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Udo Tuldi wurde 1954 in eine Familie hineingeboren, die alles vor ihm geheimhielt. Wer war seine wirkliche Mutter – vielleicht die Frau, die offiziell seine große Schwester war? Wer war sein Vater? Und warum legten sie alle den Deckmantel des Schweigens über die Vergangenheit? Die Wahrheit erfährt er erst, als es schon fast zu spät für ihn ist, dazwischen liegen viele Jahre der Demütigung, Prügel durch den Mann der Oma standen auf der Tagesordnung. Doch auch, als er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Dänemark flieht, gerät sein Leben nicht in ruhigeres Fahrwasser, ganz im Gegenteil, hier beginnt das Abenteuer erst.
Folgen Sie dem Autor auf eine Tour de force durch ein Leben voller Höhen und Tiefen mit einem Abstecher in Kopenhagens Rotlichtmilieu, falschen Freunden, schwersten gesundheitlichen Problemen – und vor allem stets auf der Suche nach seiner Vergangenheit.
Eine ehrliche und ungeschminkte Abrechnung mit einem Dasein, an dem manch anderer zerbrochen wäre.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Der Hölle entflohen
Meine Mutter war ein Kind
Von Udo Tuldi
Der Hölle entflohen
Meine Mutter war ein Kind
Deutsche Übersetzung:
Cindy Vikkelsø - B Publishing
1.Ausgabe, 1. Auflage Copyright © 2016 Udo Tuldi
Dänischer Originaltitel „Min mor var et barn-flugt fra helvede”. Herausgegeben 2016 vom Verlag Kahrius.
Meine Mutter und ich an meiner Taufe am 1. Oktober 1954.
Kurz nach der Entbindung erkrankte ich. Meine Mutter wurde sechs Wochen vor meiner Geburt 14 Jahre alt.
Das Foto auf der Vorderseite des Buches zeigt meine Mutter. Sie wurde am 15 Juli 1940 geboren. Das Foto ist vom September 1953 in Sargenroth, Hunsrück, Deutschland.
Nach meiner Geburt kam ich in das Zuhause, wo meine Mutter und ihre Mutter, mein Stiefvater und meine Halbgeschwister lebten. Es war ein altes Haus, wo sie zur Miete wohnten und es lag etwas auβerhalb von Sargenroth. Ich habe hier die ersten sieben bis acht Jahre meines Lebens verbracht und diese Familie als meine echte Familie angesehen: Meine Mutter, mein Vater und meine Geschwister. Wir bauten ein neues Haus, was sich als nicht so gut herausstellen sollte. Dort zogen wir alle 1959 ein - kurz vor meinem Schulanfang.
Ich erinnere mich, dass ich einmal in einen Tank gefallen bin auf unserem Baugrundstück. Dort war keine Kläranlage, wie man es heute kennt, sondern ein Abwassertank, der selten abgepumpt wurde. Das Haus war fast fertig und es war ganz schön was los rundherum. Drauβen wurde aufgeräumt und alles für den Hof klargemacht. Ich spielte und hüpfte auf einer Platte, die über den Abwassertank gelegt wurde. Die Platte hielt nicht und glitt zur Seite weg, so dass ich in den Tank fiel, der nicht leer war. Ich habe später von anderen gehört, dass es nur mein Onkel (der Bruder meiner Mutter) war, der mich rausgezogen hat, da die Anderen kein groβes Interesse daran zeigten.
Die Schule war die Hölle für mich. Auch wenn wir sechs Kinder aus einer Familie in der gleichen Schule waren, gab es da keinen groβen Spielraum für mich. Die Schule lag in ländlicher Umgebung und nicht weit weg von unserem alten Zuhause. Die meisten Dorfbewohner waren Bauern, es gab zwei Kirchen, ein katholisches Kloster und zwei Schulen. Eine für die Katholiken und eine für die Evangelischen. Einige Leute arbeiteten in der Groβstadt Simmern, wo es verschiedene Ämter, Verwaltungen, Geschäfte und Fabriken gab. Soweit ich mich erinnere, hatte ich diese Stadt nie zuvor besucht, erst nachdem wir in die Stadt Sargenroth zogen. Aber als ich in die Schule ging, kam ich öfter in die Stadt und traf mehr Kinder, mit denen ich spielen konnte.
Es war ein kurzer Weg zur Schule. Obwohl wir sechs Kinder zu Hause waren, war dort niemand, der mit mir spielen wollte, stattdessen sagten sie immer ich soll weggehen.Ich kam jeden Tag an einigen Bauern vorbei und sah viele verschiedene Menschen, das war ich gewohnt und fand es schön. Endlich jemand mit dem man reden, spielen oder helfen konnte, ob bei der Ernte oder im Stall. Ich war glücklich und fand alles super. Ein neues Haus, der Schulanfang. Ich würde Freunde finden, vielleicht gute Schulkameraden und endlich jemanden zum spielen haben, ohne dass ich weggeschoben werde und höre: »Wir spielen nicht mit dir, du bist dumm, wir wollen dich nicht mit dabeihaben«. Aber es kam anders, als ich es mir erhoffte.
In der Schule saß ich neben meiner angeblichen ‚Schwester’. Der Schulhof war eingeteilt in zwei Hälften. Ich verstehe bis heute nicht, warum ich meine Pause alleine auf der einen Hälfte des Schulhofes verbringen sollte. Damals waren alle Klassen von der 1 bis zur 8 in einem Klassenraum mit einem Lehrer und da gab es Ordnung und Strafe. Wir waren sechs Kinder von der gleichen Familie in der gleichen Schule im gleichen Klassenraum, es gab nur einen für die Evangelischen und trotzdem war ich drauβen ganz allein in der Pause. Nicht mal meine angeblichen Geschwister benahmen sich mir gegenüber anders. Wenn sie einen zum Spielen hatten und derjenige mich nicht mit dabeihaben wollte, haben sie auch nichts dagegen unternommen. Sie sahen mich immer als jemanden, der im Weg steht und irritierend ist, dass ich zu dumm und daher nicht geeignet war zum mitspielen und deshalb war dort kein Platz für mich. Wenn ich dann mal dabeisein durfte, war es, um sich über mich lustig zu machen oder um das zu machen, was sonst keiner machen wollte. Sie wussten sehr wohl, dass es verkehrt war, auch wenn es für sie lustig war, zumal dann nur eine Person Strafe, Ausmecker oder Schläge kriegt. Das passte ja gut in ihr Spiel und war ganz unterhaltsam. Oft wusste ich, dass ich was Verkehrtes tat, machte es aber trotzdem, um mit dabei zu sein und nehme das Risiko in Kauf.
Es verging nicht ein Tag, ohne dass ich für dieses oder jenes oder für etwas in der Schule bestraft wurde. Ganz egal, was da auf dem Schulhof oder an der Tafel passierte - es war immer meine Schuld. Oft war ich kurz davor etwas zu machen, das schlechte Konsequenzen für mein späteres Leben haben könnte, nur um nicht alleine sein zu müssen oder um mit jemanden zu spielen. Auch, wenn es nicht die besten Spiele waren, die ich kannte. Mit anderen Worten wurde ich auch dann nur ausgenutzt, meistens zum Vergnügen der anderen. Ob zuhause oder in der Stadt, es war immer das Gleiche. Ich wollte gerne mit jemandem spielen, aber versuchte ich etwas zu sagen, hörte ich nur, dass sie das nicht dürfen, weil ich nicht so war wie sie, keinen Vater hatte und meine Mutter auch nicht meine Mutter war.
***
Eine Zeit lang war ich viel mit älteren Leuten zusammen. Es waren die Groβeltern von einem Schulkameraden. Angeblich waren es Leute, die anders waren. Ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte vor lauter Einsamkeit und wegen der unverständlichen Behandlung, die mir zuteil wurde. Und immer wieder fragte ich mich, warum das alles so ist – ich habe doch niemanden etwas getan.
Unerwünscht zu sein in einer ganzen Stadt und am meisten bei denen, die ich als meine Familie betrachtete. Es ist schwer für einen Jungen ohne Geborgenheit aufzuwachsen. Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben, ich erfuhr keine Akzeptanz, weder im Spiel noch bei anderen Formen von Unterhaltung in der Gesellschaft.
***
So wurde ich eine einsame Person und war gezwungen, viele Sachen selbst zu erlernen um mich durchzuschlagen. Ich habe immer und mit allem Mitteln versucht nett und behilflich zu sein, um anerkannt zu werden, aber es ist mir nie gelungen. Bei der anderen Familie durfte ich Fernsehen gucken, rauchen und über alles Mögliche reden und nach einer Zeit durfte ich auch etwas Bier und Wein trinken. Das störte mich nicht, Hauptsache ich war nicht mehr allein.
Und dann waren da ja auch Dinge, die ich durfte ohne Schläge zu bekommen oder ausgemeckert zu werden. Sie waren nett zu mir und ich fühlte mich, als wäre ich jemand, weil ich bei Gesprächen und anderen Unternehmungen mit dabeisein durfte.
Es kamen auch andere Leute um Bier zu trinken und zu erzählen. Dort fühle ich mich wohl, weil mit mir geredet und zu mir geredet wurde. Aber oft endete alles damit, dass ich Schimpfe bekam, wenn ich nach Hause kam, weil sie es nicht mochten, wenn ich dort hinging. Immer wieder fragten sie mich, was ich dort will und mache. Natürlich konnte ich nicht erzählen, dass ich dort Fernsehen gucke, Bier und Wein trinke und fühle, als wäre ich jemand. Es gab schon genug Ärger weil sie wussten, dass ich dort hinging, deshalb habe ich oft versucht nicht gesehen zu werden. Oft sagte ich einfach, dass ich woanders war.
Wieder eine harte Zeit für mich, immer noch keine Spielkameraden in Sicht, ich ging sehr oft alleine in den Wald und baute Höhlen. Dort konnte ich sein, wie ich wollte. Oft ging ich von unserem Wohnort mit einem kleinen Handkarren zum Sägewerk, wo ich einige Bretter für meine Hütte bekam, die nahm ich als Dach für meine Höhle. Viele Tage verbrachte ich alleine im Wald, wo ich viel über die Natur erfuhr, besonders über Bäume. Ich fällte oft Bäume für meine Höhlen und Hütten. Leider kam eines Tages der Förster zu uns nach Hause und beschwerte sich darüber. Meistens endete dies mit Hausarrest und Strafe. Und da ich derjenige war, der sich im Wald aufhielt und spielte, lag es auf der Hand, wer es war.
In der Stadt gab es einen Bürgermeister, der „zu sagen“ hatte. Viele Sachen passierten in dieser Stadt, aber immer, wenn etwas Schlechtes geschah, sollte es meine Schuld gewesen sein. Bei 500 Einwohnern gibt es viel Geschwätz und wenn sie einen erstmal als „unnormal“ und „anders“ eingestuft haben, kommt man da nicht mehr raus.
So war die Religion und der Glaube, den die Menschen in dieser Zeit hatten. Hier komme ich als ein dazugezogenes Kind in diese Stadt, wo einen keiner kennt, aber trotzdem alle ihre Meinung über denjenigen haben. Alle fanden, ich sei verkehrt, aber keiner unternahm etwas dagegen. Der Stolz darüber, eine eigene und richtige Familie und Kinder zu haben, ist sehr wichtig. Alles muss nach Vorschrift laufen. Alles was anders ist und nicht dort hineinpasst, löst ein ordentliches Getratsche aus.
***
Ich war sieben Jahre alt und der jährliche Hunsrücker Markt stand vor der Tür.. Es wurden groβe Zelte aufgebaut sowie alles andere, was zu einem Markt dazugehört und für drei bis vier Tage Unterhaltung sorgen soll.
Ich ging herum und schaute zu, wie sie das groβe Zelt aufstellten. Es brauchte seine Zeit und viele Männer dazu, die jede Menge Bier tranken. Einige andere und ich hatten die Aufgabe Bier zu holen vom Kaufmann und verdienten dadurch ein bisschen Geld oder eine Brause. Jedes Mal bekam ich leere Flaschen zurück, in denen immer ein Schluck über war, den ich dann trank und es schmeckte gut. Aber nachdem ich drei- oder viermal neue Flaschen geholt hatte und die letzten Schlücke aus den Flaschen trank, wurde ich besoffen. Das war schön. Dann wurde anschlieβend wieder über mich gelacht. Meistens darüber wer meine Eltern sind und warum ich so dumm bin und deshalb zuhause mal nachfragen sollte. Aber das störte mich nicht. Mir ging es gut und mir war gerade alles ganz egal. Mochte nicht mal nachhause gehen und meine täglichen Aufgaben erledigen. Die Zeit verging und plötzlich sagten die Zeltarbeiter: »Jetzt kommt deine Mutter und holt dich und du kannst was erwarten«. Ich sah, wer da kam.
»Das ist meine groβe Schwester«, sagte ich. Dann lachten sie und meinten: »Frag sie wenn sie hier ist.« Das wollte ich jedoch nicht und schlich mich auf einem kleinen Weg langsam weg von dort. Als ich zuhause ankam, kriegte ich eine ordentliche Abreibung, was ich nicht mal registrierte und dann wurde ich ins Bett gesteckt. Als ich am nächsten Morgen aufstand, hatte ich ins Bett gepullert. Das war nicht so gut, weil es dafür Strafe und Schläge gab und zudem auch noch ein gefundenes Fressen für meine angeblichen Geschwister war, um mich ‚Bettnässer’ in der Schule oder gar der ganzen Stadt zu nennen. Eins ist sicher: Wenn irgendetwas in der Stadt geschah und es um sechs Uhr an der Tür klingelte und sich jemand beschwerte, dann war ich daran schuld. Auch wenn irgendjemand gewusst hätte, wo ich herkomme und warum, würde man es mir nie erzählen. Es war ja auch viel interessanter, wenn man etwas hat, worüber man tuscheln konnte und dazu noch einen Sündenbock für alles hatte.
Ich ging auf einem Weg, eine Strecke waren sieben Kilometer. Ich ging hin und zurück mit meinem kleinen Ziehwagen. Im Wald lud ich ab und ging dann nach Hause, wo ich dann wieder ausgemeckert wurde und oft Schläge für irgendetwas bekam, das ich angeblich gemacht hatte, bevor ich gegangen war. Ich musste meine Aufgaben zuhause erledigen und oft werden sie kontrolliert. Manchmal geling es mir jemanden zu überreden sich meine Höhle anzuschauen und zusammen darin zu spielen. Es endet leider oft damit, dass uns jemand gesehen hat und derjenige dann selbst Ärger und eventuell. Schläge zuhause bekommt. Das konnte man dann deutlich am nächsten Tag in der Schule sehen, wenn er dann nicht mehr mit mir redete. Manchmal vergingen mehrere Tage, wo kein Mensch auf mich reagierte. Manchmal ist es allerdings auch richtig schlimm, dann sammelten sie sich in einer Gruppe und schlugen mich zusammen, weil ich sie überredet hatte mit mir zu spielen.
Dann war ich wieder alleine auch auf dem Schulhof. Es ging sehr streng in der Schule zu, es gab damals noch die Prügelstrafe, den Stock bekam ich oft zu spüren. Der Lehrer mochte mich nicht und meine Familie ebensowenig. Es lieft immer so ab: Ich sollte zur Tafel kommen und mich vorbeugen, dann schlug er mich mit dem Stock. Das muss ich haben meint der Lehrer. Für mich war es ein tägliches Ritual geworden, denn es verging kaum ein Tag, an dem ich keine Schläge bekam. Es passierte ja immer irgendetwas in der Schule z. B. wenn einer hingefallen war und sich geschlagen hatte oder es war irgendetwas kaputtgegangen. Wenn niemand gesehen wurde, dann war ich es. Der Lehrer war ein groβer Mann zu dem man hinaufschaute. Lehrer haben ja meist immer recht. Deshalb war es richtig, dass ich schuld war und somit Schläge bekam. Einige von den anderen Kindern konnten auch nicht verstehen, warum ich so anders war, aber sie wollen selbst keine Strafe und Schläge riskieren, wenn sie mit mir gesehen wurden.
***
Neben uns wurde viel gebaut und eine Familie wohnte dicht bei uns. Sie waren sehr katholisch und hatten drei Söhne, der eine war ein Jahr jünger als ich und wir spielten heimlich zusammen. Seine Mutter war streng katholisch und sie fand es nicht schön, wenn ihr Sohn mit jemanden zusammen war, der auβerehelich geboren ist. Das schadet ihm. Oft trafen wir uns im Wald und an anderen Stellen, wo wir sicher sein konnten nicht gesehen zu werden. Wenn seine Mutter Mutter es erfahren sollte, kriegt er nur wegen mir Ärger. Ich hatte oft mit einem konstanten Schuldgefühl zu kämpfen, weil ich wusste, wie ich bestraft werde und diejenigen, die mit mir zusammen waren, hatten die gleiche Strafe zu erwarten. Der Gedanke gab mir ein Gefühl der Mitschuld.
Manchmal wurde dieses Gefühl so groβ in mir, dass ich wirklich glaubte an allem Unglück, das in der Stadt und in meiner Familie so passierte, schuld zu sein. Und dass ich das jeden Tag zu hören bekam, machte diese Situation auch nicht nicht besser.
Oftmals dachte ich, dass es besser wäre, wenn keiner mit mir spielt oder mit mir zusammen ist, damit ich niemandem Schaden zufügen kann. Ich bat niemals um Hilfe oder um etwas anderes. Ich bat um nichts mehr und hatte mich darauf eingestellt, alles alleine zu machen. Es gab ja sowieso nur Probleme, wenn ich das tat oder gar Strafe für mich oder die anderen. Dadurch war ich unsicher und vertraute niemandem mehr. Aber so musste es wohl sein, wenn man so einer ist, wie ich es war. Wenn man anders ist als die anderen und alles und alle gegen einen sind.
»Du bist nicht wie wir, die wir eine Mutter und einen Vater haben, die in einer Kirche getraut wurden. Du bist nicht echt, wir dürfen nicht mit dir spielen«. Das hörte ich jeden Tag.
***
In der Stadt wohnten 50 Prozent Katholiken und 50 Prozent Evangelische und alle gingen sie am Sonntag in die Kirche. Das war sehr wichtig. Oft wurde dort über meine Familie getrascht, aber meistens doch nur über mich, weil ich ohne Vater war und auβerehelich geboren wurde. Das Gefühl, dass mich niemand mag oder ein Gespräch mit mir führen wollte, wie Mutter und Kind es manchmal tun und das Vermissen von Berührungen ohne Schmerzen machten mich einsam und frustriert, jegliche Lebenslust war mittlerweile ausgelöscht worden. Dass ich mir selbst und meinem Schicksal überlassen war, um das ich nicht gebeten hatte, machte das Leben nicht leichter. Aber ich hatte immer den Traum zu zeigen, dass ich etwas kann, und dieser Traum hielt mich am Leben. Ich hatte das Gefühl der Liebe von meiner Mutter und meinem Vater nie erfahren. Ich wusste nicht, was eine Mutter oder ein Vater ist. Das Einzige, was ich erfuhr, ist wie viel alle arbeiten müssen, weil ich dort bin und dass es meine Schuld ist, dass ich überhaupt da bin. Wie hart ich dagegen arbeiten musste, um Anerkennung und Liebe zu bekommen, sah keiner. Genauso wenig sahen sie, wie schlecht es mir ging wenn sie mir standing vorwarfen, ich sei nur im Weg und würde nichts als Ärger mache.
Auf viele verschiedene Arten versuchte ich mich bemerkbar zu machen und wollte etwas Gutes tun für die Stadt und meine Familie. Das Haus war neu und das Geld knapp, es gab nur einen Sandweg als Einfahrt. Vor Jahren hatte es einen Zug gegeben, der durch den Wald zu allen Städten fuhr, aber der war abgeschafft und die Schienen entfernt worden. Es gab also viele gute Steine, wo die Gleisen einst drauflagen, wie gemacht für die Einfahrt. Oft war ich bei einem Bauern und half ihm bei verschiedenen Dingen im Stall oder auf dem Feld. Eines Tages hatte ich mit ihm abgesprochen, dass er mit mir mit dem Traktor und einem Anhänger in den Wald fährt. Ich schlich mich früh am Morgen raus und fuhr mit ihm in den Wald, um Steine zu holen. Kam nach Hause und legte sie in unsere Einfahrt. Ich fand, es sah super aus. Ich fühlte mich wie jemand, der etwas Gutes getan und gezeigt hatte, dass er Gutes tun kann. Und dazu noch ganz alleine, das muss doch etwas über mich und meine Talente aussagen. Aber ich wurde wieder enttäuscht. »Sowas macht man nicht, was sollen denn die anderen denken!«, bekam ich nur zu hören. Es gab viele Bauern im Ort. Jeden Morgen um fünf fuhr ein Bauer, der Milchmann, mit seinem Unimog durch die Stadt und sammelte die Milch von einem Bauer zum anderen ein und holte alle Milchkannen mit der gestrigen Milch. Dann fuhr er zu einer kleinen Melkerei, die zehn Kilometer von unserem Ort entfernt lag und lieferte diese dort ab, um dann die restliche Milch mitzunehmen plus das, was die Bauern sonst noch bestellt hatten. Restmilch, Butter, Joghurt und Käse wurden dann zu den Bauern zurückgebracht in die verschiedenen Orte. Das faszinierte mich sehr und ich wollte gerne mit und behilflich sein.
Der Bauer war damit einverstanden, Hauptsache ich war zum rechten Zeitpunkt am rechten Ort. Ich fuhr oft mit und fühlte endlich, dass ich was Gutes machte für alle Bauern, damit sie ihre Milch und die bestellten Sachen schnell und sicher bekommen.
Ferner war ich glücklich, da wir oft etwas frische Butter, Joghurt oder Käse bekamen, was der Familie guttat. So trug ich auch dazu bei und tat etwas Gutes. Egal was ich auch tat, ich wollte zeigen, dass ich jemand bin und etwas kann und nicht anders bin. Und das gab mir das, wovon ich schon so lange geträumt hatte: nämlich etwas Geborgenheit und Frieden ohne Schläge und Ärger. Die Sachen, die ich mit nachhause brachte, waren gut genug und wurden benutzt, aber es brachte mir keine Sympathie ein. Ich wurde dadurch nicht besser behandelt in der Familie. Noch immer kein Zeichen dafür, dass ich jemand bin oder etwas Gutes tue.
Jedes Jahr war ich mit bei der Ernte und sammelte Kartoffeln. Alles wurde per Hand gemacht, keine leichte Arbeit, wie auch alles andere, wenn ich versuchte etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.