Der Schoko-Muffin-Mord - Joanne Fluke - E-Book

Der Schoko-Muffin-Mord E-Book

Joanne Fluke

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Beschreibung

Die Wahl des neuen Sheriffs steht bevor, und es herrscht große Aufregung im idyllischen Lake Eden. Feinbäckerin Hannah Swensen hat in ihrem gemütlichen Café Cookie Jar alle Hände voll zu tun mit Vorbereitungen für die Wahlparty. Zum ersten Mal will ihr Schwager Bill den Amtsinhaber, Sheriff Grant, herausfordern, der mit zweifelhaften Methoden schon länger für Unmut im Ort sorgt. Doch dann wird die Leiche Grants in einem Müllcontainer gefunden, und als Hauptverdächtiger gilt - Bill. Völlig absurd, ist Hannah sich sicher und hat auch schon ein Rezept im Sinn, das den Mörder garantiert zu Fall bringen wird ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung12Boggles3456Schokoladen-Kirsch-Plätzchen7Cashew Crisps89Hannahs Bananas10111213Überraschungsplätzchen14151617181920Andreas Pecannuss-Lieblinge2122Maisplätzchen2324Hole-in-one25262728Schoko-MuffinsSchokoladenguss293031ApfelgartenstückeVerzeichnis der RezepteDanksagung

Über dieses Buch

Die Wahl des neuen Sheriffs steht bevor, und es herrscht große Aufregung im idyllischen Lake Eden. Feinbäckerin Hannah Swensen hat in ihrem gemütlichen Café Cookie Jar alle Hände voll zu tun mit Vorbereitungen für die Wahlparty. Zum ersten Mal will ihr Schwager Bill den Amtsinhaber, Sheriff Grant, herausfordern, der mit zweifelhaften Methoden schon länger für Unmut im Ort sorgt. Doch dann wird die Leiche Grants in einem Müllcontainer gefunden, und als Hauptverdächtiger gilt – Bill. Völlig absurd, ist Hannah sich sicher und hat auch schon ein Rezept im Sinn, das den Mörder garantiert zu Fall bringen wird …

Über die Autorin

Joanne Fluke ist das Pseudonym einer amerikanischen Bestsellerautorin. Sie wuchs im ländlichen Minnesota auf, studierte Psychologie an der California State University, San Bernardino, und entdeckte früh ihre Passion für die Kunst des Backens und die Welt der Cozy Mysteries und schließlich auch ihr Talent fürs Schreiben. Ihre Cozy-Crime-Serie um die Bäckerin Hannah Swensen ist auf dem englischsprachigen Markt längst Kult, umfasst mittlerweile über 20 Bände, die in 13 Sprachen übersetzt wurden, regelmäßig auf den ersten Plätzen der New York Times Bestsellerliste zu finden sind und eine Gesamtauflage von 5,5 Millionen Exemplaren erreichten. Außerdem wurden fünf ihrer Romane für das Fernsehen verfilmt und unter anderem auf Deutsch synchronisiert. Die Leser:innen lieben die Romane der Queen of Culinary Mystery wegen ihrer lebensechten Figuren und der Wohlfühlatmosphäre rund um Hannah Swensens Café in der fiktiven Kleinstadt Lake Eden. Joanne Fluke lebt mit ihrer Familie in Südkalifornien.

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Angela Koonen

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2004 by Joanne Fluke

Titel der englischen Originalausgabe: »Fudge Cupcake Murder«

Originalverlag: Kensington Publishing Corp., New York

Published by Arrangement with

Kensington Publishing Corp., New York, NY 10018 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Titelillustration: © Ekaterina Maltseva/Shutterstock, Mr Doomits/Shutterstock, Anna.zabella/Shutterstock, NDanko/Shutterstock, JulieStar/Shutterstock, Hunter Leader/Shutterstock, RossHelen/Shutterstock, Sabrina Janelle Gordon/Shutterstock, canadastock/Shutterstock

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-4213-9

luebbe.de

lesejury.de

Für Walter

1

Hannah Swensen ging zur Vorderseite der länglichen Plastikkiste und wappnete sich. Obwohl ihr diese Spezialausbildung fehlte, kam sie sich vor wie jemand vom Bombenräumkommando, der sich bereit machte, eine Bombe zu entschärfen. Sie holte tief Luft, öffnete den Riegel und wich hastig in hoffentlich sichere Entfernung zurück.

»Gütiger Himmel!«, keuchte sie, als Moishe aus der tierärztlich gebilligten, extrasicheren Katzentransportbox schoss und in die Küche sauste. Ihr war völlig neu, dass sich ihr Mitbewohner derart schnell fortbewegen konnte. Er glich einem orange-weißen Fleck mit vielen Beinen, die sich mit Warp-Geschwindigkeit bewegten.

Sie hob die Transportbox an und verstaute sie im Schrank in der Waschküche. Bei dem einen Mal, als sie vergessen hatte, sie wegzuräumen, hatte Moishe mit den Krallen tiefe Rillen in den Kunststoff gezogen, sodass sie jetzt aussah, als hätte ein Miniaturpflug darauf sein Werk verrichtet. Wenigstens hatte die Plastikbox bisher besser gehalten als die aus Pappe, mit der sie Moishe zu seinem ersten Tierarztbesuch transportiert hatte. Noch bevor sie dort angekommen waren, hatte er die Pappe zerfetzt und war empört miauend im Fond ihres Wagens umhergelaufen.

Vor der Küchentür hielt Hannah inne und hörte erleichtert die lauten Knuspergeräusche. Der Besuch beim Tierarzt an diesem Morgen war traumatisch gewesen, für sie beide, und Moishe versuchte gerade, die Tortur durch Fressen zu verarbeiten. Wie gut, dass sie seinen Napf schon vor dem Verlassen der Wohnung aufgefüllt hatte.

Sie nahm den Sack Katzenseniorenfutter, das der Tierarzt ihr empfohlen hatte, und trug ihn in die Küche. Doktor Bob hatte sie gewarnt, dass manche Katzen Futter ablehnten, das sie nicht kannten, und hatte ihr ein Infoblatt mit erprobten Tipps gegeben, durch die man jede Katze in eifrige Seniorenfutterfresser verwandelte.

Moishe hob den Kopf von der Schale und blickte Hannah Unheil drohend an. So würde man allenfalls einen Verräter oder untreuen Ehepartner ansehen, und Hannah fühlte sich sofort schuldig.

»Okay, es tut mir leid. Ich weiß, du hasst es, zum Tierarzt zu gehen.« Sie gab sich Mühe, es ihrem Kater zu erklären, denn so unversöhnlich wie jetzt hatte er noch nie geguckt. »Deine Impfungen waren fällig. Ich möchte doch nur, dass du gesund bleibst.«

Moishe starrte sie noch zwei, drei Sekunden lang an und wandte sich wieder seiner Futterschale zu.

Hannah nutzte den vorübergehenden Waffenstillstand, um sich eine Tasse Kaffee aus ihrer Thermoskanne einzugießen, die sie ebenfalls vor Verlassen der Wohnung gefüllt hatte. »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie zu den Ohren, die über den Rand der Schale ragten. Moishes Gesicht war nicht zu sehen. »Ich muss mich umziehen. Du hast auf meinen neuen Pullover gehaart.«

Er ließ sich zu keiner Antwort herab, und Hannah ging ins Schlafzimmer. Ihr Mitbewohner haarte immer stark, wenn er unglücklich war. Das lag nicht an Doktor Bob. Moishe mochte ihn so sehr, wie das einem Kater möglich war, der von ihm gepikt und an peinlichen Stellen betastet wurde. Er hasste es nur, dorthin transportiert zu werden.

Nachdem Hannah sich etwas wenig Behaartes angezogen hatte, kehrte sie in die Küche zurück, wo Moishe neben einer leeren Futterschale saß. Da sie lieber heute als morgen die neue Kost ausprobierte, füllte sie den Napf damit und drückte sich die Daumen. Während Moishe das Seniorenfutter misstrauisch beschnupperte, schlüpfte sie in ihre alte Bomberjacke, die sie mal in Lake Edens Secondhandladen gekauft hatte, und ging zur Tür. Doch ehe sie nach ihrer altbewährten Umhängetasche greifen konnte, in der alles steckte, was sie am Tag benötigen könnte, und ein bisschen mehr, klingelte das Telefon.

»Mutter«, murmelte sie. In dem Ton sprach sie sonst nur gewisse Kraftausdrücke aus, die sie sich vor ihrer fünfjährigen Nichte Tracey verkneifen musste. Der Anrufer konnte niemand anders sein. Delores Swensen hatte das geniale Talent, immer in dem Moment anzurufen, in dem Hannah die Wohnung verlassen wollte. Obwohl sie sehr versucht war, sich vom Anrufbeantworter aus der Klemme helfen zu lassen, besann sie sich eines Besseren. Denn ihre Mutter würde erneut anrufen – und dann zu einem noch unpassenderen Zeitpunkt. Schwer seufzend ging sie zurück zu dem Wandtelefon am Küchentisch und nahm den Hörer ab.

»Hallo, Mutter.« Sie setzte sich auf einen Stuhl. Gespräche mit Delores waren selten kurz. Die Stimme, die sich auf ihre Begrüßung meldete, gehörte jedoch jemand anderem.

»Ich habe im Geschäft angerufen, aber Lisa sagte, du kommst heute später, weil du mit Moishe zum Tierarzt musstest.«

»Das stimmt.« Hannah stand auf, um sich den Rest Kaffee einzugießen. Der Anrufer war ihre Schwester Andrea, und Gespräche mit ihr waren auch nicht gerade kurz.

»Es ist doch nichts Schlimmes, oder?«, fragte Andrea.

»Nur mit meinen Ohren. Moishe hat während der ganzen Fahrt miaut, auf dem Hinweg wie auf dem Rückweg. Er ist gesund, Andrea. Er brauchte nur seine Impfungen und die jährliche Kontrolluntersuchung.«

»Das freut mich. Ich weiß, wie sehr du an ihm hängst. Hast du eins von Bills Plakaten in die Praxis mitgenommen?«

»Ja. Sue hat es gerade an die Fensterscheibe geklebt, als ich hinausging.«

»Oh, gut. Jedes Plakat hilft. Hast du schon die Zeitung gelesen?«

Hannah blickte zu ihrer Handtasche. Das Lake Eden Journal steckte noch in seiner Plastikhülle im Außenfach. »Die nehme ich mit zur Arbeit. Ich dachte, ich lese sie in der Mittagspause.«

»Wirf jetzt einen Blick hinein. Auf Seite drei.«

»Meinetwegen.« Hannah schickte sich an, das zu tun. Die Seite drei war der redaktionelle Teil, und dort entdeckte sie nichts, was die freudige Erregung ihrer Schwester erklären könnte.

»Siehst du es?«, fragte Andrea mit einem Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Unterton.

»Nein.«

»Es ist die Wahlumfrage!«

Hannah beugte sich über die Seite, um zu lesen, was in dem kleinen Kasten stand, den Rod Metcalf seit einem Monat abdruckte. Dann jubelte sie. »Bill liegt gleichauf mit Sheriff Grant!«

»Genau! Ich hatte ihm gesagt, wir schaffen das! Natürlich sind es noch zwei Wochen bis zur Wahl, da kann alles Mögliche passieren, aber wäre es nicht wunderbar, wenn Bill tatsächlich gewinnt?«

»Auf jeden Fall! Eine tolle Leistung, wie du seine Kampagne führst, Andrea.«

»Danke. Ich habe noch andere Neuigkeiten.«

»Nämlich?«

»Doc Knight hat meinen Geburtstermin auf die dritte Novemberwoche vorverlegt.«

Hannah runzelte die Stirn. »Kann er das so einfach machen?«

»Sicher. Da ist sowieso alles nur geschätzt. Jeder denkt, er kann es genau bestimmen, aber das kann keiner. Bills Mutter ist sich sicher, dass das Baby in der Wahlnacht kommt, doch ich denke, sie will nur bei Bills Siegesparty meinen Platz einnehmen. Unsere Mutter tippt auf Anfang Dezember. Sie meint, mein Bauch ist kleiner als bei Tracey um diese Zeit, und es wird noch eine Weile dauern. Und Bill hat auch eine Meinung dazu. Wenn man ihm glauben will, werde ich das Baby früher bekommen, noch vor Halloween.«

»Und was denkst du?«

»An Thanksgiving, gerade wenn wir das Dessert auftragen.«

»Wie kannst du das so genau sagen?«, fragte Hannah. »Haben werdende Mütter einen sechsten Sinn dafür?«

»Nein, es ist nur so, dass dein Pecannuss-Pie mein liebster Thanksgiving-Gang ist, und ich freue mich so sehr darauf, dass ich jetzt schon weiß, ich werde ihn verpassen.«

»Wirst du nicht. Wenn du ins Krankenhaus musst, backe ich einen frischen und bringe ihn dir.«

»Das ist lieb von dir! Danke, Hannah. Jetzt laufe ich besser los … oder vielleicht sollte ich ›watscheln‹ sagen. Mein Gleichgewichtssinn ist heute ausgefallen. Ich melde mich später bei dir.«

»Bis dann!«, sagte Hannah und legte auf. Sie füllte Moishes Trinknapf auf und versicherte ihm, was für ein braver Junge er sei. Und da er sein Seniorenfutter problemlos fraß, zerknüllte sie das Hinweisblatt von Doktor Bob und warf es in den Papierkorb. Dann zog sie sich Handschuhe an und ging zur Wohnungstür.

Draußen empfing sie eine eisige Kälte, und sie stieg frierend die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Es war erst Mitte Oktober, aber anscheinend schon Zeit, den Winterparka hervorzuholen. In der Tiefgarage angelangt, hielt sie direkt auf ihren roten Chevy Suburban zu, den die Kinder in Lake Eden den »Plätzchenwagen« nannten. Sie setzte sich hinters Lenkrad, startete den Motor und fuhr die Rampe hoch.

An der Ausfahrt des Wohnkomplexes bog sie nach links auf die Old Lake Road ein und nahm die landschaftlich schöne Strecke zur Stadt. Die kurvenreiche Straße führte am See namens Eden Lake entlang, und obwohl einige Kilometer länger als das entsprechende Stück der Interstate, zog Hannah diese Route vor. An Familienfarmen und herbstlich bunten Ahornhainen vorbeizufahren hatte etwas Beruhigendes, und sie roch lieber das kalte Seewasser und die Kiefern als die Abgase der Autos auf der Fernstraße, die vor ihr herfuhren.

Als sie an der Kreuzung Old Lake Road und Dairy Avenue an der Ampel stand, bemerkte sie einen bestens geeigneten Telefonmast. Da niemand hinter ihr war, fuhr sie an den Bordstein und holte eins von Bills Plakaten aus dem Fond. Einen Moment später hatte sie es an dem Mast befestigt und grinste, als sie zurücktrat und das überlebensgroße Gesicht ihres Schwagers sie anlächelte. Wählt Bill Todd zum Sheriff, stand groß darunter. Sie hatte Andrea versprochen, jeden Tag wenigstens sechs Wahlplakate aufzuhängen.

Kurz darauf bog sie in ihre Gasse ein und parkte hinter dem kleinen weißen Haus, in dem sich ihr Bäckereicafé Cookie Jar befand. In der Backstube angekommen, wusch sie sich als Erstes die Hände und ging durch die Schwingtür nach vorn, um ihre junge Partnerin Lisa Herman abzulösen. Die saß auf einem hohen Hocker hinter der Ladentheke, belagert von einer Schar morgendlicher Plätzchenkäufer.

»Da ist sie!«, rief Lisa aus, sichtlich erleichtert über Hannahs Ankunft. »Sie können sie selbst fragen.«

Die Kunden wandten sich Hannah zu, und Bertie Straub stand ganz vorn als Wortführerin. Sie trug noch ihre purpurrote Schürze aus ihrem Friseursalon Cut’n Curl, und ihr mürrischer Blick bildete einen starken Kontrast zu dem goldfarbenen, glücklich lächelnden Gesicht auf dem Schürzenlatz.

»Das wurde aber auch Zeit!« Bertie schaute demonstrativ auf ihre Uhr. »Wir haben gesehen, dass Bill bei den Umfragen führt. Meinen Sie, dass er gewinnt?«

»Natürlich wird er gewinnen!«, hörte Hannah jemanden antworten. Die Stimme ihrer Mutter. Hannah drehte sich zur Tür um und erblickte Delores, die dort in einem schicken königsblauen Hosenanzug stand, am Revers einen Bill-Todd-Button. »Und wenn Sie ihn nicht wählen, Bertie Straub, bekommen Sie es mit mir zu tun!«

Bertie schluckte hörbar. »Ich habe durchaus vor, ihn zu wählen.«

»Das hoffe ich doch!« Delores kam zu Hannah und nahm sie beim Arm. »Komm mit in die Backstube. Ich muss dich sprechen, Liebes.«

Augenblicke später saß ihre Mutter am Backtisch und war mit einer Tasse Kaffee und zwei Erdnussbutterplätzchen versorgt. Hannah setzte sich neben sie und wartete geduldig, während Delores mit eleganten Bissen einen Keks verspeiste.

»Köstlich!«, lobte sie und wischte sich die Hände an einer Serviette ab. »Hast du von Norman gehört?«

»Noch nicht.« Hannah hoffte, dass ihr nicht wieder eine Strafpredigt bevorstand, nur weil sie sich sträubte, sich für einen Mann zu entscheiden. Sie mochte Norman Rhodes und traf sich mit ihm, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Doch in den Augen ihrer Mutter war eine Frau, die nicht binnen zwei Jahren nach Erreichen der Volljährigkeit vor den Traualtar trat, ein hoffnungsloser Fall. Seit Delores und Carrie, Normans Mutter, zusammen das Antiquitätengeschäft führten, winkten sie gemeinschaftlich mit dem Zaunpfahl.

»Carrie sagt, er hat mit der Tagung alle Hände voll zu tun«, fuhr Delores fort. »Er leitet ein Diskussionsforum zu kosmetischer Zahnmedizin, weißt du? Das ist für einen Zahnarzt seines Alters ein ziemlicher Erfolg.«

»Ich weiß, Mutter. Norman hat mir alles erzählt, bevor er nach Seattle geflogen ist.«

»Vielleicht nicht alle Details.« Delores schaute ein wenig selbstgefällig. »Hat er erwähnt, dass Beverly seinem Diskussionsforum angehört?«

»Welche Beverly?«, fragte Hannah, obwohl das eigentlich unnötig war, da Delores schon darauf brannte, sie aufzuklären.

»Frau Doktor Beverly Thorndike. Sie ist ebenfalls Zahnärztin.«

»Oh.« Hannah hielt eine einsilbige Antwort für das Klügste, da sie keine Ahnung hatte, wer Frau Doktor Thorndike war.

»Carrie hat mir erzählt, dass die beiden früher mal heiraten wollten, Beverly aber schließlich meinte, sie sei für solch eine Verpflichtung noch zu jung. Wenigstens hat sie den Ring zurückgegeben. Doch das dürfte dir alles bekannt sein, und darum werde ich nicht weiter darauf eingehen.«

Hannah nickte, obwohl sie von Normans gescheiterter Verlobung mit der Zahnärztin nichts wusste.

»Ich bin aus einem anderen Grund hier.« Delores griff in ihre Handtasche und holte eine Rezeptkarte hervor. »Ich bedaure, dass ich es dir so spät gebe, aber das ist mein Rezept für den Hawaiianischen Schmorbraten.«

Hannah unterdrückte mühsam einen Seufzer, als sie die handgeschriebene Karteikarte entgegennahm. Das war das Lieblingsrezept ihrer Mutter, und Hannah hatte für ihr Leben genug davon.

»Ich war in Eile, als ich es abgeschrieben habe. Aber du kannst es lesen, nicht wahr?«

Hannah schaute auf die Schrift und nickte.

»Es klappt doch noch, dass es in das Lake Edener Kochbuch aufgenommen wird, oder, Liebes?«

Hannah schwankte. Zu sagen, dass die Abgabefrist überschritten war, wäre eine bequeme Ausrede und theoretisch sogar wahr, denn das Datum, das sie den anderen Beitragenden genannt hatte, war in der Tat schon vorüber. Doch wenn sie es deswegen abwies, würde Delores ihr das ewig vorhalten. Um den Familienfrieden zu wahren, musste sie das Rezept aufnehmen.

»Es ist noch nicht zu spät.« Hannah erntete dafür ein Lächeln.

»Danke, Liebes. Ich weiß, ich hätte es früher abgeben sollen, aber ich hatte in letzter Zeit sehr viel Arbeit mit Bills Wahlkampagne und im Geschäft. Und nun sollte ich mich schleunigst nach drüben begeben. Wir erwarten eine Lieferung Chippewa-Kunst, und Jon Walker hat versprochen, vorbeizukommen und zu prüfen, ob die Stücke echt sind.«

Delores winkte zum Abschied und eilte zur Hintertür hinaus. Ihr Antiquitätengeschäft befand sich im übernächsten Gebäude, sodass sie nur über den Parkplatz zu laufen brauchte. Hannah wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war, dann sah sie sich das Rezept näher an. »Achthundert Gramm Zucker?«

In dem Moment kam Lisa in die Backstube und hörte Hannahs Frage. »Ist das Rose’ Kokoskuchenrezept?«

»Nein, das Rezept meiner Mutter für Hawaiianischen Schmorbraten.«

»Und der ist so süß?«

»So süß, dass einem die Zähne wehtun. Sie hat es für mich aufgeschrieben, damit ich es in das Kochbuch aufnehme. Meinst du, ich könnte …«

»Nein«, unterbrach Lisa kopfschüttelnd. »Sie würde dir nie verzeihen, wenn du es weglässt.«

»Du hast recht. Ich werde den Zucker reduzieren. Doch viel mehr darf ich nicht ändern. Wenn sie ihr Rezept nicht wiedererkennt, stehe ich für immer auf ihrer Abschussliste.«

2

Die letzten Kunden waren gegangen, die Ladentür des Cookie Jar abgeschlossen, und Hannah und Lisa stellten in der Backstube die Teige für den nächsten Tag her. Lisa riss ein Stück Frischhaltefolie ab, um die fertigen Schokoladen-Kirsch-Plätzchen abzudecken, und sah zur Uhr. »Hannah?«

»Hm?« Hannah holte sich die geschmolzene Schokolade für ihre Schwarz-Weiß-Kekse und goss sie in die Backschüssel.

»Es wird allmählich spät, und du musst heute Abend zur Schule. Willst du nicht lieber schon nach Hause fahren?«

Hannah sah lächelnd zu ihrer zierlichen Partnerin. »Du bist noch ein Teenager und möchtest mich bemuttern?«

»Ich will dich nicht bemuttern. Und ein Teenager bin ich auch nicht mehr lange. Nächsten Monat werde ich zwanzig.« Lisa richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, die sich auf eins siebenundfünfzig belief, aber die braune Locke, die ihr aus dem amtlich vorgeschriebenen Haarnetz in die Stirn gefallen war, hintertrieb die Wirkung ihrer strengen Miene.

Hannah rührte noch einmal um und griff ebenfalls nach der Frischhaltefolie. »Vielleicht sollte ich jetzt wirklich Feierabend machen. Aber dann komme ich morgen früher und erledige das Backen, bevor du da bist.«

»Abgemacht!« Lisa streckte ihr die Hand hin, und Hannah schlug ein. »Soll ich dir heute Abend bei deinem Kurs helfen? Herb hat bis neun Uhr Dienst, doch Marge meinte, ich kann sie jederzeit anrufen, dann leistet sie Dad Gesellschaft.«

»Ist nicht nötig, Lisa. Ich schaffe das.« Hannah wusste, dass ihre Kollegin gern, wenn irgend möglich, zu Hause bei ihrem Vater blieb. Jack Herman hatte Alzheimer. Lisa hatte ein College-Stipendium ausgeschlagen, um ihn betreuen zu können. Seit ihrer Verlobung mit Herb Beeseman, der in Lake Eden für die Verkehrssicherheit und Parkkontrolle zuständig war, hatte sie es leichter, denn Marge, seine verwitwete Mutter, war in ihrer Highschool-Zeit mit Lisas Vater zusammen gewesen und genoss es anscheinend, einen Abend mit Jack zu verbringen, damit »die Kinder« ausgehen konnten.

Hannah hatte gerade die Teige in den Kühlraum gestellt, als es an der Hintertür klopfte. Sie ging öffnen. Draußen stand Beatrice Koester frierend in der Kälte. »Hallo, Beatrice. Kommen Sie herein.«

»Hi, Hannah. Lisa.« Beatrice betrat lächelnd die warme Backstube. »Ich kann nur einen Augenblick bleiben. Ted wartet im Wagen auf mich.«

Hannah winkte Ted zu. Er erwiderte den Gruß, wirkte aber verärgert. Ihm gehörte der Schrottplatz, und vermutlich wollte er zurück an die Arbeit. Hannah schloss die Tür und wandte sich Beatrice zu. »Eigentlich haben wir geschlossen, aber wenn Sie Gebäck möchten, können wir Ihnen etwas von vorne holen.«

»Danke, nein, Hannah. Ich will Ihnen nur schnell ein Rezept geben. Ich weiß, ich bin damit spät dran, doch ich bin gerade die Sachen von Teds Mutter durchgegangen und auf dieses gestoßen.«

»Für das Lake Edener Kochbuch?«, fragte Lisa.

»Ja. Das Rezept für ihre Schoko-Muffins. Ted hat sie furchtbar gern gegessen, und sie waren wirklich gut. Ich habe Mutter Koester unzählige Male um das Rezept gebeten, aber sie hat es immer wieder vergessen.«

»Dann freut es mich, dass Sie es gefunden haben.« Hannah lächelte verständnisvoll. »Manche Leute sträuben sich, ihre Lieblingsrezepte zu verraten, und ich wette, Teds Mutter gehörte dazu.«

»Das dachte ich auch, doch Ted meint, ich irre mich, und sie hätte es wirklich jedes Mal vergessen, sooft sie uns besuchte. Natürlich hatte sie in seinen Augen keine Fehler.«

Hannah verkniff sich ein Schmunzeln. Sie hatte Teds Mutter nicht gekannt, aber es klang ganz danach, als hätte sie zu manchem Schwiegermutterwitz inspirieren können.

»Ist es zu spät, um das Rezept noch aufzunehmen? Nun, da Teds Mutter tot ist, meint er, ein Platz in dem Kochbuch wäre ein passendes Andenken an sie.«

Hannah nahm das Rezept an. Sie konnte Beatrice den Wunsch unmöglich abschlagen, wenn sie dabei so besorgt schaute. »Nein, durchaus nicht. Ich kümmere mich darum.«

»Oh, ich danke Ihnen, Hannah! Es könnte allerdings ein kleines Problem geben.«

»Mit dem Rezept?« Hannah schaute auf die handgeschriebene Karteikarte.

»Ja. Lesen Sie die Zutatenliste.«

Hannah las sie laut. »Ungesüßter Kakao, Zucker, Butter, Mehl, Milch und … oh, oh.«

»Was ist es?«, fragte Lisa.

»Da steht: eine halbe Tasse Geheimzutat.«

»Ich liebe solche Rezepte!« Lisa klatschte in die Hände. »Das ist immer etwas, was niemand errät. Was ist es diesmal?«

Hannah zuckte mit den Schultern, Beatrice ebenfalls. Lisa blickte von einer zur anderen und verstand. »Das steht da nicht?«

»Du hast es erfasst.« Hannah sah Beatrice an. »Haben Sie die Muffins mal gegessen?«

»Ja, und sie schmeckten wunderbar! Alma backte sie immer zu Teds Geburtstag. Ich durfte aber nie zusehen.«

»Wonach haben sie geschmeckt? Beschreiben Sie es uns.«

»Nun ja …« Beatrice holte tief Luft und schloss die Augen. »Sehr nach dunkler Schokolade, und sie waren schwer, ganz anders als die Muffins aus den Backmischungen. Sie waren nicht hoch aufgegangen, wie man sie in den Zeitschriften sieht, sondern eingesunken, doch das war gut, denn Alma häufte umso mehr Guss darauf. Sie sagte immer, die Muffins müssten dafür ein Grübchen haben.«

Hannah lachte, sie konnte nicht anders. Das war eine großartige Ausrede für einen nicht erwartungsgemäß aufgegangenen Teig, und die meisten Leute, sie eingeschlossen, störten sich nicht daran, solange der Guss lecker war. »Können Sie den Guss beschreiben?«

»Ja. Er war saftig-weich, ein bisschen zäh und zerging auf der Zunge. Ich dachte immer, wenn man ihn erhitzen würde, gäbe er eine wunderbare Sauce für Eiscreme ab.«

»Klingt gut. Denken Sie mal an die Muffins zurück. Hatten sie eine besondere Geschmacksnote?«

»Eigentlich nicht, aber …« Beatrice hielt stirnrunzelnd inne.

»Aber was?«, hakte Lisa nach.

»Sie schmeckten ein bisschen … deutsch.«

»Deutsch?« Hannah dachte an die verschiedenen Schokoladenkuchen, die sie schon gegessen hatte. »Wie der Deutsche Schokoladenkuchen?«

Beatrice schüttelte den Kopf. »Nein, so nicht.«

»War etwa Sauerkraut darin?«, fragte Lisa. »Meine Mutter backte einen Schokokuchen mit Sauerkraut.«

»Den backe ich auch manchmal. Nein, es war kein Sauerkraut.« Beatrice seufzte. »Die Muffins schmeckten süß und zugleich herb, wie diese guten deutschen Torten. Sie wissen, welche ich meine. Sie sind sehr schwer, und selbst wenn man zum Platzen voll ist, möchte man immer weiteressen.«

»Kein Wunder, dass Sie das Rezept haben wollten!« Hannah lächelte, um Beatrice zu beruhigen. »Was meinst du, Lisa? Können wir Almas Geheimzutat herausfinden?«

»Wir können es versuchen. Sie scheinen anders zu sein als die Schoko-Muffins meiner Mutter, doch ich habe schon ein paar Ideen.«

»Wunderbar.« Hannah wandte sich Beatrice wieder zu. »Bestanden sie aus einem glatten Teig, oder enthielt er etwas Stückiges?«

»Nein, nichts Stückiges. Der Teig war glatt und schmeckte fast wie pure Schokolade.«

»Das hilft«, sagte Lisa nickend. »Das schließt die meisten festen Zutaten wie Nüsse, Kokosflocken oder gehackte Trockenfrüchte aus.«

»Stimmt, aber keine gemahlenen, pürierten oder verflüssigten Zutaten«, gab Hannah zu bedenken.

Beatrice schaute gequält. »Es tut mir leid, dass ich das Problem aufgebracht habe. Wenn Ted nicht so darauf versessen wäre, das Rezept in dem Kochbuch zu sehen, würde ich vorschlagen, wir vergessen es einfach.«

»Auf keinen Fall!«, sagten Hannah und Lisa wie aus einem Mund. Für einen Moment war es still, dann lachten sie alle schallend.

Danach kam Lisa auf das Problem zurück. »Wir werden das Rätsel lösen, Beatrice. Hannah und ich lieben es, einem Geheimnis auf den Grund zu gehen, und dieses hat wenigstens nichts mit einer Leiche zu tun.«

»Nur mit meiner toten Schwiegermutter«, scherzte Beatrice. Und dann war sie selbst bestürzt über ihren schwarzen Humor. »Ich bin froh, dass Ted mich nicht gehört hat!«

Hannah bürstete sich noch einmal die Haare und betrachtete sich im Spiegel. In dem dunkelblauen Hosenanzug und der weißen Bluse wirkte sie sehr lehrerinnenhaft. Oberhalb des Kragens allerdings nicht. Die Luft war heute sehr feucht und hatte ihre Locken in einen widerspenstigen Wust verwandelt. Sie strich sie sich aus dem Gesicht und sicherte sie mit der silbernen Spange, die Michelle, ihre jüngste Schwester, einer künstlerisch begabten Freundin am Macalester College abgekauft hatte. Dann schaltete sie das Licht aus und verließ ihr Schlafzimmer.

»Ich werde nicht lange weg sein«, versprach sie Moishe, der neben ihr den Flur entlanglief, und streichelte ihn kurz. »Ich gehe nur zur Schule, um zu sein, was ich sein sollte, bevor ich wurde, was ich jetzt bin.«

Moishe miaute und blickte zu ihr hoch. Vielleicht bildete sie sich das ein, aber er guckte verblüfft, und sie lachte laut. »Entschuldige. Das war verwirrend. Ich gebe an der Schule einen Kochkurs für Erwachsene, und danach gehe ich mit Mike essen. Keine Angst, ich werde dich vorher mit viel Futter versorgen.«

Sie kicherte noch über ihren verwirrenden Satz, als sie die Treppe hinuntereilte. Sie freute sich auf ihr Date mit dem begehrtesten Junggesellen der Stadt.

Mike Kingston war durch Sheriff Grant von der Polizei in Minneapolis abgeworben worden, damit er die Dienststelle in Winnetka County leitete, und war vor gut einem Jahr nach Lake Eden gezogen. Seit Mike Bills Partner war, favorisierten Andrea und Bill ihn als Schwager. Delores konnte Mike gut leiden, hatte sich aber mit Carrie verbündet, um Norman zu jener Position zu verhelfen. Michelle mochte beide Männer gleichermaßen. Hannah ebenfalls, und deshalb konnte sie sich zwischen Mike und Norman nicht entscheiden. Ihr Leben mit jemandem zu teilen, der nur zwei Beine hatte, mochte schön sein, doch sie wollte ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben.

Zwanzig Minuten später fuhr sie auf den Schulparkplatz. Er lag noch verlassen da, denn sie war früh dran. Sie parkte möglichst nah bei dem Klassenraum, in dem Hauswirtschaft unterrichtet wurde, nahm die Kiste mit den Zutaten aus dem Fond und ging zum Lieferanteneingang. Der Architekt der Jordan High hatte ihn eigens vorgesehen, damit die Schulküche leicht beliefert werden konnte. Pam Baxter, die Hauswirtschaftslehrerin, hatte Hannah den Schlüssel überlassen, als sie sich bereit erklärt hatte, den Abendkurs zu geben. Anstatt ihrer Klasse das Dekorieren von Torten beizubringen, wie Pam ursprünglich vorgeschlagen hatte, würden sie gemeinsam die Rezepte für das Lake Edener Kochbuch ausprobieren.

Hannah betrat das Gebäude und schaltete die Lampen ein. Im ersten Moment blinzelte sie wie eine Eule im Lichtstrahl eines Suchscheinwerfers. Die vielen Deckenlampen machten den Flur taghell. Als sich ihre Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, stellte sie die Kiste auf eine Arbeitsfläche.

Pam Baxters Küche war mit allen Grundnahrungsmitteln ausgestattet, aber Hannah hatte die speziellen Zutaten mitgebracht, die ihre Klasse an diesem Abend für die Rezepte brauchte. Dazu gehörte eine Packung gesüßte, getrocknete Cranberrys für ihre neu kreierten Plätzchen. Da Cranberrys im Moor wuchsen, wollte sie die Plätzchen »Boggles« nennen.

Fünf Minuten später war Hannah bereit für den Unterricht. Ihr Name stand an der Tafel für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand aus der Klasse sie nicht kannte. Die Rezepte, die sie an die fünf Gruppen verteilen würde, lagen bereit, und das Klemmbrett mit der Teilnehmerliste hatte sie auf das Lehrerpult gelegt. Jetzt fehlten nur noch die Schüler, und bis zum Unterrichtsbeginn war noch eine Stunde Zeit.

Sie setzte sich an das Pult, fühlte sich dort aber deplatziert. Vielleicht war es doch klug gewesen, eine andere berufliche Laufbahn einzuschlagen. Vor einem Backofen war sie viel zufriedener als hinter einem Pult. Hannah stand auf und ging zu einem der Arbeitsplätze. Sie würde die verbliebene Zeit nutzen und den Teig für Alma Koesters Schoko-Muffins anrühren, jedoch ohne die Geheimzutat. Beatrice würde dann vielleicht sagen können, was fehlte.

Boggles

Backofen auf 175 Grad vorheizen, das Blech später in der Mitte einschieben.

240 g Butter

400 g brauner Zucker

400 g weißer Zucker

1 TL Backpulver

1 TL Backnatron

1 TL Salz

4 geschlagene Eier

2 TL Vanilleextrakt

½ TL Zimt

¼ TL Muskat

480 g Mehl

600 g getrocknete Cranberrys***

225 g Haferflocken

*** Wenn Sie keine Cranberrys zur Hand haben, können sie durch andere gehackte Trockenfrüchte wie Datteln, Aprikosen oder Pfirsiche ersetzt werden.

Die Butter zerlassen, den Zucker zufügen und ein wenig abkühlen lassen. Die geschlagenen Eier, das Backpulver, Backnatron, Salz, Vanilleextrakt und das Mehl zugeben und nach und nach verrühren. Zuletzt die Früchte und die Haferflocken unterrühren. Der Teig wird relativ fest.

Setzen Sie 12-mal je einen Teelöffel voll Teig auf ein gefettetes Backblech.

12 bis 15 Minuten backen. Die Plätzchen 2 Minuten lang auf dem Blech abkühlen lassen, dann auf ein Kühlgitter legen.

Ausbeute: 10 bis 12 Dutzend

Boggles lassen sich gut einfrieren, wenn man sie in Folie wickelt und in einen Gefrierbeutel packt.

3

Hannah hatte gerade den Guss auf die Muffins verteilt, als sich auf dem Gang vor dem Klassenraum Schritte näherten. Vielleicht war es Mike, der auch frühzeitig zu seinem Kurs kam.

»Täuscht sich meine Nase, oder riecht es hier nach Schokolade?«

Hannah seufzte, als sie die Stimme erkannte. Dann setzte sie ein Lächeln auf und drehte sich zur Tür um. Sheriff Grant gehörte nicht zu ihren Lieblingsmenschen, war aber ein guter Kunde des Cookie Jar und außerdem Bills und Mikes Boss, weshalb es klüger wäre, freundlich zu ihm zu sein. »Ihre Nase liegt richtig. Ich probiere ein Rezept für das Lake Edener Kochbuch aus.«

»Es duftet ungemein gut.« Sheriff Grant trat an den Arbeitstisch und beugte sich fast im Fünfundvierzig-Grad-Winkel über die Muffins.

»Möchten Sie einen kosten?«, bot sie an. »Sie dürften schon genügend abgekühlt sein.«

»Sehr gern! Ich habe seit heute Mittag nichts mehr gegessen und muss hier warten, bis Kingston kommt. Muss ihm einen Packen Handzettel übergeben.«

Hannah packte vier Muffins in eine Tüte. Sie wusste, dass Mikes Selbstverteidigungskurs gleich nebenan stattfand. »Möchten Sie die Unterlagen bei mir lassen? Ich kann sie an ihn weitergeben.«

»Nein, nicht nötig. Ich werde auf dem Parkplatz warten und Kingston abfangen, wenn er kommt.« Sheriff Grant nahm die Tüte, die Hannah ihm lächelnd reichte. »Danke, Hannah. Das ist wirklich nett von Ihnen.«

»Vielleicht aber auch nicht«, erwiderte sie grinsend.

»Wie meinen Sie das?«

»Die Muffins sind noch im Versuchsstadium. Ich habe sie nicht einmal selbst gekostet.«

»Soll ich Ihnen berichten, wie sie mir geschmeckt haben?«

»Das wäre großartig«, sagte sie lächelnd. »Sie sind ein mutiger Mann, Sheriff Grant.«

»Wieso das?«

»Sie wissen nicht, ob sie vielleicht vergiftet sind. Schließlich kandidiert mein Schwager gegen Sie.«

Nachdem die Schülerinnen im Hauswirtschaftsraum eingetroffen waren, verteilte Hannah sie auf die fünf Kochinseln und ließ sie mit der Arbeit beginnen. Eine Gruppe sollte die Plätzchen backen, deren Rezept sie gerade entwickelte, eine andere einen Mürbekuchen, die dritte einen Cobbler, die vierte ein Teebrot und die fünfte eine Torte.

»Was gibt es, Hannah?« Beatrice kam auf einen Wink hin zu ihr geeilt.

»Ich habe vor dem Unterricht Ihre Muffins nachgebacken und möchte, dass Sie einen kosten und mir sagen, wie Sie ihn finden.«

Beatrice nahm einen von dem Teller, den Hannah ihr anbot. Sie kaute nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Bedaure. Er schmeckt anders.«

»Ich weiß. Die geheime Zutat fehlt noch. Ich dachte, Sie könnten mir sagen, was fehlt.«

Beatrice biss noch einmal ab und kaute langsam. Dann schüttelte sie wieder den Kopf. »Leider nicht. Er schmeckt wirklich gut, doch die von Mutter Koester hatten einen wunderbaren Nachgeschmack und waren saftiger. Allerdings haben Sie den Guss richtig hinbekommen. Er ist genau wie ihrer.«

»Danke, Beatrice. Sie haben mir sehr geholfen.«

»Wirklich? Ich habe doch nur gesagt, dass Sie es noch nicht getroffen haben.«

»Das stimmt, aber mit einem wertvollen Hinweis. Wenn meine trockener sind, muss die geheime Zutat etwas sein, das die Muffins feucht macht. Nun brauche ich nur herauszufinden, welche es ist.«

»Freut mich, dass ich helfen konnte. Was macht Muffins feucht außer Wasser oder Milch?«

»Mehreres. Man kann Pudding unter den Teig heben. Man kann mehr Eier, mehr Butter, mehr Öl verwenden oder eine feuchte Zutat zugeben. Eine niedrigere Temperatur oder eine kürzere Backzeit könnte auch dafür sorgen.«

Beatrice schaute belustigt. »Das grenzt die Suche nicht sehr ein.«

»Da haben Sie recht. Doch wir wissen jetzt schon mehr als heute Nachmittag, und ich werde ein paar Varianten ausprobieren. Wenn Ihnen zu den Muffins noch etwas einfällt, melden Sie sich.«

Um die Kochinseln drängten sich jeweils sieben Leute, und das in einem Klassenraum, der für höchstens dreißig Schüler bestimmt war. Die Situation wurde nur deshalb nicht chaotisch, weil die Frauen es gewohnt waren, in Gruppen zu kochen, entweder in einer Kantine oder mit ihrer Familie in einer großen Küche.

Hannah teilte jeder Gruppe sieben Aufgaben zu, die während des Backens erledigt werden mussten, und loste sie aus. Zuerst die Leiterin, die die Arbeitsschritte überwachte, dann zwei, die die Zutaten aus der Vorratskammer holten. Eine musste die Einzelzutaten abmessen und in geeigneten Gefäßen bereitstellen, eine musste den Teig rühren, und zwei waren dafür zuständig, den Backofen vorzuheizen und die Backformen vorzubereiten. Wenn der Teig fertig war, sollte die Leiterin der Gruppe ihn in die Form füllen und in den Backofen schieben.

»Hannah?« Edna Ferguson, die Chefköchin der Jordan High und Leiterin ihrer Gruppe, winkte sie hektisch herüber.

»Was gibt es, Edna?«

»Der Teig für das Teebrot ist nicht fest genug. Kommen Sie und sehen Sie selbst.«

Hannah eilte zu ihr und neigte die Rührschüssel. Er war dünnflüssig wie Crêpe-Teig.

»Sehen Sie?«

»Allerdings. Haben Sie sich an das Rezept gehalten?«

»Ganz sicher.« Edna nickte bekräftigend.

»Ich weiß es genau«, sagte Linda Gradin. »Ich habe die Zutaten abgemessen und zugesehen, wie Donna sie zusammengerührt hat.«

Donna Lempke nickte. »Dabei haben wir schon über das Mehl gesprochen. Es schien uns zu wenig zu sein, und wir haben Edna gebeten, noch mal ins Rezept zu sehen. Aber es stand so da, Hannah. Anderthalb Tassen.«

»Lassen Sie mich mal sehen.« Hannah nahm das Rezept, das Edna ihr hinhielt, und las stirnrunzelnd. Da gab es eindeutig ein Missverhältnis zwischen den flüssigen und den trockenen Zutaten.

»Soll ich noch Mehl zugeben?«, fragte Edna. »So kann kein Brot daraus werden. Ich denke, eine weitere Tasse Mehl wäre richtig.«

»Nein, es bringt nichts zu schätzen. Das Rezept stammt von Helen Barthels. Wir sollten sie anrufen und nachfragen.«

»Das kann ich übernehmen«, bot Charlotte Roscoe an.

»Danke.« Hannah lächelte die Schulsekretärin an. »Wir warten, solange Sie ins Sekretariat laufen.«

Charlotte zog ein Handy aus der Tasche. »So geht es schneller. Weiß jemand Helens Nummer auswendig?«

Eine Frau diktierte sie ihr. Dabei wurde Hannah von Gail Hansen zur nächsten Kochinsel gerufen. »Könnten Sie für einen Moment zu uns kommen? Wir möchten wissen, ob die Plätzchen groß genug sind.«

Hannah ging hinüber. Gails Gruppe testete das Boggles-Rezept. »Sie sind genau richtig.«

»Gut!« Gail schob das Blech in den Backofen und gab Irma York ein Zeichen, damit sie die Uhr stellte. »Ein Detail des Rezepts macht mir ein wenig Sorge.«

»Welches?«

»Es heißt, man soll walnussgroße Kugeln formen. In einigen Gegenden ist das eine vertrackte Angabe.«

»Ver… was?«

»Vertrackt.« Gail lachte verlegen. »Entschuldigung, Hannah. Ich war heute Nachmittag bei einem Treffen des Regency-Clubs und habe noch lauter merkwürdige Ausdrücke im Kopf. Ich will sagen, die Angabe ist nicht eindeutig. Ich wette, dass in der Großstadt viele an eine Walnuss mit Schale denken.«

»Wirklich? Darauf wäre ich nie gekommen, aber Sie könnten recht haben. Ich sollte das anders formulieren.«

»Ich habe mit Helen gesprochen«, rief Charlotte. »Sie hat in ihrem Rezeptbuch nachgesehen. Es müssen zweieinhalb Tassen Mehl sein, nicht anderthalb. Edna hatte recht, als sie vorschlug, noch eine Tasse zuzugeben.«

Hannah zeigte Edna zwei in die Höhe gereckte Daumen, weil sie richtig geschätzt hatte. Natürlich war das nicht allzu überraschend. Edna backte seit über vierzig Jahren fast jeden Tag. Hannah hatte sich gerade der dritten Gruppe zugewandt, um zu sehen, wie sie mit dem Mürbekuchen vorankam, als ein markerschütternder Schrei zu hören war. »Was war das?«, keuchte sie und blickte sich hastig um, ob sich etwa jemand in ihrer Klasse verletzt hatte.

»Ich weiß es nicht!« Edna klang zutiefst erschrocken. »Sollen wir die Polizei rufen? Ich glaube, das kam aus dem Klassenraum nebenan.«

Hannah lachte, denn ihre Befürchtungen hatten sich gerade in Luft aufgelöst. »Wenn nebenan jemand geschrien hat, dann ist die Polizei bereits da. Mike Kingston unterrichtet seine Selbstverteidigungsklasse. Wahrscheinlich bringt er ihnen gerade bei, laut zu schreien, wenn sie jemand überfällt.«

Kaum ausgesprochen, hörten sie weitere Schreie aus dem benachbarten Raum, dann Pfiffe und den Befehl aufzuhören. Es war eindeutig Mikes Gruppe, die den Lärm verursachte. Hannah und ihre Schülerinnen lachten und fuhren mit ihren Aufgaben fort.

Bei den Geräuschen von nebenan war es schwierig, sich zu konzentrieren, aber ihre Schülerinnen schafften es. Als es neun Uhr war und der Unterricht planmäßig endete, hatten sie das Gebäck unter sich aufgeteilt, sodass jeder etwas nach Hause mitnehmen konnte, und entschieden, welches der Rezepte sie in der eigenen Küche nachbacken wollten. Fünf Minuten später war Hannahs Klassenraum verlassen, und sie kontrollierte ein letztes Mal die Kochinseln, als Mike an die offene Tür klopfte.

»Hallo, Hannah. Bist du bereit für das Steak?«

»Ich träume schon den ganzen Tag davon.« Sie drehte sich zu ihm um, und ihr blieb die Luft weg. Tatsächlich hatte sie nicht nur von dem Steak geträumt. Groß, kräftig und anziehend stand er vor ihr. Kein Wunder, dass jede alleinstehende Frau in der Stadt und auch einige, die nicht ganz so alleinstehend waren, nachts wach lagen und überlegten, wie sie seine Aufmerksamkeit fesseln könnten. Wenn die Polizei des Winnetka County einen Pin-up-Boy-Kalender herausgeben würde wie viele Vereine, die damit Geld einnahmen, würde er mit Mike auf dem Titelblatt garantiert zum Bestseller.

»Hat Sheriff Grant dich an der Schule abgefangen?«, fragte Hannah. »Er kam hier vorbei und sagte, er hätte einen Stoß Handzettel für dich.«

»Er hat draußen auf mich gewartet, als ich auf den Parkplatz gefahren bin. Ich habe ihm erklärt, dass ich seine Handzettel nicht verteile.«

»Warum nicht?«

»Weil er damit für seine Wiederwahl wirbt.«

»Tatsächlich?« Hannah kicherte. »Deshalb wollte er sie mir nicht überlassen! Und ist politische Werbung auf dem Schulgelände nicht verboten?«

»Doch. Als ich das erwähnte, beschloss er, die Handzettel vor dem Schultor zu verteilen.«

»Verstehe ich das richtig, dass du nicht für Sheriff Grant stimmen wirst?«, fragte sie neckend.

»Natürlich. Ich werde Bill wählen. Er ist mein Partner und mein bester Freund. Das solltest du wissen, Hannah.«

»Tue ich.« Sie seufzte. Manchmal war er zu ernst, als dass man ihn necken konnte, und anscheinend war das im Moment der Fall. »Ob er noch hier ist? Ich habe ihm ein paar Muffins zum Kosten gegeben, und er hat versprochen, mir zu sagen, wie sie ihm schmecken.«

»Wenn er weg ist, werde ich ihn morgen danach fragen.« Er nahm ihre Bomberjacke und hielt sie ihr auf. »Lass uns gehen. Ich habe das Mittagessen ausgelassen und einen Bärenhunger.«

Hannah schlüpfte in ihre Jacke und griff nach ihrer Umhängetasche. Dabei fiel ihr der Abfall ein. »Lass mich nur eben zum Müllcontainer laufen. Ich will mich sowieso vergewissern, dass der Hintereingang verriegelt ist.«

»Brauchst du Hilfe?«

»Ich komme klar. Es ist nur ein Beutel. Du kannst inzwischen noch mal kontrollieren, ob die Backöfen und Kochfelder abgeschaltet sind.«

Sie nahm den Müllbeutel und ging zum Lieferanteneingang. Als sie am Sensor vorbeilief, schaltete sich die grelle Sicherheitslampe ein, und im ersten Moment kniff sie die Augen zusammen. Am Müllcontainer öffnete sie den Deckel und hob den Beutel über den Rand. Doch ehe sie ihn fallen ließ, blickte sie zufällig auf den Grund des Abfallbehälters.

Vor Schreck erstarrte sie, den Beutel noch in der Hand, und kräuselte die Lippen zu einem überraschten: »Oh!« Ich muss mich verguckt haben, sagte sie sich dann und hob den Beutel wieder heraus. Sicher war der Arm am Grund des Containers in Wirklichkeit gar kein Arm.

Der Schein trügt bekanntlich, dachte sie, das Lieblingssprichwort ihrer Großmutter Elsa, und wiederholte es noch einige Male. Schließlich trat sie erneut an den Container und warf einen zweiten Blick hinein. Es war doch ein Arm. Und da lag nicht nur ein Arm, sondern auch der übrige Körper.

»Oh …«, stöhnte Hannah und schluckte schwer, und in dem Moment erlosch das Licht der Sicherheitslampe. Der plötzliche Verlust der Megawatthelligkeit machte die Dunkelheit umso undurchdringlicher, und Hannah musste sich zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. Sie hielt sich vor Augen, dass sie zwei Möglichkeiten hatte. Weiter dastehen und sich fragen, ob sie den Toten wirklich gesehen hatte, oder ins Schulgebäude rennen und Mike holen.

Die Hintertür öffnete sich quietschend, und Hannah sprang vor Schreck fast aus dem Hemd. Dann hörte sie eine Stimme. »Hannah? Gibt es ein Problem?«

Es war Mike. Sie atmete auf. Anscheinend hatte sie eine dritte Möglichkeit. Sie könnte mit Ja antworten und ihn bitten, schnell herzukommen. Das wäre das Klügste. Wenn sie nur die Sprache wiederfände.

»Hannah?«

»Hier … drüben.« Sie stieß die zwei Wörter abgehackt hervor.

»Was ist los? Du klingst komisch.«

Sie holte tief Luft und redete so klar, wie es eben ging. »Da liegt jemand im Container.«

Mike kam sofort herbeigelaufen. Er zog seine Taschenlampe hervor, leuchtete in den Müllbehälter und stöhnte. »Es ist Sheriff Grant.«

»Tot?«, fragte sie mit rauer Stimme, und Mike beugte sich weit über den Rand, um nach dem Puls zu tasten.

»Ja.«

Mühsam schluckend versuchte sie zu begreifen, dass jemand, mit dem sie vor knapp drei Stunden noch gesprochen hatte, jetzt tot in einem Müllcontainer lag.

»Es sieht ganz so aus, als hätte ihm jemand auf den Kopf geschlagen. Er könnte noch eine weitere Wunde haben. Vorne an der Uniform ist ein großer Blutfleck.«

Widerwillig schaute Hannah auf die Stelle, die Mike mit der Taschenlampe beschien. Er hatte recht. Da war ein dunkler Fleck auf dem Uniformhemd. Sie räusperte sich und zwang sich zu sprechen. »Das ist kein Blut.«

»Nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist Schokoladenguss. Sheriff Grant ist gestorben, als er einen meiner Muffins gegessen hat!«

4

Kaum betrat Hannah ihre Wohnung, klingelte auch schon das Telefon. Sie wusste genau, wer da anrief, und ging sofort in die Küche, um abzunehmen. »Hallo, Mutter.«

»Hallo, Mutter? Woher wusstest du, dass ich es bin?«

»Wer hätte es sonst sein sollen? Andrea hat dich wahrscheinlich sofort angerufen, nachdem Bill sie informiert hatte.«

»Also … tatsächlich war es so.« Delores schien es ein wenig zu beunruhigen, dass Hannah ihre Klatschquelle erraten hatte. »Ich bin fassungslos, weil du schon wieder eine Leiche gefunden hast!«

»Das stimmt, aber sei nicht neidisch. Die nächste darfst du finden.« Hannah schaute zu Moishe hinunter, der an ihrem Bein entlangstrich und so stark dagegen drückte, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. Sein Futternapf war leer. Anscheinend hatte er gegen das neue Futter nichts einzuwenden. »Sekunde, Mutter. Lass mich kurz Moishes Napf auffüllen, dann können wir weiterreden.«

Sie legte das Telefon auf den Tisch und ging zum Besenschrank, wo sie das Katzenfutter aufbewahrte. Sie drehte den Schlüssel im Vorhängeschloss, öffnete die Tür und schüttete von dem neuen Futter eine Portion in die Schale.

Anderen mochte es seltsam erscheinen, Katzenfutter hinter Schloss und Riegel aufzubewahren, doch nur so war es vor ihrem Stubentiger sicher, der keine Scheu hätte, sich morgens, mittags und abends daran zu bedienen. Er hatte jeden anderen Verschlussmechanismus am Besenschrank überwunden, nicht jedoch das Vorhängeschloss. Allerdings machte er Fortschritte am Holz der Tür. An der unteren Ecke waren Kau- und Kratzspuren zu sehen, und vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ihr vierbeiniger Mitbewohner erneut triumphieren würde.

»Okay, Mutter. Bin wieder da.« Hannah nahm das Telefon und setzte sich dabei an den Tisch. »Was hast du gehört?«

»Nicht viel. Bill hat Andrea nur erzählt, dass du Sheriff Grant im Müllcontainer an der Schule gefunden hast.«

»Genau so war es.«

»Die arme Nettie tut mir wirklich leid.«

»Mir auch.« Nettie Grant, die Frau des Sheriffs, hatte sich vor drei Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem ihr einziges Kind bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

»Das wird sehr schwer für sie werden«, fuhr Delores fort. »Sie war gerade dabei, über Jamies Tod hinwegzukommen, und nun ist ihr Mann auch tot! Denkst du, sie hängen zusammen?«

»Wer?«, fragte Hannah reichlich verwirrt.

»Nicht wer, sondern was! Ich meine Jamies Tod und Sheriff Grants Tod.«

»Ich sehe nicht, wie die beiden Todesfälle zusammenhängen könnten, Mutter.«

»Gebrauche deinen Verstand, Hannah. Wir wissen, dass Nettie nach Jamies Tod in Trauer versunken ist, und sie hat fast ein ganzes Jahr gebraucht, um aus der Depression herauszufinden. Das Unglück muss auch ihren Mann schwer getroffen haben. Es würde mich nicht überraschen, wenn seine Trauer übermächtig wurde und er das Leben nicht mehr ertragen konnte.«

»Du meinst … er hat sich umgebracht?«

»Selbstverständlich. Glaubst du das auch?«

»Nein.«

»Warum nicht? Mir leuchtet das ein.«

Hannah seufzte schwer. Sie hatte ihre Mutter mit den grausamen Details verschonen wollen, doch sie wollte sie auch nicht mit der Selbstmordtheorie durch die Stadt laufen lassen. »Das war kein Selbstmord.«

»Woher willst du das wissen?«

»Es ist unwahrscheinlich, dass Sheriff Grant einen meiner Muffins gegessen, sich selbst den Hinterkopf eingeschlagen und sich dann zum Müllcontainer geschleppt hat, um hineinzuklettern und zu sterben. Ich gebe zu, die Muffins waren nicht optimal gelungen, aber so schlecht waren sie auch nicht.«

»Frivole Bemerkungen sind nicht angebracht!«

»Du hast recht«, sagte Hannah und war dann still. Ihre Mutter war eine intelligente Frau. Es würde vielleicht einen Augenblick dauern, doch dann würde sie das Offensichtliche erkennen.

»Moment mal!« Delores war so aufgeregt, dass ihre Stimme zitterte. »Sagtest du, Sheriff Grant ist an einem Schlag auf den Hinterkopf gestorben?«

»Genau.«

»Aber das ist unmöglich, außer …« Delores dehnte das letzte Wort, sodass ein längeres Zischen aus dem Hörer kam. »Er wurde ermordet! Warum hast du das nicht gleich gesagt?!«

»Du hast nicht danach gefragt.«

»Nun, ich frage jetzt. Und eine gute Tochter hätte es mir erzählt, ohne dass ich extra nachbohren muss! Setz dich hin, falls du nicht schon sitzt, und erzähl mir alles, was passiert ist. Und wage nicht, etwas auszulassen!«

Zehn Minuten später legte Hannah auf. Ihr Nacken schmerzte, weil sie sich das Gerät beim Telefonieren zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte, um beide Hände frei zu haben und sich in Kühlschrank und Vorratskammer etwas zu essen zu suchen.

Sie war fündig geworden, wenn es auch beileibe kein Steak war. Sie öffnete sich eine Dose Thunfisch, verrührte ihn mit etwas Mayonnaise und verteilte etwas davon auf einer Scheibe Pumpernickel. Eine zweite Scheibe bestrich sie mit Frischkäse, den sie in der Mikrowelle streichfähiger gemacht hatte, und belegte ihn mit hauchdünnen Scheiben der milden Zwiebeln, die Lisa in ihrem Gewächshaus zog. Nachdem sie die belegten Brotscheiben zum Sandwich vereint und in Viertel geschnitten hatte, goss sie sich ein Glas von dem »Château Schraubverschluss« ein, den es zurzeit im Supermarkt im Sonderangebot gab.

»Du hast dein eigenes leckeres Essen.« Hannah schaute zu Moishe hinunter. Er drückte sich wieder gegen ihr Bein, und mit seinen dreiundzwanzig Pfund konnte er beträchtlichen Druck ausüben.