie er, ihren unaufhaltsamen Weg nach oben nimmt und ihm damit vor Augen hält, was aus ihm selbst hätte werden können …
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Seitenzahl: 191
Copyright © 2023 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Lustre / Adobe Stock
ISBN 978-3-7117-2138-9
eISBN 978-3-7117-5496-7
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www.picus.at
Egyd Gstättner
oder: Das Spiel des Lebens
Roman
Picus Verlag Wien
Kapitel 1:
(17. November 1982) Überglücklich
Kapitel 2:
(18. November 1982) Was zeigte Goggerwenig?
Kapitel 3:
(19. November 1982) 32. Dezember
Kapitel 4:
(19. März 1983) Hart zu sich selbst
Kapitel 5:
(26. März 1983) Gogo is back
Kapitel 6:
(27. April 1983) Soll Gogo duschen?
Kapitel 7:
(8. Juni 1983) Das dreißigste Jahr
Kapitel 8:
(5. Oktober 1983) Das letzte Tor
Kapitel 9:
(29. Oktober 1983) Ramadhanis Augenblick
Kapitel 10:
(Sommer 1985) Gogos Rücktritt
Kapitel 11:
(Sommer 1986) Wie der Gogo einen Hydranten überspielt hat
Kapitel 12:
(10. Mai 1998) Wie der Gogo ins Jahrhundertteam gekommen und der Polster zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen ist
Kapitel 13:
(27. März 1999) Wie der Gogo und der Schneckerl ihre Arbeit verloren haben
Kapitel 14:
(Mai 1999) Was der Gogo dem Gogler erzählt hat
Kapitel 15:
(5. November 2008) Wie der Gogo zum Roten Kreuz gekommen ist
Kapitel 16:
(4. Oktober 2014) Wie die Gudrun den Gogo verlassen hat
Kapitel 17:
Wie der Gogo depressiv geworden ist
Kapitel 18:
Was dem Gogo im Wald beim Schwammerlsuchen passiert ist
Kapitel 19:
Das Legendentreffen
Kapitel 20:
(17. November 2022) Wie sich der Gogo das Spiel seines Lebens anschaut
Editorische Notiz
Jetzt geht’s los! Das Spiel meines Lebens! Es ist ein Wunder, und die Knie sind weich. Dieser Tag wird mein Leben in zwei Hälften teilen: in die vor und die nach dem Spiel. Wenn man neunundzwanzig Jahre alt und einen Meter und achtundsechzig groß ist und einberufen wird, trotzdem einberufen wird, für sein Land zu spielen, für sein Land zu kämpfen, sein Land zu repräsentieren, vor den Augen aller, mit dem Bundesadler auf der Brust, obwohl man nicht bei einem der Hauptstadtclubs spielt, bei Rapid, dem regierenden Meister, oder bei der Austria, die im Europacupfinale in Paris gewesen ist, sondern bei einem Club aus der Provinz, mit dem man eben erst aus der Zweiten Liga aufgestiegen ist, dann kommt das einem Wunder gleich. Der Kurt Tschabuschnig hat mir am Telefon erzählt, es hätten viele Leute in der Redaktion angerufen, um zu erfahren, ob ich aufgestellt worden sei. Immerhin war ich erst der dritte Kärntner seit dem Krieg, der von einem Kärntner Verein aus ins Nationalteam einberufen worden ist. Nicht als Legionär, sondern als Kärntner Kärntner! Tschabuschnig verwendete das Wort historisch. Der Krieg war vor meiner Zeit gewesen, ich müsste nachrechnen: Siebenunddreißig Jahre ist der her. Wenn man schließlich nicht nur einberufen, sondern tatsächlich auch aufgestellt worden ist, dann ist das ein Wunder, und es ist vielleicht kein Wunder, dass die Knie trotz der neunundzwanzig Jahre schlottern.
Heute ist der größte Tag meines Lebens: so viel steht fest. Die Schuhe ordentlich geschnürt, abgeklatscht, bei der Kabinentür hinaus gleich noch einmal auf die Toilette, der Polster am Pissoir neben mir, auch kein Wunder, ein paar Augenblicke noch, dann geht es los, ein paar Schritte den Gang ins Freie hinaus, das Klacken der Stollen, ein kühler Abend, November eben, aber das Stadion ist voll und hell erleuchtet, irgendwo auf der Haupttribüne in meinem Rücken Gudrun, wie gut, dass sie da ist, das hilft mir sehr, das gibt mir Sicherheit. Gut, dass ihre Direktorin ein Einsehen hatte und ihr für morgen freigegeben hat. Gudruns Schüler sitzen jetzt auch alle vor dem Fernseher, genauso wie die Männer aus der Firma, jedenfalls alle, die das zweite Programm empfangen können: das erste Spiel meiner Karriere, das zur Gänze im Fernsehen übertragen wird, live! FS2. FS1 zeigt Das Urteil, einen Film mit Sophia Loren und Jean Gabin. Aber die sind keine Konkurrenz.
Der verschobene Weltraumspaziergang der beiden Columbia-Astronauten Joseph Allen und William Lenoir war wegen einer Panne im Raumanzug Allens endgültig abgesagt worden. Der Ausstieg ins All hatte abgesetzt werden müssen, weil Lenoir unter Übelkeit litt. Bundeskanzler Kreisky sah keinen Anlass, die Nationalratswahlen im kommenden Jahr vom 24. April auf den 6. März vorzuverlegen, an dem die Deutschen wählen würden. Die Österreicher hätten politische Entscheidungen immer unabhängig von Deutschland getroffen, sagte Kreisky und ergänzte, diese Art von Anschluss lehne er ab. Der tschechoslowakische Staats- und Parteichef Gustáv Husák kam zu Gesprächen nach Wien. Der freiheitliche Abgeordnete Haider hatte gemeinsam mit Wirtschaftsfachleuten ein Paket zu Privilegienabbau bei Politikern erstellt und drohte mit einem Volksbegehren. Der gefährlichste Terrorist der BRD, Christian Klar, Chef der Roten Armee Fraktion, war in Hamburg verhaftet worden. Otto von Habsburg feierte seinen Siebziger. Udo Jürgens war im Rechtsstreit wegen einer von ihm ausgesprochenen fristlosen Vertragskündigung gegenüber seinem früheren Musikverlag nun auch in letzter Instanz vor dem deutschen Bundesgerichtshof in Karlsruhe unterlegen. Der KAC hatte in der mit siebentausendvierhundert Zuschauern restlos ausverkauften Innsbrucker Olympiahalle ein 8 : 8 gegen den IEV erreicht. Über fünf Millionen Zuschauer hatten die erste Folge der Wiederholung des Fernsehfilms Holocaust gesehen. Die Reaktionen auf diesen Film, der das Schicksal einer jüdischen Familie im nationalsozialistischen Deutschland schildert, reichten von Zustimmung bis Ablehnung und von Betroffenheit bis Skepsis, teilte der Westdeutsche Rundfunk mit. Antisemitische Äußerungen seien hinter der persönlichen Beschäftigung mit dem Thema zurückgeblieben. Es war viel los an diesem 17. November. Die Zeitung werde ich aufheben für meine Enkel.
Außerdem würde der Chefredakteur Doktor Thomas Chorherr auf Einladung der Kärntner Wirtschaftlichen Gesellschaft heute Abend im WIFI mit Beginn achtzehn Uhr einen Vortrag Wirtschaft und Medien halten. Das Stadttheater mit Beginn um neunzehn Uhr dreißig Der Bauer als Millionär geben. In der Buchhandlung Heyn mit Beginn um zwanzig Uhr eine Lesung mit Rudolf Czernin Der Weg zum Nichts. Analyse der Wertauflösung stattfinden. Eine andere Welt.
Der Geistesgegenwärtigkeit des Wirtes der Bahnhofsrestauration hatte der Landesrettungsleiter der österreichischen Wasserrettung vermutlich sein Leben zu verdanken. Er hatte sich am Dienstagabend an einem Happen Gulasch verschluckt. Als er bereits blau angelaufen war, sprang der Wirt zu ihm, klopfte ihm auf den Rücken und beförderte das Fleischstück mit einem gekonnten Griff wieder aus der Speiseröhre. Glück im Unglück! Aufgrund einer Behauptung in einem Parteiblatt, in die Aufführung der Villacher Studiobühne sei eine sogenannte Fäkalszene eingebaut, leitete die Gruppe »Sitte« Ermittlungen ein, allerdings konnte trotz Bemühens der Kripo kein Zeuge gefunden werden, der eine solche Fäkalszene bestätigte. Der Leiter der Studiobühne gab in einem Brief an den Landeshauptmann an, eine solche Szene sei nie vorgekommen, und bot dafür eine Videoaufzeichnung als Beweis an. Und auch das noch: Studenten des Slowenischen Gymnasiums hatten den Schalterraum des Klagenfurter Hauptbahnhofes besetzt, worauf vier Schüler der HTL Ferlach gegen zwei Uhr morgens mit rotem und schwarzem Lack die Mauern des Slowenischen Gymnasiums mit Parolen wie »Slowenen: Ruhe oder raus!« oder »Somit erklären wir den Slowenen den Krieg!« beschmierten. Nun wurden sie von einem Jugendschöffensenat wegen Sachbeschädigung und Verhetzung zu bedingten Freiheitsstrafen von einem beziehungsweise drei Monaten verurteilt. Ein zwanzigjähriger Präsenzdiener aus der Waisenhauskaserne, ein Landwirtssohn aus Unterrainz, Gemeinde St. Paul, war gestorben, nachdem er nach überstandener Grippe gesund aus der Heeressanitätsanstalt entlassen worden war. Das Militärkommando veranlasste daraufhin eine Obduktion, die ergab, dass der Bursche einem Herzversagen erlegen war.
Aber auf dem Titelblatt der heutigen Ausgabe bin: ich! Gleich neben dem amerikanischen Präsidenten Reagan und Bonns Kanzler Helmut Kohl bei dessen Besuch in Washington: ich. Und die Schlagzeile am größten Tag meines Lebens lautet: Fußball-Kärnten drückt für »Gogo« die Daumen! Der Tschabuschnig hat mich gestern Abend noch im Trainingslager in Lindabrunn angerufen, um ein Blitzinterview zu führen. Ob ich damit gerechnet habe, gleich von Beginn an eingesetzt zu werden? Wenn ich ehrlich bin: Ja, habe ich geantwortet. Aber ob das gestimmt hat? Ich weiß nicht. Beim Training hat mich der Teamchef Hof um etwa elf Uhr zur Seite geholt und gesagt: Du spielst morgen mittlere Sturmspitze! Ich hatte sofort ein Feuerwerk im Bauch. Seither die wackligen Knie. Es passiert alles wie im Rausch. Tschabuschnig hat mich gebeten, mein Gefühl zu beschreiben, und ich habe gesagt: Ich bin überglücklich.
Jetzt die paar Schritte aus dem Kabinengang, der Weg ins Freie, hinaus in den aufbrandenden Applaus, ins Flutlicht, in die hell erleuchtete Finsternis, in die Novemberkälte, in diese heiße Kälte, ein paar Schritte aufs Feld, Mannschaftsfoto, Aufstellung nehmen, die Hände hinter dem Rücken verschränken, Österreich: Koncilia. Krauss, Obermayer, Pezzey, Degeorgi. Prohaska, Weber, ich, Gasselich, Schachner und der zweite Debütant, groß gewachsen, Struwwelpeterfrisur, zehn Jahre jünger als ich, blutjung, gerade achtzehn: der Polster.
Mit den meisten Spielern war ich bis vor drei Tagen per Sie: Es waren Menschen von einem anderen Stern. Sechs Helden aus Argentinien waren noch in unserer Startaufstellung. Vier Jahre ist das jetzt her. Alle sechs waren noch vor wenigen Monaten bei der Weltmeisterschaft in Spanien gewesen, und auch da waren sie in die Zwischenrunde aufgestiegen und unter die besten acht der Welt gekommen … Ich habe sie daheim im Fernsehen bewundert, wie ich jetzt mit ihnen gemeinsam im Fernsehen zu sehen bin. Und am nächsten Tag bin ich wieder arbeiten gegangen. Mein Job im Expedit. So wie heute ist Österreich auch in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Argentinien auf die Türkei getroffen. In Wien im großen Praterstadion hat Schachner, der jetzt in einer Reihe mit mir steht, den Ball zum einzigen Tor in die kurze Ecke genudelt, in Izmir (ich war noch nie in Izmir!) Prohaska – drei Spieler weiter – mit dem legendären Spitz in falschen, türkischen Trikots, auf denen man bloß Halbmond und Sichel notdürftig überklebt hatte, zum alles entscheidenden 0 : 1 und zur Weltmeisterschaftsqualifikation eingenetzt. Das ganze Land war damals aus dem Häuschen. Prohaska mit dem rot-weiß-roten Zylinder auf dem Kopf auf den Schultern seiner Mitspieler: Das wurde ein Schnappschuss für die Ewigkeit. Mit dem Prohaska bin ich per Sie: Der spielt bei AS Roma: eine andere Welt. Eine ganz andere Welt. Roma habe ich immer geliebt wegen der edlen weinrot-goldenen Dressen und der nährenden Wölfin im Vereinsemblem. Mit dem Koncilia bin ich per Sie. Na, der ist ein eigener Fall, aber ein Landsmann. Und, zugegeben, der weltbeste Tormann überhaupt wahrscheinlich. Mit dem Schachner bin ich per Sie, Cesena, aber Italien bleibt Italien! Mit dem Pezzey per Sie, Eintracht Frankfurt, Deutschland, auch eine andere Welt. Auch mit dem Jurtin, Sturm Graz: per Sie. Ich habe mich letztlich doch darauf eingestellt, dass der Jurtin beginnen wird und ich vielleicht nach einer Stunde für ihn kommen würde.
Ein bisschen schade, dass wir nicht im Praterstadion spielen vor siebzigtausend. Das Weststadion ist ein bisschen weniger gigantisch, aber immer noch gigantisch. Wien: Das ist immer auswärts gewesen; jetzt ist es: daheim. Ich bin im Himmel! Im Fußballmärchenhimmel. Im Fußballmärchennovemberhimmel. Jetzt nur nicht denken! Auch die Knie dürfen nicht denken! Vor allem die Knie dürfen nicht denken! Die Knie denken ja sonst auch nicht. Im Himmel ist Kniedenken verboten!
Polster ist noch ein Halbwüchsiger, aber ich längst erwachsen. Ich hätte immer schon in dieser Mannschaft stehen können, theoretisch jedenfalls und was mein Alter betraf. Aber ich habe zu Hause im kleinen Kärnten nicht einmal zu träumen gewagt, mein Lebenstraum könnte jemals in Erfüllung gehen. Träume kann man auch gar nicht wagen. Träume kommen, oder sie kommen nicht. Man träumt den unmöglichen Traum. Für Österreich! Das ist das Größte!
Der Kameramann, der die Parade abnimmt, die Bundeshymne, das Land der Berge, in meinem Fall die Karawanken. Alle sagen, wenn man vor einem Länderspiel die Hymne hört, läuft einem der kalte Schauder über den Rücken. Entweder schaut man starr geradeaus oder zum Himmel hinauf, oder aber das Kinn zur Brust gezogen in sich selbst hinein. Ich werde geradeaus schauen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Ich habe mit Gudrun das Singen der Bundeshymne daheim im Badezimmer vor dem Spiegel geübt. Ich fand, ich sah ein bisschen lächerlich aus. Es war ein wenig wie Krawattenbinden. Menschen wie ich binden selten Krawatten und singen selten Bundeshymnen, nur alle heiligen Zeiten sozusagen. Obwohl das Kärntnerische die Vokale bis zum Gehtnichtmehr dehnt und mir das Laaand und die Beeerge und das vielgerüüühmte Öhöhösterreieieieich wohl gelingen würden, habe ich mich vor dem Spiegel schließlich entschieden, nicht mitzusingen und nur tonlos die Lippen zu bewegen, falls ich in die Situation kommen sollte. Ich habe keine Singstimme. Mein Instrument ist der Vollrist, meine Musik der Fallrückzieher. Ein singender Nationalstürmer ist so lächerlich wie ein Opernsänger, der im Strafraum herummurkst.
Die Trainingsjacken ausziehen, ein paar Luftsprünge zum Aufwärmen, der Münzwurf: Wäre schön, wenn wir den Ankick gewinnen, Herr Suchanek, der polnische Schiedsrichter, anpfeift und ich den Ball vom Mittelpunkt aus zu Polster neben mir rolle: Ich möchte das Spiel meines Lebens eröffnen! Ich möchte der Erste sein, der am wichtigsten Tag meines Lebens die Kugel berührt, und von dem Augenblick weg werde ich ein Internationaler sein, für den Rest meines Lebens, pathetisch formuliert. Diesen Augenblick wird mir niemand mehr nehmen können. Und von diesem Augenblick weg sollten auch die Knie zu schlottern aufhören.
***
Der Wikipedia-Eintrag der zweisprachigen Marktgemeinde Eberndorf (Dobrla vas) im Kärntner Bezirk Völkermarkt gibt die Einwohnerzahl fünftausendneunhundertneunzehn (Stand 1. Jänner 2022) an, verweist auf die historische Bedeutung des Stiftes, in dessen Innenhof die Südkärntner Sommerspiele und im Dezember der Adventmarkt stattfinden, auf das Naturdenkmal Sablatnigmoor, auf den slowenischen Kulturverein SRCE und auf das Einrichtungshaus Rutar.
In der Rubrik Persönlichkeiten finden sich in alphabetischer Reihenfolge sieben Personen, die es bis zu Persönlichkeiten gebracht haben, davon drei lebende: der slowenische Sprachwissenschaftler und Lexikograf Oswald Gutsmann aus dem 18. Jahrhundert, der Klagenfurter Stadtpfarrer und Erbauer der heutigen Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egid, Jakob Rohrmeister aus dem 17. Jahrhundert, die im Jahr 2012 im Alter von dreiundneunzig Jahren verstorbene slowenische Schriftstellerin Mimi Malenšek, der vier Jahre vor ihr im Alter von vierzig Jahren in Hamburg verstorbene Tennisspieler und Davis-Cup-Held Horst Skoff, der Rechtsanwalt und streitbare Politiker der slowenischen Volksgruppe Rudolf Vouk und, als Erster in der Liste der Persönlichkeiten: Gustav Goggerwenig, Fußballnationalspieler. Er lässt sich anklicken, aber »der Artikel ›Gustav Goggerwenig‹ existiert in der deutschsprachigen Wikipedia nicht. Du kannst den Artikel erstellen (Quelltext-Editor, Anleitung)«.
Ankick hatten die Türken. Schade. Aber auf welche Seite die Münze fällt, die der Schiedsrichter in die Luft wirft, darauf hatte auch unser Kapitän Prohaska natürlich keinen Einfluss. Alle Wünsche, alle kleinen Detailwünsche im Rahmen eines großen Wunderwunsches gehen nun einmal nicht in Erfüllung. Man darf nicht unbescheiden sein. Nur wenige Stunden vor dem Anpfiff ist am größten Tag meines Lebens in Danzig die Wohnung des Chefs der verbotenen Gewerkschaft »Solidárność«, Lech Wałęsa, von Sicherheitspolizisten mit schussbereiten Maschinenpistolen umstellt worden. Amanda Lear hatte ihren Körper bemalt, ihr Selbstporträt in Berlin aufgehängt und es um vierhundertzwanzigtausend Schilling verkauft. Der ausgebürgerte tschechoslowakische Schriftsteller Pavel Kohout, seit zwei Jahren im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft, hatte am Tag der Ankunft Husáks in Wien versucht, in seine alte Heimat einzureisen. Er flog mit einer Linienmaschine von Frankfurt nach Prag, landete dort um zehn Uhr dreißig und versuchte, so die Vermutung von Kohouts in Wien gebliebener Gattin, Kontakt zu seiner Tochter zu bekommen, der von der ČSSR die Ausreise verweigert worden war. Mich hätte man gerne in Wien behalten, aber ich wollte nicht in Wien bleiben.
Jetzt hatte ich ausreichend Zeit, die Zeitung zu studieren. Was blieb mir anderes übrig? Auf einem Schiff der Kriegsmarine waren die Gefallenen des Falklandkriegs nach Southampton in den Marinehafen zurückgekehrt. Die vierundsechzig mit Nationalfahnen umhüllten Särge wurden in einem festlichen Trauerakt an Land gebracht und würden nun in die Heimatorte der Gefallenen überführt und dort mit militärischen Ehren bestattet werden. Humbert Fink hatte gemeint, Heizkostenzuschüsse für Bedürftige und Alte, aber auch Anhebung der Pensionen und ein aufgebessertes Gnadenbrot für alle jene, die als Empfänger von Mindestrenten am Rand des Existenzminimums lebten, das von gut verdienenden Experten errechnet wird, das sei ein Aspekt unserer sozialen und politischen Wirklichkeit, die ihm deshalb die Tränen der Wut in die Augen treibe, weil hier wieder einmal die erbärmliche Verlogenheit unseres gesellschaftspolitischen Systems sichtbar würde. Aha. Es gab sieben Millionen fünfhundertsiebenundsiebzigtausend Gründe, Investitionsanleihen zu kaufen, denn allen sieben Millionen fünfhundertsiebenundsiebzigtausend Österreichern kamen die Investitionen des Bundes direkt oder indirekt zugute. Am 32. Dezember würde es zu spät sein. Ich musste zwischendurch wieder eingeschlafen sein. Gert Jonke würde heute Abend um neunzehn Uhr dreißig in der Feldkirchner Buchhandlung Breschan aus seinem neuen Roman Erwachen zum großen Schlafkrieg lesen (H. C. Artmann morgen um neunzehn Uhr im Kulturhaus St. Jakob, Hans Peter Heinzl um neunzehn Uhr dreißig im mittleren Saal des Klagenfurter Konzerthauses einen Kabarettabend bieten, Peter Handkes Kaspar um zwanzig Uhr in der Villacher Studiobühne Premiere haben). Los war immer etwas. Die Villacher Polizei hatte ihre Ermittlungen in Zusammenhang mit der letzten Aufführung der Studiobühne eingestellt und die im Organ der Sozialistischen Partei erhobenen Behauptungen, es sei in der besagten Leseaufführung eine die Sittlichkeit verletzende Onanierszene vorgekommen, war wie eine Seifenblase geplatzt. Die Studiobühne beauftragte nun Rechtsanwalt Doktor Peter Gradischnig mit der Klage gegen den Schreiber der inkriminierten Zeilen und gegen das SP-Parteiorgan. Seit drei Monaten spurlos verschwunden war der vierundzwanzigjährige Hilfsarbeiter Erich Schojer aus Villach. Die Polizei versicherte, eine so außergewöhnlich lange Abgängigkeit ernst zu nehmen. Sie befürchtete, dass Schojer entweder etwas zugestoßen oder sogar einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei. Die Schwester Evelyn Schojer hatte Anzeige erstattet. Einen Selbstmord schloss sie aus.
Die Schmerzen hatten jetzt nachgelassen. Aber ich fühlte mich schwach, elend und wie tot. Ich hing noch immer an der Infusion. Gudrun saß an der Bettkante und las mir aus der Zeitung vor.
Seine Unerfahrenheit als Autofahrer wurde dem achtzehnjährigen Bäcker Hermann Kampfer aus Völkermarkt zum Verhängnis. Er stieß zwischen Peratschitzen und Duell, Gemeinde St. Kanzian, mit seinem Pkw frontal gegen einen Baum. Er wurde schwer verletzt aus dem Wrack geborgen. Nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte der fünfundfünfzigjährige Maurer Karl Stangl seinen Pkw vor dem Bahnübergang in der Ebentaler Straße in Klagenfurt. Er fuhr auf den Wagen des Angestellten Franz Guggi (40) auf, sodass dessen Gattin verletzt wurde. Die Polizei stellte fest, dass Stangl alkoholisiert war. Da sich die sechsundsiebzigjährige Rentnerin Maria Meschnark in St. Jakob im Rosental auf wiederholtes Klopfen nicht gemeldet hatte, verständigten Nachbarn die Gendarmerie. Die Beamten fanden die Frau tot im Bett liegend auf. Der Arzt stellte als Todesursache Herzversagen fest.
Dann kam der Oberarzt, der Doktor Halm, in seinem weißen Mantel ins Zimmer, den Befund in der Hand. »Ich habe Sie gestern im Fernsehen bewundert! Ich habe alles gesehen, sogar in Zeitlupe: Im Grund hätten wir die Röntgenaufnahmen gar nicht machen müssen«, meinte er, lächelte mich an und sagte: »Wir operieren gleich morgen in der Früh!«
Später am Abend, nachdem Gudrun nach Hause gefahren war, nahm ich mir, weil ich jetzt keinen Schlaf mehr finden konnte, noch einmal die Zeitung vom Nachtkästchen und las nach, was der Tschabuschnig geschrieben hatte:
Dass Gustav Goggerwenig zum ersten Mal in der Nationalmannschaft spielte, war gestern auch von der Sportbekleidung abzulesen. Während die anderen Teamangehörigen in Puma-Anzügen aus dem Autobus kletterten, marschierte der Kärntner im Adidas-Dress ein. Irgendwie verständlich, ist doch der Austria-Spieler bei der Firma Adidas beschäftigt. Und weiter unten: Vom Einsatz Gustav Goggerwenigs in die Nationalmannschaft profitierte auch sein Verein Hypo/Austria Klagenfurt. Für das Tragen des Nationaldresses werden vom ÖFB zehntausend Schilling in die Clubkasse überwiesen. Dazu kommen noch Siegesprämien von fünftausend Schilling pro Kopf und Nase.
Auf dem Funkbild der Austria Presse Agentur sah man das 1 : 0, aber nicht den Torschützen Toni Polster, sondern den türkischen Tormann Şenol Güneş, der zuschaut, wie der Ball ins Netz zischt. Ich (links im Bild) und Schachner (rechts) warten auf einen Abpraller und wären zur Stelle gewesen. Wäre ich zweifelsohne. Ich war der Nächste am Ball in dem Moment, als er direkt neben der Stange über die Linie kollerte. Aber es kam kein Abpraller. Ob ein Abpraller kommt oder nicht, das ist Zufall, Glück. Der Glückspilz war der Toni! Zehn Minuten im Team, zehn Minuten lang nicht einmal am Ball, und dann mit der ersten Ballberührung schon das erste Team-Tor! Mit dem Hinterkopf. Mit dem Kleinhirn sozusagen. Der Toni hat gar nicht gesehen, was er gemacht hat. Und er hat nicht gewusst, was er gemacht hat. Besser kann man nicht beginnen! Glücklicher. Einfach richtig gestanden! Instinkt. Im richtigen Augenblick am richtigen Platz: Dann geht alles von allein. Aber wer das Tor macht, ist schließlich egal, der Jüngste oder der Älteste, der Größte oder der Kleinste, Hauptsache, es fällt! Fußball ist ein Mannschaftssport. Es war unser aller Tor, wir alle sind 1 : 0 in Führung gegangen, wir elf auf dem Platz, wir elf, die Österreich vertreten haben, also Österreich. Und ich habe, als der Ball direkt vor mir ins Netz flutschte, einen Luftsprung gemacht und beide Hände vor Freude hochgerissen. Ein guter Spielbeginn und eine frühe Führung machen alles leichter.
Was zeigte Goggerwenig?, fragte der Tschabuschnig in seinem Artikel, und er antwortete: Der Kärntner war mit sehr viel Engagement bei der Sache, wurde aber recht selten angespielt. Ja, das stimmt! Leider. Der Polster hat im Lauf des Spiels insgesamt sicher mehr Bälle als ich bekommen, der Schachner auch. Dabei habe ich mich viel bewegt und ständig angeboten! Der Hof hat bei der Mannschaftsbesprechung gesagt: Du musst wühlen! Und ich habe gewühlt! Nach ein paar Sekunden die erste Attacke, eine Grätsche von hinten, Foul. Der Türke hat kurz bös geschaut. Aber man muss sich Respekt verschaffen. Ein Stürmer hat es viel schwerer als etwa ein Verteidiger, an den Ball zu kommen. Er ist darauf angewiesen, angespielt zu werden, sonst hängt er, wie es heißt, in der Luft, und das Spiel läuft an ihm vorbei. Ein Verteidiger darf nicht warten, ein Stürmer muss warten können. Aber wenn er nicht und nicht angespielt wird, bleibt dem Stürmer nichts anderes übrig, als sich die Bälle selbst von hinten zu holen, aber erstens beleidigt er damit die Mittelfeldspieler, zweitens fehlt er vorn. Von der Schaltzentrale anerkannt und angespielt zu werden, ist eine Frage der Machtverhältnisse, der Position und der Autorität innerhalb der Mannschaft. In jeder Truppe gibt es eine Hierarchie, eine Hackordnung, ein Standing. Man muss gestikulieren, rufen, kommandieren, brüllen, nicht nur mit dem Mund und der Stimme, auch mit den Händen, mit dem ganzen Körper muss man brüllen und sich Gehör und Respekt verschaffen, damit man einen Ball bekommt, damit man die Bälle bekommt, die man braucht und verwerten kann: Zunächst muss man seine Mitspieler unterwerfen, die Gegner in der eigenen Mannschaft besiegen, bevor man sich um die Gegner in der gegnerischen Mannschaft kümmern kann: Mit diesem Unterwerfen muss man lange vor dem Spiel beginnen, Tage, Wochen vorher, nicht erst beim Spiel, beim Training, auf dem Platz! Schon in der Dusche, der Kabine, der Kantine. Niemand würde es wagen, den Prohaska nicht anzuspielen, wenn er sich anbietet, oder den Pezzey, wenn er den Ball haben will. Die müssen sich gar nicht anbieten, die müssen einen nur anschauen. Ein Blick genügt. Der Blick ist Befehl. Der Kapitän ist die Majestät. Er macht