Zwischen Tigern und Touristen II - Thorwald Autor - E-Book

Zwischen Tigern und Touristen II E-Book

Thorwald Autor

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Beschreibung

Der Autor hat sich zu einer Indienreise entschlossen. Schon wieder. Er fährt erneut alleine quer durch den Kontinent in verschiedene Nationalparks, um Tiger in freier Wildbahn zu bestaunen. Die Erfahrungen seiner letzten Indienreise sind inzwischen auf die positiven Eindrücke reduziert und so muss er noch mal ran, um sich davon zu überzeugen, dass eine Indienreise auch ihre Schattenseiten hat. Und er wird fündig. Sehr sogar. Doch die schrägen Erlebnisse mit indischer Nationalparkbürokratie und die Eigenheiten der Einheimischen in Bezug auf Verkehr, Pünktlichkeit und Tiger erscheinen gleich viel weniger schlimm, wenn man denn tatsächlich einen Tiger zu sehen bekommt. Oder auch zwei. Gleichzeitig. Mit angehaltenem Atem beobachtet man, wie der erste sich dem offenen Jeep nähert, in dem, wie einem nun erst auffällt, der Tourist hinten steht und damit am bequemsten zu erreichen ist. Gleichzeitig denkt man an die Tigerin die, das war ganz in der Nähe, mal in einen Jeep gesprungen ist und von einem Inder am Schwanz herausgezogen wurde, als sie gerade die Insassen bearbeitete. Band 1 mit der vorherigen Indienreise, die ebenfalls durch verschiedene Nationalparks führte und mehr oder weniger enge Kontakte mit Tigern schildert sowie auf die Besonderheiten indischer Fortbewegungsmittel eingeht, ist unter dem Titel: »Zwischen Tigern und Touristen - Eine satirische Safari in Indien - little starting problem« erschienen. Mit »Happy Homo sapiens safariens - Eine satirische Safari tief ins Innere des Safaritourismus« erscheint in Kürze ein Roman.

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Thorwald Autor

Zwischen Tigern

und Touristen II

Eine satirische Safari in Indien

Deep in the heart of jungle

16.11.2016

Copyright: © 2016 Thorwald Autor

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Sabine Abels – www.e-book-erstellung.de

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

Softcover

978-3-347-48166-4

Hardcover

978-3-347-48167-1

E-Book

978-3-347-48170-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umkehrung der Urlaubsidee

Die meisten Menschen gestalten sich den Urlaub möglichst angenehm, schließlich will man sich vom Stress erholen und für einige Wochen entspannen. Hinterher muss man ja wieder viele Monate im Alltagstrott verbringen.

Indien ist die Umkehrung dieser Urlaubsidee: Man verzichtet einige Wochen auf den gewohnten Komfort und freut sich nach dieser Zeit auf viele Monate, die man in Good old Germany in Komfort und – im Vergleich zum Leben vieler Inder, in das man etwas Einblick gewonnen hat – unglaublichem Luxus verbringen kann. Als weiterer Vorteil kommt bei dieser Art von Urlaub dazu, dass man einige skurrile Erlebnisse hat und dann außergewöhnliche Geschichten erzählen kann. Man muss sich allerdings darauf einstellen, dass man zu dieser Sicht der Dinge eventuell erst ein Vierteljahr nach der Reise kommt und sich vorher mindestens einmal am Tag fragt, ob zwischen den eigenen Ohren vielleicht doch mehr fehlt, als angenommen.

Startschwierigkeiten

Der Wecker klingelt zu einer unchristlichen Zeit um 3:00 Uhr morgens und ich habe leichte Startschwierigkeiten. Normalerweise stehe ich etwas später auf, allerdings muss ich heute zum Flughafen, um meine Reise nach Indien anzutreten.

Ja, ich habe mich dazu durchgerungen, dieses Jahr den Urlaub ausfallen zu lassen und stattdessen nach Indien zu fliegen. Da dies nicht mein erster Aufenthalt in Indien ist, weiß ich schon im Voraus, was auf mich zukommt. Das ist einer der großen Vorteile von Indien: Man kann ziemlich genau voraussagen, was passieren wird. Dies liegt paradoxerweise daran, dass der Aufenthalt in Indien vollkommen unvorhersagbar ist. Ich rechne damit, dass, sobald ich in Indien aus dem Flugzeug aussteige, das Chaos über mich hereinbricht und jeden Tag mehrere Dinge passieren werden, mit denen ich nicht gerechnet habe. Da hilft es auch nicht, wenn man den Urlaub vorher sorgfältig geplant und gebucht hat. Aber zumindest das weiß man vorher schon. Außerdem kann man sich, ganz egal, was passiert, den Höhepunkte der Reise sehr leicht ausmalen: Es wird die Landung in Deutschland sein.

Schuld an der absoluten Unvorhersagbarkeit des Trips ist meine Unart, nicht die ausgetretenen Pfade des Massentourismus zu benutzen, sondern individuelle Ziele zusammenstellen. Da ich einer der Wenigen bin, die nicht wegen Tee und Tempel, sondern wegen der Tiger nach Indien fahren, lässt sich das leider nicht vermeiden. Schon bei einer normalen Tee-und-Tempel-Tour, die bereits vorher Zehntausende von Touristen in genau derselben Art und Weise abgearbeitet haben, geht einiges schief, und das, obwohl eigentlich aufgrund des immer gleichen Ablaufs aufseiten der Inder jeder Handgriff sitzen müsste. Der Hauptunterschied zu einer individuellen Buchung besteht darin, dass man hofft, dass bei letzterer Variante einiges funktioniert. Aber man sollte in dieser Hinsicht nicht allzu euphorisch sein. Individualreisen in Indien sind meist individueller als man gemeinhin annimmt. Andererseits: Wo sonst sollte man wohl individuelle Touren machen, wenn nicht in Indien?

Auch mein Leben in Deutschland hat sehr individuelle Züge, allerdings sind diese Züge immer dieselben und gehören zu festen Ritualen. Ich versuche, Veränderungen von mir fernzuhalten. Diese Verhaltensweise ist so ausgeprägt, dass ich in meinem Stammcafé und in meinem Stammrestaurant, bei dem es sich zufälligerweise um ein indisches Lokal handelt, dasselbe bestellen kann, nämlich wie immer. Das übersetzen die jeweiligen Ober gekonnt in eine Schokolade ohne Sahne beziehungsweise in ein chicken curry halbscharf. Meistens klappt das ausgezeichnet. Nur bei einer Gelegenheit kam es zu einer kleinen Irritation, allerdings nicht bei mir, sondern an einem der Nachbartische: Eine Dame hatte meine Bestellung gehört und fragte den Ober, wo in der Speisekarte Wieimmer steht und was das sei. Ich frage mich deshalb besonders dann, wenn bei meinen Reisen wieder einmal Einiges schiefgeht, warum ausgerechnet ich auf die Idee komme, Reisen zu machen, bei denen nichts wie immer und sehr wahrscheinlich nur wenig wie gebucht laufen wird.

Diesmal habe ich den Besuch von drei Nationalparks geplant. Der Nationalpark Ranthambhore im Norden von Indien, 350Kilometer südlich von Delhi und etwas außerhalb des Touristendreiecks Jaipur-Jodpur-Agra, und die beiden Nationalparks Bandhavgarh und Kanha in der Mitte Indiens stehen auf meiner Liste. In der Nähe der letzteren Nationalparks soll Mowgli das Licht des Dschungels erblickt haben beziehungsweise Kipling zu seinem Dschungelbuch inspiriert worden sein.

Die nicht maßstabsgerechte Skizze zeigt den Plan im Überblick. Wie man sofort sieht, ist das Ganze leicht zu überblicken und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich leicht glauben, dass da doch eigentlich nichts schiefgehen kann.

Aber Schluss mit den trüben Gedanken. Außerdem bin ich immer noch in Good old Germany und es reicht vollkommen aus, wenn ich den Kopf in Indien hängen lasse.

***

Es ist Mitte Januar. Es regnet; der Regen geht allmählich in Schnee über, bis nur noch dicke Schneeflocken herunterfallen und innerhalb einer Stunde eine ordentliche Schneeschicht bilden. Ich befürchte, noch bevor ich die Haustüre öffne, dass es diesmal nicht genügen wird, den Kopf erst in Indien hängen zu lassen und die Startschwierigkeiten beim Aufstehen heute nicht die einzigen sein werden.

Bei der Ankunft am Flughafen München erhalte ich erwartungsgemäß die Auskunft, dass die Flugzeuge aufgrund des Schnees Verspätungen haben werden.

Ich beobachte aufmerksam die Anzeigen. Immer mehr Flüge schmücken sich mit einem hübschen delay. Mein Flugplan sieht zunächst einen Flug nach Wien vor, von dort geht es weiter nach Delhi. Wie ich an der Information erfahre, muss mein Zubringerflugzeug erst einmal von Wien nach München fliegen. Ich mache mir allmählich Sorgen, ob es in München landen kann.

Kurz darauf löst sich diese Sorge in Nichts auf, als ich erfahre, dass mein Flugzeug in Wien nicht starten kann, da das Wetter dort dem in München entspricht. Auch mein Flug hat also delay. Da das Wetter in Wien auch schlecht ist, kann hoffentlich auch das Flugzeug nach Delhi nicht starten und ich habe immer noch die Chance, dass sich alles zum Guten wendet.

Allerdings hoffen in Wien viele Menschen, dass ihr Flugzeug nach Delhi starten kann. Da sie in der Mehrzahl sind, wird ihr Wunsch erfüllt und mein Flugzeug nach Delhi fliegt ohne mich.

Mein gesamter Flug wird gestrichen und ich habe die Nase vom Urlaub schon am Heimatflughafen gestrichen voll. Das kommt nun doch überraschend früh. Normalerweise erreiche ich dieses Stadium erst am ersten Tag in Indien. Alle Touristen, die nach Wien wollten, gehen nun zu einem Schalter und stellen sich dort an, um den Flug umbuchen zu lassen. Ich schließe mich dem Tross an. Der ganze Ablauf verspricht nichts Gutes, ich befürchte Schlimmstes und werde nicht enttäuscht.

Die Gruppe vor mir wird über Moskau nach Delhi geschickt. Ich hadere mit meinem Schicksal. Ich habe ja gehofft, dass bei dieser Reise Einiges schief geht, dann kann man hinterher wenigstens einige Geschichten erzählen. Aber am ersten Tag und noch in Deutschland sollte es doch eigentlich halbwegs glatt laufen.

Die Stewardess, die die Umbuchung vornimmt, hat die Ruhe weg. Trotz der Hektik ringsum nimmt sie sich die Zeit, meinen Pass in Ruhe zu überprüfen. Ich bin gespannt, ob auch ich über Moskau geschickt werde. Mit ruhiger Stimme weist sie mich stattdessen darauf hin, dass mein Visum ungültig sei. Mein Herz rutscht endgültig in die Hose. Das ist nicht mein Tag. Damit hat sich Moskau erübrigt. Anscheinend schaffe ich diesmal nicht einmal den Abflug. Ich frage sicherheitshalber nach, warum das Visum ungültig ist. Dabei stellt sich heraus, dass die Stewardess ein altes Visum betrachtet hat und das aktuelle Visum gültig ist. Ich atme auf; allerdings ist zu diesem Zeitpunkt mein inneres Gleichgewicht bereits nachhaltig gestört.

Ich werde umgebucht nach London Heathrow und soll von dort mit British Airways um 20:00 Uhr abends nach Delhi fliegen. Da hätte ich heute Morgen durchaus etwas länger schlafen können. Außerdem geht der Zubringerflug nun direkt in die falsche Richtung. Ich hatte bei der Buchung eigentlich extra darauf geachtet, dass bereits das Zubringerflugzeug in die richtige Richtung fliegt.

Ich gehe zu meinem neuen Gate. Das Flugzeug nach London startet erst in etwa zwei Stunden. Ich sollte die Zeit nutzen, um meinem Reisebüro die neue Ankunftszeit in Delhi mitzuteilen.

Etwas abseits des Gates finde ich ein Telefon. Als ich nach ein paar Minuten zurückkomme sind alle Leute, die an meinem Gate waren, weg. Anscheinend haben heute nicht alle Flugzeuge Verspätung, einige gehen sogar etwas früher als vorgesehen. Wahrscheinlich ist zumindest meine Reisetasche unterwegs nach Indien, oder zumindest nach London. Vielleicht kann ich noch nach Moskau einchecken und treffe meine Reisetasche am Ende des Urlaubs in München wieder.

Mit hängendem Kopf gehe ich zu einem der Schalter, um diese Möglichkeit zu prüfen. Ich erwarte die Auskunft, dass Moskau soeben abgeflogen, aber das Zubringerflugzeug nach Wien nun da sei und ich von Wien aus nach London fliegen könne. Stattdessen erfahre ich, dass während meiner Abwesenheit nur das Gate verlegt wurde und alle Reisenden 100 Meter weiter immer noch auf ihren Flug nach London warten.

Der ganze Ablauf nimmt starke indische Züge, genauer gesagt Flüge an. Indien ist nicht im Kommen, Indien ist schon da.

In London Heathrow sind die Leute sehr freundlich; bei der Sicherheitskontrolle wird mir nach dem Durchleuchten vom Sicherheitspersonal sogar ein fremder Geldbeutel gereicht. Eine nette Geste, aber man sollte es nicht übertreiben.

Ich versuche herauszubekommen, ob ich nun neu einchecken muss. Die junge Dame am Schalter ist höflich und spricht perfekt Englisch. Die Engländer haben anscheinend ein sehr gutes Schulsystem, was ich erfreulich finde. Mein Englisch ist leider nicht ganz so fließend, sondern eher stockend. Da außerdem mein Wortschatz eher begrenzt ist, ist der Informationsaustausch eine zähe Angelegenheit. Nachdem ich mehrfach erklärt habe, was mich nach London verschlagen hat und dass ich von hier nach Delhi oder zumindest über Moskau nach Wien fliegen will, erhalte ich eine Bordkarte. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob auch mein Gepäck eine entsprechende Karte erhalten hat. Das wird sich dann in Delhi herausstellen.

Ich lungere den ganzen Nachmittag am Flughafen herum. Mit zwei kleinen Stofftigern auf meinem Rucksack schlendere ich unauffällig durch Heathrow und sehe mir die Ware in den vielen Läden an. Mir fällt ein Buch mit dem hübschen Titel: Change your life in 7 days auf. Ich habe eine bessere Idee: Fly to India and change your life in 7 hours. Aber nicht nur an Erfrischungen für den Geist wird am Flughafen gedacht, auch für das leibliche Wohl wird gesorgt. Hier kann man sich für die Brotzeit zwischendurch etwas Störstoff beziehungsweise Kaviar kaufen. 100 Gramm kosten zwischen 100 und 300 Pfund.

Delhi Jaipur

Am frühen Morgen lande ich in Delhi.

Kurz vor der Landung erfolgt eine Desinfektion des Flugzeuges aus Sprühdosen, simultan beziehungsweise synchron von zwei Stewardessen über Kopf durchgeführt. Eine der Stewardessen hat einen blauen Punkt zwischen den Augen. Das Ganze hat etwas Surrealistisches. Dieser Anblick versöhnt mich mit den Missgeschicken am Beginn der Reise.

Die Abfertigung am Flughafen ist ziemlich reibungslos und ohne große Formalitäten. Vom Einreiseformular muss man allerdings unbedingt einen Abschnitt für die Ausreise aufheben. Ich verstaue diesen sorgfältig in meinem Rucksack. Meine Reisetasche ist, wie sich nun herausstellt, ebenfalls mitgeflogen. Meine Pechsträhne scheint zu Ende zu sein und ich freue mich auf Indien und eine reiche Ernte kurioser Geschichten, die man, wenn man sie erlebt, keinesfalls erleben, aber immer überleben will. Die Geschichten machen die Tour stellenweise zu einer Tortur und ich frage mich dann immer, warum ich keine normalen Reisen mache. Regelmäßig habe ich nach der Landung in Deutschland den festen Vorsatz, dass dies meine letzte Reise nach Indien war. Allerdings verpuppen sich die unangenehmen Erlebnisse in den ersten Monaten nach der Reise und erscheinen nach kurzer Metamorphose überraschenderweise als amüsante Geschichten. Dies macht Indien zu einem anzustrebenden Ziel für jeden, der skurrile Geschichten erleben will.

Am Ausgang des Flughafens erwartet nicht nur die Dschungeltouristen ein Schilderdschungel mit diversen Namen. Die einzelnen Reisebüros holen hier ihre Kundschaft ab. Mein Name ist auch dabei. Gehalten wird das Schild von einem Angestellten des Reisebüros in Delhi.

Ich tausche 300 Dollar bei einer Bank am Flughafen um. Das Vorzeigen des Passes, früher ein absolutes Muss beim Wechseln von Geld, ist überraschenderweise nicht mehr notwendig; auch ein Dokument erhält man nicht mehr. Die Geldbündel, die ich im Gegenzug bekomme, sind überraschenderweise nicht mehr geheftet. Da fehlt mir doch etwas. Die gewohnten Rituale bei der Einreise in Indien können nicht mehr vollzogen werden. Indien ändert sich anscheinend schneller, als man glaubt.

Ursprünglich war eine Übernachtung in einem Hotel vorgesehen und am nächsten Tag die Fahrt in einem Auto mit Fahrer nach Jaipur. Jaipur liegt mitten auf der Route vieler Kulturtouristen, die dort die vielen Tempel bestaunen und Unmengen Tee schlürfen. Da es auch auf meinem Weg nach Ranthambore liegt, nehme ich es nebenbei mit. Etwas Kultur hat noch keinem geschadet und ich habe in Jaipur eine Führung gebucht. Deshalb gerate ich nun etwas in Zeitdruck und wir müssen umgehend starten.

Wir, das sind mein Fahrer und ich. Ich habe ein Auto mit Fahrer gemietet, da das Autofahren in Indien normalen Touristen nicht zugemutet werden kann. Das gilt insbesondere auch für nicht-normale Touristen. Das liegt einerseits am Linksverkehr, der für den deutschen Autofahrer etwas ungewohnt ist, andererseits daran, dass sich die indischen Autofahrer nur bedingt an die Regeln des Linksverkehrs halten. Sie passen ihre Fahrweise einfach den anderen Verkehrsteilnehmern an. Insgesamt ist der Verkehr weder links noch rechts, sondern eher indisch – mit leichter Tendenz nach links.

Im Auto ist es angenehm warm. Ich sitze vorne beim Fahrer mit umgeschnalltem Sicherheitsgurt, die Kamera ist auf Schnappschüsse eingestellt und es kann losgehen.

Die Straße ist sehr gut. Aber das ist kein Wunder, denn wir bewegen uns auf einem ausgetretenen Touristenwechsel. Jährlich fährt eine Vielzahl von Tee- und Tempeltouristen auf dieser Straße nach Jaipur.

Ich habe während des Fluges kaum geschlafen und jetzt fallen mir ständig die Augen zu. Jedes Mal, wenn ich nach kurzem Schlaf wieder aufwache, muss ich mich erst einmal orientieren und brauche ein paar Sekunden, bevor ich begreife, dass ich mich gar nicht orientieren muss, denn ich bin bereits im Orient. Es ist wie auf einer Zeitschleife. Es passiert immer wieder dasselbe. Nur wenige sind wahrscheinlich in so kurzer Zeit so oft in Indien angekommen.

Mein Fahrer heißt Ashok, ist wie die meisten Inder um die 40 und spricht einigermaßen Englisch. Natürlich kein fließendes Englisch wie die Leute in Heathrow, noch nicht einmal ein stockendes Englisch wie ich, aber das stört mich nicht. Im Gegenteil: Ich komme mir vor, als könnte auf einmal ich Englisch sprechen.

Am Flughafen fragte mich der Angestellte des Reisebüros nach der Begrüßung: »Do you come from America?« Das sagt er wahrscheinlich zu allen, die nicht richtig Englisch sprechen können, einschließlich einigen Amerikanern. Und obwohl ich weiß, dass es schamlos gelogen ist, geht es runter wie Öl. Vor allem jetzt, da ich dem stockenden Englisch des Fahrers lausche, komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass meine Schulausbildung doch nicht gänzlich umsonst war und ich zur gebildeten Kaste gehöre.

Ashok erzählt ein wenig aus seinem Leben. Fahrer, die Touristen fahren, müssen laut Ashok eine separate Prüfung ablegen, was immer da auch verlangt wird. In der Regenzeit (fünf Monate) arbeitet er auf seinen Feldern, weil da keine Fahrer gebraucht werden. Er erzählt mir auch, dass man im Nationalpark Ranthambhore mit Sicherheit Tiger sehen kann.

Das ist Musik in den Ohren jedes Tiger-Touristen. Ich frage ihn, ob er auch schon dort war und wie viele Tiger er gesehen hat. Die Antwort ist erheiternd und zugleich unbefriedigend: Er war auch schon dort, allerdings hat er keinen Tiger gesehen. Vielleicht sehen nur Touristen mit Sicherheit Tiger. Ashok benutzt das englische Wort tiger für Tiger, das verstehen die Touristen besser. In Deutschland nennt man einen Tiger zunächst einmal Tiger. Leser des Dschungelbuchs von Kipling sprechen auch schon mal von Shir Khan, ausgesprochen wie Schir, also mit SCH. Die Inder hätten allerdings ihre Schwierigkeiten mit dieser Aussprache, da sie, beziehungsweise viele von ihnen, kein SCH aussprechen können. Sie sagen deshalb Sir Khan. Manche umgehen diese Hürde nur also recht elegant und sagen einfach tiger. Das verstehen auch die dümmsten Touristen.

Das fehlende SCH sorgt auch an anderer Stelle für Unsicherheiten. Wenn ein Inder von setzen spricht, weiß man eventuell nicht, was genau gemeint ist: sit gesprochen wie sit, oder shit gesprochen wie sit (so ein Schitt).

Gegen Mittag machen wir einen Boxenstopp in einem Lokal mit schönem Garten. Er sieht fast wie ein Biergarten aus und wird auch als solcher genutzt. Den Biergarteneindruck hat anscheinend auch eine Gruppe westlicher Bustouristen. Sie bringen das Essen selbst mit und kaufen sich nur etwas zu trinken. Das ganze Ambiente will allerdings nicht ganz zum Biergarten passen. Außerdem kann sich die Temperatur irgendwie zwischen warm und kalt nicht entscheiden: Im Schatten ist es zu kalt, vor allem wenn der Wind bläst; in der Sonne ist es zu heiß.

Ich setzte mich an einen der vielen Tische. Ich esse irgendeine vegetarische Kleinigkeit; gebackene Kartoffeln und Zwiebeln. Es schmeckt gut. Ohne in die Speisekarte zu sehen, sieht man sofort, dass es hier auch diverse Hühnchengerichte gibt. Die Hühnchen werden allerdings nicht, wie in Deutschland, erstarrt in einer Tiefkühltruhe zwischengelagert, sondern befinden sich in ihrer mobilen Form am Rande des Gartens in einem Hühnerstall.

Das WC ist für indische Verhältnisse sehr sauber. Im Waschbecken liegt ein WC-Stein, aber nur Anfänger lassen sich täuschen: Es gibt auch Pissoirs. Natürlich taucht sofort ein Inder auf, hält mir nach dem Händewaschen ein Papierhandtuch hin und erwartet dafür eine Kleinigkeit. Da ich kein Kleingeld habe, gebe ich ihm nichts und will hinausgehen. Allerdings habe ich die Rechnung ohne den Klo-Wirt gemacht: Er stellt sich halb in den Weg und bettelt mich an. Das Ganze wird von einem Dackelblick begleitet, den er wahrscheinlich tagelang im Spiegel geübt hat. Seine Show verfehlt ihre Wirkung nicht und etwas Kohle wechselt notgedrungen den Besitzer.

Weiter geht die Fahrt. Der indische Straßenverkehr zeigt seine Besonderheiten. Die Hunde und die heiligen Kühe halten sich in den Dörfern gerne direkt am Straßenrand und auf dem befestigten Mittelstreifen auf. Manchmal liegen sie auch halb auf der Straße und lassen den Verkehr einfach an sich vorbeiziehen, in der Hoffnung, dass alle Fahrzeuge ausweichen. Ein Verhalten, das sie eventuell von einigen Indern übernommen haben, denn auch diese benutzen manchmal die Straße als verlängertes Wohnzimmer.

Wegen Tieren darf prinzipiell nicht gebremst werden, erklärt mir mein Fahrer. Kurz darauf läuft ein junger Hund, eher ein Welpe, langsam vor die Räder eines Lastwagens. Das ist keine gute Idee und wird seine Mobilität in naher Zukunft wohl sehr stark einschränken. Mehr als etwas flaches Fell wird wohl nicht übrig bleiben, fürchte ich. Aber in Indien hält sich kaum jemand an die offiziellen Vorgaben und der Lkw-Fahrer bremst einfach.

Jaipur

Um etwa 15:00 Uhr kommen wir in Jaipur an. Das dürfte etwas knapp werden für die Führung.

Aber kaum habe ich im Hotel eingecheckt, meldet sich auch schon der Guide für die Stadtführung. Es ist ein 25-jähriger Inder im Besitz eines Anzuges und mit Deutschkenntnissen. Meine Bedenken bezüglich der fortgeschrittenen Zeit werden schnell in alle Winde zerstreut, an denen in Jaipur, der Stadt in der sich der Palast der Winde befindet, kein Mangel herrscht. Es scheint sich um einen fleißigen Burschen zu handeln, der mir unbedingt die Sehenswürdigkeiten von Jaipur zeigen möchte und der darauf vertraut, dass ich ihm im Gegenzug einige Sehenswürdigkeiten aus meinem Geldbeutel zeige.

Wir besichtigen zwei Tempel und er erklärt mir ausführlich die Geschichten rund um die Entstehung dieser Gebäude. Da ich mich nur am Rande für die Kulturdetails interessiere, bleiben mir nur einige Geschichten in Erinnerung. Dazu gehört zum Beispiel die des Maharadschas von Jaipur, der auf eine Reise nach England Gangeswasser in zwei großen silbernen Behältern mitgenommen hat. Die Idee an sich ist eigentlich nicht schlecht und ich habe mir angesichts des indischen Wassers auch schon überlegt, dass es durchaus seine Vorteile hätte, wenn man auf einen größeren Vorrat von keimfreiem deutschem Leitungswasser zurückgreifen könnte.

Was mich noch stärker interessiert als die Tempelgeschichten, sind allerdings die Tigergeschichten. Auch hier kann mir der Guide weiterhelfen. Er erzählt mir, dass man in Ranthambore mit etwas Glück einen Tiger sieht, mit etwas Geld sieht man einige Tiger, mit mehr Geld sieht man ganze Tigerfamilien. Das Geld sollte man unbedingt gleich zu Beginn dem Fahrer der Safari in die Hand drücken. Das Ganze bringt er so überzeugend vor, dass ich daran zweifle, dass er schon einmal in Ranthambore war. Falls ja, hat er wahrscheinlich nicht genügend Trinkgeld bezahlt, um zu erfahren, dass auch genügend Trinkgeld nicht ausreicht, um einen Tiger zu sehen – außer, man gibt es nicht dem Fahrer, sondern drückt es einem Tiger direkt in die Pfoten.

Abends sitze ich als einziger Gast in der Imbissstube des Hotels. Die Ober sind überraschend schnell; es sind offensichtlich keine waiter. Sie sprechen zwar kein fließendes Englisch, dafür verstehen sie nicht nur fließendes Englisch, sondern auch mein Kauderwelsch. More Soß wird zum Beispiel sofort verstanden. Erst später fällt mir auf, dass man dieses Wort im Bayerischen und im Englischen gleich ausspricht. Am Anfang des Urlaubs versuche ich immer noch, alles richtig auszusprechen. Nach einigen Tagen ist es mir dann egal, ob alles zu 100 Prozent stimmt, Hauptsache ich werde zu 50 Prozent verstanden.

Das Essen ist sehr gut, aber etwas wenig. Aber für heute reichts und ich werde nun meinen verpassten Schlaf im Flugzeug nachholen.

***

Am nächsten Morgen stehe ich früh auf. Um 6:45 Uhr bin ich beim Frühstück. Da ich ein Frühaufsteher bin, muss ich mich beim Frühstücken normalerweise nirgends anstellen, weil die anderen Touristen erst später auftauchen. Zu meiner Überraschung ist der Frühstücksraum aber bereits halb gefüllt. Anscheinend können es die Kulturtouristen nicht erwarten, sich die nächsten Tempel anzusehen. Ich hätte nicht erwartet, dass sie so früh aktiv sind. Schließlich bin ich der Einzige, der eine Reise macht, die anderen machen doch eher Urlaub?

Wie auch immer. Nach dem Frühstück ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück. Wie in vielen Hotels in Indien ist auf dem WC ein Telefon. Es ist so platziert, dass man während einer Sitzung telefonisch bequem eine Sitzung telefonisch leiten könnte. Die Schnur ist großzügig bemessen und ich frage mich jedes Mal, wenn ich dieses Arrangement sehe, ob das Telefon wohl schon in die Schüssel gefallen ist beziehungsweise ob sich alle, die damit telefonierten, die Hände gewaschen haben. Auf den öffentlichen Toiletten in Indien (Felder) findet man übrigens keine entsprechende Einrichtung; wahrscheinlich wurden die dortigen Telefone mit der Verbreitung der Handys abgebaut.

Natürlich klingelt ausgerechnet, als ich eine Sitzung habe, um 8:00 Uhr das Telefon im WC. Es gibt übrigens insgesamt zwei Telefone im Zimmer. Das andere befindet sich neben dem Bett. Wahrscheinlich haben sie verschiedene Vorwahlen, wobei sich beim Telefon im WC die Vorwahl 00 anbieten würde. Die Inder bauen eventuell deswegen ein Telefon im WC ein, weil sie nicht ganz unberechtigt annehmen, dass die Touristen dort die meiste Zeit verbringen.

Widerwillig nehme ich das Telefon in die Hand. Es ist die Rezeption, die mir mitteilt, dass meine Stadttour nun weitergehen kann und der Guide auf mich wartet. Ich bin überrascht, denn es war eigentlich 8:30 Uhr ausgemacht, er ist eine halbe Stunde zu früh dran. Es scheint sich um einen eifrigen Burschen zu handeln. Das sollte ich bei der Höhe des Bakschischs berücksichtigen.

Kurz darauf bin ich unten in der Rezeption. Dort sehe ich eine Uhr und muss sowohl mein Weltbild als auch meine Uhr etwas nachjustieren. Ich habe sie am Flughafen zwar auf die indische Zeit umgestellt, mich dabei aber um eine halbe Stunde vertan. Deshalb ist es nun eine halbe Stunde später, als ich annahm. Das Bakschisch für meine Reiseleitung wird im Hinterkopf wieder gekürzt und die Kulturtouristen wieder in die Kaste eingeordnet, die ihnen von Rechts wegen zusteht.

Und weiter geht die Tee- und Tempeltour. Zunächst fahren wir zum Palast der Winde. Für Kulturbanausen: Es handelt sich dabei um keine öffentliche Toilette. Man kann den hohen Palast nur von außen besichtigen. Dabei sollte man sich allerdings nicht allzu sehr vom Blick auf den Tempel ablenken lassen, sonst wird man eventuell schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Die Tatsachen befinden sich in Körben, die auf dem Gehsteig stehen. Sie schreiten gerne zur Tat, wenn man ihnen zu nahe kommt: Auf dem Gehsteig haben sich drei Schlangenbeschwörer eingerichtet und preisen ihre Ware an. Diese wiegt sich leicht im Wind des Palastes. Das ist eine gute Gelegenheit Fotos von Kobras zu machen.

Von den drei ökologischen Nischen der Kobras sind im Winter zwei nicht besetzt: Im Dschungel und im Bett der Touristen wird man sie wahrscheinlich nicht sehen können, da es ihnen im Winter zu kalt ist und sie normalerweise diese Jahreszeit in Erdhöhlen verbringen. Damit wird der Urlaub um eine Attraktion ärmer. Man muss aber nicht allzu traurig sein, denn nicht alle Schlangen halten sich an diese Vorgaben und mit etwas Glück kann sogar ein kurzer persönlicher Kontakt hergestellt werden.

Es verbleibt noch die dritte ökologische Nische für die Kobras: der Korb. Die drei Körbe mit ihrem bewegten Inhalt stehen sehr nahe beieinander. Dies ist fotogenetisch sehr günstig. Eine der Kobras wird ihre Fotogene immer im besten Licht präsentieren und man bekommt gute Bilder. Schwierig wird es allerdings mit der Bezahlung der Besitzer der drei Schlangen. Sie sitzen auf dem Gehsteig und man kommt bei der Begleichung der Rechnung den linearen Giftdepots verdächtig nahe. Hier wird auf beiden Seiten ein gewisses Feingefühl vorausgesetzt. Da aber keiner der Schlangenbeschwörer aufspringt, um den Tourist aus dem Gefahrenbereich zu bringen, zumindest so lange er noch nicht bezahlt hat, hält sich die Gefahr wohl in Grenzen.

Auch einige Bettler zeigen sich in der Nähe des Palastes. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Bettler werden von den Touristen angezogen wie die Geier von Kadavern beziehungsweise die Touristen von Tempeln. Daher trifft man meistens ein gewisses Kontingent an Bettlern in der Nähe von touristisch gut besuchten Sehenswürdigkeiten. Der Reiseführer gibt mir den Rat, den Bettlern nichts zu geben, weil sie sich sonst sofort berauschende Flüssigkeiten kaufen würden, sobald sie flüssig geworden seien.

Wir nähern uns nun dem Höhepunkt des Aufenthaltes in Jaipur. Das ist kein schwarzer Tee, wie der Name der Stadt vermuten lässt, denn er hört sich an wie Chai (Tee) pur. Nein, es ist das Amber Fort. Sogar ich als kultureller Vegetarier freue mich auf den Besuch beziehungsweise auf den Aufstieg zum Fort. Schon bei der Ankunft in Jaipur sieht man einige der Transportmittel für den Aufstieg herumlaufen: Es handelt sich um Elefanten. Da es in Jaipur von Kulturtouristen nur so wimmelt und die meisten diesen Ritt machen, wimmelt es auch von Elefanten. Darunter sind auch einige sehr imposante Bullen. Viele der Touristen sprechen fließend Deutsch und ich habe den Verdacht, dass nicht nur einige der Mahouts auch Deutsch sprechen, sondern dass dies auch auf einige der Elefanten zutrifft. Am Ausgang von einem der Tempel werden sogar verschiedene deutsche Zeitungen angeboten. Das ist des Guten schon fast zuviel. Man hat beinahe den Eindruck, alle deutschen Indien-Touristen träfen sich in Jaipur wieder. Allerdings sehe ich die Touristen, die am Flughafen vor mir über die Umleitung nach Moskau geschickt wurden, nicht. Warum auch immer.

Tee und Tempel-Touristen werden rundum informiert

Man muss natürlich nicht auf die Elefanten klettern, sondern kann bequem von einem Gebäude mit einer Art Balkon auf diese steigen. Ich ergattere zusammen mit drei anderen Touristen ein Plätzchen auf einem der Deutsch sprechenden Elefantenbullen und wir schaukeln den Weg nach oben zum Fort. Vor uns schaukelt eine lange Schlange anderer Elefanten den Berg hoch. Für die Kulturtouristen auf meinem Elefanten, die, welch ein Zufall, alle fließend Deutsch sprechen, ist vor allem die erste Hälfte des Weges ziemlich aufregend. Es ist ihr erster Ritt auf einem Elefanten und man sitzt doch verdächtig weit oben. Daran muss man sich erst ein wenig gewöhnen. Damit auf der zweiten Hälfte keine Langeweile aufkommt, hat man sich managerseitig eine weitere Attraktion ausgedacht: Eine gute Sehenswürdigkeit erkennt man weltweit daran, dass es viele Gelegenheiten gibt, vollkommen wertlose und bestenfalls für die Erinnerung wertvolle Erinnerungsstücke erwerben zu können. Da es sich beim Amber Fort um eine gute Sehenswürdigkeit handelt, hat man dafür gesorgt, dass auch dieser wichtige Punkt ausreichend berücksichtigt wird: Auf dem Weg zum Fort wird man ständig von Verkäufern bearbeitet, die neben dem Elefanten hergehen. Irgendwann sind die Geschäfte abgewickelt, die Händler bleiben zurück und man glaubt für einen kurzen Moment, dass man nun seine Ruhe habe und den Ritt genießen kann.

Aber es ist noch ein Händler in nächster Nähe. Er hat sich als Mahout getarnt und gibt sich nun zu erkennen. Zufälligerweise hat er einige unverzichtbare Souvenirs dabei, die er nun zum Schnäppchenpreis verkaufen will. Speziell das aufpolierte Modell eines Ankus, das ist die Notbremse für nervöse Elefanten in Form eines spitz zulaufenden Eisenstabes, soll an den Mann beziehungsweise die Frau gebracht werden. Die Preisgestaltung ist ein Lehrstück für jeden BWL-Studenten. Der Preis für den Ankus sinkt sehr stark mit ansteigender Höhe; zu Beginn der Verhandlungen waren es noch 500 Rupien, am Ende, kurz vor dem Verlassen des Elefanten, sind es nur noch 250 Rupien. Das Produkt aus Preis und Höhe bleibt konstant; Mathematiker können daraus ableiten, dass es günstiger ist, den Ankus erst am Ende des Ritts zu kaufen.

Nach der Besichtigung des Tempels erfolgt der Weg abwärts zu Fuß. Neben den Wegen liegt jede Menge Müll herum. Der organische Anteil und zum Teil auch der anorganische Anteil werden von Schweinen weggeputzt. Die Schweine gehören den Kastenlosen. Sie laufen frei herum und werden nicht gestohlen, weil niemand sie haben will.

Der Guide spricht besser Deutsch als die meisten Elefanten und weiß auch bemerkenswert viel über Deutschland. Erstaunlicherweise zeigen sich große Lücken in seinem Wissen über Indien. Er kennt zum Beispiel den Ausdruck Parias, ein Name für die Kastenlosen, nicht und spricht von den Shudras. Allerdings sind die Shudras nicht die Kastenlosen, sondern die unterste Kaste.

Hawkers, das heißt Straßenhändler, wörtlich übersetzt Habichte, ist laut einem Schild der Aufenthalt im Fort verboten. Dabei gibt es sie häufiger als Touristen. Anscheinend können die meisten hawker trotz ihrer scharfen Habichtaugen nicht lesen. Einer hat eine große Waage, auf der die Touristen ihr aktuelles Gewicht feststellen können. Eine günstige Gelegenheit, auch ohne einen Blick in die Geldbörse festzustellen, wie sehr man beim Fortbesuch abgereichert wurde.

Zum Abschluss wird noch eine Teppichfabrik besucht. Auf der Fahrt dorthin sehe ich am Straßenrand einen Eisverkäufer. Gemeint ist hier keinesfalls irgendein Softeis, sondern originäres Eis aus Wasser. Das Eis wird in großen Blöcken am Straßenrand verkauft. Die hygienischen Verhältnisse können sich dabei von denjenigen auf der Straße nur bedingt unterscheiden. Ich mache mir meine Gedanken, woher wohl das Eis stammt, das in so manchem Getränk landet und nehme mir vor, kein Getränk mit Eis zu mir zu nehmen.

In der Teppichfabrik zeigt uns ein Inder zuerst die Herstellung der Teppiche. Nach der Besichtigung der Produktion wird es ernst: Man wird in den Verkaufsraum geführt, die Türen werden geschlossen, es wird Tee gereicht, auf Wunsch erhält man auch Chai pur und der Verkauf kann beginnen. Ich habe mit Teppichen nichts am Hut und bin deshalb etwas unwillig, mir eines der kostbaren Stücke andrehen zu lassen. Die Verkäufer sind allerdings sehr gut und zerpflücken ein Argument nach dem anderen. Die Höflichkeit gebietet es, nicht einfach zu sagen, dass man überhaupt kein Interesse hat. Aber ich werde wohl nicht darum herumkommen. Ein letztes Argument rettet indes die Situation: Ich sage ihnen, dass meine Frau im Hotel zurückgeblieben ist und ich ohne sie unmöglich einen Teppich kaufen kann. Daraufhin geben sie sich geschlagen.

Ranthambhore

Das war’s. Der Tempelteil der Reise ist damit abgearbeitet. Jetzt kommt der Tigerteil. Wir fahren nun zum Nationalpark Ranthambhore.

Ranthambhore war früher ein Jagdgebiet des Maharajas von Jaipur. Der Name Ranthambhore stammt vom ehemaligen Fort, das riesig ist und im Nationalpark liegt. Der Nationalpark ist knapp 1.000 Quadratkilometer groß und verfügt über 32,0 Tiger, 400,00 Krokodile und eine unbekannte Anzahl X,00 an Touristen. Die Zahlen darf man allerdings nicht so genau nehmen, nur die oben angegebene Anzahl der Touristen entspricht exakt den tatsächlichen Verhältnissen.

Bei den Tigern ist man auf Schätzungen beziehungsweise einen sogenannten Census angewiesen. Dabei werden an gewissen Tagen die Spuren gelesen und anhand der Spuren wird auf die Tiger hochgerechnet. Das Wort hochgerechnet ist in diesem Zusammenhang durchaus wörtlich zu nehmen. Die Zahlen sind so ungenau, dass man im Englischen besser von much tiger als von many tiger sprechen sollte.

Als wir Jaipur verlassen, werden die Straßen enger und schlechter. Es gibt keine Restaurants mehr in den Dörfern, die wir passieren. Wir haben die komfortable Seidenstraße der Tee- und Tempeltouristen verlassen. Das ist einerseits schlecht für den Fahrkomfort und andererseits gut für die Tigertouristen. Der Zustand der Straßen lässt darauf schließen, dass man im Nationalpark keine Zeitungen in Deutsch kaufen kann und dass sich die Anzahl der Touristen, auch wenn sie unbekannt ist, in Grenzen hält.

Nach vier Stunden Fahrt erreichen wir Sawai Madhopur, eine Stadt mit rund 70.000 Einwohnern, vor deren Toren der Nationalpark liegt. Mein Camp befindet sich in der Nähe des Parks außerhalb der Stadt.

Wir fahren zunächst zielstrebig durch die Stadt, aber dann stellt sich heraus, dass der Fahrer den Weg doch nicht kennt. Deshalb hält er und fragt einen jungen Inder, der am Straßenrand steht, wo das Camp liegt.

Der junge Mann kennt das Camp und nachdem er dem Fahrer den Weg erklärt hat, sieht er mich an und fragt: »Are you Mr. Thorwald?« Ich bin etwas überrascht. Ich habe mich wohl verhört. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Während mir solche und ähnliche Gedanken gleichzeitig durch den Kopf sausen, aber im Kopf nur eine ungewohnte Unordnung erzeugen, da ich bestenfalls seriell aber nicht parallel denken kann, fährt der Fahrer auch schon weiter. Ich bin so damit beschäftigt in meinem Kopf die gewohnte Unordnung wieder herzustellen, dass ich ganz vergesse, dem Fahrer zu sagen, dass er halten soll, weil ich dieses unverhoffte Rätsel lösen will. Schon biegen wir um die Ecke und verlieren den Inder aus den Augen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als dieses Rätsel selbst zu lösen.

Schon nach kurzer Zeit habe ich die Lösung gefunden. Sie ist überraschend einfach, liegt zwar nicht auf der Hand, aber dafür immerhin im Auto und kommt ohne jede esoterische Hochrechnung aus: Am Flughafen wurde ich mit einem Schild begrüßt. Auf dem Schild stand Welcome Mr. Thorwald. Anscheinend hat der Bursche dieses Schild gesehen und sich einen kleinen Schildbürgerstreich erlaubt. Ich drehe mich im Auto um, um zu sehen, wo das Schild liegt. Von meinem Sitz aus kann ich es nicht entdecken. Deshalb frage ich den Fahrer. Nach einigem Hin und Her versteht er und erklärt, dass das Schild im Kofferraum ist. Jetzt weiß ich zwar, wo das Schild ist, aber damit ist meine Lösung vom Tisch.