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Charlotte, genannte Charlie, erbt unverhofft das Hutgeschäft samt Mietshaus ihrer Tante Gerda und lässt kurzerhand ihr altes Leben in Berlin hinter sich und zieht zurück nach Bonn, den Ort ihrer Kindheit. Vor zehn Jahren war sie Hals über Kopf von dort weggezogen und seitdem nie mehr zurückgekehrt. Doch Charlie ist fest entschlossen: Sie wird hier ihr eigenes Hutgeschäft eröffnen! Und tatsächlich ist der Anfang gar nicht so schwer wie gedacht, denn Edita, die rüstige Freundin ihrer Tante, und Sarah, die Besitzerin des Cafés „Frau Holle“, stehen ihr mit Rat und Tat und Zimtschnecken zur Seite. Aber Charlie trifft auch auf ihre einstige große Liebe, den Schuhmacher Leo. Er war der Grund, dass Charlie damals nach Berlin zog und auch jetzt bringt er ihr Herz wieder ins Stolpern. Und dann ist da ja auch noch Frank, Editas Neffe, der Charlie einfach nicht aus dem Kopf gehen will und der für jedes Problem eine charmante Lösung findet. Als dann auch noch der Anruf einer bekannten Opernsängerin für einen Großauftrag eingeht, ist das Chaos perfekt …
Mit „Frau Holles“ berühmtem Rezept für Zimtschnecken!
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Seitenzahl: 271
Charlotte, genannte Charlie, erbt unverhofft das Hutgeschäft samt Mietshaus ihrer Tante Gerda und lässt kurzerhand ihr altes Leben in Berlin hinter sich und zieht zurück nach Bonn, den Ort ihrer Kindheit. Vor zehn Jahren war sie Hals über Kopf von dort weggezogen und seitdem nie mehr zurückgekehrt. Doch Charlie ist fest entschlossen: Sie wird hier ihr eigenes Hutgeschäft eröffnen!
Und tatsächlich ist der Anfang gar nicht so schwer wie gedacht, denn Edita, die rüstige Freundin ihrer Tante, und Sarah, die Besitzerin des Cafés »Frau Holle«, stehen ihr mit Rat und Tat und Zimtschnecken zur Seite.
Aber Charlie trifft auch auf ihre einstige große Liebe, den Schuhmacher Leo. Er war der Grund, dass Charlie damals nach Berlin zog und auch jetzt bringt er ihr Herz wieder ins Stolpern.
Und dann ist da ja auch noch Frank, Editas Neffe, der Charlie einfach nicht aus dem Kopf gehen will und der für jedes Problem eine charmante Lösung findet.
Als dann auch noch der Anruf einer bekannten Opernsängerin für einen Großauftrag eingeht ist das Chaos perfekt …
Mit »Frau Holles« berühmtem Rezept für Zimtschnecken!
Über Anne Labus
Anne Labus, Jahrgang 1957, lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Udo Weinbörner, in der Nähe von Bonn. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau arbeitete sie unter anderem als selbständige Fitness- und Pilatestrainerin. Die Leidenschaft für das Reisen hat sie an ihren Sohn vererbt, der auf Hawaii seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Die Autorin entspannt sich beim Kochen, liebt Bergtouren und lange Strandspaziergänge. Inspirationen für ihre Romane findet sie in Irland und Italien oder auch auf Spiekeroog.
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Anne Labus
Der kleine Hutladen zum Glück
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Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Nachwort
Frau Holles Zimtschnecken
Impressum
Eigentlich wollte sie nie wieder einen Fuß in diese Stadt setzen, aber nun hatte der kalte Novemberwind sie vom Bahnhof hierher geweht. Charly stand frierend in der Bonner Altstadt vor dem schmalen, hohen Haus in der Breiten Straße. Sie stellte ihren Rollkoffer vor das Schaufenster.
»Wegen Trauerfall geschlossen« las sie auf einem Pappschild, das an der Eingangstür hing. Ein altmodischer Holzrollladen vor dem kleinen Schaufenster verhinderte einen Blick hinein. Über der Eingangstür hing noch das alte Firmenschild »Gerdas Hutmoden«.
Umständlich kramte Charly in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund, den der Notar ihr gestern ausgehändigt hatte.
Was hatte sich Tante Gerda nur dabei gedacht, so früh zu sterben und ihr das Haus samt Laden zu vererben? Sicher träumte Charly schon lange davon, einen eigenen Hutladen zu betreiben, aber doch noch nicht jetzt. Mit dreißig fühlte sie sich einfach zu jung dafür. Sie war sich auch noch nicht sicher, ob ein Hutgeschäft in dieser Gegend auch heute noch genügend zahlungskräftige Kunden anlocken würde. Denn außer dem kreativen Aspekt musste auch der finanzielle stimmen, so viel wusste Charly.
Die Ladentür ließ sich nur schwerfällig öffnen, und die alte Ladenglocke schepperte zur Begrüßung. Charly tastete nach dem Lichtschalter und war froh, als der Kronleuchter den Raum hell erleuchtete.
Da war es wieder, dieses Gefühl der Vertrautheit, dieser Geruch, den sie seit ihrer Kindheit so geliebt hatte. Es roch nach Staub, Filz und einer geheimen Zutat, von der Tante Gerda immer behauptet hatte, es sei ein magischer Duft, der die Kundinnen zum Kauf verführen könne. Hier hatte sich wirklich nichts verändert: an den Wänden Glasvitrinen voller Damenhüte, Kreationen vergangener Zeiten, und dann dieser alte Ladentisch mit den Schubladen voller feiner Lederhandschuhe und obendrauf die alte Kasse.
Charly erinnerte sich daran, wie oft sie als kleines Mädchen auf diesem Tisch gesessen und den Kundinnen bei der Anprobe zugesehen hatte.
»Wenn ich mal groß bin, will ich auch Hüte machen!«, hatte sie damals gesagt und Tante Gerda in der angrenzenden Werkstatt über die Schulter geschaut.
Damals durfte sie an einem Probehut ihre ersten Nähversuche wagen und eine Schleife festnähen. So entstanden nach und nach die ersten Kreationen à la Charly, die von Tante Gerda stolz im Schaufenster präsentiert wurden, natürlich unverkäuflich.
Charly schob den schweren roten Samtvorhang zur Seite, der den Laden von der Werkstatt trennte, und nieste heftig, als ihr eine Staubwolke entgegenflog. Dunkel war es in dem kleinen Arbeitsraum, die altmodische Übergardine noch zugezogen, gerade so, als wäre Gerda noch oben in ihrer Wohnung.
Durch das vergitterte Werkstattfenster schaute man in den kleinen Hinterhof, in dem sich eine alte Kastanie zwischen den hohen Hauswänden gen Himmel reckte. Der perfekte Ort für eine kleine Kaffeepause in der Mittagssonne. Wie oft hatten Gerda und sie dort draußen auf zwei wackeligen Gartenstühlen gesessen und sich die Sonne auf die Nase scheinen lassen?
Jetzt, im November, wirkte der Hinterhof grau und hässlich und man konnte sich kaum vorstellen, wie schön es unter der blühenden Kastanie im Frühling war.
Charly setzte ihre Werkstattinspektion fort. Auch hier hatte sich nichts verändert. Hohe Holzregale an der einen Wand, in denen sich Hutstumpen, halb fertige und fertige Hüte stapelten. Im untersten Regalfach Kisten voller Ripsbänder, Tüll und Federn. Nähgarne, nach Farben sortiert, und die passenden Nadeln auf einem Nadelkissen daneben. Der schwere Werkstatttisch vor dem Fenster mit einem Küchenstuhl davor wartete nur darauf, von ihr wieder mit kreativem Chaos überhäuft zu werden. Hinten in der Ecke die alte Pfaff-Nähmaschine. »Kräftig und solide wie ein Ackergaul«, hatte Tante Gerda gesagt. »Das wichtigste Utensil für mich!« Und natürlich der alte Hutweiter und das schwere Bügeleisen auf der Fensterbank. Alles war an seinem vertrauten Platz und wollte von Charly wieder zum Leben erweckt werden.
»Ach, Tante Gerda, warum kannst du nicht gleich wieder runterkommen und zum nächsten Hut greifen? Aber du musstest dich ja von diesem Schlaganfall umhauen lassen und gleich sterben und das kurz vor deinem 70. Ich hätte dich so gerne noch einmal besucht, mit dir zusammengearbeitet!«
Charly wurde jäh aus ihren Grübeleien gerissen, als die Ladenglocke bimmelte. »Hallo, wer ist denn dort hinten?«, tönte es aus dem Laden. Hastig schob Charly den Vorhang zur Seite und entdeckte eine kleine, sehr elegante Dame ganz in Lila gekleidet.
»Frau Müsch, sind Sie das wirklich?« Sie sprang auf die alte Dame zu und umarmte sie herzlich. »Wie ich mich freue, Sie wiederzusehen. Sie wohnen doch noch oben?«
»Ach, Charlotte, ich hätte dich fast nicht wiedererkannt. Du bist ja eine richtige Dame geworden. Chic bist du in dem grauen Hosenanzug und mit dem Hütchen auf deinen Locken.« Edita Müsch musterte Charly aufmerksam von oben bis unten. »Man sieht dir die Großstädterin an, mein Mädchen! Ich darf doch noch Du sagen?«
»Ich bestehe darauf, aber sagen Sie doch Charly zu mir, das klingt nicht so altmodisch.«
»In Ordnung. Aber dann nenn mich bitte auch Edita und sag Du. Warum kommst du nicht erst mal mit nach oben und erzählst mir alles über dich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Edita aus dem Laden hinaus und öffnete die schwere, hohe Haustür direkt neben dem Hutgeschäft.
»Na komm, ich habe gerade eine Möhrensuppe auf dem Herd. Die mochtest du doch als kleines Mädchen schon so gerne.«
Charly ließ ihren Koffer im Laden stehen, verschloss sorgfältig die Ladentür und folgte Edita in den Hausflur nach nebenan.
»Reinster Jugendstil«, hatte Tante Gerda ihr damals erklärt. »So ein Treppenhaus mit schmiedeeisernem Geländer und original Fußbodenfliesen von 1920 findest du heute nur noch ganz selten in Bonn.«
Die durchgetretene Holztreppe wurde von einer alten Art-déco-Lampe mehr schlecht als recht beleuchtet, nur das kleine Flurfenster ließ noch zusätzliches Tageslicht herein.
Forschen Schrittes marschierte Edita die zwei Stockwerke zu ihrer Wohnung hinauf und öffnete die Wohnungstür. Auch hier schien die Zeit stehengeblieben: immer noch die Biedermeier-Möbel im Wohnzimmer mit der hohen Stuckdecke.
»Komm mit in die Küche, dort ist es wärmer«, meinte Edita. »Hohe Decken machen was her, schlucken aber die ganze Wärme. Setz dich doch auf die Eckbank, auf deinen alten Stammplatz. Da hast du schon als Kind gerne den Grießbrei gelöffelt.«
»Das weißt du noch, Edita?« Charly staunte. »Ich muss damals fünf Jahre alt gewesen sein, als Tante Gerda mich zum ersten Mal in den Ferien hierhergeholt hat.«
»Und dann bist du fast täglich hier raufgekommen, wenn es dir in der Werkstatt zu langweilig wurde, und hast mir gezeigt, was du Tolles genäht hast. Deinen ersten Hut habe ich noch heute auf der Kommode im Schlafzimmer. Aber jetzt lass uns erst mal essen, damit wir etwas Warmes in den Bauch bekommen.«
Nach dem zweiten Teller Möhrensuppe und einer Portion Schokoladenpudding hielt es Edita vor Neugierde offenbar nicht mehr aus.
»Erzähl doch mal, warum du vor acht Jahren so plötzlich verschwunden bist. Ich kam damals von meiner Kur in Franzensbad zurück, und du warst weg. Du hattest gerade erst die Gesellenprüfung mit Bravour bestanden und wolltest mit Gerda den Laden ummodeln. Ihr hattet doch so viele gemeinsame Pläne.«
»Ja, das stimmt. Aber hier konnte ich einfach nicht mehr bleiben, nicht nach dem, was Leo mir angetan hatte. Das war zu viel für mich.«
»Jetzt mal der Reihe nach, Charly, ich versteh nur Leo.«
Und dann berichtete Charly ihr, wie sie damals ihre große Liebe getroffen und wieder verloren hatte. »Leo arbeitete in der Schuhwerkstatt unten, am Anfang der Breiten Straße. Du weißt ja, dass ich fast immer hochhackige Schuhe trage. Ich bin schließlich nicht die Größte. Diese hohen Hacken sind mir damals vor dem Buchladen zum Verhängnis geworden. Kurz bevor ich meinen neuen Krimi abholen konnte, blieb ich mit einem Absatz im Kopfsteinpflaster hängen, stolperte und fiel der Länge nach auf die Straße. Sofort sprang ein junger Mann von gegenüber zu Hilfe, zog mich sanft nach oben und meinte, den gebrochenen Absatz würde er schnell wieder festmachen können. Dabei hakte er mich unter, und ich stolperte neben diesem schlaksigen, gut aussehenden Kerl bis zum Schuhgeschäft. Ich bekam den besten Espresso meines Lebens, und mein Schuh einen neuen Absatz. Ja, und seitdem waren wir dann unzertrennlich, der große, schlanke Schuhmacher und die kleine pummelige Hutmacherin. Das ging vier Jahre so gut, dass ich in Gedanken schon meinen Hochzeitshut entworfen hatte. Doch dann kam dieser verflixte Rosenmontag vor acht Jahren. Ich lag mit Angina im Bett, und Leo ging alleine zur Karnevalsfete in seine Lieblingskneipe, eben ein echter Bonner Junge. An diesem Abend traf er Sibille, und aus einem lockeren Karnevalsflirt entwickelte sich schnell ein Verhältnis, und Sibille wurde schwanger. Da hab ich meine Koffer gepackt und bin Hals über Kopf nach Berlin gefahren. Dort konnte ich mit meinem guten Abschlusszeugnis und Gerdas Referenzen einen super Job bei einem renommierten Mode- und Hutladen in der Friedrichstraße ergattern. Natürlich wäre ich lieber bei Tante Gerda geblieben und hätte unseren kleinen Hutladen auf Vordermann gebracht. Aber Gerdachen hatte volles Verständnis für meine Flucht und hoffte darauf, mich bald wieder in Bonn zu sehen.«
»Und doch musste sie erst sterben und dich zur Erbin machen, damit du zurückkommst! Traust du dir denn zu, den Laden zu schmeißen, und bist du wirklich über Leo hinweg? Was, wenn er dir wieder über den Weg läuft?«, wandte Edita ein.
»Ich freue mich zwar schon riesig darauf, den Laden umzumodeln, aber vor dem Bürokram hab ich richtig Bammel. Wenn ich auch in der Zwischenzeit auf der Meisterschule Buchführung gelernt habe, sind mir Zahlen doch immer noch zuwider, und ich weiß nicht, ob ich auch in der Lage bin, die Finanzen in den Griff zu kriegen. Während meiner Berlin-Zeit habe ich sparsam gelebt, bin extra in eine WG gezogen, um mir ein paar Rücklagen für die geplante Selbstständigkeit zu schaffen. Ob die 5000 Euro ausreichen, eine Durststrecke zu überbrücken, bis der Laden richtig läuft, wird sich erst zeigen. Ach, und die Sache mit Leo ist nun so lange her, der kann mir ruhig über den Weg laufen, das ist mir schnuppe.«
Edita bot an, ihr jemanden für die Buchführung zu schicken, der das auch nebenbei machen könne. Sie wolle sich darum kümmern. »Aber erst mal musst du die beiden Mädels vom Dachgeschoss kennenlernen, sind ja schließlich deine Mieterinnen. Weißt du was? Komm doch heute Abend gegen acht auf ein Glas Wein zu mir, dann lernst du die zwei kennen und kannst ihnen gleich die Angst vor der neuen Vermieterin nehmen. Die beiden fürchteten sich schon vor einem Miethai oder so was.«
Charly bedankte sich für das leckere Mittagessen. Danach wuchtete sie ihren Koffer aus dem Laden in die erste Etage in Tante Gerdas Wohnung. Das war jetzt also ihr neues Zuhause.
Gut, dass die Tante fast den gleichen Geschmack gehabt hatte wie sie. Alles war gemütlich, aber auch sehr zweckmäßig eingerichtet. Im Wohnzimmer stand immer noch das rote Samtsofa. Der Ohrensessel mit der Leselampe vor dem deckenhohen Bücherregal lud wie früher zum Entspannen ein. Selbst an der Auswahl von Krimis und historischen Romanen hatte sich nichts geändert. In der Küche befand sich die gleiche Eckbank wie bei Edita. Tante Gerda hatte das kleinste Zimmer zu ihrem eigenen Schlafzimmer gemacht, als Charly damals bei ihr einzog, und ihr das größere Zimmer zum Hof hinaus gegeben.
»Da hast du es ruhiger und kannst es dir so einrichten, wie du möchtest«, hatte sie gesagt.
Charly musste feststellen, dass Tante Gerda ihr Zimmer frisch tapeziert und auch einen neuen Teppich vor das Bett gelegt hatte, gerade so, als hätte sie geahnt, dass ihre Nichte bald wiederkommen würde.
Charly seufzte. Hier musste sie sich einfach wohlfühlen. Tante Gerda hätte es so gewollt und wäre sicher stinksauer, wenn sie den Laden nicht schmeißen würde.
Nachdem sie ihren Koffer ausgeräumt und verstaut hatte, setzte sie sich an den alten Schreibsekretär im Wohnzimmer und machte eine To-do-Liste für die nächsten Tage. »Wenn ich in einer Woche eröffnen will, muss ich morgen schon loslegen, sonst wird das nichts«, nahm sie sich vor. Ganz oben auf ihrer Liste stand der Lebensmittel-Einkauf, denn sie wusste genau, dass sie ohne eine ordentliche Grundlage im Bauch weder denken noch arbeiten konnte. Dann mussten der Laden inspiziert und die Hutbestände geprüft werden – was konnte sie noch gebrauchen, eventuell umarbeiten oder neu dekorieren? Die Holzteile der Vitrinen und der Ladentisch sollten in Pastellgrün frisch gestrichen und der alte Fußbodenbelag entfernt werden. Hoffentlich befand sich darunter wirklich so ein toller alter Fliesenboden wie im Hausflur, der musste dann nur ordentlich gereinigt werden und würde sicher toll aussehen. Natürlich auch neue Vorhänge und ein frisch dekoriertes Schaufenster.
Ein zaghaftes Klopfen an der Wohnungstür ließ sie aufschrecken.
»’tschuldigung, wenn ich störe.« Eine schlaksige junge Frau in Schlabberjeans und Pullover stand schüchtern im Flur und lächelte sie an. »Ich bin Silke von oben, Edita schickt mich, Sie zu holen.«
»Das hätte ich ja fast vergessen. Und du kannst mich gerne duzen.« Charly schnappte sich den Wohnungsschlüssel und folgte Silke durch den Hausflur nach oben. Edita und die andere Studentin, Helga, hatten es sich schon im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Es gab Rotwein und leckere Schnittchen.
»Mann, hab ich einen Hunger. Vor lauter Auspackerei habe ich ganz die Zeit vergessen«, entschuldigte sich Charly und biss beherzt in ein Käsebrot. »Also, ich bin Charlotte Neumeier, eure neue Vermieterin, aber bitte nennt mich Charly.«
Schnell stellten die Frauen fest, dass sie auf einer Wellenlänge lagen.
»Du bist genauso nett wie deine Tante«, fand Helga, und Silke nickte.
Es wurde noch ein sehr gemütlicher Abend, an dem Silke und Helga spontan beschlossen, bei der Ladenrenovierung zu helfen.
»Was studiert ihr zwei eigentlich?«, wollte Charly wissen.
»Silke studiert Jura, fünftes Semester, und ich Geschichte im sechsten Semester«, antwortete Helga, die die lebhaftere der beiden zu sein schien und genauso klein und pummelig wie Charly war, jedoch dicke braune Haare hatte.
»Helga liebt die guten alten Zeiten und kriecht am liebsten in engen Gassen und betagten Häusern herum«, verriet Silke, die vom Wein ganz rote Wangen hatte. »Sie schreibt gerade an ihrer Semesterarbeit über die alte Bonner Nordstadt, also unsere Altstadt. Find ich richtig interessant diesmal. Sonst sind es ja immer die ollen Römer, an denen sie rumdoktert.«
»Morgen fotografiere ich erst mal den alten Hausbestand. Dann katalogisiere ich das Ganze«, erklärte Helga. Sie freute sich über Charlys Interesse und war sofort bereit, ihr die fertige Hausarbeit zum Lesen zu bringen.
»Die Geschichte unserer Altstadt fasziniert mich. Ich bin gespannt, ob du auch etwas über mein Haus herausfindest«, regte Charly an.
Schon bald waren sich die Frauen einig, dass sie die perfekte Hausgemeinschaft seien.
»Deshalb werden wir dir auch bei der Ladenrenovierung helfen.« Silke stand auf und prostete Charly zu.
In der Ferne schlug die Kirchturmuhr Mitternacht, als Charly leicht weinselig nach unten wankte und in ihr gemütliches Bett kroch. Das Glockengeläut der alten Stiftskirche, von den Bonnern liebevoll Kuhler Dom genannt, hatte sie schon als Kind in den Schlaf gewiegt. Und so war es auch heute. Draußen heulte der Novemberwind, und die Zweige des alten Kastanienbaums schlugen sanft an ihr Fenster.
Morgen fange ich mein neues Leben an, dachte sie noch, bevor ihr die Augen zufielen.
»Na, hab ich dich etwa geweckt?«, ertönte die strenge Stimme ihrer Schwester Ingrid bereits um 7.00 Uhr am nächsten Morgen am Handy. »Warum meldest du dich nicht mal bei mir? Ich habe mir langsam Sorgen gemacht.« Die zehn Jahre ältere Schwester lebte mit Mann Gunnar und den drei Söhnen in einem Vorort von Hannover, natürlich in sehr geordneten Verhältnissen, Reihenhaus, solide Jobs, beide Lehrer, und sie hatten wohlerzogene Kinder. Seit dem frühen Tod ihrer Eltern hatte sich Ingrid rührend um Charly gekümmert und sich für sie verantwortlich gefühlt.
»Du willst also wirklich diesen ollen Laden übernehmen und ganz nach Bonn ziehen? Ich verstehe einfach nicht, wie man einen so gut bezahlten und sicheren Job in einem der renommiertesten Modeläden in Berlin sausen lassen kann und auf volles Risiko geht.« Ingrid hatte den Hutladen und die Breite Straße nie gemocht. Nur einmal verbrachte sie als Kind ihre Ferien bei Tante Gerda. Danach weigerte sie sich und blieb lieber zu Hause. Außerdem hatten Tante Gerda und sie nie den richtigen Draht zueinander gefunden; Gerda, die flippige Putzmacherin, und Ingrid, das kluge, belesene Kind, das schon sehr früh wusste, dass es einmal Lehrerin werden wollte. Ganz anders Charly, die jedes Mal aufblühte, sobald sie in die Breite Straße zurückkehrte.
Sie liebte die Bonner Nordstadt, die von ihren Anwohnern liebevoll zur Altstadt ernannt worden war, obwohl die eigentliche Altstadt eher um das Münster herum lag und in Richtung Rhein. So hatte sich der Name auf das erst einhundert Jahre alte Arbeiterviertel im Bonner Norden verlagert. Die neue Altstadt hatte sich den Charme eines Handwerkerviertels mit vielen kleinen Läden, Gastwirtschaften und hohen Wohnhäusern aus der Gründerzeit erhalten.
»Natürlich bleibe ich in Bonn und trete Gerdas Erbe an. Du weißt genau, dass ich schon immer meinen eigenen Hutladen wollte. Das ist jetzt meine Chance, außerdem liebe ich meine ›Bonner Altstadt‹ und könnte mir keinen besseren Ort zum Leben vorstellen«, konterte Charly, beschwichtigte ihre große Schwester aber sofort, indem sie nach den drei Neffen fragte und liebe Grüße an den Schwager bestellte.
»Ich ruf dich bald zurück. Dann quatschen wir ausführlich«, versprach sie und beendete das Gespräch. Von Ingrid würde sich Charly heute nicht die Laune verderben lassen. Sie schaltete das Radio an, und als ihr Lieblingssong gespielt wurde, sang sie laut mit. Schnell waren die Zweifel verflogen, die ihre Schwester so geschickt gesät hatte.
Eine Stunde später betrat sie zwar mit leerem Magen, aber gut gelaunt den Bioladen, der sich ihrem Geschäft gegenüber an der Ecke zur Wolfstraße befand. Eine junge Frau in Jeans und Pullover räumte gerade frisches Brot in die Holzregale. Es duftete verführerisch.
»Guten Morgen.« Charly freute sich, als sie auf der Theke ihr Lieblingsmüsli entdeckte. »Klasse, dass ihr schon so früh auf habt. Ich bin übrigens Charlotte Neumeier und werde demnächst den Hutladen gegenüber wieder eröffnen.«
»Habe schon gehört, dass du zurückgekommen bist, um den Laden von Gerda zu übernehmen. Ich heiße Dörte. Max und ich haben den Bioladen auch erst vor zwei Jahren aufgemacht. Läuft aber super, und wir fühlen uns sehr wohl hier in der Altstadt.«
Dörte wog Äpfel ab und reichte sie Charly. »Möchtest du heute Abend nicht zu unserem Stammtisch kommen? Die Geschäftsleute treffen sich regelmäßig nebenan beim Spanier. Dann könntest du die anderen kennenlernen und erfahren, welche Aktionen wir planen.«
»Gute Idee. Das mache ich gern«, freute sich Charly über die Einladung.
Mit einem gut gefüllten Einkaufskorb und froh darüber, vielleicht eine neue Freundin gefunden zu haben, kehrte sie in ihre Wohnung zurück, um sich mit einem ausgiebigen Frühstück zu stärken. Sie verschwendete nicht viel Zeit mit ihrem Outfit, wählte die bequeme Arbeitsuniform, wie Tante Gerda immer gesagt hatte, in Form von Jeans, Bluse und Blazer und natürlich der obligatorischen Baskenmütze, um sich direkt auf den Weg zum Stadthaus zu machen.
Das in den siebziger Jahren gebaute »Ungetüm im Stadtbild«, wie die Bonner ihr Stadthaus damals zynisch genannt hatten, befand sich direkt an der Ecke Schützenstraße und Breite Straße. Zur Bauzeit war es das höchste Gebäude der Stadt gewesen.
An diesem Morgen hatte Charly Glück und konnte ihre Gewerbeanmeldung fast ohne längere Wartezeit erledigen. Als sie auf den erhöhten Stadthausplatz hinaustrat, blieb sie für einen Moment stehen und schaute in die Breite Straße hinein. Über dem Eingang prangte der Schriftzug »Altstadt« in großen blauen Buchstaben. Sie stellte sich vor, wie die zahlreichen japanischen Kirschbäume, die in der gesamten Altstadt wuchsen, im nächsten Frühjahr die Straßen in ein Meer von pinkfarbenen Blüten verwandeln und die vielen Besucher, mit Handys und Fotoapparaten bewaffnet, die Altstadt bevölkern würden, um dieses Schauspiel festzuhalten.
Ganz in Gedanken machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Laden. Vor dem Schuhgeschäft wechselte sie vorsichtshalber die Straßenseite. Auf keinen Fall wollte sie Leo hier in die Arme laufen, jetzt noch nicht! Doch da tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter, und als sie sich erschreckt umdrehte, wäre sie fast mit ihm zusammengestoßen.
Mit schelmischem Lächeln aus den schönsten blauen Augen sah er sie an, und ihr wurde ganz weich in den Knien, als sie seine tiefe Stimme nach all den Jahren wieder vernahm. »Seit wann bist du wieder in Bonn?«, fragte er mit vorwurfsvollem Unterton. »Warum hast du dich damals aus dem Staub gemacht? Ich hätte dir gern alles erklärt. Es tut mir so leid.« Zärtlich strich er mit der rechten Hand eine vorwitzige Locke aus ihrem Gesicht, die sich unter der roten Baskenmütze hervorgewagt hatte.
Darauf war Charly nicht vorbereitet gewesen. Hatte sie doch bis heute geglaubt, dass er ihr gleichgültig sei, und nun dieses Herzstolpern. Schnell fasste sie sich wieder. »Wie geht es eigentlich Sibille und eurem Kind? Das muss doch jetzt auch schon acht Jahre alt sein?«, versuchte sie, ihm geschickt auszuweichen.
»Nils ist sieben Jahre alt und lebt bei seiner Mutter in Remagen. Das mit Sibille und mir war ein großer Fehler. Wir passten einfach nicht zusammen, und deshalb ist sie noch in der Schwangerschaft zu ihren Eltern gezogen. Nils ist jedes Wochenende bei mir. Ein toller Junge. Du wirst ihn bald kennenlernen.«
Jetzt wurde Charly wütend. »Leonhard Hauser, ich bin nicht zurückgekommen, um wieder mit dir zusammen zu sein. Das mit uns ist vorbei! Ich werde Tante Gerdas Laden in ihrem Sinne weiterführen und endlich auf eigenen Beinen stehen. Für dich ist da kein Platz mehr!« Abrupt drehte sie sich um und hastete davon. Dabei wäre sie fast wieder mit dem Absatz im Kopfsteinpflaster stecken geblieben, vollführte aber einen kleinen Hopser und rettete sich auf die andere Straßenseite.
Aus dem Augenwinkel sah sie Leo mit hängenden Schultern zum Schuhgeschäft schleichen. Sie konnte sich genau vorstellen, wie enttäuscht er über ihre Abfuhr war. Niederlagen hatte er schon früher nicht so einfach weggesteckt. Wahrscheinlich hockte er jetzt in seiner Werkstatt und ließ seinen Frust an einem Schuh aus.
Auch sie hätte in diesem Moment am liebten eine Vase gegen die Wand geworfen. Warum nur löste dieser Kerl nach all den Jahren immer noch solche Gefühle in ihr aus? Genervt zog sie sich in ihre Werkstatt zurück. Gegen Wut half nur eins: kreative Arbeit. Also holte sie sich einen Hut aus der vorderen Vitrine, entfernte mit gekonnten Handgriffen Hutband und Feder von dem altmodischen Trachtenhut, um ihm dann mit Tüll und Schere eine neue Form und ein eleganteres Aussehen zu verpassen. Der Rand bekam unter Dampf mit dem schweren Bügeleisen einen schönen Schwung verpasst, und schon war ein extravagantes Modell à la Charly fertig. Sie setzte ihre neue Kreation auf einen gläsernen Hutständer mitten in das leer geräumte Schaufenster, drapierte noch etwas schwarzen Tüll darum und stellte dann das kunstvoll geschriebene Schild »Demnächst Neueröffnung« dazu.
Während draußen das Novembertief Ricarda die letzten Blätter durch die Altstadt wirbelte und immer wieder neue Regenwolken über Bonn schaufelte, herrschte im kleinen Hutladen emsiges Treiben. Silke und Helga hatten sich mit Farbe und Pinsel an den alten Vitrinenschränken und der Ladentheke ausgetobt. Jetzt strahlte alles in zartem Pastellgrün. Nach dem Entfernen des durchgetretenen Filzbodens waren tatsächlich wundervolle Mosaikfliesen zum Vorschein gekommen, die nach einer gründlichen Reinigung aussahen, als wären sie gerade erst verlegt worden.
Während die Mädchen vorne im Laden werkelten, hatte Charly schon zwanzig alte Hüte gereinigt, umgearbeitet oder mit neuen Hutbändern aufgehübscht. Einige Modelle von Tante Gerda konnten wieder so in die frisch gestrichenen Regale eingeräumt werden, wie sie waren.
»Fehlen nur noch die bestellten Herrenkappen und die Wintermützen«, meinte Charly, die sich dazu entschlossen hatte, auch ein kleines Sortiment für Herren anzubieten. »Schaut euch nur in der Stadt um, Mädels!«, hatte sie gesagt. »Überall die gepflegten Männerköpfe mit oder ohne Bart. Die brauchen im Winter eine stilvolle Kopfbedeckung.«
Als dann endlich die Bestellung eintraf, bekam auch das Schaufenster ein neues Outfit verpasst. Statt des alten Vorhangs, der das Schaufenster zum Laden hin abtrennte, hatte Charly bei »Schöne Bilder« in der Heerstraße ein altes Foto des Hutladens aus den Zeiten seiner Gründung vergrößern und auf Leinen drucken lassen. Victoria Hartmann, die Inhaberin, hatte ihr bereits eine Aufhängung mit Nylonfäden an der Rückseite angebracht, und so musste Charly das wunderschöne, riesige Bild nur noch an der Decke befestigen. Dort hing es als Abtrennung zwischen Schaufenster und Laden und bildete eine tolle Kulisse für die neuesten Hutkreationen, die an ganz zarten Nylonschnüren fast unsichtbar in verschiedenen Höhen im Schaufenster schwebten.
»Schaut mal!«, rief Charly ganz aufgeregt. »Die ersten Kunden drücken sich schon die Nasen am Schaufenster platt. Es wird Zeit, dass wir eröffnen!«
Jetzt mussten nur noch die Werbezettel verteilt und die Annoncen im »General-Anzeiger«, der »Rundschau« und dem kostenlosen Wochenanzeiger aufgegeben werden, dann konnte die Eröffnung stattfinden.
Der Spanier befand sich direkt gegenüber dem Bioladen an der Ecke zur Wolfstraße, nur wenige Schritte vom kleinen Hutladen entfernt. Charly liebte dieses typisch spanische Ambiente mit einfachen langen Holztischen und leiser spanischer Musik. Hier hatten Leo und sie ihr erstes echtes Date gehabt und sich bei Paella und Rotwein tief in die Augen geschaut.
Jetzt versuchte sie, den Gedanken an Leo zu verdrängen. Schließlich wollte sie den Abend dazu nutzen, neue Kontakte zu knüpfen und ihre Ideen zur Kundenwerbung für die Altstadt mit einzubringen. Soweit kam es noch, dass diese alte Geschichte sie heute in ihren Plänen ausbremsen würde.
Kurz nach acht öffnete sie die schwere Eingangstür des Ecklokals und wurde sofort mit einem lauten »Hallo« von Dörte begrüßt. Die zog sie am Ellbogen mit sich, und Charly hatte kaum noch die Möglichkeit, ihren Mantel an den Haken zu hängen.
»Komm, ich stell dir alle vor. Einige wirst du ja noch von früher kennen.«
Auf einem der längsten Holztische stand ein Schild mit der Aufschrift »Stammtisch der Altstadt-Freunde«. Dort hatten sich schon einige der Geschäftsleute zusammengesetzt und diskutierten eifrig über den neuesten Stadtklatsch.
»Also, Leute! Alle mal herhören!«, verschaffte sich Dörte Gehör. »Einige von euch werden Charlotte Neumeier sicher noch von früher kennen. Damals machte sie bei ihrer Tante im Hutladen die Ausbildung zur Modistin, und jetzt, nach Gerdas Tod, wird sie den Laden weiterführen. Ist doch richtig?«, wollte sie von Charly wissen und nickte ihr aufmunternd zu.
Charly schüttelte eifrig Hände und versuchte, sich Namen und Gesichter von Ladenbesitzern, Restaurantbetreibern und Inhabern türkischer Lebensmittelläden zu merken.
Hartmut Löschke, der Inhaber der »Altstadt-Buchhandlung«, wollte wissen, ob sie immer noch am liebsten die Krimis von Fred Vargas las, und hatte gleich ein paar Leseempfehlungen für sie.
Gerade als sie sich zu den anderen an den Tisch setzen wollte, wurde die Tür aufgestoßen, und Leo strebte mit forschen Schritten direkt auf sie zu. »Wie schön, dass du auch an unserem Treffen teilnimmst! Bestimmt hast du aus Berlin ein paar kreative Ideen zur Belebung unserer Altstadt mitgebracht. Oder bist du dir dafür zu fein?«, sagte er und zwinkerte ihr dabei verschwörerisch zu.
Charly versuchte sachlich und kühl zu bleiben: »Zuerst einmal freue ich mich darauf, die Gruppe kennenzulernen, und bin gespannt, was ihr für die Adventszeit geplant habt«, wich sie geschickt aus und ignorierte seinen spöttischen Unterton. Sie setzte sich zwischen Dörte und Sarah, die Inhaberin von »Frau Holle«, eine hübsche junge Frau in ihrem Alter.
»Ich wollte längst schon mal auf einen Kaffee in euren tollen Laden kommen, hatte aber so viel mit dem Umbau zu tun. Ich bin total begeistert von dem Konzept, Mode, Kunst und Café in einem Lokal zu vereinen.«
Sarah erzählte ihr, dass die Kunden, die auf einen Kaffee hereinkämen, sehr oft auch neugierig die neueste Mode beäugten, und so manche Kundin den Laden mit einem neuen Kleidungsstück verließ.
»Das muss ich mir unbedingt ansehen. Außerdem habe ich mich in einen roten Pullover aus dem Schaufenster verliebt. Der würde perfekt zu meiner Lieblingsbaskenmütze passen.«
Sie verabredeten sich zu einem gemeinsamen Frühstück bei »Frau Holle« für den nächsten Morgen.
Carlos, der Chef des Lokals, hatte bereits Rotwein, Wasser und mehrere Teller mit Tapas auf dem Tisch verteilt, sich zu ihnen gesetzt und alle aufgefordert, sich selbst zu bedienen.
Wieder war es Dörte, die die Gruppe zur Ordnung rief. Sie hatte einen Notizblock gezückt und las vor, was die Gruppe beim letzten Treffen besprochen hatte. Am ersten Adventssamstag sollte eine lange Verkaufsnacht mit Öffnungszeiten bis 22 Uhr stattfinden. In der »Altstadt-Buchhandlung« gab es an allen Samstagen eine Märchenstunde für Kinder, so dass die Eltern entspannt einkaufen konnten.
Die meisten Lokale wollten auch über Mittag kleine Gerichte anbieten, und in den Boutiquen sollte es zum Einkauf ein Glas Glühwein und Gebäck geben.
»Hat sonst noch jemand eine gute Idee?«, wollte Dörte wissen.
»Irgendwie müssen wir uns doch von den Geschäften am Marktplatz unterscheiden. Was könnte die Kunden denn dazu verleiten, den Weg zu uns in die Altstadt auf sich zu nehmen?«
Schüchtern meldete sich Charly zu Wort: »Was haltet ihr von einer Adventsverlosung? Bei jedem Kauf erhält der Kunde ein Los und nimmt damit an unserer Verlosung teil. Die Gewinne werden von unseren Geschäften und Lokalen spendiert. Das können Kleinigkeiten sein oder auch Gutscheine.«
»Genau so machen wir das! Das setzen wir dann nächste Woche mit in die Annonce in den ›General-Anzeiger‹, damit erreichen wir die meisten Leute.« Dörte bekam vor Aufregung rote Wangen und kritzelte eifrig auf ihren Block.
»Moment, das muss jetzt aber erst mal abgestimmt werden!«, wandte sofort ein älterer Herr aus der hinteren Ecke ein, der sich als Immobilienmakler vorgestellt hatte und gar nicht zu der Gruppe passte.
»Klar doch, zuerst wird abgestimmt!« Dörte ließ sich das Heft nicht so einfach aus der Hand nehmen.
»Wenn wir Dörte nicht hätten, mit ihrer resoluten Art, würden wir nie was Ordentliches zustande bringen. Die Frau ist Gold wert!«, flüsterte Sarah Charly verschwörerisch ins Ohr.
Natürlich waren bis auf den Skeptiker alle für die Aktion und ließen sich eifrig in die Liste für die Gewinne eintragen. Charly wollte drei Hüte spendieren, und Sarah würde Frühstücksgutscheine abgeben. Aus dem Bioladen kamen gefüllte Obstkisten, und in der Buchhandlung gab es natürlich Bücher zu gewinnen. Nachdem Dörte alles sorgfältig notiert und Victoria versprochen hatte, sich um den Druck der Lose zu kümmern, konnte der Abend bei Wein und netten Gesprächen beschlossen werden.
Es war schon fast ein Uhr nachts, als das Licht beim Spanier ausging, und alle nach Hause eilten.
Charly hatte sich bei Dörte und Sarah eingehakt, und sie bummelten gemeinsam die Breite Straße hinunter, um zuerst Dörte nach Hause zu bringen, die direkt über dem Bioladen mit Mann und den achtjährigen Zwillingen wohnte.