Der kleine Darwin. Alles, was man über Evolution wissen muss - Ernst Peter Fischer - E-Book

Der kleine Darwin. Alles, was man über Evolution wissen muss E-Book

Ernst Peter Fischer

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Beschreibung

Was suchte Darwin auf den Galapagosinseln? Warum zögerte er so lange, seine Abstammungslehre zu veröffentlichen? Hat er tatsächlich das »Recht des Stärkeren« proklamiert? Und warum provozieren Darwins Ideen bis heute?

Ernst Peter Fischer nimmt uns mit auf eine kurzweilige Reise durch Darwins Leben, Denken und Wirken und fasst dabei knapp und anschaulich alles zusammen, was man über Evolution wissen muss. Ein aufschlussreicher und unterhaltsamer Einstieg in die Evolutionstheorie – jetzt als aktualisierte Neuausgabe.

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Seitenzahl: 224

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Ernst Peter Fischer

Der kleine

Darwin

Alles, was man

über Evolution

wissen sollte

Anaconda

Dieses Buch erschien erstmals 2009 bei Pantheon in München. Für diese Ausgabe wurde sie vom Autor durchgesehen und an wenigen Stellen leicht überarbeitet.

Diese Publikation enthält Links auf Webseiten Dritter, für deren Inhalt wir keine Haftung übernehmen, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe 2024 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: Darwin: Julia Margaret Cameron, Charles Darwin, 1880 (Ausschnitt); Schmetterling, Fledermaus: © Look and Learn / Bridgeman Images; Sperling: Photo © Infatti / Bridgeman Images; Fisch: SSPL/UIG / Bridgeman Images; Darwinnandu: © Natural History Museum, London / Bridgeman Images

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

Satz und Layout und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-32444-5V001

www.anacondaverlag.de

Für die kleinen Hofers, Vincent und Isabell, und ihre Großmütter (wie im »Familienleben«).

Inhalt

Auftakt

Darwins Welt

Leben und Familie

Auf Weltreise

Das Auftauchen des großen Gedankens

Über die Entstehung der Arten

Ein Freund oder Konkurrent?

Darwins Werk

Das erste Licht auf den Menschen

Schlüsselbegriffe

Art und Artbildung

Selektion

Anpassung

Tiefenzeit und Fossilien

Massensterben

Fitness – wessen und welche?

Die Gene und ihre Dynamik

Evo-Devo

Unterscheidungen

Darwinismus und Lamarckismus

Baum und Koralle

Homologie und Analogie

Divergenz und Konvergenz

Haupt- und Nebenfunktion

Aktuelle und evolutionäre Ursachen

Phylogenese und Ontogenese

Conditio Humana

Der bipolare Affe

Die physiologische Frühgeburt

Familienleben

Männer und Frauen

Das poetische Tier

Die Evolution im Kopf

Nachwort

Anhang

Zitatnachweise

Literaturangaben

Personenregister

Bildnachweis

Auftakt

Menschen sind von Natur aus neugierig. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie die Gegenwart, die wir erleben, eigentlich zustande gekommen ist. Wie hat sich das Wirkliche und Wirkende gebildet, das uns umgibt? Wie hat sich das entwickelt, was wir gerne »die Natur des Menschen« nennen, die das alles und noch mehr erst wissen und dann auch erzählend darstellen will?

Wer solche Fragen stellt, ist gut beraten, sich an die Wissenschaft zu halten, wobei es vor allem die Naturwissenschaften sind, die in einigen Fällen nicht nur zuverlässige – also überprüfbare – und zufriedenstellende, sondern auch clevere und konsensfähige Auskünfte geben können – zum Beispiel über den Prozess, den wir als Evolution des Lebens kennen und der auch unsere Entwicklung ermöglicht hat. Was ist damit gemeint?

Unter Entwicklung beziehungsweise Evolution versteht man den Vorgang der allmählichen und kontinuierlichen Veränderungen – Modifikationen, Variationen, Varianten, Varietäten, Mutationen, Abwandlungen, Umformungen, Neukombinationen, Transformationen –, die Organismen von Generation zu Generation hervorbringen, wenn sie Nachkommen erzeugen. In einer auf Charles Darwin zurückgehenden Kurzformel lässt sich Evolution als »modification by descent« charakterisieren. Der damit bezeichnete »Wandlungsprozess durch Abstammung« erweist sich als notwendig und zugleich angemessen in einer Welt, die zum einen seit ihrem Bestehen nichts anderes getan hat, als sich zu ändern, und die zum andern sich künftig nur dahingehend nicht ändert, dass sie an dieser formenden Dynamik festhält.

Dieser weit reichende Gedanke, mit dem in einem wissenschaftlich gespannten Rahmen erklärt werden soll, auf welch raffinierte Weise und über welch lange Zeiträume die bemerkenswerte Vielfalt der beobachtbaren Lebensformen möglich geworden ist, findet seinen frühen gültigen Ausdruck in dem Buch, das Charles Darwin 1859 unter dem barocken Titel Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein vorgelegt hat. Darwins große Erzählung über die Entstehung der Arten endet mit einem eleganten Absatz, den wir hier an den Anfang stellen mit dem Hinweis, dass der am Schluss angerufene »Schöpfer« nicht in allen Auflagen des Buches zu finden ist und vom Zeitpunkt des Erscheinens an umstritten war:

Wie anziehend ist es, ein mit verschiedenen Pflanzen bedecktes Stückchen Land zu betrachten, mit singenden Vögeln in den Büschen, mit zahlreichen Insekten, die durch die Luft schwirren, mit Würmern, die über den feuchten Erdboden kriechen, und sich dabei zu überlegen, dass alle diese so kunstvoll gebauten, so sehr verschiedenen und doch in so verzwickter Weise voneinander abhängigen Geschöpfe durch Gesetze erzeugt worden sind, die noch rings um uns wirken. Diese Gesetze, im weitesten Sinne genommen, heißen: Wachstum mit Fortpflanzung; Vererbung (die eigentlich schon in der Fortpflanzung enthalten ist); Veränderlichkeit infolge indirekter oder direkter Einflüsse der Lebensbedingungen und des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs; so rasche Vermehrung, dass sie zum Kampf ums Dasein führt und infolgedessen auch zur natürlichen Zuchtwahl, die ihrerseits wieder die Divergenz der Charaktere und das Aussterben der minder verbesserten Formen veranlasst. Aus dem Kampf der Natur, aus Hunger und Tod geht also unmittelbar das Höchste hervor, das wir uns vorstellen können: die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Wesen. Es ist wahrlich etwas Erhabenes an der Auffassung, dass der Schöpfer den Keim des Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.

Wer sich ohne Vorurteile den nachvollziehbaren und sinnvollen zweckmäßigen Bemühungen um Antworten auf die Fragen nach dem Verständnis von Wirklichkeit zuwenden möchte, wird kaum der Ansicht des amerikanischen Philosophen John R. Searle widersprechen, die er in seinem Buch Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus dem Jahr 1995 (deutsch 1997) geäußert hat. Searle stellt darin fest, dass es für diesen Zweck zwei Theorien gibt, die nicht zur Disposition stehen und deren Kenntnis für einen Bürger unserer Zeit – also des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts – unerlässlich ist: »Für einen gebildeten Menschen unserer Zeit ist es unabdingbar, dass er über zwei Theorien unterrichtet ist: die Atomtheorie der Materie und die Evolutionstheorie der Biologie.«

Das vorliegende Buch hat in seiner ersten Auflage dem Leser die Möglichkeit geboten, die zweite Bedingung in Charles Darwins Jubiläumsjahr zu erfüllen, in dem nicht nur sein 200. Geburtstag, sondern auch der 150. Jahrestag der Veröffentlichung seines bereits erwähnten Hauptwerks über Die Entstehung der Arten begangen wird.

Wer sich der anderen Theorie, die Searle nennt, zuwenden will und somit nach dem Werden des Lebens auch den Aufbau der Materie erkunden möchte, kann dafür ebenfalls auf ein Jubiläum warten – nämlich auf das Jahr 2025, in dem die Physik den 100. Jahrestag der Entdeckung des Weges feiern wird, der sie ins Innere der Welt geführt hat. Vielleicht entwickelt aber jemand bereits im Verlauf der Lektüre dieses Buches das Gefühl, dass es sich auch ohne äußere Anlässe lohnt, wissenschaftlichen Ideen nachzuspüren, vor allem wenn sie sowohl unsere Auffassung von Wirklichkeit beeinflussen als auch zum Verständnis der menschlichen Natur beitragen. Wissenschaft kommt von innen, und deshalb kann und sollte sie dahin zurückkehren. Machen wir uns auf die Reise, die bei und mit der Evolution letztlich jeden ganz sicher zu sich selbst führt.

Ernst Peter Fischer

Heidelberg, im Frühjahr 2024

Darwins Welt

Leben und Familie

Auch ein folgenreiches Leben kann in nüchternen Daten erfasst werden, von denen zunächst einige mit ein paar Ausschmückungen aufgeführt werden sollen, um danach auf erste Zusammenhänge eingehen zu können:

Charles Darwin wird am 12. Februar 1809 in Mittelengland in der mittelalterlichen Stadt Shrewsbury als Sohn eines wohlhabenden Arztes geboren. Er sammelt in seiner Jugend leidenschaftlich Käfer, studiert einige Jahre eher gelangweilt Medizin und Theologie – das eine im schottischen Edinburgh und das andere im englischen Cambridge – und kann anschließend zwischen 1831 und 1836 an der weltumspannenden Vermessungsfahrt des königlichen Schiffes HMSBeagle (»Her Majesty’s Ship«) teilnehmen, die ihn 1835 für fünf Wochen auf die Galapagosinseln führt. Nach seiner Rückkehr in die Heimat lebt Darwin zunächst in Cambridge und London, bevor er sich 1842 auf den Landsitz seiner Familie einige Meilen südlich von London, in das Dörfchen Down in der Grafschaft Kent, zurückzieht. In der selbst gewählten Abgeschiedenheit bringt er im Verlauf der ihm verbleibenden vier Jahrzehnte ein erstaunlich umfangreiches und äußerst vielfältiges Werk zu Papier. Zuerst erscheint Die Fahrt der »Beagle«, und zwar in Form eines »Tagebuchs mit Erforschungen der Naturgeschichte und Geologie der Länder, die auf der Fahrt von HMSBeagle unter dem Kommando von Kapitän Robert FitzRoy besucht wurden«, wie der Untertitel lautet. Dann macht sich Darwin Gedanken über das Züchten von Tieren und verfasst riesige Wälzer über Rankenfußkrebse und Entenmuscheln, bevor er sich schließlich seinem Hauptwerk zuwendet, das 1859 erscheint. Der Entstehung der Arten lässt er unter anderem noch Bücher über die Befruchtung von Orchideen durch Insekten, die Ausweitung seines evolutionären Gedankens auf die Herkunft des Menschen und das Bewegungsvermögen von Kletterpflanzen folgen, bevor er sich in seiner letzten Lebensphase der Bedeutung von Würmern für den Erdboden zuwendet und deren ökologisches Treiben ein Jahr vor seinem Tod umfangreich darstellt.

Darwin stirbt am 19. April 1882 in seinem Haus in Down und wird wenige Tage später feierlich in London – in der Westminsterabtei – neben anderen Heroen der Wissenschaft wie Isaac Newton beigesetzt. So ruhig und bescheiden Darwin gelebt hat, so aufregend und anspruchsvoll erweisen sich seine Gedanken, die zwar einigen Ideologen und Ideologien gefährlich erscheinen, die aber von Down aus die Kulturwelt bereichern und für die ihm sein Land zuletzt Dank, Ehre und Anerkennung zuteilwerden lässt.

Darwins Leben nach der Weltreise findet im sogenannten Viktorianischen Zeitalter statt, das seine Bezeichnung einer jungen Frau namens Victoria verdankt, die am 28. Juni 1838 – einen Monat nach ihrem achtzehnten Geburtstag – Königin von England wird und diese Position bis in das 20. Jahrhundert hinein – mehr als sechzig Jahre lang – bekleidet. Königin Victoria stirbt am 22. Januar 1901, also in einer Zeit, in der die Wissenschaft erste Klarheit über die Gesetze der Vererbung gewinnt, deren Kenntnis Darwin von Nutzen hätte sein können, da durch sie verständlich wird, wie die Weitergabe der Eigenschaften des Lebens – und damit auch die von den Naturforschern beobachteten Entwicklungen und Varianten – gelingen kann.

Dass Darwin seine späteren Jahre nahezu ausschließlich auf dem Land verbringt, wird von Biographen unter anderem durch eine merkwürdige Krankheit erklärt, die ihm unentwegt Übelkeit und Erbrechen verursacht. Schon bald nach der Rückkehr von der Weltreise treten Magenbeschwerden bei ihm auf, aber keiner seiner Zeitgenossen kann ihm helfen und den auslösenden Faktor für seinen qualvollen Zustand ausfindig machen. Sein Leiden gestattet ihm nur ein paar Stunden Arbeit täglich, was einen Beobachter umso erstaunter auf die zahlreichen, ausführlichen und stets umfangreichen Schriften – Briefe, Notate, Notizhefte und Bücher – blicken lässt, die der Kranke offenbar unermüdlich verfasst und zwischen 1838 und 1881 publiziert.

Nachdem er sein Hauptwerk – Die Entstehung der Arten – abgeschlossen hat, setzen häufig besonders langwierige Krankheitsperioden ein, die ihn verschiedentlich fast völlig in die Knie zwingen. »Als er im Jahr 1866 das Krankenzimmer wieder verlassen konnte, war er der gebrechliche Greis mit dem mächtigen, grauen Vollbart geworden, dessen Bild wir heute vor Augen haben, wenn wir den Namen Darwin hören«, wie seine Biographin Janet Browne schreibt.

Eine große Hilfe in diesen Tagen des Leidens ist ihm seine Ehefrau Emma, mit der er seit 1839 verheiratet ist. Durch diese Eheschließung hat Darwin tatsächlich bekommen, was er im Jahr zuvor als Vorteil einer Ehe notiert hat, nämlich eine »ständige Gefährtin (und Freundin im Alter) […], die sich für einen interessiert«, und so etwas sei »jedenfalls besser als ein Hund«. Es ist nicht bekannt, ob es Darwin leicht- oder schwergefallen ist, Emma einen Heiratsantrag zu machen, wobei vor allem unklar ist, ob die Tatsache, dass sie seine Cousine und ihm schon von Kindertagen her vertraut ist, darauf Einfluss gehabt hat. Sicher ist jedoch, dass Emma ihn geliebt hat, und beide gelten als ein sich herzlich zugetanes und zufrieden lebendes Paar, das mit einer großen Nachkommenschaft gesegnet ist und eine große Familie mit zehn Kindern – sechs Söhnen und vier Töchtern – bildet.

Abb. 1 Charles Darwin im Jahr 1874.

Die Auserwählte hat auch den Vorteil, aus einer wohlhabenden Familie zu stammen – Emma ist die Enkelin von Josiah Wedgwood, dem Begründer der weltberühmten Porzellanmanufaktur –, und ihre Mitgift erlaubt Darwin sowohl ein sorgenfreies Dasein als Privatgelehrter als auch den Erwerb eines Backsteingebäudes auf dem Land in Down.

Die Trauung von Emma und Charles findet am 28. Januar 1838 auf dem Landsitz der Familie Wedgwood statt, von dem es zunächst zurück nach London geht, wo die Vermählten ihren ersten gemeinsamen Lebensabschnitt verbringen. In diesen Tagen hat Darwin bereits damit begonnen, mehrere Notizbücher anzulegen, mit deren Hilfe er versucht, Ordnung in die Gedanken zu bringen, die sich ihm nach der Weltreise aufdrängen. Dazu gehört auch ein sogenanntes E-Notizbuch, das er lange Zeit geheim hält, uns aber heute zugänglich ist. Dort lesen wir, was Darwin am Tag seiner Vermählung fasziniert und ziemlich ausführlich eingetragen hat – nämlich die Ansicht, die sein auf der Hochzeit anwesender Onkel John Wedgwood über den Anbau von Rüben geäußert hat.

Emmas Vermögen ist nicht das einzige Geld, über das Darwin verfügt. Auch sein Vater, Robert Waring Darwin, hat viel zu vererben, denn dessen Vater, Erasmus Darwin, hatte sich nicht nur als Dichter, Arzt und Naturwissenschaftler einen Namen gemacht, sondern in seinem um 1795 erschienenen Hauptwerk Zoonomia sogar schon so etwas wie eine frühe Form der Abstammungsidee (Deszendenztheorie) formuliert. Das hatte ihm einen höchst ehrenvollen Platz auf dem Index der verbotenen Bücher im Vatikan eingebracht.

Mit dem – auch in biologischer Hinsicht – äußerst fruchtbaren Großvater stößt man auf den merkwürdigen Befund, dass in der Ahnentafel von Charles Darwin zwei herausragende Männer aus höchst unterschiedlichen Sphären zu finden sind: Der eine ist ein Industrieller, der mit seiner Erfindung der heute noch angebotenen »Wedgwoodware« erfolgreich zu der Industriellen Revolution beigetragen hat, die die britische Gesellschaft damals veränderte. Der andere ist ein Intellektueller, der die geistige Blüte befördert hat, die man dem England des 18. Jahrhunderts bescheinigen darf. Diese Kombination macht es für Historiker sehr verlockend, sie als einen Grund für Darwins Leistungsfähigkeit anzuführen.

Vor dieser Instrumentalisierung der beiden Vorfahren muss aber gewarnt werden. Denn, wie Janet Browne feststellt, »in Wirklichkeit wies [Darwin] im Persönlichkeitsbild mit keinem der beiden irgendeine Ähnlichkeit auf, den Umstand ausgenommen, dass auch er in einem familiären Binnenklima aufwuchs, das entschieden mitbestimmt wurde von geistiger Aufgeschlossenheit, Freidenkertum und Interesse für die Naturwissenschaften«. Unabhängig davon ist auf jeden Fall der von den Großvätern herkommende Wohlstand von Nutzen, in den Darwin hineingeboren wird. Er garantiert ihm, wie es bei Browne weiter heißt, »einen dauerhaften Platz im gesellschaftlichen Leben der oberen Mittelklasse und die sichere Aussicht auf ein ansehnliches Erbe, was beides eine wesentliche Rolle beim Zustandekommen seiner späteren Leistungen spielte«.

Der sicher glücklichen Kindheit Darwins, in deren Verlauf schon früh eine Faszination für die Natur und ihre Geschöpfe – vor allem Käfer – zutage tritt, folgen mühsamere Zeiten als Student, was mit der vom Vater vorgegebenen Wahl des Medizinstudiums zusammenhängt, die ihn schon bald – vor allem bei blutigen chirurgischen Eingriffen, die noch ohne Narkose vorgenommen werden –, sehr belastet.

Als Student fängt Darwin an, sich als Naturforscher zu betätigen, und er erkundet marine Weichtiere in der Nordsee. Er tut dies unter Anleitung von Robert Grant, der zu der medizinischen Fakultät von Edinburgh gehört und den damals bereits geäußerten und erörterten Gedanken eines evolutionären Zusammenhangs der Lebensvielfalt vertritt. Bei der Analyse von schwarzen Kügelchen, die sich ab und zu in Austernschalen finden, entdeckt der achtzehnjährige Darwin, dass es sich nicht – wie bislang angenommen – um die Sporen von Algen, sondern um die Eier von Rochenegeln handelt. Überhaupt weckt Grant Darwins Interesse an den Vorgängen der Fortpflanzung, und er lenkt damit dessen Aufmerksamkeit auf das Problem der Abstammung. Es ist also anzunehmen, dass der Naturforscher als junger Mann in Edinburgh zweierlei gelernt hat: Zum einen lassen sich große Fragen – etwa nach der Herkunft der Formenvielfalt – klarstellen und systematisch untersuchen, und zum andern können die Antworten mithilfe von kleinen Hinweisen gelingen, die der eigenen Beobachtung zugänglich und zu verdanken sind.

Dennoch ist Darwins Vater zunächst nicht erfreut, als Charles das Medizinstudium abbricht. Er gibt sich aber zufrieden, als der Sohn sich stattdessen für Theologie einschreibt, diesmal in Cambridge. Zwar wird er hier drei fabelhafte Jahre verbringen, wie alle Biographen meinen, aber über Gott denkt er nicht unbedingt viel nach. Dafür sammelt er lieber Käfer und anderes Getier, nimmt an Fuchsjagden teil und schießt auf Federvieh, wie es damals Brauch war. Irgendwann beschäftigt er sich aber auch mit theologischen Themen, und bald wecken die Schriften von William Paley sein Interesse, der 1802 sein Hauptwerk Natürliche Theologie (deutsch 1837) vorgelegt hat. In diesem Buch erläutert der Geistliche, warum die Lebewesen so gut in die Welt passen und über zweckmäßig funktionierende Organe verfügen. Das sei das geniale Werk eines gütigen Gottes, so Paley, der in der seiner Ansicht nach perfekt scheinenden Gestaltung (design) der Tiere und Pflanzen einen Beweis für die Existenz Gottes sieht und in dem Zusammenhang das bis heute berühmte Uhrmacherargument (the argument from design) in die Welt setzt: Wer in der Natur eine Uhr findet, nimmt auf keinen Fall an, dass sich deren komplexe Mechanik ohne Hilfe ergeben und alles rein zufällig zusammengefunden hat. Er vermutet vielmehr, dass ein Uhrmacher sie ersonnen und gebaut habe. Und was für die Uhr gilt, gilt erst recht für die Menschen, die der große Menschenmacher in die Welt gesetzt hat, und zwar so perfekt, wie sie sind.

Aus historischer Sicht darf angemerkt werden, dass der Uhrmacher vor dem Hintergrund eines Denkens auftaucht, das das ganze Universum als Uhrwerk betrachtet. So zeigen es doch – nach damaliger Überzeugung – die Gesetze, die Isaac Newton um 1700 aufgestellt hat, und Newton kennt man als besonders frommen Menschen. Die Welt funktionierte wie eine Uhr, die Gott nicht nur konstruiert hatte, sondern auch immer wieder aufziehen würde, und das war gut so.

Darwin gefällt auf jeden Fall die klare Sprache, über die Paley verfügt. Er ist ihr vor allem deshalb zugetan, weil sie in der Lage ist, die Faszination zu beschreiben, die Darwin stets überkommt, wenn er die Natur genau beobachtet und das Wunderbare bemerkt, das sie hervorbringt. Oberflächlich sieht es so aus, als ob sich der junge Theologiestudent tatsächlich darauf vorbereitet, Priester zu werden. Anfang 1831 besteht Darwin sogar das Bachelorexamen, und die Familie denkt, dass Charles sich im Herbst als Kandidat für das Priesteramt melden wird. Er will – und darf – zuvor nur noch einige geologische Exkursionen machen, die er dann auch im Sommer 1831 mit Adam Sedgwick unternimmt, der als Professor für Geologie in Cambridge tätig ist. Als Darwin schließlich in sein Heimatdorf zurückkehrt, findet er zu Hause den Brief des Mineralogen John Stevens Henslow vor, der ebenfalls zu seinen Lehrern in Cambridge gehörte. Der verehrte Mann schlägt Darwin vor, als Naturforscher an einer Weltreise teilzunehmen, zu der bereits im Dezember aufgebrochen werden soll. Und Darwin geht voller Begeisterung mit an Bord. 

Auf Weltreise

Was wäre aus Darwin geworden, wenn es diese Weltreise nicht gegeben hätte? Das Unternehmen wurde von der britischen Admiralität geplant und angeordnet, die sich für den Verlauf der Küste Südamerikas interessierte und mit den dazugehörigen kartografischen Erfassungen um 1825 begonnen hatte. Natürlich ging es vor allem um den riesigen Kontinent als Markt und Rohstofflieferant, aber der Kapitän des ausgerüsteten Schiffes, der HMSBeagle, wollte die Expedition auch als Gelegenheit zur Sammlung wissenschaftlicher Daten nutzen, und so kam Darwin als Naturforscher mit an Bord.

Am 27. Dezember 1831 sticht also die Beagle von Plymouth aus in See, und am 2. Oktober 1836 kehrt sie nach England zurück. Ihre Route führt über die Kapverdischen Inseln nach Brasilien, Uruguay und Argentinien bis zu den Falklandinseln, sie umrundet Kap Hoorn und steuert danach Chile, Peru und die Galapagosinseln an, bevor es erst über den Pazifischen Ozean nach Neuseeland und Australien, dann erneut nach Südamerika und von dort aus endlich nach England zurückgeht.

Der zugleich tiefgläubige und wissenschaftlich neugierige Kapitän, Robert FitzRoy (oder Fitz Roy), händigt Darwin zu Beginn der Reise den ersten Band des geologischen Lehrbuchs The Principle of Geology (deutsch 1841: Grundsätze der Geologie) aus, von Charles Lyell verfasst, der später ein enger Freund Darwins werden wird. Darwin lässt sich die folgenden beiden Bände bis nach Südamerika nachschicken, in denen Lyell die gegenwärtige Gestalt der Erde unter der Annahme erklärt, dass in der Vergangenheit dieselben Kräfte zu den geologischen Wandlungen geführt haben, die auch heute noch zu beobachten sind. Lyell legt zudem Beweise dafür vor, dass die Erde eine sehr lange Geschichte erlebt hat. Die Spuren ihrer Vergangenheit würden sich in verschiedenen Schichten (Strata) zu erkennen geben, die ihrerseits mit charakteristischen Fossilien durchsetzt seien. Damit kann sich Darwin eine konkrete Aufgabe vornehmen, nämlich Fossilien an Orten auszugraben, an denen Lyell oder andere Geologen noch nicht waren, zum Beispiel in Patagonien. Und die dabei zum Vorschein gebrachten versteinerten Formen früheren Lebens erweisen sich tatsächlich als ein wunderbarer Fund.

Doch bevor wir uns auf diese und andere wissenschaftliche Ergebnisse einlassen, sollen noch zwei allgemeine Hinweise auf die Reise gegeben werden. Da ist zum einen das Element des erlebnisreichen Abenteuers: Darwin lauscht ergeben Vögeln in Regenwäldern, er bewundert den Sternenhimmel beim Überqueren der Anden, er empört sich angesichts grausamer Behandlung von Sklaven, er hilft bei der Niederschlagung einer Soldatenmeuterei in Montevideo und manches mehr. Aber zum andern ist da auch seine Seekrankheit, von der er nie genesen wird und die ihm die ganzen Jahre hindurch immer wieder Übelkeit verursacht.

Darwin lässt sich aber weder seine grundsätzlich gute Laune noch seine Emsigkeit nehmen, und so legt er die Sammlungen an, die von ihm erwartet werden – unter anderem von Vögeln, Wirbeltieren, Schnecken und Insekten –, und buddelt nach Fossilien. Besonders ergiebig sind die Grabungen in Argentinien, vierhundert Meilen südlich der Hauptstadt Buenos Aires. Dabei stößt Darwin auf Knochen von riesigen Landsäugetieren, die offenbar ausgestorben sind – wobei er sich wundert, dass die aktuellen Säugetiere der Pampa anatomisch nicht sehr viel anders gebaut sind.

Doch so spannend diese Befunde auch sein mögen, der eigentliche Ertrag der Reise – der Grund, warum sie in der Geschichte der Wissenschaft und der Menschheit im Allgemeinen verzeichnet wird – verdankt sich einem fünfwöchigen Stopp, den die Beagle im September und Oktober 1835 auf dem Galapagosarchipel einlegt. Das Schiff hat zur Überquerung des Pazifiks angesetzt und ist nach einer Woche auf die isolierte Inselgruppe gestoßen, um Wasser nachzufüllen.

Es ist nicht anzunehmen, dass Darwin gleich ein Gefühl für die historischen Dimensionen entwickelt habe, die sein Aufenthalt hier aufschließen sollte. Es scheint eher so zu sein, dass Darwin vor Ort nur wenig beeindruckt war und zum Beispiel ohne den Hinweis des amtierenden britischen Vizegouverneurs gar nicht bemerkt hätte, dass auf jeder der vielen Inseln eine besondere Art von Riesenschildkröte heimisch sei. Wenn er – viele Jahre später – in seinem Bericht Die Fahrt der »Beagle« auf die Galapagosinseln zu sprechen kommt, versucht er offenbar, diese leichte Blamage zu überspielen, indem er schreibt: »Die Naturgeschichte dieser Inseln ist äußerst merkwürdig und verdient sehr wohl unsere Aufmerksamkeit«, »der Archipel ist eine kleine Welt für sich«, auf der die Chance besteht, sich durch ein genaues Studium »ihrer ursprünglichen Lebewesen und deren begrenzter Ausbreitung jenem großen Faktum« zu nähern, »jenem Rätsel aller Rätsel«, nämlich »dem ersten Erscheinen neuer Lebewesen auf dieser Erde«.

Das »erste Erscheinen neuer Lebewesen auf dieser Erde«, das Geheimnis aller Geheimnisse – das meint »die Entstehung neuer Arten«, wie sie Darwin zwar 1859 formulieren kann, wie er sie aber mit Sicherheit weder bei seinem Besuch auf den Galapagosinseln noch beim ersten Verfassen des Reisejournals durchschaut hat. Der junge Naturforscher scheint eher anderes im Sinn und seinen Spaß auf den Inseln gehabt zu haben – er ist auf Schildkröten geritten und hat Leguane gefangen –, aber die sonst übliche wissenschaftliche Sorgfalt lässt er fast sträflich vermissen. So packt er zum Beispiel alle Vögel, die er nach England schicken will, in einen Sack, ohne ihren Herkunftsort zu notieren. Darwin registriert zwar, wie Janet Browne vermerkt, »dass die Finken offenbar auf jeder Insel anders aussahen […], aber er kam zu diesem Zeitpunkt gar nicht auf die Idee, dass der Standort der einzelnen Individuen von Bedeutung sein könne«. Erst viele Monate später – zurück in der britischen Heimat – fällt ihm der geografische Faktor auf, und er grübelt darüber nach: »Wenn ich mir die in Sichtweite voneinander entfernt liegenden Inseln mit ihrer nur spärlichen Fauna vorstelle, welche sich diese nur geringfügig unterscheidenden […] Vögel bewohnen, muss ich vermuten, dass es sich um Varietäten handelt. […] Wenn diese Bemerkungen auch nur im geringsten Grade begründet sind, dann ist die Zoologie von Inselgruppen durchaus der genaueren Untersuchung wert; denn derartige Fakten untergraben die [Lehre von der] Unveränderlichkeit der Arten.« 

Die Zoologie der Inselgruppen ist inzwischen umfassend untersucht worden – nachzulesen zum Beispiel bei Jonathan Weiner in Der Schnabel der Finken –, und man kann sich dabei mittlerweile tatsächlich an Darwin selbst halten, der in der 1845 erschienenen zweiten Auflage seiner Fahrt der »Beagle« die »vollkommene Abstufung der Schnabelgröße bei den verschiedenen Arten des Geospiza«, wie Finken wissenschaftlich heißen, bestaunt und ihr sogar eine Abbildung widmet.

Abb. 2 Vier Finken, die Darwin in seiner Reisebeschreibung zeigt. Er notiert dazu: »Das Merkwürdigste ist die vollkommene Abstufung der Schnabelgrößen: von einem der groß ist wie der eines Kernbeißers bis zu dem des Buchfinken und selbst dem der Grasmücke.«

Er kommt dabei zu dem Schluss: »Wenn man diese Abstufung und strukturelle Vielfalt bei einer kleinen, eng verwandten Vogelgruppe sieht, möchte man wirklich glauben, dass von einer ursprünglich geringen Zahl an Vögeln auf diesem Archipel eine Art ausgewählt und für verschiedene Zwecke modifiziert wurde.«

Das klingt zwar alles schon sehr nach dem evolutionären Gedanken, aber er hat sich noch nicht in voller Stärke ausgebildet und bemerkbar gemacht. Als Darwin im Oktober 1836 in Falmouth wieder britischen Boden betritt, ist er zwar nicht mehr der arglose Student, der die Reise angetreten hat. Ein »Evolutionist« ist er aber auch noch nicht, wie eine weitere Stelle aus seinem Reisejournal erkennen lässt: »Beim Blick auf die hier genannten Fakten ist man erstaunt über die Menge an Schöpfungskraft, wenn ein solcher Begriff Anwendung finden darf, die sich auf diesen kleinen, kargen, und felsigen Inseln offenbart.« Als Darwin dieser »Schöpfungskraft« einen anderen Namen gibt, beginnt das Zeitalter des evolutionären Denkens, um das wir uns bis heute bemühen.

Das Auftauchen des großen Gedankens

Anfang 1837 muss es passiert sein – auch wenn man nicht sagen kann, was sich aufgrund welcher Umstände genau ereignet hat. Anfang 1837 gibt Darwin den Glauben auf, dass die Arten auf dieser Welt ihre Entstehung einem gütigen Gott zu verdanken haben, der sie perfekt passend in den jeweiligen Lebensraum einfügt, den er natürlich zuvor für sie geschaffen hat. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die göttliche durch eine natürliche »Schöpfungskraft« zu ersetzen. Diesem Problem weicht Darwin nicht aus, er wendet sich ihm vielmehr zu.

Bei einer Antwort auf die Frage, zu welchen neuen Überzeugungen Darwin in den Monaten nach der Weltumseglung gelangt sein könnte, darf auf keinen Fall unberücksichtigt bleiben, dass viele unterwegs gemachten Beobachtungen ihm überdeutlich gezeigt haben, dass die Natur keineswegs voller glänzend zurechtkommender Lebewesen steckt und alles harmonisch in ihr abläuft. Darwin ist – im Gegenteil – allzu oft erschrocken über »