Der Kirschkuchenmord - Joanne Fluke - E-Book

Der Kirschkuchenmord E-Book

Joanne Fluke

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Beschreibung

Dass es in Lake Eden wenig Privatsphäre gibt, ist Feinbäckerin Hannah Swensen wohlbekannt. Doch nie hätte sie für möglich gehalten, sich Ratschläge von allen Seiten anhören zu müssen, seit sie zwei Heiratsanträge gleichzeitig erhalten hat. Ein Glück, dass der Ort eines Tages zum Filmset einer Hollywood-Produktion wird: Die neue Sensation zieht sämtliche Bewohner in ihren magischen Bann, und Hannahs Café Cookie Jar wird als Snack-Station das Highlight der Crew. Als es vor laufender Kamera zu Spannungen kommt, beendet ein tödlicher Schuss die Szene. Der Schock sitzt allen noch in den Gliedern, während Hannah schon das richtige Rezept austüftelt, um einen raffinierten Täter zu stellen ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungProlog12Cocolattas3Erdnussbutter-Marmeladen-Plätzchen4Fruchtige Arme Ritter5678Sallys Schokoladenkuchen ohne Mehl9Kirschkäsekuchen (Dean Lawrence’ »Kirschkuchen«)10Mock Turtles111213Janes Minikirschkäsekuchen141516NachtschichtplätzchenSchokoladentrüffel17Heiße Frischkäsehäppchen18192021Flockenplätzchen2223242526Zitronenbaisertorte27Engelküsse282930313233Ooey-Gooey-Chewy-SchokoschnittenRezepte

Über dieses Buch

Dass es in Lake Eden wenig Privatsphäre gibt, ist Feinbäckerin Hannah Swensen wohlbekannt. Doch nie hätte sie für möglich gehalten, sich Ratschläge von allen Seiten anhören zu müssen, seit sie zwei Heiratsanträge gleichzeitig erhalten hat. Ein Glück, dass der Ort eines Tages zum Filmset einer Hollywood-Produktion wird: Die neue Sensation zieht sämtliche Bewohner in ihren magischen Bann, und Hannahs Café Cookie Jar wird als Snack-Station das Highlight der Crew. Als es vor laufender Kamera zu Spannungen kommt, beendet ein tödlicher Schuss die Szene. Der Schock sitzt allen noch in den Gliedern, während Hannah schon das richtige Rezept austüftelt, um einen raffinierten Täter zu stellen …

Über die Autorin

Joanne Fluke ist das Pseudonym einer amerikanischen Bestsellerautorin. Sie wuchs im ländlichen Minnesota auf, studierte Psychologie an der California State University, San Bernardino, und entdeckte früh ihre Passion für die Kunst des Backens und die Welt der Cozy Mysteries und schließlich auch ihr Talent fürs Schreiben. Ihre Cozy-Crime-Serie um die Bäckerin Hannah Swensen ist auf dem englischsprachigen Markt längst Kult, umfasst mittlerweile über 20 Bände, die in 13 Sprachen übersetzt wurden, regelmäßig auf den ersten Plätzen der New York Times Bestsellerliste zu finden sind und eine Gesamtauflage von 5,5 Millionen Exemplaren erreichten. Außerdem wurden fünf ihrer Romane für das Fernsehen verfilmt und unter anderem auf Deutsch synchronisiert. Die Leser:innen lieben die Romane der Queen of Culinary Mystery wegen ihrer lebensechten Figuren und der Wohlfühlatmosphäre rund um Hannah Swensens Café in der fiktiven Kleinstadt Lake Eden. Joanne Fluke lebt mit ihrer Familie in Südkalifornien.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by Joanne Fluke

Titel der englischen Originalausgabe: »Cherry Cheesecake Murder«

Originalverlag: Kensington Publishing Corp., New York

Published by Arrangement with

Kensington Publishing Corp., New York, NY 10018 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

Einband-/Umschlagmotiv: © canadastock/Shutterstock; VikaSuh/Shutterstock; PON-PON/Shutterstock; Kmannn/Shutterstock; IRINA_PRO / Shutterstock; design us studio/Shutterstock; mipan/Shutterstock; Avocado_studio/Shutterstock; avian/Shutterstock

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-5596-2

luebbe.de

lesejury.de

Meiner besten Freundin Shiva gewidmet.Ohne dich ist es nicht mehr dasselbe.

Prolog

Lake Eden, MinnesotaZweiter Mittwoch im März

»Danke!« Dean Lawrence hatte an vielen Drehorten Regie geführt, aber Lake Eden war der schlimmste. Diese Landeier waren einfach zum Gähnen. Die pummelige Tussi aus dem Bäckerei-Café backte zwar einen erstklassigen Kirschkäsekuchen, aber das war auch schon das einzig Gute, was er über das Kaff sagen konnte.

Heute klappte überhaupt nichts. Diese Szene würden sie nie in den Kasten bekommen. Der Stumpfsinn der Einheimischen war anscheinend ansteckend. Zeit, ein paar Leuten in den Hintern zu treten.

»Danke! Was ist mit Ihnen los, Burke? Sie sollen die Zuschauer zum Weinen bringen! Stehen Sie auf. Ich zeige Ihnen, was ich hier haben will.« Dean schob Burke aus dem Kamerabereich und machte sich bereit, die Rolle selbst zu spielen.

Mitten in der Szene bemerkte er, dass die Rothaarige, die seinen Kirschkäsekuchen gebacken hatte, ihn mit neuem Respekt anblickte. Offenbar war sie von seinem Talent beeindruckt. Na, vielleicht würde sie hinterher ein bisschen empfänglicher sein. Er öffnete die mittlere Schreibtischschublade, nahm den Bühnenrevolver heraus und starrte darauf, bis Lynne wenig später den entscheidenden Satz sagte.

»Nein! Ich liebe dich, Jody! Tu mir das nicht an!«

Sie sprach ihn perfekt, und Dean war froh, dass er entschieden hatte, sie für seinen nächsten Film zu engagieren. Die Kamera kam zur Nahaufnahme heran, als er ein gequältes Gesicht machte und Lynne mit Tränen in den Augen ansah. »Ich will dir nichts antun, Schwesterlein. Ich tue das für mich.«

Er hob den Revolver an die Schläfe. Lynne schaute entsetzt, genau so, wie sie sollte, und er lächelte sie ein letztes Mal traurig an. Dann drückte er ab.

Es knallte, und Lynne kreischte.

Zu Recht, wie sich zeigen sollte. Ihr Regisseur war tot.

1

Zwei Wochen zuvor

Hannah Swensen gab sich alle Mühe, ihren schlafenden Verstand zu überzeugen, dass das hartnäckige elektronische Piepen zum Soundtrack ihres Traumes gehörte. Ein riesiger Sattelschlepper fuhr rückwärts an die Tür ihrer Backstube heran, um den Berg von Schokoladentropfen auszuliefern, den sie bestellt hatte. Denn sie würde einen Berg von Schoko-Cookies backen, alle für ihren größten Fan, Porky Pig, der mit der Hilfe eines Stimmtrainers endlich sein Stottern überwunden hatte und gerade den Eid auf die Verfassung schwor, als neuer Präsident der Vereinigten Staaten …

Der Traum entschwebte wie die Schleier der Salome, und Hannah knipste stöhnend die Nachttischlampe an. Das konnte sie nur geträumt haben, weil sie bis zwei Uhr früh Zeichentrickfilme geguckt und dabei zwei Schalen Schokoladeneis und eine ganze Tüte Mikrowellenpopcorn vertilgt hatte. Sie schaltete den Wecker aus, warf sofort die Bettdecke zurück und setzte sich auf, um den Drang, sich wieder einzukuscheln, im Keim zu ersticken.

»Komm, Moishe.« Sie stupste den orange-weißen Kater an, der am Fußende ihres Bettes lag. »Tagesanbruch in den Sümpfen, Morgengrauen in der Wüste, Sonnenaufgang in Lake Eden.«

Moishes gelbe Augen wurden sichtbar. Er schaute zum Fenster und in die Dunkelheit dahinter, dann drehte er den Kopf, um sie vorwurfsvoll anzustarren. Die meisten Leute glaubten nicht, dass Katzen die Menschensprache verstanden, aber Hannah war nicht wie die meisten Leute. Vor allem nicht, da Moishe nicht wie die meisten Katzen war. »Entschuldige.« Sein unverwandter Blick bewog sie zu einem Rückzieher. »Eigentlich geht die Sonne bei uns noch nicht auf, aber bald wird sie das tun, und ich muss aufstehen und zur Arbeit fahren.«

Moishe schien ihre Erklärung zu akzeptieren. Er gähnte herzhaft und gab dabei ein kurzes Fiepen von sich, das Hannah liebenswert fand. Dann streckte er sich.

Sie wurde es nie leid, ihrem vormals obdachlosen Kater bei der Morgengymnastik zuzusehen. Er rollte sich auf den Rücken und schaute an die Zimmerdecke. Das rechte Vorderbein streckte er zur Decke und nach kurzer Pause auch das linke, drückte sodann die Hinterpfoten gegen das Fußbrett des Bettes und streckte sich zu einem breiten Ypsilon aus. Sobald sein ganzer Körper straff gedehnt war, begann er zu zittern wie ein Wackelpudding.

Das Katzenzittern hielt mehrere Sekunden lang an, und schließlich drehte er sich auf den Bauch. Diese Haltung nannte Hannah den »Pfannkuchen«, denn dabei war er so flach, wie eine Katze nur sein konnte, die nicht unter eine Dampfwalze geraten war. Alle vier Beine waren bis zum Äußersten gestreckt und Moishes Kinn parallel zu dem abgenutzten Flor der Chenille-Decke, die sie im Lake Edener Secondhandladen gekauft hatte.

Der nächste Teil der Übung war ihr liebster. Moishes Hinterbeine bewegten sich nach vorn, zuerst das linke, dann das rechte, als wollte er einen Riesenschritt machen. Das tat er, bis sein Hinterteil so weit in die Höhe ragte, dass er wie ein Katzentipi aussah. Sobald der Scheitelpunkt erreicht war, seufzte er, schüttelte sich ein bisschen, bewegte die Ohren parallel nach vorn und hinten und sprang mit einem großen Satz auf den Boden, um Hannah in den Flur zu folgen.

»Warte.« Sie zog sich die schaffellgefütterten Mokassins an und hüpfte dabei von einem Fuß auf den anderen. »Du weißt, du kannst den Trockenfutterbehälter nicht selbst öffnen.«

Nach dem kurzen Gang durch den Flur, bei dem Moishe in einem fort an den Zugbändern ihrer Hausschuhe reißen wollte und sie seinen Pfoten auswich, gelangte sie in die Küche. Sie schaltete die Deckenlampen ein und kniff die Augen zusammen, weil das Weiß der Wände für ihre schläfrigen Augen noch zu grell war. Vielleicht war es Zeit, die Wände in einer dunkleren Farbe zu streichen, Schwarz zum Beispiel. Vor allem wenn sie weiterhin nur drei Stunden Schlaf bekam.

Wie viele Nächte zuvor hatte sie auch diese im Wohnzimmer zugebracht, ausgestreckt auf dem Sofa mit einem dreiundzwanzig Pfund schweren Kater auf ihrer Brust, und hatte beim Fernsehen mit einer Entscheidung gerungen, bei der selbst der weise Salomo aufgeschmissen gewesen wäre.

Ein indigniertes »Miau« holte sie zu ihrer unmittelbaren Aufgabe zurück. Sie öffnete den Besenschrank und hob den Behälter heraus, einen runden grauen Eimer mit einem Schraubdeckel, an dem laut Hersteller selbst das hartnäckigste Haustier scheiterte. Hannah hatte ihn im Einkaufscenter erstanden, nachdem Moishe alle bisherigen Sperren überwunden und sich selbst an seinem Futter bedient hatte.

Nicht, dass sie ihm das Futter missgönnte. Vielmehr war das anschließende Fegen und Putzen für sie nicht machbar. Aber nun würde sie nie wieder Futterpellets aufkehren und in den Mülleimer werfen, denn der Verkäufer in der Zoohandlung hatte ihr versichert, dass kein lebendes Wesen ohne opponierbare Daumen den Schraubverschluss aufdrehen könne. Er sei außerdem aus einem Kunstharz gefertigt, dem Zähne und Krallen nichts anhaben könnten und der auch einen Sturz vom Küchenschrank überstünde. Der Behälter sei an einem Tiger im Zoo von Minnesota getestet worden und habe die Prüfung mit Bravour bestanden.

Hannah war völlig klar, dass Moishe physisch nicht fähig war, den Deckel abzuschrauben, trotzdem öffnete sie den Behälter immer so, dass ihr Kater es nicht sah. Es wäre unklug, Moishe zu unterschätzen, der erwiesenermaßen viel findiger war als seine Artgenossen.

»Da hast du«, sagte sie, als sie eine große Portion in seinen Napf schaufelte. »Friss das auf, dann bekommst du mehr.«

Während ihr Mitbewohner vor sich hin knusperte, goss sie sich eine Tasse dampfenden Kaffee ein und sandte ein stilles Danke an den Erfinder der Zeitschaltuhr, die sie an die Maschine angeschlossen hatte. Sie trank einen sengend heißen Schluck und holte sich einen Würfel gefrorenen Kaffee aus dem Tiefkühlfach. Ein gewöhnlicher Eiswürfel würde ihren Kaffee verwässern, und deshalb hielt sie einen Eiswürfelbehälter voll gefrorenem Kaffee im Vorrat. Morgens brauchte sie ihren Wachmacher sehr stark.

Nach einigen großen Schlucken näherte sie sich dem Wachzustand. Also war es Zeit, zu duschen und sich anzuziehen. Das Verlangen nach der zweiten Tasse würde sie zur Eile antreiben, und sie war gerade wach genug, um nicht unter dem heißen Wasserstrahl einzudösen und krebsrot aus der Duschkabine zu kommen.

Ihre roten Locken waren noch handtuchfeucht, als sie elf Minuten später in die Küche zurückkehrte. Sie trug Jeans und das dunkelgrüne Sweatshirt mit gelbem Schriftzug: Schokolade ist Gemüse! Sie wird aus Bohnen gemacht. Sie goss sich gerade die Tasse voll, als das Telefon klingelte.

Sie griff nach dem roten Telefon, das über dem Küchentisch an der Wand hing, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Was, wenn es Mike ist? Oder Norman?«

Moishe fauchte beim zweiten Läuten und miaute dann.

»Du hast recht. Was, wenn sie mir noch einmal beide einen Antrag machen? Und von mir erwarten, dass ich mich zwischen ihnen entscheide? Ich bin dreißig, habe ein eigenes Unternehmen und bin eine vernünftige, erwachsene Frau. Niemand wird mich zu einer Entscheidung drängen, die ich später bereuen könnte … auch nicht meine Mutter.«

Beim letzten Wort legte Moishe die Ohren an und machte einen Buckel wie ein Halloween-Kater. Er konnte Delores Swensen nicht ausstehen. Eine Schublade voll zerrissener Strumpfhosen ihrer Mutter bewies das.

»Keine Sorge, falls sie es ist: Du musst nicht mit ihr sprechen.«

Mit einem tiefen Atemzug nahm sie den Hörer ab und setzte sich. Wenn der Anrufer ihre Mutter war, würde das Gespräch eine Weile dauern, und dabei würden unverblümte Bemerkungen zu ihrem unverheirateten Zustand fallen. Wenn das ihre jüngere Schwester Andrea war, würde es um ihre Nichten Tracey und Bethany gehen und auch einige Minuten in Anspruch nehmen. Wenn es Michelle war, ihre jüngste Schwester, würden sie über das Leben am Macalester College plaudern, und auch das würde die Zeit vor der Arbeit verkürzen.

»Hallo?«, sagte Hannah zur Begrüßung und hoffte inständig, dass es nicht einer der beiden Männer in ihrem Leben war.

»Wieso hat das so lange gedauert? Ich hätte fast wieder aufgelegt. Aber ich wusste, du kannst nicht so früh schon weg sein.«

Der Anrufer war ein Mann, aber keiner der gefürchteten. Sie seufzte erleichtert. Es war ihr Schwager Bill, der einzige andere Frühaufsteher in der Familie. »Hallo, Bill. Noch zu Hause oder schon bei der Arbeit?«

»Ich bin auf dem Revier, und wir haben ein Problem.«

Hannah sah zur Uhr. Es war erst Viertel nach fünf. Bill hatte geregelte Arbeitszeiten, seit er der Sheriff des Winnetka County war. Er war nie vor acht im Büro, außer es gab einen Notfall. »Kann ich irgendwie helfen?«

»Und ob du das kannst. Du bist sogar die Einzige, die den Schlamassel in Ordnung bringen kann!«

»Welchen Schlamassel?« Vor ihrem inneren Auge sah sie ausgeraubte Häuser, gestohlene Autos, verwüstete öffentliche Einrichtungen und Mordopfer, die sich bereits stapelten. Doch wenn das Verbrechen in Lake Eden sprunghaft angestiegen wäre, hätte sie längst davon gehört. Und wieso sollte sie überhaupt als Einzige fähig sein, das Problem zu beheben?

»Den mit Mike. Du hast ihm wirklich übel mitgespielt, Hannah. Eben war er noch supergut drauf und erzählte jedem, du würdest dich für ihn entscheiden, und plötzlich ist er völlig down, weil du ihm garantiert den Laufpass gibst und Norman heiratest.«

Sie überlegte fieberhaft, was sie darauf sagen sollte. Es war nicht ihre Schuld, dass Mike das Warten auf ihre Entscheidung stresste. Sein Antrag lag erst eine Woche zurück. Selbst eine Frau, die in den Augen ihrer Mutter schon eine alte Jungfer war, hatte das Recht, sich für eine so wichtige Entscheidung die nötige Zeit zu nehmen.

»Schau, Hannah, ich weiß, es ist nicht nur deine Schuld, doch ich habe hier eine gefährliche Situation.«

»Gefährlich?«

»Oh ja. Mike ist mein leitender Detective, meine rechte Hand bei der Aufklärung von Verbrechen. In seinem jetzigen Zustand könnte er einen Täter nicht mal schnappen, wenn der vor seinem Schreibtisch stehen und ein Schild hochhalten würde, auf dem steht: Ich war’s. Was, wenn wir tatsächlich einen Mörder oder dergleichen fassen müssen? Wie soll das dann gehen?«

Hannah atmete langsam aus. Ihr war nicht mal bewusst gewesen, dass sie den Atem angehalten hatte. »Was soll ich also für dich tun?«

»Dich entscheiden, damit Mike wieder arbeitsfähig ist. Nägel mit Köpfen machen, weißt du?«

»Aber ich darf mich nicht unter Druck setzen. Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite.«

»Das verstehe ich.« Bill seufzte. »Und ich will dich wirklich nicht beeinflussen. Doch letzten Endes wird es Mike sein, das weiß ich. Wenn du ihn so sehr liebst, wie ich glaube, wirst du seinen Antrag heute annehmen und ihn von seinem Elend erlösen. Er ist der Richtige für dich, und das meine nicht nur ich. Jeder auf dem Revier denkt das.«

Sie griff zu dem unverbindlichsten Versprechen, das sie parat hatte. »Ich werde … äh … darüber nachdenken.«

»Denk schnell. Und drück die Daumen, dass wir Mike nicht brauchen, bis du Ja gesagt hast.«

Sie versprach es und legte auf. Sie hatte Verständnis für sein Anliegen. Eine Woche war ein langer Zeitraum, um jemanden hinzuhalten, aber sie war einer Entscheidung noch nicht näher als am Tag nach dem Antrag. Mike war attraktiv und erregend. Norman war zuverlässig und liebenswert. Wenn Mike sie küsste, schlug ihr Herz Purzelbäume, und wenn Norman sie küsste, wurde ihr warm ums Herz, und es kribbelte sie im ganzen Körper. Sie wünschte, sie könnte beide haben, aber das ging nicht. Und einen für den anderen aufgeben konnte sie auch nicht.

Ehe sie von ihrem Kaffee trinken konnte, klingelte das Telefon wieder. Sie nahm sofort ab, sicher, dass es Bill war, der etwas vergessen hatte. »Dir ist noch was eingefallen, Bill?«

»Hier ist nicht Bill, hier ist Lisa. Ich möchte dir nur Bescheid geben, dass du dich heute Morgen nicht beeilen musst.«

»Warum nicht?«

»Weil ich schon im Cookie Jar bin.«

Hannah sah zur Uhr. Es war Viertel vor sechs. Lisas Arbeitszeit begann um sieben. »Wieso schon so früh?« Hoffentlich hing bei Lisa und Herb nicht der Haussegen schief.

»Herb musste um vier aufstehen, und nachdem er weg war, konnte ich nicht wieder einschlafen.«

»Warum musste er schon um vier aufstehen?«

»Er fährt nach Fargo zur Verkehrsmesse.«

»Was ist das?«, fragte Hannah, obwohl Lisa ihr das wahrscheinlich sowieso erzählt hätte.

»Da geht es um alles, was mit Straßenverkehr und Parken zu tun hat, also Schilder, Parkuhren, Ampeln. Bürgermeister Bascomb hat gestern Abend bei uns angerufen und wollte, dass Herb sich über die Preise von Parkuhren informiert.«

»Parkuhren?« Hannah war entsetzt. In Lake Eden war das Parken immer kostenlos gewesen.

»Genau. Herb soll ermitteln, wie viel es kosten würde, die Main Street damit zu bestücken.«

»Die Main Street?«

»Ja. Aber Herb hält das für eine Finte.«

»Eine Finte?«, wiederholte Hannah. Sie kam sich schon vor wie ein Papagei.

»Es gibt eine Gruppe von Bürgern, die den Schnapsladen schließen lassen wollen. Sie meinen, die Stadt sollte keinen Profit aus dem Verkauf von Alkohol schlagen.«

Hannah schnaubte. Alle paar Jahre trommelte jemand ein paar Leute zusammen, denen der kommunale Schnapsladen ein Dorn im Auge war. »Ich wünschte, die Leute würden begreifen, dass man Tugendhaftigkeit nicht verordnen kann. Eine Schließung des Schnapsladens wird den Alkoholkonsum nicht verringern.«

»Ich weiß, aber diesmal meinen sie es wirklich ernst. Sie sammeln Unterschriften, damit bei der nächsten Ratsversammlung darüber abgestimmt wird. Herb ist sich sicher, dass Bascomb nur deshalb wissen will, was die Parkuhren kosten würden.«

Hannah trank einen Schluck Kaffee, konnte jedoch keinen Zusammenhang erkennen. »Was haben Parkuhren mit dem Schnapsladen zu tun?«

»Herb denkt, dass der Bürgermeister sie vor die Wahl stellen will. Entweder wird der Schnapsladen geschlossen, und die Main Street bekommt Parkuhren, damit der Einnahmeverlust wettgemacht werden kann, oder der Schnapsladen bleibt offen, und die Steuererhöhung kann ausbleiben, die sie treffen würde, damit die Parkuhren überhaupt angeschafft und installiert werden können.«

»Das sollte klappen«, sagte Hannah lächelnd. Bascomb war fast so gerissen wie ihre Mutter.

»Meine ich auch. Jeder möchte umsonst parken, und keiner will noch mehr Steuern zahlen. Jedenfalls bin ich hier, und du kannst gern etwas später kommen. Du brauchst schließlich Zeit zum Nachdenken.«

»Nachdenken?«

»Über Mike und Norman. Bürgermeister Bascomb hat Herb gefragt, ob du dich schon entschieden hast.«

»Tatsächlich?« Hannah war verblüfft. »Ich wusste nicht, dass ihn das interessiert.«

»Doch, das tut es. Er will, dass du Norman heiratest. Er sagt, das ist im öffentlichen Interesse.«

»Wie bitte?!«

»So hat Herb auch reagiert, aber der Bürgermeister hat es ihm erklärt. Er meint, einen neuen Detective bekommen sie jederzeit, doch einen Zahnarzt zu finden, der die Praxis übernimmt, ist viel schwieriger.«

»Moment mal … Bascomb meint, der Mann, den ich nicht heirate, wird von hier wegziehen?«

»Ja, und da ist er nicht der Einzige. Herb sagt, wenn du dich für Norman entscheidest, wird Mike bestimmt keine Lust haben, zu bleiben und sich wie ein Versager zu fühlen. Und wenn du dich für Mike entscheidest, wird Norman nicht hierbleiben und zusehen, wie du ein glückliches Leben mit Mike führst. Das wäre zu schmerzlich für ihn, denn er liebt dich von ganzem Herzen. Und obendrein wird Carrie wahrscheinlich mit ihm gehen, weil er dann völlig deprimiert sein wird und sie glaubt, dass er sie braucht. Und dann wird deine Mutter ihre Geschäftspartnerin verlieren.«

»Ach du meine Güte!« Hannah stöhnte leise. Da gab es einen ganzen Strauß von Folgen zu bedenken. Bisher hatte sie nur daran gedacht, wie die Entscheidung sich auf ihr eigenes Glück auswirkte, aber nun schien es, als würde ganz Lake Eden in Mitleidenschaft gezogen!

»Jedenfalls kannst du dir heute Morgen Zeit lassen. Bis nachher dann.«

Hannah verabschiedete sich und wandte sich Moishe zu. »Hätte ich das bloß eher gewusst. Offenbar hätten wir lange schlafen können.«

Moishe knurrte, und sie fand, er sah enttäuscht aus. Lange schlafen am Fußende ihres Bettes, halb unter der flauschigen Tagesdecke – dafür war er immer zu haben.

»Tja, nun. Dann kann ich wohl noch den Müll raustragen und …«

Ehe sie den desinteressierten Kater über ihre unmittelbaren Pläne informieren konnte, rief wieder jemand an, und sie nahm ab. »Hallo?«

»Hallo, Hannah. Hier Barbara Donnelly. Ich weiß, es ist reichlich früh, aber ich wollte Sie erwischen, bevor Sie zur Arbeit fahren.«

»Hallo, Barbara.« Hannah nahm sich den Notizblock, der immer auf dem Küchentisch lag. Barbara war die leitende Sekretärin des Sheriffs und bestellte häufig Plätzchen für die Mitarbeiterbesprechungen, die sie montagnachmittags abhielt. »Möchten Sie Gebäck für heute Nachmittag bestellen?«

»Ja. Packen Sie mir drei Dutzend Schwarz-Weiß-Plätzchen ein. Ich schicke eine Kollegin, die sie abholt. Wenn ich darüber nachdenke, machen sie vier Dutzend daraus. Die Sorte ist hier besonders beliebt. Aber deshalb rufe ich nicht an. Sie müssen mir einen Gefallen tun.«

»Welchen?« Hannah fand es klüger nachzufragen, bevor sie etwas versprach.

»Ich bitte Sie, die ganze Angelegenheit heute noch abzuschließen.«

Hannah war sich zu fünfundneunzig Prozent sicher zu wissen, was Barbara meinte, aber die fehlenden fünf Prozent wollte sie lieber nicht ignorieren. »Um welche Angelegenheit geht es?«

»Die mit Mike. Er treibt uns alle in den Wahnsinn. In der letzten Woche musste ich ihm zwei Mal eine andere Sekretärin zuweisen.«

»Warum das?«

»Weil jede nach einem Tag mit ihm zu mir kam und versetzt werden wollte. Es ist einfach zu aufreibend, für einen Boss zu arbeiten, der mal fröhlich vor sich hin pfeift und mal nervös an den Fingernägeln kaut. Natürlich hoffe ich, dass Sie sich für Mike entscheiden, aber das bleibt Ihnen überlassen. Ich möchte nur, dass Sie die Entscheidung heute treffen und meine Sekretärinnen aus ihrer misslichen Lage erlösen.«

»Ich werde es versuchen«, versprach Hannah und legte auf. Im nächsten Augenblick klingelte es erneut. »Okay, okay.« Sie nahm den Hörer von der Gabel. »Hallo?«

»Guten Morgen, Hannah. Hier Doc Bennett.«

Mit dem Hörer in der Hand ging sie zur Kaffeemaschine, sodass sich die Kabelspirale auseinanderzog, schenkte sich Kaffee nach und setzte sich wieder an den Tisch. »Is’ was, Doc?«

»Sehr witzig«, erwiderte Doc Bennett mit seiner lustigen Stimme, mit der er schon vielen Kindern die Angst vor dem Zahnarztbesuch genommen hatte. »Aber Scherz beiseite, Hannah. Es geht um Norman.«

»Was ist los?«

»Der arme Kerl kann nachts nicht mehr schlafen. Er hat mich angerufen und gefragt, ob ich ihn heute vertreten kann. Es ist wirklich eine Schande, Hannah. Ich weiß nicht, wie lange er das noch aushalten wird. Bisher sind ihm keine Behandlungsfehler unterlaufen, von denen ich wüsste, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis er dem verkehrten Zahn eine Füllung verpasst oder Schlimmeres tut. Wieso brauchen Sie überhaupt so lange? Wenn Sie Norman so sehr lieben, wie ich glaube, dann sollten Sie seinen Antrag heute annehmen, damit er wieder schlafen kann!«

Hannah war sprachlos. Sie fand keine Worte. »Ich … Ich …«

»Ich weiß, das ist eine weitreichende Entscheidung, aber Sie haben sich lange genug Zeit gelassen. Werden Sie heute eine Wahl treffen?«

»Ich versuche es.« Sie bezweifelte allerdings, dass der Versuch zum Erfolg führen würde.

»Gut. Ich muss Schluss machen. Mrs Wahlstrom hat gleich einen Termin, und ich habe noch nicht gefrühstückt.« Doc Bennett legte abrupt auf, und im Hörer war es totenstill.

Hannah zischte ein Wort, das sie im Beisein ihrer Nichten niemals ausspräche, obwohl Bethany noch zu klein war, um es zu verstehen, und Tracey es wahrscheinlich längst kannte. »Die rotten sich gegen mich zusammen«, sagte sie zu Moishe. »Was soll ich tun?«

Ihr Kater sah sie bloß mit großen Augen an. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, sagte sein Blick. Sie langte hinunter, um ihn zu streicheln, doch ehe sie sein orange-weißes Fell berührte, klingelte das Telefon.

»Oh, oh.« Hannah beobachtete, dass Moishe die Ohren anlegte und das Fell sträubte. Ihr Anrufer-Warn-Kätzchen war nicht unfehlbar, aber in neun von zehn Fällen war ihre Mutter in der Leitung, wenn es so reagierte. Als sein Schwanz hin- und herzuckte wie ein Metronom, nahm sie den Hörer ab. Ihre Mutter war absolut hartnäckig. Wenn Hannah jetzt nicht ranginge, würde Delores später im Cookie Jar anrufen. »Hallo, Mutter.«

»So solltest du dich wirklich nicht melden«, erwiderte Delores wie immer.

»Ich weiß, aber andernfalls wärst du enttäuscht.«

»Mag sein«, räumte Delores ein. »Ich muss mit dir über etwas Wichtiges reden, Hannah. Und du weißt ja, dass ich mich normalerweise nicht einmische …«

Hannah wusste, was unweigerlich kommen würde: Aber?

»Aber Carrie hat mich gerade angerufen, und wir haben eine ernste Situation zu bewältigen. Weißt du, dass Norman im Augenblick bei Hal und Rose im Café sitzt und den Kaffee so in sich hineinkippt, dass Rose mit dem Nachschenken kaum hinterherkommt?«

»Nein«, antwortete Hannah wahrheitsgemäß.

»Nun, das tut er. Rose hat Carrie extra deswegen angerufen. Sie sagte, sie habe Norman ermahnt, sich beim Kaffee zu mäßigen, doch er hat argumentiert, das könne der wichtigste Tag seines Lebens werden und den wolle er nicht verschlafen.«

Hannah stöhnte. »Norman glaubt, ich würde ihm heute meine Antwort geben?«

»Es ist nicht nur heute. Laut Carrie verhält er sich schon die ganze Woche so, seit er dir den Antrag gemacht hat. Und zu allem Überfluss sitzt Mike mit Norman zusammen in der hinteren Nische und trinkt auch eine Tasse nach der anderen.«

»Wenigstens nicht ein Bier nach dem anderen«, erwiderte Hannah schmunzelnd.

»Schäm dich, Hannah Louise! Das ist überhaupt nicht lustig, und das weißt du. Ich habe mich bisher bezwungen und den Mund gehalten, aber diesmal bist du zu weit gegangen. Ich habe dich nicht zur Grausamkeit erzogen!«

»Grausamkeit?« Hannah war geschockt.

»Wie kann man es anders nennen? Ich meine es ernst, Hannah. Genug ist genug, und du darfst nicht länger zaudern. Du musst dich entscheiden, welchen Mann du heiraten willst, ihm das sagen und den anderen behutsam abweisen. Das ist es, was eine Dame unter diesen Umständen tut. Es derart hinauszögern wie du gerade ist allen Beteiligten gegenüber unfreundlich.«

Hannah war ein paar Augenblicke lang still und überdachte, was ihre Mutter gesagt hatte. Sie musste ihr zustimmen. »Du hast recht, Mutter.«

Es polterte, als hätte Delores den Hörer fallen gelassen, und dann raschelte es. »Entschuldige. Sagtest du, ich habe recht?«

»Genau das.«

»Nun …« Delores klang ein wenig atemlos und völlig verblüfft. »Heißt das, du bist bereit, hier endgültig Klarheit zu schaffen?«

»Ja, ich werde Klarheit schaffen.«

»Und du wirst es heute tun?«

»Ich tue es sofort. Wir sprechen uns später, Mutter.«

Hannah legte auf, um weitere Anforderungen zu verhindern, füllte Moishes Futternapf noch einmal auf, nahm Mantel und Autoschlüssel, ignorierte das Telefon, das schon wieder drängend klingelte, und verließ das Haus zu ihrem Date mit dem Schicksal in Hals und Roses Café.

2

Zwanzig Minuten später schlitterte Hannah in ihrem paradiesapfelroten Chevy Suburban, den die Lake Edener Kinder den »Plätzchenwagen« nannten, an der Third und Main Street um die Ecke und parkte mit dem Kühler am Schneewall, den Hal vor dem Café beim Räumen des Gehwegs aufgeschaufelt hatte. Die Schaufensterscheibe war beschlagen, sodass Hannah nicht hineinsehen konnte, aber Mikes Hummer stand links und Normans Wagen rechts neben ihr. Bei beiden waren die Windschutzscheiben vereist. Demnach waren sie schon da gewesen, als Rose für die Angestellten von DelRay die Tür aufgeschlossen hatte, die frühmorgens vor Schichtbeginn bei ihr frühstückten.

Hannah stieg aus und ging zur Tür, zog sie mit einem Ruck auf und stapfte ins Café. Als Erstes sah sie die Tafel an der hinteren Wand neben dem Vorhang, der das Pokerzimmer abteilte. Da stand: Norman versus Mike – Wettschluss um zwölf Uhr.

Hannah hätte nicht geglaubt, dass sie noch wütender werden konnte, doch da hatte sie falschgelegen. Ein Blick auf die Tafel, und sie war auf hundertachtzig. Sie schnaubte wenig damenhaft, als sie Norman und Mike in der hinteren Nische entdeckte, und mit der Titelmelodie vom Weißen Hai im Kopf hielt sie auf die beiden zu.

Mike stieß Norman an, als er sie bemerkte. Norman blickte auf und runzelte die Stirn. Vermutlich wegen ihres finsteren Gesichtsausdrucks. Es war zu früh am Morgen, um ein Pokerface aufzusetzen, und außerdem war ihr egal, ob ganz Lake Eden erfuhr, dass sie stinkwütend war. Sie schätzte es nicht, vor sechs Uhr früh fünf Anrufe zu erhalten, alle von Leuten, die mit ungebetenen Ratschlägen über sie herfielen. Das war ihr Leben, das waren ihre Heiratsanträge und ihre Entscheidung, mit der sie schließlich leben musste. Es gefiel ihr nicht im Geringsten, Gegenstand einer sehr öffentlichen Wette zu sein, und es war überfällig, den Spekulationen ein Ende zu setzen.

Zielstrebig schritt sie auf ihren gummibesohlten Stiefeln den Gang zwischen den Sitznischen entlang. Sie achtete nicht darauf, dass die anderen Stammgäste sich allesamt umdrehten, um das angehende Spektakel zu verfolgen. Sie hörte weder die leisen Bemerkungen, noch sah sie das Geld, das hastig den Besitzer wechselte. Sie konzentrierte sich auf die zwei Männer in der hinteren Nische und auf die Worte, die sie sich gerade zurechtlegte.

»Stimmt was nicht, Hannah?«, fragte Norman, als sie an dem Tisch ankam und die Hände in die Seiten stemmte.

»Gar nichts stimmt.« Sie beschloss, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Warum musstet ihr mir unbedingt einen Heiratsantrag machen?«

Norman antwortete als Erster. »Weil ich dich liebe.«

»Und weil ich dich liebe«, sagte Mike.

»Tja, das ist toll, denn ich empfinde genauso.«

»Für wen?«, fragte Norman.

»Ja, für wen?«, wollte auch Mike wissen.

»Für euch beide. Aber das ist nicht mal das größte Problem. Ich bin es absolut leid, mir von anderen Leuten anhören zu müssen, dass ich mich zwischen euch entscheiden soll! Und es macht mich rasend, dass mich jeder in dieser Stadt drängt, das unbedingt noch heute zu tun!«

Mike hob die Hand. »Aber, Hannah …«

»Still!«, unterbrach sie ihn. »Heute früh habe ich Anrufe von Bill, Lisa, Barbara Donnelly, Doc Bennett und meiner Mutter bekommen. Sogar der Bürgermeister hat mir ein Ultimatum gestellt! Alle wollen, dass ich mich jetzt entscheide, aber sie sehen die Sache völlig falsch. Ich allein sollte entscheiden, wann ich mich entscheide!«

»Hä?« Norman schaute verwirrt.

Mike ebenfalls. »Wie war das, Hannah?«

»Egal. Ich weiß, was ich meine, und das genügt. Wollt ihr mich trotzdem noch heiraten?«

Hätte es gegossen wie aus Eimern, wären beide Männer ertrunken, denn sie schauten mit offenem Mund zu ihr hoch.

Mike schüttelte seine Verblüffung als Erster ab. »Ja.«

Dann Norman. »Ich auch!«

»Gut.« Hannah lächelte sie mit schmalen Lippen an. »Das heißt, ich weise euch beide ab. Ihr seid vom Haken. Ihr könnt aufhören, mit Leidensmiene darauf zu warten, zu wem ich Ja sage. Auf keinen Fall werde ich mich dem Druck der Öffentlichkeit beugen und zwischen euch wählen.«

»Moment mal«, sagte Norman bestürzt. »Heißt das, du wirst keinen von uns heiraten?«

»Genau das heißt es.«

»Aber … gibt es einen anderen?«, fragte Mike.

»Nein, keinen.«

»Warum …«, begann Norman zögernd, doch Hannah unterbrach ihn.

»Es geht ums Prinzip. Wer sagt eigentlich, dass unbedingt der Mann den Antrag machen muss?«

Beide zuckten mit den Schultern, und Norman antwortete schließlich.

»Keine Ahnung, aber so ist es immer gewesen.«

»Tja, mir gefällt das nicht, und deshalb ändere ich die Regel. Ich bestimme wieder ganz allein über mein Leben und folge meinem eigenen Zeitplan. Niemand wird mich zu etwas drängen, was ich nicht tun will. Ich werde entscheiden, wann ich heiraten möchte. Und wenn es so weit ist, werde ich den Mann meiner Wahl fragen, ob er mich heiraten will. Ist das klar?«

Mike und Norman wechselten einen Blick. Dann sahen sie sie an und nickten.

»Perfekt. Können wir jetzt alle aufhören, uns wie Figuren einer Seifenoper zu benehmen, und zu einem halbwegs normalen Leben zurückkehren?«

»Ja«, antwortete Mike und lächelte zum ersten Mal, seit Hannah hereingekommen war.

»Und ob!«, sagte Norman, doch er lächelte nicht. »Ich will jetzt keine neuen Probleme machen, möchte aber eins gern wissen: Willst du weiter mit mir ausgehen, Hannah?«

»Unbedingt.«

»Und mit mir?«, fragte Mike.

»Mit dir auch. Lasst uns nicht mehr ans Heiraten denken und lieber so weitermachen wie vorher.«

»Einverstanden«, sagte Mike.

»Abgemacht«, meinte Norman und lächelte nun doch noch.

»Ich bin wirklich froh, dass wir das geklärt haben.« Hannah lächelte und wandte sich Norman zu. »Bist du so gut und holst mir einen Stuhl? Wenn ich mich neben einen von euch beiden setze, spekulieren die anderen Gäste nur wieder, was das bedeuten könnte.«

»Klar.« Norman schob sich aus der Nische.

Hannah sah Mike an. »Und würdest du zu Rose gehen und sagen, dass ich einen Bärenhunger habe? Ich möchte zwei gewendete Spiegeleier, den Speck extra knusprig und dazu Toast.«

»Natürlich.«

Mike schob sich ebenfalls von seiner Bank, aber Hannah hielt ihn am Handgelenk auf, als er an ihr vorbeigehen wollte. »Moment noch. Meinst du, du kannst ein paar Minuten lang so tun, als wärst du im Dienst?«

»Schätze ja. Warum?«

»Ich wäre dir dankbar, wenn du die Leute an der Theke daran erinnerst, dass Wetten in Minnesota illegal sind. Und dann kannst du Hal sagen, dass ich keinen von euch heirate und dass er den Topf der Wette einem wohltätigen Verein spenden soll.«

Als Hannah durch die Hintertür die Backstube betrat, empfing Lisa sie mit zwei gereckten Daumen. »Es war absolut richtig von dir, beiden einen Korb zu geben.«

»Danke, aber wie kannst du schon davon wissen?«

Lisa zeigte zur Wand neben dem Spülbecken, und Hannah drehte sich dorthin. Das Spiralkabel des Wandtelefons war straff gezogen und der Hörer nicht zu sehen, denn er lag in der Schublade mit den Geschirrtüchern. »Zu viele Anrufe?«

»Genau!« Hannahs zierliche Geschäftspartnerin gab ein kleines Lachen von sich. »Wer es noch nicht weiß, versucht, mich auszuquetschen. Und wer es weiß, will es mir als Erster erzählen. Ich konnte nicht gleichzeitig backen und ans Telefon gehen, daher habe ich den Hörer abgenommen und weggepackt.«

»Und zwar in die Schublade, damit du ihn nicht siehst und keine Gewissensbisse bekommst?«

»Du kennst mich zu gut.«

»Na, jetzt bin ich ja hier. Ich werde die Anrufe annehmen.« Hannah zog die Schublade auf, nahm den Hörer heraus und hängte ihn an die Gabel. Es folgte ein Augenblick atemloser Spannung, dann klingelte der Apparat.

»Du bist dran«, erklärte Lisa. Sie zog sich den Mantel über und ging zur Tür. »Ich laufe schnell zur Schule rüber mit den Plätzchen für die Lehrerkonferenz.«

»Zieh dir Handschuhe an. Es ist kalt da draußen«, rief Hannah ihr nach. Dann nahm sie den Hörer ab und hoffte, der Anrufer würde ein angenehmer freundlicher Mensch sein, jemand aus einem anderen Staat. »Cookie Jar, Sie sprechen mit Hannah Swensen.«

»Hi, Hannah!« Eine vertraute Stimme drang in ihr Ohr. »Ich dachte mir schon, dass du in der Backstube bist. Zu Hause habe ich dich nicht erreicht.«

»Gut kombiniert.« Hannah seufzte erleichtert. Es war Michelle, ihre jüngste Schwester. Sie rief aus dem Haus an, das sie mit Freunden und Kommilitonen zusammen in der Nähe des Campus gemietet hatte.

»Wie ich höre, hast du beiden einen Korb gegeben.«

Hannah geriet ins Stottern. Michelle war hundert Kilometer weit weg. »Wie kannst du davon wissen?«

»Ich lebe nicht in einer einsamen Höhle. Viele Leute halten mich über das auf dem Laufenden, was in Lake Eden passiert.«

»Mutter!«, hauchte Hannah.

»Mutter«, bestätigte Michelle. »Du hast das Richtige getan, Hannah. Das ist viel besser, als zu einem Ja zu sagen und später seine Meinung zu ändern.«

»Da hast du recht. Rufst du deswegen an?«

»Nicht nur. Ich wollte dir auch erzählen, dass ich eine ganze Woche lang Werbung für Lake Eden gemacht und geschwärmt habe, was für eine tolle Stadt das ist.«

»Es ist ja auch eine tolle Stadt.«

»Ich weiß das, aber Mr Barton nicht«, erwiderte Michelle.

»Wer ist Mr Barton?«

»Der Produzent der Indy Prod.«

Hannah hatte das Gefühl, sich im Kreis zu bewegen. »Was ist die Indy Prod? Und was hat die mit Lake Eden zu tun?«

»Mr Barton war zu Gast in unserer Schauspielklasse. Er ist Produzent einer unabhängigen Produktion. Das bedeutet Indy Prod.«

»Du sprichst von einem Filmproduzenten?« Hannah kam auf den Kern der Sache.

»Ja. Er ist fast durch mit seinem Film, der in Minnesota spielt, und sagte, dass er nach einer Kleinstadt an einem See sucht, in der es eine Kirche, eine Schule und einen Park gibt.«

»Das trifft auf praktisch jede Kleinstadt in Minnesota zu.«

»Ich weiß. Das habe ich ihm auch gesagt und dann Lake Eden empfohlen.«

Hoffentlich hatte Michelle sich nicht schon darauf versteift, ihre Heimatstadt in einem großen Kinofilm wiederzusehen. Lake Eden war zwar ein nettes Städtchen, doch es gab idyllischere Settings für einen Film. »Das wäre sicher interessant, Michelle, aber …«

»Das wird sicher interessant«, unterbrach Michelle korrigierend.

»Wird? Du meinst …?«

»Allerdings! Mein Schauspielprofessor hat mich heute Morgen angerufen. Mr Barton hat einen Location-Scout nach Lake Eden geschickt. Du kennst ihn, Hannah. Er war im Cookie Jar.«

»Ach ja?«

»Ja. Erinnerst du dich an diesen Mitch, der dich nach dem Namen des Sees und der Stadt gefragt hat?«

»Danach haben mich viele Touristen gefragt.« Fast jeder Auswärtige, der ins Cookie Jar kam, wollte wissen, warum die Stadt Lake Eden und der See Eden Lake hieß. Die Antwort lautete, dass zuerst der See seinen Namen erhalten hatte und die Stadt erst dreißig Jahre später gebaut worden war und dass die Stadtväter einen Namen gewollt hatten, der sich auf den See bezog, aber anders war.

Lisas Cousine Dianne Herron, die es leid gewesen war, immerzu dieselbe Frage zu beantworten, hatte eine Lösung vorgeschlagen. Hannah hatte Karten mit der Antwort drucken lassen, und die stellten sie während der Touristensaison auf die Tische.

»Nun, Mitch sagte, du wärst wirklich nett gewesen, als du ihm das erklärt hast, und er war begeistert von deinen Plätzchen. Er hat einen überschwänglichen Bericht geschrieben, und nachdem Mr Barton einmal durch die Stadt gefahren war, hat er beschlossen, mit dem Bürgermeister zu sprechen und sich zu erkundigen, wie viel es kosten würde, die Main Street für eine Woche zu mieten.«

»Die Main Street mieten?« Hannah war fasziniert. »Aber was heißt das für unsere Geschäfte?«

»Ihr werdet für den Ausfall entschädigt. So machen es alle Produktionsfirmen. Mitch erzählte, dass Mr Barton gewöhnlich den Bruttoumsatz des Vorjahres für den entsprechenden Zeitraum zahlt, plus zehn Prozent für die Unannehmlichkeiten. Und sie nehmen immer Einheimische als Statisten. Ist das nicht aufregend?«

»Aufregend«, wiederholte Hannah, unsicher, welchen Effekt eine Filmfirma auf ihre verschlafene Heimatstadt haben würde. »Weiß Bürgermeister Bascomb davon?«

»Noch nicht, aber bald. Der Produzent wird ihn heute Vormittag anrufen. Ich wollte dich nur schon mal vorbereiten, ehe es losgeht, und dir die beste Neuigkeit von allen erzählen.«

»Du willst heiraten?«, scherzte Hannah, wohl wissend, dass das bestimmt nicht der Fall war. Michelle hatte ganz klar geäußert, dass sie den College-Abschluss machen würde, bevor sie auch nur in Erwägung zog, zum Altar zu schreiten.

Michelle lachte. »Natürlich nicht, und das weißt du. Aber der Produzent hat mich als Produktionsassistentin eingestellt, und ich werde für eine Woche nach Hause kommen. Ich werde bezahlt und bekomme für den Job Leistungspunkte vom College.«

»Das ist super!« Hannah vollzog eine Kehrtwende. Sie hatte halb gehofft, die Filmfirma würde das Leben in Lake Eden nicht durcheinanderbringen, doch nun war sie ganz dafür. Michelle würde die Erfahrung genießen, und es würde wunderbar sein, sie wieder zu Hause zu haben. »Möchtest du in meinem Gästezimmer übernachten?«

»Das wäre toll, weißt du, doch ich schlafe besser bei Mutter, besonders nach dem Ärger mit Winthrop. Sie wird bestimmt einsam sein. Und da wir gerade von ihr sprechen, der Produzent hat mir versprochen, dass ich sie und Carrie beauftragen darf, Requisiten zu beschaffen. Und als ich ihm geschildert habe, wie sie ihren Antiquitätenladen eingerichtet haben, sodass es darin aussieht wie im Haus des ersten Bürgermeisters, da sagte er, er würde seinen Bühnenbildner hinschicken, damit er es sich ansieht, und vielleicht werden sie das Haus als Set benutzen.«

»Zu schade, dass der Film nicht im England der Regency-Zeit spielt«, meinte Hannah. Carrie und Delores gehörten zu den Gründern des Lake Edener Regency Romance Club, und der Produzent würde so schnell niemanden finden, der sich mit jener Zeit besser auskannte als die beiden.

»Ich weiß, aber diese ist fast genauso gut. Der Teil des Films, der in Lake Eden gedreht wird, spielt in den späten Fünfzigerjahren. Das sollte für Mutter und Carrie ein Kinderspiel sein, da sie die Zeit beide selbst erlebt haben.«

Hannah kicherte. »Ja, aber das werden sie nicht zugeben.«

Ein paar Minuten lang plauderten sie noch darüber, dass die ersten Mitarbeiter in der nächsten Woche anrücken würden und die restliche Crew und die Schauspieler in der Woche danach, dann verabschiedete sich Hannah und legte auf. Kaum hing der Hörer in der Gabel, klingelte es erneut. Da sie keine Lust mehr hatte, mit irgendwem zu reden, gab es nur eins.

»Sie haben das Cookie Jar erreicht«, sagte sie möglichst tonlos. »Wir können Ihren Anruf im Moment leider nicht entgegennehmen, aber wenn Sie Ihren Namen und die Rufnummer nennen, rufen wir so bald wie möglich …«

Es klickte. Der Anrufer hatte aufgelegt.

Sie war im Begriff, das Gleiche zu tun, hielt jedoch inne. Es war Zeit, von Lisa zu lernen. Sie zog das Spiralkabel auseinander, öffnete die Schublade und versenkte den Hörer wieder unter den Geschirrtüchern. Endlich unbehelligt, eilte sie durch die Schwingtür ins Café.

Ihre erste Aufgabe war es, den Kaffee aufzusetzen, und ohne viele Umstände befüllte sie die Dreißig-Tassen-Maschine und schaltete sie ein. Sie stellte Sahne, Zucker und Süßstoff auf die Tische und schrieb die Tagesangebote auf die Tafel hinter der Theke. Sie hatte gerade die Backstube betreten, um die Glasdosen mit frischen Plätzchen zu bestücken, als Lisa zurückkam.

»Ich helfe dir.« Sie zog den Mantel aus und ging sich die Hände waschen. »In der Schule wollten alle wissen, warum du keinen von beiden nimmst.«

Hannah schüttelte den Kopf. Es war noch nicht mal acht Uhr, und die Lake Edener Klatsch-Hotline lief schon heiß. »Was hast du geantwortet?«

»Ich hätte dich nicht darauf angesprochen, weil mich das nichts anginge.«

Hannah betrachtete sie anerkennend. »Diese Ehe tut dir gut. Herb hat dich mit seinem Durchsetzungsvermögen angesteckt.«

»Und nicht nur damit.«

»Womit noch?«, fragte Hannah und bereute es sofort, da ihr ein paar üble Möglichkeiten durch den Kopf schossen.

»Mit seiner Vorliebe für Urgroßmutter Beesemans Rezepte. Die lagen in Kartons auf Marges Dachboden, und sie hat sie mir geschenkt. Sie konnte sie nicht lesen, weil sie auf Deutsch sind.«

»Du kannst Deutsch?«

»Nein, aber Herb hat im Internet einen Übersetzungsdienst gefunden, und eine Frau aus Deutschland hilft mir.« Sie nahm einen Keks aus dem Kühlgestell und reichte ihn Hannah. »Probier den mal. Sie heißen Kokosnuss-Schokoladen-Kekse.«

»Coconut Chocolate Cookies?« Damit war ihr Schatz an deutschen Wörtern, die sie im Laufe der Jahre aufgeschnappt hatte, schon fast erschöpft.

»Genau! Kannst du etwa Deutsch?«

»Außer ›Volkswagen‹ und ›Sauerkraut‹ verstehe ich nichts. Habe die Bedeutung nur aus dem verwandten Klang geschlossen.« Hannah biss ab und lächelte anerkennend. »Die sind gut.«

»Ich weiß. Möchtest du sie ins Sortiment aufnehmen?«

»Auf jeden Fall«, antwortete Hannah. »Aber wir sollten uns einen anderen Namen ausdenken. Den deutschen werden sich die Kunden schlecht merken können, und die englische Übersetzung ist nicht prägnant genug.«

»Wie wär’s mit Cocolattas?«, schlug Lisa vor.

»Gefällt mir. Das klingt nach Kokosnuss und Schokolade, und daraus sind sie gemacht. Schreib es an die Tafel. Wir machen heute einen Testlauf.«

Lisa nickte und nahm sich den Notizblock, der immer bereitlag, damit sie zur Neige gehende Zutaten aufschreiben konnten. »Ich setze schon mal Kokosflocken auf die Liste. Die sind fast alle.«

»Gute Idee. Und wenn du schon mal dabei bist, schreib Fruchtgummis und Schokonüsse dazu.«

»Gehen wir ins Kino?«, witzelte Lisa und blickte grinsend auf.

»Nein, das Kino kommt zu uns. Sobald wir die Gläser gefüllt und nach drüben getragen haben, machen wir eine Kaffeepause, und ich erzähle dir alles.«

Cocolattas

Den Ofen auf 175 Grad vorheizen, das Blech in der Mitte einschieben.

240 g zerlassene Butter

150 g weißer Zucker

150 g brauner Zucker

1 TL Backnatron

2 TL Kokosextrakt***

½ TL Salz

2 geschlagene Eier

80 g Kokosraspeln

270 g Mehl

175 g Schokotropfen

*** Der ist nicht unbedingt nötig, aber die Plätzchen schmecken damit besser. Wenn Sie keinen bekommen oder draußen ein Schneesturm tobt und Sie nicht einkaufen fahren können, nehmen Sie Vanilleextrakt.

Die zerlassene Butter mit dem Zucker verrühren. Backnatron, Kokosextrakt und Salz, dann die geschlagenen Eier zugeben und gründlich verrühren.

Nach und nach die Kokosflocken, die Hälfte des Mehls, dann die Schokotropfen unterrühren und zuletzt das übrige Mehl einarbeiten.

Den Teig 10 Minuten in der Schüssel ruhen lassen. Jeweils einen Teelöffel Teig auf ein ungefettetes Backblech setzen, 12 Portionen pro Blech. Sollte der Teig zu klebrig sein, stellen Sie ihn für eine Weile kalt, und versuchen Sie es dann noch mal.

Bei 175 Grad 9 bis 11 Minuten backen, bis die Plätzchen am Rand goldbraun sind.

Für 3 Minuten abkühlen lassen, vom Blech nehmen und auf ein Kühlgitter legen.

Notiz von Lisa: Das Rezept verlangt gehackte Schokolade, aber ich habe Schokotropfen verwendet. Hannah sagt, wenn es die damals schon gegeben hätte, hätte Herbs Urgroßmutter sie wahrscheinlich auch genommen.

Notiz von Hannah: Das sind Herbs neue Lieblingskekse. Er sagt, sie schmecken wie Kokosschokoriegel. Die Ananasschnitten, die ich für ihn erfunden habe, sind bei Plätzchen dieser Art noch immer sein Favorit.

3

Hannah trank gerade ihren letzten Schluck Kaffee, als das Telefon klingelte. Sie hatten den Hörer wieder in die Gabel gehängt, und Lisa hatte versprochen ranzugehen. Es verging keine Minute, da kam ihre Partnerin zurück und grinste von einem Ohr zum andern.

»Das war der Bürgermeister«, verkündete sie. »Er wird gleich bei uns reinschneien. Er hat wohl aufrüttelnde Neuigkeiten, die Lake Eden aus dem Schlaf reißen werden. Glaubst du, es geht um den Film?«

»Lake Eden ist kein Erdbebengebiet. Also ja.«

Lisa stöhnte. »Schade, dass mir das in dem Moment nicht eingefallen ist. Natürlich hätte ich das nicht zu ihm gesagt. Immerhin ist er praktisch Herbs Boss und hätte das vielleicht in den falschen Hals bekommen. Am besten lege ich ein paar seiner Lieblingskekse für ihn heraus. Erdnussbutter-Marmeladen-Plätzchen.«

Fünf Minuten später klopfte es an der Hintertür, und Bürgermeister Bascomb kam herein. Er trat sich die Stiefel auf der Matte ab und schnupperte genießerisch. »Rieche ich da Erdnussbutter?«

»Hier drüben, Mr Bascomb.« Lisa zeigte auf den Teller mit Plätzchen, der auf der Backinsel stand, und der Bürgermeister zog sich einen Hocker heran.

»Für mich heute keinen Zucker«, sagte er, als Hannah ihm einen Kaffee brachte. »Steffie meint, ich habe ein bisschen zugelegt, und ich versuche, mich einzuschränken.«

Hannah schwieg, als er nach einem Plätzchen griff. Nach zwei Bissen war es verschwunden, und sie sah ein zweites und drittes denselben Weg nehmen. Wenn das Einschränken hieß, könnte sie sich auch damit anfreunden!

»Also, was für aufrüttelnde Neuigkeiten haben Sie?« Hannah versuchte, angemessen gespannt zu klingen, und der Bürgermeister erzählte, was sie bereits wussten.

»Ein gewisser Barton hat mich vorhin angerufen. Er leitet eine Filmfirma in Minneapolis. Sie wollen einige Filmszenen auf der Main Street drehen.«

»Das ist wunderbar!« Hannah tat überrascht, damit Bascomb keinen Verdacht schöpfte. »Aber beeinträchtigt das nicht die Geschäfte?«

»Durchaus, und die Firma ist bereit, das finanziell auszugleichen. Ich möchte, dass alle Geschäftsinhaber die Umsätze ermitteln, die gewöhnlich in der zweiten Märzwoche anfallen. Denn da werden die Filmleute hier sein. Ich musste ganz schön aufschneiden, aber sie werden uns für die Woche den Bruttoumsatz derselben Woche des Vorjahres zahlen, plus zehn Prozent für die Unannehmlichkeiten.«

»Sie verhandeln hart, Herr Bürgermeister.« Hannah verkniff sich ein Grinsen, als er dieselben Zahlen nannte wie Michelle.

»Nun, ich sollte jetzt wieder gehen.« Er stand auf und schob den Hocker an seinen Platz zurück. »Ich muss noch mit allen anderen Geschäftsleuten sprechen und ihnen die gute Neuigkeit erzählen.«

Lisa beeilte sich, ihm die übrigen Erdnussbutterplätzchen einzupacken, während Hannah ihn zur Hintertür begleitete. Hinterher sammelte sie die benutzten Tassen ein und stellte sie in die Spülmaschine, Lisa wischte die Backinsel ab.

»Er muss etwas vergessen haben«, sagte Hannah, als es an der Tür klopfte. »Ich kümmere mich darum.«

Sie zog die Tür auf. Vor ihr stand ihre Nichte Tracey mit der leeren Babytrage in der Hand und hinter ihr ihre Mutter. Andrea jonglierte Bethany auf dem Arm und sprach dabei in ihr Handy.

»Ich habe gesagt, dass ich das verstehe.« Andrea war sichtlich aufgeregt, und ihre Stimme drohte zu versagen. »Aber das heißt nicht, dass ich einverstanden bin!« Mit einem perfekt manikürten Fingernagel beendete sie die Verbindung und trat in die warme Backstube. Sie gab einen langen Seufzer von sich, den Hannah als theatralisch empfunden hätte, wäre nicht das Schwanken der Stimme gewesen.

»Nimm du sie.« Andrea reichte das Baby an sie weiter wie einen Football. »Kaffee! Ich brauche einen Kaffee!«

»Ich hole ihn.« Lisa ging zu der Kaffeemaschine in der Backstube.

»Sie ist gestresst«, erklärte Tracey und stellte die Babytrage auf die Backinsel. Mit ihrem himmelblauen Wintermantel, den weißen Stiefelchen und der weißen Pudelmütze hätte sie für das Coverfoto einer Zeitschrift für Kindermode posieren können. Man konnte sie äußerst niedlich finden, wenn man von den zusammengezogenen Brauen absah. »Leg Beth einfach in die Trage, Tante Hannah. Ich wiege sie, falls sie aufwacht.«

Hannah legte das Baby ohne Zwischenfall ab. Ihre hübsche neue Nichte schlief so fest, dass nicht einmal der verzweifelte Ruf ihrer Mutter nach Kaffee sie geweckt hatte.

Tracey setzte sich auf einen Hocker und schob die Tasse Kaffee, die Lisa brachte, zu ihrer Mutter hin. »Trink einen Schluck, und iss welche von den Plätzchen. Die sind mit Schokolade. Die Endorphine werden dir guttun. Stimmt’s, Tante Hannah?«

»Absolut.« Normalerweise hätte es sie amüsiert, wie ihre Nichte ihre bevorzugte kulinarische Medizin anpries und wie erwachsen sie sich ausdrückte, doch die Situation schien ernst zu sein.

»Tu es, Mom.« Tracey stupste ihre Mutter an. »Und dann erzähl es Tante Hannah.«

»Was sollst du mir erzählen?«, fragte Hannah, aber erst nachdem Andrea von Lisas Urgroßmutterkreation abgebissen und einen großen Schluck Kaffee getrunken hatte.

»Bill verlässt uns!«

»Was?«

»Welchen Teil von ›verlässt uns‹ hast du nicht verstanden?«, erwiderte Andrea und brach in Tränen aus. Offenbar nicht zum ersten Mal an diesem Morgen, denn ihre Lider waren geschwollen, und das Taschentuch, das sie hervorzog, war feucht und zusammengeknüllt.

Hannah wandte sich Tracey zu, die mit fast sechs Jahren die vernünftigste Person ihrer kleinen Familie zu sein schien. »Was ist los, Schatz?«

»Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört.« Tracey nahm sich einen Keks vom Teller und biss schnell hinein. »Daddy fliegt nach Miami zu einer Tagung, und Mommy ist traurig, weil sie nicht mitkann. Sie lassen sich nicht scheiden oder so was.«

»Na, da bin ich aber froh!« Lisa, die gerade Servietten verteilte und eine Schachtel Papiertaschentücher vor Andrea hinstellte, legte einen Arm um Tracey. »Was für eine Tagung ist es?«