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Was hat Leopold Figl den Österreichern am Balkon des Schlosses Belvedere wirklich präsentiert und in welcher Disziplin hat André Heller den Nobelpreis gewonnen? Wie kann man durch Golfspielen die Welt verbessern? Was bedeutet PISA wirklich? Wie hängen Frauen und Geld zusammen? Was hat die Isonzoschlacht mit der Millionenshow zu tun? Warum betritt Christina Stürmer die Bühne immer erst, wenn alle Kinder eingeschlafen sind? Und worüber plaudert Peter Handke abends mit der Handarbeitslehrerin? Die Antworten auf diese und viele andere Fragen verrät der Paradesatiriker Egyd Gstättner in seinem neuen Buch - ein heiteres Pandämonium austriacum für alle, die ihrer Heimat mit der typisch österreichischen Hassliebe verbunden sind.
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Seitenzahl: 169
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Egyd Gstättner
Jubel, Trubel, Österreich
Egyd Gstättner
Neue Geschichtenaus dem Süden
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© 2009 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wien
Umschlagillustration: Markus Szyszkowitz
Herstellung: studio e, Josef Embacher
Gesetzt aus der 11,5/14 pt New Caledonia
Gedruckt in der EU
ISBN 3-85002-683-3
eISBN 978-3-902862-23-5
1 Land der Berge, Land am Strome,Land der Äcker, Land der Dome,Land der Hämmer, zukunftsreich!
Übersprungsliebenswürdigkeit
Charme und Schmarren
Charme und Kultur
Die Donau und ich
Lost in Kitz
Jubel, Trubel, Österreich
Papagenos Hymne
2 Heimat bist du großer Söhne,Volk, begnadet für das Schöne,|: Vielgerühmtes Österreich! :|
Freud und Mozart
Eine leergeräumte Wohnung
Pawlow am Opernball
Der Glupschaugenknallfrosch
Spezialist für eh alles
La Traviata nackt
Jedermann stirbt nicht
Neues vom Buch
Austropopshow
Geh nicht wenn du kommst
Der Weihnachtsmann
Gott
Bildung heute
Kopfzerbrechen
Tschechov im Möbelhaus
Ferdinand Schmatz verstärkt sein Interesse am persönlichen Erkennen
Jahrhundertherbst der österreichischen Literatur
Interview mit dem Euromusil
Der Dichter und die Handarbeitslehrerin
3 Heiß umfehdet, wild umstritten,Liegst dem Erdteil du inmitten,Einem starken Herzen gleich.Hast seit frühen AhnentagenHoher Sendung Last getragen,|: Vielgeprüftes Österreich! :|
Übersetzungen
Einbürgerungstest
Geschichte
Die Gramtherapie
Juden, Gurken, Tunnel oder: Die Sprache der Fußballer
Córdoba liegt in Österreich
Tischtennisweltmacht Österreich
Bei der SS
Out of the dark
Die Verbesserung Wittgensteins
Stadt, Land, Bund, Geld
Mein Globus
4 Mutig in die neuen Zeiten,Frei und gläubig sieh uns schreiten,Arbeitsfroh und hoffnungsreich.
Der neue Mensch
Extrawurstsemmel & Consulting
Ostereierversteckagentur
Döner für Schiller
Problemzonen
Was ist Sperma?
Mitten im Leben
Handicap und Charity
Schraubenschlüsselgriff
Gehen
Frauen und Geld
Gesucht: Exfrau
Der dressierte Mensch
Computersucht
Müll
E-Müll
Gastwirtschaft »Zur E-Mail«
Mexiko
McMasochismus
Zusammenreißen und Auseinanderkleben
Abenteuer und Gegenmittel
Ode an den Ferienarzt
Heute: Heiße Luft
Achtung Rose!
5 Einig lass in Brüderchören,Vaterland, dir Treue schwören,|: Vielgeliebtes Österreich! :|
Die Abenteuer des braven Zivildieners G.
FFF
Keine Kaserne vor der Laterne
Pappkameraden
Das Mausoleum
Allerseelen-Millionenshow
Bauer sucht Sau
6 Zugabe:Dort wo Tirol an Salzburg grenzt
Über das Glück glücklicher Hühner
Der Arzt vom Wörthersee
Das Lauftagebuch des Dr. Miro
Iron & Irony
Die Ichthyologie und ich
Kathis Mondlandung
10. Oktober in St. Ruprecht
Laokoons Mahlzeit
Und jetzt endlich Weltverbesserung!
Cosmos und Kosmos
7 Zugabe:Es wird schon glei dumpa
Das Mädchen und der Nikolo
Von den Hundlingen
Die Schneefrau im Gitschtal
Weihnachtseinkäufe
Weihnachten mit Tom Waits
Oldies but Goldies
Es gibt viele große Österreicher. Einer von ihnen war Konrad Lorenz, Vater der Verhaltensforschung und Beschreiber ihrer Phänomene von der Hackordnung übers Revierverhalten bis hin zur Übersprungshandlung, einer Bewegung oder Handlung, die aus einer Konfliktsituation zwischen zwei zuwiderlaufenden Instinkten entsteht. (In manchen Bewegungsabläufen treten gelegentlich fremde Bewegungen scheinbar ohne sinnvollen Bezug zu der gerade gegebenen Situation auf.) Eine solche Übersprungshandlung ist das, was man in Österreich Charme nennt und feiert: Liebenswürdigkeit auf der Basis der Aussichtslosigkeit.
Naturgemäß sind nicht alle Österreicher, auch nicht alle großen Österreicher, ganz automatisch charmant. »Aufwachen in Österreich heißt, in eine stickige Atmosphäre der Geistfeindlichkeit und Gefühlsrohheit hinein aufwachen, in Stumpfsinn und Niedertracht. Zuschauen müssen, wie das primitive Geschäft seine (Österreichs) Oberfläche zerstört und wie an dem gleichen primitiven Geschäft seiner Machthaber seine Tiefe verfault ist, kann nur Entsetzen sein. (...) Der Österreicher findet sich mit jeder Tatsache ab, oder er geht zu Grunde, wenn er dadurch nicht längst zu Grunde gegangen ist, dass er sich abgefunden hat. Ein Volk von Träumern, Lebensdilettanten, ist leicht in die Irre zu führen und auszunützen«, schrieb Thomas Bernhard einmal recht unliebenswürdig (oder sagen wir: mit sprödem Charme) zum österreichischen Nationalfeiertag als Beitrag für eine Anthologie mit dem Titel Glückliches Österreich. Der Text wurde jedoch zurückgezogen, weil der (österreichische) Verleger eine Klage befürchtete: Quod erat demonstrandum.
Knallharte Wahrheiten in einem kleinen Land knallhart auszudrücken, kann man sich nur leisten, wenn man eine tödliche Krankheit, einen ausländischen Verleger und außer einer Gummistiefelsammlung und der Mitgliedschaft beim Bauernbund auch nicht mehr viel zu verlieren hat. Gerade in einem kleinen Land gilt: große Literatur – kleine Auflage (der Umkehrschluss ist nicht automatisch zulässig). Kraftlackelei nur nach Vereinbarung. Ein – noch so sprachgewandter – Kolumnist, der eine Glosse auf der Seite eins einer auflagenstarken Tageszeitung betreut, wird sich thematisch in kürzester Zeit auf kulinarische Phänomene und Wetterkapriolen beschränken – das halt möglichst originell und brisant.
Natürlich kennt er seinen Nestroy: »Der Mensch ist gut. Nur die Leut sind a Gesindel!« Ist halt die Frage, mit wem man es gerade zu tun hat. Wie schnell hat man in einem kleinen Land einen verärgert und vor den Kopf gestoßen, der einen kennt, der einen kennt, die einem alle zusammen bei nächster Gelegenheit die Existenz abschneiden. Auf alle Fälle besteht ganz Österreich aus Abonnenten, die alle unentwegt damit drohen, ihre Abos zu kündigen, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Außerdem sind alle Österreicher Mitglieder bei Vereinen und Parteien, die ihnen Gedanken und Meinungen vorstanzen, die ihnen Weltbilder malen, die die Bürger dann nur noch rahmen und ins Wohnzimmer hängen müssen: Es gibt neben den großen auch viele kleine Österreicher.
Eigentlich sollte man ja die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Aber bevor es dann eine Wahrheit ist, die gegen den Strich geht, nimmt man doch lieber eine Halbwahrheit, eine Binsenweisheit, ein Klischee, das auf den Strich geht. Der Österreicher denkt sich sein Teil und lässt die andern drucken. Eigentlich sollte man ja die Wahrheit sagen, aber die Wahrheit hat leider noch viel kürzere Beine als die Lüge – direkt unansehnlich! Mit denen kommt man nirgendwo hin. Eigentlich sollte man ja die Sau herauslassen. Aber draußen könnte sich die Sau verlaufen und erkälten. Hier herinnen hat sie es warm und ist sicher und geborgen; besser so. Das ist der Nährboden, auf dem das prächtig gedeiht, was man in Österreich Charme nennt. Man wird doch nicht direkt sagen, was man auch indirekt ausdrücken kann. Die Wahrheit ist dem Menschen unzumutbar, und nicht alles, was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen. Basta! Gschamster Diener!
Der Charme, die Übersprungsliebenswürdigkeit, ist Mitglied einer großen Familie, zu der auch der Zynismus (Charme mit Hörnern) gehört, der Sarkasmus (Charme mit Geweih), der Grant (Charme im Krankenstand) oder die Herzlichkeit (enthaupteter Charme). Familienoberhaupt ist und bleibt die Resignation. Charme funktioniert nicht ohne Abgründe und seelische Finsternisse. Er ist die Kunst, Niedriges salonfähig, Unhöfliches höflich, Unangenehmes angenehm und eine noch so schmerzliche Wahrheit so zu sagen, dass sie niemandem wehtut und im Idealfall sogar alle befreit auflachen, obwohl sie noch mitten im Gelächter ganz genau spüren, dass sie eigentlich weinen sollten.
Nicht verwechseln darf man den Charme mit seiner versnobten Stiefschwester, der Galanterie, dieser seifigen, aalglatten Schmierenkomödiantin, die sich in der seichten Kunst gefällt, Höfliches höflich, Angenehmes angenehm und Freundliches überfreundlich zu sagen, um dann und wann noch eine Frau ins Bett zu kriegen, ohne dass sie so recht merkt, wie ihr geschieht, also wortwörtlich eine Hinterfotzigkeit sondergleichen. Der Charme hingegen ist keusch und sucht sein Heil allenfalls in Selbstbefriedigung. Anders als die Galanterie ist der Charme eine Schmeichelei, die nichts mehr im Schilde führt und nichts mehr will außer ihre Ruhe, ihren Frieden und vielleicht ein bisschen Schulterklopfen. Er nimmt das unveränderliche Schicksal hin. Die knallharte Wahrheit knallhart, klar, eindeutig und unmissverständlich zu sagen, führt zu nichts und zahlt sich nicht aus. Die Welt ist verloren! Auf zur nächsten Konditorei! Genuss als Übersprungshandlung des Verzweifelten: Und wenn nicht einmal das mehr funktioniert? Dann muss man es noch einmal mit Nestroy halten: »Wenn alle Stricke reißen, häng ich mich auf!« Auf den Tag genau hundert Jahre nachdem dieser Nestroy starb, erlebte ich den Nachteil, geboren zu werden. Charmant gesagt.
Tante Hemma ist steinalt, und ohne Hörgerät hört sie so gut wie nichts, aber das ist ihr doch zu Ohren gekommen, dass der österreichische Schmarren zum Weltkulturerbe erhoben werden soll. Tante Hemma ist von dieser Idee begeistert, und sie ist davon überzeugt, dass die Kulturnation Österreich in keiner anderen Disziplin derartige Höchstleistungen vollbracht hat wie in der Küchenkultur.
»Charme, nicht Schmarren!«, rief ich meiner Tante in die Ohrmuschel hinein. »Der Charme soll zum Kulturgut erhoben werden!«
»Ja, eben!«, antwortete diese. Ob Grießschmarren, Semmelschmarren oder Kaiserschmarren, ob mit oder ohne Rosinen, ob mit Apfelmus, Zwetschkenröster oder Kirschkompott, ob mit Zucker oder Zimt: Sie könne einen Schmarren zubereiten, dem man ohne falsche Bescheidenheit verführerische Anmut im Gaumen attestieren müsse. Dagegen seien – unter uns gesagt – die meisten Erzeugnisse heutiger Kulturschaffender im Grund geistig wertlose Produkte! So wie Josef Haslinger einen Thriller mit dem Titel Opernball geschrieben hat, würde sie, hätte sie das Talent dazu, einen Thriller mit dem Titel »Kaiserschmarren« schreiben: Den österreichischen Roman schlechthin. Wie die warmen Semmeln ...
»Charme, nicht Schmarren, Tante!«
»Ja, eben! Einmal habe ich in München im Paulanerbräu einen Kaiserschmarren bestellt – eine kulinarische Bankrotterklärung! Angesengte Gummifrittaten! Österreich kann man einfach aus gastronomischen Gründen nicht verlassen, und nur aus dem Mehlspeisengrund besuchen uns die Menschen aus aller Welt. Kannst nicht du als Schriftsteller anlässlich des heurigen 10-, 50-, 60-Jahr-Jubiläums eine große Rede zum Thema ›Aller Schmarren ist Österreich Untertan‹ schreiben? Oder: ›Österreich – das Reich, wo der Schmarren nicht untergeht!‹ Starte eine Schmarrenoffensive für Österreich! Die Kehrseite des Weltkulturerbes sind freilich Übergewicht, Blutfette, Infarkt, Schlaganfall und Exitus. Daher auch die stehende Wendung: ›Komm, süßer Tod!‹«
»Tante, was redest du für einen Schmarren zusammen?«
»Nicht Schmarren, Kind, Charme!«
Ich hatte die alte Dame die ganze Zeit im Verdacht, ein ausgekochtes Luder zu sein. Also schlug ich daheim im Duden nach und fand unter dem Stichwort Charme »verführerische Anmut«, unter Schmarren hingegen »geistig wertloses Produkt«.
Ein Nachtrag zum Nationalthema Charme: Ich finde es gut, dass im Weltkulturerbe das Wort Kultur vorkommt, sodass man es herausoperieren kann, wenn man es braucht. Daher ist mir auch das Weltkulturerbe Charme als Bruder der Ironie recht: Beide versuchen ja, freundlich etwas Unfreundliches zu sagen – und möglichst so, dass der Betroffene gar nichts merkt.
Wie letztens herausgearbeitet, bedeutet Charme »verführerische Anmut«. Kulturgeschichtlich weisen die Vektoren demnach in Richtung Frauenkultur und bildende Kunst. Es geht also um Lidschatten, Lipgloss, Bodyglitter, vielleicht auch Bodypainting. Mit diesem Vorwissen ausgestattet betrete ich als überzeugter Österreicher, überzeugter Europäer, überzeugter Kulturmann jubiläumstrunken und doch forschenden Auges meinen Kulturnationssupermarkt, wo die Ware – fit for future! – durchwegs zweisprachig angepriesen wird. Zwischen Funktionslaufsocken (performance socks) und Zahnputzzeitmesser (tooth brushing timer) finde ich schließlich das fieberhaft gesuchte Erbe der Weltkultur um 5,99 Euro: Die Mädchenkulturtasche (Girls’ toilet bag) in trendigem Design (GB: in trendy design) für einen individuellen Look (GB: for an individual look) – und wundere mich so nebenbei, a) wie gut ich Englisch kann, b) wie gut ich Deutsch kann und c) wie ähnlich Deutsch und Englisch bei näherer Betrachtung eigentlich sind. Als Kulturmann bin ich freilich Sprachentalent.
Außerdem lehrt uns, liebe Leser, meine Recherche im Kulturnationsendverbraucherparadies, dass »Kultur« nicht vom lateinischen colo, colui, cultus (bebauen, pflegen, wahren, hochhalten), sondern vom englischen toilet kommt. Hoffentlich merkt’s die Kultur nicht so bald. Weil sich meine Charmeoffensive leider gleich bei der ersten praktischen Bewährungsprobe in den Niederungen der Etymologie verheddert hat, schlendere ich unauffällig weiter zur Tiefkühlkostabteilung und nehme mir eine Packung guten, alten, österreichischen Kaiserschmarren. Der ist »von Ernäherungswissenschaftlern getestet«, allerdings noch nicht ins Englische übersetzt. Mein Vorschlag: Emperor’s nonsens.
Obwohl ich eigentlich ganz gerne Wortspenden zu allen möglichen Themen gebe, hatte ich mir diesmal vorgenommen, mich an der Donau-Anthologie des Literaturhauses Niederösterreich nicht zu beteiligen, da die Donau und ich doch nur sehr indirekt miteinander zusammenhängen. Ich lebe am Wörthersee, aus dem ein Bächlein abfließt, die Sattnitz, die in die Glan mündet, die in die Drau mündet, die in die Donau mündet, die ins Schwarze Meer mündet, das mir aber egal ist, weil ich die blaue Adria vor der Haustüre habe. Nationalstrom hin, Nationalstrom her: Man muss sich ja nicht überall einmischen und meinen, man sei eine Art literarischer Enzyklopädiker und hätte ganz automatisch zu allem und jedem etwas zu sagen, was für andere von Wert wäre. Irgendwelche Assoziationen hätte ich freilich schon zustande gebracht, ein Mittagessen in Ybbs, eine Skaterfahrt bei Dürnstein (keine Frage: Ohne die Donau wäre die Wachau die Hälfte wert und wo keine Donau, da auch kein Donauradweg), die einschlägigen Stellen im Nibelungenlied, der unterklassige Fußballverein SV Donau, der – weiß der Teufel warum – im Klagenfurter Stadtteil St. Ruprecht auf dem Donauplatz spielt, das gleichnamige Buch von Claudio Magris (Donau, nicht »Donauplatz«) oder die dreiviertelfetttriefende akustische Neujahrsgemeinheit von Johann Strauss, die mich Jahr für Jahr schon am Silvestertag veranlasst, außer Landes zu reisen, an die Adria vorzugsweise. Heinrich Eduard Jacobs Roman Liebe in Üsküb beginnt mit dem Satz: »Zweihundert Meter oberhalb Linz sprang Cäcilie Prandtauer in die Donau.« Und so wie die Donauau eine Au an der Donau ist, ist die Donau außer der Donau auch noch eine Donau, also eine Au am Don. Aber all diese Assoziationen würden zu weit führen und gehören auch eher ins Handbuch des nutzlosen Wissens. Blondl, Mariandl, Mythel und Legendel, die sollen andere erzählen.
Mitten im geistigen Absagen begriffen (nämlich beim Joggen den Lendkanal entlang von meiner Wohnung zur Ostbucht des Wörthersees) ist mir dann aber doch ein Gedanke gekommen, den ich gerne festhalten möchte, weil er eine Gemeinsamkeit, ja mehr noch: eine ganz unvermutete geheime Komplizenschaft zwischen der Donau und mir herstellt. Während die Donau nämlich sehr schön durch Linz und auch noch recht ordentlich durch Krems fließt, fließt die Donau praktisch gar nicht durch Wien, der Bundeshauptfluss nicht durch die Bundeshauptstadt, jedenfalls nicht so richtig. Durch Floridsdorf und Kaisermühlen fließt die Donau und freut sich auf Albern und Schwechat. Sie bleibt gewissermaßen naserümpfend immer am Rand, immer in der Peripherie, und stets hat man den Eindruck, am liebsten würde die Donau an Wien vorbei- oder um Wien herumkommen. Das ist die richtige Einstellung! Das macht mir Mut, der ich zwar berufs- und berufungsbedingt wohl ein Dutzend Mal pro Jahr nach Wien komme, zu Lesungen oder um mich mit Redakteuren, Dramaturgen, Verlegern, Lektoren zu treffen – aber nicht in Wien lebe und auch nicht in Wien leben will: Sei das eigenwillig oder schon starrköpfig, karrieretechnisch ungeschickt oder bloß exzentrisch und egozentrisch. Was der Donau recht ist, ist mir billig. Bei Budapest geht’s dann interessanterweise wieder.
Man muss ja immer mitbedenken, dass die Donau der österreichische Strom ist. Das sollte sich die Themse einmal erlauben, nicht durch London zu fließen! Die Seine, nicht durch Paris! Der Tiber, nicht durch Rom, die Moldau, nicht durch Prag, der Tejo, nicht durch Lissabon zu fließen! Das gäbe eine Aufregung! Und eine Empörung! Schäm dich, Donau! Das hätten wir nicht von dir gedacht! Hätte die Donau ein Einsehen und würde sie endlich mit der Österreichwerbung kooperieren, wäre sie heimattreu, patriotisch und pflichtbewusst, dann müsste sie aus ihrem Flussbett ausbrechen, an der Staatsoper vorbei durch die Kärntner Straße zum Stephansdom, den Dom auf einer kleinen Insel umspülen, dann weiter über den Graben zur Hofburg, zum Heldenplatz, zum Bundeskanzleramt, zum Parlament, Rathaus, Burgtheater, zur Universität fließen; vielleicht ein kleiner Abstecher in die Berggasse zu Sigmund Freud. Schönbrunn und Belvedere müssten selbstverständlich auch im Fließplan aufscheinen. Aber nein! Einen feuchten Dreck schert sich die Autistin Donau um das Wohl des Landes. Gar nichts kann man von ihr haben außer den Donaukanal, und auch den nicht freiwillig. Entweder ist die Donau renitent, subversiv, nicht gesellschaftsfähig, grantig und sie provoziert um des Provozierens willen und will immer gegen den Strom schwimmen: Auf die Art wird sie es hier freilich zu nichts bringen. Oder die Donau ist schüchtern. Scheu. Phlegmatisch. Paralysiert. Depressiv. Schwarzgallig. Zwangsneurotisch. Ein Desperado. Womöglich würde sie ins Wasser gehen, wenn sie könnte. Ein schwerer Fall. Da kann man nichts machen. Oder die Donau hält ganz einfach nichts vom elenden Antichambrieren und Arschkriechen und Kaffeehaussitzen und weiß, dass sie direkt in Wien ohnehin keine Chance hätte.
Der Geist weht, wo er will, und die Donau fließt, wo sie will. Man muss sie nehmen, wie sie ist. Sie fließt durch die Bundeshymne, und sie ist und bleibt der Hauptfluss Österreichs, nicht weil sie so breit und erhaben wäre, sondern weil sie so schlampig und patschert und sonderbar ist, mit einem Wort: so österreichisch. Und deswegen muss ich doch unbedingt in der Donau-Anthologie vertreten sein, während ich ganz bestimmt nie auch nur ein Wort über die Drau schreiben würde. Zwischen mir und ihr besteht keine geheime Komplizenschaft und viel weniger Gemeinsamkeit, als man meinen möchte. Die Drau fließt übrigens auch gar nicht durch Klagenfurt.
PS: Wenn ich einmal gar nicht mehr weiter weiß und gar nicht mehr will und total verzweifelt bin: In die Drau gehe ich nicht! Ich gehe auch nicht in die Mur! Ich gehe in die Donau! Wenn sie Glück hat! Wahrscheinlich nehme ich den Tejo!
Lieber Mário, am letzten Wochenende bin ich nach Kitzbühel gefahren, um einmal in meinem Leben die sagenumwobene einmalige Atmosphäre beim sogenannten Hahnenkammrennen auf der Streif mit eigenen Augen mitzuerleben, die ich bislang nur aus dem Fernsehen kannte, und so kann ich Dir heute wieder ein paar erhellende landeskundliche Mitteilungen machen. Denn in der Hauptstadt der Schination Österreich wird einem gerade an diesem Hahnenkammwochenende eine Facette unseres schönen Landes deutlich: Die sinnfällige Symbiose von Patriotismus und Alkoholismus (wobei aber nicht der Patriotismus zu Alkoholismus, sondern der Alkoholismus zu Patriotismus führt). Seit den frühesten Morgenstunden des Rennsamstags treffen am Bahnhof von Kitzbühel im Zehnminutentakt Sonderzüge ein, die Horden schwer betrunkener Österreicher aus dem gesamten Bundesgebiet herbeibefördern. Man erkennt sie weniger an ihren überdimensionierten rot-weiß-roten Zylindern und alpenländischen Filznarrenhüten, die kongenial zu dem in rustikale Gesichtskriegsbemalung gebetteten dämlichen Grinsen darunter passen, sondern an der bedauerlichen Tatsache, dass für viele von ihnen bereits das Verlassen des Zuges eine unlösbare physikalische Aufgabe darstellt.
Die meisten haben hier nicht einmal ein Zimmer für die Nacht gebucht, da die Nacht ohnehin dem Feiern, der Alkoholvergiftung und der völligen Zumüllung Kitzbühels vorbehalten ist, und unmittelbar nach Gelingen ihres opferreichen Vorhabens versuchen sie in der Morgendämmerung, irgendwie wieder ins Innere des Zuges zu gelangen, der sie und ihr Erbrochenes und ihr Delirium tremens wieder an den Ausgangspunkt zurückbefördert. Und zur Not bekommt man immer ein Zimmer oder wenigstens ein Bett am Gang im Krankenhaus.
Diejenigen schwankenden Gestalten hingegen, lieber Mário, für die die offene Waggontür bei der Ankunft kein unüberwindliches Hindernis war, sammeln sich zu Zigtausenden tutend und trompetend, johlend und grölend am Zielhang der Streif, schwenken die sorgsam mitgebrachten Transparente und Flachmänner, und je illuminierter sie werden, desto überschwänglicher preisen sie ihre Heimat. Das Verb lallen ist äußerst lautmalerisch, da es gleich drei L enthält und auch nichts anderes bedeutet, als seine Sprache, was immer man auch zum Ausdruck bringen will, mit diesem labialen Konsonanten zu unterwandern und zu überschwemmen. Unsere österreichische Bundeshymne, bei der in jedem Satz gleich zweimal das mit L beginnende Wort Land vorkommt, eignet sich für ein derartiges, wenn auch lexikologisch nicht autorisiertes Lautverschiebungsvorhaben geradezu ideal. Aber dass es phonetisch auch möglich ist, die drei Worte Immer wieder Österreich, in denen kein einziges L vorkommt, mithilfe einer Zunge im Schleudergang so auszusprechen, als käme fast kein anderer Buchstabe als das L vor, ist für einen guttural disziplinierten Menschen schwer nachvollziehbar.
Wer Hahnenkammsieger wird, ist weißwurscht. Falls es kein Österreicher, sondern der Amerikaner mit dem hervorragend zu grölenden Namen Bode wird, dann gilt eben, was sein Landsmann Walker Percy in seinem Handbrevier Lost in the Cosmos erklärt:
»… Im Unterschied zum Genuss geistiger Getränke in der Vergangenheit dient der Alkohol nicht dazu, das Fest zu feiern, sondern dazu, das Misslingen des Festes vergessen zu machen. Der Ursprung des Misslingens ist das Selbst. Was demnach betäubt und vergessen gemacht werden muss, ist das Selbst ...«
Lieber Herr Figl, als einer von zwei noch lebenden Figl-Preisträgern bedanke ich mich auf diesem Weg nachträglich recht herzlich für Staatsvertrag, Freiheit und immerwährende Neutralität. Wir feiern gerade den 50. Geburtstag der Republik, sind aber längst ein europäisches Bundesland, und wir hätten es schlechter treffen können.