Der Historiker und der Zeitgenosse - Christian Meier - E-Book

Der Historiker und der Zeitgenosse E-Book

Christian Meier

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Beschreibung

Wie hängt die Arbeit des Historikers mit seiner eigenen Biographie und seiner eigenen Lebenszeit zusammen? Was kann Geschichtsschreibung für die Gegenwart leisten? Über diese Fragen hat Christian Meier, der renommierteste Althistoriker Deutschlands, immer wieder nachgedacht. Anlässlich seines 85. Geburtstags zieht er nun Bilanz und reflektiert über die Probleme, die aus dem Verhältnis zwischen der Welt der Geschichte und der Provinz des Historikers erwachsen.

Die Fragen, die Historiker an die Geschichte stellen, werden immer auch durch ihre Zeitgenossenschaft beeinflusst. Sie bestimmt ihre Vorstellungen ebenso wie ihre Sorgen und Ängste. Diese Erkenntnis bildet den Bogen von Meiers Antrittsvorlesung, die er 1968 unter dem Titel »Die Wissenschaft des Historikers und die Verantwortung des Zeitgenossen« gehalten hat, zu seiner vielbeachteten Abschiedsvorlesung vom Juli 2012. Der vorliegende Band versammelt diese beiden wichtigen Texte sowie ein Gespräch mit Georg Frühschütz, einem seiner letzten Studenten, in dem Christian Meier über Schwierigkeiten und Freuden des Historikerberufs nachdenkt. Er formuliert seine Sicht auf die Geschichtsschreibung und bewertet die Rolle des Historikers in unserer sich rasant wandelnden Gegenwart – einer Zeit, die es scheinbar längst aufgegeben hat, diesen Wandel geschichtsphilosophisch zu verstehen.

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CHRISTIAN MEIER

DER HISTORIKER UND DER ZEITGENOSSE

Eine Zwischenbilanz

Siedler

Erste Auflage

Copyright © 2014 by Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, HamburgSatz: Ditta Ahmadi, BerlinReproduktion: Aigner, Berlin

ISBN 978-3-641-13648-2

www.siedler-verlag.de

Wolf Jobst Siedler17. 1. 1926 – 27. 11. 2013In dankbarer Erinnerung

Inhalt

Zu diesem Buch

Abschiedsvorlesung

Noch Fragen

Jugend unter Hitler. Studienanfang in der Sowjetzone: Wie kam er zur Geschichte?

Historische Wissenschaft von der Dissertation bis heute: Aufbruch der »Flakhelfer-Generation«. Die 68er. Die Verantwortung des Historikers.

Die Grenzen des Möglichen: Probleme der Abschiedsvorlesung

Der »Intellektuelle«: Historikerstreit. Publizistik um die Wiedervereinigung und anderes

Der Geschichtsschreiber: Für wen? Wie? Und welche Probleme stellen sich für die Geschichte der Antike im Zusammenhang der Geschichte Europas?

Die Wissenschaft des Historikers und die Verantwortung des Zeitgenossen Antrittsvorlesung

Zu diesem Buch

Die Abschiedsvorlesung von Christian Meier am 19. Juli 2012 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München war ein Ereignis. Noch unter dem Eindruck des Vortrags entstand der Wunsch, diese letzte Vorlesung zusammen mit Meiers legendärer Antrittsvorlesung vom 6. Juni 1968 in Basel über Die Wissenschaft des Historikers und die Verantwortung des Zeitgenossen zu einem Buch zusammenzufassen.

Als dieser Wunsch an Christian Meier herangetragen wurde, erwähnte er einen Studenten, der ihm interessante Fragen stelle. Ob das nicht etwas für die Spanne dazwischen sei? So fanden fünf biographische Gespräche zwischen Christian Meier und Georg Frühschütz (Jahrgang 1986) ebenfalls Eingang in diesen Band.

Es bot sich an, in der Gegenwart zu beginnen und die Abschiedsvorlesung an den Anfang zu setzen. Es folgen die Gespräche, die in großen Bögen die Arbeit des Historikers zurückverfolgen und einen Einblick in Erfahrungen und Einsichten des Zeitgenossen bieten. Den Schluss bildet die programmatische Basler Antrittsvorlesung.

Abschiedsvorlesung

19. Juli 2012,

Ludwig-Maximilians-Universität München

Génoito d’an pan en toi makroi chronoi, alles kann passieren (oder auch entstehen) im Laufe einer langen Zeit. So liest man es bei Herodot, dem Vater der Historie (5,9,3).

Alles treibt die lange, unzählbare Zeit (ho makros kanarithmetos chronos) hervor aus dem Verborgenen, und das ins Licht Getretene verbirgt sie wieder. Nichts, was man nicht zu erwarten hätte. So heißt es bei Sophokles im Aias (646ff.), etwa eine halbe Generation zuvor.

Und etwa 200 Jahre davor hatte Archilochos (74 D.) gedichtet; nichts sei aëlpton, also unerwartbar, unmöglich, seit Zeus die Mittagszeit in Nacht verwandelt und der hellen Sonne Licht sich verbergen ließ. Kalte Angst beschlich da die Menschen.

Alle drei Aussagen laufen auf das gleiche hinaus: Man muß, zumindest im Laufe der Zeit, mit allem rechnen. Die Anlässe, die die Autoren zu dieser Art Feststellung bringen, sind unterschiedlich. Archilochos hatte gerade eine Sonnenfinsternis erlebt. Aias will (übrigens zum Schein) einen Sinneswandel begründen, indem er ihn als Niederschlag einer allgemeinen Erfahrung darstellt: Es ist ja überhaupt mit allem zu rechnen. So konnte man es in der damaligen Zeit auf erschreckende Weise erfahren. Herodot hat es mit Behauptungen zu tun, die er zwar für unglaubwürdig hält; aber ausschließen, daß sie wahr sind, kann er auch nicht. Denn es kann eben alles passieren im Laufe einer langen Zeit.

Der Erkenntnis Herodots liegt unter anderm die Wahrnehmung eines ganzen Komplexes unerhörter Begebnisse voraus, von denen er handelt. Sie schließen sich zu etwas völlig Neuem zusammen, das er ergründen will: Wo nämlich éine Welt gewesen war, Griechen und Barbaren – man kann auch sagen Europa und Asien – umfassend, sind jetzt zwei. Denn zwischen Griechen und Barbaren hat sich ein tiefer Spalt aufgetan; sie haben sich verfeindet. So hat es Herodot verstanden und ganz ernst genommen. Dies galt es zu erklären. Deswegen hat er seine historischen Untersuchungen angestellt. Was es bedeutet, für was es steht, daß dieser Mann dazu gekommen ist, erstmals eine Historie zu konzipieren, wird heute stark unterschätzt; darauf wird gleich noch zurückzukommen sein. In Wirklichkeit nämlich ist es eine der größten Entdeckungen gewesen, die erst und nur in der damaligen Zeit (abgesehen vielleicht von den Chinesen) möglich war.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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