0,99 €
Als die alte Mariechen vom Tod ihres Sohnes in der Fremdenlegion erfährt, setzt sie alles daran, seinen letzten Besitz - einen Koffer - nach Hause zu holen. Ein unermüdlicher Kampf mit den Behörden beginnt, der schließlich in einer tragischen Verwechslung endet. Die packende Geschichte einer Mutterliebe, die keine Grenzen kennt, und die tiefen Narben, die der Krieg hinterlässt, berührt Leser auch heute noch. Ein zeitloses Meisterwerk über Hoffnung, Verzweiflung und den unaufhaltsamen Drang, das Unmögliche zu erreichen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 6
Friedrich Wolf
Der Koffer aus Indochina
ISBN 978-3-68912-146-4(E–Book)
Die Erzählung ist 1950 entstanden.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
© 2024 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E–Mail: verlag@edition–digital.de
Internet: http://www.edition-digital.de
Vor kurzem besuchte mich meine Jugendfreundin Kettche, die Witwe des neben meinem Elternhause wohnenden Bäckermeisters Prietzel. Für Kettche habe ich mit zwölf Jahren wahre Heldentaten vollbracht, Rabeneier aus den höchsten Wipfeln der alten Rheinpappeln geholt und im Herbst Pfirsiche aus dem Garten eines Schokoladenfabrikanten, trotz der Warnung: Hier liegen Fußangeln! Ist das nicht schon hundert Jahre her? Kettche hat inzwischen Kinder und Enkelkinder. Wir sprechen über die längst vergangene Zeit, über unsere Schulkameraden, den Schorsch Berger, den Menne Schmitz, das Mariechen Frings. Die meisten sind tot. Nur Mariechen, die den Schorsch geheiratet hatte, lebt noch, allerdings in einer Irrenanstalt. Daran war der Koffer aus Indochina schuld.
Das aber ist eine besondere Geschichte.
Denn vor mehr als einem Jahr erhielt das Mariechen, das auch seine sechzig Jahre auf dem Buckel hat, einen Brief aus dem Militärhospital in Marseille, ihr Sohn, der Fremdenlegionär Hans Berger, sei aus Indochina nach Frankreich zurücktransportiert worden und in jenem Marseiller Hospital, wo man ihm ein Bein amputiert habe, gestorben. Er habe nichts hinterlassen als einen Koffer, der zu ihrer Verfügung stehe. Mutter Mariechen wandte sich nun an die Militärbehörde und später an den französischen Konsul, um – wenn der Sohn schon tot sei – wenigstens dessen Koffer zu retten. Es begann ein umfangreicher Papierkrieg zwischen den französischen und deutschen Behörden, zwischen dem französischen Konsul am Rhein und dem Militärhospital in Marseille. Die alte Frau nahm sich schließlich einen Rechtsanwalt; der ließ in französischer Sprache neue Schriftsätze anfertigen und an die verschiedenen Dienststellen senden. Mutter Mariechen wollte unbedingt den Koffer ihres verstorbenen Sohnes haben; es war ja das einzige, was von dem Sohn übrig geblieben. Oft schien die Alte ganz nahe am Ziel zu sein. Man schrieb aus Marseille, der Koffer werde in der nächsten Woche abgesandt. Aber es verging Woche um Woche.
Der Koffer kam nicht.