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Friedrich Wolfs ergreifendes Filmszenarium "Die unsichtbare Brigade" führt die Leser tief in die Welt der Interbrigadisten, die nach dem Spanischen Bürgerkrieg unter entsetzlichen Bedingungen in französischen Lagern gefangen gehalten werden. Mit dramatischen Szenen, bewegenden Charakteren und einem unvergleichlichen Gespür für menschliche Schicksale zeichnet Wolf das Porträt einer unsichtbaren Armee von Freiheitskämpfern, die trotz Leid und Entbehrung nicht ihren Glauben an Gerechtigkeit und Freiheit verlieren. Inmitten von Hunger, Zwangsarbeit und unmenschlicher Behandlung entstehen Momente der Menschlichkeit und Solidarität, die die Essenz menschlicher Widerstandsfähigkeit verkörpern. Ein Werk voller Intensität, das die tiefsten Werte von Mut, Hoffnung und unerschütterlicher Kameradschaft zelebriert.
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Seitenzahl: 58
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Friedrich Wolf
Die unsichtbare Brigade
Filmszenarium
ISBN 978-3-68912-381-9 (E–Book)
Geschrieben im Jahre 1941.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Spanische und französische Grenzpfähle, Abenddämmerung, eine Gruppe der Interbrigadisten mit ihrem Kommandanten noch auf spanischer Seite, der Kommandant mitten in kurzer Ansprache: „… Ihr versteht, diese Epoche unseres Kampfes ist zu Ende, die Waffen müssen drüben an die französische Grenzwache abgegeben werden, die Interbrigaden sind aufgelöst. Achtung! Stillgestanden!“ Salutierend: „Es lebe das republikanische Spanien! Es lebe das spanische Volk!“ Alle heben die Faust in Stirnhöhe. „Es lebe Frankreich!“ – Es beginnt der Grenzübertritt und die Waffenübergabe an die französische Grenzwache. Die Entwaffneten werden sofort von der Garde mobile, der faschistischen Gendarmerietruppe, in Empfang genommen, in Dreierreihen eingeteilt, gestoßen und angeschrien: „Allez, allez … reculez!“ Man sieht, wie bei der schnellen Leibesvisitation auch Fotoapparate, elektrische Taschenlampen und Feldstecher von den Garden konfisziert werden. – Noch auf spanischer Seite nimmt Milan Tschochik, ein republikanischer Offizier, aus seiner weiten Reithose eine republikanische Fahne, die um einen abgebrochenen kurzen Fahnenstock gewickelt ist; er reißt sie vom Stock, tritt zu einem älteren Kameraden, Jan Brosek von der Dombrowskibrigade, der einen Hand- und Armverband hat. Sie wickeln schnell den Verband auf, wickeln die Fahne um die verwundete Hand und darüber wieder die Mullbinden. Auch andere suchen, was ihnen wertvoll scheint, noch zu verbergen; der junge Berthel Tanner zieht schnell einen Stiefel aus und legt ein kleines Notizbuch mit Gedichten und einer gepressten Rose hinein; schon geht es über die Grenze. Die Bevölkerung des französischen Grenzortes schaut sich die Behandlung der Interbrigadisten durch die Garden schweigend, aber mit deutlicher Missbilligung an. Frauen und Männer reichen den spanischen Freiheitskämpfern Brot und Wein; die Garden drängen immer wieder: „Allez, allez … reculez!“ Der verwundete Jan Brosek, auf Willi Hoff und den jungen Berthel Tanner gestützt, kann kaum mehr; er bricht zusammen. Die Garden: „Allez, allez … reculez!“ Der halbohnmächtige Jan wird außerhalb der marschierenden Kolonne an den Straßenrand gelegt. Eine alte Frau und ein etwa 15-jähriges Mädel, die französische Katalanin Peppa, beugen sich über Jan, sie geben ihm zu trinken. Vorn ist eine Stockung, alle Garden rennen dorthin. Berthel und Milan sagen zu Peppa und der alten Frau: „Schnell, bringt ihn weg! Aber zu euch, nicht in ein Hospital!“ Sie erzeugen ein Durcheinander, währenddessen Jan von Peppa über den Straßenrand auf das schon dunkle Feld gezogen wird. Eine marschierendeGruppe summt leise im Marschtempo den Refrain des Liedes:
„Die Heimat ist weit,
Doch wir sind bereit,
Wir kämpfen und siegen für dich,
Freiheit!“
Einige freiwillige Helferinnen, unter ihnen die etwa 25-jährige Modellzeichnerin Madeleine Cerval am Verteiler. Sie fragt Jan, der jetzt einen festen Seidenhandschuh um den Handstumpf trägt: „Worin besteht Ihre Verwundung?“ – „Abschuss der Finger zwei bis fünf im Grundgelenk, Verlust eines Mittelhandknochens.“ – „Sind Sie beschränkt arbeitsfähig?“ – „Teilweise.“ – „Ihr Beruf, bitte?“ – „Arzt. Ehemals Chirurg.“ – Madeleine schaut ihn an. „Welche Nationalität, bitte?“ – „Vordem Pole, das heißt durch Teilnahme an dem spanischen Feldzug ohne Nationalität; das heißt ehemals Österreicher, in Lemberg geboren.“ – „Sie wollen als Arzt weiterarbeiten?“ – „Jawohl. Mich hier auf das französische interne Doktorat vorbereiten.“ Zögernd: „Nur …“ – Madeleine: „Nur?“ – Jan: „Ich brauchte einen kleinen Raum, um zu arbeiten, um mich vorzubereiten.“ – Madeleine, überlegt: „Wenn Sie mit einer kleinen Kammer vorliebnehmen wollen, die ich zur Zeit nicht brauche, gleich neben meinem Atelier?“ – Jan, erfreut: „Mit der kleinsten Kammer.“ – Madeleine, schreibt: „Hier ist die Adresse; Sie können die Kammer heute Mittag besichtigen.“
Jakob, der Rabe, und Kiki, der kleine Hühnerhund, wandern mit. Kiki an Berthels Seite, Jakob auf der Schulter Milans.
Durch ein schräges, breites Giebelfenster sieht man über die Dächer von Paris mit ihren vielen Schornsteinen. Jan sitzt vor einem Tisch und schreibt. Madeleine tritt leise ein, in der Hand eine Zeitung. Madeleine: „Störe ich dich? Aber du musst das lesen!“ Gibt ihm „Paris Midi“. – Die Lage ist sehr gespannt, sie verschlechtert sich von Stunde zu Stunde. Frankreich heute zwischen drei Fronten: Spanien–Deutschland–Italien. – Madeleine: „Glaubst du, es kommt zum Krieg?“ – „Ich weiß nicht. Jedenfalls hätte es nicht dazu kommen müssen.“ – „Wirst du für Frankreich kämpfen?“ – „Ich habe für Frankreich gekämpft, damals, vor Madrid! Unsre Niederlage war eine Niederlage Frankreichs! Man hätte sie verhindern können.“ – „Man? Du meinst wir.“ – Jan schweigt. – Madeleine: „Und heute? Wirst du auch für Frankreich kämpfen?“ – „Für das französische Volk, ja; aber …“ – „Aber?“ – „Für diese Regierung, die Zehntausende meiner Kameraden in den KZ hält …" – „Zehntausende?“ – „Noch als wir diesen Winter über die Grenze kamen, da waren wir über 300 000 Mann, 15 bis 20 kriegserfahrene Divisionen …“
Madeleine küsst ihn. „Was fehlt dir, mein Lieber?“ – Jan, streichelt ihre Hand. „Du weißt …“ – Madeleine: „Ich weiß, Jan, ich weiß … aber heute Abend wollen wir draußen essen, darf ich dich einladen, irgendwo draußen, an der Seine, im Grünen, nur wir zwei, ja?“ Sie zieht ihn zu sich hoch, nimmt seinen Mantel vom Haken, wirft ihn Jan über die Schulter und geht mit ihm hinaus.
An verschiedenen kleinen Tischen sitzen die Menschen – darunter viele junge Pärchen – und nehmen mit Genuss ihr Souper. An einem Tischchen Madeleine und Jan; daneben an einem etwas größeren Tisch drei Menschen: eine elegante junge Engländerin, Margret Pierson, ein junger sportlich gekleideter Franzose, Gaston Drummont, der aus einem großen Lancia den Abendmantel für Margret holt, und ein alter Gelehrter mit grauem Schnauzbart, der deutsche Kunsthistoriker Leineweber, „Onkel Robby“ genannt. Sie streiten über die Auswahl des Soupers, Gaston will Margret zu einer Marseiller Bouillabaisse überreden, Professor Leineweber plädiert für eine deutsche Kartoffelsuppe mit Würstchen. Gaston: „In Frankreich isst man französisch, verehrter Professor! Wenn wir mit unsern Tanks in Berlin sein werden, dann bin ich bereit, sogar eine preußische Kartoffelsuppe mit Ihren Würstchen zu essen!“ – Professor Leineweber: „Falls Sie wirklich eine Kartoffelsuppe in Berlin essen wollen, würde ich Ihnen raten, nicht mit einem Tank dahin zu steuern, sondern mit einem Auto!“ –Margret: „Ach, ein deutscher Professor bleibt, selbst wenn er emigriert, immer ein bisschen Chauvinist!“ – Gaston: „Nun, wir werden sehen, wie viel die rollenden Konservenbüchsen der Firma Krupp aushalten.“ – Vom Nachbartisch hat Jan das Gespräch mit wachsender Aufmerksamkeit verfolgt; jetzt wirft er kurz ein: „Gestatten Sie, mein Herr, wenn ich …“ Madeleine zieht ihn hinweg. „Ich bitte dich, Jan, mische dich jetzt nicht in solche Gespräche. Du bist Invalide, du bist Pole, dir wird nichts geschehen; wir werden in Stille leben mitten in dem schrecklichen Wirbel.“
Sonne, noch sommerlich gekleidete Menschen; Kinder lassen auf dem Teich Segelschiffchen fahren, reiten auf Eselchen. Plötzlich bricht die Musik ab, alles rennt zum Ausgang. „Extrablätter! Krieg!“ – Teich wird abgelassen, mächtige Goldkarpfen aus dem Teich unter die starr dastehenden Frauen und Kinder geschleudert, Chlorkalk über das Wasser, man beginnt, Bäume umzusägen … Yperit!! Giftgasangriffe der Deutschen werden noch diese Nacht erwartet. Jan und Madeleine inmitten all dieser Panik; Jan fragt eine Gruppe, die einen Baum umsägen will: „Weshalb machen Sie das?“ Ein Beamter, der hinter ihm steht, sagt misstrauisch: „Fragen Sie nicht! Gehen Sie weiter!“ Mady zieht Jan hinweg. – Marseillaise. Gasmasken. Bäume.