Der Kaffeesieder-Putsch - Mary Weißenstein - E-Book

Der Kaffeesieder-Putsch E-Book

Mary Weißenstein

4,9

Beschreibung

Die Konkurrenz um den Bau von Schloss Schönbrunn hat sich zu einem Kampf um Leben und Tod entwickelt. Eine reiche adelige Clique verfolgt einen perfiden Plan, verleumdet den jungen Baumeister Fischer und bringt ihn an den Rand des Ruins. Doch wer hasst ihn so, dass er sogar der protestantischen Ketzerei beschuldigt wird? Darauf steht der Tod oder die lebenslange Verbannung. Wer hat ihn in die Falle gelockt? Im Kaffeehaus des Kolschitzky formiert sich der Widerstand gegen das Treiben der Adeligen. Die Kaffeesieder und die Maurerzunft ziehen an einem Strang. Alles kommt darauf an, dass sie noch rechtzeitig den Zeugen finden, der den Baumeister entlasten kann.

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In Erinnerung an meine Großmutter Mizl Weißensteiner,

die Geschichtenerzählerin

1887 – 1969

Inhaltsverzeichnis

Graz, im September 1687

Sonntag, 30. September

Wien, im Juni 1693

Sonntag, 7. Juni

Montag, 8. Juni

Sonntag, 14. Juni

Mittwoch, 17. Juni

Freitag, 19. Juni

Samstag, 20. Juni

Sonntag, 21. Juni

Montag, 22. Juni

Dienstag, 23. Juni

Mittwoch, 24. Juni

Donnerstag, 25. Juni

Freitag, 26. Juni

Freitag, 26. Juni

Samstag, 27. Juni

Sonntag, 29. Juni

Graz, im September 1687

Sonntag, 30. September

Morgen, morgen beginnt das neue Leben. Wieder fort aus Graz. Er wäre gern noch ein paar Wochen bei seinem Vater geblieben, in der alten Wohnung im Judengassl, aber es hatte sich kein schöner Bauauftrag ergeben. Und der Kaiser in Wien wollte ein neues Schloss bauen. Dort lag die Zukunft.

Heute noch einmal in die Stadtpfarrkirche zum Heiligen Blut, die er als Kind an der Hand seiner Mutter besucht hatte. Abschied nehmen.

Diese wunderbare, sehnsüchtige Melodie von der Orgel herab, die ihn immer noch eine Minute und noch eine Minute hielt, Töne wie Perlen, Akkorde, wie er sie nie gehört hatte in Rom. Das war nicht der alte Organist Peintinger aus seiner Kindheit, nein, das musste einer seiner Schüler sein. Er verstand nicht viel von Musik, aber er wusste, dass sie einen in eine andere Welt tragen konnte, in eine Welt aus Luft. Seine Welt war aus Stein.

Noch eine Minute.

Dann richtete er entschlossen seine Schritte zum Portal, hinaus in den Spätsommerabend.

Wien, im Juni 1693

Sonntag, 7. Juni

Raue Reden war man nicht gewöhnt im Kaffeehaus des Kolschitzky. Deshalb richteten sich mehrere Augenpaare auf die zwei Männer, die nah beim Fenster standen.

»Und ich sag dir, diese Jagdhütt’n bau ich!«, rief eine tiefe Männerstimme in mühsam verhaltener Lautstärke. »Schönbrunn wird sich nicht der italienische Pfaffe krallen, und wenn er noch so viele Kratzfüße vorführt.« Die Stimme hatte sich nun wieder im Griff. Der Mann hatte gerade seinen Becher zum Mund führen wollen, stellte ihn nun aber abrupt so heftig zurück auf den Tisch, dass der Rest des Kaffees herausschwappte und sein Gegenüber rasch den Ellbogen hob, um seinen Sonntagsrock zu schützen.

Sofort eilte der Aloysi mit einem Tuch herbei und bat mit seiner hohen Knabenstimme den gnä’ Herrn Frühwirth, die kleine Lache auf dem Tischchen wegwischen zu dürfen. Alles, was sich oberhalb des Fußbodens befand, den man nur mittels Sägespänen sauber halten konnte, musste duften und glänzen, darauf legten die Kaffeesieder allergrößten Wert. Der Kolschitzky braute sein türkisches Getränk neuerdings nicht mehr aus zerstoßenen Bohnen, sondern mahlte sie und kochte sie auch noch auf. Seitdem schmeckte sein Kaffee so wunderbar stark und bitter, ein duftendes Lebenselixier, das den Geist in Bewegung brachte, aber standhafte Flecken hinterließ.

»Lieber junger Freund«, sagte Johann Frühwirth mit väterlicher Stimme und gestattete dem Aloysi, die Kaffeelache des ärgerlichen Herrn Baumeisters Johann Bernhard Fischer wegzuwischen, »ich glaube, du siehst zu schwarz. Das Schloss von Schönbrunn ist doch ein Projekt des Kaisers. Der lässt sich nicht gleich einen Italiener aufschwatzen, nur weil der Harrach und der Liechtenstein und wie die Grafen und Fürsten alle heißen, einen Narren an diesem Martinelli gefressen haben. Du gehst doch beim Kronprinzen ein und aus! Du bist doch sein Architekturlehrer! Dich hat er engagiert, und der Kaiser wird sich schon was dabei gedacht haben.«

Fischer erwiderte mürrisch, aber nicht ohne Stolz: »Der Kaiser wollte einen einheimischen Baumeister, der in Rom gelernt hat. Das wollte er. Und das bin eben ich. Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort.«

»Ganz zufällig war das nicht«, widersprach sein Gegenüber, »du hast einen guten Ruf mitgebracht aus Rom.«

»Aus Rom, ja. Und in der Wiener Luft verpufft er gerade. Der Kaiser versteht ja nichts von Architektur. Und jetzt kommt der Graf Harrach daher und empfiehlt ihm auf einmal unbedingt einen italienischen Architetto von einer Accademia, und ein Abate obendrein und was weiß ich noch alles, weil das Schönbrunnschlössl doch seiner italienischen Stiefmutter gehört hat. Als ob die herunterschauen würde! Die würde sich eher im Grab umdrehen, wenn sie den Martinelli sieht.«

Da war sich Frühwirth allerdings nicht so sicher, denn der Domenico Martinelli war ein ansehnlicher Mann.

»Und der Kronprinz ist vierzehn«, fuhr Fischer fort, »wie ich nach Rom in die Lehre geschickt worden bin, war ich auch vierzehn und habe alles geglaubt. So einen Burschen kannst du leicht beeindrucken, wenn du daherkommst als Abate mit lateinischen Reden und ihn gleich segnest, bevor du ihm einen Plan zeigst, den angeblich auch der französische König gerne gehabt hätte.« Einen Burschen konnten sie den Kronprinzen Joseph natürlich nur unter vier Augen nennen. Aber es stimmte: Trotz aller italienischen Meister gab es am Wiener Hof nur eine Messlatte: Versailles. Die Prachtliebe der französischen Könige hatte es den Habsburgern schon lange angetan, das war kein Geheimnis in Wien. Leider fehlte ihnen das Geld.

»Das kann bald einer sagen«, beruhigte ihn Frühwirth, »Papier ist geduldig.« Er prüfte seinen Ärmel und den Stehtisch, ob er es sich wieder gemütlich machen konnte. »Der Martinelli übertreibt halt gern ein bisschen mit seinen römischen Erfolgen.«

»Übertreibt?«, lachte Fischer auf. »Ein bisschen? Ich habe diesen aufgeblasenen Schwätzer in Rom kennengelernt, am Hof der Königin Christina. Dort ist er herumscharwenzelt, und weil der Meister Bernini ihm einmal die Hand gegeben hat, erzählt er herum, er hätte beim Bernini gelernt!«

Beim Bernini gelernt und am römischen Hof der Königin Christina. Das war ein unübertreffliches Renommee. Wer bei der abgedankten schwedischen Königin reüssierte, war ein gemachter Mann. Es war eine Sensation gewesen, als die königliche Protestantin auf ihren Thron verzichtet, sich zum Katholizismus bekehrt und dem Papst unterworfen hatte und sich mit ihrem Hofstaat in Rom festsetzte wie eine Bienenkönigin. Sie wurde die Mutter der Künstler und Wissenschaftler, Wohltäterin, Sammlerin und Mäzenin, Musikerin und Schauspielerin und trat als Göttin Diana auf. Natürlich Diana. Sie war der größte Triumph des Papstes gegenüber diesen Ketzern gewesen, aber enttäuschte ihn schließlich, weil sie nicht einsehen wollte, dass auch die Juden wie die Pest wären. Nicht nur die Protestanten. Und als sie sogar die Schutzpatronin der römischen Juden wurde, entzog er ihr seine Unterstützung. Das hatten auch die Künstler zu spüren bekommen, dass das Geld des Papstes nicht mehr floss und die Apanage aus Schweden öfter ausblieb. Zumindest hatte man sich das so erzählt unter den Künstlern. Und nicht wenige kehrten dann Rom und der Königin den Rücken.

»Lieber Fischer«, sagte Frühwirth und legte seine Hand begütigend auf die Schulter seines Gegenübers, »das glaubt hier doch niemand, dass er beim Bernini gelernt hat. Und vielleicht hat er der Königin Christina ihr Schneuztuch aufheben dürfen. Dann hätte er ihr auch gedient. Wär’ ja nicht gelogen. Wenn er so ein Genie wäre, hätten die Römer ihn nicht so ohne weiteres gehen lassen von ihrer Accademia. Aber es ist halt so: Jetzt, wo es so viele Aufträge gibt in Wien, kommen die Italiener wieder daher und meinen, wir Einheimischen hätten ja bei ihnen gelernt und wären daher nur zweite Wahl!«

»Das ist es ja. Du triffst den Nagel auf den Kopf. Sie halten uns für zweite Wahl. Aber da werden sie sich geschnitten haben! Mit diesen römischen Klötzen nehme ich es allemal noch auf, auch wenn ich keinen lateinischen Segen drauflegen kann. Der Martinelli und Schönbrunn! Ein kaiserliches Lustschloss! Dass ich nicht lache!«

Er hatte einmal eine Zeichnung des Martinelli gesehen, als er noch etwas zu besprechen gehabt hatte beim Grafen Harrach, wegen der Übergabe des Palais an den neuen Architekten. Ein demütigender Moment! Und der Graf hatte auch noch alle seine Entwürfe behalten. Doch wie er zufällig einen Blick auf die Pläne des Martinelli geworfen hatte, die dort herumgelegen waren, auf der Konsole im kleinen Salon, war ihm eine Sekunde lang ein anderer Plan in Erinnerung getreten, nur ganz schemenhaft. Irgendwo hatte er etwas Ähnliches gesehen. Etwas sehr Ähnliches. Allerdings hatte er viele Pläne gesehen in Rom, man konnte leicht etwas durcheinanderbringen.

Frühwirth seufzte. Er wusste, dass man den Fischer nicht so leicht bremsen konnte, wenn er sich einmal in Rage geredet hatte. Dabei hatte sein junger Kollege und Freund doch gerade so eine schöne Arbeit an der Hand, die Dreifaltigkeitssäule am Graben. Seit Jahren arbeiteten sie jetzt schon an diesem Dankesversprechen für die Errettung von der Pest. Vierzehn Jahre war diese schrecklichste aller Heimsuchungen jetzt her. Fast ein ganzes Jahr hatte sie gewütet, und damals hatte keiner geglaubt, dass der Doctor de Sorbait recht gehabt hatte mit dem Händewaschen und nicht der Abraham a Sancta Clara mit dem Beten. Allerdings: Bewiesen war das noch nicht. Nur ein Gerücht. Deshalb konnte eine Pestsäule auf keinen Fall schaden. Frühwirth war von Anfang an mit dabei gewesen, mit dem Paul Strudl und dem Lodovico Burnacini. Aber erst der Johann Fischer hatte die besten Ideen gehabt, obwohl er als Jüngster erst später dazu gekommen war. Und dem Kaiser und den Jesuiten hatten die Ideen gefallen! Doch die Italiener ließen sich ungern etwas von einem Einheimischen sagen. Deshalb waren jetzt der Strudl und der Burnacini nicht gut auf den Fischer zu sprechen. Aber es ist doch ein gemeinsames Werk, dachte Frühwirth, an dem jeder seinen Anteil hat. Ein wunderbares Werk, dem man nicht ansieht, dass sich die Künstler uneins waren. Eines Tages werden die Menschen gar nicht mehr wissen wollen, wo der Fischer angefangen und der Burnacini aufgehört hat. Gott scheint alles zusammenzufügen, oder die Dreifaltigkeit in diesem Fall, was ja angeblich das Gleiche war.

Frühwirth selbst hatte seine künstlerische Eifersucht schon lange im Zaum und war froh, wenn seine Kräfte reichten. Er kannte den Johann Bernhard schon von Kindesbeinen an, als er in Graz Lehrling für die Steinmetz- und Dekorationskunst beim Vater Fischer gewesen war. Der Johann war schon als Kind ein Hitzkopf gewesen, und später stand er sich manchmal selbst im Wege, wenn er seinen Gefühlen Vortritt ließ vor seinem Verstand, aber er war voller genialer Ideen. So hatte er den jungen Johann Bernhard in Erinnerung: ein Hitzkopf, aber im Herzen weich und empfindsam. Als seine kleine Schwester gestorben war, war er wochenlang nicht ansprechbar gewesen. Und als er nach Rom zur Lehre geschickt wurde, gerade den Kindesbeinen entwachsen, voller Angst, weil er allein in die ferne Stadt musste, hatte Frühwirth ihn in den Arm genommen und ihm versprochen, auf seinen Hund aufzupassen. Ein streunender Hund überlebte nicht lange in den engen Mauern der Stadt.

Nun fühlte sich Frühwirth immer noch ein wenig verantwortlich für den Sohn seines Lehrherrn, obwohl … naja, die Sache mit der Sophia war nicht so gut gelaufen. Dabei hatte die Sophia behauptet, sie wäre die beste Hausfrau, die sich jeder Mann nur wünschen könnte, wenn einer sie bekäme. Und er hatte gedacht, die beste Hausfrau, das wäre das Richtige für den Johann. Wie hätte er ahnen können, dass die Sophia nur außen schön ist? Dass sie dem Johann nichts gönnen will? Aber das war eine andere Geschichte.

Er konnte den Zorn des Johann verstehen. Mehrere Palais, die sein Freund für die von Harrach, die von Liechtenstein oder die von Dietrichstein entworfen und sogar schon zu bauen begonnen hatte, waren eines nach dem anderen an diesen Martinelli gegangen, seit er sich beim Grafen Harrach eingenistet hatte. Er verstand es besser, sich bei den Bauherren einzuschmeicheln. Leider, dachte Frühwirth, hat es der Johann nie gelernt, Buckel zu machen oder elegante Kratzfüße. Und nun gab es das Gerücht, die Adeligen, die immer noch glaubten – und das waren nicht wenige –, nur die Italiener könnten bauen, sollen auf Schönbrunn hinarbeiten. Denn noch war Schönbrunn nicht begonnen. Der Fischer war noch nicht beauftragt und der Martinelli stand angeblich schon mit einem Plan bereit.

Inzwischen hatten sich die beiden Räume beim Kolschitzky gefüllt. Am Sonntagnachmittag kamen immer die meisten Gäste. Manche warteten schon vor der Türe, wenn die Kaffeesieder um Punkt drei Uhr öffneten, keine Minute früher, denn die Obrigkeit wachte streng darüber, dass wenigstens der Vormittag am Tag des Herrn dem Kirchgang vorbehalten blieb. Sieben Kaffeehäuser waren es mittlerweile, die das Privileg zum öffentlichen Ausschank bekommen hatten, unter strengen Auflagen: kein Alkohol und kein Glücksspiel und überhaupt ein gesittetes Benehmen. Auch das Tabaktrinken war untersagt worden, wo doch ohnehin nur die Soldaten und Knechte ihre Pfeifen aus dem Mund hängen ließen, und die gingen in die Wirtshäuser und Schnapsbuden und nicht zu den Kaffeesiedern. Für die Einhaltung der guten Sitten waren die Kaffeesieder persönlich verantwortlich, bei Gefahr des Verlusts ihrer Konzession. Der Kolschitzky, der Theodat und der Hazzi schenkten jetzt sogar auch die heiße indianische Cocolata aus, und die Damen waren sehr angetan davon. Obwohl es hieß, das neue Getränk würde ihre Sinne auf ungebührliche Weise reizen. Das Geschäft florierte. Man dachte sogar daran, Billardtische aufzustellen, weil Billard doch kein Glücksspiel, sondern ein Geschicklichkeitsspiel war, und statt der Hocker richtige Stühle mit Lehnen anzuschaffen. In nicht allzu ferner Zukunft wollte man um die Erlaubnis einkommen, auch im ersten Stock ausschenken zu dürfen. Aber man durfte die Behörden nicht überfordern.

Das Kaffeehaus des Kolschitzky umfasste zwei Räume, das größere Herrenzimmer und das kleinere Damenzimmer, in denen sich jedoch meist Herren und Damen, Freunde und Paare bunt gemischt einfanden. Zur Domgasse hin hatten sie große Fenster. Aus vielen kleinen Scheiben zusammengesetzt, brachten sie eine erstaunliche Helle ins Innere, anders als bei den Wirtshäusern, die manchmal dunkel waren wie Höhlen. Das hatte sich ganz von selbst aus den offenen Gewölben ergeben, in denen früher der Kaffee ausgeschenkt worden war, als die Röstöfen noch im Freien standen. Dann gab es noch ein Hinterzimmer mit einem kleinen Fenster und einer Türe zum Hof, Kolschitzky nannte es seine Kanzlei, weil es nicht nur zur Aufbewahrung der Kaffeesäcke diente, sondern auch als Schreibstube, wenn er mit seinen Lieferanten verhandelte, bis diese ihren russischen oder türkischen oder arabischen Namen oder ihre drei Kreuze unter den Vertrag setzten.

Vor einiger Zeit hatte er sich von der Anna Kratochwil, die indianische und türkische Figuren malte und gut im Geschäft war, in seinem Janitscharenkostüm auf eine Holztafel abmalen lassen, mit einer Säule und einem roten Vorhang, wie ein Prinz, und dabei zeigte er auf eine Tafel mit seiner Heldentat. Er hatte das Schild dann vor dem Kaffeehaus aufgehängt. Die Anna Kratochwil hatte sich dafür nicht bezahlen lassen, obwohl sie drei Wochen daran gearbeitet hatte, bis der Kolschitzky zufrieden war, sondern hatte sich ausbedungen, dass sie manchmal eine Zeitung mitnehmen durfte, für das Krowotndörfl in der Alser Vorstadt, wo es jetzt auch schon Leute gab, die lesen konnten. Die Anna hatte das Malen beim Matthias Pock gelernt, nebenbei als Gehilfin, denn die Lucasgilde erlaubte keine Frauen als Lehrlinge, schon gar nicht solche aus dem Krowotndörfl, von dort nahm sie nicht einmal die Burschen auf. Aber immerhin lebte die Anna jetzt gar nicht schlecht von ihren kleinen türkischen und indianischen Malereien. Wer ihr einen Auftrag geben wollte, ging aber eher hinüber zum Kaffeesieder Theodat, wo sich die Maler trafen und die Anna Kratochwil manchmal im Damenzimmer bei einer Cocolata saß und von dort aus die Kleider der orientalischen Gäste studierte.

Am anderen Ende des Herrenzimmers beim Kolschitzky hatten sich jetzt zwei Männer nahe beim Röstofen auf einer Bank niedergelassen und sich einen kleinen Tisch herangezogen.

»Du, Fischer, schau da drüben«, sagte Frühwirth, in der Hoffnung, seinen jungen Kollegen abzulenken, aber das war wieder das Falsche, wie sich gleich zeigte. »Da drüben, neben dem eleganten Herrn, da sitzt der Strudl.«

»Der Strudl ist auch da? Der hat mir heute gerade noch gefehlt. Welcher Strudl?«

»Na, der Paul natürlich. Der Peter geht ja lieber zum Theodat hinüber, zu den Malern.« Angeblich kamen die Brüder Strudl nur zu den Kaffeesiedern, um Kollegen auszuhorchen. Freunde hatten sie sich keine machen können in Wien.

Fischer warf einen kurzen Blick über seine Schulter zurück. »Auf den Paul bin ich schon gar nicht neugierig, seit du mir erzählt hast, dass er sagt, ich wäre ein Nichtskönner und in Rom wäre ich nur herumgestanden und hätte die Gedenkmedaillen nicht selbst entworfen. Nicht selbst entworfen! Er verleumdet mich, weil ich die besseren Ideen habe.«

»Ganz so ist es nicht«, sagte Frühwirth, »aber es stimmt, er ist auf die einheimischen Künstler schlecht zu sprechen. Er ist ja eigentlich fast ein Italiener. Und jüngere Konkurrenten kann er schon gar nicht leiden. Da bin ich ihm noch lieber.«

Es war nicht das erste Mal, dass sich die drei Meister der Pestsäule im Kaffeehaus trafen. Auch der Ignaz Bendl, der dem Fischer bei den Reliefs half, kam manchmal, wenn er nicht zu müde war. Man schätzte diese neuen Gaststätten, wo man interessante Fremde sah und manchmal auch Geschäfte machen konnte. Nur die Adeligen hielten sich immer noch misstrauisch fern von diesen Salons der Bürger, zu denen jeder Zugang hatte, eine unappetitliche Gleichmacherei, die nichts bringen konnte. Auch der Oberaufseher über die Pestsäule, der kaiserliche Steinmetz Ottavio Burnacini ließ sich nie bei den Kaffeesiedern blicken. Er hatte eine reiche Frau geheiratet, die einen Salon führte wie die Adeligen, und wenn man kein Italiener war, hatte man keine Chance bei ihr. Fischer ging der Burnacini nicht ab, seit er bemerkt hatte, dass auch der Burnacini eifersüchtig war auf ihn. Nie hätte er sich gedacht, dass er es als Einheimischer in Wien so schwer haben würde gegen die Italiener. In Rom war er der Tedesco gewesen und war überall freundlich aufgenommen worden, und viele hatten sein Talent gelobt und ihm versichert, dass er es noch einmal weit bringen würde. Und hier, als Einheimischer in der Kaiserstadt, standen ihm die italienischen Künstler eifersüchtig gegenüber und nahmen ihm jedes Wort übel, jede Kritik, jede Idee. Ja, vor allem die Ideen nahm man ihm übel.

»Der Strudl kann mich nicht leiden, weil meine Festdekorationen mehr gelobt werden als seine. Sowas muss gelernt sein. Und das lernt man in Rom. Damit wird er nicht fertig. Eifersüchtig ist er. Man müsste ihm das Maul stopfen.«

»Lass’ sein, Johann. Das Maul kannst du ihm nicht stopfen. Auch nicht, wenn er Gerüchte streut. Der Kaiser steht hinter ihm.«

»Und hinter mir nicht?«

»Natürlich steht er auch hinter dir, sonst wärst du nicht der Lehrer des Kronprinzen. Aber er will auch den Strudl haben. Der Strudl macht die besten Köpfe. Da braucht er nicht so viel Phantasie. So ist es eben.«

Der Strudl hatte vom Kaiser die ehrenvolle und einträgliche Aufgabe erhalten, die Habsburger Herrscher in Stein zu hauen. Und auch der Fürst Liechtenstein war sein Auftraggeber geworden, und der verstand etwas von Kunst, mehr als der Kaiser. Der Strudl nagte nicht am Hungertuch.

Auf einmal lachte Fischer laut auf. »Hast du schon bemerkt, Frühwirth, der Strudl hat jetzt seine Signaturen auf die Säule am Graben gesetzt, gleich an drei Stellen, obwohl er ein paar Figuren bisher nur in Holz gemacht hat.« Dann senkte er seine Stimme: »Sag, mit wem spricht er überhaupt da hinten? Ich will mich nicht umdrehn.«

Frühwirth ließ seinen Blick ans andere Ende des Raumes schweifen. »Ich glaube, das ist der Spion des Grafen Harrach, der Lorenzo. Ja, ich bin sicher, auch wenn er nicht seine Dienerlivree trägt.«

»Der Lorenzo?« Fischer kannte ihn noch von seinen Besprechungen beim Grafen, damals, als … ach, gar nicht daran denken.

»Ist der nicht schon ziemlich alt? Und schwerhörig?«

»Ich glaub, er tut nur so. Er hört wie ein Luchs.«

»Er schaut aus wie ein Graf. Ich hätte ihn fast nicht erkannt.«

»Ja, keiner kann so vornehm herumstehen wie er. Das muss man dem Lorenzo lassen. Das hat er beim Grafen gelernt.«

Endlich hellten sich Fischers Züge auf, und sie lachten beide in sich hinein. Das war schon komisch, wie die Leute in den Kaffeehäusern belauert wurden. Die Baukünstler hatten sich beim Kolschitzky verabredet, weil es geheißen hatte, ein Diener des Grafen Harrach würde heute beim Theodat spionieren. Genau wusste man das allerdings nie. Es war auch schon vorgekommen, dass der Spion des Grafen Harrach, meistens der Lorenzo, und der Spion des Fürsten Liechtenstein, meistens der Odoaker, anstatt das verdächtige Treiben in den Kaffeehäusern zu beobachten, einander unversehens gegenüberstanden und dann, einen Becher dampfenden Kaffees in der Hand, begannen, sich miteinander zu unterhalten, und auf das Spionieren vergaßen. Dann dachten sie sich etwas aus, etwa, dass vielleicht heute im Damenzimmer des Theodat wieder zwei Protestanten gesessen sind, oder jedenfalls Personen, die verdächtig aussahen. Das konnte stimmen oder auch nicht. Doch da die Spione eine Belohnung für jede Mitteilung bekamen, blühte die Geschichtenbörse.

In Wirklichkeit wollte die Adeligenpartei wissen, ob man etwas gegen die Italiener sagte und sie Italieniker schimpfte, und die Hofpartei wollte wissen, ob man etwas gegen den Kaiser sagte, und die Spione der Jesuiten sollten auf lutherische Reden achten, was gar nicht leicht war. Und alle beobachteten die Zeitungs-Doctores, die sich Journalisten nannten und Lügen aus aller Welt erzählten. Denn eines war sicher: In diesen Kaffeehäusern erfuhren die Gäste Sachen, die die Bürger nichts angingen und die sie auch nicht verstehen konnten. Angeblich spottete man sogar über die Sitten am Hof und in den Adelshäusern. Odoaker hatte das schon öfters angedeutet. Und die Zeitungs-Doctores beobachteten alle zusammen und schrieben alles mit. Eigentlich hatte niemand damit gerechnet, dass ein paar Privilegien für den Kaffeeausschank ein solches gefährliches Terrain schaffen würden und dass aus den hölzernen Kaffee-Buden Häuser wurden, wo die Leute stundenlang miteinander redeten, und man wusste nicht genau, worüber.

Fischer sagte mit dem Ärger in der Stimme, den er heute offenbar nicht mehr loswurde: »Ich möchte wissen, was der Lorenzo mit dem Strudl zu tun hat. Was hat ein Diener des Grafen Harrach mit einem Bildhauer zu besprechen? Will er sich ein Standbild machen lassen?«

»Na, warum nicht«, sagte Frühwirth, »wäre doch ein schönes Geschäft, wenn er die Diener alle in Auftrag hätte. In der Mitte der Graf, und links und rechts und rundherum stehen die Büsten der Diener, und davor steht die Büste des Kutschers. Und wenn er ihnen Perücken aufsetzt, kann er sie zwischen seine Kaiserfiguren stellen. Angeblich hat er schon wieder eine fertig.«

Fischer hatte sich inzwischen vom Aloysi noch einen Becher Kaffee bringen lassen. Das war ja eigentlich nicht der Zweck seines Kaffeehausbesuches, dass er sich ärgerte und dabei seinen Kaffee verschüttete. Diesmal stellte er den Becher vorsichtig ab.

»Lieber Frühwirth«, erwiderte er, »mir ist nicht zum Lachen zumute. Ich weiß, wie du es meinst. Aber die Habsburgerstatuen ärgern mich nicht. Der Strudl kann ja wirklich was, auch wenn ihm die Ideen ausgehen. Ich gönn’ ihm sein Geschäft. Aber er soll mir auch meines gönnen!« Er beugte sich näher heran und fragte fast flüsternd: »Sag, Frühwirth, kannst du dir vorstellen, dass sich der Strudl sogar dafür bezahlen lässt, dass er mich schlechtmacht?«

Frühwirth schüttelte den Kopf. Nein, so weit würde der Strudl nicht gehen.

»Der Strudl behauptet aber«, hielt Fischer dagegen, »ich soll in Rom keine Reputation gehabt haben. Das hast du ja erzählt. Wie kommt er auf so was? Er war ja nicht in Rom. Wen nimmt er da zum Zeugen?«

»Kann sein, er hat vom Martinelli gesprochen«, sagte Frühwirth zögerlich.

»Na eben. Der meine Entwürfe studiert und behauptet, sie wären nicht würdig genug für die Adeligen? Vielleicht zahlt er dem Strudl was, dass er mich ausrichtet in Wien. Und jetzt geht ein Projekt nach dem anderen an diesen Martinelli? Und womöglich will der jetzt auch noch Schönbrunn bauen? Und dann macht er sein Kreuz drüber und behauptet, das hätte dem Meister Bernini gefallen, wenn er noch leben würde?«

»Aber lieber Johann, lieber Freund, was dem alten Bernini gefallen hätte, ist doch jetzt nicht mehr so wichtig. Der ist ja schon viele Jahre tot, und die Welt dreht sich weiter.«

»Aber bis zu seinem Tod war er der wichtigste Meister«, hielt Fischer dagegen, »und es hat etwas bedeutet, wenn er jemanden gelobt hat.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Damals beim Wettbewerb um die schönsten Erinnerungsmedaillen hat der Bernini meine Medaillen gelobt und nicht die Medaillen des Martinelli. Die hat er kaum angeschaut. Und einmal hat er mir auf die Schulter geklopft, wie ich ein Portal entworfen habe.«

»Siehst du«, sagte Frühwirth, »das ist keine Konkurrenz für dich. Jedenfalls nicht für Schönbrunn. Und das Gerücht, dass der Graf Harrach sich schon um einen Bauleiter für Schönbrunn umschaut, wird auch nicht stimmen.«

Seit die Wiener Maurerzeche die Ausbildung der Bauführer so streng überprüfte, war es nicht mehr so einfach, einen passenden Mann dafür zu finden. Dem Architetto Domenico Martinelli jedenfalls hatte sie keine Erlaubnis erteilt, auch wenn er ein Geistlicher war und beim Harrach wohnte, das hatte die Maurerzeche nicht beeindruckt.

Gerade hatte sich der Polier Lorenz Laker zu den Diskutierenden gesellt, nachdem er mit einer knappen Verbeugung und den Worten »die Herren Meister?« um Erlaubnis gebeten und die Antwort erhalten hatte: »Herr Polier!« Laker winkte sich mit einem Deuten seines wohlfrisierten Kopfes den Aloysi heran. Er setzte auch am Sonntag keinen Dreispitz auf, sondern erwies dem Tag des Herrn seine Reverenz, indem er den alten, an den Ärmeln bestickten Poliersrock seines Vaters anzog, der seine zünftische Abstammung anzeigte. Er hielt mehr von deutlichen Zeichen, als von langen Reden. Und es hatte ja auch nicht jeder einen Polier zum Vater und einen Großvater, der sogar an der Stephanskirche mitgearbeitet hatte.

Man sah die Poliere der Maurerzeche jetzt immer öfter am Sonntagnachmittag bei den Kaffeesiedern, um Architekten, Steinmetzen oder vielleicht einen Bauherrn ganz ungezwungen aushorchen zu können, was denn da und dort geplant wurde und wo es denn da und dort Probleme gab. Die Maurer und Steinmetzen hatten bei den Wienern eine besondere Position, seit sie damals bei der Belagerung der Stadt die größten Schäden an den Mauern über Nacht ausgebessert hatten, immer wieder und immer wieder, auch als es schon schien, diesmal hätten die Türken die Bresche geschlagen und morgen wären sie alle verloren, sodass die Stadt dadurch immer wieder einen Tag und noch einen Tag Zeit gewonnen hatte, bis endlich das Entsatzheer des polnischen Königs angekommen und Wien gerettet war. In letzter Stunde, in letzter Minute. Und die Maurer hatten ihren Anteil daran. Seither konnte niemand ohne ihre Erlaubnis einen Bauführer bestellen. Und der Kaiser hatte ihre strengen Zunftregeln eigenhändig bestätigt. Allerdings hielt er sich immer ein paar zunftfreie, hofbefreite Handwerker und Künstler, über den Kopf der Zeche hinweg, wie den Paul Strudl. Die Hofbefreiten waren den Zünften ein Dorn im Auge, aber was sollte man machen. Der Kaiser war der Kaiser. Die Zunftmaurer und Steinmetzen hatten jedenfalls beim Kolschitzky eine Art Ehrenplatz, nah bei den Fenstern, wo man das Treiben draußen auf der Straße am besten beobachten konnte.

Nun trat der oberste Polier der Wiener Maurerzeche, der Christian Öttl, durch die Tür, blickte sich suchend um und schritt dann breitbeinig zur Gruppe der Steinkünstler hin. Er war fast einen Kopf kleiner als der Baumeister Fischer, aber seine kräftige Figur und seine gespannte Körperhaltung, seine Ellbogen stets ein wenig nach außen gedreht, vermittelte so etwas wie eine stete Kampfbereitschaft. Sein Wams mit den bauschigen Ärmeln unterschied sich von den langen Herrenröcken, die man zur Sonntagsmesse trug und auch am Nachmittag im Kaffeehaus anbehielt. Der Sonntag war schließlich ein besonderer Tag. Der Öttl hatte aber auch am Sonntag seine bauschige Schirmmütze schräg über sein dichtes welliges Haar gezogen. Manchmal konnte man denken, der Meister Pilgram wäre wieder zum Leben erwacht und unter der Kanzel der Stephanskirche hervorgeklettert.

Öttl war noch keine vierzig, aber er hatte er sich wegen seines Könnens – und weil er Konflikte mit den Bauherren und mit der Obrigkeit nicht scheute – den Respekt seiner älteren Kollegen eingehandelt, die nicht so rasch mit der Zunge waren. Es nützte nichts, wenn man etwas besser wusste, man musste das auch mit den richtigen Worten ausdrücken können, und wenn es sein musste, mit deftigen. Denn seine Leute hatten dann die Verantwortung, wenn wieder einmal eine geschwungene Treppe einstürzte.

»Einen schönen Sonntag, meine Herren, das trifft sich ja gut! Ist es gestattet?«, rief er in die kleine Runde und tippte sich gegen die Kappe und erhielt die Einladung: »Herr Polier!« Er wandte sich gleich Fischer zu. »Was hört man, Herr Baumeister, du willst Schönbrunn abgeben, weil man dir damals den großen Plan nicht genehmigt hat? Das kann ich doch nicht glauben!«

»Das brauchst du auch nicht glauben, lieber Öttl. Das ist ein Unsinn. Es ist genau umgekehrt. Angeblich möchte man den Martinelli vorschieben, weil ich kein Italiener bin. Stimmt es, dass du schon zugestimmt hast, die Bauleitung zu übernehmen?«

»Eben darum wollte ich mit dir sprechen, Herr Baumeister. Ja, der Graf Harrach hat mich vorigen Sonntag im Vorbeigehen gefragt, wie meine Geschäfte gehen und ob nicht Schönbrunn ein besonders schönes Geschäft für mich wäre. Ich hab mir gedacht, was will der mit Schönbrunn, das ist doch die Sache des Kaisers. Ein kaiserliches Schloss geht doch den Harrach nichts an. Ich hab geantwortet, dass ich die Bauleitung mache, wenn der Richtige plant! Und der Richtige bist natürlich du, Herr Baumeister. Was ist das für ein Plan gewesen, den man dir nicht genehmigt hat?«

»Das war der Entwurf, den ich aufgezeichnet habe, wie ich nach Wien gekommen bin und es hieß, der Kaiser will das zerschossene Schloss Schönbrunn wiederaufbauen lassen, und größer als vorher. Da ist mir durch den Kopf gegangen, er könnte es ja auch größer machen als der Franzose! Es ist ja der Hügel dahinter, von dem aus könnte er bis nach Ungarn schauen! Dass der Kaiser dort oben auf dem Hügel sitzt und auf die Stadt hinunter und über das Land blickt – so etwas hat der Franzose mit seinem Versailles eben nicht! Die Idee war wunderbar, sag ich dir, aber natürlich hab ich gewusst, dass er das so nicht bauen kann, weil es ihm wohl zu teuer wäre. Aber warum soll ich deshalb den Auftrag für Schönbrunn nicht annehmen? Bin ich ein Narr? Man will mich ausbooten. Die Italieniker wollen sich nicht damit abfinden, dass jetzt die Einheimischen zum Zug kommen.« Wieder warf er einen grimmigen Blick über seine Schulter.

»Aber Herr Baumeister, sie haben dir doch ein paar schöne Aufträge gegeben! Der Graf Harrach, der Fürst Liechtenstein, die Familie Czernin. Was hat ihnen nicht gepasst, dass die dann alle an den Martinelli gegangen sind?«

»Das ist die Frage. Das Können des Martinelli war es nicht. Aber der Martinelli ist Italiener. Das genügt denen schon. Und ein Abate ist er auch noch. Und jedenfalls haben sich der geistliche Herr Martinelli und der geistliche Herr Graf sofort gefunden und Martinelli hat alles Mögliche an meinen Plänen ausgesetzt. Was genau, weiß ich nicht. Denn natürlich hat der Herr Abate Architetto nicht mit mir diskutiert. Das hat er sich nicht getraut. Da hätte man gemerkt, dass er Unsinn behauptet.«

Öttl nickte. Das wusste er besser als alle anderen, dass man an den Plänen des Baumeisters nichts aussetzen konnte und Laker pflichtete ihm bei.

Frühwirth sagte nichts zur zornigen Tirade des Fischer, aber er war sicher: Es würde nicht nur seinen Ruf zerstören, es würde ihm das Herz brechen, wenn man ihm Schönbrunn wegnehmen würde, jetzt, vor der endgültigen Vergabe durch Brief und Siegel. Als das Gerücht aufgekommen war, der Kaiser würde ein neues Schloss bauen, war Fischer Hals über Kopf von Rom nach Graz gereist, wo Frühwirth gerade ein paar Arbeiten vollendete, und hatte ihm voll Begeisterung geschildert, welche wunderbaren Gebilde sich in seinem Kopf bereits zusammenfügten zu einem Schloss, zu einem Hügelschloss, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Wenn nicht sein Vater noch gewesen wäre und ein paar kleine Aufträge, die seinen leeren Geldbeutel ein wenig auffüllten, wäre er noch in derselben Woche nach Wien weitergereist. Schönbrunn war mehr als ein imposanter Auftrag, es war der Traum des Johann Bernhard Fischer. Ein Königschloss. Ein Kaiserschloss. Was dem Bernini beim französischen König nicht gelungen war, ihm sollte es gelingen beim österreichischen Kaiser. Und auf einmal war das nicht mehr sicher.

»Aber Herr Baumeister«, sagte Öttl wieder mit seiner festen Stimme, die mühelos quer über einen weiten Platz tragen konnte, »das ist noch lange nicht gesagt, dass der Martinelli dir Konkurrenz macht für Schönbrunn. Schönbrunn gehört dem Kaiser!« Aber er hatte ja selbst erlebt, dass man schon begann, die Fühler auszustrecken. Man musste beobachten, was da vor sich ging.

Fischers grimmige Laune war mit einem Schlag wie weggeblasen, als ein schlanker Mann mit Schwung durch die Tür kam, dass die Zipfel seines dünnen Rockes aufflatterten und mit leichten Schritten an ihren Tisch eilte. Fischer rief ihm schon entgegen: »Lieber Fux, wir warten schon auf dich!« Er winkte wieder den Aloysi herbei und deutete auf seinen Becher.

Der Kompositeur Johann Joseph Fux war vor einem Jahr zu den Bauleuten gestoßen, für zwei oder drei Stunden am Sonntagnachmittag, obwohl er nichts vom Bauen verstand, sondern nur von Musik. Fischer freute sich immer, wenn er ihn sah. Auch der Fux war aus Graz, das hatten sie erst vor ein paar Jahren herausgefunden, als sie sich zum ersten Mal in den Gängen der Hofburg begegnet waren, und beide waren einander sofort zugetan gewesen, obwohl sich kaum zwei Männer in den Dreißigern denken ließen, die unterschiedlicher waren. Fischer war lebhaft, groß und stattlich, mit raschen Bewegungen und lauten, manchmal zornigen Worten. Über seinen dunklen Augen wölbten sich dichte dunkle Brauen. In Rom hatte man ihn oft für einen Einheimischen gehalten. Die höfische Umgangssprache fiel ihm schwer, er hatte viel gelernt in Rom, jedoch nicht, wie man einen Fürsten mit zehn Windungen begrüßt. Fux reichte ihm gerade bis zum Kinn. Aber die Körpergröße war nicht ausschlaggebend. Sein federnder Gang, sein freundliches Gesicht, auf dem immer ein Lächeln lag, das blonde Haar, das ihm in einer leichten Welle bis zum Kinn reichte und sich dann sanft nach außen bog, wie wenn es das Lächeln noch unterstreichen würde, seine leise, fast singende Stimme, seine feinen Hände, denen die höfischen Bewegungen angeboren schienen, alles zusammen machte ihn zu einer Ergänzung des Fischer, als ob sie zusammengehören würden. Und doch war Fux eigentlich ein Bauernsohn, dem man weder Stimme noch Bewegung beigebracht hatte. Die Musik selbst schien seinen Körper und Geist geformt zu haben.

»Meine lieben Herren Steinkünstler, ich grüße euch«, sagte Fux mit ausholender Geste. Er nannte die Bauleute »die Herren Steinkünstler«, und diese nannten ihn »Herr Kompositeur«.

»Man spricht von Schönbrunn? Gibt es etwas Neues, lieber Fischer?«

Fischer hakte sich bei seinem Freund unter und zog ihn näher heran. »Ach, lieber Fux, es gibt halt das Gerücht, dass die gleichen, die glauben, die Musik wäre italienisch und die Architektur wäre italienisch und die ganze Kunst wäre italienisch, jetzt auch ihre Finger nach Schönbrunn ausstrecken.«

»Also das alte Problem, dass wir keine Italiener sind?«, lachte Fux. »Und wen haben die Herrschaften denn im Sinne für Schönbrunn?«

»Den Domenico Martinelli.«

»Den Abate Domenico, der beim Grafen Harrach wohnt? Ich hab ihn schon gesehen, bei einer Messe bei den Schotten. Und der soll Schönbrunn bauen?«

»Er soll nicht. Und er kann auch nicht. Aber sie versuchen es.«

Fux schüttelte ungläubig den Kopf. »Und was kann der Besonderes, was du nicht kannst, lieber Freund?«

Fischer lachte bitter auf. »Einschleimen beim Grafen Harrach. Und nicht nur bei dem.«

»Und was willst du dagegen tun, lieber Freund?«

»Das ist eben die Frage. Vielleicht sollte ich mich Bernhardo Fischeri nennen.«

»Das wäre einmal ein Anfang«, lachte Fux wieder. »Ihr kennt ja die Geschichte, wie mich der Bischof Kollonitsch für den Kaiserhof empfohlen hat und unser Kaiser behaupten musste, ich wäre ein italienischer Maestro, damit seine welschen Musiker sich bequemt haben, meine Suiten zu spielen? Ich glaube, das trägt man dem Kaiser und mir immer noch nach.«

Alle kannten diese Episode, wie der Kaiser seine Hofmusikkapelle zum Narren gehalten hatte, damit sie die Stücke des Fux spielten.

»Lieber Fux, deine Musik ist doch unverkennbar. Und wenn du an der Orgel bist, hört man alle Harmonien des Himmels.« Fischer verstand nicht viel vom Orgelspiel, aber seit er den Fux kannte, hörte er genauer hin. Er und Sophia besuchten zwar meistens die Sonntagsmesse in der Stephanskirche, wo sie geheiratet hatten, aber sie waren auch schon zu den Schotten gegangen, nur um seinen Freund zu hören. Sophia hatte gleich kritisiert, dass der Fux auch nicht mehr könne, als der Organist von der Stephanskirche, und dort kenne sie wenigstens ein paar Leute, mit denen man nach der Messe noch reden konnte. Sie hatte es auch abgelehnt, den Fux einmal zu Mittag einzuladen, er habe ja ohnehin den Tisch bei den Jesuiten und müsse sicher nicht hungern, und viele würden sich die Finger abschlecken, wenn sie bei den Jesuiten essen könnten. Der Bischof Kollonitsch hatte dem Johann Fux dort nämlich zwei Zimmer vermittelt, damit er beim Komponieren nicht durch die Geräusche einer geschwätzigen Wirtin gestört wurde. Sophia hielt das für ungerecht. Ein steirischer Musikus und zwei Zimmer!

Die Wohnungsknappheit in Wien war nach dem türkischen Sommer ein Problem. Die Stadtverwaltung wollte reiche Leute zum Wiederaufbau anlocken. Aber bevor diese einen Spaten ansetzen und einen Stein legen ließen, musste ihnen der Hofquartiermeister Prämer bestätigen, dass sie zehn Jahre lang keine Angestellten des Hofes um billige Miete aufnehmen mussten. Erst wenn sie die Quartierfreiheit verbrieft hatten, ließen sie ihre Palais in Angriff nehmen. Daher wurden die frei vermieteten Zimmer umso teurer. Fischer konnte ein Lied davon singen.

Fux lächelte. Ein anderer hätte das Kompliment über sein Orgelspiel vielleicht zurückgewiesen. Er aber war davon überzeugt, dass jedermann bei seiner Musik alle Harmonien des Himmels hören musste. Er hatte sie ja hineingeschrieben.

»Aber wie ist das jetzt mit Schönbrunn, lieber Fischer? Hat nicht der Kaiser deinen Plan schon verbrieft? Es ist ja immerhin sein Schloss!«

»Das ist es ja«, sagte Fischer und fiel sofort wieder in seinen unwirschen Ton. »Es gibt ein Gerücht, du kannst dir denken, woher das kommt, dass der Kaiser ein paar Änderungen und auch einen Plan von diesem Martinelli sehen will. Angeblich. Und der Graf Harrach hat den Polier Öttl schon gefragt, ob er die Bauleitung übernehmen würde. Weil der Martinelli nicht darf, das weiß ja jeder. Und außerdem weiß ich, dass der Martinelli in der Innendekoration eine Null ist. Da würde er sich dann wahrscheinlich den Burnacini engagieren. Könnt ihr mir sagen, wie dieser Architetto für unseren Kronprinzen das Richtige finden soll?« Das Wort Architetto spuckte er mühsam über seine Lippen. »Das wird eher ein römischer Palazzo als ein Schloss in Wien!«

»Aber wollte der Kaiser Leopold nicht ausdrücklich einen Einheimischen?«, fragte Fux erstaunt. »So wie er auch mich hat kommen lassen. Der Martinelli ist ja kein Einheimischer, nur ein Eingenisteter, ein eingenisteter Geistlicher. Ein geistlich eingenisteter Italiener.«

Das war eigentlich ganz ungewöhnlich, dass Fux Witze machte über die Geistlichkeit. Dass er einen Augenblick seine strenge jesuitische Erziehung vergaß.

»Ja, genau. Aber die italienische Partie, die immer noch der Eleonore Gonzaga nachtrauert, will eben nur Italiener. Zum Bauen und zum Komponieren und zum Musizieren und was weiß ich noch alles. Und angeblich sind der Graf Harrach und der Fürst Liechtenstein und der Graf Dietrichstein und noch andere auch schon am Werk und lassen sich vom Strudl einflüstern.«

»Einige dieser Herrschaften kenne ich«, sagte Fux.

»Sie kennen sie?«, fragten die Steinkünstler überrascht.

»Nicht persönlich. Sie besuchen die Zehn-Uhr-Messe bei den Schotten. Ich meine, ich habe sie schon gesehen von der Orgel herunter. Und den Paul Strudl kenne ich auch.«

Fischer deutete mit seinen Augen in die Richtung, wo der Paul Strudl immer noch mit dem Spion des Grafen Harrach sprach.

»Steht er nicht dort drüben?«, fragte Fux. »Und wer ist der vornehme Herr, mit dem er spricht?«

»Das ist der Diener Lorenzo, der Spion des Grafen Harrach«, sagte Frühwirth, und alle lachten wieder, und Fischer vergaß für einen Moment seinen Ärger. Frühwirth machte eine Geste, als würde er jemand vorstellen. »Das neue Modell für Strudls Original-Kaiserbüsten.«

Nebenan im Damenraum beugte sich Kolschitzky zu einem alten, grauhaarigen Mann, der einen Becher Kaffee umklammerte, herab. Ein langer, zerschlissener Mantel verbarg, dass er nur mehr sein rechtes Bein hatte. Links hatte er unter dem Knie einen eisenbeschlagenen Holzstumpf umgeschnallt. Dann sah man auch gleich die Krücken, die quer über einem Hocker lagen.

»Was ist, Schuller? Kein Geschäft? Keine Nachrichten vom Lorenzo? Sitzt draußen, der Lorenzo.«

Angeblich waren der Diener Lorenzo und der Schulmeister befreundet. Obwohl man sie nie zusammen sah. Angeblich wusste der Schulmeister allerhand über die Gäste des Grafen. Obwohl das niemand nachprüfen konnte.

»Was geht mich ein Lorenzo an. Wart’s ab. Es ist was im Gang. Das spür ich.«

»Hoffentlich nicht im linken Bein. Und ich wart’ auf nichts, Schuller! Du wartest auf deine Leseschüler hier und mehr nicht!«

»Auf meine Studenten«, korrigierte der alte Mann.

»Und von deinen geheimen Schülern will ich nichts wissen! Mit Ketzern hab ich nichts am Hut!«

»Ketzer! Was redest du da, Kolschitzky. Wer hat was am Hut mit Ketzern? Bin ich lebensmüde?« Er warf einen raschen Blick zur Türe zum Herrenzimmer und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß nichts Genaues. Nur Gerüchte. Dafür braucht man nicht den Lorenzo. Hier red’ ich nur mit meinen Studenten.« So nannte er seine Schüler, denen er die Anfangsbegriffe des Lesens und Schreibens beibrachte, jedenfalls, soweit er selbst sie beherrschte.

*

Seit einem Jahr trafen sie sich nun an den Sonntagnachmittagen in einem der Kaffeehäuser, entweder beim Kolschitzky in der Domgasse oder beim Theodat, auf der anderen Seite der Schlagbrücke. Manchmal gingen sie auch zum Hazzi, aber dort waren eher die Gewürzhändler, Bäcker und Fleischer, die den Leib der Wiener zusammenhielten, und auch einige Stallmeister der Adeligen, die in ihren Häusern eine wichtige Position innehatten. Richtige Stallmeister mit Verantwortung für die Pferde, nicht die kaiserlichen, die sich nicht zu den Kaffeesiedern verirrten. Der Mohamed, der Sohn des Hazzi, der irgendwann einmal Christoph getauft worden war, aber immer nur Mohamed gerufen wurde, half seinem Vater schon bei den Geschäften. Angeblich hatte er ein Auge auf die Seralda geworfen.

Zum Kolschitzky kamen die Kaufleute und die Händler aus Ungarn oder Reisende, die sich erkundigten, welches die sichersten Wege nach Osten oder nach Süden waren. Auch Polen auf der Durchreise machten hier manchmal Rast, denn die Geschichte des geheimen Botengängers Kolschitzky, der damals während der Belagerung Wiens durch die Türken das Heer des polnischen Königs auf dem richtigen Weg nach Wien gelotst hatte, war allgemein bekannt und mittlerweile zu einem großen Abenteuer aufgebauscht. Dafür hatte Kolschitzky schon gesorgt. Er erzählte seine Heldentat, sooft das verlangt wurde, und sie wurde nicht kleiner, und manchmal zog er dafür seine Janitscharenkleider an, in denen er damals durch das riesige Lager des osmanischen Heeres geschlichen war und in denen er sich von der Anna Kratochwil hatte abmalen lassen. Aber man durfte diese heimlichen Botengänge nicht unterschätzen. Denn unerklärlicherweise hatte man es damals verabsäumt, an den umliegenden Hügeln Signalfeuer vorzubereiten, als das osmanische Heer sich heranwälzte und auf einmal wirklich vor den Mauern stand, und so war man auf mutige Männer angewiesen, die sich aus der Stadt heraus quer durch das türkische Lager schlichen, um Botschaften hin- und zurückzubringen. Und einer dieser mutigen Männer war der Georg Kolschitzky gewesen.

Inzwischen verteilten der Aloysi und die Ziehtochter des Kolschitzky, die Seralda, die Becher mit dem dampfenden Kaffee. Die Seralda war ihm nach der großen türkischen Belagerung vom Bischof Kollonitsch zugefallen, angeblich als besondere Auszeichnung. Seralda kochte und servierte die Cocolata für die Damen und sie liebte diese Arbeit. Obwohl es eine Abmachung zwischen Kolschitzky und dem Bischof gab, dass sein türkisches Mündel nicht im Kaffehaus arbeiten, sondern lesen und schreiben lernen solle. Sonst legte man eigentlich keinen Wert darauf, dass Frauen solche unnützen Künste lernten und dann vielleicht ihre Hausfrauenpflichten vernachlässigten. Außer den adeligen Fräuleins natürlich, aber die wurden in den Klosterschulen erzogen, zum Beispiel bei den Ursulinen, wo sie genau das Richtige lernten. Lesen, Schreiben, Singen, Nähen und Sticken, und sogar die modernen Contratänze. Allerdings traf man nun zunehmend auf die Ansicht, alle Bürger sollten Schreiben und Lesen lernen, denn es gab auch private Schulmeister, wie den Schuller, die diese Künste zumindest annähernd beherrschten und nicht so viel kosteten. Der Abraham a Sancta Clara, der Kapuziner, schimpfte manchmal sogar von der Kanzel herab über Leute, die nicht lesen lernten. Aber manche wollten eben nicht, weil es eine Plage war, und wozu überhaupt? Und andere hatten nicht das Geld für einen Schulmeister, nicht einmal für einen billigen. Gleich nachdem Kolschitzky das Kaffeehaus eröffnet hatte, hatte er dem Ferdinand Schuller, der nach der Türkenbelagerung nur mehr ein Bein hatte, erlaubt, sich einmal in der Woche in sein Damenzimmer zu setzen und für seinen Unterricht zu werben, den er dann in seinem Zimmer in der Weihburggasse abhielt, und tatsächlich hatten schon einige auf diese Weise lesen und schreiben gelernt. Dafür hatte er der Maria Kolschitzky und der Seralda kostenlosen Unterricht gegeben, Maria hatte sogar schreiben gelernt und half nun ihrem Vater bei seinen Geschäften. Sie hatte sich einen Tisch in ihr Zimmer im ersten Stock gestellt, von dem aus sie die Straße überblicken konnte und überließ die Arbeit im Kaffeehaus lieber der Seralda, weil die Seralda ja auch verstand, was die türkischen Händler wollten. Das hatte sie nicht verlernt. Außerdem hatte sich schon der Franz Zechner, der Hauptwachtmeister der Stadtguardia, um Marias Hand beworben. Was den Ferdinand Schuller betraf, so rankten sich ein paar Gerüchte um ihn, von denen man lieber nichts wissen sollte, sonst hatte man womöglich keinen Lehrer mehr, der so billig war. Es hieß nämlich, er würde manchmal auch die Söhne von hingerichteten Protestanten unterrichten, die Verlorenen Kinder, denen das Lernen eigentlich verboten war. Der heimliche Unterricht fand jedenfalls nicht in der Weihburggasse statt. Das war sicher. Manchmal sah man den Schuller aber im Krowotndörfl draußen, was für einen Einbeinigen doch ein weiter Weg war.

Seralda hatte rechnen und lesen gelernt, das genügte. Schreiben brauchte man eigentlich nicht. Das war etwas für die Fräuleins. Und außerdem: Papier war teuer, viel zu teuer für Schreibübungen einer Kaffeesiedersziehtochter. Wenn man lesen konnte, konnte einem niemand etwas vormachen. Dann konnte man einem Schreiber – und solche gab es einige in den Kaffeehäusern – etwas diktieren und dann lesen, ob er das Richtige geschrieben hatte. So ersparte man sich nicht nur viel Zeit und Mühe, sondern die Schreiber verdienten sich ihr Brot, und mancher hatte ja wirklich eine wunderbare Schrift, für die er lange hatte üben müssen. Man konnte sich einen Brief schreiben lassen, oder man konnte sich auch einen Bericht aus einer Zeitung abschreiben lassen, das war etwas billiger, weil der Schreiber dabei nicht so viel denken musste.

Jedes Kaffeehaus hatte mindestens drei Zeitungen für die Gäste bereit, die Wiener Zeitung natürlich, aus der konnte man aber nichts Spannendes vom Hof erfahren, das würden die Zensoren nicht durchgehen lassen. Darüber erfuhr man eher etwas in der Frankfurter Postzeitung. Dann gab es noch die Triestiner Ordinari Zeitung, die die Postkutsche dreimal in der Woche brachte, wenn die Straßen frei waren, die aber auch nichts Schlechtes über die Habsburger schreiben durfte, und natürlich die Welsche Zeitung, die man nach dem Tod der Kaiserinmutter gegründet hatte, damit die italienische Stimme in Wien nicht verstummte. Manchmal verirrte sich auch eine Gazette de Cologne in die Kaffeehäuser, und gelegentlich brachte ein Reisender ein paar Exemplare des Polnischen Kurier mit. Gleich als die Kaffeesieder ihr Privileg zum öffentlichen Ausschank bekommen hatten, war ihnen die Idee gekommen, Zeitungen auszulegen. So waren die Gäste der Kaffeesieder nicht darauf angewiesen, sie beim Hofpostmeisteramt zu kaufen. Die Kaffeesieder tauschten die Zeitungen dann reihum untereinander aus, daher bekam man nicht immer die frischesten Nachrichten. Die Berichte von Seeräubern im Mittelmeer oder vom Postkutschenüberfall am Trojanipass waren dann immer noch interessant, und auch die Geschichten vom liederlichen Treiben am französischen Hof.

Aber nicht alle kamen wegen der freien Zeitungen, abgesehen davon, dass viele gar nicht lesen konnten. Es gab auch berühmte Persönlichkeiten, die sich den Kaffe beim Kolschitzky einfach schmecken ließen, wie der Pestarzt Doctor de Sorbait. Leider war seine Seele vor ein paar Jahren aufgefahren in den Himmel. Sicher in den Himmel, etwas Anderes kam nicht in Frage für diesen Menschenfreund. Obwohl der Doctor de Sorbait der Leibarzt der Kaiserinmutter Eleonore Gonzaga gewesen war, damals, und obwohl man es am Hof nicht so gerne sah, wenn sich der kaiserliche Leibarzt mit dem gewöhnlichen Volk abgab, war er sich nicht zu gut gewesen für die Kaffeesieder. Ob den Wiener Adeligen das nun gefiel oder nicht. Er hatte immer ein paar freundliche Worte mit dem Kolschitzky gewechselt und sich erkundigt, wie es seinen Töchtern ging. Er hatte sich sogar die Namen der Mädchen gemerkt. Und einmal hatte Kolschitzky beobachtet, wie er dem Ferdinand Schuller ein paar Geldstücke zusteckte.

Die Hofspione und Adelsspione und Jesuitenspione hatten ein Auge darauf, wer was gelesen und vielleicht sogar abgeschrieben hatte. Das ging nicht immer problemlos vor sich. Denn kaum hatte der Spion des Harrach die Frankfurter Postzeitung zur Hand genommen, um den Inhalt zu kontrollieren, stand schon der Spion der Jesuiten da und meinte, er hätte wohl das Vorrecht, da der Herr Diener des Herrn Grafen ohnehin kaum des Lesens kundig wäre, was ja auch stimmte. Aber im Allgemeinen kamen die Spione gut miteinander aus, jedenfalls im Kaffeehaus.

Die Zeitungs-Doctores wollten mit allen ins Gespräch kommen und dann schrieben sie in ihre Notizbüchlein, was es in der Stadt Wien und am Kaiserhof Neues gab, und schickten die Berichte mit den Postkutschen an die Zeitungen in Freiburg, Köln oder Frankfurt oder sogar nach Paris. Vom Jean Frechot, dem freundlichen Journalisten aus Freiburg, hatte die Seralda manchmal ein paar Blätter seines kostbaren Papiers bekommen, sodass sie darauf ihre Rechenübungen machen konnte. Dafür erzählte sie ihm, wen sie gestern im Damenzimmer gesehen hatte.

Der Jean Frechot gehörte zu den Heimatlosen und solche gab es nicht wenige. Jean Frechot hatte Pech gehabt. Denn gerade als er seine Heimatstadt verlassen hatte, um in Wien zu »recherchieren«, wie er das nannte, besetzte sie der französische Ludwig, und nun konnte er nicht zurück und gesellte sich einmal zu dieser und einmal zu jener Gruppe, einmal in diesem, einmal in jenem Kaffeehaus. Er war ein großer, blonder, schlaksiger Mann in den besten Jahren, das heißt nicht mehr ganz jung, mit angenehmen Manieren. Er wusste, wann er mit großer Geste seinen Dreispitz schwenken und wann er nur höflich nicken sollte. Oder wann er sich vielleicht nur an den Tisch lümmeln sollte. Er sprach Französisch, Deutsch und Italienisch und ein paar Brocken Türkisch, sodass er zumindest grüßen und sich nach dem Befinden erkundigen und dann seine Beobachtungen machen konnte. Er war gut zu Fuß und konnte mühelos dreimal am Tag quer durch die Stadt gehen und das Leben und Treiben auf den Plätzen beobachten für seine Reportagen. Er kannte sich aus in der internationalen Politik und konnte immer genau sagen, was in der Frankfurter Postzeitung stimmte und was nicht. Einmal hatte er einen Abschreiber korrigiert, dass er die Zeilen verwechselt und einen ganzen Satz ausgelassen habe und dann würde es wieder heißen, die Zeitungen verdrehen alles. Daraufhin hatte es einen Streit gegeben, ob der Kunde des Abschreibers trotzdem das volle Zeilenhonorar zahlen müsse. Bisher hoffte er vergeblich, Zutritt zu einem adeligen Salon zu erlangen, und war daher auf die Berichte der Diener angewiesen. Manchmal erfuhr er beim Kaffeesieder Hazzi etwas von den Stallmeistern, welche Gäste angekommen waren oder welche Reisen von den adeligen Herrschaften geplant waren. Das ging ins Geld, denn die Bediensteten riskierten vielleicht ihre Stellung. Aber ein Viertelgulden war doch verlockend für ein Geheimnis des Grafen von und zu, bevor es jemand anderer kaufte.

Jeden zweiten Sonntag gingen die Steinkünstler zum Kaffeesieder Johannes Theodat auf der anderen Seite der Schlagbrücke, bei dem die Papierkünstler, die Drucker, Maler, die Poeten und Schreiber, und die Musici einander trafen. So blieb die geschäftliche Symmetrie gewahrt. Auch die Papiermacher aus Stattersdorf fanden sich einmal im Monat hier ein, nachdem sie gebadet und sich mindestens einen ganzen Tag ausgelüftet hatten vom schrecklichen Geruch ihrer Mühle, um bei einem Becher Kaffee, oder zwei oder drei, Wünsche der Maler und Stecher zu erfragen und sie dann in ihr Angebot aufzunehmen. Sie konnten hier auch erfahren, wo es eventuell noch Lumpenlager für ihre Papiererzeugung gab, denn die Lumpensammler, die mit ihren Karren durch die Stadt fuhren und sich in jeder Gasse laut mit ihrem Ruf »Alte Hadern! Alte Hadern!« bemerkbar machten, konnten der gesteigerten Nachfrage nach Lumpen nicht mehr nachkommen. Die Menschen warfen ihre Kleider deswegen nicht früher weg, weil die Papierer mehr Hadern brauchten. Und offenbar begannen immer mehr Menschen, Bücher zu kaufen oder gar Bücher zu schreiben, und das verbrauchte immer mehr Papier. Das würde sich vielleicht von selbst erledigen, wenn es keine Hadern mehr gab.

Ein alter Mann mit einem ledernen Umhängebeutel, wie ihn die Kuriere trugen und den er sorgsam umfangen hielt, besuchte die Kaffeesieder fast jeden Tag. Der alte Landvermesser, der Hochwürden Geograph, wie man ihn bei den Kaffeesiedern nannte, kam mit schleppenden Schritten durch die Türe und hielt Ausschau nach Kunden, die ihm einen Kupferstich von einem Schloss abkaufen würden. Er war ganz offensichtlich ein Geistlicher, auch wenn er keine Soutane trug, denn unter dem hängenden Kinn, zwischen den eingezogenen Schultern, auf denen seine dünnen dunklen Haare auflagen, umgeben von einem feinen weißen Kranz von Schuppen, bauschte sich ein katholisches Beffchen. Er kam immer im gleichen abgetragenen Wams, dem vorne zwei Knöpfe fehlten, und in langen, ausgebeulten Hosen anstatt der Kniehosen, gänzlich unmodern, geradezu bäuerlich, und trug den Gästen, vor allem den Durchreisenden, seine Stiche von Schlössern und Burgen an oder eine Landkarte, die er sorgfältig gefächert in dem Umhängebeutel bei sich trug. Die Kaffeesieder, die sonst darauf achteten, dass keine Krämer durch ihre Häuser streiften und ihre Gäste mit Krimskrams belästigten, denn dafür waren die Straßen und Plätze da, ließen den alten Mann gewähren. Trotz seines ärmlichen Aussehens war er doch ein kaiserlich Ernannter, und das konnte nicht jeder von sich behaupten.

Nur wenige wussten, dass sein eigentlicher Name Georg Matthäus Vischer war, das hatte sich nicht durchgesetzt. Jeder nannte ihn nur »Geograph« oder »Hochwürden Geograph«, auch wenn er kein kirchliches Amt innehatte und eigentlich nur Kaplan war. Wenn die beiden Namensverwandten einander trafen, der alte Kaplan und der junge Baumeister, was schon öfters vorgekommen war, nannten sie einander »Herr Geograph« und »Herr Ingenieur«. Wie das nicht selten war bei Männern, wo der eine gegen seinen Abstieg kämpfte und der andere um seinen Aufstieg, begegneten sie sich ohne besondere Wärme. Die vorsichtigen Annäherungsversuche des Herrn Geographen an den Herrn Ingenieur, ob vielleicht irgendwo ein Auftrag in Aussicht wäre, eine Grundvermessung oder dergleichen, irgendwann, hatten keine Resonanz gefunden.

Um neun Uhr leerten sich die Kaffeehäuser. Auch das wurde streng kontrolliert. Die Rumorwächter kamen pünktlich vorbei, eher früher, aber wenn die Kaffeesieder noch ein paar Becher spendierten, konnte es auch schon einmal eine halbe Stunde drüber sein. Die Kaffeesieder hatten um die zwei Stunden Dämmerzeit lange kämpfen müssen und sie erst konzessioniert bekommen, als sie sich verpflichteten, niemals Vorhänge vor die Fenster zu ziehen, sodass jedermann von der Straße aus sehen konnte, dass es dort drinnen gesittet zuging.

*

Hochwürden Geograph war ein Kaplan ohne Pfarre, ein Landvermesser ohne Aufträge und ein Mann ohne Familie. Er war aber ernannter »kaiserlicher Geograph« und hatte vom Kaiser Leopold persönlich eine goldene Kette, hundert Dukaten und den Ehrentitel erhalten. Das war der Höhepunkt seiner jahrelangen Arbeit gewesen, und der Präsident der Hofkammer, der Reichsgraf von Sinzendorf höchstpersönlich, hatte diese Auszeichnung erwirkt und ihn über eine der Haupttreppen, nicht über eine Dienerstiege, in das Arbeitszimmer des Kaisers Leopold geführt.

Diesen wunderbaren Moment hatte er sich nicht träumen lassen, als er vor vielen Jahren von den Zisterziensern geflohen war. Als er damals in der Bibliothek des Stiftes Stams die Bücher des Johannes Faulhaber über Mathematik und Landvermessung entdeckt hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Das war sein Leben. Zirkel, Messband und Messbrett. Nicht die Bibel. Berge, Flüsse, Bäche, Städte und Schlösser so abzumessen und aufzuzeichnen, dass man sich die Wege der Händler und die Tagesmärsche der Soldaten aus der Luft anschauen und ausrechnen konnte. Eine wunderbare Kunst. Ein wunderbares Leben, wenn man als Künstler in ein Schloss oder sogar als Richter über die Grenzen zur Nachbarsburg eingeladen war. Ein schreckliches Leben, wenn er an die mühsamen Ritte auf seinem alten Gaul dachte, daneben sein Gehilfe auf einer noch älteren Mähre. Und wenn sie dann auf der nächsten Burg nur als Vaganten behandelt wurden, die man nicht gerufen hatte.

Der Kaiser hatte sich erklären lassen, was denn seine Verdienste wären und der Graf Sinzendorf hatte an seiner Stelle geantwortet, weil er selbst viel zu aufgeregt gewesen war. Der Graf zeigte dem Kaiser die Stiche der Burg Wernstein, wo er selbst meist wohnte, und von der Burg Seisenegg und einen Teil der Landkarte von Niederösterreich, wo Vischer sich selbst hineingezeichnet hatte, wie er am Semmering die Gegend vermaß. Darauf war auch seine Flinte mit abgebildet, die er damals immer mit sich geführt hatte wegen der Wegelagerer, damit alle sahen, wie gefährlich das Vermessen war. Der Graf Sinzendorf hatte angeregt, dass der Herr Kaplan und beste Vermesser des Reiches alle habsburgischen Erblande in Kupfer stechen könnte, und der Kaiser hatte huldvoll genickt.

Die ganze Zeremonie hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert und Georg Matthäus Vischer, nun kaiserlicher Geograph, war sich sicher gewesen, dass damit auch sein Alter bequemer sein würde, denn ohne Pfarre würde er sich dereinst selbst versorgen müssen – wenn nicht ein wohltätiges Nonnenkoster sich seiner annahm, worauf er nicht besonders Wert legte. Es war ihm trotz seiner Flucht aus dem Kloster gelungen, in der Diözese Passau die Priesterweihe zu erhalten, was natürlich sein Ansehen gehoben hatte, aber das allein brachte nichts ein. Sein katholischer Glaube hatte bei den vielen Besuchen und Vermessungsarbeiten bei seinen herrschaftlichen Auftraggebern, von denen manche noch heimlich dem protestantischen Glauben anhingen, an Tiefe eingebüßt. Die Protestanten bezahlten ihn oft sogar verlässlicher als die katholischen Grundherren, er hatte das auf der Burg Seisenegg erlebt. Nicht nur hatte man ihm die verabredeten sechs Gulden im Vorhinein ausgehändigt, er wurde auch bewirtet und hatte an einigen Abenden bei den Lesungen der Hausherrin anwesend sein dürfen, ein getrübtes Vergnügen, denn immerhin war die Catharina von Greiffenberg Protestantin. Was ihr fast unbenommen war, solange sie ihren Glauben nur in den Mauern ihrer Burg betrieb und darüber schwieg. Er hatte sich dabei nicht ganz wohl gefühlt, weil er darauf achtete, nicht über seine Vermessungen und Zeichnungen hinaus – an denen schließlich auch die katholische Kirche und der Kaiser interessiert waren – mit den Protestanten zu verkehren, damit man es ihm nicht womöglich als Interesse für diese Irregeleiteten auslegen konnte. Messen, zeichnen und wieder weg. So hielt er es bei den Protestanten, wenn es nach ihm ging. Gedichte waren nicht vorgesehen. Schrecklich, dass die Freifrau von Greiffenberg ihren Mund nicht halten konnte und ihre Gedichte so lange quer über die Lande verstreute, bis sie als Prädikantin verbannt wurde.

Und noch schrecklicher, was nach der Verbannung seines Mentors, des Grafen Sinzendorf, geschehen war. Bis heute konnte er nicht ganz glauben, was man diesem Mann vorgeworfen hatte. Betrug! Falschgeldmünzerei! Und das auch noch als Finanzminister des Kaisers. Aber mit der Verbannung des Grafen war auch seine Karriere zu Ende gewesen. Niemand sprach mehr davon, dass er nun auch die anderen Kronländer