Der kleine Klima-Krimi - Thorwald Autor - E-Book

Der kleine Klima-Krimi E-Book

Thorwald Autor

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Beschreibung

Was würde wohl geschehen, wenn wir unsere ausgewogene und wohldurchdachte feine Art zu leben einer Generation mitteilen würden, die in zweitausend Jahren existiert? Könnten sie uns verstehen? Was, wenn sie im Gegensatz zu uns, in einer Welt leben, in der es hauptsächlich um Macht und Geld geht? Die Firma "TOP-LAP-TOP-4U" finanziert "vollkommen uneigennützig" eine Aktion, in der das gebündelte Wissen unserer Zeit in Form von Mikrofilmen und Laptops in Fässern in einem Bergwerk eingelagert wird. Zweitausend Jahre später werden die Fässer vom "schlauen und hochgebildeten" Volk der Moronen gefunden. Erzählt wird die Geschichte in zwei Ebenen: Ebene 1: Jetztzeit: Die Psychologieprofessorin Barbara Katz, eine Frau mit signifikanter optischer Präsenz und einigen kleineren Verhaltensstörungen und der eindeutig heterosexuelle junge Informatiker Beach decken zusammen einige skurrile Details der Aktion auf. Ebene 2: In 2.000 Jahren: Der an einem Übermaß an Neugier leidende junge Morone Heru ist ein talentierter hauptberuflicher Dieb. Aufgrund widriger Umstände arbeitet er nicht als Dieb, sondern als Gehilfe für Braini, den alten Geschichtsschreiber der Königin. Zusammen versuchen sie die mysteriösen Informationen, die die Fässer nach und nach preisgeben, zu verstehen. Dazu gehören z.B. seltsame Hinweise wie "MADINGERMANY". Vor allem wollen sie wissen, warum das "Fassvolk" untergegangen ist.

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Thorwald Autor

Der kleine

Klima-Krimi

Science-Fiction-Roman

Geschrieben in Futur III und deshalb als Reiselektüre auf dem entspannten Weg in die Zukunft nur bedingt geeignet.

© 2024 Thorwald Autor

Umschlag & Satz: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Softcover

978-3-384-43754-9

Hardcover

978-3-384-43755-6

E-Book

978-3-384-43756-3

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Der kleine Klima-Krimi

Cover

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Urheberrechte

1.Kapitel

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Der kleine Klima-Krimi

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1. Kapitel

Manchmal hörte er, wie die Ratten über den Boden liefen. Heru saß in der Dunkelheit auf dem Kerkerboden. Es war warm und feucht, die Luft war stickig. Keine gesunde Umgebung, aber das war nicht das Hauptproblem. Er war noch jung und nicht anfällig für irgendwelche Krankheiten – im Gegensatz zu seinem Freund und Mentor Braini. Auch Braini hatten sie wahrscheinlich irgendwo in diesen Verließen eingekerkert. Braini war alt. Er würde nur wenige Tage im Kerker überstehen.

Normalerweise blieb man in diesem Verließ aber sowieso nur einen Tag, dann wurde man kurz verhört und nach dem Geständnis zum Pranger geführt. Dort leistete man einen Tag lang seinen Beitrag zur Volksbelustigung, in schweren Fällen mehrere Tage. Es sei denn man hatte wirklich etwas Gröberes ausgefressen und hatte sich dabei auch noch erwischen lassen. Auch dann musste man sich um die im Kerker eventuell eingefangenen Krankheiten keine Sorgen mehr machen, sondern eher hoffen, dass sich der Kopf in naher Zukunft nicht spontan vom Körper trennte.

Heru hatte schon immer geahnt, dass es mit ihm eines Tages kein gutes Ende nehmen würde. Das gehörte für einen hauptberuflichen Dieb zur normalen Laufbahn. Er war schon mehrfach erwischt worden, das ging allerdings immer glimpflich mit kleinen Strafen aus. Dummerweise hatte er sich vor einigen Jahren von dem Falschen erwischen lassen. Er musste unwillkürlich den Kopf über die seltsamen Wege des Schicksals schütteln. Er war in die Kammer von Braini, dem alten Geschichtsschreiber der Königin, eingebrochen. Was heißt hier eingebrochen? Die Tür war so gut wie offen gewesen und er war hineinspaziert. Das lächerlich einfache Schloss hatte er in drei Atemzügen geknackt.

Er hatte sich schon öfter über die Naivität der „denkenden Schicht“ gewundert. Sie verwechselten ständig die Begriffe „zugesperrt“ und „sicher“. Je schlauer und vor allem gebildeter sie waren, umso mehr verloren viele von ihnen den Kontakt zum einfachen Leben. Braini, der Geschichtsschreiber, war dafür ein gutes Beispiel. Es hieß, dass er sich durch die gesamte königliche Bibliothek durchgelesen hatte. Es hieß auch, dass er wertvolle Dinge in seiner Kammer aufbewahrte. Zumindest letzteres erwies sich als Irrtum.

Damals standen bei Heru einige Tage am Pranger an. Die Dinge entwickelten sich allerdings anders als erwartet. Braini machte ihm ein überraschendes Angebot: Wenn er ihm zeigte, wie man ein Schloss knackt, dann würde er ihn laufen lassen. Braini erwies sich als erstaunlich gelehriger und begeisterter Schüler. Nach einigen Tagen folgte der zweite Vorschlag. Braini würde ihm das Lesen und Schreiben beibringen und er könnte als Gehilfe von Braini arbeiten.

Heru schüttelte in der Dunkelheit wieder seinen Kopf. Das war damals der erste Schritt in den Untergang. Es folgten weitere Fehler. Eins führte zum anderen und als er schließlich vor den uralten Fässern stand, die irgendein edles Vorvolk, er nannte es das Fassvolk, vor langer, langer Zeit dort gelagert hatte, war sein Schicksal so gut wie besiegelt. Er würde seinen Kopf nicht wegen einiger Diebstähle verlieren.

Normalerweise waren die Gegebenheiten hier in Akkaland überschaubar. Es gab einerseits die Schlauen und Edlen, das waren die Moronen und andererseits die Dummen und Bösen, das konnten nur noch die Teuflischen Toronen sein, denn es gab nur diese beiden Völker. Vor langer Zeit gab es anscheinend auch nur zwei Völker, ein namenloses im Sandland und hier in Akkaland das Fassvolk, beide waren überraschenderweise untergegangen.

Wie es dann weiterging in Akkaland war seitdem sehr vorhersagbar, für Überraschungen blieb wenig Spielraum. Selbst die ruhmreichen Schlachten der edlen Moronen gegen die Teuflischen Toronen waren für niemanden eine Überraschung. Das hing damit zusammen, dass sie regelmäßig stattfanden und immer gleich, das bedeutete natürlich siegreich, endeten. Die Zukunft lag deutlich sichtbar vor ihnen wie ein Hasenpfad im Wald. Das änderte sich allerdings, als die alten Fässer gefunden wurden.

Es hatte damals eine Weile gedauert, bis sie aus den alten Fässern einige Informationen zapfen konnten. Aber was sie dann fanden war schier unglaublich. Das Fassvolk war nicht nur edel, es war auch reich. Es lebte in einem unvorstellbaren Luxus, einem Luxus, den man sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte, selbst dann nicht, wenn man total betrunken war.

Nur wenige Verhaltensweisen dieses Volkes wirkten vertraut. Dazu gehörte z.B., dass die Reichen die Armen hungern ließen. Sie waren, wie Braini es nannte, „ein wenig seltsam“. Heru zog es vor, die Dinge direkter zu bezeichnen. Sein Lieblingsausdruck war „Volk von Vollidioten“. Braini war da zurückhaltender. Er sagte immer „»Nicht so schnell. Wir verstehen nur einen kleinen Teil von dem Zeug aus den Fässern und deshalb ist wahrscheinlich ein Großteil unserer Schlüsse verkehrt.«

Ihr Herrschaftssystem nannte das Fassvolk Demokratie. Obwohl es auf purer Bestechung beruhte, waren sie sehr stolz darauf. Und dass, obwohl sich die Bestechung nicht auf das einfache Volk beschränkte, sondern anscheinend auch in der herrschenden Klasse weit verbreitet war. Sie hatten für alles seltsame technische Geräte, die sie manchmal mit geheimnisvollen Zeichen versahen, z.B. mit „MADINGERMANY“, was immer das bedeuten sollte.

Neben der Demokratie war ihnen die Bürokratie wichtig. Sie legten großen Wert auf die detaillierte Regelung des Alltags und schufen hierzu viele Gesetze, die, wahrscheinlich nach erfolgreicher Bestechung des Volkes, von den Reichen und Mächtigen beschlossen wurden. Erstaunlicherweise wurde öfters der Ausdruck „Bürokratieabbau“ verwendet. Gab es also irgendwo eine große wertvolle „Bürokratie-Ader“ und diese wurde ähnlich wie Erz abgebaut?

Das Fassvolk liebte es auf jeden Fall Formulare auszufüllen, sogar wenn sie zum Scheißen gingen. Heru kicherte. „Volk von Vollidioten“ schoss es ihm durch den Kopf. Das „Scheiß-Formular“ bestand anscheinend aus vier verschiedenfarbigen Durchschlägen, wobei der Durchschlag in Altgold beim Benutzer verblieb und am Körper getragen werden musste. Heru und Braini hatten keinerlei Hinweise darauf gefunden, was mit den anderen drei Durchschlägen geschah.

Heru musste schon wieder den Kopf schütteln. Eine Geste, die bei der Beschäftigung mit dem Fassvolk schnell in Fleisch und Blut überging. Das Fassvolk hatte außerdem geheimnisvolle Sinnsprüche wie z.B.: „Wir können nicht untergehen, denn das wäre politisch nicht korrekt.“ Wieder so ein Ausdruck, den Heru und Braini nicht einordnen konnten. Schließlich waren sie trotzdem untergegangen. Vielleicht weil das Klima kippte? Klimaschutz war ihnen wichtig. Oder aufgrund zu mächtiger Feinde? Aber sie waren nicht sang- und klanglos untergegangen. Es fiel Heru schwer es zuzugeben, aber sie hatten was Edles. Ein normales Volk hätte seine Reichtümer in Sicherheit gebracht. Und was machte das Fassvolk: Sie schützten die Daten, sammelten sie, füllten sie in Fässer und versteckten sie so gut, dass die Feinde sie nicht finden konnten. Datenschutz war anscheinend eine der Hauptsäulen ihrer Kultur.

Heru stellte sich gerne die letzte Schlacht vor: Edle Frauen und Männer, furchtlos und kampferprobt, warfen sich, auf feurigen Schlachtrössern sitzend und das tödliche Schwert schwingend, dem übermächtigen Feind entgegen und erteilten ihm eine letzte Lektion. Sie opferten ihr Leben auf dem heroischen Feld des Datenschutzes und der sicher sorgfältig gefaltete und am Körper getragene Durchschlag in Altgold färbte sich rot.

Natürlich wusste Heru, dass das Fassvolk weitaus bessere Waffen als Schwerter besaß und dass sie weder im Kampf noch sonst Pferde verwendeten, denn erstaunlicherweise bewegten sich ihre Kutschen ohne Pferde von selbst. Aber die Sache mit den Pferden und den Schwertern war nun mal sein Tagtraum, sofern man dieses Wort in der Dunkelheit des Kerkers hier überhaupt benutzen konnte.

Ja er wäre zu gerne nicht nur bei der letzten Schlacht dabei gewesen, ein Mitglied dieser edlen Gestalten, die selbstlos ihr Leben für die Daten hingaben, sondern hätte sich auch begeistert an den Arbeiten, die im Vorfeld bei der Datensammlung anfielen, beteiligt. Es benötigte wenig Phantasie um es sich vorzustellen: Die schlauesten Köpfe des Landes und die pfiffigsten Handwerker hatten sich sicher um das Recht, Dabeisein zu dürfen, gestritten. Durchdrungen von der allumfassenden Bedeutung ihres Auftrages hatten sie, bejubelt vom Volk, bestimmt bis zur körperlichen Erschöpfung gearbeitet.

2. Kapitel

„Zweitausend Jahre vorher“

„Das war ja die Quadratur der Langeweile“, dachte sich Beach. So war das also, wenn man mit dem Informatikstudium fertig war und einen Job an der Uni ergattert hatte. Alfi, der Typ, der das Projekt „Nova Noah“ vorher betreute, hatte einen neuen und wichtigeren Auftrag vom Professor erhalten und nun musste Beach einspringen. Er hatte heute Morgen von Alfi nur eine kurze fünf-minütige Einweisung bekommen, verbunden mit dem Hinweis, dass das Projekt so gut wie fertig war und Beach es nur noch beenden müsste. Dafür würde er zwei Tage brauchen. Lobenswerterweise hatte Alfi beim Professor eine Woche angegeben. Einige ruhige entspannte Tage lagen vor Beach.

Das Projekt hatte sich am Anfang halbwegs interessant angehört. Das „Gesammelte Wissen der Menschheit“ oder zumindest Teile davon, sollte, gespeichert in Mikrofilmen und Laptops und verpackt in Fässern, in einem Bergwerk gelagert werden. Im Prinzip handelte es sich bei „Nova Noah“ um eine Werbekampagne für einen neuen Laptop der Firma „TOP-LAP-TOP-4U“. Eine günstige Gelegenheit für das Informatik-Institut von Professor Hildemann etwas zusätzliches Geld zu verdienen.

Sein Job war es, dafür zu sorgen, dass die bereits zusammengestellten Datenpakete in den Laptops „eines Tages“ in der richtigen Reihenfolge aufploppen würden. Das war geschenkt, denn Alfi hatte die entsprechenden Programme schon geschrieben. Es war dabei nicht exakt festgelegt, wann genau „eines Tages“ sein würde. Vielleicht in 100 Jahren, vielleicht auch einige Tage später.

Beach nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Er sah sich um. Er war umgeben von alten Säcken und SäckInnen, die Doktordichte war größer als auf einem Kongress für Fachärzte. Das lag daran, dass die meisten mehr als einen Doktortitel besaßen. Die Anzahl der Doktortitel von Beach trug dazu bei, den Durchschnitt etwas zu senken, denn er hatte keinen.

Die bei der Firma „TOP-LAP-TOP-4U“ stattfindende Pressekonferenz, die dazu diente, das Projekt abzuschließen und die erzielten großen Erfolge der restlichen Welt mitzuteilen, dauerte nun schon einige Stunden. Alle am Projekt beteiligten Gruppen hatten eine Viertelstunde Zeit, um zu schildern, welche Daten sie warum für das Projekt ausgewählt hatten.

Es ging sehr geordnet zu. Gerade erhob sich der nächste Redner, ein Professor für Kunstpädagogik. Er begrüßte alle Anwesenden, lobte die edle Idee, für die Nachwelt nicht nur essentielles Wissen über die Vergangenheit einzutüten, sondern auch entscheidende Schwerpunkte im kulturellen Bereich zu setzen, bedankte sich für die Einladung und für den nahezu unbegrenzten Speicherplatz für die Daten im Laptop, stellte sich kurz selbst vor und kam dann zu den für die Reise in die Zukunft ausgewählten Bildern.

Er benutzte natürlich nicht direkt das Wort „eintüten“, sondern drückte sich etwas gewählter aus. Nach 14 Minuten war er mit seinem Vorwort durch und kam zu den Bildern. Beach war kein Fan von moderner Kunst und er befürchtete eine signifikante Verstärkung der Langeweile. Aber es kam anders. Hatte sich Beach gerade verhört? Nein! Der Professor erklärte in aller Ruhe, dass man die ausgewählten Bilder nicht veröffentlichen würde. Auch ihm selbst seien sie nicht bekannt. Nur die Künstler*innen selber kannten ihre Bilder. Das machte die Auswahl anspruchsvoll. Schließlich wurde der Zuschlag per Zufallsauswahl-Generator getroffen. Der gesamte Prozess hatte sich deshalb etwas hingezogen, unter anderem waren einige urheberrechtliche Fragen zu klären. 193 Künstler*innen aus den Mitgliedern der Vereinten Nationen erhielten einen Zuschlag. Der Professor begann gerade Künstlerin Nummer 1 vorzustellen, als er von Frau Dr. Mincker, der Vertreterin der Firma „TOP-LAP-TOP-4U“ und der einzige optische Lichtblick, höflich aber bestimmt unterbrochen wurde. Sie bedankte sich und rief die nächste Person auf.

Frau Dr. Mincker hatte ein unbestimmtes Alter, das Einzige was man auf den ersten Blick mit Sicherheit sagen konnte war, dass sie nicht mehr jung war. Auf den zweiten Blick sah man, dass die Zeit der Jugend doch schon etwas länger zurücklag. Und dass das Kleid, das sie trug, wahrscheinlich mehr gekostet hatte als einige der Doppel-Doktoren im Monat verdienten.

Das sonstige Ambiente passte gut zum Mincker-Kleid. Sie saßen im edlen Konferenzsaal der Firma „TOP-LAP-TOP-4U“ in München. Beach atmete einmal tief ein. Ja es stimmte, „pecunia non olet“ beziehungsweise „Geld stinkt nicht“. Ansonsten wäre der Gestank in diesem Raum unerträglich gewesen. Eigentlich benutzte er den altbekannten lateinischen Spruch lieber in der bayerischen Version: „pecunia non odelt“, aber nicht alle verstanden das. Er liebte es, den Spruch in leicht abgewandelter Form zu zitieren. Er lautete dann „pecunia non odelt, Latein schon“. Er hatte sich den Spruch sogar auf den linken Unterarm tätowieren lassen. Im Tattoostudio fand er das cool, pfiffig und witzig. Eine Einstufung, die sich signifikant änderte als er wieder nüchtern geworden war.

Die Vorträge waren leicht akademisch angehaucht. Bei den ersten Rednern hatte Beach noch versucht die Bedeutung der vielen Fremdwörter zu googeln, dann hatte er es aufgegeben. Stattdessen nickte er nun bei besonders unverständlichen Passagen bestätigend.

Beach hieß eigentlich Fritz Franz. Es war schwierig bis unmöglich mit so einem Namen in der Schule zu den „Coolen Hinterbänklern“ zu gehören. Er war daran mehrfach gescheitert. Dies lag aber, wie er sich eingestehen musste, nicht nur an seinem Namen, sondern hauptsächlich an seiner inneren und äußeren Erscheinung. Beide waren eher blass und schmächtig und passten perfekt zum Namen Fritz Franz.

Das konnte so nicht bleiben. Deshalb hatte er sich am ersten Tag an der Uni mit „Beach“ vorgestellt, machte regelmäßig Krafttraining und war Dank Solarium auch im Winter stets braun gebrannt. Seitdem gehörte er zu den coolen und gutaussehenden Jungs. Leider nur bei den anderen Informatikstudenten, vor allem bei denjenigen, die aussahen, als würden sie Fritz Franz heißen. Die eigentliche Zielgruppe, Personen mit einem XX-Chromosomensatz, hatte seine Wandlung irgendwie nicht mitbekommen.

Vor ihm auf dem Tisch lag eine große edle Projekt-Mappe der Firma „TOP-LAP-TOP-4U“ mit durchaus brauchbarem Inhalt, denn sie enthielt einen wirklich hochwertigen Kugelschreiber. Der Rest bestand neben wertlosem Werbematerial aus einer kurzen und ebenso wertlosen Projektbeschreibung. Beach konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er sie betrachtete.

Das Wichtigste war von den Beteiligten in knapp 800 Seiten in Papierform zusammengefasst worden. Beach hatte in den letzten Stunden mehrfach darin geblättert. Die meisten Beiträge enthielten ein bis zwei Fremdwörter, allerdings nicht pro Seite, sondern pro Zeile. Beach verstand nur wenig und setzte lieber eigene Prioritäten. Sah der teure Kugelschreiber nur so aus oder schrieb er auch so? Das musste er umgehend testen. Er schrieb in großen Buchstaben auf das Titelblatt „BBR“. Das Gerät war wirklich gut, technisch ausgereift. Er schrieb deshalb gleich noch einige weitere Worte darunter.

Aufgrund der Erklärungen heute Morgen vom Kollegen Alfi in Verbindung mit den vielen Reden, die er sich mittlerweile angehört hatte, zeichnete sich trotz der häufigen Fremdwörter allmählich ein Bild ab. Teile des Wissens der Menschheit sollten, und das war einer der Kernpunkte und wurde von Frau Dr. Mincker mehrfach betont, „in leicht verständlicher Form“ in Mikrofilmen, Nickelplatten für die Kunstwerke und auf speziellen Laptops in Fässern eingelagert werden. Die „Botschafter der fernen Zukunft“ wie diese speziellen Laptops genannt wurden, waren, wie Frau Dr. Mincker ebenfalls mehrfach betonte, für wirklich viel Geld so umgerüstet worden, dass sie möglichst lange funktionierten. Es waren mehrere Geräte gebaut worden. Auf allen Geräten würde dasselbe gespeichert werden.

Ein Exemplar der getunten Laptops stand in einer abgesperrten Vitrine im Foyer. Eine dicke Traube hatte sich heute Morgen darum gebildet. Zwei Dinge stachen sofort ins Auge. Der Laptop besaß vier kleine nun aufgeklappte Photovoltaikmodule, die dekorativ von einer Lampe angestrahlt wurden. Die Tasten waren vergoldet. Das Gehäuse bestand aus einer geheimnisvoll bläulich schimmernden metallischen Legierung. Ein kurzer Blick genügte und man wusste: Geld spielt hier keine Rolle!

Die Photovoltaikmodule funktionierten unabhängig voneinander und die Laptops starteten selbstständig mit einer Art „Lernprogramm“, das mit Bildern anfing, dann allmählich zu Text und schließlich sogar zu Sprache überging. Man musste nur die Photovoltaikmodule aufklappen.

Gleich daneben stand eine weitere Vitrine. Sie enthielt den „Botschafter der nahen Zukunft“. Es war die neueste Entwicklung von „TOP-LAP-TOP-4U“. Das Modell hieß „Unendlich + 3“. Laut Werbung konnte es Daten nicht nur unendlich lange speichern, sondern sogar drei Jahre länger.

Die Einführung von Alfi heute Morgen hatte eigentlich 10 Minuten gedauert. Davon mussten allerdings fünf Minuten für projektfremde Informationen abgezweigt werden. Alfi hatte ihn zunächst auf die optische Wüste hingewiesen, die ihn im Konferenzsaal erwartete. Dann ließ er die Katze aus dem Sack.

»Prof. Dr. Dr. Barbara Katz!« hatte Alfi gesagt, »mehr sage ich nicht!«.

»Und?«

»Weitere Informationen brauchst du nicht. Das „Teil“ ist selbsterklärend.«

Alfi hatte ihn bedeutungsschwanger angesehen.

»Vielleicht noch eine kleine Zusatzinformation: Aus sicherer Quelle weiß ich: Sie steht auf junge Hüpfer! Du solltest dir gut überlegen, ob du dir diese Chance entgehen lässt. Sie will sich die beiden anderen beteiligten Firmen ansehen, das ist die Firma, die die Mikrofilme herstellt und die Firma, die die Laptops umbaut. Und sie benötigt dazu kompetente technische Beratung. Sie kennt unseren Professor und ich hatte direkt von ihm den Auftrag sie zu begleiten. Leider wurde ich nun abgezogen. Jetzt hast du das große Los gezogen.«

Dieser Idiot! Beach hatte zwischendurch mehrfach einen Blick auf Barbara Katz geworfen. Sie war wohl schon in Rente und sie entsprach, diplomatisch ausgedrückt, keinem der Bilder, die sich im Kopf von Beach bei den Worten von Alfi spontan gebildet hatten.

3. Kapitel

Aus Richtung der Kerkertür hörte Heru ein leises Schaben. Kurz darauf lief eine Ratte über die Füße von Heru. Er schlug nach ihr, aber er erwischte sie nicht. Ab und zu vernahm er das Schreien von Menschen in den anderen Verließen. Manchmal dachte er daran, wie einfach doch sein Leben als Dieb war. Man musste nur geschickt sein. Dann hatte man Geld für Bier und konnte versuchen die Frauen zu beeindrucken. Das genügte für ein einfaches Leben. Die Kunst war natürlich, sich nicht erwischen zu lassen.

Allerdings waren die Strafen meist nicht dramatisch. Der Umgang mit den Untertanen im Land der Moronen war zwar streng, allerdings auch pragmatisch und überschaubar. Normalerweise genügte es schon, den Mächtigen zu widersprechen. Die Mächtigen hatten seit hunderten von Jahren ein probates Mittel, um Aufmüpfige zur Vernunft zu bringen: Hände und Kopf wurden in passenden Löchern in einem Brett fixiert und man gab ihnen die Gelegenheit, das Treiben auf dem Marktplatz von einem Podest aus in Ruhe zu betrachten. Im Volksmund hieß es: „Die Alltagssorgen einen Tag lang vergessen“.

Nach der Bestrafung war meist eine Zeitlang wieder Ruhe und die Mächtigen konnten sich ihren Pflichten widmen, das Land vorwärtsbringen, das eigene Bildungsniveau anheben oder ersatzweise Feste feiern. Der Normalfall war, dass die Mächtigen Prioritäten setzten und sich nicht im Klein-Klein verfranzten. Meistens lag der Schwerpunkt beim Feiern von Festen.

Heru schlug mit der Hand nach der nächsten Ratte, die über ihn lief. Trotz der Dunkelheit erwischte er sie, fühlte kurz das weiche, feuchte Fell und dann krachte die Ratte gegen die Kerkertür. Sie quietschte erschreckt. Das würde eine Zeitlang für Ruhe sorgen. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als ihm die Analogie bewusst wurde.

Heru fühlte sich wohl in Akkaland und war froh ein Morone zu sein. Bei den Moronen hatte jeder seinen Platz, sogar die Diebe. Die Welt der Moronen war gerecht, dafür gab es die Gesetze der Königin. Und für deren Umsetzung sorgte Dolora. Dolora war die erste Beraterin der Königin, sie hatte absolute Macht, ihr offizieller Titel war „Oberste Ordnung“. Üblicherweise verliefen die Tage für diejenigen, die Kontakt zu ihr hatten, nicht angenehm, man könnte auch sagen bescheiden oder treffender, beschissen. Offiziell genoss sie beim Volk ein sehr hohes Ansehen, im wirklichen Leben hatten die Leute einfach Angst vor ihr. Es hieß, selbst der Tod wich ihr aus.

Braini erwies sich damals als guter und geduldiger Lehrer. Er brachte ihm nicht nur Schreiben und Lesen, sondern auch das Denken bei, zumindest versuchte er es. Es war eine öde und zähe Angelegenheit gewesen, Lesen und Schreiben zu lernen. Eine Kunst, die für das einfache Volk zu schwierig war. Die Reichen und Mächtigen konnten selbstverständlich auch nicht Lesen und Schreiben, denn welchen Nutzen hätte denn das viele Geld, wenn man sich mit diesen dummen Dingen herumplagen müsste.

Heru bereute damals seinen Entschluss mehrfach. Warum war er nicht ein einfacher ehrlicher Dieb geblieben? Das änderte sich als er endlich gut Lesen und Schreiben konnte. Am Anfang schrieb er Briefe für das Volk beziehungsweise las die Briefe, die ankamen, vor. Das brachte ihm ein zusätzliches Einkommen und er fand zunehmend Gefallen an dem Respekt, der ihm nun von den Leuten, die ihn vorher verachtet hatten, entgegengebracht wurde.

Später arbeitete er in der Bücherei und las den Leuten aus den Volksbüchern vor. Man konnte sich für wenig Geld erbauende Berichte aus der ruhmreichen Geschichte des Volkes der hochgebildeten, schlauen und edlen Moronen vorlesen lassen. Damals war Heru stolz zu den intelligenten und edlen Moronen zu gehören. Was für ein Glück war es doch kein Angehöriger des idiotischen Nachbarvolkes der Teuflischen Toronen zu sein.

Heru wusste natürlich, dass die Geschichten beschönigt waren. Aber es ging ihm so wie dem Volk: Man hörte gerne, dass man zum auserwählten Volk gehört. Die Geschichte, die der Volksmund erzählte, unterschied sich allerdings in einigen kleinen Details vom Inhalt der Bücher. Das System war ziemlich einfach:

„Die Mächtigen saßen am Hebel, feierten täglich bis sie nicht mehr gehen konnten und wurden schließlich so krank, dass sie gar nicht mehr gehen konnten. Dann übernahm die nächste Generation. Zwischendurch gab es sporadisch einige ruhmreiche Schlachten gegen die Teuflischen Toronen. Finanziert wurde der Spaß vom einfachen Volk, das die Zeche bezahlen musste. So war es schon seit ewigen Zeiten und so würde es für die nächsten ein bis zwei Ewigkeiten auch bleiben.“

Das stand so zwar nicht in den Büchern, aber das pfiffen die Spatzen von allen Dächern.

Eines Tages nahm ihn Braini mit in einen entfernten Bereich der verzweigten Bibliothek. Das machte er, wenn er ihm etwas sagen wollte, was nicht jeder hören sollte. Sie setzten sich auf kleine Schemel.

Man sah Braini die Jahre an. Die langen Haare waren grau und schon etwas ausgedünnt. Im Gegensatz dazu war sein Bart dicht und wuchernd. Er war uralt, bestimmt schon über 40 Jahre. Er war nicht bettelarm, das sah man an seiner sauberen Kutte. Er war aber auch nicht reich. Wie die meisten armen Moronen lächelte er ungern. Denn dann konnte jeder sehen, dass er noch alle Zähne hatte. Erschwerend kam hinzu, dass sie auch noch gesund waren. Die Anwesenheit aller Zähne im Alter war ein sicheres Zeichen für die Abwesenheit von Wohlstand. Trotzdem hatte er es irgendwie geschafft, sich ein kleines Reichtumsbäuchlein anzufuttern.

Braini sah ihn ruhig an und fing erst nach einer Weile an zu sprechen:

»Als Geschichtsschreiber der Königin habe ich einige Erfahrungen gesammelt. Es gibt bei der Geschichtsschreibung zwei wichtige Punkte. Zum einen muss man natürlich immer die absolute Wahrheit schreiben, zum anderen kann es nicht schaden, wenn man dafür sorgt, dass sich Kopf und Körper nicht trennen. Im Zweifelsfall gibt man dem Punkt zwei den Vorzug. Die Mächtigen sehen es gerne, wenn sie in den Geschichten „wahrheitsgemäß“ dargestellt werden, also heroisch und edel. Etwas direkter ausgedrückt: So gut wie alle Texte werden im Auftrag der Mächtigen geschrieben und alle Texte, die im Auftrag der Mächtigen geschrieben werden, sind wahrheits-optimiert, man könnte auch sagen, sie sind erstunken und erlogen.«

Braini fing an zu kichern.

»Das hat auch seine Vorteile. Wenn man einige Jahre als Geschichtsschreiber gearbeitet hat, kann man die Geschichten oft schon vor der Geschichte, z.B. vor der Schlacht, verfassen. Schließlich weiß man schon vorher, was von einem erwartet wird.«

Heru schüttelte den Kopf und wurde laut.

»Aber zumindest die Geschichten über das einfache Volk sind doch wahr?«

Braini legte sofort seinen Finger auf die Lippen und sagte leise:

»Natürlich. Immer wenn es um das einfache Volk geht, wird prinzipiell nicht gelogen. Die einfachen Leute sind fleißig und edel, kurzum eigentlich genau so, wie die Reichen sein sollten. Das einfache Volk hat nur einen einzigen kleinen Fehler: Es ist dumm genug, um das ganze Geseier um das einfache Volk auch noch selbst zu glauben. Ich versuche schon seit einiger Zeit dir das Denken beizubringen. Ich habe den Eindruck, dass wir das noch ein paarmal üben müssen.«

Braini lachte still.

»Und denke an Punkt zwei und sei leise. Und jetzt sag mir, warum du wohl leise sprechen sollst.«

Heru dachte kurz nach.

»Weil Dolora uns ansonsten persönlich die Zunge herausreißt, wenn wir etwas sagen, dass den Mächtigen nicht passt.«

Braini nickte.

»Nicht nur die Zunge. Und es ist besser für uns, wenn Kopf und Körper ihren natürlichen Abstand beibehalten. Und warum macht sie das?«

»Weil sie schlimmer ist als tausend Teuflische Toronen und jeder Tag ohne Blut und Eiter für sie vergeudet ist.«

»Das ist nur ihr Ruf, aber die Ursache für ihr Verhalten ist etwas anderes.«

Braini sah ihn ernst an und stand langsam auf.

»Ich bin schon alt und es wird Zeit einen Nachfolger aufzubauen. Wenn ich dir etwas mitteilen würde, das, wenn es bekannt wird, dir einen so schmerzvollen Tod garantieren wird, wie ihn noch kein Morone erleiden musste, würdest du es dann wissen wollen?«

Gespannt sah Braini ihn an.

Das war kein Spaß, das war ernst. Trotzdem musste Heru nicht lange nachdenken. Er war extrem neugierig und außerdem vertraute er Braini.

»Auf jeden Fall. Um was geht es?«

Braini stellte sich neben einen kleinen Schrank, der sich in der Nähe befand.

»Fällt dir hier was auf?«

Heru betrachtete eine Weile den Schrank.

»Nein, ein kleiner Schrank mit einigen Büchern.«

»Jetzt sieh auf den Boden. Du musst genau hinsehen.«

Erst sah er nichts. Dann entdeckte er am Boden an einem Ende des Schranks sehr schwache Kratzspuren. Als Dieb kannte sich Heru mit sowas aus. Reiche Leute versteckten oft ihren Besitz hinter Schränken und Regalen. Oft vergaßen sie, die Kratzspuren, die beim Verschieben entstanden, zu beseitigen.

Braini ging auf die andere Seite des Schranks und schob ihn ein Stück zur Seite. Neugierig blickte Heru in eine kleine Nische, die nun sichtbar wurde. Sie enthielt 25 bis 30 Bücher.

Fragend sah er Braini an.

»Ich habe diese Bücher vor einigen Jahren entdeckt. Einige davon sind schon sehr alt. Diese Bücher sind offensichtlich weder für die Öffentlichkeit noch für die Mächtigen bestimmt. Zumindest haben die Verfasser das ganze Geseier um die Heldentaten der Edlen und Mächtigen einfach weggelassen. Ich hatte Mühe, einige der Texte zu entziffern, denn die Sprache und die Art zu Schreiben und sogar die Buchstaben waren mir teilweise fremd. Erst nachdem ich mich einige Zeit mit den Büchern herumgeschlagen hatte, konnte ich ein System erkennen. Ich konnte sogar eine zeitliche Reihenfolge der Bücher aufstellen, indem ich sie so sortierte, dass sich Buchstaben und Sprache allmählich veränderten und die Veränderungen möglichst klein waren.«

Braini nahm ein Buch heraus.

»Ich musste mich in manche Bücher mühsam einlesen und etliche Begriffe waren mir fremd und blieben es. Nur aus dem Kontext konnte ich ableiten, was wahrscheinlich gemeint war. Aber es waren die ersten echten Geschichtsbücher, die ich zu lesen bekam.«

Heru konnte nicht ganz folgen.

»Ein Schwung alter Bücher also. Wo ist der Knackpunkt?«

»Wenn der Inhalt der Bücher im Volk bekannt wird, gibt es die nächste Revolution!«

»Die nächste was?«

»Revolution! Aufstand! Köpfen und vierteilen der Mächtigen und so weiter. Das ist Revolution.«

»So ein Unsinn. Niemand wagt es, sich mit den Mächtigen anzulegen. Vor allem nicht solange Dolora ihr „freundliches Wesen“ zeigt. Wie du weißt, genügt ein einziges freundliches Wort von Dolora und alle schweigen.«

Heru hörte Schritte, die langsam näherkamen. Schnell schob er den Schrank wieder in die ursprüngliche Position. Braini ließ das Buch, das er in der Hand hatte in seiner Kutte verschwinden und sah ihn fragend an. Wahrscheinlich hatte Braini nichts gehört, denn sein Gehör war nicht mehr das Beste. Heru legte den Finger auf den Mund. Die Schritte entfernten sich wieder.

»Okay. Schritte. Sind wieder weg. Weiter.«

Braini fuhr fort.

»Nach dem Lesen dieser Bücher änderte sich mein Weltbild. Das System ist eventuell doch nicht so einfach wie ich und viele andere geglaubt haben. Was im Laufe der Jahre gleich blieb, war, dass die Mächtigen auf Kosten des Volkes lebten. Wie nun aus den Büchern aber hervorging, gab es ab und zu eine Art Rollentausch. Das Volk lehnte sich gegen die Ausbeutung auf, erwischte zuerst diejenigen, die nicht mehr laufen konnten und kurz darauf den Rest. Anschließend wählte man eines der vielen altbewährten Hausmittel für den Umgang mit „lästigem Personal“. Dies führte in einigen Fällen zu einer Verkürzung des Lebens und des Körpers der Betroffenen. Verbunden wurde das Ganze jeweils mit den über die Jahrhunderte hinweg stets beliebten Plünderungsaktionen und ähnlicher Kurzweil.

Man erfreute sich dann ausgiebig daran, dass es nie wieder Unterdrückung und Mächtige geben würde und künftig das einfache Volk regieren würde. Dieser Zustand dauerte meist einige Tage, manchmal sogar ein paar Wochen. Dann übernahmen einige Leute aus dem einfachen Volk, meist die Leitfiguren des Aufstandes, erst die Positionen und dann die Verhaltensweisen der Mächtigen und gründeten eine neue Dynastie. Wenn man darüber nachdenkt, ist das System doch wieder ziemlich einfach.«

»Verstehe, die Mächtigen sind nicht so mächtig wie man glaubt.«

»Schlimmer. Du kannst davon ausgehen, dass sie die wahre Geschichte kennen und Angst haben, Angst vor der nächsten Revolution. Sie tun alles, um zu verhindern, dass am Mythos der Macht gekratzt wird. Deswegen sind die Strafen in diesem Bereich schon bei Kleinigkeiten drastisch. Wenn sie mitkriegen, dass es diese Bücher gibt, werden sie alle Mitwisser in kurzer Zeit beseitigen. Vorher wird man sie intensiv „befragen“, um auch wirklich alles zu erfahren. Wenn du mit einem dieser Bücher erwischt wirst und du kannst aus dem Fenster springen, dann tu es. Und wenn du Glück hast, ist das Fenster mindestens im zweiten Stock.«

Braini zog das Buch wieder aus seiner Kutte heraus und hielt es ihm hin.

»Lust auf ein wenig Literatur?«

4. Kapitel

Mittlerweile war es kurz vor Mittag und es wurde zum ersten Mal wirklich spannend. Was hatte sich diese exklusive Firma wohl einfallen lassen, um sie zu verköstigen? Wie vermutet, erwartete sie im Foyer ein exzellentes Buffet. Die meisten Speisen sahen exotisch aus und überstiegen den kulinarischen Mensageeichten Erfahrungshorizont von Beach um Lichtjahre.

Er zögerte zunächst, weil er keine Ahnung hatte, was er nehmen sollte. Sein Blick glitt über die unbekannten Köstlichkeiten. Er konnte sich nicht entschließen. Dann bemerkte er das Grinsen der jungen Dame, die das Essen ausgab. Mist. Sie hatte ihn durchschaut. Wenn er den Eindruck des weltgewandten Akademikers auch nur halbwegs retten wollte, musste er sich schnell entscheiden. Er deutete spontan auf ein schönes, farbiges und ihm unbekanntes Teil. Die junge hübsche Dame sah ihn grinsend an und sagte dann schnippisch:

»Vegan und kalorienarm, bester Kunststoff, allerdings stehen unsere Dekorationsstücke heute nicht auf dem Speiseplan.«

Jetzt war die Luft endgültig raus, er wurde hektisch und er entschied sich das zu nehmen, was er kannte: Würstchen mit Kartoffelsalat. Die junge Dame, die ihm nun den Teller füllte, konnte sich anscheinend einen weiteren Kommentar nicht verkneifen: »Eine gute Wahl, Herr Professor!«. Ihre Kollegin legte noch eins drauf: »Ab einem gewissen Alter sind die Herren eben nicht mehr so abenteuerlustig.«

Das saß! Er würde es nie zugeben, aber genau das passierte ihm bei den Damen leider öfter. Er war gebildet, sportlich,1,80 Meter groß und gutaussehend. Und innerlich immer noch derselbe Schisser wie in der Schule. Und die XX-Fraktion hatte leider einen sechsten Sinn für so etwas. Er zog sich an einen der Stehtische am Rand zurück und schmollte vor sich hin. Ihm war nicht nach Smalltalk zumute. Dann ging er auf die Toilette. Vor der Damentoilette hatte sich eine kleine Schlange gebildet.

Als er gerade Flüssigkeit abließ, ging die Tür auf und eine weibliche Stimme rief von außen: »Nun komm schon.« Beach erkannte sie sofort, das war die Zicke vom Buffet. Er sah sich um, eine der Boxen war besetzt. Er erschrak als nun aus dieser Box eine andere weibliche Stimme antwortete »Ohne mich geht gar nichts.« Zicke Nummer zwei!

Das war nun doch zu viel. Jetzt musste er etwas sagen. Er brauchte eine dezente Antwort, die trotzdem deutlich machte, wer hier die Hosen anhatte, die aber auf keinen Fall seinen Frust über die leider irgendwie zutreffenden Kommentare am Buffet verraten durfte. Außerdem war er ein Gentleman.

»Ich möchte höflich darauf hinweisen, dass das hier die Männertoilette ist, du blööde Tussi!«

Die letzte Bemerkung war ihm irgendwie rausgerutscht. Aber was solls. Er hatte es sowie satt stets der freundliche Junge von Nebenan zu sein. Das brachte nichts. Warum nicht mal etwas Neues probieren und auf den Putz hauen, also: „No more Mr. Nice Guy“.