8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Kathy, Inhaberin des Wollmarkts, genießt den Winter in Busby und plant gemeinsam mit ihrer Freundin Lena und den Handarbeitsfrauen einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse, als Kathys Ex-Freund mit seinem Auto betrunken in den Wollmarkt fährt und großen Schaden anrichtet. Kurz darauf kehrt auch noch Kathys heimlicher Jugendschwarm Steve aus Neuseeland zurück. Er bringt seine kleine Tochter Mia mit, über deren Mutter er sich jedoch ausschweigt. Kathy freundet sich mit Steve an und hofft schon bald, dass aus dieser Freundschaft mehr werden könnte.
Als er jedoch eines Tages einen Brief aus Neuseeland erhält, ändert sich alles …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 412
Liebe Leserin, lieber Leser,
Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.
Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.
Wir wünschen viel Vergnügen.
Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team
Kathy, Inhaberin des Wollmarkts, genießt den Winter in Busby und plant gemeinsam mit ihrer Freundin Lena und den Handarbeitsfrauen einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt.
Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse, als Kathys Ex-Freund mit seinem Auto betrunken in den Wollmarkt rast und großen Schaden anrichtet. Kurz darauf kehrt auch noch Kathys heimlicher Jugendschwarm Steve aus Neuseeland zurück. Er bringt seine kleine Tochter Mia mit, über deren Mutter er sich jedoch ausschweigt.
Kathy freundet sich mit Steve an und hofft schon bald, dass aus dieser Freundschaft mehr werden könnte. Als er jedoch eines Tages einen Brief aus Neuseeland erhält, ändert sich alles …
Anne Labus, Jahrgang 1957, lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Udo Weinbörner, in der Nähe von Bonn. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau arbeitete sie unter anderem als selbständige Fitness- und Pilatestrainerin. Die Leidenschaft für das Reisen hat sie an ihren Sohn vererbt, der auf Hawaii seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Die Autorin entspannt sich beim Kochen, liebt Bergtouren und lange Strandspaziergänge. Inspirationen für ihre Romane findet sie in Irland und Italien oder auch auf Spiekeroog.
Einmal im Monat informieren wir Sie über
die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehrFolgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:
https://www.facebook.com/aufbau.verlag
Registrieren Sie sich jetzt unter:
http://www.aufbau-verlage.de/newsletter
Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir
jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!
Anne Labus
Der kleine Wollmarkt im Winterglück
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Drop Scones — Irische Pfannkuchen, wie Kathy sie mag
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Impressum
Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...
Reifen quietschten, dann ein lauter Knall und das Geräusch von splitterndem Glas. Das Haus zitterte und ächzte. Die gespenstische Stille, die darauf folgte, jagte Kathy einen eisigen Schauder den Rücken hinunter. Vor Schreck fiel ihr das Schiffchen aus der Hand und landete unter dem Webstuhl. Mit zitternden Knien öffnete sie die Tür zum Verkaufsraum. Für einen Moment blieb ihr Herz stehen, und ihr Atem stockte. Der alte Dielenboden war übersät mit Scherben.
»Wer zum Teufel hat das …?« Sie ballte die Fäuste und stürmte zur Ladentür. Da erst bemerkte sie den grünen Sportwagen, dessen halbe Schnauze mitten im Schaufenster hing. Auf dem Fahrersitz kauerte Peter und starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Wollmarkt. Sein Gesicht war kreidebleich. Er blutete an der Stirn. Kathy riss die Fahrertür auf. Wut machte sich in ihr breit. »Das Schaufenster demoliert, die Auslagen zerstört. Was hast du dir nur dabei gedacht, in diesem Tempo durch Busby zu rasen?«, schrie sie ihn an. Sie zerrte an seinem Arm, stupste ihn in die Seite, doch er reagierte nicht. »Sag etwas, Peter«, flehte sie besorgt.
Aus Peters Mund kam nur ein undeutliches Lallen. Er stank, als hätte er in Whiskey gebadet. Blut tropfte von seiner Stirn auf das Lenkrad. Verzweifelt versuchte Kathy, ihn aus dem Wagen zu ziehen, sah schnell ein, dass sie Hilfe benötigte. Als sie mit eiskalten Fingern das Handy aus der Hosentasche zog, schob sie jemand sanft zur Seite.
»Lass mich mal ran«, sagte Fergus. »Der ist zu schwer für dich.« Der Wirt des Pubs schaute ihr fest in die Augen. »Du bist ganz blass um die Nase. Kipp mir bloß nicht um. Hock dich auf den Boden, und ruf den Doc an.«
Kathy nickte nur, lehnte sich an die Ladentheke und wählte Jacks Nummer. Der Dorfarzt wohnte nur einige Schritte vom Wollmarkt entfernt über seiner Praxis. Zehn Minuten später eilte er mit der Arzttasche an die Unglücksstelle. Nach einer eingehenden Untersuchung versicherte Jack, dass Peter bis auf die Platzwunde über dem Auge unversehrt sei. Kathys Lebensgeister kehrten zurück. Längst war die Sorge um ihren Ex der Wut gewichen. Peter saß mit hängenden Schultern auf einem Stuhl im Webraum und ließ sich geduldig von Jack die Wunde versorgen, während Kathy wie ein Bierkutscher fluchte.
»Weißt du, was du angerichtet hast?! Rast besoffen in meinen Laden und zerstörst die Arbeit von Monaten. Die schönen Pullover, meine Teppiche und all die Taschen!« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Von dem Schaufenster ganz zu schweigen.« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und stampfte auf. »Das wirst du mir Cent für Cent bezahlen.«
Peter hob den Kopf und schaute sie mit glasigen Augen an. »Sorry, Darling«, lallte er. »Aber ich liebe dich doch.«
»Nix sorry Darling! Du bist ein verantwortungsloser Mistkerl!« Fast tat er ihr ein wenig leid. Im hintersten Winkel ihres Herzens hatte der Mann, der sieben Jahre lang ihr geliebter Herzensmensch gewesen war, immer noch einen Platz belegt. Auch wenn er sie belogen und betrogen hatte und längst mit einer anderen zusammenlebte.
Als Kathy eine Hand auf ihrer Schulter spürte, zuckte sie zusammen. »Lena, gut, dass du da bist«, sagte sie erleichtert und gab der Freundin einen Kuss auf die Wange. Bereitwillig ließ sie sich von ihr aus der Webstube ziehen.
»Wir haben schon mal das Gröbste aufgeräumt«, erklärte Lena und deutete in den Laden. Das halbe Dorf hatte sich inzwischen dort mit Besen und Eimern versammelt.
Mittendrin Claire, die resolute Wirtin des Pubs. »Scherben in diese Eimer«, kommandierte sie und lächelte Kathy aufmunternd an. »Sieht schlimmer aus, als es ist. Den Wagen haben die Männer schon aus dem Schaufenster gezogen. Er steht auf dem Bürgersteig.«
Aus dem Hintergrund ertönte die sonore Stimme von Pfarrer Donnelly. »Bist du okay, Kathy?« Mit dem Handrücken wischte er sich über die verschwitzte Stirn. »Mann, hat das geknallt! Im ersten Moment dachte ich, die Kirchturmglocke wäre runtergefallen.«
Kathy wurde von ihren Freunden umringt und von jedem in den Arm genommen. »Wollt ihr mir helfen oder mich erdrücken?«, wehrte sie halbherzig die Umarmungen ab. Tapfer schluckte sie die Tränen hinunter, straffte die Schultern und schaute in die Runde. »Ich denke, ich koche mal eine Kanne Tee für meine fleißigen Helfer. Am besten mit einem ordentlichen Schuss Whiskey drin.« Dann drehte sie sich rasch um und rannte die Treppe hinauf in ihre Wohnung.
Niemand sollte sehen, wie elend sie sich in diesem Moment fühlte. Eine kaputte Fensterscheibe konnte man reparieren, aber ein gebrochenes Herz brauchte Zeit zum Heilen. Noch gestern war sich Kathy sicher gewesen, dass sie über Peter hinweg war, und hatte angefangen, ihr Single-Dasein zu genießen. Kaum tauchte dieser gut aussehende Typ hier auf, kamen die alten Gefühle wieder hoch. »Reiß dich zusammen«, ermahnte sie sich. »Nur weil du in einer Woche sechsunddreißig wirst, ist das noch lange kein Grund, den Kerl wieder in dein Bett zu lassen, der dich so verletzt hat.«
Sie stellte die Teekanne, Becher und eine Dose Cookies auf das alte Holztablett und balancierte alles die Treppe hinunter. »Mitternachtstee!«, verkündete sie betont fröhlich und zauberte eine Flasche Whiskey aus der Tasche ihrer Strickjacke. Vorsichtig schaute sie sich im Verkaufsraum um. Anscheinend saß Peter immer noch in der Webstube und traute sich nicht heraus.
Lena schien zu spüren, was Kathy gerade durch den Kopf ging. »Du lässt ihn aber heute Nacht nicht hier schlafen«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
Kathy wuschelte sich nachdenklich durch die Locken. »In dem Zustand kann ich ihn allerdings nicht auf die Straße setzen.«
»Der kann mit zu uns kommen«, mischte sich Claire ein.
»Nein!« Kathy klopfte mit der Faust auf die Ladentheke. »Er pennt bei mir auf der Couch. So kann ich ihm direkt morgen früh, wenn er wieder nüchtern ist, die Rechnung aufmachen.« Ihr entging Lenas fragender Blick nicht. »Keine Angst. Ich schließe meine Schlafzimmertür ab«, beteuerte sie. »Also, was ist? Wer hilft mir, den Kerl nach oben zu schaffen?«
Eine halbe Stunde später lag sie in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit. Nebenan schnarchte Peter, als gelte es, Weihnachtsbäume für das ganze Dorf zu sägen. So betrunken hatte sie ihn in ihrer gemeinsamen Zeit nie erlebt. Obwohl er in einer Brauerei arbeitete, machte er sich nicht viel aus Alkohol. Dafür hatte sie ihn immer besonders geschätzt. Wenn andere sich am Wochenende im Pub volllaufen ließen, gönnte sich Peter höchstens ein oder zwei Guinness. Warum hatte er sich diesmal so gehen lassen? Kathys Gefühle fuhren Achterbahn, und sie konnte nicht aussteigen.
Wenn es etwas gab, was sie wieder ins seelische Gleichgewicht brachte, war es ihr Webstuhl. Auf Zehenspitzen schlich sie an Peter vorbei. Im Flur griff sie nach ihrer dicken Strickjacke und schlüpfte hinein.
Der Novemberwind zerrte an den Brettern, die Fergus notdürftig vor das demolierte Schaufenster genagelt hatte. Es war saukalt. Durch die schmalen Ritzen pfiff der raue Wind des Atlantiks. Als ihre nackten Füße vor Kälte krampften, nahm sie sich ein paar dicke Wollsocken aus dem Regal und zog sie an. Sofort breitete sich eine angenehme Wärme über den ganzen Körper aus. Keine Minute länger wollte Kathy sich das Chaos in ihrem geliebten Wollmarkt anschauen. Dazu war morgen genug Zeit.
Sie öffnete die Tür zum Webraum, schaltete das Radio auf der Fensterbank ein und setzte sich an den Webstuhl. Im Schein der kleinen Stehlampe und zu den Klängen einer irischen Harfe setzte sie die Arbeit an einem Teppich fort. Schon als Kind hatte sie neben ihrer Mutter gesessen und gestaunt, wie man mit ein paar Schnüren, Balken und Fäden so wundervolle Dinge herstellen konnte.
Das gleichmäßige Klacken, das beim Weben erklang, war ihr Lebensrhythmus. Er gab ihr Sicherheit und beruhigte ihr unruhiges Herz. Unter Kathys Händen wuchs ein neues Stück irische Tradition, und in ihrem Kopf sortierten sich die Gedanken. Gleich morgen früh würde sie den Glaser im Nachbarort anrufen. Danach musste sie mit der Handelsschule in Sneem telefonieren und einen neuen Termin für die Werkstattbesichtigung ausmachen.
Sie überlegte, den Donnerstagstreff der Handarbeitsfrauen zu verschieben. Aber wie sie ihre Freundinnen kannte, würden die garantiert pünktlich um fünfzehn Uhr auf der Matte stehen, wussten Lena, Maura, Claire, Bella und Nora doch genau, dass jetzt jede helfende Hand gebraucht wurde, um die beschädigte Ware aus dem Schaufenster zu ersetzen.
Als im Radio die Sechs-Uhr-Nachrichten gesendet wurden, richtete sich Kathy auf und schlich zurück in ihr Bett. Vorsichtshalber stellte sie den Wecker auf acht Uhr. Kurz darauf sank sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Es war nicht das schrille Läuten ihres Handyweckers, das sie weckte, es war das Streicheln einer warmen Hand auf ihrer Wange.
»Tee und Toast für mein Mädchen«, säuselte Peter in ihr Ohr.
Das klang so vertraut und dennoch fremd. Irgendetwas störte sie daran. Kathy riss die Augen auf und starrte direkt in sein Gesicht. »Ich bin schon lange nicht mehr dein Mädchen«, zischte sie und stieß Peter unsanft zur Seite.
Er versuchte, sie an sich zu ziehen, aber sie entzog sich seinem Griff, rannte ins Bad und verschloss, so schnell sie konnte, die Tür. Weil sie vergessen hatte, frische Kleidung mitzunehmen, aber keine Lust verspürte, Peter im Bademantel gegenüberzutreten, zog sie kurzerhand eine getragene Jeans und ein T-Shirt aus dem Wäschekorb. Für Peter würde sie sich nicht aufbrezeln, so viel stand fest.
Entschlossen, sich keine weiteren Annäherungsversuche gefallen zu lassen, öffnete sie die Badezimmertür. Zu ihrer Erleichterung wartete Peter nicht am Frühstückstisch. Stattdessen dröhnte lautes Motorengeheul durch das gekippte Küchenfenster. Kathy mochte ihren Augen nicht trauen, als sie Peter mit rotem Kopf über die Motorhaube seines Wagens gebeugt sah. Statt sich um den Schaden zu kümmern, den er in ihrem Laden angerichtet hatte, dachte er nur an sein Auto.
Kathy kochte vor Wut. Sie rief die Polizeistation in Sneem an und informierte sie über den Vorfall. Im Vorbeilaufen schnappte sie sich Peters Koffer und schleppte sie die Treppe hinunter. Wütend knallte sie ihm die braunen Ungetüme vor die Füße. »Ich möchte, dass du verschwindest, sobald die Polizei hier war und den Unfall aufgenommen hat«, schrie sie ihm entgegen.
Von der anderen Straßenseite eilte Lena dazu und stellte sich neben sie. »Falls du nicht freiwillig für den Schaden aufkommst, hörst du bald von unserem Anwalt«, drohte die Freundin.
Kathy hob zur Bekräftigung demonstrativ die Faust, dann rannte sie zurück in den Wollmarkt. Wann würde dieser Mann endlich für immer aus ihrem Leben verschwinden?
»Mal schauen, wann ich einen Termin für Sie freihabe«, brummte der Glaser am anderen Ende der Leitung. Kathy trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch. Jetzt half nur entschlossenes Vorgehen.
»Okay, frage ich eben bei Ihrer Konkurrenz in Killarney nach. Die freuen sich bestimmt über eine solvente Kundin«, erwiderte sie mit fester Stimme.
Der Glaser räusperte sich. »Was sagten Sie? Es handelt sich um eine Schaufensterscheibe mit Einfachverglasung?«
»Wieso?« Kathy verlor langsam die Geduld. »Ginge es denn schneller, wenn ich Doppelverglasung bestellen würde?« Der Mann hatte wirklich die Ruhe weg.
»Hm. Da ließe sich eher was machen. Könnten Sie die Rechnung bar bezahlen?«
Kathy war sofort klar, dass der Mann an der Steuer vorbei arbeiten wollte. »Natürlich kann ich das. Doch ich brauche eine ordentliche Rechnung für meine Versicherung.« Sie atmete tief durch. »Was ist jetzt? Kommen Sie heute noch vorbei, oder soll ich mir eine andere Firma suchen?«
Ihre Hartnäckigkeit schien sich auszuzahlen. Er sagte zu, das Schaufenster am Nachmittag auszumessen. »Wird aber ein paar Tage dauern, bis wir das Fenster richten.«
Frustriert zog Kathy ihren Parka an und lief die Treppe hinunter. Sie hängte das Schild mit der Aufschrift »Bin gleich wieder da« an die Ladentür und eilte zum Gemeindehaus. Zwei Stufen auf einmal nehmend hastete sie in den zweiten Stock, wo Lena ihre Werkstatt hatte.
Atemlos verharrte Kathy einen Moment vor der Tür und schaute voller Stolz auf das Firmenschild. »Kathys und Lenas Taschenmanufaktur«, stand dort mit geschwungenen Lettern auf Messing. Was einmal als Hobby ihrer deutschen Freundin angefangen hatte, war inzwischen ein richtiges Erfolgsmodell. Ihre Taschen wurden nicht nur im Wollmarkt und in einem großen Hotel verkauft, sondern auch im größten Bekleidungsladen von Tralee.
Mit Schrecken dachte Kathy daran, dass Peters Wagen Lenas neueste Kreationen zerstört hatte. Mindestens sechs der aufwendig gearbeiteten Handtaschen waren sprichwörtlich unter die Räder geraten. Und genau über diesen Verlust musste sie mit ihrer Geschäftspartnerin reden.
»Guten Morgen, ihr fleißigen Bienen«, begrüßte sie die Mitarbeiterinnen. Sue, Sally und Josy saßen an den Nähmaschinen und nickten ihr nur kurz zu, danach konzentrierten sie sich wieder auf die Arbeit. Lena heftete einen ihrer neuen Entwürfe an die Pinnwand.
»Darf ich dich einen Moment stören?« Kathy zog die Freundin mit sich in die Teeküche. »So wie es aussieht, werde ich noch eine Woche mit dem Bretterverschlag leben müssen.«
Lena füllte zwei Becher mit Tee aus einer Thermoskanne. »Mach doch den Laden solange zu. Im November verirrt sich sowieso kein Tourist mehr nach Busby.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ich würde die Zeit gern nutzen, um den Verkaufsraum zu renovieren.« Diese Idee war Kathy ganz spontan gekommen. »Frische Farbe für die Regale und die alten Holzdielen.« Nachdenklich schaute sie Lena an. Doch die schien mit ihren Gedanken längst wieder bei der Taschenproduktion zu sein. »Lena, hörst du mir zu?«
»Entschuldige. Mir geht gerade so viel durch den Kopf. Jack möchte am Wochenende mit mir nach Dublin fahren. Dabei habe ich eigentlich keine Zeit dazu. Erst gestern ging eine Bestellung für zwölf Weekender ein. Und du brauchst ja auch meine Hilfe.«
Ein bisschen neidisch war Kathy schon auf das frisch verliebte Paar. Lena hatte nach dem Tod ihres Mannes in Jack eine neue Liebe gefunden und war sogar seinetwegen von Berlin nach Busby gezogen. Aber sie gönnte den beiden auch ihr Liebesglück. Wenn, ja wenn sie selbst nur endlich den richtigen Partner an ihrer Seite hätte. Kathy sehnte sich nach einer Familie. »Ihr zwei Turteltäubchen reist nach Dublin. Ich kümmere mich um euren Hund und die Firma. Wozu sind wir Partnerinnen?« Mit der Teetasse prostete sie Lena zu.
Die strahlte sie an. »Am Montag helfe ich dir, den Laden aufzuhübschen. Heute Nachmittag weihen wir die Handarbeitsmädels in deine Pläne ein. Wetten, dass die mit anpacken?«
Als Kathy die beschädigten Handtaschen erwähnte, winkte Lena nur ab. »Mach dir darüber keine Sorgen. Unser Anwalt wird sich das Geld schon von Peter besorgen. Notfalls muss der den Schaden in Raten abstottern. Ein paar Modelle für dein Schaufenster habe ich noch im Lager.«
»Hoffen wir mal, dass das alles so glattläuft.« Kathy runzelte die Stirn. So ganz wohl war ihr nicht bei dem Gedanken, dass Peter ihretwegen auch noch Ärger mit der Polizei hatte.
Lena knuffte sie in die Seite. »Du hast jetzt aber kein Mitleid mit Peter? In den Schlamassel hat er sich allein geritten. Vielleicht kapiert er endlich, dass zwischen euch nichts mehr läuft, und lässt dich in Ruhe.«
»Ja, hoffentlich«, erwiderte Kathy halbherzig und verabschiedete sich rasch.
Schon von Weitem sah sie den Handwerkervan vor ihrem Wollmarkt. Ein stämmiger Mann lehnte rauchend an der Ladentür und redete lautstark in sein Handy. Als Kathy auf ihn zukam, schnippte er die Zigarette lässig auf den Rinnstein. Funken stoben, als er sie mit dem Absatz seines Arbeitsschuhs austrat.
Kathy setzte ihr schönstes Lächeln auf und reichte ihm die Hand. »Wunderbar, dass Sie es so früh einrichten konnten, Mr Blank«, säuselte sie und schloss die Ladentür auf. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?« Ihre Charmeoffensive schien zu wirken.
Er kratzte sich das stoppelige Kinn und nickte. »Verdammt kalt geworden«, brummte er und folgte Kathy in den Laden. Im Schein der Deckenleuchte schaute er sich um. Nicht dem demolierten Schaufenster galt seine Aufmerksamkeit, die dicken Wollsocken hatten es ihm angetan. »Darf ich?«, fragte er und griff sich ein Paar graue mit Zopfmuster aus dem Regal. »So was hat meine Mutter auch immer gestrickt. Gibt nichts Besseres.« Zärtlich strich er über die flauschige Wolle.
»Da haben Sie recht.« Kathy strahlte ihn an. »Besonders, wenn man in diesem zugigen Laden arbeiten muss.« Mit dem Kopf deutete sie zum Schaufenster. »Gott sei Dank regnet es nicht. Sonst würde ich auch noch absaufen.« Mit den Worten: »Ich koch schnell mal Tee«, ließ sie den Glaser stehen und eilte in ihre Wohnung.
Als sie mit zwei dampfenden Bechern und einer Packung Schokoladenkekse zurückkehrte, kniete Mr Blank im Schaufenster und kritzelte Zahlen auf einen Block. »Die Maße habe ich«, murmelte er und kletterte zurück in den Laden.
»Wollen wir den Tee bei mir in der Webstube trinken? Dort ist es gemütlicher«, bot Kathy an.
Bereitwillig folgte ihr der Handwerker und ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl vor dem Fenster sinken. »Lange machen meine Knie das nicht mehr mit«, stöhnte er und trank einen großen Schluck Tee. Nachdenklich biss er in einen Schokoladenkeks. »Ich könnte Ihnen eine dicke Plastikfolie an die Holzbretter nageln. So sind die Ritzen dicht, und es zieht nicht mehr.«
Was eine Tasse Tee doch alles bewirken kann, dachte Kathy und eilte in den Verkaufsraum. Mit den grauen Socken, ihren »Irish Cosies«, in der Hand kehrte sie zurück. »Darf ich Ihnen ein kleines Dankeschön überreichen?« Sie lächelte verschmitzt und drückte ihm die flauschigen Teile in die Hand. »Sie sind meine Rettung.«
Die Socken verfehlten ihre Wirkung nicht. Mr Blank dichtete nicht nur das Schaufenster ab, er versprach sogar, den Auftrag vorrangig zu bearbeiten. »In spätestens einer Woche scheint die Sonne wieder in Ihren kleinen Laden«, verkündete er und klopfte Kathy zum Abschied kumpelhaft auf die Schulter.
Wenn sie auch keinen Freund fürs Leben gefunden hatte, so war sich Kathy sicher, einen verlässlichen Handwerker an ihrer Seite zu haben. Voller Tatendrang räumte sie die Regale leer und trug Pullover, Wollsocken, Schals und Taschen in ihre Wohnung. Dort stapelte sie alles hinter dem Sofa und schob danach die kleineren Webteppiche unter das Bett.
Als ihre Freundinnen am Nachmittag den Laden betraten, rollte sie gerade das Prachtstück ihrer Ausstellung, einen riesigen Wohnzimmerteppich, zusammen. »Gut, dass ihr kommt. Ich könnte eine helfende Hand gebrauchen. Der Teppich muss auch nach oben.«
»Ich packe mit an.« Claire schob Lena und Bella zur Seite und hockte sich an das eine Ende der Teppichrolle, Kathy hob das andere an. Ganz so einfach, wie sie sich das vorgestellt hatten, war es dann doch nicht. Das Ungetüm war für zwei Frauen zu schwer und vor allem zu unhandlich.
»Warum schiebt ihr ihn nicht unter den Webstuhl?«, schlug Lena vor. »Dort nimmt er keinen Platz weg.«
»Wenn wir dich nicht hätten.« Kathy küsste ihre Freundin auf die Nasenspitze. Mit vereinten Kräften bugsierten sie den Teppich in die Webstube.
»Hab schon von Lena gehört, dass du den Laden renovieren willst.« Maura stellte ein Kuchentablett auf den Arbeitstisch. »Beim Streichen kann ich dir nicht helfen. Dafür sorge ich gern für die Verpflegung«, bot sie an. Die Inhaberin der kleinen Teestube war mit zweiundsechzig die Älteste des Handarbeitskreises und so was wie die gute Seele im Dorf. Sie kümmerte sich um die alleinstehenden Rentner, kochte für sie oder begleitete sie zum Arzt. »Also was ist, Mädels?« Fragend schaute sie in die Runde. »Wer opfert am Wochenende ein paar Stunden und hilft Kathy?«
Bella hob schüchtern die Hand. »Sonntag nach der Messe hätte ich Zeit.«
Nora schaute auf ihre Schuhspitzen. »Für ein kleines Taschengeld helfen meine beiden Großen sicher gern mit. Ich bin natürlich auch dabei.«
Warum war sie nicht selbst darauf gekommen? Kathy ärgerte sich. Sie wusste genau, dass Nora und ihr Mann Tommy mit ihrer kleinen Schaffarm ständig Geldsorgen hatten. Dankbar nahmen sie jede Art von Nebenjob an.
»Ich zahle deinen Jungs fünfzig Euro für das Wochenende, jedem natürlich. Dann bereitet ihnen die Arbeit sicher mehr Spaß«, schlug sie vor und erntete dafür von Nora ein dankbares Lächeln. »Sollen wir die Farbe besorgen? Tommy und ich fahren morgen früh in den Großmarkt nach Killarney.«
Kathy freute sich über das Angebot. »Bringt mir bitte weiße Lackfarbe für die Regale und rote Holzfarbe für die Dielen mit.« In Gedanken sah sie den frisch renovierten Laden schon vor sich. »Wenn alles fertig ist, hole ich die Weihnachtsdeko vom Speicher. Diesmal wird der Wollmarkt besonders festlich strahlen.« Ihr fiel ein, dass sie versprochen hatte, sich um Scotty zu kümmern. »Was mache ich mit dem Hund, wenn wir hier mit Farbe hantieren?«
Lena lachte. »Um Scotty musst du dich nicht sorgen. Der wird brav auf seiner Decke liegen und aufpassen, dass ihr ordentlich arbeitet.«
»Und die Taschenproduktion?« Kathy bekam Bauchschmerzen, wenn sie daran dachte, was alles auf sie zukam.
Doch ihre Freundin beruhigte sie. »Habe ich schon geregelt. Sally und Sue werden am Samstag die Bestellungen abarbeiten. Kümmere du dich um den Wollmarkt.«
Maura stupste Kathy an. »Wollen wir quatschen oder arbeiten? Also esst euren Kuchen auf. Ich will qualmende Stricknadeln sehen.«
Keine zehn Minuten später zogen die Frauen ihr Strickzeug aus den Taschen. Statt sich wie üblich an den Webstuhl zu setzen, griff Kathy diesmal nach einem Nadelspiel und schlug Maschen für ein paar Herrensocken an.
»Zeig mal her.« Maura nahm ihr die Nadeln aus der Hand. »Wie lange hast du nicht mehr gestrickt? Ich zeige dir, wie das schneller geht.«
In diesem Moment klingelte Kathys Handy. Auf dem Display erschien eine ihr unbekannte Nummer. »Ja, wer dort?«, meldete sie sich vorsichtig.
»Kathy, bist du das?«, sagte ein Mann.
»Ja«, murmelte Kathy. »Und wer bist du?«
»Entschuldige. Ich dachte, du hättest mich an der Stimme erkannt. Ich bin Steve O’Connor, und ich rufe vom Flughafen in Cork an.«
Vor Schreck fiel Kathy das Strickzeug aus der Hand. »Heißt das …?« Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. »Ihr kommt heute schon?«
»Deshalb rufe ich an. Wir haben einen früheren Flieger genommen. Ich miete einen Wagen, dann sind wir heute Abend in Busby. Können wir schon in das Cottage?«
»Ja.« Kathy nickte und beendete das Gespräch.
Die Freundinnen schauten sie erwartungsvoll an. »Nun sag schon: Wer war das?«, wollte Lena wissen. »Hast du etwa einen neuen Verehrer?«
Alle lachten, und Kathy spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Das war Steve. Er kommt heute Abend schon.«
Kathy drückte Maura ihr Strickzeug in die Hand, biss in einen Brownie und lief die Treppe hinauf in die Wohnung. »Macht ohne mich weiter. Ich muss das Cottage herrichten«, rief sie von oben. Eine viertel Stunde später eilte sie mit einem prall gefüllten Korb aus dem Haus. Bis zum alten Dorfkern von Busby waren es nur wenige Meter. Die kamen ihr heute wie eine Meile vor.
Das Cottage ihrer Großeltern lag mitten im ältesten Teil des Ortes und gehörte seit Jahren einer reichen Dubliner Familie. Die neuen Besitzer hatten das weiß getünchte Haus liebevoll restauriert und mit hellen Landhausmöbeln eingerichtet.
Kathy war froh, dass man sie mit der Verwaltung beauftragt hatte. Jedes Mal, wenn sie die Räume für neue Feriengäste herrichtete oder im Garten arbeitete, fühlte sie sich ihrer Großmutter nah. Dann hörte sie wieder die schlurfenden Schritte ihres Großvaters auf den alten Holzdielen oder sah ihre Oma auf der Gartenbank sitzen. Wie gern würde sie hier mit einer eigenen Familie leben! Aber so, wie es aussah, würde sich dieser Traum nie erfüllen. Denn sie hatte weder den richtigen Mann noch das nötige Kleingeld dafür.
Kathy stellte den Korb auf dem Esstisch ab und räumte Eier, Bacon, Butter, Marmelade und Milch in den Kühlschrank. Das frische Toastbrot legte sie in den Brottopf. Haferflocken, Cornflakes, Tee und Kekse hatten ihren Platz im Hängeschrank. Auf dem Couchtisch platzierte sie einen kleinen Korb mit Äpfeln und Bananen.
»Bitte keine Streichhölzer herumliegen lassen«, hatte Steve sie gebeten. »Meine kleine Tochter ist zwar erst drei, dafür schon ganz schön aufgeweckt.« Daran erinnerte sie sich wieder und verstaute die Streichholzschachtel im obersten Schrankfach. Auf ihrer Inspektionsrunde drehte sie die Heizkörper auf und vergewisserte sich, dass alle Räume blitzblank waren.
Sie dachte an Steve. Vor zwölf Jahren war er nach Neuseeland ausgewandert und hatte den Kontakt zu seinem Bruder Dan wegen Erbstreitigkeiten abgebrochen. Warum er jetzt zurückkam, wusste keiner so genau. Darüber, dass er mit Kind, jedoch ohne Frau anreiste, kursierten im Dorf die wildesten Gerüchte. Einige behaupteten, er sei Witwer, andere gaben vor, gehört zu haben, seine Frau habe ihn und das Kind verlassen.
Kathy gab nichts auf das Gerede. Sie bildete sich lieber selbst eine Meinung. Als Teenager war sie in den vier Jahre älteren Steve verliebt gewesen. Auf dem Schulhof hatte sie den großen braunhaarigen Jungen angehimmelt und davon geträumt, von ihm beim Ostertanz aufgefordert zu werden. Doch er hatte nur Augen für diese rothaarige Ziege von der Carter-Farm. Die hatte mehr Busen und war richtig kess für ihr Alter. Kathy hingegen war damals klein, pummelig und schüchtern. Erst mit achtundzwanzig hatte sie sich in den gut aussehenden Peter verliebt. Bis heute war ihr nicht klar, wie es ihr gelingen konnte, sich ihn zu angeln, obwohl er der Schwarm aller jungen Frauen gewesen war.
Gedankenverloren wischte Kathy mit dem Staubtuch über den Nachttisch, zupfte die Bettdecke zurecht und legte ein kleines Plüschtier ins Kinderbett. Erst gestern hatte sie das Gitterbettchen vom Speicher geholt und aufgebaut. Als hätte sie geahnt, dass die zwei heute schon kommen würden.
Nervös schielte Kathy zum wiederholten Mal zur Uhr auf dem Kaminsims. In spätestens einer Stunde würde Steve hier sein. Als waschechter Ire freute er sich sicher über eine Tasse Tee. Rasch setzte sie Wasser auf und stellte Teebecher und eine Schale mit Cookies auf den Esstisch. Feuer im Kamin wäre sicher ein netter Willkommensgruß.
Sie lief in den Garten, um Torf aus dem angrenzenden Schuppen zu holen, und es gelang ihr sogar, das Feuer auf Anhieb zu entfachen. Zwar qualmte der feuchte Torf zuerst noch etwas, aber bald zog der Kamin, die Flammen züngelten gleichmäßig und sorgten für wohlige Wärme. Kathy ließ sich erschöpft auf das Sofa sinken und legte die Beine auf dem Sessel ab. Erst jetzt spürte sie die Folgen der letzten Nacht. In ihren Ohren pfiff es, und ihre Augen fielen vor Müdigkeit immer wieder zu. Sie rutschte tiefer in die Kissen.
»Hallo, jemand da?«, ertönte eine Männerstimme vor dem Haus, und Kathy sprang erschreckt auf.
»Die Tür ist offen«, rief sie und eilte zum Windfang. Im Licht der Laterne stand Steve vor einem Range Rover. »Hältst du mir bitte die Türen auf. Ich muss Mia ins Bett tragen. Sie ist während der Fahrt eingeschlafen.« Er deutete zur Rückbank, wo ein kleines braunhaariges Mädchen mit offenem Mund in einem Kindersitz kauerte.
»Ist die niedlich«, entfuhr es Kathy.
»Warte, bis sie aufgewacht ist«, flüsterte Steve. »Dann verwandelt sie sich blitzschnell in einen kleinen Wirbelwind.« Er hob seine Tochter aus dem Sitz, und sofort schmiegte sie ihr Köpfchen an seine Schulter. Kathy wurde es warm ums Herz, als sie sah, wie liebevoll Steve mit der Kleinen umging. »Würdest du bitte?« Er tippte mit dem Fuß gegen die Haustür.
Kathy riss die Tür auf und stolperte an ihm vorbei ins Haus. Sie rannte die Treppe hinauf, um die Schlafzimmertür zu öffnen. »Kann ich dir helfen?«, sagte sie.
Steve legte Mia vorsichtig auf das Ehebett und zog ihr Schuhe, Strümpfe und die Jeans aus. »Könntest du mir die Reisetasche aus dem Auto holen?«, bat er leise.
Froh darüber, etwas tun zu können, flitzte Kathy auf Zehenspitzen nach unten.
Als sie mit der Tasche zurückkam, holte Steve einen Schlafanzug aus dem Vorderfach und streifte ihn Mia über. Für einen Moment öffnete das Kind die Augen und schaute sich erstaunt um. »Daddy?« Mia strich mit ihrer zarten Hand über Steves unrasierte Wange und schlief wieder ein.
Am liebsten hätte Kathy ihr jetzt einen Gutenachtkuss gegeben. Das Plüsch-Lamm an ihre Wange gekuschelt, schlummerte Mia in Kathys altem Kinderbett.
Steve kramte zwei Babyphone aus der Reisetasche und platzierte eins neben dem Gitterbett auf der Fensterbank. Das zweite steckte er sich in die Hosentasche. »Gehen wir nach unten«, flüsterte er und schob Kathy aus dem Schlafzimmer. Im Wohnzimmer schaute er sich lächelnd um. »Wie schön, du hast Tee gekocht. Und im Kamin prasselt ein Feuer.« Er legte das Babyphon auf den Couchtisch, ließ sich in den Sessel sinken und streckte die Beine von sich. »Setzt du dich einen Moment zu mir?«
Kathys Hand zitterte, als sie ihm den Teebecher reichte. »Möchtest du Milch und Zucker?« Sie vermied es, Steve anzusehen.
»Nein danke«, entgegnete er und trank vorsichtig einen kleinen Schluck. »Schwarz und stark, genau wie ich ihn am liebsten mag.«
Kathy hätte ihn gern nach seinem Leben in Neuseeland gefragt. Doch sie traute sich nicht. Seine vor der Brust verschränkten Arme und der traurige Blick signalisierten ihr allzu deutlich, dass er in Ruhe gelassen werden wollte.
Als Jugendliche hatte sie nie zu seinem Freundeskreis gehört. Kein einziges Wort hatte er damals mit ihr gewechselt, sie wahrscheinlich nicht einmal wahrgenommen. Kathy hoffte inständig, dass er, wenn er sich erst mal in Busby eingelebt hatte, ihre Freundschaft suchen würde. An mehr wagte sie gar nicht zu denken. Steve starrte ins Feuer und gähnte.
»Ich gehe dann mal. Du bist sicher müde von der langen Reise«, unterbrach Kathy das Schweigen. Sie trug ihren Teebecher zur Spüle und spürte, dass Steve sie beobachtete. »Im Kühlschrank findest du alles, was du für das Frühstück brauchst. Der Rest ist hier oben im Hängeschrank.« Unsicher blieb sie mitten im Raum stehen.
Steve erhob sich und trat auf sie zu. »Ist gemütlich, das Haus deiner Großeltern. Ich erinnere mich noch genau an die beiden. Einmal habe ich sie hier besucht, um ihnen Eier von unserem Hof zu bringen.«
Erstaunt riss Kathy die Augen auf. »War ich auch da?«
Über Steves Gesicht huschte ein Lächeln. »Du hast damals mit Puppen im Garten gespielt.«
Kathys Wangen glühten, als er sie ansah. »Ich …«, stammelte sie und wandte den Blick ab. »Ich muss morgen früh raus. Du willst sicher auch ins Bett.« Die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter breitete sich in ihrem Körper aus.
»Danke, dass du uns so herzlich willkommen geheißen hast. Natürlich auch für das Frühstück. Was bin ich dir schuldig?«, fragte Steve und fuhr sich durch die Haare.
Vorsichtig hob Kathy den Kopf und schaute ihn an. Seine braunen Augen hielten ihren Blick fest. »Nichts«, brachte sie mühsam heraus. »Das ist mein Willkommensgruß.«
Steve sah an ihr vorbei aus dem Fenster. »Das habe ich in Neuseeland am meisten vermisst. Irische Gastfreundschaft.« Er zögerte einen Moment, dann beugte er sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. »Danke, Kathy. Es fühlt sich verdammt gut an, wieder hier zu sein.«
Sie hatte die Türklinke schon in der Hand, da fiel ihr etwas ein. »Falls du mal in den Pub möchtest und eine Babysitterin brauchst, ich kümmere mich gern um Mia.«
»Wartet zu Hause denn niemand auf dich?«, fragte Steve.
Kathy schlang sich ihren Schal um den Hals. »Nur der Webstuhl«, antwortete sie, öffnete die Tür und trat vor das Haus.
»Wir besuchen dich morgen mal in der Webstube«, rief Steve ihr nach.
»Darüber würde ich mich freuen«, antwortete sie leise und eilte nach Hause.
An der Kühlschranktür pappte ein Zettel. »Nervennahrung! Ruf mich an, egal wie spät es ist, Kuss, Lena.«
Wie lieb, ihr ein Stück von Mauras legendärer Schokotorte aufzuheben. Heißhungrig machte sich Kathy über die Torte her, klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und rief Lena an.
»Wie sieht er aus?«, wollte die Freundin sofort wissen. »Hat er Ähnlichkeit mit Dan?«
Kathy drehte den Warmwasserhahn über der Wanne auf. »Moment, ich lasse mir gerade ein Bad ein.«
»Jetzt spann mich nicht länger auf die Folter«, beschwerte sich Lena.
Im Hintergrund flüsterte Jack: »Kommst du auch gleich ins Bett, Schatz?«
Kathy hatte Mühe, ihr Kopfkino zu stoppen. Sie kletterte in die Wanne und streckte sich wohlig aus. »So, nun können wir reden. Steve ist genauso groß wie sein Bruder, aber er hat braune Haare.«
»Das wollte ich nicht wissen. Wie findest du ihn?« Lena konnte ganz schön hartnäckig sein.
»Also gut, du Nervensäge. Ich erzähle dir etwas, das ich noch nie jemandem erzählt habe«, sagte Kathy. »In seiner Nähe fühle ich mich nach all den Jahren noch immer wie ein verliebtes Schulmädchen. Dabei kenne ich ihn nicht mal. Früher hat er nie ein Wort mit mir geredet. Ich glaube nicht, dass er mitgekriegt hat, wie verknallt ich in ihn war.« Sie schrubbte ihren Rücken mit der langen Wurzelbürste. Lena schwieg eine ganze Weile. Kathy stellte das Handy auf laut und legte es auf den Hocker neben der Wanne. Dann schamponierte sie sich die Haare. »Was soll ich machen?«
»Den Laden renovieren und dich um Scotty kümmern. Oder willst du dich wieder in eine unglückliche Beziehung stürzen?«, beendete Lena die Gesprächspause.
»Verdammt, ich habe Shampoo in die Augen bekommen«, sagte Kathy und tauchte ihr Gesicht ins Wasser. »Du hast ja recht. Auf Steve wartet in Neuseeland sicher eine bildhübsche Frau und kümmert sich um die Farm, während er seine Verwandten besucht.« Der Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht. »Wann bringst du mir morgen Scotty vorbei?«, wechselte sie rasch das Thema.
»Könntest du ihn gegen Mittag abholen?« Lena gähnte. Mit den Worten: »Ich bin hundemüde. Können wir morgen weiterquatschen?«, beendete sie das Gespräch.
Obwohl Kathys Körper sich nach Schlaf sehnte, kam ihr Kopf nicht zur Ruhe. In ihren Bademantel gehüllt, saß sie auf der Couch, blätterte in alten Fotoalben und kramte in ihren Erinnerungen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie das Bild fand.
Ihre Mutter hatte sie als Zwölfjährige auf dem Schulfest fotografiert. Im Hintergrund alberte Steve mit seinen Kumpels herum und grinste frech in die Kamera. Sie hatte dieses Foto damals in ihrer Nachttischschublade unter den Taschentüchern versteckt und jeden Abend vor dem Einschlafen hervorgeholt. Steves Kopf hatte sie mit einem roten Herzen umrahmt, was ihr heute mehr als peinlich war. Wie sehr sie beide sich doch verändert hatten. Gott sei Dank war sie nicht mehr klein und pummelig.
Auf dem Weg ins Schlafzimmer blieb sie vor dem Ankleidespiegel stehen und begutachtete sich nackt im Spiegel. Sie war mittelgroß und schlank. Nur die Sommersprossen in ihrem Gesicht waren zahlreicher und ihre braunen Locken noch ein wenig störrischer geworden. Die Brüste waren klein und fest, der Bauch für ihren Geschmack vielleicht ein wenig zu rund. Aber das störte sie nicht. Peter hatte ihre Figur immer als aufregend bezeichnet.
Rasch schlüpfte sie in ihren Schlafanzug und kroch unter die Bettdecke. Wieder wanderten ihre Gedanken zu Steve. Er hatte so gar nichts mehr von dem rebellischen Jungen von damals an sich. Steve sah verdammt gut aus, und was Kathy besonders berührte: Er war ein liebevoller Vater. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich wieder in ihn verlieben.
Kathy hockte auf der obersten Treppenstufe und beobachtete amüsiert, wie Lena und Jack sich von ihrem Hund verabschiedeten. »Wenn man euch beide so sieht, könnte man glatt meinen, ihr geht auf Weltreise. Scotty und ich kommen die zwei Tage schon ohne euch klar.«
Der grauhaarige Mischlingshund schien genau zu verstehen, was sie sagte. Er rutschte neben sie und legte den Kopf auf ihre Oberschenkel. Kathy kraulte ihn hinter den Ohren und sagte: »Wir beide machen es uns so richtig gemütlich. Ich habe extra Lammkoteletts gekauft.«
»Verwöhn ihn mir nicht zu sehr.« Jack beugte sich zu dem Hund und streichelte seinen Kopf. »Schön brav sein, mein Junge. Pass gut auf Kathy auf.« Dann küsste er sie auf die Wange und marschierte zu seinem Wagen.
Lena stellte die Hundetasche neben Kathy. »Da ist alles drin, was Scotty braucht. Kuscheldecke, Näpfe, Trockenfutter und seine Bürste.« Sie hockte sich vor den Hund und drückte ihn an sich. »Du fehlst mir jetzt schon, mein Guter«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Und wer vermisst mich?«, beschwerte sich Kathy und bekam prompt einen Nasenkuss von Scotty und eine Umarmung ihrer Freundin. »Wir bringen euch beiden was Schönes mit«, versprach Lena und folgte Jack zum Auto. Scotty verabschiedete sie mit einem kurzen Bellen und trottete brav neben Kathy Richtung Wollmarkt.
Vor der Teestube steckten Claire, Bella und Maura die Köpfe zusammen. Als Kathy auf sie zuging, beendeten die Freundinnen abrupt ihr Gespräch und schauten sie erwartungsvoll an. »Und?« Claire stupste sie in die Seite.
»Was und?« Kathy wusste genau, was die drei von ihr hören wollten.
»Wie ist er so?«, fragte Bella und errötete. Bevor Kathy antworten konnte, ertönte von der anderen Straßenseite eine zarte Kinderstimme. »Ich will zum Hund, Daddy.«
»Einen Moment, Mia. Daddy redet noch mit Fergus«, antwortete Steve. Aufgereiht wie die Orgelpfeifen starrten die Frauen hinüber.
Neben dem Eingang vom »Old Horseshoe« lehnte Fergus lässig an der Hauswand und klopfte Steve auf die Schulter. »Ich sehe dich beim Darts?«
Steve nickte.
»Ich gehe mal rüber.« Claire hatte hektische Flecken auf den Wangen. »Fergus wartet sicher auf mich.« Schon lief sie über die Straße.
»Sieht der aber gut aus.« Bella blieb wie angewurzelt stehen.
»Die Kleine ist ganz der Papa«, fand Maura endlich ihre Sprache wieder.
Kathy war die offen zur Schau gestellte Neugier ihrer Freundinnen peinlich. »Jetzt starrt nicht so rüber. Wenn ihr ihn kennenlernen wollt, geht hin und begrüßt ihn«, schimpfte sie. Dabei konnte sie selbst kaum ihren Blick von Steve und Mia wenden.
Scotty zerrte an der Hundeleine und zog Kathy mit sich. Da schrie die kleine Mia: »Sit!«, und hob den Arm. Abrupt stoppte der Hund an der Bordsteinkante und schaute schwanzwedelnd zu ihr herüber. Kathy blieb nichts anderes übrig, als die Straßenseite zu wechseln. Kaum hatte sie die Straße überquert, riss sich Mia von der Hand ihres Vaters los und lief auf Scotty zu.
Mit einem Satz war Steve bei ihr und hielt sie am Arm zurück. »Du sollst doch nicht weglaufen«, tadelte er die Kleine.
»Ist ja noch mal gut gegangen«, beschwichtigte Kathy und hockte sich vor das Kind. »Hallo Mia, ich bin Kathy, und das ist Scotty. Magst du ihn mal streicheln?«
»Scotty«, wiederholte Mia mit zarter Stimme und streckte vorsichtig ihre Hand aus. Der Hund rutschte auf dem Bauch zu ihr und legte seine Schnauze auf ihre Füße.
»Sieht so aus, als hätten sich zwei gefunden.« Steve reichte Kathy die Hand und zog sie aus der Hocke hoch.
»Habt ihr gut geschlafen?« Kathy landete so nah vor ihm, dass sie sein Rasierwasser riechen konnte. Der frische Duft eines Sommertages am Meer gefiel ihr.
Steve winkte Fergus zum Abschied zu, der kurz darauf mit Claire im Pub verschwand, dann beantwortete er ihre Frage. »Wir sind beide erst um 10:00 Uhr aufgewacht. Es ist herrlich ruhig im alten Dorf. Kein Vergleich zu Singapur, wo wir einen Zwischenstopp eingelegt haben. Trotz der schallisolierten Hotelfenster konnten wir vor Straßenlärm kaum schlafen.«
Kathy hob langsam den Kopf und schaute Steve in die Augen. Sie waren dunkelbraun mit kleinen bernsteinfarbenen Sprenkeln, stellte sie mit Erstaunen fest und senkte schnell wieder den Blick.
Als Mia ihren Vater am Hosenbein zupfte, um auf sich aufmerksam zu machen, ging er neben ihr auf die Knie und legte einen Arm um ihre Taille. »Wollen wir Kathy und Scotty in den Wollmarkt begleiten? Dort kannst du mit dem Hund spielen, während ich mir das kaputte Schaufenster anschaue.«
Die Kleine klatschte vor Freude in die Hände und kommandierte: »Let’s go!« Sie nahm Kathy die Leine aus der Hand und trippelte mit dem Hund vor ihrem Vater her. Scotty lief brav bei Fuß.
Im Vorbeigehen begrüßte Steve Mr und Mrs Melony. Rein zufällig hatten die beiden nichts Besseres zu tun, als die Gemüsekisten vom rechten vor das linke Schaufenster zu schieben.
In diesem Moment stoppte Dans alter Ford neben Steve. Kathy stockte der Atem. Das erste Wiedersehen nach zwölf Jahren. Wie würden die beiden Brüder reagieren? Würde die alte Feindschaft wieder hochkochen? Verlegen fuhr sich Steve durch die Haare und trat an das Auto.
Dan kurbelte das Fenster auf der Fahrerseite herunter und rief gut gelaunt: »Bin gerade auf dem Weg zu euch. Steigt ein, ich nehme euch mit zur Farm. Chris und die Mädchen können es kaum erwarten, euch zu sehen.«
Erleichtert atmete Kathy auf, als Steve seinem Bruder die Hand reichte. »Siehst noch gut aus für dein Alter«, witzelte er. »Ein bisschen dick um die Hüften, aber sonst ganz passabel.«
»Das sagt gerade der Richtige.« Dan boxte Steve in die Rippen. »Bekommst du in Neuseeland nichts Anständiges zu essen? Du Hungerhaken.«
»Wer ist das?« Mia versteckte sich hinter Scotty und deutete auf Dan.
»Dein Onkel Dan, mein Bruder.« Steve drehte sich zu ihr um und nahm sie auf den Arm. »Möchtest du mit mir zur Farm fahren und Sarah und Anne kennenlernen? Die haben sicher viele Spielsachen.«
Die Kleine schüttelte den Kopf. »Will bei Scotty bleiben.«
»Wir haben auch zwei Hunde und vier Kaninchen«, beeilte sich Dan, zu sagen, und Kathy fügte rasch hinzu: »Du kannst später noch mit Scotty spielen.«
Mia sah sie mit großen Augen an. »Komm mit«, sagte sie und streckte die Arme nach Kathy aus.
»Ach, du Süße«, raunte sie und nahm Steve Mia ab, drückte sie an sich und küsste ihre Wange. »Ich muss doch arbeiten. Aber du kannst mich heute Abend besuchen. Dann spiele ich mit dir Verstecken.« Ihr Herz hüpfte vor Freude, weil Mias kleine Hand in ihren Locken wuschelte.
Steve flüsterte seiner Tochter etwas zu, und sie nickte. »Wenn es dir recht ist, schauen wir später bei dir vorbei. Falls es heute Abend nicht klappt, rufe ich dich an. Dan hat sicher deine Nummer.«
Kathy spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, als Steve ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange gab. Ausgerechnet in diesem Moment eilte Mrs Melony an ihnen vorbei. »Schön, dass du wieder in Busby bist«, rief sie und zwinkerte Steve zu.
Grinsend winkte Dan Steve und Kathy zu sich an den Wagen. »Wundert euch nicht, wenn ihr heute das Gesprächsthema Nummer eins im Pub seid.«
»Dummes Klatschweib«, entgegnete Kathy und verabschiedete sich schnell.
Mia winkte ihr aus dem abfahrenden Wagen zu. Mit Scotty im Schlepptau lief Kathy dem Auto ein Stück nach und schwenkte ausgelassen die Reisetasche. Sie hoffte inständig, dass das Wiedersehen der Brüder weiterhin so harmonisch verlaufen würde wie ihre erste Begegnung.
Kaum hatte sie die Ladentür hinter sich geschlossen, kramte Kathy ihr Handy aus der Tasche und telefonierte mit Chris, Dans deutscher Ehefrau.
»Wenn ich es dir doch sage«, betonte Kathy. »Die beiden Brüder haben sogar miteinander gescherzt. Sie sind schon auf dem Weg zu euch.«
Am anderen Ende der Leitung tuschelten Sarah und Anne mit ihrer Mutter. »Ich muss auflegen. Die Mädchen wollen unbedingt dem Wagen entgegengehen«, verabschiedete sich Chris.
Unentschlossen blieb Kathy im Laden stehen und schaute sich um. Scotty stupste mit der Schnauze an ihr Bein und verlangte seine Streicheleinheiten. Sie kraulte ihn ausgiebig hinter den Ohren. »Du hast ja recht. Gemütlich ist das hier wirklich nicht. Wollen wir uns etwas zu essen machen?«
In ihrer Wohnung packte sie Scottys Reisetasche aus. Sie stellte die Näpfe vor den Küchenschrank und legte seine Schmusedecke neben das Sofa. Scotty schien dieser Platz nicht zu gefallen. Er zog die Decke hinter sich her bis vor die Schlafzimmertür. Dort hockte er sich hin und bellte. Als Kathy ihm die Tür öffnete, zog er die Decke vor das Bett. »Ausnahmsweise darfst du hier schlafen. Aber wehe, du schnarchst! Dann schmeiße ich dich raus.« Kathy hob drohend den Zeigefinger.
Scotty legte den Kopf schief und sah sie an, als könnte er kein Wässerchen trüben. Während sie am Herd stand und Lammkoteletts briet, wich der Hund nicht von ihrer Seite. Ich könnte mich glatt an dich gewöhnen, dachte Kathy und legte ein klein geschnittenes Kotelett in seinen Napf. Scotty machte sich über das Fleisch her, und Kathy mischte sich einen Salat.
Kaum hatte sie sich an den Tisch gesetzt und den ersten Bissen im Mund, klingelte ihr Telefon. Beim Klang von Mr Blanks Stimme verschluckte sie sich und prustete über den Teller. »Sagen Sie bitte nicht, dass Sie den Termin nicht einhalten können«, brachte sie mühsam heraus.
Mr Blank lachte. »Deshalb rufe ich nicht an.«
Im Hintergrund meldete sich eine Frau. »Lass mich mal ran.« Dann lernte sie Mrs Blank kennen. »Hallo, meine Liebe«, sagte die mit warmer Stimme. »Sie haben neulich meinem Mann diese wundervollen Socken geschenkt. Nun haben wir ein Problem.«
Kathy spießte sich ein Stück Lammfleisch auf die Gabel. Kalt schmeckte das wirklich nicht. »Aha.«
»Mein Mann will keine anderen Socken mehr anziehen. Wir brauchen dringend noch ein paar von diesen warmen Dingern«, rückte Mrs Blank mit der Sprache raus.
Kathy kaute rasch zu Ende. »Soll ich Ihnen welche zurücklegen?«
»Das wäre wirklich reizend, am besten vier Paar«, sagte Mrs Blank. Sie schien nachzudenken. »Haben Sie auch Damensocken? Könnte ich gleich bei Ihnen vorbeischauen? Mein Mann hat so von Ihrem Laden geschwärmt, den möchte ich mir unbedingt ansehen. Ich würde meine Freundin mitbringen. Ist das ein Problem für Sie?«
»Nein.« Kathy überlegte fieberhaft, in welcher Kiste sie die Wollsocken verstaut hatte. »Aber ich habe die Regale schon leer geräumt, weil ich den Laden am Wochenende renovieren will. Sie könnten sich meine Webstube anschauen. Ich suche in der Zwischenzeit die passenden Socken für Sie heraus.«
Mrs Blank schien begeistert von diesem Vorschlag. »Wir sind in einer Stunde bei Ihnen.«
Hastig aß Kathy den Salat auf und überließ Scotty den Rest ihrer Lammkoteletts. Dann trug sie die Kartons mit den Wollsachen in die Webstube, verstaute die Nähmaschine im Holzkoffer und schob ihn unter die Bank. Sie breitete die Socken, ein paar besonders aufwendig gearbeitete Schals und einige Aran Sweater auf dem Arbeitstisch aus und hängte zwei kleine Webteppiche über die Stuhllehnen. Fünf von Lenas Taschen stellte sie auf die Webbank. Wenigstens eine kleine Auswahl ihres Sortiments sollten die Damen zu sehen bekommen. Vielleicht gefiel ihnen das eine oder andere Stück. Kathy könnte die Einnahmen wirklich gut gebrauchen. In Windeseile kochte sie Tee, platzierte Kanne, Becher und eine Dose mit Cookies auf der Fensterbank, bevor sie sich an den Webstuhl setzte. Scotty trottete die Treppe hinunter und legte sich auf seinen Stammplatz unter dem Tisch.
Keine viertel Stunde später klingelte die Ladenglocke, und Kathy eilte in den Verkaufsraum, um ihre Kundinnen zu begrüßen. Mrs Cecilia Blank und ihre Freundin Betty, zwei äußerst lebenslustige Frauen mit Hochsteckfrisuren, hielten sich nicht lange mit Vorreden auf.
»Hoffentlich hat mein Mann das Schaufenster auch gut abgedichtet. Draußen regnet es ›cats and dogs‹«, sagte Cecilia zur Begrüßung. Sie bestand darauf, dass Kathy sie beim Vornamen anredete. »Das macht ihr jungen Leute heutzutage doch so«, bestätigte Betty und schüttelte Kathy die Hand. Die Damen sahen sich im Verkaufsraum um.
»Schade, dass die Regale schon leer sind.« Cecilia warf einen Blick in die Webstube. »Dürfen wir dort hinein?«, fragte sie und verschwand nach nebenan.
Betty folgte ihr. Scotty lag wie ein großes Plüschtier unter dem Tisch und schaute sie erwartungsvoll an. Von der Arztpraxis war er es gewohnt, ständig fremde Leute um sich zu haben.
»Nein, wie lieb ist der denn!« Betty kniete sich neben den Tisch und kraulte Scotty. Ihre Freundin nahm inzwischen die Strickwaren in Augenschein. Ganz die Geschäftsfrau erklärte Kathy den Frauen die Vorzüge der selbst gestrickten Socken und Pullover. »Wir verwenden nur Wolle von heimischen Schafen und stricken nach alter Tradition. Auch die Teppiche werden von mir auf diesem Webstuhl angefertigt.«
»Und die Taschen?« Betty hängte sich das Modell Cork über die Schulter.