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Moya liebt ihre Arbeit als Töpferin. Doch als ihr Bruder Aidan plant, den Betrieb auf industrielle Fertigung umzustellen, erwägt sie den Schritt in die Selbständigkeit. Ihr Kollege Robin, der schon lange heimlich in Moya verliebt ist, bestärkt sie in ihrem Beschluss.
Mit ihrem Zwillingsbruder Liam und ihrem Rauhaardackel Mr. Miller reist sie in das beschauliche Busby. Vom ersten Augenblick an spürt sie eine Verbundenheit mit diesem Ort und seinen warmherzigen Bewohnern. Auf einer Wanderung entdeckt sie ein verlassenes Cottage mit einer stillgelegten Töpferei und ist sofort von diesem geheimnisvollen Ort gefangen. Sie wird hier einen Neuanfang wagen! Sie bittet Robin, ihr bei der Renovierung der alten Töpferei zu helfen. Doch als Robins Mutter erkrankt drohen alle Pläne zu zerbrechen …
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Seitenzahl: 455
Moya liebt ihre Arbeit als Töpferin. Doch als ihr Bruder Aidan plant, den Betrieb auf industrielle Fertigung umzustellen, erwägt sie den Schritt in die Selbständigkeit. Ihr Kollege Robin, der schon lange heimlich in Moya verliebt ist, bestärkt sie in ihrem Beschluss.
Mit ihrem Zwillingsbruder Liam und ihrem Rauhaardackel Mr. Miller reist sie in das beschauliche Busby. Vom ersten Augenblick an spürt sie eine Verbundenheit mit diesem Ort und seinen warmherzigen Bewohnern. Auf einer Wanderung entdeckt sie ein verlassenes Cottage mit einer stillgelegten Töpferei und ist sofort von diesem geheimnisvollen Ort gefangen. Sie wird hier einen Neuanfang wagen! Sie bittet Robin, ihr bei der Renovierung der alten Töpferei zu helfen. Doch als Robins Mutter erkrankt drohen alle Pläne zu zerbrechen …
Anne Labus, Jahrgang 1957, lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Udo Weinbörner, in der Nähe von Bonn. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau arbeitete sie unter anderem als selbständige Fitness- und Pilatestrainerin. Die Leidenschaft für das Reisen hat sie an ihren Sohn vererbt, der auf Hawaii seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Die Autorin entspannt sich beim Kochen, liebt Bergtouren und lange Strandspaziergänge. Inspirationen für ihre Romane findet sie in Irland und Italien oder auch auf Spiekeroog.
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Anne Labus
Die kleine Töpferei im Glück
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36 — Einen Monat später
Soda Bread, wie Moya es am liebsten mag:
Liebe Leserinnen und Leser,
Was wäre eine Autorin ohne all ihre hilfreichen Geister!
Impressum
Wer von diesem zauberhaften Roman begeistert ist, liest auch ...
Der Himmel verfinsterte sich. In der Ferne grollte Donner.
Dann frischte der Wind auf. Die angelehnte Metalltür des Lagers schnappte ins Schloss.
»Licht an!«, knurrte der Töpfermeister.
Sein Lehrling spurtete zum Hauptschalter neben dem Rolltor. Die langen Neonröhren über den Drehscheiben flackerten kurz auf, bevor sie endgültig den Geist aufgaben.
»Das ist kein gutes Zeichen«, unkte die alte Maeve. Sie legte den Pinsel aus der Hand, stellte den Krug, den sie bemalte, vorsichtig zurück auf den Tisch und starrte mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster. »Der Arzt ist schon viel zu lange in der Villa. Ich habe so ein mulmiges Gefühl.«
»Hör auf zu faseln, Maeve«, tadelte sie der Meister. »Sieh zu, dass die Bestellung fertig wird. Der Krug soll heute noch in den Ofen.«
Im Park fuhr krachend ein Blitz in die alte Eiche. Nebenan im Lager polterte es, als ob jemand absichtlich einen Topf gegen die Wand warf. Dann war es still. So schnell, wie das Gewitter gekommen war, zog es ab. Kurz darauf klarte der Himmel auf. Gleißendes Sonnenlicht flutete in die Werkstatt.
»Chef?« Das schreckensbleiche Gesicht des Lehrlings tauchte in der Tür auf. »Etwas Schreckliches ist passiert.«
Der Töpfermeister stoppte seine Scheibe, stolperte dem Jungen hinterher ins Lager. Fassungslos stand er vor einem Scherbenhaufen. »Das waren die letzten Töpfe, die unser Senior gedreht hat. Wie konnte sich das Brett aus der Verankerung lösen?«
In diesem Moment fuhr der Wagen des Bestatters über den Werkshof zur Villa.
Sie knallte den Tonklumpen auf den rotierenden Scheibenteller, dass der Schlicker nur so spritzte. »Macht doch alle, was ihr wollt«, schrie sie wutentbrannt. Mit eisernem Griff umfasste Moya den Ton mit beiden Händen, zwang ihn in die Mitte der Scheibe. Dann drückte sie ihre Daumen hinein und brach den Ton auf. Sie zuckte kurz zusammen, als das schwere hölzerne Rolltor hinter ihr zur Seite geschoben wurde. Überzeugt davon, dass es nur Aidan sein konnte, mit dem sie sich heftig gestritten hatte, brummte sie, ohne aufzusehen. »Was willst du noch?«
»Reagierst du deinen Frust wieder mal am Ton ab?«, fragte ihr Zwillingsbruder Liam mit weicher Stimme.
Moya zuckte mit den Schultern. »Heute gelingt mir sowieso nichts mehr.« Sie fuhr mit dem Schneidedraht unter den Tonzylinder, um ihn vom Scheibenteller zu lösen. »Warst du schon in der Höhle der Löwen?« Sie betätigte den Ausschalter mit dem rechten Knie. Augenblicklich stoppte die Scheibe in ihrer Bewegung. Moya entsorgte ihr Werk in einem Eimer, wusch sich die Hände nachlässig in einem kleinen Topf Wasser, der auf der Fensterbank stand, und wischte sie an der Schürze ab. Ihr Bruder lehnte entspannt am Rolltor.
»Komm her, Lieblingsbruder. Ich brauche eine Umarmung.« Sie kletterte vom Drehstuhl und eilte zu ihm.
Doch Liam hielt sie mit ausgestrecktem Arm auf Abstand. »Sobald du deine Arbeitskluft abgelegt hast. Oder möchtest du mein neues Outfit ruinieren?«
»Auf keinen Fall.« Moya legte den Kopf schief und beäugte seine hautenge schwarze Designerjeans, zu der Liam einen grauen Kaschmirpullover trug. »Gefällt mir. Hast du die entworfen?« Ohne seine Antwort abzuwarten, marschierte sie aus der Werkstatt in den angrenzenden Umkleideraum. »Der Letzte macht das Licht aus«, rief sie über ihre Schulter.
»Auch darin sind wir zwei uns ähnlich«, stellte er schmunzelnd fest. »Wir sind am produktivsten, wenn die anderen schon längst Feierabend haben. In meinem Atelier geht es nicht anders zu als hier in der Werkstatt – wie in einem Bienenstock. Tagsüber kann ich bei all dem Gewusel nur die Routinearbeit erledigen. Zum kreativen Schaffen brauche ich die Einsamkeit.«
Moya hängte ihre mit Ton beschmierte Schürze an einen Nagel und eilte in die offenen Arme ihres Bruders. »Du fehlst mir, Liam«, seufzte sie. »Ohne dich fühle ich mich halb.« Sie kuschelte sich an seinen flauschigen Pullover.
Er nahm ihr die Schlägerkappe vom Kopf und fuhr mit den Fingern durch ihre roten Locken. »Was bedrückt dich wirklich, Schwesterchen? Schließlich hast du mich erst letztes Wochenende in Dublin besucht.«
»Hat dir Aidan nichts gesagt?« Moya kauerte sich auf die Holzbank vor dem Spind und musterte ihn.
Ihr Bruder ging vor ihr in die Hocke. »Nicht direkt. Nur irgendwas von einer dringend notwendigen Fusion. Die Töpferei schreibt wohl momentan rote Zahlen.« Er fasste unter ihr Kinn, hob es sanft an und schaute ihr fest in die Augen. »Darüber können wir später sicher noch ausführlich reden. Momentan interessiert mich etwas ganz anderes. Gibt es einen neuen Mann in deinem Leben? Ich würde mich für dich freuen.« Er erhob sich und setzte sich neben sie.
»Ach, Li.« Moya schniefte. »Im Moment habe ich wirklich andere Probleme. Unser Bruder plant allen Ernstes die Fusion mit dem größten Souvenirhändler Irlands.«
»Das hört sich doch sehr vernünftig an. Ihr müsst euch den Absatzmarkt nicht länger mühsam erschließen. Eure Ware landet automatisch in jedem Souvenirshop der Insel.«
Moya zerrte eine Jeans und ein Sweatshirt aus dem Spind, zog ihre staubige Werkstattkleidung aus, schlüpfte in die saubere Alltagskleidung und stieg in ihre Sneakers. »Die Sache hat nur einen riesigen Haken«, knurrte sie. »Aidan will weg von der Handarbeit. Er plant eine Gießstraße. Massenproduktion!« Die letzten Worte spie sie förmlich aus. »Wenn Dad noch leben würde, hätte er das nie zugelassen.«
Liam stellte sich neben sie. Er legte einen Arm um ihre Schultern und schlug vor: »Du kannst doch deine handgefertigten Stücke weiterhin herstellen. Bau eine eigene feine Linie auf. Mach es wie ich. Meine Mode verkauft sich nur so gut, weil ich ausgefallene Einzelstücke kreiere, keine Durchschnittsware.«
Moya schüttelte seinen Arm ab, schaute ihm fest in die Augen. »Dann hilf mir, Aidan und Ma zu überzeugen. Allein schaffe ich das nicht.« Sie griff nach seinen Händen. »Bitte, Li.«
Ihr Bruder lächelte sie aufmunternd an. »Versuchen kann ich es ja. Aber du weißt schon, wie hartnäckig Aidan verhandelt. Dad hat ihm nicht ohne Grund die Leitung der Firma übertragen, bevor er starb.«
»Ich werde den Teufel tun und etwas gegen Dads Entscheidung sagen. Aidan war und ist der richtige Mann für den Job. Aber heute geht es nicht nur um Zahlen, es geht um den Fortbestand einer der ältesten Keramikfirmen Irlands. Wir haben einen Ruf zu verlieren.« Moya schob ihn vor sich her aus der Umkleide, löschte das Licht und schloss die Tür ab. Sie hatte sich in Rage geredet. Ihr Gesicht glühte, und wie stets, wenn sie angespannt war, verkrampften sich ihre Armmuskeln. »Wir beide …« Sie griff nach Liams Hand und drückte sie fest. »… haben nicht nur Dads große Statur, seine roten Haare und die grünen Augen geerbt. Er hat uns auch die Liebe zum Schöpferischen, zur Handwerkskunst weitergegeben. Aidan ist Kaufmann durch und durch. Das Töpferhandwerk hat er nur erlernt, weil er musste. Er hat den Geschäftssinn unserer Mutter.«
»Entspann dich, Mo.« Ihr Bruder strich ihr über die Unterarme. »Noch ist nichts entschieden.«
»Gehen wir noch ein paar Schritte durch den Park?« Moya bog auf den schmalen Kiesweg ein, der vom Firmengelände zur Villa führte.
Ihr Bruder legte den Arm um ihre Taille. »Erinnerst du dich noch, wie wir dort in der alten Kastanie unser Baumhaus gebaut haben?«
»Im Teepavillon am Teich hast du deine erste Freundin geküsst«, sagte Moya und lächelte. »Ich habe Schmiere gestanden, damit Aidan nichts davon mitbekam.«
»Der hatte es wirklich nicht leicht mit uns. Zwölf Jahre lang war er der Prinz in der Familie, das verwöhnte Einzelkind. Und als keiner mehr damit gerechnet hat, wird Ma wieder schwanger. Erst neulich hat er gesagt …« Liam veränderte seine Stimmlage: »›Von unserer Verwandtschaft habe ich damals nur noch die Hinterteile gesehen. Die hingen mit ihren Köpfen ständig in eurer Wiege. Ich war abgemeldet.‹«
Moya schüttelte sich vor Lachen. »Wenn ich die Augen schließe, habe ich das Gefühl, Aidan spricht.«
»Aber mal im Ernst, Mo.« Ihr Bruder fasste sie sanft am Arm, führte sie auf den breiten Zufahrtsweg zur Villa. »Zügle gleich dein Temperament und gib Aidan die Chance, seine Pläne zu erläutern. Du erreichst nichts bei ihm, wenn du deinen Dickschädel durchsetzen willst. Im Grunde genommen liebt er dich heiß und innig.«
»Ach ja? Warum hat er mir dann vorhin im Büro gesagt, ich solle mich nach anderen Räumlichkeiten umsehen? Mein Kunstkram, so seine Worte, passe nicht mehr in unser neues Konzept«, schnaubte Moya.
»Beruhige dich!« Liam knuffte sie in die Seite und deutete auf die Villa. Aidan stand in der offenen Tür. »Sicher bereut er längst, was er gesagt hat.«
»Mmh.« Sie schnaubte. Einen Versuch war es wert. Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf und eilte die acht Stufen zum Eingangsportal empor. »Du hast dich ja so fein gemacht, großer Bruder. Neuer Anzug?« Sie küsste den um einen halben Kopf kleineren Aidan auf die Wange. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern hatte er den untersetzten Körperbau und die schwarzen Haare ihrer Mutter geerbt.
Er schmunzelte und strich sich über die graue Weste. Anscheinend hatte ihr Kompliment seine Wirkung nicht verfehlt. »Wäre schön, du könntest dich vor dem Essen auch umziehen. Wir erwarten Gäste.«
Hinter ihm tauchte das Gesicht ihrer Mutter auf. Hester O’Grady, die zweiundsechzigjährige Witwe von Bruce O’Grady, streckte die Arme aus und strahlte sie an. »Meine Zwillinge, mal wieder Seite an Seite.« Sie küsste zuerst Liam, dann Moya auf die Wange und zog sie in den Flur. »In einer halben Stunde wird das Essen serviert. Macht euch doch in der Zwischenzeit frisch.«
Moya wollte schon widersprechen, da fing sie Liams Blick auf und gab nach. »Okay, wenn es unbedingt sein muss, verkleide ich mich eben.«
»Warte damit noch einen Moment, Schwesterchen«, rief ihr Liam zu, als sie schon auf dem Weg nach oben war. »Ich habe eine Überraschung für dich im Auto.« Er wandte sich an seine Mutter. »Für dich natürlich auch, Ma.«
Die Küchentür wurde einen Spalt geöffnet. Mit freudigem Bellen flitzte ein kleines braunes Fellknäuel die Treppe hinauf auf Moya zu. »Mr Miller, du alter Schlawiner. Hast du dir von Brenna wieder ein Leckerli abgeholt?« Sie kniete sich vor ihn, ließ es zu, dass der sechsjährige Dackelrüde ihr mit der Zunge über das Gesicht fuhr. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Sie lachte und hob ihn hoch. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, kuschelte er seinen Kopf in ihre Armbeuge und genoss es schwanzwedelnd, von Moya getragen zu werden. Sie setzte ihn am Fußende ihres Bettes ab, kraulte ihn hinter den Schlappohren. »Nach dem Essen gehen wir zwei noch Gassi«, erklärte sie, bevor sie im Bad verschwand.
Während sie duschte, hörte sie ihren Bruder mit dem Hund toben. »Mr Miller wird immer frecher«, rief er lachend.
Moya steckte den Kopf zur Badezimmertür hinaus. »Wo bleibt meine Überraschung? Ich bin frisch geduscht. Unterwäsche habe ich auch schon an. Was hast du diesmal für mich kreiert?«
»Ein kleines Schwarzes. Aber nicht irgendeins.« Liam reichte ihr eine silberne Papiertasche, auf der sein Logo »Li Fashion« prangte. »Ein Schlauch, den du sowohl als schulterfreies Kleid wie auch als Rock tragen kannst.«
Misstrauisch beäugte Moya den elastischen Stoff. »Wo ist da oben und unten?«
»Gibt es nicht. Zieh es einfach an.« Ihr Bruder drängte sie zum Ankleidespiegel am Fenster. »Ein trägerloser BH ist auch in der Tüte. Den wirst du brauchen.«
Rasch wechselte Moya ihren Büstenhalter und schlüpfte in den schwarzen Schlauch. Sie zog den Stoff über ihren Busen, zupfte am unteren Rand, bis das Kleid die perfekte Länge hatte, und drehte sich vor dem Spiegel. »Wow! Was für ein aufregendes Teil.«
Liam ging zu ihrem Kleiderschrank und holte zielsicher eine kurze grüne Strickjacke hervor. »Zieh die dazu an. Das gibt dem Outfit eine seriöse Note.«
»Schade.« Moya zog einen Schmollmund. »Ich hatte mich schon auf Mas und Gladys Gesichter gefreut. Unsere Schwägerin wird sicher wieder im blauen Hosenanzug erscheinen.«
»Leider ist die Gute völlig beratungsresistent«, merkte ihr Bruder ernst an. Sie nickten sich zu, als im Hausflur der Gong zum Essen rief.
»Auf in den Kampf.« Moya schlüpfte in ihre schwarzen Pumps. Mr Miller hob nur kurz den Kopf, dann rollte er sich auf ihrem Bett zusammen und schlief ein.
Leise schloss sie die Tür und eilte hinter ihrem Bruder die Treppe hinunter. Ein Schauder überlief ihren Rücken, als sie die Stimme von Curtis Marony, dem Anwalt der Familie, im Flur vernahm. Drei Jahre lang waren sie ein Paar gewesen. Ihre Ma hatte die Verlobungsanzeigen schon in Auftrag gegeben. Dann trat die junge Anwältin Rachel in die Kanzlei ein und verdrehte ihm den Kopf. Seitdem waren die zwei nicht nur beruflich ein Paar.
»Moya, meine Liebe.« Seine tiefe Stimme schmeichelte sich bei ihr ein.
Doch Moya straffte die Schultern, schritt erhobenen Hauptes auf ihn zu. »Hallo, Curtis.« Sie begrüßte ihn kühl mit einem Kopfnicken und marschierte weiter ins Speisezimmer.
»Ein Glas Sherry vor dem Essen?« Aidan lehnte an der Hausbar mit einem Whiskey in der Hand. Seine Frau Gladys saß neben ihrer Schwiegermutter vor dem Kamin.
Sie schaute kurz auf, ihre Augen weiteten sich bei Moyas Anblick. »Ganz schön gewagt für ein Geschäftsessen«, sagte sie spitz.
»Seit wann besprechen wir Geschäfte beim Essen?«, konterte Moya. Erst jetzt bemerkte sie den grauhaarigen Herrn im Nadelstreifenanzug vor dem Fenster.
»Einen wunderschönen Park haben Sie da, liebe Hester«, wandte er sich an ihre Mutter. Dann fiel sein Blick auf Moya. Sie bemerkte, wie er die Augenbrauen hochzog. Ein süffisantes Lächeln umspielte seinen Mund. »Sie müssen Moya sein. Die Künstlerin in der Familie.«
»So? Sagt man das?« Es kostete sie einige Beherrschung, diesem Mann, der nur Stuart Porter, der Inhaber von »Porter Souvenirs«, sein konnte, freundlich gegenüberzutreten. »Dabei bin ich doch nur eine Töpfermeisterin, die ihre spleenigen Ideen in Ton umsetzt, wie mein großer Bruder immer zu sagen pflegt.«
»Leisten Sie mir bei Tisch Gesellschaft?« Ihre Mutter, ganz die Frau von Welt, hakte sich bei Mr Porter ein. »Das Geschäftliche besprechen wir besser nach dem Essen.« Als Tochter des größten Bierbrauers von Kilkenny beherrschte sie die Kunst der belanglosen Plauderei. Moya war froh, dass sie beim Essen das Gespräch auf die Gestaltung des Parks lenkte. »Die Rosen sind mein ganzer Stolz«, hörte sie ihre Ma sagen.
Längst bereitete sich Moya innerlich auf den anstehenden Disput mit dem großen Bruder vor. Sie stocherte lustlos in ihrem Essen und war froh, dass Liam sie mit ein paar Anekdoten aus seinem Atelier ablenkte. Ganz bewusst wandte sie Curtis, der neben ihr saß, den Rücken zu. Erst als er leicht ihren Arm berührte, drehte sie sich um. »Wie geht es Rachel?«, fragte sie.
»Lenk nicht ab. Was ist mit dir los?« Er deutete mit seiner Gabel auf ihren fast vollen Teller. »Du hast doch sonst so einen guten Appetit.«
»Kannst du dir nicht denken, was mir auf den Magen schlägt?« Unbeabsichtigt hatte Moya die Stimme erhoben. Die Gespräche brachen ab. Alle schauten sie an.
»Nicht bei Tisch, Kleines«, versuchte ihre Mutter, sie auszubremsen.
»Sorry«, murmelte Moya. Sie legte die Stoffserviette auf den Teller, erhob sich und ließ den Blick über die Runde gleiten. »Ihr entschuldigt, wenn ich mich einen Moment zurückziehe. Mir geht gerade so viel durch den Kopf. Ich warte nebenan in Dads Büro«, sagte sie und marschierte aus dem Raum. Das ehemalige Arbeitszimmer ihres Vaters, stilvoll eingerichtet in Mahagoni und mit Erkerfenstern, war bereits in der Kindheit ihr Rückzugsort gewesen, wenn sie Kummer hatte. Unter dem ausladenden Schreibtisch hatte sie, an Dads Beine gelehnt, gesessen. Dort war sie sicher und geborgen gewesen. Sie meinte, den Duft seiner Zigarren noch wahrzunehmen. Moya kauerte sich in den Ledersessel, stützte das Kinn in die Hände und starrte auf das Ölgemälde über dem Bücherregal. Ihr Dad lächelte sie zärtlich an, als wollte er sagen: »Das wird schon, Kleines. Nur Mut.« So wie er es früher immer getan hatte.
»Was soll ich nur machen, Daddy?«, fragte sie ihn leise. Dabei kannte sie die Antwort längst.
Im Flur ertönten die Stimmen von Aidan und Curtis. Moya umrundete den Schreibtisch und baute sich, die Fäuste in die Hüften gestemmt, vor dem Bücherregal auf. Erst jetzt bemerkte sie die Flipchart vor dem Besprechungstisch.
Fassungslos starrte sie auf die Graphik. In den letzten zwei Jahren waren die Umsatzzahlen dramatisch zurückgegangen. Die Kosten überstiegen die Einnahmen um ein Vielfaches. Wie hatte Aidan ihr diese Tatsache so lange verschweigen können, so tun, als wäre alles in bester Ordnung? Warum nur hatte sie sich auf seinen kaufmännischen Verstand verlassen? Die Zahlen verschwammen vor ihren Augen, ihr Magen krampfte sich zusammen. Da schwang die Tür auf. Aidan und Curtis, der Anwalt, betraten das Büro ihres Vaters. Halb verborgen hinter der Flipchart lauschte sie angespannt dem Gespräch der beiden.
»Durch die Fusion und die hohe finanzielle Beteiligung von Porter wird es uns gelingen, die Insolvenz abzuwenden«, erklärte ihr Ex. »Ich sehe da auch keine andere Möglichkeit.«
»Ich bin froh, ihn mit im Boot zu haben«, entgegnete Aidan.
Moya verließ ihre Deckung und fuhr den Bruder an: »Du hast es schleifen lassen! Warum erfahre ich erst heute, wie schlimm es um unsere Firma steht? Ich bin enttäuscht von dir.«
»Bitte nicht vor unserem Gast. Das ist jetzt zu wichtig für uns.« Er deutete mit dem Kopf auf die offene Tür.
Mr Porter, der sich angeregt mit ihrer Mutter unterhielt, schaute sich im Büro um. »Leider hatte ich nie das Vergnügen, Ihren Gatten kennenzulernen. Es muss sehr schmerzlich für Sie sein, gnädige Frau, ihn so früh verloren zu haben.«
Liam, der hinter den beiden den Raum betrat, warf ihr bedeutungsvolle Blicke zu. Moya nickte zerknirscht und folgte ihm zum Besprechungstisch.
»Wir alle vermissen Bruce sehr«, erklärte Aidan. Mit einer einladenden Geste rückte er dem Gast einen Stuhl zurecht.
»Denk dran, was du mir versprochen hast«, flüsterte Liam und setzte sich neben seine Schwester.
»Schon klar«, zischte sie leise. Um sich abzulenken, griff sie nach einer der kleinen Wasserflaschen, die an jedem Platz standen, und schenkte sich ein.
Aidan räusperte sich, wechselte einen Blick mit seiner Frau. »Vater hätte gewollt, dass wir seinen Betrieb wieder auf ein solides Fundament stellen. Die goldenen Zeiten des Kunsthandwerks sind vorbei. Das hätte auch er eingesehen. Deshalb schlagen wir heute einen neuen Weg ein.« Er straffte den Rücken. »Um die Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir modernisieren und einen starken Partner an unsere Seite holen.«
Moya war sofort klar, worauf er abzielte. »Unsere Töpfer sind hoch qualifizierte Leute. Du willst ihnen doch nicht allen Ernstes zumuten, in Zukunft nur noch am Fließband zu stehen«, fuhr sie ihn an. »Willst du, dass sie sich bei der Konkurrenz bewerben?«
»Bevor du dich allzu sehr ereiferst, hör dir erst mal mein Konzept an«, bremste Aidan sie aus.
Liam strich ihr beruhigend über die Seite.
Sie biss sich auf die Lippe. »Also gut. Überzeuge mich davon, dass sich eine Modernisierung lohnt, und sag mir, wo ich künftig meinen Platz finde.«
Aidan redete unbeeindruckt weiter. »Ich brauche wohl nicht zu erklären, dass momentan der Markt mit Billigkeramik aus Asien überschwemmt wird. Den Kunden von heute interessiert es kaum noch, ob eine Vase handgedreht und liebevoll bemalt wurde. Hauptsache, der Preis stimmt und das Teil sieht gut aus. Kunsthandwerk hat einen schweren Stand auf dem heutigen Markt.«
Moya hob die Hand. »Du vergisst die Keramikliebhaber und Sammler, die Touristen, die traditionelle Handwerkskunst aus Irland mit nach Hause nehmen möchten. Die bezahlen gern einen angemessenen Preis. Warum also nicht zweispurig fahren? Selbstproduzierte Billigware für die Souvenirshops und hochwertige Keramik für den anspruchsvolleren Kunden?« Sie trommelte mit den Fingern auf den Tisch, schaute in die Runde.
Curtis schüttelte den Kopf. Ihre Mutter bedachte sie mit einem flehenden Blick, und Mr Porter lächelte süffisant. Ihre Schwägerin kritzelte gelangweilt etwas auf einen Block.
Allein Liam meldete sich zu Wort. »Sicher hast du recht, Aidan. Wir brauchen ein neues Konzept, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen. Die Fusion mit Porter Souvenirs …« Er nickte dem Geschäftsmann zu. »… ist ein Schritt in die richtige Richtung. Um unseren guten Ruf als Traditionsbetrieb nicht zu gefährden, sollten wir jedoch weiterhin hochwertige Handarbeit anbieten.«
Aidan winkte ab. »Daran habe ich auch schon gedacht. Sobald die neue Produktion läuft und wir schwarze Zahlen schreiben, können wir über den Neubau einer zweiten Werkstatt und eines Showrooms reden. Aber alles zu seiner Zeit.«
»Als zukünftiger Teilhaber habe ich da wohl auch ein Wort mitzureden«, mischte sich jetzt Mr Porter ein. »Geht ja schließlich auch um mein Kapital.«
Moya ging gar nicht erst auf seinen Kommentar ein, sondern wandte sich wieder ihrem großen Bruder zu. »Und so lange soll ich also Pressware versäubern oder Etiketten auf die Fertigware kleben?«
Aidan hob abwehrend die Hand. »Das würde ich nie von dir verlangen. Ich biete dir den gut bezahlten Job einer Chefdesignerin an. Entwirf die Prototypen, entwickle ein neues Dekor für die Souvenirs.«
»Was, wenn ich das nicht will?« Sie funkelte ihn an.
»Niemand verbietet dir, deine eigene Linie auszubauen, liebe Schwester.« Aidans Stimme klang eine Spur zu frostig. »Aber nicht hier und nicht heute. Zuerst muss unser Betrieb wieder in sicherem Fahrwasser sein.«
Moya kochte innerlich. »Nicht jetzt und nicht hier? Du setzt mich also vor die Tür?« Sie sprang auf, bereit, den Raum zu verlassen.
Doch ihre Mutter, die bis dahin auffallend still gewesen war, hielt sie am Arm zurück und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Schluss mit der Diskussion! Hier wird niemand vor die Tür gesetzt.« Mit resoluter Stimme fuhr sie fort. »Ich denke, es wäre im Sinne meines verstorbenen Mannes, wenn wir den Vertrag mit Mr Porter heute unterzeichnen. Die Zahlen sprechen für sich. Jede weitere Verzögerung verbietet schon der kaufmännische Sachverstand.« Sie nickte Aidan zu. »Sicher finden deine Schwester und du eine Lösung, die beiden Seiten gerecht wird.«
Auf ihr Zeichen hin verteilte Curtis Kopien der Fusionsverträge. Anschließend ging der Anwalt die einzelnen Punkte Schritt für Schritt durch. »Porter Souvenirs erwirbt vierzig Prozent der Firmenanteile. Im Gegenzug verpflichtet sich O’Grady Ceramics zum Aufbau einer Gießstraße …«
Moya hörte längst nicht mehr zu. Sie überflog den ihr vorgelegten Vertrag und setzte widerwillig ihre Unterschrift darunter. »Falls ihr mich nicht mehr braucht, würde ich mich jetzt verabschieden«, wandte sie sich an die Runde. »Mr Miller wartet auf seinen Abendspaziergang.« Sie war schon an der Tür, da kam Aidan auf sie zu.
»Bitte überleg dir mein Angebot. Mir liegt sehr viel an deiner Mitarbeit. Unsere Manufaktur braucht dich.« Er schmeichelte ihr. Sie sah das Flehen in seinen Augen und wurde weich.
»Jaja«, beeilte sie sich, zu sagen. »Ich lasse mir die Sache durch den Kopf gehen. Aber versprechen kann ich nichts.« Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn flüchtig auf die Wange. »Wenn du nichts dagegen hast, nehme ich mir ein paar Tage frei. Ich muss mir über einiges klar werden.«
»Du brauchst eine Bedenkzeit?« Ihr großer Bruder musterte sie.
»Das ist ja wohl das Mindeste, was ich von dir erwarten kann, nachdem du mich vor vollendete Tatsachen gestellt hast. Ich brauche Abstand«, murrte sie.
Liam legte einen Arm um ihre Schulter. »Das halte ich für eine gute Idee. Jetzt hast du Zeit, mich nach Busby zu begleiten. Ich spendiere uns anschließend auch ein Wochenende im Wellnesshotel.«
»Was willst du denn in Busby?«, fragte sie ihn beim Hinausgehen. »Ist das nicht so ein kleines Dorf in der Derrynane-Bucht?«
»Du wirst dich wundern«, sagte ihr Zwillingsbruder lachend. »Geh hoch und hol Mr Miller. Ich erzähle dir während unserer Runde, warum ich dorthin will.«
Verschlafen hob der Dackel den Kopf, als sie in ihr Zimmer kam. Sie wechselte ihr neues Kleid gegen derbe Jeans und Sweatshirt. Die Pumps landeten achtlos vor dem Kleiderschrank. Stattdessen schlüpfte sie in Wollsocken und Sneakers. Mr Miller legte eine Pfote über seine Augen. Doch sobald sie mit dem Schlüsselbund klapperte, sprang er vom Bett und flitzte an ihr vorbei die Treppe hinunter. Im Vorbeigehen griff Moya nach ihrer Wachsjacke, die an der Garderobe hing.
Liam, der bereits seine Outdoor-Jacke trug, nahm den Dackel an die Leine und verkündete: »Ich brauche jetzt ein frisch gezapftes Kilkenny. Schauen wir in unserem Lieblingspub vorbei?«
»Unbedingt.« Sie grinste ihn breit an. »Ich komme um vor Hunger.« Aus dem Büro ihres Vaters klang Mr Porters kehliges Lachen. Sicher hatte Curtis einen seiner Witze zum Besten gegeben. Moya schüttelte genervt den Kopf. »Machen wir, dass wir hier rauskommen, bevor sie uns noch auf ein Glas Sekt bitten. Ich hasse dieses falsche Getue.«
Die gusseisernen Laternen tauchten den Park in ein warmes Licht. Mr Miller erledigte im Eiltempo sein abendliches Geschäft und trottete brav neben Moya her.
Sie knuffte ihren Bruder in die Seite. »Lenk mich ab. Erzähl mir endlich, wer dich nach Busby lockt.«
Liam schlug den schmalen Pfad zum River Nore ein. »Ist dir doch recht, wenn wir die Abkürzung nehmen? Ich mag mich heute Abend nicht an den Touristengruppen vorbei durch die Altstadt drängeln.« Mit großen Schritten marschierte er am Flussufer entlang, bog in eine enge, mittelalterlich wirkende Gasse ein. »Zurück zu deiner Frage«, sagte er. »Ich habe dort einen Termin mit der Taschendesignerin Lena.«
»Du meinst die von ›Kathy & Lena’s‹?« Moya wurde hellhörig. »Erst neulich habe ich mir eine Bauchtasche dieser Marke gekauft. Ist praktisch, wenn ich mit dem Hund Gassi gehe. Sag nicht, die haben ihre Manufaktur in dem kleinen Kaff?«
Ihr Bruder lachte. »Wusste ich doch, dass dich das interessieren würde.« Er blieb vor einem schmalen, hohen Backsteinhaus stehen, schaute durch die Butzenscheibe ins Innere. »Sieh nur, wer dort an der Bar rumhängt. Ist das nicht einer eurer Töpfer?«
Moya drückte ihre Nase an die Scheibe. »Robin ist echt ein netter Kerl und inzwischen so etwas wie mein bester Kumpel in der Töpferei. Mal hören, was er von den Umbauplänen hält.« Eilig beugte sie sich zu Mr Miller und nahm ihn auf den Arm. »Nicht, dass dir wieder jemand auf die Pfötchen tritt, Milli«, flüsterte sie ihm zärtlich ins Ohr und erntete prompt einen Nasenkuss.
Ihr Bruder hielt ihr die Tür auf, und sofort umfing sie lautes Stimmengewirr. Zielstrebig bahnte sie sich einen Weg zum Tresen, tippte ihrem Kollegen auf die Schulter und nickte Nick, dem Wirt, zu.
Er deutete mit dem Kopf in Richtung Lounge. »Hinten ist noch ein ruhiges Plätzchen frei. Wie ich euch kenne, wollt ihr sicher etwas essen.«
»Moya?« Über Robins Gesicht huschte ein Lächeln. »Die Kollegen sind schon nach Hause zu ihren Frauen. Ich hatte keine Lust auf meine leere Bude.«
»Na, dann leiste uns doch Gesellschaft«, schlug Liam vor, der sich neben Moya gequetscht hatte. Er reichte dem jungen Töpfer die Hand. Zum Wirt gewandt, sagte er: »Machst du uns drei Pint, Nick? Sicher möchte meine Schwester Fish and Chips. Für dich auch, Robin?« Er fuhr sich durch die kurzen Locken. »Ach was, bring einfach eine Familienportion. Wir werden damit schon fertig.«
Zu dritt hockten sie an dem Ecktisch in der Lounge. Mr Miller schlief zufrieden auf Mos Wachsjacke zu ihren Füßen. Sie warteten, bis der Wirt ihnen die Getränke gebracht hatte, dann prostete Moya den Männern zu.
»Hat Aidan schon mit euch über die Umbaupläne gesprochen?« Die Frage brannte ihr bereits den ganzen Abend auf den Nägeln. »Wie steht ihr dazu, dass er eine Gießstraße und Presserei einrichten will?«
Robin nickte ihr verstohlen zu. »Bisher kursieren nur Gerüchte. Nachdem Mr Porter letzte Woche die Firma besichtigt hatte, war uns sofort klar, was auf uns zukommen würde.« Er strich sich eine Strähne seiner blonden Haare aus der Stirn, schien nachzudenken. »In erster Linie bin ich froh, dass ich meinen Arbeitsplatz behalte. Auch wenn ich lieber an der Scheibe arbeite statt an der Gießstraße oder an der Presse. Jobs als Töpfer sind nicht gerade leicht zu bekommen. Jetzt, wo fast alle Betriebe auf Maschinen umstellen. Einige der Gesellen sehen das anders. Sie schauen sich schon nach Alternativen um.« Er drehte das Glas in seinen Händen. »Wenn ich das nötige Kleingeld hätte, würde ich mich gern selbstständig machen.«
»Ach ja?« Moya legte ihm eine Hand auf den Unterarm, woraufhin er errötete. »Was schwebt dir denn so vor?«
Liam hielt ihr die Schüssel mit den Pommes vor die Nase. »Iss, bevor sie kalt werden.«
Sie verstand, was er ihr damit sagen wollte. Rasch nahm sie ihre Hand von Robins Arm, griff sich stattdessen eine Fritte und lehnte sich entspannt an ihren Bruder. »Ich bin mal wieder viel zu neugierig«, entschuldigte sie sich mit vollem Mund.
»Nein, nein.« Robin schaute an ihr vorbei auf die Wand. »Ich erzähle dir gern von meinen Ideen.«
Der Lärm im Schankraum schwoll an. Zwei junge Musiker mit Gitarre und Geige gesellten sich zu ihnen in die Lounge und stimmten ihre Instrumente. Augenblicklich scharten sich einige Zuhörer um sie, applaudierten, bis die zwei ihr erstes Lied anstimmten.
»Wir reden ein anderes Mal in Ruhe darüber«, rief Moya ihrem Kollegen zu. »Ist zu laut hier.«
Er nickte, lächelte sie an. »Das würde ich sehr gern. Mir liegt nämlich etwas an deiner Meinung.«
Auf dem Heimweg lief Mr Miller schwanzwedelnd vorneweg. »Zieh nicht so, Milli. Wir gehen ja jetzt nach Hause«, mahnte sie ihn und hakte sich bei ihrem Bruder ein.
»Dieser Robin ist total in dich verschossen«, amüsierte er sich. »Hast du das noch nicht bemerkt?«
»Red keinen Quatsch, Brüderchen. Wir sind nur gute Kumpels. Außerdem ist er mindestens zwei Jahre jünger als ich. Und du weißt, dass ich nur auf ältere Männer abfahre.«
»Da spricht die weise dreißigjährige Frau, die aussieht wie zwanzig.« Liam wuschelte ihr durch die Locken.
Moya griff nach seiner Hand und hielt sie fest. »Das hilft mir im Moment wirklich nicht weiter. Bis spätestens Montag will Aidan eine Entscheidung von mir. Sag mir lieber, ob ich sein Jobangebot annehmen soll.«
Ihr Bruder blieb stehen, schaute in den nachtschwarzen Fluss. »Du hast den Vertrag unterschrieben. Der Umbau ist beschlossene Sache. Bleibt nur die Frage, wohin deine Reise gehen soll. Hängt dein Herz so sehr am Kunsthandwerk, dass du bereit bist, dich auf eigene Füße zu stellen? Und wenn ja, würdest du dir nicht ewig vorhalten, falls das Geschäft mit Porter scheitert, Mitschuld zu tragen? Wie wichtig ist dir die Familientradition? Darüber solltest du dir klar werden. Und wenn du dir ganz sicher bist, dann geh den nächsten Schritt.«
»Ach, Liam«, seufzte sie. »Ich fühle mich wie ein Vogel, der das Nest verlassen soll, obwohl er noch nie geflogen ist.«
Der Morgennebel hüllte Kilkenny ein wie eine große Daunendecke. Verschlafen blinzelte Moya aus dem Seitenfenster des Porsches. Sie lauschte dem satten Brummen des Motors, genoss es, von Liam gefahren zu werden. Mr Miller, der auf ihren Füßen lag, schnarchte laut. Sie rieb sich gähnend die Augen.
»Hast du schlecht geschlafen?« Ihr Bruder griff zwischen den Sitzen nach hinten und angelte ein Reiseplaid von der Rückbank. »Kuschel dich ein und schlaf noch eine Runde. Wir frühstücken in Cashel.«
»Ich könnte tatsächlich noch eine Mütze voll Schlaf gebrauchen. Dieser Mr Porter spukte mir die ganze Nacht im Kopf herum. Traust du ihm über den Weg?« Sie wickelte sich in die blau-grün karierte Wolldecke, zog vorsichtig die Füße unter Mr Millers Bauch hervor und legte sie auf das Armaturenbrett. »Von Curtis hätte ich mir auch mehr Unterstützung erwartet. Schließlich waren wir so gut wie verlobt.«
»Empfindest du noch etwas für ihn?« Liam bog auf die M8 Richtung Cashel ein. »So wie er dich angesehen hat, als du in dem sexy Kleid die Treppe runterkamst … Auch wenn er sich hinter seiner kühlen Anwaltsfassade versteckt – das Feuer in seinen Augen sprach eine andere Sprache.«
»Bei mir ist der Ofen aber aus«, brummte sie. »Der kann mir als Mann gestohlen bleiben.« Eine bleierne Müdigkeit breitete sich in ihr aus. »Verstehe nicht, was er an dieser Rachel findet«, murmelte sie und schlief ein.
Jemand drückte sich an ihre Brust. Gleich darauf fuhr ihr etwas Feuchtes, Warmes über das Gesicht. Moya riss die Augen auf und schaute direkt in die dunkelbraunen Knopfaugen ihres Dackels. »Pfoten von meinem Busen«, fuhr sie ihn an.
»Du hast mit Mr Miller im Duett geschnarcht«, sagte ihr Bruder lachend. »Wir sind da.«
Moya schälte sich aus der Decke und blickte aus dem Fenster. »Das ist ja das kleine Gasthaus, wo wir mit Dad immer eingekehrt sind, bevor wir stundenlang auf dem Rock of Cashel herumgeturnt waren.« Sie öffnete die Wagentür, und sofort sprang Mr Miller auf den Parkplatz. Mit fliegenden Ohren raste er auf eine Eiche zu, umrundete sie schnüffelnd, bevor er sein Bein hob. Schwanzwedelnd trottete er zurück zum Auto. »Braver Junge«, lobte Moya und nahm ihn vorsichtshalber an die Leine. »Meinst du, die haben so früh schon geöffnet?« Fröstelnd zog sie den Reißverschluss ihres Parkas hoch. »Für Anfang Mai ist es noch verdammt frisch.«
Hinter dem Fenster des »Castle Inn« bewegte sich die Gardine. Gleich darauf schwang die Tür auf. Ein stämmiger Mann in Jeans und T-Shirt, auf dem der Name des Gasthauses prangte, winkte ihnen zu.
»Nur hereinspaziert in die warme Stube«, begrüßte er sie mit einem schiefen Grinsen. »Ihr seht aus, als könntet ihr ein kräftiges Frühstück gebrauchen.« Er führte sie durch einen engen, rauchgeschwärzten Flur. »Kopf einziehen«, warnte er mit Hinweis auf den niedrigen Türsturz. Gerade noch rechtzeitig, bevor Moya mit der Stirn gegen das Holz donnerte.
»Früher kam mir die Stube geräumiger, die Decke viel höher vor«, stellte sie überrascht fest.
Liam steuerte zielstrebig den Tisch am Kamin an. »Bei unserem letzten Besuch warst du ja auch zwei Köpfe kleiner.«
»Täusche ich mich, oder seid ihr das Zwillingspaar, das früher öfter mit seinem Dad hier einkehrte?« Der Wirt warf ein Stück Torf in die lodernden Flammen. Er strahlte sie erwartungsvoll an.
Liam schüttelte ihm die Hand. »Dass Sie sich daran noch erinnern. Dann wissen Sie sicher auch, dass wir ganz verrückt auf Ihr großes Frühstück waren.«
»Aye«, entgegnete er und eilte in die angrenzende Küche.
Moya rückte den Korbstuhl ans Feuer und kramte für den Dackel einen Kauknochen aus ihrer Tasche. »Brav hier liegen bleiben«, mahnte sie ihn. Doch er legte nur den Kopf schief und sauste dem Wirt hinterher.
»Mr Miller, bei Fuß!« Moya sprang auf, wollte ihm nach.
Da ertönte nebenan die warme Stimme einer Frau. »Wen haben wir denn da? So ein niedlicher kleiner Hund.« Kurz darauf tippelte der Dackel erhobenen Hauptes mit einem dicken Kalbsknochen im Maul zum Kamin und streckte sich davor aus.
»Ob mir die Köchin auch ein Leckerli zusteckt, wenn ich in die Küche gehe?«, amüsierte sich Liam und kraulte Mr Miller hinter den Ohren.
Moya bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Du untergräbst meine Autorität. So lernt der Hund nie, zu gehorchen.« Tadelnd hob sie den Finger, kicherte dann aber, als sie ihren Dackel schmatzen hörte. »Tischmanieren muss ich ihm auch noch beibringen.«
»Hier nehmen wir es damit nicht so genau.« Der Wirt brachte ihnen zwei Portionen Würstchen, Speck und Eier. »Tee kommt auch sofort«, erklärte er und marschierte wieder in die Küche.
Nach und nach trafen weitere Gäste ein. Moya hatte Mühe, Mr Miller an seinem Platz zu halten, denn er war es von zu Hause gewohnt, jeden Besucher persönlich willkommen zu heißen. Beleidigt rollte er sich unter ihrem Stuhl ein und fiepte leise. Erst als sich ein pausbäckiger Junge vor ihn hockte und ihn kraulte, beruhigte er sich wieder.
Moya wischte den Rest Eigelb mit einem Stück Toastbrot vom Teller. »Ich bin pappsatt«, verkündete sie zufrieden.
»Das hat Dad auch immer gesagt.« Liams Gesicht verfinsterte sich. »Dort drüben am Fenster hat er am liebsten gesessen. Ich höre ihn noch lachen.«
»Beim Anblick von Mr Porter wäre ihm das Lachen sicher im Hals stecken geblieben. Nie im Leben hätte er sich mit diesem Kerl auf ein Geschäft eingelassen«, schnaubte sie. »Ach was!« Unbeabsichtigt war sie so laut geworden, dass sich die Gäste am Nachbartisch erschrocken nach ihr umdrehten. »Sorry«, sagte sie eilig und fuhr leiser fort. »Er hätte die Firma gar nicht erst vor die Wand gefahren. Eher wäre er wieder selbst über Land gezogen, um unsere Waren zu verkaufen.«
Liam deutete auf das Fenster, wo sich in der Ferne die Ruine der Burg von Cashel in den Himmel reckte. »Keine Festung ist sicher genug, dass sie nicht eines Tages erobert wird.« Er runzelte die Stirn. »Sicher ist es klug von Aidan, sich in diesen stürmischen Zeiten einen starken Mitstreiter an seine Seite zu holen.«
»Was redest du da!«, fuhr Moya ihn an. »Er hätte uns viel früher informieren müssen. Gemeinsam hätten wir eine Lösung gefunden. Aber jetzt ist es dafür zu spät.« Sie wedelte aufgeregt mit der Hand nach dem Wirt. »Sehen wir zu, dass wir weiterkommen. Mich macht dieser Ort nur traurig. Zu viele Erinnerungen an bessere Tage.«
Auf dem Weg zum Wagen blieb Liam vor der Eiche stehen und schaute nachdenklich in die Krone. »War wohl doch keine so gute Idee, hierherzukommen.« Ihr Bruder seufzte. »Ich werde auch schon ganz trübsinnig.« Er raufte sich die Haare, zupfte ein Blatt vom Ast und betrachtete es ausgiebig.
Moya tippte sein Bein mit ihrem Fuß an. »Willst du hier Wurzeln schlagen?«
»Was?« Seine Miene hellte sich wieder auf. »Ich denke, ich habe genau das richtige Gegenmittel für unsere Depression im Handschuhfach.« Mit großen Schritten eilte er zum Porsche, riss die Fahrertür auf und schwang sich hinter das Lenkrad. Der Dackel zerrte an der Leine, bis Moya ihn losmachte. Hechelnd sauste er über den Parkplatz und sprang Liam auf den Schoß. »In Ordnung, Mr Miller. Du fährst. Aber nicht schneller als erlaubt.« Ihr Bruder schnallte sich an, und der Hund legte seine Pfoten auf das Lenkrad.
Begeistert zückte Moya ihr Smartphone und schoss ein Foto von den beiden. Mit den Worten »Vielleicht hättest du Mr Miller das Firmenruder überlassen sollen«, schickte sie es Aidan. Prompt antwortete er mit einem Smiley. Sie hielt ihrem Bruder das Handy vor die Nase.
Liam schüttelte den Kopf. »Den Humor hat er also noch nicht verloren.«
»Den wird er auch brauchen.« Moya ließ sich auf den Beifahrersitz plumpsen und klopfte auf ihre Oberschenkel. Sofort sprang der Dackel von Liams auf ihren Schoß. Sie beförderte ihn mit einem leichten Klaps auf den Po in den Fußraum, dann wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu. »Dieser Porter ist ein knallharter Geschäftsmann. Dem ist vollkommen egal, womit er sein Geld verdient. Kein Auge für Tradition und Kunst«, ereiferte sie sich.
»Sieh, die Sonne kommt raus. Wenn das kein gutes Zeichen ist.« Liam fuhr im Schritttempo vom Parkplatz. Auf der Schnellstraße gab er Gas und überholte einen Reisebus.
Moya wurde sanft in den Sitz gedrückt. In ihrem Magen kribbelte es angenehm. Gleichzeitig breitete sich eine unbestimmte Unruhe in ihr aus. »Wann sind wir da?«, fragte sie ungeduldig wie ein kleines Kind. Der Gedanke, ihrer Heimatstadt für ein paar Tage den Rücken zuzukehren, schien ihr auf einmal doch sehr verlockend. Sie liebte Kilkenny mit seinen engen mittelalterlichen Gassen. Vor allem aber liebte sie es, an Dads alter Drehscheibe zu sitzen, die Hände im Ton. Allein bei der Vorstellung, demnächst nur noch Prototypen für die Pressware zu entwerfen, stieg die Wut wieder in ihr auf. Sie trommelte mit den Fäusten einen wilden Rhythmus auf das Armaturenbrett. Mr Miller äußerte sein Missfallen mit Knurren.
»Nimm dir ein Schoko-Toffee aus dem Handschuhfach und hör auf zu quengeln«, tadelte ihr Bruder sie lachend und deutete nach draußen. »Siehst du das Steinfort dort drüben? Gleich dahinter liegen die Felder von Busby. Wenn du die Nase aus dem Fenster streckst, riechst du schon den Atlantik.«
Moya wickelte ein Toffee aus und schob es ihm in den Mund, bevor sie sich selbst eins nahm. Der bittersüße Geschmack besänftigte sie. Als dann im Radio noch ihr Lieblingssong »China in Your Hands« erklang, summte sie leise mit.
»Wir sind gut in der Zeit«, stellte Liam mit Blick auf seine Armbanduhr fest. »Vor dem Treffen mit Lena könnten wir uns den Ort anschauen. Wie wäre das?«
Sie streckte die Arme über den Kopf, dehnte ihren Rücken. »Nicht nur Mr Miller muss sich dringend die Beine vertreten. Ich habe das Gefühl, dass ich in der Mitte durchbreche.«
»Das kommt nur, weil du zu viel an der Scheibe sitzt. Nimm dir ein Beispiel an mir. Ich trainiere dreimal wöchentlich in einem Fitnessstudio«, warf ihr Bruder ein.
Moya kniff in seinen linken Oberarm und lachte. »Wow! Was für Muskeln. Wenn ich neben der Dreherei noch zusätzlich Gewichte stemme, sehe ich bald obenrum aus wie ein Preisboxer.« Nur ungern gestand sie sich ein, dass Liam recht hatte. Sie brauchte dringend einen Ausgleich zu der körperlich einseitigen Arbeit in der Werkstatt. Aber so was wie Gymnastik oder Yoga war wirklich nicht ihr Ding. »Ich hasse Fitnessstudios«, schnaufte sie. »Einmal die Woche Schwimmen und meine sonntäglichen Joggingrunden machen mir mehr Spaß. Außerdem kann Milli mich beim Laufen begleiten.«
»Der ist aber kein Ersatz für einen Partner.« Liam schaltete einen Gang runter, ließ den Porsche am Straßenrand ausrollen, bevor er ihn zum Stehen brachte. »Wird Zeit, dass du deine Fühler nach einem neuen Mann ausstreckst.«
»Das sagt gerade der Richtige.« Moya boxte ihn in die Seite. »Du gehst auch nur noch mit deiner Arbeit ins Bett.« Kaum ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten selbst geohrfeigt. »Sorry, Li. Das ist mir nur so rausgerutscht.« Sie schlang die Arme um ihn und legte ihren Kopf an seinen. »Ich vermisse deine Patsy doch auch. Sie war wie eine Schwester für mich.« Sie streichelte ihrem Bruder über die Wange.
Er blickte angestrengt auf seine Hände. Mit belegter Stimme sagte er: »Ich bringe ihr jede Woche Rosen ans Grab. Obwohl der Unfall schon drei Jahre her ist, träume ich noch jede Nacht davon.«
»Kein Wunder. Du standest ja direkt neben ihr, als der Geländewagen ins Schleudern geriet und sie erfasste. Wie sollst du das je vergessen?«
»Alles in Ordnung mit Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?« Jemand klopfte an die Scheibe. Erschrocken fuhr Moya auf und schaute direkt in das freundliche Gesicht eines älteren Mannes. Neben ihm tauchte der Kopf eines zotteligen grauen Hundes auf. Vorsichtig öffnete sie die Wagentür und hielt Mr Miller am Halsband fest. »Nein, nein. Uns geht es gut. Nett, dass Sie nachfragen.«
Der Fremde sah nachdenklich von ihr zu ihrem Bruder und schmunzelte. »Sind Sie die O’Grady-Zwillinge? Lena, meine Frau, erwartet Sie bereits. Soll ich Sie hinbringen?«
Misstrauisch äugte Moya zu dem großen Hund an seiner Seite. »Mag der Dackel?«
»Ich bin übrigens Jack«, stellte sich der Mann lachend vor. »Und dieser Zottel hier ist Scotty. Der hat heute schon gefrühstückt.« Er hielt ihr die Wagentür auf. »Leistet uns doch Gesellschaft auf unserer Mittagsrunde. Dann zeige ich euch den Ort.«
Jack trat einen Schritt zurück. Sein Hund streckte sich neben ihm im Gras aus. »Scotty ist das reinste Lamm«, sagte er und rückte seine Brille zurecht. »Lass den Dackel ruhig raus. Die beiden müssen sich doch beschnuppern.«
Kaum hatte Moya die Wagentür vollständig geöffnet, sprang Mr Miller auf die Wiese. Sie hielt die Luft an und verfolgte gebannt, wie er sich vor das große graue Zotteltier setzte und es mit schief gelegtem Kopf anschaute. Dann bellte er kurz und flitzte mit angelegten Ohren über die Wiese. Mit einem Satz sprang Scotty auf und rannte ihm hinterher.
»Zum alten Dorf«, rief sein Herrchen ihm nach. »Pass auf deinen kleinen Freund auf.«
Moya zuckte es in den Beinen, den beiden nachzulaufen, doch Liam hielt sie am Arm zurück. »Sieh nur, wie brav Mr Miller seinem neuen Freund jetzt hinterhertrottet.«
Schon nach wenigen Schritten im Gras entspannte sich ihr Rücken. Sie streckte sich, sog die würzige Luft ein und legte den Kopf in den Nacken. Über ihr flatterte eine Feldlerche. Auf der benachbarten Weide grasten friedlich die Schafe. Die Hunde lagen nebeneinander im Gras und warteten auf sie.
»Kommst du, Li?« Ihr Bruder wanderte neben Jack einen Hügel hinauf und winkte ihr zu. Mit großen Schritten folgte sie ihnen.
Auf halber Höhe blieb Lenas Mann stehen und deutete auf eine Bucht. »Dort unten liegt der Strand von Busby. Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr die vorgelagerte Abbey Island.«
»Ist das Wasser wohl schon warm genug zum Schwimmen?« Moya stellte sich auf die Zehenspitzen und schirmte ihre Augen mit einer Hand ab. »Ich hätte Lust auf ein Bad im Meer.«
Kopfschüttelnd grinste Liam sie an. »Seit wann interessiert dich denn die Temperatur? Du bist doch sonst nicht so zimperlich.«
»Bist du etwa auch eine Weihnachtsschwimmerin?« Jack grinste sie an. »Scotty und ich waren letzte Woche erst im Wasser. Ein paar kräftige Armzüge bis zum kleinen Felsen und zurück. Das genügt für den Anfang.«
»Ich passe gern auf Moyas Klamotten auf, während sie im Atlantik planscht«, bot Liam grinsend an. »Wenn ich schon schwimmen gehe, dann im beheizten Hotelpool.«
»Ihr steigt sicher bei meinem Freund Simon im ›Seaside Hotel‹ ab?«
»Das hat deine Frau mir empfohlen«, entgegnete Liam.
Jack pfiff nach den Hunden, die geradewegs auf ein verlassenes Haus zurannten. »Nicht in das Keagan-Cottage, Scotty«, rief er aufgebracht.
Doch zu spät. Mr Miller quetschte sich durch einen Spalt unter der Haustür, die von Wind und Regen stark verzogen war. Sein neuer Freund versuchte, es ihm gleichzutun, gab aber bald auf und hockte sich winselnd vor die Tür. Moya stand wie gelähmt da und starrte auf das niedrige Reetdachhaus. Der weiße Putz blätterte von der Fassade, die Fensterläden hingen schief in den Angeln. Auf den Fensterbänken standen zerbeulte Töpfe, aus denen vertrocknetes Unkraut hervorlugte. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Dieser Ort war ihr fremd, und trotzdem hatte sie das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Sie meinte, die Stimmen zweier Männer zu vernehmen, das gleichmäßige Surren einer Töpferscheibe, und zuckte zusammen, als Liam sie am Arm berührte.
»Wir müssen Mr Miller da rausholen«, sagte er aufgeregt.
Wie aus einem langen Traum erwacht, tapste Moya hinter ihm her. Erst als sie das klägliche Winseln ihres Dackels hörte, kehrte sie in die Realität zurück. »Ich komme ja schon, Milli. Bleib ganz ruhig«, sprach sie auf ihn ein.
Sie zerrte an der rostigen Türklinke, warf sich mit der Schulter gegen das morsche Holz, das krachend zersplitterte. Ein Loch klaffte in der Haustür. Grade groß genug, dass sie ihren Kopf hineinstecken konnte. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann entdeckte sie Mr Miller, der zitternd in einer Ecke hockte und herzerweichend jaulte.
»Ganz ruhig, Milli. Ich hole dich da raus«, versuchte sie, ihn zu beruhigen. Augenblicklich war er still und trippelte schwanzwedelnd zur Tür. Moya streckte ihren rechten Arm in die Öffnung und angelte nach ihm, aber sie bekam ihn nicht zu fassen.
»Hier hinten steht ein Fenster offen«, hörte sie in diesem Moment Jack rufen.
Scotty stupste sie mit der Schnauze an und lief zur Häuserecke. »Bleib bei Milli an der Tür«, bat sie ihren Bruder. »Sprich mit ihm, damit er sitzen bleibt. Ich habe Angst, dass er sich irgendwo im Haus verletzt.« Sie bahnte sich ihren Weg durch mannshohe Rhododendren, riss sich die Jeans an einer Brombeerhecke auf, um an das offene Fenster zu gelangen.
Jack hielt seinen Hund am Halsband fest, damit er ihr nicht folgte. »Sei vorsichtig, wohin du trittst. Die Dielen dort drin sind sicher morsch.«
Moya fegte mit der Hand eine Spinnwebe vom Fensterrahmen. Dann setzte sie sich auf die Fensterbank und schwang ihre Beine in den Raum. Unter ihren Füßen knarzte es verdächtig, doch die Diele hielt ihrem Gewicht stand. Erstaunt riss sie die Augen auf und sah sich in dem niedrigen Zimmer um. Sie war in der ehemaligen Schlafstube gelandet. Ein Ehebett aus Metall, ein offen stehender Schrank, in dem eine blaue Arbeitsschürze hing. Es sah aus, als hätte der Bewohner sein Heim Hals über Kopf verlassen. Unter dem Bettgestell wartete ein einsamer Pantoffel, und auf dem Nachttisch lag die vergilbte Familienbibel. Moya wagte vorsichtig einen Schritt Richtung Tür. Auch hier schien der Holzboden stabil genug, sie zu tragen. Rasch öffnete sie die niedrige Tür und stürmte in den nächsten Raum.
»Das müsst ihr unbedingt sehen«, rief sie überrascht aus. »Auf dem Küchentisch steht sogar noch eine Tasse, und daneben liegt eine Brille.« Mit spitzen Fingern hob sie einen Briefumschlag vom Boden auf. Von der verblassten Schrift waren nur einzelne Buchstaben zu erkennen. Einem Impuls folgend, steckte sie den Umschlag in ihre Gesäßtasche.
»Alles in Ordnung da drinnen? Brauchst du Hilfe?«, rief ihr Bruder. Mr Miller bellte lautstark.
Da endlich riss sie sich vom Anblick der verlassenen Küche los und eilte in den angrenzenden Flur. »Komm her, du kleiner Räuber«, schalt sie ihren Dackel und hockte sich vor ihn. Er sprang an ihr hoch und leckte ihr über das ganze Gesicht. Erleichtert, dass es ihm gut ging, nahm sie ihn auf den Arm.
Liams Kopf tauchte in der Türöffnung auf. »Mann, bin ich froh, dich zu sehen. Weißt du eigentlich, wie lange du da schon drin bist?« Er schnaufte.
»Entspann dich, Brüderchen. Bin gleich wieder bei dir.« Moya kam aus der Hocke hoch und küsste ihn auf die Nase. Mr Miller nutzte die Gelegenheit, ihm über das Gesicht zu schlecken.
»Igitt«, schimpfte Liam und zog seinen Kopf aus der Öffnung.
Mit dem Dackel auf dem Arm eilte sie zurück ins Schlafzimmer, reichte Jack den Hund aus dem Fenster und kletterte wieder nach draußen.
»Jetzt nehmen wir die Rumtreiber besser an die Leine«, sagte er schmunzelnd. »Nicht, dass sie uns im Dorf noch unter die Räder geraten.« Er hielt den tief hängenden Ast eines Apfelbaums hoch und ließ Moya vorbei. Dann deutete er auf einen Trampelpfad, der sich durch das hohe Gras schlängelte. »Zurück nehmen wir besser diesen Weg.«
Liam, der sich inzwischen zu ihnen durchgeschlagen hatte, fluchte leise vor sich hin. »Das hättest du auch eher sagen können. Verdammte Brombeeren. Das war meine neueste Jeans.«
»Sieht doch ganz chic aus, dieser Riss über dem Knie. Fast gewollt.« Moya lachte und hatte Mühe, Mr Miller im Zaum zu halten. Er zerrte an der Leine und zog sie kläffend zum Anbau des alten Cottage.
»Was war hier früher?« Moya hatte schon wieder ein Déjà-vu.
Jack blieb stehen, rieb sich nachdenklich den Nacken. »Das ist schon so lange her. Ich lebte damals noch in Dublin, als der alte Keagan starb.« Er kraulte Scotty am Hals. »Er war Töpfer. Mehr kann ich dir leider nicht sagen.«
»Töpfer?« Moya stolperte vorwärts. Sie presste die Nase an das trübe Glas des kleinen Werkstattfensters. »Ein gemauerter Brennofen und eine Tretscheibe!«, rief sie begeistert. »Ich werde verrückt.« Sie wirbelte herum und riss die Arme hoch. »Ich muss da unbedingt rein. Das sieht aus wie in einem Töpfermuseum.«
»Aber nicht jetzt, Mo.« Ihr Bruder tippte auf seine Armbanduhr. »Lena wartet auf uns.«
Sie legte den Kopf schief und schaute ihn flehend an. »Können wir morgen wiederkommen und nachsehen? Bitte, Li.«
»Meinetwegen«, stöhnte er. »Wenn es dich glücklich macht.«
Sie achtete kaum auf den Weg, hatte kein Auge für die liebevoll herausgeputzten Cottages im alten Dorf. Nur an der Kapelle blieb sie kurz stehen. »Das kommt mir alles so vertraut vor.« Aufgeregt wandte sie sich an ihren Bruder. »Kannst du dich erinnern, ob wir als Kinder schon mal hier waren?«
»Keine Ahnung. Dad ist fast jeden Sonntag irgendwo mit uns hingefahren.« Liam zog sie am Arm mit sich. »Komm jetzt weiter. Das können wir uns morgen anschauen.«
Jack lächelte sie verständnisvoll an. »Vielleicht kann dir Fischer Angus mehr über das Keagan-Cottage erzählen. Der ist hier aufgewachsen. Ich rede mal mit ihm.«
»Das wäre wirklich sehr wichtig für mich. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Dad mit uns schon mal hier war«, sagte Moya dankbar. Vor Aufregung biss sie sich auf die Lippe. »Meinst du, dieser Fischer trifft sich mit mir?«
»Warum nicht?«, fragte Jack grinsend. »Für gewöhnlich hockt der jeden Abend im ›Old Horseshoe‹.« Er deutete mit dem Kopf auf den gegenüberliegenden Pub.
»Schade, dass wir für heute Abend schon einen Tisch im Hotelrestaurant haben«, stellte sie enttäuscht fest. »Ich kann es kaum erwarten, mit ihm zu reden.«
Von der anderen Straßenseite eilte eine elegant gekleidete Frau auf sie zu. »Da seid ihr ja endlich«, sagte sie und strahlte. »Wo hat Jack euch aufgegabelt?« Sie streckte die Arme aus und umarmte Moya und Liam. »Ich habe einen kleinen Imbiss in der Werkstatt vorbereitet. Meine Geschäftspartnerin Kathy kommt auch gleich dazu.« Sie beugte sich zu Mr Miller, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, woraufhin er sich auf den Rücken warf und ihr seinen Bauch entgegenstreckte. »Das mag unser Scotty auch am liebsten«, freute sie sich und streichelte weiter.